Der große Aufbruch

 

Im Jahre 1000 erreichte der Wikinger Leif der Glückliche, Leif Ericson (ca. 975-ca. 1020) die nordamerikanische Küste. Einer seiner Begleiter war sein alter Freund und Erzieher, der Deutsche Tyrkir, der aus dem Rheinland stammte und als der Entdecker des wilden Weines in Amerika in die Geschichte einging. Der Name Vinland, den Leif dem Landstrich an der Küste gab, erinnert an diese Episode.
     Längst hat die Geschichtsforschung Christoph Kolumbus (1451–1506) die Ehre streitig gemacht, der erste Entdecker Amerikas gewesen zu sein. In verschiedenen Jahrhunderten sollen Seefahrer den neuen Kontinent erreicht haben. Sogar noch 1472/73 befuhr der Hildesheimer Kapitän Didrik Pining (ca. 1420–1491), der – damals in dänischen Diensten stehend – Admiral und Statthalter auf Island war, die amerikanische Küste. Aber von Bedeutung waren alle diese Entdeckungen nicht. Erst die letzte und endgültige durch Christoph Kolumbus (1492) löste den großen Sturm aus, der zur Eroberung des neuen Erdteils führte. Es war ein deutscher Kartograph, Martin Waldseemüller (ca.1470–ca.1518/1521), dem wir den Namen Amerika verdanken. 1507 verwandte er ihn erstmalig auf einer seiner Karten.
     Amerika wurde aufgeteilt. Jede Nation beeilte sich, eine Scheibe vom großen Kuchen abzuschneiden. Forscher befuhren die amerikanischen Küsten. Es entstanden die ersten Niederlassungen. England versuchte schon zu Ende des 16. Jahrhunderts in Nordamerika Ansiedlungen zu bauen. Die Bemühungen scheiterten, die ersten Siedler sind im Dunkel der Geschichte verschwunden. Das englische Empire musste erst noch gebaut werden, aber Gewinnsucht, vermischt mit Forschungsdrang, beherrschte die Engländer schon damals. 1607 landeten sie dann im heutigen Virginia. 1620 folgte die berühmte »Mayflower« mit den »Pilgervätern« – im heutigen Massachusetts beeilten sich die frommen Puritaner, den Grundstein für Neu England und vielleicht sogar schon für die amerikanische Unabhängigkeit zu legen. Weiter im Norden rührten sich die Franzosen, im Süden meldeten die Spanier Ansprüche an, und mitten zwischen den englischen Kolonien erschienen erst die Holländer, dann die Schweden. Schon damals kamen auch die ersten Deutschen ins Land.

 
Die Kolonisten waren anfänglich durch Hunger und Krankheit stark gefährdet. Auch die Ureinwohner beobachteten misstrauisch die Landung der unheimlichen Fremden. Zu ihrem Glück trafen sowohl die Engländer in Virginia als auch die Pilgerväter in Massachusetts auf freundlich gesonnene Häuptlinge, die mit ihnen Verträge schlossen und ihnen ein wenig Land überließen. In Virginia rettete der mächtige Häuptling Powhatan (ca. 1545–1618) nach anfänglichen Feindseligkeiten die Kolonie, indem er ein Abkommen mit den Eindringlingen schloss. Dennoch sollte er verräterisch von den Ansiedlern in einem Haus gefangen werden. Die Zimmerleute, die es errichten sollten, stammten aus Deutschland, sie hießen Unger, Folday und Keffer. Und noch ein deutscher Name ist aus diesen frühen Tagen der amerikanischen Geschichte überliefert: Johannes Wundes, der in Solingen zur Welt gekommen war. Allerdings machten die Deutschen das böse Spiel nicht mit, sondern liefen zu den Indianern über und verrieten den Plan – einer wurde später gefasst und an den Fersen aufgehängt. Die Ländergier der Weißen, ihre Missachtung der Ureinwohner, ihre Ausschreitungen führten schon bald zu blutigen Aufständen: dem Auftakt für fast dreihundert Jahre blutige Grenzgeschichte – was 1622 in Virginia geschah, sollte sich bis zum Gemetzel am Wounded Knee noch vielfach wiederholen.

Bemerkenswerterweise ist den Engländern die günstige Lage des heutigen New Yorker Hafens entgangen. Hier griffen die Holländer zu. Schon 1609 landete der in holländischen Diensten stehende englische Seefahrer Henry Hudson (ca. 1550–1611) in Manhattan und befuhr den Fluss, der nun seinen Namen trägt, bis in die Gegend des heutigen Albany. Bis dorthin gelangte fünf Jahre später auch der deutsche Seefahrer Hendrik Christiaensen; er erbaute hier ein Fort, aber Indianer zerstörten es zwei Jahre später, und Christiaensen endete mit einem Pfeil in der Brust. Weitere zehn Jahre vergingen, bis die Holländer endgültig am Hudson Fuß faßten. 1624 landete Cornelius Jacob May mit Wallonen – Protestanten französischer Sprache – auf Manhattan und baute die ersten Niederlassungen. Ein Jahr später erhielt Neu Holland den ersten »Direktor« und 1626 den ersten »Generaldirektor«. Dieser war ein Deutscher, Peter Minuit.

