Die von den Gebrüdern Ziller 1879/1880 erbaute ›Villa Agnes‹ (auf
deutsch die ›Reine‹) in Oberlößnitz, Lößnitzgrundstraße 2 (Eckgrundstück
Lößnitzgrundstraße/Nizzastraße, damalige Adresse Nizzastraße 1 d, laut
Brd.-Cat.-Nr.), war Mietwohnsitz des Ehepaars Karl und Emma May von April
1891 bis Dezember 1895. Bereits wenige Wochen nach ihrem Einzug bekamen
sie zur nächtlichen Stunde am 28. Mai 1891 ungebetenen Besuch. Die
›Kötzschenbrodaer Zeitung‹ meldete: »In der Nacht zum Donnerstag wurde in
dem Grundstück Nr. 1 der Nizzastraße in Oberlößnitz, welches an den
Schriftsteller Herrn Dr. May vermiethet, nur durch die Dazwischenkunft des
Miethers ein größerer Einbruchdiebstahl verhütet. Schon in den
vorhergegangenen Nächten wurden die Bewohner, die in der 1. Etage
schlafen, durch das Anschlagen des Hundes geweckt, aber trotz allen
Suchens konnte nichts Verdächtiges entdeckt werden. In der Nacht zum
Donnerstag kurz nach 1 Uhr, der Hund hatte auch diesmal längere Zeit
vorher angeschlagen, erwachte die Frau des Dr. May durch ein Geräusch im
Parterre, sie weckte ihren Mann, der sich auch sofort nach unten begab, wo
er zu seiner Ueberraschung in einer als Fremdenzimmer benutzten Stube
sämmtliche Schränke und Kommoden geöffnet und deren Inhalt zum Theil auf
dem Boden zerstreut, vorfand, außerdem hatte der Einbrecher eine Axt auf
das Bett gelegt. Von dem Letzteren, der nach Aufbrechen eines
Fensterladens und Zerbrechen mehrerer Fensterscheiben in das Zimmer
gedrungen, war nichts mehr zu bemerken, man konnte indeß seine Spuren in
dem feuchten Sande bis an die Gartenmauer verfolgen […]«. – Der Einbrecher
wurde zeitnah gefasst.
Willkommen ist der Besuch
des Verlegers Friedrich Ernst Fehsenfeld aus Freiburg im Breisgau. Am 17.
November 1891 kommt es zum Vertrag über die Edition der Gesammelten
Reiseromane. Der Verleger berichtete: »Gleich wurde ich […] in eine
Stimmung von Gefahren und ihrer Begegnung hineinversetzt. War doch das
ganze Grundstück von einem Bretterverschlag eingeschlosssen, von dessen
Kante eiserne Stacheln herabdräuten. Man konnte von außen nicht
hineinsehen. Und Gartentür und Haus wurden nach unserem Eintritt wieder
festverschlossen und verriegelt.« Zu jener Zeit scheute Karl May noch
immer die Öffentlichkeit. Der Palisadenschutz sollte die Vergangenheit vor
der Außenwelt abschirmen, insbesondere aber vor weiteren Einbrechern. Ohne
Genehmigung lässt May an der Ostseite der Villa einen Erker anbauen. Damit
wurde das Arbeitszimmer erweitert.
Aus Fehsenfelds Darstellung erfahren wir noch von »bescheiden
eingerichteten Räumen«, aber auch »höchst gemütlichen Stunden«, er bekam
auch einen Begriff vom Fleiß Karl Mays: »Wenn er zur Arbeit ging, nahm er
einen großen Topf starken Kaffees mit, legte einige Zigarren daneben,
schloß dann die Tür ab und schrieb nun die ganze Nacht durch bis zum
Morgen«.
Karl May bekam ein
Akontohonorar von 500 Mark pro Band und weitere 2000 Mark nach dem Absatz
von jeweils 5000 Exemplaren (später wurde der Autorenanteil etwas erhöht).
Am 3. Dezember 1891 schrieb er aus einer glücklichen Gemütslage an seinen
Verleger:
»Im lieben, schönen Lößnitzgrund
Da saßen Zwei selbander;
Die schlossen einen Freundschaftsbund,
Gehn niemals auseinander.
Der Eine schickt Romane ein,
Der Andre läßt sie drucken,
Unds Ende wird vom Liede sein:
’s wird Beiden herrlich glucken!«
In der ›Villa Agnes‹
entstanden die Romane ›Der Mahdi‹, ›Der Oelprinz‹, ›Die Felsenburg‹ /
›Krüger-Bei‹ / ›Die Jagd auf den Millionendieb‹ (›Satan und Ischariot
I–III‹), ›Winnetou I‹, ›Old Surehand I‹ sowie ergänzende Texte für Bände
der gesammelten Reiseromane (u. a. bei ›Der Schut‹, ›Am stillen Ocean‹ und
›Winnetou II–III‹).
Die ›Villa Agnes‹ wurde Ende der 1870er Jahre als eines der ersten Anwesen
an der Nizzastraße gebaut. Der Eingang in das Eckgrundstück erfolgte
vermutlich schon immer von der Lößnitzgrundstraße her. Später erweiterte
man das Gebäude, so um 1910 durch den halbrunden Anbau an der Ostseite und
die vorgelagerte Veranda.
Der vorliegende Beitrag aus dem Buch ›Reisen zu Karl May‹ wurde nach
dem Tod von Dr. Christian Heermann (1936–2017) von Ralf Harder ergänzt
und aktualisiert.
Literaturhinweise
Christian Heermann: Winnetous Blutsbruder. Karl-May-Biografie, Bamberg/Radebeul 2002.
Dieter Sudhoff/Hans-Dieter Steinmetz: Karl-May-Chronik I, Bamberg/Radebeul 2005.
Hans-Dieter Steinmetz: Karl Mays Wohnsitze in der Lößnitz. Architekturzeichnungen ersetzen fehlende historische Fotos. In: Karl-May-Haus Information, Nr. 20, Hohenstein-Ernstthal 2007.
René Grießbach: Auf Karl Mays Spuren in Radebeul. In: Der Beobachter an der Elbe, Nr. 29, Radebeul 2017.