Dieter Krauße |
»Ich hatte meine Sujets aus
meinem eigenen Leben, |
»Bin sehr oft, ohne daß ich es notwendig hatte, mit dem
Theodolit draußen herumgelaufen.«[2] – So erklärt das Greenhorn, der spätere Old
Shatterhand, seinem Freund, Büchsenmacher Mr. Henry in St. Louis, wie er seine
Kenntnisse über Landesvermessungen erworben hat.
»Ich habe mich sowohl an
Horizontal-, als auch an Höhenmessungen oft beteiligt, […]«[3]
»[…] als ich mich über das Wesen und die Unterschiede der Aufnahme durch Koordinaten, der Polar- und Diagonalmethode, der Perimetermessung, des Repititionsverfahrens, der trigonometrischen Triangulation ausgesprochen hatte […] wurde mir die Sache auffällig, […]«[4]
Am 14. Oktober 1865 wurde auf dem Pfaffenberg, der heute zu
Hohenstein-Ernstthal gehört, eine Triangulationssäule gesetzt. Der jetzt
bewaldete Berg war damals völlig kahl, kein Busch, kein Baum, kaum ein Gebäude.
Er war deshalb für die Landesvermessung bestens geeignet. Trotz des mittlerweile prächtigen Baumwuchses kann man heute noch an bestimmten
Stellen die weite Aussicht ins Erzgebirge genießen, die bis zum
Keilberg/Klinovec in Böhmen reicht, an dessen Fuß Karl May mit seiner Frau die
letzte Kur in Sankt Joachimsthal/Jachymov erlebte.
Dem Aufsetzen der Säule
war der Vorschlag des preußischen Generals Johann Jakob Baeyer (1794–1885)
vorausgegangen, eine mitteleuropäische Gradmessung zu erarbeiten. Verschiedene
deutsche Länder hatten schon eigene Landesvermessungen durchgeführt. Zwar waren
sie alle zusammen im Deutschen Bund, aber gemeinsame Richtlinien für eine
Vermessung gab es nicht. Das einheitliche Deutsche Reich wurde ja erst 1871
gegründet.
Der sächsische König nahm den Vorschlag gern auf. König Johann von
Sachsen war ein der Kunst und Wissenschaft aufgeschlossener Mensch. Er förderte
in hohem Maße das Schul- und Hochschulwesen und machte sich auch als Übersetzer
von Dantes Göttlicher Komödie unter dem Namen Philalethes wohlbekannt. Äußeres
Zeichen seiner hohen Wertschätzung war die Auszeichnung 1869 mit dem Orden ›Pour
le Mérite für Wissenschaft und Kultur‹.
Auch unser Karl May wird König Johann
halbwegs wohlgesonnen gewesen sein. Unter dessen Regierung wurden ihm ein wenig
mehr als acht Monate seiner Strafe, die er im Zwickauer Arbeitshaus Schloss
Osterstein abzubüßen hatte, erlassen.
Bevor er am 26. März 1865 in Leipzig
nach einigen Vergehen wieder verhaftet wurde und in Zwickau seine Strafe
antreten musste, hatte er einige Jahre in seiner Heimatstadt und deren Umgebung
zugebracht. Von einem Aufenthalt in Amerika, den er für diese Zeit in den Raum
stellte, kann keine Rede sein. Er wurde 1862 für den Militärdienst gemustert und
für untauglich erklärt. Er nahm nachweisbar an Gottesdiensten in der Sankt
Trinitatiskirche teil, trat als Rezitator und Musiker auf. Auch mit
Privatunterricht versuchte er, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Seine sich
steigernde innere Unruhe wird ihn sicherlich nicht nur einmal den Leichenweg,
die jetzige Bergstraße, hinauf, am Wohnhaus seiner Großmutter vorbei, auf den
Pfaffenberg getrieben haben. Hier konnte er direkt in die weite Welt blicken und
seinen Gedanken und Wünschen freien Lauf lassen. –
In dieser Zeit wurde mit
der sächsischen Landesvermessung begonnen. König Johann von Sachsen beauftragte
damit Professor Christian August Nagel (1821–1903) von der Technischen
Bildungsanstalt Dresden. Ihm zur Seite standen Prof. Julius Ludwig Weisbach
(1806–1871) von der Bergakademie Freiberg und Prof. Karl Christian Bruhns
(1830–1881) von der Sternwarte Leipzig. Sie lieferten nach 27 Jahren eine
ausgezeichnete wissenschaftliche Arbeit ab.