Minuit, wie er sich selbst schrieb, oder Minnewit, wie er in den Niederlanden gesprochen bzw. geschrieben wurde, war ein Nachfahre protestantischer Wallonen, die aus dem katholischen Frankreich fliehen mussten und im gastlichen Wesel Aufnahme fanden. Minuit, dort 1580 geboren, wurde Diakon der Reformierten Kirche und musste 1620 Hals über Kopf aus Wesel flüchten, als die Stadt von den Spaniern erobert wurde. Er begab sich nach Holland, knüpfte – dank der Familie seiner aus Amsterdam stammenden Frau – Beziehungen mit der »Westindischen Handelsgesellschaft« an und wurde bald Generaldirektor der neugegründeten Kolonie.
 

Peter Minuit

Peter Minuit. – Historisierende Darstellung.

  
Seine erste Tat war es, die Beziehungen zu den Indianern zu regeln. Er gewann ihr Vertrauen, weil er sie als Menschen behandelte, und Minuit gehört zu den ganz wenigen Gestalten der amerikanischen Geschichte, die den Indianern ihr Land nicht raubten, sondern abkauften. Das Gebiet, das er von den Wappinger-Sachems erwarb, umfasste elftausend Morgen. Der Preis war denkbar gering und wurde in Eisen, Schmuck und Stoff bezahlt – der Grund, auf dem heute die Millionenstadt New York steht, hat nur rund hundert Mark gekostet.

Zu dieser Zeit bestand Neu Amsterdam aus etwa dreißig Häusern aus Baumrinde und Stroh. Das Gebäude der Kompanie besaß als einziges Steinwände. Daneben gab es noch sechs Farmen oder »Bouweries« am East River. Minuit ließ die Ansiedlung renovieren und begann mit der Erbauung eines Forts. Es entstand die erste steinerne Kirche. Die Siedlung, die vor allem durch Minuits Freund Quirin Friedrichsen, einen ebenfalls aus Wesel stammenden Festungsbaumeister, errichtet wurde, sollte rasch Orte wie Boston oder Jamestown übertreffen.

Mit den Indianern, die er stets freundlich behandelte, kam Minuit sehr gut aus. Er war energisch, und Mut, Opferbereitschaft, Scharfsinn und gutes Planungsvermögen zeichneten ihn aus. Aber er neigte zur Tyrannei und schaffte sich mit der Zeit eine Reihe von Feinden. Dass Minuit schließlich im Jahre 1631 abberufen wurde, hatte aber noch andere Gründe. Holländische Händler verkauften dem mächtigen Indianerbund der Irokesen Feuerwaffen und lehrten ihn den Gebrauch. Den Holländern war das militärische Übergewicht der Irokesen über die anderen Stämme mit zu verdanken, der unverantwortliche Handel rief allerorts Proteste hervor, konnte aber von Minuit nicht unterbunden werden. Die Konkurrenz der Engländer schädigte den holländischen Pelzhandel, und nicht zuletzt waren die Direktoren der Holländischen Westindischen Kompanie untereinander zerstritten und neideten Minuit den großen Erfolg, den er auch in der Landwirtschaft und Viehzucht in Neu Holland hatte. Ungeachtet der vielen Verdienste, die er sich um die Kolonie erworben hatte, wurde Minuit entlassen. Allerdings genoss er in bestimmten Kreisen bereits einen guten Ruf, und als man am Königshof in Schweden zu der Ansicht neigte, es dem Ansehen der Krone schuldig zu sein, ebenfalls eine Kolonie in der Neuen Welt zu gründen, wurde Minuit als der geeignete Mann an die Spitze des Unternehmens gestellt. Im März 1638 traf Minuit mit etwa fünfzig Schweden und Finnen am Delaware ein. Dort, wo heute die Stadt Wilmington steht, erbaute er Fort Christianna. Auch hier kaufte er das Land den Indianern ab, in Gegenwart der Sachems nannte er es »Neu Schweden«. Aber seiner zweiten Gründung konnte er sich nicht mehr lange erfreuen. Im Herbst 1638 ertrank er während einer Handelsreise, die ihn zur Insel St. Christopher geführt hatte, im Hafen der Insel, als ein aufkommender Wirbelsturm das holländische Schiff, das er eben besuchte, mit sich riss.

Weder die Siedlungen in Neu Schweden noch die in Neu Holland waren von Dauer. Schweden selbst brauchte noch Pioniere, und aus religiösen Gründen Verfolgte, wie es die Pilgerväter waren, gab es hier nicht. Die Krone zeigte sich uninteressiert. Und der einzige tatkräftige Gouverneur Neu Schwedens, Johan B. Printz (1592–1663), legte sich mit den Holländern an, die noch lauter gegen Neu Schweden protestierten als die Engländer. Interessant ist, dass Printz, der möglicherweise deutsche Vorfahren hatte, vierundfünfzig deutsche Familien aus Pommern mit sich brachte, als er 1643 nach Amerika kam. Unter ihrem Zugriff blühte Neu Schweden kurze Zeit auf, bis es 1655 von den Holländern eingenommen wurde. Immerhin hat Neu Schweden der Nachwelt drei Errungenschaften vermacht: Auf der fairen Indianerpolitik von Minuit und Printz basierte die spätere der Quäker, am Delaware wurde das Luthertum fest verwurzelt, und schließlich waren es die Siedler der schwedischen Kolonie, die hier das Blockhaus einführten, eines der Symbole der amerikanischen Grenzgeschichte.

