In unberührtes Land

 

Im Jahre 1900 waren drei Fünftel von Milwaukee und 34 Prozent der Bevölkerung des Staates Wisconsin deutsch. Cincinnati war 1830 zu 41 Prozent deutsch, 1900 zu zwei Drittel, und St. Louis im Jahre 1900 etwa zur Hälfte. In Pennsylvanien, Ohio und Missouri waren bis 1837 die englischen und deutschen Schulen gleichberechtigt.
     Wo sich die Deutschen in größerer Zahl niederließen, führten sie die Gesellschaftsstruktur ihrer Heimat ein. Anfänglich isolierten sie sich auch kulturell von ihren Nachbarn. Ihre Organisationen waren in der Mehrzahl den Alteingesessenen unbekannt. Es entstanden Gesangvereine, Wohltätigkeitsgesellschaften, Kegel- und Kartenclubs, Biergärten, Scharfschützen und Lesevereine, Arbeiterorganisationen, Militär- und Feuerwehrkompanien, politische Clubs und Freidenkergemeinschaften und vor allem Turnvereine, die einen gesellschaftlichen Mittelpunkt darstellten und beachtliches Niveau hatten. In den zwanziger Jahren richtete Carl Beck (1798–1866) die erste Gymnastikschule, Franz Lieber (1798–1872) die erste Schwimmschule in den Vereinigten Staaten ein.
     So nahmen die Deutschen ihr Kulturgut mit in die Neue Welt, sie behielten ihre Gewohnheiten bei, ihre Art, den Sonntag zu begehen, ihre Tischsitten. Im Frühling und Sommer veranstalteten sie Picknicks und Vergnügungstouren, im Winter trafen sie sich auf Maskenbällen, im Theater oder beim Turnen. Sie verbanden anfangs Laien-Theater und Biergarten mit Tanzkapelle und brachten ins puritanische Amerika Lebensfreude. Das Deutsche Theater in New York, 1840 gegründet, wurde weithin berühmt.
     Das wichtigste Instrument bei der Eingewöhnung der Auswanderer in die neuen Verhältnisse war das Zeitungswesen, das unter keinen Emigrantengruppen so einflussreich, so gut und so groß war wie unter den Deutschen. Die Presse bewahrte einerseits kulturelle Eigenheiten und die Sprache der Einwanderer, sie war ihre Stimme, sie stellte eine Verbindung zur Heimat her und half anfänglich, die Trennung zu überwinden. Auf der anderen Seite machte sie den Einwanderer mit den Verhältnissen der neuen Heimat vertraut und trug damit zur Amerikanisierung bei. Schon 1848 gab es 70 deutschamerikanische Zeitungen. In Philadelphia erschien seit 1834 die »Alte und Neue Welt«, die einen Meilenstein in der Geschichte deutschamerikanischer Zeitungen bildete. Im selben Jahr kam in New York die »New Yorker Staatszeitung« heraus, die wohl die bedeutendste deutschamerikanische Zeitung war. Sie erreichte schon 1854 eine Auflage von 14.000. Der »Anzeiger des Westens« in St. Louis wurde weit bekannt, ebenso die in Milwaukee erscheinende Zeitung »Wiskonsin Banner«.
     Trotz ihrer vielfältigen Errungenschaften standen die Deutschen in Amerika in keinem sehr hohen Ruf. Ihre Bereitschaft, sich so schnell wie möglich zu assimilieren, machte sie in den Augen der Nachbarn verachtenswert. Zwar kämpften die Politiker um die deutschen Stimmen, aber die Masse wurde als »Hansworst« verlacht oder als »damned Dutch« beschimpft. Während ein Teil der Pennsylvanien-Deutschen, speziell die Amish, bis in unseren Zeit hinein an ihrem Dialekt festhielten, im 19. Jahrhundert lange gegen das öffentliche Schulsystem ankämpften und sogar hervorragende Dialekt-Dichter hervorbrachten – wie den »Pennsylvanien-deutschen Hebel« Henry Harbaugh (1817–1867), dessen Urgroßvater 1736 aus der Schweiz nach Pennsylvanien gekommen war –, vergaßen die Deutschen, die seit 1820 nach Amerika kamen, rasch ihre Muttersprache oder verständigten sich in einem kuriosen Kauderwelsch. Als Zeichen der Deutschen galt bei ihren Nachbarn Bierkrug mit Pfeife. Natürlich war hier auch manch einwanderfeindliches Vorurteil maßgeblich in der Beurteilung der Deutschen, aber so ganz falsch war sie doch nicht.
     Schwieriger als für das einfache Volk war es für die Intellektuellen, sich in einem Land zurecht zu finden, das damals in dem Ruf stand, ein »zivilisiertes Barbarentum« zu beherbergen. Wie heute war auch damals viel von der »geistigen Leere« in den Staaten die Rede. Manche Schriftsteller setzten mit scharfer Kritik an den Vereinigten Staaten ein. Der Dichter Nikolaus Lenau (1802–1850), der 1832 europamüde nach Amerika ging, kehrte enttäuscht nach Hause. Otto Ruppius (1819–1864), der in den fünfziger Jahren in Amerika lebte, stellte in seinen Romanen deutsche Ehrlichkeit gegen Egoismus, Gemüt gegen Kälte, Bildung gegen Kulturlosigkeit und sah in der »Verlassenheit der deutschen Seele« das eigentliche Auswandererproblem. Doch ließ die Vereinsamung der Intellektuellen mit der Zeit wegen des zunehmenden Vereinswesens nach. Viele wandten sich dem Journalismus zu. Eine Reihe hat Hervorragendes für die neue Heimat als Ärzte, Lehrer, Hochschulprofessoren, Wissenschaftler, Politiker, Richter und Industrielle, im Kirchen- und Bibliothekswesen geleistet. Einige gingen in die Politik.
     Friedrich List (1789–1846, Selbsttötung), der bedeutende Nationalökonom, der in Deutschland eine Zollunion und ein weitgespanntes Eisenbahnnetz forderte, lange, bevor sie verwirklicht wurden, lebte von 1826 bis 1831 als Hochschullehrer, Journalist und Politiker in Amerika. Gustav Philipp Körner (1809-1896) aus Frankfurt am Main kam 1833 in die USA, machte als Historiker, Jurist und Staatsmann in Illinois Karriere und ging als Nachfolger des berühmten Carl Schurz (1829–1906), der als General im Bürgerkrieg, Senator und Innenminister der USA Karriere machte, als Gesandter nach Spanien.
     Georg Engelmann (1809–1884) war gleichbedeutend als Arzt, Botaniker und Meteorologe. Er gehörte zu den ersten, die Chinin gegen Malaria verwandten. Die von ihm 1856 organisierte St. Louis Academy of Science war die erste Einrichtung dieser Art westlich der Alleghanies. Der Geistliche Karl Walther (1811–1887), der 1839 auswanderte, wurde in St. Louis so einflussreich, dass er den Beinamen »Papst der Protestanten« erhielt. Einer der bedeutendsten Deutschen in Amerika vor der großen Einwanderungswelle von 1848 war der Mühlhausener Johann A. Roebling (1806–1869), der es zu einem der berühmtesten Brückenkonstrukteure der USA brachte.
     Auf Anhieb konnte der Schmelztiegel den Zustrom der Neuankömmlinge nicht verkraften. Viele Einwanderer mussten sich bescheiden und mit geringem Fortkommen zufrieden sein. Andere allerdings drängten weiter nach Westen, wo es Land in Überfülle gab. In Texas suchten sie ihr Glück.

