1. Heinrich Gotthold Münchmeyer
Die Brüder Friedrich (Fritz) Louis und Heinrich Gotthold Münchmeyer wurden
am 15. April 1829[1] bzw. 29. Juni 1836 in
Lauterbach bei Bischofswerda geboren[2]. Die
beiden hatten noch sieben Geschwister, von denen vier noch im Kindesalter
starben. Von den fünf, die das Erwachsenenalter erreichten, kennen wir
außer Fritz und Heinrich namentlich noch einen Bruder, Gustav Clemens
Münchmeyer (* 9. September 1842 , † unbekannt) und zwei Schwestern,
Juliane Auguste Münchmeyer (* 31. Juli 1825 , † unbekannt), und Pauline
Amalie (* 17. Oktober 1839 , † 23. März 1893). Über diese letzteren drei
sind keine weiteren Daten bekannt; sie spielen offenbar aber auch keine
allzu wichtige Rolle im Leben und Werk des Verlagsdirektors Heinrich
Münchmeyer; von Gustav Clemens ist nur bekannt, dass er um 1865 nomineller
Miteigentümer des Verlags war; nach dieser Zeit entzieht er sich unser
Wissen[3].
Heinrich war von Beruf Zimmergeselle, verdiente aber sein Geld als
Dorfmusikant. Diese Beschäftigung führte ihn Ende der fünfziger Jahre nach
der Umgebung von Grüna bei Chemnitz, Reichenbrand und Oberlungwitz. Dort
lernte er irgendwie und irgendwo die am 16. April 1840 in Grüna geborene
Ida Pauline Ey kennen. Das Paar vermählte sich am 28. Mai 1860 in der
Abteikirche von Abtei-Oberlungwitz[4] und ließ
sich in Oberlungwitz nieder. Die Ehe verlief – laut Karl May – nicht sehr
glücklich[5]. Irgendwann zwischen April 1861
(Geburt der älteste Tochter Anna Marie in Oberlungwitz) und Oktober 1862
(Geburt der zweite Tochter Alma Veronika in Dresden) muss das Ehepaar dann
nach Dresden umgezogen sein. Im gleichen Jahr gründete er dort die
Verlagsbuchhandlung H. G. Münchmeyer, die er bis 1878 mit Unterstützung
seines Bruders Fritz – gelernter Schneider, † 25. Dezember 1897 – und ab
1878 allein führte. Der Verlag gab belletristische Zeitschriften, Romane
und andere Lieferungswerke heraus. 1870 wurde der Buchhandlung eine
Druckerei angeschlossen[6]. Womöglich schon
Ende der sechziger Jahre lernte er den jungen Schriftsteller Karl May
kennen, der am 3. Juli 1869 nach einer Festnahme erklärte, dass er
schriftstellerisch arbeite und fertige Arbeiten an Münchmeyer in Dresden
liefere. Ob diese Arbeiten aber tatsächlich veröffentlich wurden, ist bis
heute unbekannt. Diese Aussage stimmt aber überein mit Sätzen aus seinem
Autobiografie wie: Als ich damals diese Gedanken erwog und meine Pläne
faßte, hatte ich zwar schon Verschiedenes geschrieben und an die
Oeffentlichkeit gegeben[7] und: Ich
schrieb Manuskripte. Sobald eines fertig war, schickte ich es heim. Die
Eltern vermittelten dann zwischen mir und den Verlegern. Ich schrieb
diesen nicht direkt, weil sie jetzt noch nicht erfahren sollten, daß der
Verfasser der Erzählungen, die sie druckten, ein Gefangener sei. Einer
aber erfuhr es doch, weil er persönlich zu den Eltern kam. Das war der
später noch viel zu erwähnende Kolportagebuchhändler H. G. Münchmeyer in
Dresden[8].
1875 verpflichtete Münchmeyer Karl May dann als Redakteur und Autor mit einem Anfangsgehalt von 600 Taler (1.800 Mark). Unterschiedliche redaktionelle Ansichten, polizeiliche Maßnahmen gegen Münchmeyers Verlag wegen des seit 1874 verbotenen erotischen Lieferungswerks Die Geheimnisse der Venustempel aller Zeiten und Völker oder Die Sinnenlust und ihre Priesterinnen. Geschichte der Prostitution und ihrer Entstehung, sowie die Darlegung ihrer Folgen auf die Entwickelung der Menschheit und des »medizinischen Aufklärungsbuches« Die Geschlechtskrankheiten des Menschen und ihre Heilung. Mit besonderer Berücksichtigung der Syphilis, ihrer Entstehung und Folgen. Mit über 100 allopathischen, sowie homöopathischen Recepten versehen, zur Heilung aller Krankheiten, welche die Geschlechtsorgane betreffen, vor allem aber die Versuche von Heinrich und Pauline Münchmeyer, ihren jungen Redakteur an sich zu binden mittels eine Heirat mit ihrer ledigen Schwägerin bzw. Schwester Minna Ey (* 28. Februar 1843 , † 1918) trieben Karl May zwei Jahre später wieder fort und der Kontakt mit den Münchmeyers brach ab.