Sie teilten das Königreich Sachsen in Dreiecke auf. An deren Eckpunkten errichtete man Steinsäulen. Diese Dreiecke fügte man zu Netzen 1. und 2. Ordnung zusammen. Notwendig war, dass zwei weitere Triangulationspunkte sichtbar waren, für den Pfaffenberg mit seiner hervorragenden Weitsicht war das damals eine Leichtigkeit. Mit Hilfe trigonometrischer Funktionen wurden Horizontal- und Höhenmessungen angestellt. Dazu benutzte man Theodoliten und das Messgerät Heliotrop, ein Sonnenspiegel, der mit einem Zielfernrohr ausgestattet ist. Der Hohenstein-Ernstthaler quaderförmige Stein trägt auf der Vorderseite die Aufschrift:
›Kön. Sächs. Station Pfaffenberg der Mitteleurop. Gradmessung 1865‹.
Andere Säulen in Sachsen, sofern sie überhaupt noch existieren, tragen leicht veränderte Aufschriften und haben auch andere Formen.
Das Aufstellen der Triangulationssäule konnte Karl May nicht beobachten. Er war unabkömmlich verhindert. Sicherlich hätte es ihn als gebildeten Bürger sehr interessiert. In seiner Selbstbiografie ›Mein Leben und Streben‹ schreibt er zu seinen Romanen und Erzählungen:
»Ich hatte meine Sujets aus meinem eigenen Leben, aus dem Leben
meiner Umgebung, meiner Heimat zu nehmen. […] Aber ich mußte diese Sujets hinaus
in ferne Länder und zu fernen Völkern versetzen, um ihnen diejenige Wirkung zu
verleihen, die sie in der heimatlichen Kleidung nicht besitzen.«[5]
Pfaffenberg 2012, im Hintergrund die Kirche von
Wüstenbrand.
Pfaffenberg 2012, Vermessungen mit Hilfe von
Satelliten.
Sind
vielleicht hier in seiner Heimat auf dem Pfaffenberg die tiefsten Wurzeln der
üppigen Pflanzen seiner Phantasie zu suchen, deren Blüten uns im Winnetou, im
»Quellgebiete des Rio Pecos und des südlichen Canadian«[6] erfreuen? In
Nordamerika hatte er einen Teil einer weiten Strecke zu vermessen, denn »die
Bahn sollte von St. Louis aus durch das Indian-Territory, New-Mexiko, Arizona
und Californien nach der Pacific-Küste gehen«[7]. Er verwendete Geräte und
Rechenarten, wie sie die Wissenschaftler in der Heimat auf dem Pfaffenberg
verwendeten. Wie so oft ergänzte er beim Schreiben sein Wissen mit Hilfe von
Lexika.
Im Jahre 2012 führte der Staatsbetrieb Geobasisinformation und Vermessung des Freistaates Sachsen wieder eine Landesvermessung durch, diesmal mit Hilfe der Satellitennavigationssysteme GPS (Global Positioning System) und ›Glonass‹ (russ.: Globalnaja Nawigazionnaja Sputnikowaja Sistema). Hier erwartet man eine Koordinatengenauigkeit von wenigen Millimetern. Nutznießer werden der Straßen-, Bahn- und Wasserbau, Planungsbüros und Katastervermessung, aber auch jeder Kraftfahrer mit Navigationsgerät sein.
Mit Hochachtung sprechen die heutigen Vermesser von den Leistungen der Geodäten von vor 150 Jahren. In diese Hochachtung wollen wir die Leistungen der surveyors, die am Rio Pecos und Canadian die Bahnlinien vermessen haben, gern mit einbeziehen.
Übrigens, ein Spaziergang über den Pfaffenberg bietet die Gelegenheit, sich die gut erhaltene Triangulationssäule von 1865 anzusehen und anschließend das Haus mit den Koordinaten 50° 48‘ 19.96‘ N, 12° 43‘ 00.74‘ O zu besuchen. Denn zu Gast war dort immerhin schon der König Friedrich August III. von Sachsen.
Anmerkungen
[1]
Karl May: ›Mein Leben und Streben‹. Freiburg o. J. (1910), S. 139.
[2]
Karl May: ›Winnetou der rote Gentlemen, 1. Band‹, Freiburg 1893, S. 15.
[3]
Ebd., S. 15.
[4]
Ebd., S. 25. Triangulation-Hervorhebung vom Verfasser.
[5]
Karl May, wie Anm. 1, S. 139.
[6]
Karl May, wie Anm. 2, S. 34.
[7]
Ebd, S. 34.