  
Zur spanischen Kolonie Mexiko gehörten einst weite Gebiete der USA: Arizona, Neu Mexiko, Kalifornien und Texas. Freiheitliche Strömungen, die in Mexiko wie anderswo in Lateinamerika zu Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden, gewannen schließlich die Oberhand, und 1821 errang Mexiko die Unabhängigkeit. Die Abgrenzung gegenüber den Vereinigten Staaten, wie sie vordem bestanden hatte, wurde dadurch beträchtlich gemildert, und bald ließen sich in Texas die ersten dreihundert Familien aus den Staaten nieder. Doch Scherereien zwischen den mexikanischen Behörden und den amerikanischen Siedlern ließen nicht lange auf sich warten; jene betrachteten die Neuankömmlinge mit Misstrauen, und diese fassten schon früh die Unabhängigkeit von Texas ins Auge.

Im Jahre 1824 stellten die mexikanischen Behörden einen Besiedlungsplan auf, mit dem sie ein Gegengewicht gegen die angloamerikanischen Siedler schaffen wollten, indem sie auch Europäern die Niederlassung in Texas ermöglichten. Sie boten »Impressarios« ein großes Stück Land als Besitztum, wenn es diesen gelang, innerhalb von sechs Jahren 100 Familien darauf anzusiedeln. Zu den Impressarios gehörte der Deutsche Joseph Vehlein, der in Mexico-City lebte und dem ein beträchtliches Gebiet im Hinterland von Galveston zugewiesen wurde. Hier sollte er deutsche Einwanderer ansiedeln, die Texas als Ziel ansahen, seitdem deutsche Bergleute mehrfach in Texas tätig gewesen waren und begeistert über das Land berichtet hatten.

1825 erhielt der Amerikaner Hayden Edwards von den mexikanischen Behörden einen wertvollen Landstrich bei der Stadt Nacogdoches. Es kam zum Streit, weil Hayden und sein Bruder Benjamin die ansehnliche Summe Geldes, die die Mexikaner dafür forderten, nicht bezahlen konnten – von den Siedlern hatten sie noch kein Geld erhalten. Daraufhin zogen die Mexikaner die Landzuweisung – den »Grant« – zurück, und die Brüder, die den Streit unnötig provoziert hatten, ritten wutentbrannt nach Nacogdoches, wo sie am 15. Dezember 1826 mit fünf Siedlern einen unabhängigen Staat proklamierten, dem sie den Namen »Fredonia« gaben. Eine der farbenprächtigsten und abenteuerlichsten Gestalten während der »Fredonia-Revolte« war der Kölner Adolphus Sterne, der 1817 mit 16 Jahren von zu Hause weggelaufen war, um dem Militärdienst zu entgehen, und 1824 über New Orleans nach Texas gekommen war.