Im Sommer 1882 trafen sie
sich wieder im ›Rengerschen Gartenrestaurant‹ (Aussage von Karl May am 13.
April 1908 am Dresdner Landesgericht[9]; das
Restaurant am Plauenscher Platz 1 in Dresden hieß ab 1880 übrigens ›Café
National‹) und May verpflichtete sich, für Münchmeyer einen
Lieferungsroman zu verfassen. Die entsprechenden Verträge wurden mündlich
geschlossen. Insgesamt entstanden zwischen 1882 und 1888 für den
Kolportageverlag die fünf umfangreichen Fortsetzungsromane Waldröschen, Die
Liebe des Ulanen, Der
verlorne Sohn, Deutsche
Herzen, deutsche Helden und Der
Weg zum Glück. Sie waren sehr erfolgreich, wurden mehrfach
nachgedruckt und auch übersetzt. Wegen Unstimmigkeiten bezüglich der
Auflagenhöhe, Bezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen trennte sich
Karl May vom Verlag H. G. Münchmeyer.
Münchmeyer verblieb vier Jahre später in Davos (CH), wo er seine
Tuberkulose (auch TB, Tbc oder Lungenschwindsucht genannt) auszuheilen
versuchte. Vergeblich, denn am 6. April 1892 stirbt er dort. Am 15.
April anschließend wird er auf dem Neuen Annenfriedhof in Löbtau
beigesetzt. Löbtau war bis 1903 eine selbständige Gemeinde und wurde dann
nach Dresden eingemeindet. Der Neue Annenfriedhof an der Kesselsdorfer
Straße (früher: Wilsdruffer Chaussee) wurde am 23. Juni 1875 geweiht.
Münchmeyers Witwe Pauline übernahm die Geschäftsführung des Verlages, der laut seinem Testament nicht verkauft werden sollte. Unterstützt wurde sie von ihrem Schwiegersohn, Rudolf Jäger, und dem Redakteur August Walther[10]. 1899 verkaufte sie den Verlag samt allen Rechten doch an Adalbert Fischer[11].
Am 14. Oktober 1908 werden
Münchmeyers sterbliche Reste exhumiert um im groß angelegten neuen
Monumentalfamiliengrab auf dem Johannis-Friedhof in Dresden-Tolkewitz ihre
letzte Ruhestätte zu finden. Man könnte vielleicht meinen, dass die Witwe,
Pauline Münchmeyer, erst nach dem Verkauf des Verlages an Adalbert Fischer
(1899) zu Wohlstand gekommen wäre, was dem Bau einer Familiengruft
ermöglichte, aber das scheint nicht der Fall zu sein, denn am 22. Oktober
1911 schrieb Klara May an Franz Netcke[12],
Karl Mays damaliger Anwalt, über Informationen, die sie durch die
Leipziger Auskunftei von Carl Franz Wilhelm Schimmelpfeng[13]
erhalten hatte: Von Schimmelpfeng ging die Auskunft ein, daß der
Schwiegersohn der Münchmeyer Dr. Sch[iller] in Döbeln M. 100.000
von der Frau mitbekommen hat. Demnach werden die anderen drei auch nicht
weniger erhalten haben[14]. Wenn diese
Summen als Mitgift gegeben sind, müssen die Münchmeyers schon zu Zeiten
der Heiraten ihrer vier Töchter ungeheuerlich reich gewesen sein,
jedenfalls reich genug, sich ein Monumentalgrab zu leisten. Platzmangel im
Löbtauer Grab wird da wohl eher der Grund gewesen sein.
2. Das Familiengrab Münchmeyers auf dem Johannisfriedhof in
Dresden-Tolkewitz.
Das Jugendstilgrab (offizieller Registrierungsnummer des Friedhofs:
3.G.06.06; auf dem Plan: Nr. 59) wurde 1908 fertig gestellt vom Dresdner
Bauunternehmen W. Thume und Chr. Göbel & Co. nach Plänen vom
Architekten Paul Colditz, ebenfalls aus Dresden (* ? , † ?).
Man sieht einen gerundeten Gruftdeckel, auf dem die Namen der letzten vier beigesetzten Personen und zwei noch beizusetzende Personen mit bronzenen Buchstaben abgegeben sind. Sie ruht auf einem ca. 200 x 300 cm großen Auflager. Deckel und Auflager sind beide aus fossilführender Kalkstein, dem sogenannten Fränkischen Muschelkalk (aus Bayern)[15].