Auch Neu Holland fristete nur so lange ein erträgliches Dasein, wie Minuit ihm vorstand. Seine Nachfolger ließen das Land verkommen oder stürzten es in Indianerkämpfe, die an weißem Barbarentum wohl niemals mehr übertroffen worden sind. Holland hatte auf Grund seines soliden Wohlstands auch keine Siedler, die materielles Glück oder religiöse Freiheit suchen mussten. Neu Holland wurde so wenig unterstützt, dass es kein Wunder war, als es 1664 an England fiel – sogar mit Einverständnis der meisten Einwohner. Aus Neu Amsterdam wurde New York, und das Bündnis mit den Irokesen ging auf die Engländer über, was diesen in den späteren Auseinandersetzungen mit den Franzosen entscheidende Vorteile bringen sollte.

Im 17. Jahrhundert erlebte Nordamerika einen großen Zustrom von Siedlern. Die meisten waren vor religiöser Unterdrückung oder den sozialen Verhältnissen geflohen. Zu den Einwanderern gehörten erst spärlich, dann immer zahlreicher werdend die Deutschen. Seit etwa 1640 kamen deutsche Mennoniten nach Amerika. Viele deutsche Katholiken siedelten eine Generation später in Maryland. Einer dieser Deutschen, wenn auch protestantisch, war Augustin Herman (ca. 1621–1686) aus Prag, der um 1630 nach Virginia und dann nach Neu Amsterdam kam. Nachdem er infolge von Grenzstreitigkeiten zwischen Maryland und Virginia eine hervorragende Karte der beiden Kolonien angefertigt hatte, erhielt er 1666 in Maryland das Bürgerrecht und erwarb umfassende Güter, wo er mit Tabakpflanzungen begann. Aber schon fünf Jahre nach der ersten Niederlassung in Maryland (1632) ist ein Deutscher namens Beckler hier nachgewiesen. Basil Wagner erhielt 1667 von der Krone Land in der heutigen Marylander Grafschaft Carroll. Zu den ersten Siedlern in Rhode Island gehörte der deutsche Captain John Luther.

Für die meisten der Immigranten begann hier im Osten der Wilde Westen. Sie lebten in ständiger Berührung mit der Wildnis. Die wenigsten blieben in den verhältnismäßig sicheren Küstenstädten; wer sich weiter nach Westen wagte, war oft Überfällen der Indianer ausgesetzt, die sich an den Pionieren für Landraub und Vertreibung rächten. Blutige Indianerkriege brachen mehrfach über die Kolonien herein, die jedes Mal durch das gewissenlose Vorgehen der Weißen hervorgerufen wurden. Die Namen der Häuptlinge Sassacus (ca. 1560–1637) und Metacomet (ca. 1637–1676) sind mit den großen Aufständen in Neu England im 17. Jahrhundert verbunden. Aber ihr heldenhafter Widerstand konnte die Ausbreitung der Weißen nicht aufhalten. Längst lockte sie das unbekannte Gebiet im Westen. Hier begann unberührtes, weites Land, das noch keines Weißen Fuß betreten hatte. In Virginia suchte der Gouverneur Sir William Berkeley (1606–1677) einen geeigneten Mann, der ins Ungewisse aufbrechen und Kunde von dem geheimnisumwitterten Land jenseits der Berge bringen würde. Er fand ihn in dem Hamburger Johann Lederer, der wohl Medizin studiert hatte und 1668 mit etwa 25 Jahren nach Virginia gekommen war. Bis 1670 unternahm Lederer drei Expeditionen in Virginia und Karolina, um Wege durch die Appalachen zu suchen. Er wurde von indianischen Führern oder Weißen begleitet. Als erster Europäer betrat er die Blauen Berge und das Gebiet des Rappahannock, als erster Weißer schaute er von einem Gipfel ins Shenandoah-Tal hinab und fand kurz danach den Zugang zu diesem herrlichen Land. Später lebte Lederer als Arzt in Neu England. Nach 1675 kehrte er nach Hamburg zurück.

Amerika musste den unterdrückten Massen der Alten Welt wie ein Land Kanaan erscheinen. In ihrer Not gab es für sie oft kein Halten mehr. Heimlich verkauften sie ihre Habe, sie nahmen harte Repressalien seitens der Landesfürsten in Kauf, wurden von Herbergswirten und Schiffseigentümern um ihr letztes Hab und Gut gebracht und konnten froh sein, wenn sie die überfüllten Auswandererschiffe, auf denen Not und Tod die Begleiter waren, mit heilen Gliedern in der Neuen Welt verlassen konnten. Und beileibe nicht für alle Emigranten war mit der Ankunft in Amerika das Elend überstanden und das wahre Glück gefunden. Diese bittere Erfahrung mussten vor allem die Pfälzer machen.

Die Pfälzer stellten die erste große Welle deutscher Flüchtlinge in die Neue Welt. Das Elend, das sie hinter sich ließen, ist kaum zu beschreiben. Ihre Gebiete wurden alle paar Jahre durch die Franzosen geplündert und gebrandschatzt, die, nachdem der Dreißigjährige Krieg vorüber war, auf Geheiß des »Sonnenkönigs« ins Deutsche Reich einfielen, um den imperialistischen Zielen dieses Herrschers zu dienen, der ein ganzes Zeitalter bestimmte, ohne aber seiner Zeit im geringsten voraus zu sein. Hungersnöte, bittere Armut waren die Folge für die Bevölkerung. Die Intoleranz der Regenten, der Religionszwang, das Entstehen von Sekten kamen hinzu. Agenten von Land- und Schifffahrtsgesellschaften wanderten, gut gekleidet, bei den Pfälzern von Dorf zu Dorf und redeten ihnen ein, sie hätten ihr Glück in Amerika gemacht. Sie – die sogenannten »Neuländer« – und die »Briefe aus Amerika« machten den armen Einwohnern Amerika als Zuflucht schmackhaft.