Natürlich verlief die Revolte ohne Erfolg, auch wenn mehrere Indianerstämme überredet wurden, Hilfe zu leisten. Im kritischen Augenblick wartete man auf ihre Unterstützung vergeblich. Am 4. Januar 1827 stießen dann sechzig Mann, vornehmlich Mexikaner, die der Yankee Samuel Norris führte, in Nacogdoches mit den Verteidigern von Fredonia – elf Weißen und neun Indianern – zusammen und wurden in einer heißen Straßenschlacht besiegt. Ein Drittel von Norris' Leuten kam ums Leben, der Rest stürzte in wilder Flucht davon. Daraufhin rückten mexikanische Reguläre in Nacogdoches ein und beendeten die Revolte. Die Anstifter, unter ihnen Sterne, der eine wesentliche Rolle gespielt hatte, wurden zum Tode verurteilt. Durch eine Amnestie kam Sterne allerdings bald wieder frei. Er studierte nun Jura und ließ sich in Nacogdoches nieder. Als Gerichtsdolmetscher – seine Sprachbegabung war enorm - wurde er eine bekannte Persönlichkeit im östlichen Texas. Obwohl er einer der ersten Freimaurer in Texas war, unterstützte er die kleine jüdische Gemeinde in seiner neuen Heimatstadt.

Immer mehr Amerikaner strömten nach Texas. Sie brachten die Baumwolle und die Sklaverei mit, sie gelangten zu Wohlstand, und der Streit mit den Mexikanern nahm immer heftigere Formen an. Schließlich griff Mexiko auf die alte Abgrenzungspolitik zurück, doch es war zu spät. Die Texaner, die eine Einheit mit den Vereinigten Staaten anstrebten, erfochten sich 1836 unter der Führung von Samuel Houston (1793–1863) die Unabhängigkeit. Von Alamo, der »Wiege der texanischen Freiheit«, wo etwa 200 Mann der Ehre halber ihr Leben verloren, führte die Texaner der Weg zur Schlacht am Jacinto, in der nach Angaben Sealsfields, der mit Teilnehmern an der Schlacht sprach, in zehn Minuten etwa 800 Mexikaner getötet wurden.

Unter den Helden des Krieges waren so berühmte Gestalten wie der Abenteurer Jim Bowie (1796–1836) oder der Westmann David Crockett (1786–1836) – beide fielen in Alamo. Unter den weniger berühmten Toten befand sich der Deutsche Georg Bunsen, der erst 1834 nach Amerika emigriert war. Auch sein Landsmann Albert Emmanuel, der 1828 nach New Orleans gekommen war und in Nacogdoches als Kaufmann und Rechtsanwalt lebte, nahm an dem Krieg teil.

Die Jahre der Unabhängigkeit, die folgten, bis Texas nach dem Krieg von Mexiko 1848 endgültig an die USA fiel, waren für die Erschließung und Besiedlung des Landes von großer Bedeutung. Sterne wurde Mitglied des oberen und unteren Kongress-Hauses, Bürgermeister in Nacogdoches und ein Freund von Samuel Houston. Er starb 1852 in New Orleans. Der deutsche Jude David Kaufmann wurde »Speaker« des texanischen Abgeordnetenhauses.

Die erste Welle deutscher Emigranten nach Texas stellten deutsche Juden. Der weitgereiste Simon Weiss oder Wiess (1800–1868), in Polen von deutscher Herkunft geboren, suchte sich 1836 am Neches Fluss eine neue Heimstatt – »Weiss Bluff«, wie die Stelle später genannt wurde. Unter dem Dach von Isidore Dyer (1813–1888) aus Dessau, der sich 1840 in Galveston niederließ, fanden die ersten jüdischen Gottesdienste dieser Gegend statt. Zum Pionier der Gebiete, die sich westlich von San Antonio erstreckten, wurde der französische Jude Henry Castro (1786–1865)), der die große deutsch-jüdische Auswanderung nach Texas initiierte. Houston, der Präsident des unabhängigen Texas, ernannte ihn zum Generalkonsul in Frankreich, und von dort sandte er in den Jahren 1843 bis 1846 5000 Deutsche, fast ausschließlich solche jüdischer Abstammung, nach Texas, die sich in Castroville und in drei anderen Gemeinden niederließen. Castro war der Urheber des ersten Planes zur Besiedlung der Republik Texas.

Nach 1836 nahm die Bevölkerung von Texas stark zu. 1847 lebten dort schon rund 100.000 Weiße und 40.000 Schwarzafrikaner. 1860 war die Zahl der Siedler auf 602 432 angewachsen, davon 12.443 Mexikaner und 20.553 Deutsche. Die Feststellung früher Reisender, dass die Deutschen die wertvollsten der fremdgeborenen Siedler waren, ist immerhin bemerkenswert. Das Zentrum ihrer Niederlassungen bildete Neu Braunfels.