Die auffällige Jugendstilwand ist aus dem gleichen Gestein; auf dem Wand sieht man Rauchschwaden und zwei nach vorne steckende Scheingefäße oder -kessel. Flammen züngeln sich aus diesen Gefäßen empor und der Rauch, ebenfalls plastisch wiedergegeben, kräuselt sich in die Höhe, damit aller Aufmerksamheit auf einem bronzenen Flachrelief geleitet wird. Das Relief misst 70 x 20 cm und zeigt vier weiblichen, unbekleideten, betende Gestalten, denen von einer weiteren Figur der Weg in das Jenseits gewesen wird: Das Flammen der Ewigkeit genannte Relief[16] stellt den Einzug der Seelen ins Paradies nach Dante Alighieri (La Divina Commedia, Purgatorio, XXIX) dar[17].
Engelsfiguren waren um die Jahrhundertwende gang und gäbe; man denke nur an das Plöhn-/May-Grab in Radebeul oder die Grabskulpturen von Sascha Schneider[18].
Schöpfer dieses Bronzereliefs ist der Mailander Bildhauer Tullio Brianzi[19] (* 1874 (?)[20], † vor 1950). Von diesem Bildhauer wissen wir leider sehr wenig, nicht mal seine Lebensdaten; vermutlich wurde er in Cremona geboren, war aber hauptsächlich in Genua, Turin und Mailand tätig. Sein berühmtestes Werk ist das Denkmal für den einzigen italienischen Friedensnobelpreisträger, Ernesto Teodoro Moneta (* 20. September 1833 , † 10. Februar 1918), einen italienischen Publizist und Politiker, in den heutigen Giardini Indro Montanelli (früher Giardini pubblici di Porta Venezia), Mailand; das Denkmal wurde 1914[21] oder 1924[22] errichtet, während il Regime von Mussolini beseitigt und 1945 wieder aufgestellt. Auch auf dem Cimitero Monumentale in Mailand, befindet sich ein großartiges Werk Brianzis, nämlich das Grabmal der Familie Bisleri (1922)[23]. Auch in der Galleria d’Arte moderna in Mailand befindet sich Werk Brianzis.
Der Name Brianzis befindet sich rechts oben auf der Bronzeplatte des Münchmeyer-Grabes. Münchmeyers jüngste Tochter Flora soll enge Beziehungen nach Italien gepflegt haben[24].
Sehr wahrscheinlich ist das
Bronzerelief – vielleicht als Auftragswerk geschaffen – das einzige Werk
Brianzis auf einem deutschen Friedhof, jedenfalls die einzige Grabplastik
eines lombardischen Bildhauer der Jahrhundertwende in Dresden[25].
Links oben finden wir den Namen der Gießer des Reliefs: Faruffini Ottolini
Fusero Milano: Filippi Faruffini und Furtunato Ottolini waren zwei
Mailänder Gießer, die kurz vor 1900 mit Giovanni Strada und Giovanni
Piazza zur Kunstgießerei Giovanni Strada & Co. fusionierten. Die
Gießerei erhielt auf Ausstellungen zahlreiche Ehrungen und stellte
zahllose Grabmäler für Friedhöfe in Mailand, Turin, Genua und andere
Städte her[26].
Zum Schluss sei noch vermerkt, dass Grabstätte der Münchmeyers sich in
Privateigentum befindet.
3. Personen die im Münchmeyer-Familiengrab beigesetzt wurden:
Im Grab liegen z. Z.:
Anmerkungen
[1]
https://www.karl-may-wiki.de/index.php/Friedrich_Louis_M%C3%BCnchmeyer
[2]
https://www.karl-may-wiki.de/index.php/Heinrich_Gotthold_M%C3%BCnchmeyer
und Daten auf dem Münchmeyer-Grab.
[3]
Harald Mischnick: Neue
Erkenntnisse über die Verlegerfamilie Münchmeyer, eine frühere
Fassung in: Der Beobachter an der Elbe Nr. 26, Radebeul 2016.
[4]
Karl May: Mein Leben und Streben, hrsg. von Hainer Plaul,
Hildesheim/New York: Olms, 1997³, S. 388*.
[5]
Man muss dabei berücksichtigen, dass Karl May seine Anmerkungen bezüglich
der Münchmeyer-Familie Jahrzehnte später schrieb: Ein Schundverlag,
Ein Schundverlag und seine Helfershelfer und Mein Leben und
Streben (1905, 1909 bzw. 1910), während der Münchmeyer-Prozesse.
[6]
Hainer Plaul: Redakteur auf Zeit • Über Karl Mays Aufenthalt und Tätigkeit
von Mai 1874 bis Dezember 1877, in: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft
1977, Hamburg 1977, S. 131.
[7]
Mein Leben und Streben, wie Anm. 4, S. 148–149.