Der evangelische Geistliche Joshua Kocherthal (1669–1719) führte 1708 die ersten dieser unglücklichen Scharen den Rhein abwärts nach Holland und weiter nach England und schließlich nach New York. Der strenge Winter 1708/09, der so kalt war, dass der Wein in den Fässern gefror und Vögel tot vom Himmel fielen, veranlasste tausende von Pfälzern zur Auswanderung. Als Kocherthal im Herbst 1709 in London anlangte, traf er zahllose deutsche Flüchtlinge, insgesamt 13.500, an. Ihr Führer war Johann Conrad Weiser Sr. (1662–1746), der in der Ortschaft Groß-Aspach ein Magistrat gewesen war. In England wusste man nicht so recht, was man mit den Flüchtlingen anfangen sollte, die kaum einen Pfennig Geld mehr hatten und eine Zeitlang – England gereicht es zur Ehre – so gut behandelt wurden, dass sich die Londoner Bettler benachteiligt fühlten. Schließlich behielt man die besten Handwerker in England und siedelte fast 4000 Pfälzer in Irland an. Für den Rest schlug der Offizier Robert Hunter (gest. 1734), ein späterer Gouverneur von New York, vor, sie nach New York zu schicken und dort als (leibeigene) Kronbauern (»servants of the crown«) Hanf und Teer für die englische Kriegsmarine gewinnen zu lassen, so dass sie auf diese Weise ihre Überfahrt abarbeiten konnten. Etwa 3000 Pfälzer, die Katholiken waren, wurden in ihr Elend nach Deutschland zurückgeschickt. Aber etwa 4000 Deutsche wurden dann von Hunter und Weiser in die Neue Welt geführt. Elf Schiffe, vollgepfercht mit Auswanderern, segelten 1710 nach Amerika. Die Überfahrt wurde zur Hölle. 470 Emigranten starben. Endlich erreichten die Überlebenden New York, aber hier wurden sie zuerst in Quarantänelagern gehalten, wo noch einmal 256 zu Grunde gingen. Die Überlebenden durften sich dann in sieben Dörfern am Hudson niederlassen. Doch auch hier wurden sie ihres Lebens nicht froh. Da sich die Rohstoffe dieser Gegend nicht für die Gewinnung von Teer und Hanf eigneten, wussten die New Yorker Behörden wieder nicht, was mit den Deutschen geschehen sollte.

Im Jahre 1711 brach zwischen England und Frankreich ein Krieg aus, der auch in Nordamerika seinen Widerhall fand. Die Pfälzer dienten als Soldaten, Weiser als Hauptmann. Aber als sie zu ihren Niederlassungen zurückkehrten, nahm man ihnen die Waffen weg, worüber sich die Deutschen empörten. Das gab den Ausschlag, weiter ins Landesinnere zu ziehen. Da 1712 der Plan, die Deutschen für die Kriegsmarine arbeiten zu lassen, endgültig fallen gelassen wurde, gab es für die ausgebeuteten Pfälzer kein Halten mehr. Waren nicht gleichzeitig mit ihnen verschiedene Irokesenhäuptlinge wie der junge Tiyanoga alias Hendrick (ca. 1680–1755) in London gewesen? Diese waren über das unbeschreibliche Elend der Auswanderer so bestürzt gewesen, dass sie den Pfälzern kurzerhand Land an den Flüssen Schoharie und Mohawk geschenkt hatten. Daran erinnerten sich die Deutschen nun. Sie zogen zunächst nach Albany, wo sie überwinterten, und im Frühjahr 1713 mit Schlitten zum Schoharie, wo sie in der Gegend des heutigen Middletown neue Siedlungen anlegten.

Die Armut, mit der die Pfälzer fertig werden mussten, spottet jeder Beschreibung. Sie borgten sich eine Kuh und ein Pferd für ein Gespann, stellten sich Pflüge und Handwerkszeug aus Holz und Stein her und begannen, den Boden zu bearbeiten. Bis zur Ernte überlebten sie mit Wurzeln und Beeren und mit Hilfe der mitleidigen Irokesen. Erst nach 1714 besserte sich ihre Lage ein wenig. Auf dem Rücken trugen sie die Feldfrüchte zu den Mühlen von Albany, die fünfzig Meilen entfernt waren. Bis zum Unabhängigkeitskrieg hielt die auf die irokesische Unterstützung gegründete Freundschaft der Deutschen mit den Irokesen, ein einzigartiges Verhältnis. Hendrick soll das deutsche Mädchen Anna Margareta Schutz geheiratet und mit ihr eine Tochter gehabt haben, die wiederum einen Deutschen heiratete.