Die Geschichte der deutschen Einwanderung nach Texas ist vielen an der Geschichte der Vereinigten Staaten Interessierten bekannt. Auch der zwischen den deutschen Einwanderern und den Comanchen geschlossene Friedensvertrag wird heutzutage noch häufig als vorbildhaft gepriesen.

Es waren nicht nur humanitäre Gründe, die dazu führten, dass sich 1842 in Mainz Adlige trafen, um zu diskutieren, wie deutschen Auswanderungswilligen die Ansiedlung in Texas ermöglicht werden könnte. 1844 wurde dann der »Verein zum Schutze deutscher Einwanderer in Texas« (auch Texasverein, Mainzer Adelsverein, und andere Bezeichnungen) gegründet. Vordergründig ging es um den Ankauf von Gebieten in Texas und die Unterstützung und Leitung deutscher Emigranten, aber im Hintergrund stand der Gedanke, im Texas eine Kolonie, einen rein deutschen Musterstaat, verwirklichen, d. h. sich eine Scheibe vom großen Kuchen Nordamerika abschneiden zu können. um den deutschen Einfluss gehörig zur Geltung zu bringen. Ähnliche Vorhaben finden sich auch bei Gruppen anderer Nationen, mit dem gleichen Erfolg: die Führer betrieben bald amerikanische Politik, und der Plan scheiterte durch das Assimilationsbestreben der Auswanderer.

Der Generalkommissar des Mainzer Adelsvereins, Prinz Karl zu Solms-Braunfels (1812–1875), der 1844 in Galveston in Texas eintraf und ein Jahr später mit den ersten Siedlern am Guadalupe River Neu Braunfels gründete, zeigte sich mit Organisation, Verpflegung und Transport bzgl. der Besiedlung bald überfordert. Die Unzufriedenheit unter den Siedlern brachte ihn sogar in den Schuldturm in Galveston, aus dem ihn erst sein Nachfolger Baron Otfried Hans von Meusebach (1812–1897) auslösen konnte. Dieser, der aus Dillenburg stammte und sich in Amerika John O. Meusebach nannte, war ein hervorragender Organisator und Kolonialdirektor. Als er 1845 nach Texas kam, fand er nicht nur etwa 3–4.000 Deutsche vor, für die er nun verantwortlich war, sondern auch 50.000 Dollar Schulden. Bis zu seiner Ankunft fehlte eine fachmännische und landeskundige Leitung und Betreuung. Niemand sorgte für Unterkunft, Nahrung und Vorsichtsmaßnahmen bei dem plötzlichen Klimawechsel. Etwa tausend Auswanderer starben an Malaria, Dysenterie und anderen Krankheiten. Verzweifelt versuchten die Deutschen Fuß zu fassen. Aber mit der Zeit verbesserte sich ihre Lage. Der Adelsverein war zwischenzeitlich in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden, und diese ging 1847 in Ruin und wurde aufgelöst. Eine finanzielle Unterstützung der Emigranten, die nie groß gewesen war, unterblieb nun somit völlig. Dennoch gelang es Meusebach, die Not zu lindern; er brachte die Siedler zur Selbsthilfe und erwies sich als Retter in der Not.
 