[8]
Ebenda, S. 175.
[9]
Mein Leben und Streben, wie Anm. 4, S. 406*.
[10]
Johann August Wilhelm Walther (* vermutlich 1. August 1827, † 7. Februar
1900) arbeitete mit Unterbrechungen seit 1863 im Verlag H. G. Münchmeyer
und wird von Karl May als Faktotum Münchmeyers bezeichnet.
[11]
Johannes Adalbert Fischer (* 3. Dezember 1855 , † 7. April 1907) war einer
der vielen mehr oder wenig erfolgreichen Herausgeber in Dresden, der 1899
den Verlag H. G. Münchmeyer kaufte mit nur einem einzigen Grund, nämlich
Karl Mays Kolportageromane neu herauszugeben, mit ein paar eingefügte
Passagen und unter Mays Namen.
[12]
Franz Heinrich Rudolf Netcke (* 21. Mai 1871 , † 23. Februar 1947) war
Rechtsanwalt beim Land- und Amtsgericht Dresden und löste 1908 den
bisherigen Rechtsbeistand Rudolf Bernstein als Rechtsvertreter Mays ab; er
gehörte der Dresdner Sozietät Wetzlich und Netcke an.
[13]
Carl Franz Wilhelm Schimmelpfeng (* 9. November 1841 , † 21. Juni 1913)
war 1872 der Begründer des »Auskunft- und Kontrollbüros für geschäftliche,
insbesondere Kreditverhältnisse von W. Schimmelpfeng«.
[14]
Dieter Sudhoff und Hans-Dieter Steinmetz, Karl-May-Chronik V,
Bamberg/Radebeul 2006, S. 505.
[15]
Arndt Kiesewetter, Beatrice Teichmann, Jean-Michael Lange und Martin Kaden
(Red.): Steine erzählen Geschichte(n). Der Evangelisch-Lutherische
Johannisfriedhof Dresden-Tolkewitz. Band 1: Bedeutende Grabdenkmale,
Dresden: Ärar des Elias-, Trinitatis-, und Johannisfriedhofes zu Dresden,
2018¹, S. 48.
[16]
Ebenda, S. 49.
[17]
Andreas Dehmer (mit Beiträgen von Astrid Nielsen und Beatrice Teichmann):
Aux morts. Grabskulptur in Dresden 1880–1930, Regensburg: Verlag Schnell
und Steiner GmbH, 2020¹, S. 123.
[18]
Rudolph Karl Alexander (Sascha) Schneider (* 21. September 1870 , † 18.
August 1927) war ein deutscher Maler und Bildhauer; für Karl Mays
Reise-Erzählungen schuf er 27 neue Deckelbilder.
[19]
Dehmer, wie Anm. 17, S. 123.
[20]
Ernesto Marini, Milano illustrata. Cose, persone, Milano 1903, p. 81; AKL
14 (1996), p. 195; Onlinefassung: Digitami - Opera. Dehmer (wie Anm. 17, S. 123)
meldet, dass die von Marini genannten Lebensdaten falsch seien.
[21]
Arndt Kiesewetter, wie Anm. 15, S. 49.
[22]
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:9333_-_Milano_-_Monumento_Ernesto_Teodoro_Moneta_-_Foto_Giovanni_Dall%27Orto_23-Apr-2007.jpg
u.a.
[23]
https://nl.findagrave.com/memorial/31208959/ferruccio-bisleri
[24]
Dehmer, wie Anm. 17, S. 123.
[25]
Ebenda, S. 123.
[26]
Marini, wie Anm. 20, p. 81.
[27]
Karl May: Frau Pollmer – eine psychologische Studie, S. 839. Das
Wort »mußte« müssen wir nicht buchstäblich nehmen, denn ein Sohn Jäger
wurde erst am 15. September 1898 geboren, es sei denn, die Anna Marie
hätte ihren Freier eine Schwangerschaft vorgetäuscht und damit zu eine
Zwangsehe gezwungen oder vielleicht gab es eine Abtreibung? Vergessen wir
dabei nicht das Buch Die Geschlechtskrankheiten des Menschen und ihre
Heilung. Mit besonderer Berücksichtigung der Syphilis, ihrer Entstehung
und Folgen. Mit über 100 allopathischen, sowie homöopathischen Recepten
versehen, zur Heilung aller Krankheiten, welche die Geschlechtsorgane
betreffen vom Verlag H. G. Münchmeyer, das 1874 in Österreich-Ungarn
und Preußen verboten wurde.
[28]
Karl May: Ein Schundverlag, S. 383.
[29]
Karl May: Ein Schundverlag, S. 343.
[30] Dieter Sudhoff und Hans-Dieter Steinmetz, Karl-May-Chronik III, Bamberg/Radebeul 2005, S. 451.