Aber kaum waren die ersten Schwierigkeiten überwunden, drohten schon wieder neue. Holländische Grundherren machten Rechte auf die von den Pfälzern besiedelten Gebiete geltend. Diese mussten um ihre Ausweisung bangen. Sieben Jahre dauerte der Streit mit den Spekulanten und Patronen in Albany. Erst 1721 kam es zu einem Übereinkommen, aber die Mehrzahl der Pfälzer wanderte erneut aus. Auf freiem Land am Mohawk gründeten sie neue Ortschaften. Kundschafter wurden 1722 auf Landsuche geschickt, sie entdeckten die fruchtbaren Gebiete zwischen den Flüssen Susquehanna und Schuylkill. Mit Hilfe von Indianerpfadfindern führte der alte Weiser dreiunddreißig Familien zum Susquehanna, auf dem sie in Richtung der Kolonie Pennsylvanien fuhren. Zwischen Swatara und Tulpehocken legte Weiser Grenzsiedlungen an. Endlich hatten die Pfälzer ihr Glück gefunden.

Ein noch schlimmeres Los als die New Yorker Pfälzer traf die Pfälzer, die in die Karolina-Kolonien auswanderten. Hier gerieten die Unglücklichen vom Regen in die Traufe. Das Elend in Deutschland vertauschten sie mit dem Elend in Amerika, die Angriffe der Franzosen mit den Überfällen der Tuskarora, die Unterdrückung durch die Fürsten mit der Ausbeutung durch unehrliche Führer.

Initiatoren der Auswandererkolonie in Nord Karolina waren Franz Ludwig Michel und Georg Ritter. In dem weitgereisten, aber verarmten Schweizer Baron Christopher von Graffenried fanden sie den richtigen Mann für die Durchführung des Vorhabens. In Karolina erhielt Graffenried 1709 ein Gebiet von 5000 acre zugesprochen. Da er die Ansiedlung von Deutschen zusicherte, gewährten die Behörden das Vorkaufsrecht auf 100.000 acre. So konnten Ritter und Michel 1710 92 Pfälzer Familien nach Nord Karolina senden, deren Führer der Generalfeldmesser in Karolina John Lawson war. Später im Jahr brachte Graffenried noch 156 Schweizer Auswanderer herüber. 650 Emigranten gründeten dann Neu Bern.

Das Unglück begleitete die Auswanderer von Anfang an. Etwa die Hälfte der Pfälzer war schon auf See gestorben. Die andere Hälfte wurde von Lawson übervorteilt. Nach Angaben Graffenrieds siedelte Lawson die Pfälzer und Schweizer am Ufer des Trent in einem schlechten, ungesunden Gebiet an. Der Baron beklagte sich später bitter über Lawsons Unehrlichkeit. Dieser forderte einen hohen Preis für ein Land, für das er selbst keinen Rechtstitel hatte und das entgegen seinen Angaben den Indianern gehörte. Alles ging schief, die Vorräte ließen zu wünschen übrig, die Siedler erhielten nicht ihre versprochenen kleinen Anteile, und Graffenried sah sich gezwungen, sein Land zu verpfänden. Er verlor es schließlich ganz. Zu allem Überdruss brach nun auch noch ein Indianerkrieg aus, der allerdings nicht zu den »klassischen Aufständen« zählt und daher wenig bekannt geworden ist. Die Ursache für den Aufstand lag in der schlechten Behandlung der Indianer durch die Weißen, die nach Graffenrieds Worten »barbarischer und unmenschlicher als die Barbaren selber waren.« Graffenried berichtet, dass die Weißen in Karolina die Eingeborenen betrogen, ihnen nicht erlaubten, in der Nähe ihrer Plantagen zu jagen, und ihnen ihr Wild, ihre Waffen und Munition wegnahmen, wenn sie sie in der Nähe ihrer Anwesen erwischten. Viel schlimmer wog allerdings, dass den Indianern ihr Land geraubt und Indianerkinder entführt und in die Sklaverei verkauft wurden. Den letzten Anstoß gab Neu Bern, das auf verbotenem Grund gebaut war. Der Häuptling der mächtigen Tuskarora, Henguig, schloß 1711 mit anderen Stämmen ein Bündnis mit dem Ziel, alle Weißen zu vertreiben. Gleich der erste Schlag galt Neu Bern. Graffenried und Lawson wurden im September 1711 in der Nähe der Ortschaft überrumpelt und im Triumph in die Dörfer der Indianer geschleppt. Bald danach griffen die Indianer Neu Bern an, töteten siebzig Bewohner und ließen Neu Bern zerstört zurück. Wohl wurde die Ansiedlung wieder aufgebaut, aber bei den ständigen Angriffen kamen die meisten der ursprünglichen Siedler ums Leben.

Lawson fand ein schreckliches Ende am Marterpfahl. Graffenried durfte sich auf Empfehlung des Tuskarora-Häuptlings Tom Blunt freikaufen. Die indianischen Anführer wussten zwischen den Machenschaften Lawsons und dem Unglück eines deutschen Siedlungsagenten zu unterscheiden, der auch ganz bewusst mit seiner nichtenglischen Staatszugehörigkeit argumentierte und sich recht kühn als »König der Pfälzer« bezeichnete. Er musste versprechen, im Krieg neutral zu bleiben und kein indianisches Land mehr zu besiedeln. Wieder frei, eilte er nach Virginia, um Miliz zur Rettung der wenigen überlebenden Deutschen zu holen und Land für sie zu beschaffen. Er erhielt den Grund, auf dem heute Washington steht. Aber Michel unterstützte ihn nicht mehr, so dass er 1713 nach Europa zurückkehrte, wo er 1743, 82jährig, starb. Die unglücklichen Deutschen blieben ihrem Schicksal überlassen. Graffenried hinterließ eine Beschreibung des Tuskarora-Krieges. Nach blutigen Schlachten wurden die verbündeten Stämme von »Tuskarora-John« Barnwell (ca. 1671–1724) und James Moore geschlagen. Die meisten Gefangenen wurden in die Sklaverei geschickt. Die Tuskarora zogen daraufhin nach Norden und verbanden sich als Sechste Nation mit der »Großen Liga« der Irokesen.