John O. Meusebach

John O. Meusebach

 
Die Rolle, die ein Landsmann Meusebachs bei der Rettungsaktion angeblich spielte und die dieser Landsmann selbst weit übertrieb, ist bis heute teilweise umstritten: der späterhin bekannte und erfolgreiche Schriftsteller Friedrich Armand Strubberg, 1806 in Kassel geboren, war der Sohn einer Französin und eines führenden, aus Amsterdam stammenden Tabakhändlers in Deutschland, ein selbstbewusster, romantischer junger Mann, dem es vor allem wichtig war, reiten und schießen zu lernen. 1822 trat er in ein großes Bremer Handelshaus als Volontär ein, um Überseekaufmann zu werden. Er selbst behauptete später, wegen eines Duells um die Prinzipalstochter, in dem er seinen Konkurrenten niedergeschossen habe, habe er Deutschland verlassen müssen, und als Ziel hätte es nur eine Möglichkeit gegeben: Amerika. Hier hielt er sich von 1826 bis 1829 auf und unternahm weite Reisen im Auftrag deutscher Handelshäuser. Er trat dann in das Unternehmen seines Vaters ein, das aber zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet und am Ende verkauft werden musste, und war, wohl ab 1841, erneut in den USA tätig, wo er in New York, Baltimore und anderen Städten als Großhandelskaufmann und Kommissionär die Interessen von Handelshäusern der Alten Welt vertrat. 1843 gab es seinen Angaben zufolge wiederum ein Duell in Liebesangelegenheiten, und wiederum musste er, so behauptete er, fliehen – diesmal nach Westen. Seine Angaben zu den angeblichen Duellen ließen sich später, als ihnen – um 1980 - nachgegangen wurde, niemals belegen, aber fanden doch schon früh Eingang in die »Allgemeine Deutsche Biographie« (1875–1900) und somit auch in das »Dictionary of American Biography« (1928–1936) und damit auch in frühere historische Werke wie in die Erstausgabe der vorliegenden Studie, die in den 1970er Jahren erstellt wurde. Vermutlich waren aber geschäftliche Schwierigkeiten der Grund für die »Flucht« in den Westen. Als Mr. Schubbert begab sich Armand, wie sich Strubberg später nannte, in die Südstaaten, um als Zwischenhändler nach den Indianerterritorien neu zu beginnen. Der Dampfer, mit dem er unterwegs war, sank seinen Angaben zufolge vor Louisville, Kentucky, in Wirklichkeit vor St. Louis, Anfang Januar 1844. Es gelang ihm, sich und seine Habe zu retten. Gezwungen, einige Zeit in der Stadt zu bleiben, lernte er den deutschen Arzt und Forscher Friedrich Adolph Wislizenus kennen, der uns bereits begegnet ist, und der ihn bewog, einen medizinischen Schnellkurs zu absolvieren – von einem zweijährigen Medizinstudium, wie er später behauptete, konnte keine Rede sein. Danach begab er sich Ende 1844 als Dr. Frederick Shubbert ins unruhige Texas, wo er nördlich von Austin ein Stück Siedlungsland kaufte und mit drei Landsleuten ein Anwesen errichtete. Hier hielten es die vier ein Jahr lang aus, bis sie dem Druck der Indianer nachgeben mussten. Auch hier hat Armand später die angeblich erlebten Abenteuer in seinen Büchern erheblich ausgeschmückt.
 

Armand Strubberg

Armand Strubberg

 
Am 6. März 1846 trafen sich Strubberg alias Dr. Shubbert und Meusebach zum ersten Mal. Hierbei erfuhr Armand von dem Ausmaß der Leiden der deutschen Auswanderer in Texas; in seinem Roman »Alte und neue Heimat« von 1859 hat er sie und die damit verbundenen Ängste, Schrecknisse, Entbehrungen und Strapazen realistisch geschildert. Damals leitete Meusebach mit einem zusätzlichen Vereinskredit die Gründung einer zweiten, siebzig Meilen nordwestlich von Neu Braunfels gelegenen Siedlung ein. Für diese, Friedrichsburg (Fredericksburg), bot er Strubberg den Posten eines Kolonialdirektors an. Nach einigem Zögern willigte er unter gewissen Bedingungen ein. Sein Hauptverdienst war wohl, dass er zur Beseitigung der Krankheiten unter den Auswanderern erheblich beitrug. Insgesamt blieb er ein knappes Dreivierteljahr Kolonialdirektor, der sein Amt sehr autoritär führte; im Streit wurde er von Meusebach im Juli 1847 entlassen. Einer der Gründe dafür war, dass Strubberg ohne Meusebachs Wissen einen Trupp Leute nach Norden zum Llano River geführt hatte, um mit den Comanchen über die Ansiedlung der Deutschen einen Vertrag zu schließen, aber vor einem Lager der als eher feindselig angesehenen Kickapoo-Indianer am anderen Fluss-Ufer den Rückzug angetreten hatte. Dies hatte ihm den Spott vieler seiner Leute eingebracht. Keinesfalls hat Strubberg die bald aufblühenden Städte Neubraunfels und im Jahr darauf Friedrichsburg angelegt, wie er behauptet hat.

1848 verließ Strubberg Texas und nahm nun einen Beruf als Landarzt auf; er ließ sich in Camden in Arkansas nieder. Dabei stach ihn ein giftiges Insekt ins rechte Auge, und um das Auge zu retten, reiste Strubberg 1854 nach Europa. Erst nach langem Suchen fand er den richtigen Arzt, in Elberfeld, aber ganz erhielt er die frühere Sehkraft nicht zurück.

Strubberg lebte erst in Hannover, seit 1860 in Kassel, meist bei seiner Schwester. Sie und Freunde veranlassten ihn, seine Abenteuer aufzuschreiben. Mit seinen Büchern hatte er bald ungeahnten Erfolg. Bis Ende 1868 hatte er – unter dem Pseudonym »Armand« – etwa 40 Bände Romane und Jugendschriften verfasst, am bekanntesten wurden seine Romane »Karl Scharnhorst« und »Amerikanische Jagd- und Reiseabenteuer«.

Zu seiner Zeit war Strubberg so bekannt wie Friedrich Gerstäcker (1816–1872), der ebenfalls lange Zeit – von 1837 bis 1843 – in den Vereinigten Staaten gelebt hatte. Gerstäckers Abenteuer an der Grenze der Zivilisation von Ohio bis New Orleans – kein anderer Erzähler Europas hat so lange, ausgedehnte und aufreibende Wanderungen unternommen wie er – und seine späteren Reisen nach Südamerika, Afrika und Australien bildeten die Grundlage für seine Schilderungen glutvollen Lebens, farbenprächtiger Gestalten und exotischer Landschaften, die an Spannung kaum jemals überboten worden sind. Während seine »Regulatoren von Arkansas« oder »Flusspiraten des Mississippi« noch immer zur Lektüre der Jugend gehören, sind Strubbergs Werke allmählich in Vergessenheit geraten. Strubberg starb 1889 in Gelnhausen in Hessen.
 