Im Gegensatz zu Nord Karolina gab es in den Anfängen der Kolonie Pennsylvanien keine Stockungen, kein Blut und keine Tränen. Hier war alles bis ins Kleinste organisiert. Pennsylvanien scheint das großartigste Kolonisationsunternehmen der Geschichte gewesen zu sein. Zu den Einwanderern gehörte der feste deutsche Kern, der Pennsylvanien mit seinen Wesenszügen stempelte.

Der Gründer, William Penn (1644–1718), war der Besitzer eines Gebietes zwischen neun Längen- und drei Breitengraden aufgrund einer Charta König Karls II. (geb. 1630; reg. 1660–1685) von England. Penn war Quäker, Mitglied einer verachteten und verfolgten Sekte, die Eid, Kriegsdienst und weltliche Vergnügungen ablehnte. Dennoch besaß er die höchste Gunst zweier Monarchen, nämlich Karls II. und Jakobs II. (geb. 1633, reg. 1685–1688, gest.1701). Allerdings war er auch kein Märtyrer wie die Quäker des alten Schlages, sondern Realist, Kolonisator und Gesetzgeber.

Penns Mutter war eine Niederdeutsche. Er selbst hatte eine hohe Meinung von den rheinischen Bauern, die – zumeist Mennoniten – in mancher Hinsicht den Quäkern ähnelten. Da er außerdem unter den Engländern zu wenig Boden gewann, versuchte er, deutsche Bauern zur Auswanderung in seine Kolonie zu bewegen. Seine Freundschaft mit dem deutschen Gelehrten Franz Daniel Pastorius ließ den Plan zur Wirklichkeit werden. Pastorius (1651–1719/20), zu seiner Zeit neben dem Puritaner Cotton Mather (1663–1728) als der gebildetste Mann Amerikas bezeichnet, wurde vor allem dadurch bekannt, dass er die erste amerikanische Antisklaverei-Erklärung veröffentlichte, die damals allerdings nicht sehr verbreitet war. Die von ihm angelegte Ortschaft Deutschen-Stadt oder Germantown unfern von Philadelphia war eine der bedeutendsten deutschen Gründungen in Amerika überhaupt. Sie entstand 1683 und war viele Jahrzehnte lang der Mittelpunkt des deutschamerikanischen Lebens in Pennsylvanien. Hier wirkte Pastorius als Lehrer, Richter und Bürgermeister. Seine Schrift über die amerikanischen Verhältnisse, »Bienenstock«, wurde weit bekannt.

Penn, obgleich Aristokrat und Royalist und nicht zuletzt auf Gewinn bedacht, unterschied sich von seinen Zeitgenossen vor allem durch sein Eintreten für religiöse Toleranz. In der Verfassung von Pennsylvanien wurde der Grundsatz der Gewissensfreiheit verankert. Den verfolgten Mennoniten, Quäkern und sonstigen Sekten wollte er eine Heimstatt geben. Auch die Indianer, mit denen er einen Vertrag schloss, wurden von ihm so gerecht behandelt, dass in den wildesten Indianerkriegen jeder Quäker seines Lebens sicher war.
 

Vertragsverhandlung zwischen Penn und Indianern

Vertragsverhandlung zwischen Penn und Indianern. – Gemälde von Benjamin West (1738–1820).

  
In den folgenden Jahrzehnten ergossen sich die deutschen Einwandererströme nach Pennsylvanien. Von Germantown zogen die Deutschen weiter nach Westen und später nach Kanada, Maryland, Virginia, Tennessee und Kentucky. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts kamen Pfälzer nach Maryland, eine Generation später Bremer. Baltimore gründeten um 1730 schon Deutsche mit. Hagerstown in Maryland wurde 1762 an der Stelle gegründet, an der zuerst der Westfale Jonathan Hager (1714–1775) 200 Morgen Land gerodet hatte. Hagerstown, erst nach Hagers Frau Elisabethtown benannt, wurde aber nach 1791, als es Stadtrechte erhielt, in Hagerstown umbenannt – die Stadt ist heute eine Partnerstadt von Wesel am Niederrhein; dort gibt es natürlich auch ein Denkmal für den hier gebürtigen Gründer von New York Peter Minuit. Andere Pfälzer zogen ins German Valley in New Jersey oder ins Tal des Susquehanna. Allmählich drangen sie bis zum Juniata vor. Von hier wandten sie sich nach Süden. 1726 überschritten sie die South Mountains und zogen am Monocacy Creek entlang ins Potomac-Tal, wo sie Monocacy und Frederick erbauten. Andere kreuzten den Potomac und gründeten New Mecklenburg. Die ersten Pfälzer, die ins Great Valley von Virginia eindrangen, führte Adam Müller, der am Nordende des Shenandoah-Tals 1726 oder 1727 siedelte. Der Zugang zum Shenandoah-Tal, den einst Lederer entdeckt hatte, wurde nach einem deutschen Siedler Harper's Ferry genannt. 1732 kam Justus Hite (1685–1760) mit sechzehn Familien ins Great Valley und gründete Winchester. 1740 standen schon Siedlungen bis zum Patterson's Creek und James River und weitere im Piedmont Gebiet. So wurde durch die Deutschen die Grenze der Zivilisation allmählich weitergeschoben, und bald waren die Blauen Berge erreicht.