Friedrich Gerstäcker

Friedrich Gerstäcker. Originalzeichnung aus der ›Gartenlaube‹ (1872) von Adolf Neumann.

 
Friedrichsburg lag im Gebiet der Indianer. Von den zahlreichen Stämmen, die in Texas lebten, waren die Kiowa und Comanchen am bedeutendsten. Beide waren gerissene und gefürchtete Pferdediebe und stellten wie die Dakota weiter im Norden eine bewegliche und gefährliche »Kavallerie«, die die weißen Offiziere in Erstaunen versetzte – sie gehörten zu den besten Reitern der Welt. Während die Comanchen ein verhältnismäßig derbes Volk waren, hatten die Kiowa ihre Kultur hoch entwickelt und blickten auf eine reiche Tradition zurück. Trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit wurden sie von den Comanchen beherrscht.

1837 schlossen Kiowa, Comanchen und andere Stämme mit den Weißen einen Vertrag ab. Oberst Henry Dodge (1782–1867), der die Stämme aufsuchte, hatte schon mehrere Expeditionen in das Gebiet dieser Indianer unternommen. 1835 hatte ihn neben dem Maler George Catlin auch der preußische Botaniker Beyrich begleitet, der in Fort Gibson wie viele andere am Fieber starb, dem auch Catlin beinahe erlegen wäre.

Das Land, das den deutschen Emigranten vom damals noch unabhängigen Staat Texas zwischen den Flüssen Llano und Colorado als »Grant« zugewiesen und verkauft worden war, befand sich im Landesinneren. Da Neu Braunfels bald zu eng geworden war, hatten Meusebach und Strubberg ja, wie erwähnt, auf dem halben Weg zum erworbenen Land, nämlich nördlich des Perdinales Rivers, den Ort Friedrichsburg, erbaut. Da das den Deutschen überlassene Gebiet nach wie vor den Comanchen, die von dem Verkauf nichts wussten oder ahnten, als Jagdgründe genutzt wurde, beschloss Meusebach, die Beziehungen zu den Indianern zu regeln. Er betrachtete es als letzte Amtshandlung, da sich der Zorn der Siedler nun auch gegen ihn richtete; amerikanische Siedler, die auch in den deutschen Niederlassungen lebten, mussten ihn sogar bei einer Gelegenheit schützen. Zwar wurde er dann auch zeitweise entlassen, aber am Ende wollten ihn die Siedler doch wieder haben. Der Gouverneur von Texas fürchtete, dass es aufgrund der deutschen Immigration zu einem Aufstand der Comanchen kommen würde. Aber nichts dergleichen geschah. Meusebach, geführt von Shawnee und mit Delawaren als Dolmetscher, speziell Jim Shaw, zog im März 1847 ins Land der Comanchen. Ein Trupp Kavallerie, viele Freiwillige und 41 amerikanische Feldmesser begleiteten ihn. Keiner glaubte, ihn und seine Leute noch jemals lebend wiederzusehen. Meusebach traf sich mit ranghohen Comanchen-Häuptlingen: Buffalo Hump, Mopechucope (Old Owl) und dem bedeutendsten: Santa Anna (Santana). Man muss hier dazu fügen, dass schon Solms-Braunfels nach der Gründung der Stadt, die seinen Namen trägt, einen Vertrag mit den Lipan-Apachen geschlossen hatte, der den Deutschen die Ansiedlung erlaubte. Als die Deutschen sich dann in Friedrichsburg niederließen, versorgten die Indianer sie mit Nahrung, und es begann ein erster lukrativer Handel. Die Indianer zogen die Deutschen den Amerikanern vor, da erstere in festen Ansiedlungen wohnten und sich nicht über das Land verstreuten wie die letzteren, die dabei auch landesweit das Wild abschossen.

Die texanische Regierung unterstützte die deutschen Siedler hinsichtlich ihrer Beziehung zu den Indianern in keiner Weise. Sie entsandte sogar noch ihren Indianeragenten Major John Neighbors (1815–1859), der Meusebach von seiner Mission abhalten sollte, aber Meusebach lehnte ab, erlaubte Neighbors jedoch, ihn zu den Häuptlingen zu begleiten. Am 1. März 1847 wurden die möglichen Inhalte eines Vertrages diskutiert. Demzufolge versprachen die Comanchen, dass die Deutschen in ihrem Land siedeln durften. Sie würden die Deutschen auch vor Pferdediebstählen schützen und gegenüber anderen Stämmen verteidigen. Umgekehrt sicherten die Deutschen den Comanchen Unterstützung und Beistand in den deutschen Ansiedlungen zu. Das Land durfte von den Siedlern vermessen werden, die Grenzen zwischen dem Land der Indianer und dem der Deutschen sollte jedoch erst später festgelegt werden. Geschenke im Wert von etwa tausend Dollar wurden den Comanchen überreicht. In seiner Ansprache an die Comanchen ging Meusebach, dessen feuerroter Bart wohl die Indianer sehr beeindruckte, sogar soweit, auszusprechen, dass sie und die Deutschen untereinander heiraten könnten: »Wenn mein Volk eine Zeitlang mit Euch gelebt hat und wenn wir uns gegenseitig besser kennen, dann mag es vorkommen, dass einige heiraten möchten. Bald werden unsere Krieger Eure Sprache lernen. Wenn sie dann wünschen, ein Mädchen aus Eurem Stamm zu heiraten, sehe ich darin überhaupt kein Hindernis, und unsere Völker werden so viel bessere Freunde.« In derselben Rede sagte Meusebach auch: »Mein Bruder spricht von einer Barriere zwischen den roten Männern und den Bleichgesichtern. Ich schätze meine roten Brüder nicht geringer, weil ihre Haut dunkler ist, und ich halte nicht mehr vom Volk der Weißen, nur weil ihre Hautfarbe heller ist.« Während Solms-Braunfels mehr auf Abschreckung gegenüber den Indianern gesetzt hatte – er gründete eine Schutztruppe und ließ jeden Tag eine Kanone abfeuern – war Meusebach offenbar von William Penns Indianerpolitik in Pennsylvanien inspiriert und trat den Comanchen offen, positiv und freundlich gegenüber.

Am 10. Mai 1847 kam es zu einer großen Ratsversammlung in Friedrichsburg. Hier wurde der Vertrag geschlossen und Anfang Juni ratifiziert. Die Deutschen erhielten das Recht, ihr von den Comanchen zugestandenes Land zu vermessen und beliebig Ansiedlungen zu gründen. Umgekehrt wurde den Comanchen zugestanden, im Land der Deutschen zu jagen. Geschenke im Wert von mehreren hundert Dollar wurden unter den Indianern verteilt, die Häuptlinge erhielten Geschenke im Wert von zweitausend Dollar. Von da ab begegneten die Comanchen den Deutschen sehr freundlich, wie es auch umgekehrt der Fall war. Etwa 10.000 Dollar steckten die Immigranten in diese Freundschaft. Der Vertrag öffnete rund 3,8 Millionen Acre Land der Comanchen für die deutsche Besiedlung. Ein Historiker äußerte dazu: »Die Erschließung dieses ausgedehnten Territoriums von 3 000 000 Acre [tatsächlich 3 878 000 Acre] für die Zivilisation und Kultivierung ist ohne Zweifel die bedeutendste Pioniertat der Deutschen in Texas und konnte nur vollbracht werden durch das absolute Vertrauen, das die Indianer in die Versprechungen und Zusagen der Deutschen setzten.«

Akribische Historiker haben Fälle aufgelistet, in denen der Vertrag gebrochen wurde, und die angebliche, so lang anhaltende friedliche Koexistenz zwischen Comanchen und Deutschen als Mythos bezeichnet. Auch nahm der deutsche Siedlungsdruck auf Indianerland naturgemäß mit der Zeit zu. Aber was ändern Einzelfälle am Grundprinzip? In den späten 1850er Jahren (nach anderer Darstellung schon in den frühen 1850ern und mehr noch in den 1860er und 70er Jahren) unternahmen Comanchen mehrere Einfälle in die Gegend um Friedrichsburg, überfielen verschiedene deutsche Siedlungen und töteten oder entführten Bewohner. Offenbar handelte es sich dabei aber um nördliche Comanche und nicht um den Stamm der Peneteka-Comanchen, der den Vertrag unterzeichnet hatte. Anlässlich des 25. Bestehens von Neu Braunfels wurde immerhin festgestellt, dass die Stadt seit 15 Jahren nicht mehr von Indianern belästigt oder bedroht worden war.

Santa Anna, der bereits Washington besucht hatte, und Old Owl setzten sich für den Frieden ein. Leider starben beide schon 1848 oder 1849 an einer Blattern- bzw. Cholera-Epidemie. Die Comanchen versorgten die deutschen Siedler jedoch weiterhin mit Fleisch von erlegtem Wild, weil die Deutschen kaum auf die Jagd gingen, oder Honig, und erhielten umgekehrt Farmprodukte der Deutschen. In Friedrichsburg, nun Fredericksburg, gingen die Comanchen friedlich ein und aus. Der 1847 geschlossene Vertrag ist, auch wenn er sicher nicht immer eingehalten wurde, im Grunde bis in unsere Zeit gültig und wird immer seinen besonderen Stellenwert in der amerikanischen Geschichte bewahren. Nach den Irokesen in New York und den Delawaren und anderen Stämmen in Pennsylvanien ist die Freundschaft zwischen Deutschen und Comanchen in Texas das dritte bedeutende Beispiel für eine deutsch-indianische Freundschaft. Noch heute wird des Friedenschlusses gedacht. Jedes Jahr wird am 9. Mai in Fredericksburg der Memorial Day begangen, eine Kombination aus deutschem Volksfest und indianischem Powwow, an dem sich viele Comanchen beteiligen.