In Süd Karolina war die wandernde Grenze durch Indianer und Spanier gefährdet. Außerdem lebten in dieser Kolonie doppelt so viele Afrikaner wie Weiße. Von ersteren fühlten sich die Weißen bedroht, und die Gouverneure sahen die Notwendigkeit, die Zahl der Weißen zu vergrößern. Einwanderer erhielten viele Vergünstigungen. Jeder, der sich im Westen Süd Karolinas niederließ, erhielt pro Mitglied seines Haushaltes fünfzig acre Land, Ackerbaugeräte, eine Kuh und ein Kalb für je fünf Mitglieder der Familie sowie Proviant für ein Jahr und zehnjährige Stundung der Überfahrtsbezahlung. Viele Deutsche und Schweizer wanderten daraufhin nach Süd Karolina aus. Auch Virginia nahm über weite Strecken als erste Siedler Deutsche auf. Im Hinterland des Rapidan sollten Westfalen die Eisenerzvorkommen erschließen. Wiederholte Versuche, Schweizer und Deutsche, die er den unsteten Schott-Iren vorzog, auf seinen Ländereien im westlichen Virginia anzusiedeln, unternahm Oberst William Byrd (1652–1704) zu Anfang des 18. Jahrhunderts. Zweihundert Deutsche ließen sich 1721 auch oberhalb von New Orleans an der »deutschen Küste« am Mississippi nieder – arme, unglückliche Teufel. Ein Jahr später landeten 250 in Mobile, denen es nicht besser ging. Auch nach Georgia wanderten Deutsche aus. Die bemerkenswerteste Gruppe waren die berühmten Salzburger, protestantische Flüchtlinge, die 1734 nach Georgia kamen und vor allem dadurch bekannt wurden, dass sie das erste Waisenhaus auf amerikanischem Boden erbauten. Seit 1752 wanderten Württemberger nach Georgia aus.

Der Zustrom nach Pennsylvanien hielt indessen unvermindert an. Zahlreiche deutsche Ortschaften entstanden. Die erste weiße Siedlung westlich des Susquehanna war das deutsche York, das 1741 gegründet wurde. In erster Linie handelte es sich bei den Ankömmlingen um Bauern und Handwerker, die in Pennsylvanien hoch willkommen waren und hier ihr Glück machen konnten. Später befanden sich unter den Einwanderern allerdings viele arme Teufel und Taugenichtse, die – wie die armseligen Pfälzer – dazu beitrugen, dass die Deutschen in Amerika in geringem Ansehen standen. Viele waren auch »Redemptionisten«, d. h. Auswanderer, die ihre Überfahrt bei einzelnen Farmern abarbeiten mussten und schamlos ausgebeutet wurden. Erst heute wird allmählich die Bedeutung der vielfach verachteten Pennsylvanien-Deutschen für die amerikanische Grenzgeschichte erkannt.

Die Pennsylvanien-Deutschen waren als Bauern Pioniere. Sie verstanden es meisterhaft, gutes Land zu finden und auszunutzen. Von der Ferne schon war die deutsche Farm von denen anderer Nationen zu unterscheiden. Die einfache, aber kompakte Form der Häuser, die bald aus Stein anstatt aus Holz gebaut waren, die Höhe der Einzäunung, die Ausdehnung der Obstgärten, die Schönheit der Wiesen, die Fruchtbarkeit der Felder, das wohlgenährte Vieh, die ins Auge fallende Sauberkeit – all das kündigte die Pennsylvanien-deutsche Farmgemeinschaft an. Vor allem aber war sie an den großen roten oder gelben Ställen aus Stein und Gebälk zu erkennen, die  die deutsche Farm in Pennsylvanien charakterisierten.

Neuerungen haben die Deutschen viele nach Pennsylvanien gebracht. Sie ließen z. B. gefällte Bäume nicht verrotten, sondern verbrannten sie, zerstörten Stümpfe und Büsche und hatten so bald nutzbare Felder geschaffen. Sie spezialisierten sich nicht auf ein Erzeugnis, sondern bauten verschiedene Sorten an, um möglichst autark zu sein. Sie führten den Dünger ein, Gras- und Heuverwertung, den Fruchtwechsel u. a. und verstanden es so gut, den Boden zu bestellen, dass sie ihn vierzehnmal bestellen konnten, bevor sie ihn einmal brachliegen ließen. Dies und anderes hatten sie ihren angloamerikanischen Nachbarn voraus. Vor dem Unabhängigkeitskrieg war Pennsylvanien aufgrund der deutschen Besiedlung die reichste Kolonie Amerikas. Da die Deutschen teilweise von Wasserwegen entfernt farmten, entwickelten sie die riesigen Conestoga- oder Castanoga-Wagen, die fünf Meter lang, einen Meter breit und hoch – mit Plane sogar dreieinhalb Meter hoch – waren und bepackt eineinhalb Tonnen wogen. Für ihre Wagen züchteten sie eigene starke, ausdauernde Pferde. Mit diesen Wagen brachten sie ihre Güter auf den Markt, mit ihnen schoben sie auch die Front ständig weiter nach Westen. Sie waren die Vorläufer der später in den westlichen Ebenen verwendeten leichteren Prärieschoner, und die Farben, mit denen sie bemalt waren – der Wagen blau, die Räder rot und die Plane weiß – sollen die Farbgebung der Flagge der Vereinigten Staaten beeinflusst haben.

Wie die Schotten irischen Geblüts waren die Pennsylvanien-Deutschen Pioniere des westwärts drängenden Amerika, aber sie arbeiteten meist härter und lebten sparsamer und mit weniger Alkohol als die Schotten. Diese verließen während der Westwanderung ihre Ländereien; die Pennsylvanien-Deutschen dagegen saßen fest, vererbten ihr Besitztum und sandten dennoch Söhne weiter nach Westen. Die Kinder siedelten teilweise nahe den Farmen der Eltern. Deshalb bildeten die Pennsylvanien-Deutschen soziale, religiöse und wirtschaftliche Gruppen von großer Stabilität. Besonders sorgsam behandelten sie auch ihre Schafe und ihr Vieh. Das Vieh der Angloamerikaner musste im Freien leben, deshalb gingen viele Tiere im Winter zugrunde oder wurden von Raubtieren angefallen. Aber die Pennsylvanien-Deutschen bauten große Ställe, in denen sich das Vieh nachts oder im Winter aufhielt. Auch der Schweinekofen, den die Deutschen nach Pennsylvanien brachten, war den Neu Engländern unbekannt gewesen. Eine weitere Errungenschaft war der Kachelofen, den sie anstatt der Feuerstelle einführten und der so etwas wie einen Mittelpunkt des Hauses bildete, an dem sich die ganze Familie versammelte.

Eines war allen Pennsylvanien-Deutschen gemeinsam: ein starker Glaube an Gott. Sie waren überzeugt, dass Gottes Segen vor allem auf dem Bauern ruhe, und zogen sich aus der Welt zurück, um nur der Scholle zu dienen. Ihre eigene Sprache, die sie nicht aufgaben, weil sie der Ansicht waren, dass ihr Glaube am besten in ihrer Sprache ausgedrückt werden könnte; ihr Aberglaube und ihre magische Verbundenheit mit der Scholle; ihr Erziehungswesen; ihre Gewohnheiten; ihre besonderen Trachten; ihr – nach ihrer Nachbarn Ansicht – seltsamer Geschmack, weil sie Sauermilch mochten und unter Federbetten schliefen; und nicht zuletzt ihr großer Wunsch nach Grundbesitz ließen die Pennsylvanien-Deutschen, speziell die Amish-People, bei den Angloamerikanern als ungebildet und wunderlich erscheinen. Ihre Absonderung erregte Unwillen und Misstrauen. Nichtsdestoweniger haben die Angloamerikaner den von ihnen gleichzeitig beneideten, verachteten und mit Erstaunen betrachteten Deutschen vieles nachgeahmt. Die frühe Expansion nach Westen ist ohne die Deutschen in Amerika nicht denkbar. In New York bildeten sie einen Puffer gegen die Franzosen und hielten durch ihre bemerkenswerte, ja beinahe einzigartige Freundschaft mit den Irokesen den Frieden an der Indianergrenze bis zum Unabhängigkeitskrieg aufrecht. Auch in Pennsylvanien und in anderen Kolonien verstanden sie sich im Großen und Ganzen mit den Ureinwohnern Jahrzehnte lang besser als die Angloamerikaner. Lag es an der Verehrung von Natur und Erde, die Indianern und Deutschen gemeinsam war, an dem etwas gefühlvollen, vom deutschen Pietismus und deutscher Mystik angerührten »Seelenzipfel« der deutschen Immigranten, der sie den Ureinwohnern näher brachte? Es war sicher einer der Gründe, gewissermaßen bestätigt durch einen Indigenen:  Vine Deloria Jr. (1933–2005), ein moderner indianischer Schriftsteller schreibt bei seiner eingehenden Analyse der unterschiedlichen religiösen Einstellungen von Weißen und Indianern in seinem Buch ›Gott ist rot‹ (1984): »Daß die Amish ihre Religion in die Tat umsetzen, liegt nicht so sehr an der Religion selbst als vielmehr daran, daß Land, Menschen und Religion bei ihnen ein Ganzes sind.« Genauso war es bei den Indianern: Die Natur, die Erde war ihnen heilig, und ihr Ziel war es, im Einklang mit der Natur zu leben. Bethabara in Nord Karolina, eine Gründung deutscher Herrnhuter, galt den Indianern 1758 als das »deutsche Fort, in dem es gute Menschen und viel Brot gibt«. Dies sind Bilder, die uns keines der üblichen Geschichtsbücher vermittelt und die auch gar nicht so recht in unser Vorstellungsbild passen, weil in den gängigen Büchern nur von den blutigen Spuren die Rede ist, die die Kriege zwischen Weiß und Rot hinterlassen haben.

  


  

Zwischen den Fronten

Karl Mays Väter – Die Geschichte der Deutschen im Wilden Westen