Meusebach, dem der Vertrag von 1847 und die Freundschaft mit den Comanchen zu verdanken waren, wurde 1851 zum Senator ins Parlament von Texas gewählt. Er gründete die Ortschaften Meerholz, Leiningen, Castell und Schönberg. Andere deutsche Siedlungen in Texas waren Schulenburg, Kaufmann und Krebs. Einmütig gründeten Deutsche und Polen Halletsville, nach 1840 siedelten viele Deutsche bei Victoria, das 1824 entstanden war. 1838 oder noch früher baute Friedrich Ernst (1796–1848) aus Oldenburg aufgrund einer mexikanischen Landzuweisung von 1831 den Ort Industry im späteren Austin County, die erste deutsche Ansiedlung in Texas, und versuchte den Anbau von Indigo-Pflanzen; er war einer der ersten deutschen Siedler überhaupt in Texas und galt, da er den Einwanderern – gewissermaßen ihre graue Eminenz - mit Rat und Tat zur Seite stand, als »Vater der Einwanderer«.

Meusebach starb hochgeehrt 1897 in Fredericksburg. Was er als Option in Aussicht gestellt hatte, nämlich die Heirat zwischen Comanchen und Deutschen, hat sich in einigen Fällen tatsächlich ereignet. So war der Comanachen-Häuptling Sa-na-co mit einer deutschen Frau verheiratet, wenn auch nicht vor dem Hintergrund, den Meusebach bei seiner Rede im Sinn gehabt hatte. Als sie von einem amerikanischen Offizier gefragt wurde, ob sie nicht wieder zu den Weißen zurückkehren wollte, erwiderte sie, wie 1877 berichtet wurde: »Nein, mein Gatte, meine Kinder und meine Verwandten sind bei dem Überfall der Indianer auf Neu-Braunfels umgebracht worden. Ich habe keine Freunde mehr unter den Weißen, habe nur lange unter den Indianern gelebt und leide jetzt nicht mehr. Sa-na-co behandelt mich gut, und wenn mein Leben auch hart ist, so ist es doch nicht schlimmer, als wenn ich mir meinen Lebensunterhalt bei den Weißen durch Arbeit verdienen müsste. Ich werde den Rest meines Lebens unter den Indianern verbringen.«

Auch der Fall, dass Deutsche unter den Comanchen aufwuchsen, ist eingetreten. Am bekanntesten wurde Herman Lehmann (1859–1932), dessen Geschichte später erzählt und veröffentlicht wurde; sogar einen Dokumentarfilm gibt es darüber. Ihn und seinen Bruder Willie raubten 1870 Apachen in der Nähe von Fredericksburg. Herman schloss sich jedoch, nachdem er einen Medizinmann getötet hatte, den Comanchen an und wurde von dem berühmten Kriegshäuptling Quanah Parker (ca. 1845–1911), der später den Weg des Weißen Mannes einschlug und u. a. als Stammesrichter, Farmer und Geschäftsmann zu Ehren kam, adoptiert. An vielen Kämpfen gegen die Weißen in den 1870er Jahren nahm er teil, bis die Comanchen 1874/75 besiegt waren. Nur zögernd und gezwungen kehrte er dann zu seiner weißen Familie zurück. Sein Bruder Willie war, als er 1951 starb, der letzte überlebende weiße Gefangene von Indianern.
 

Quanah Parker

Quanah Parker als Geschäftsmann.

 
1857 fielen den Comanchen bei einem Überfall auf Fredericksburg auch der damals etwa zwölf Jahre alte Rudolf Fischer und sein Bruder in die Hände. Während die Kavallerie den jüngeren Bruder den Indianern wieder entreißen konnte, blieb Rudolf bei den Comanchen und entwickelte sich völlig zum Indianer. Als Kämpfer gegen die Weißen erfocht er sich den Namen Assuwana, »Großer Krieger«, und brachte es zur rechten Hand von Quanah Parker. Er, ein rothaariger Krieger, ritt im letzten Aufstand der Comanchen. Bei einigen Stämmen war er beliebt und geachtet. In den zahllosen Kämpfen erhielt er einen Schuss in die Brust und eine Musketenkugel in den linken Ellbogen, die den Arm beinahe steif machte. Sein Körper war ganz mit Narben bedeckt. Nach der Ergebung der Comanchen zwang man ihn dann auch zur Rückkehr zu seiner weißen Familie, aber schon nach einem Jahr zog es ihn zurück zu seinem Adoptiv-Volk, wo er eine Frau und ein Kind hatte (angeblich heiratete er ein Comanchen- und ein Kiowa-Mädchen) und auch seine Heimat empfand, und er ging mit ihnen nach Oklahoma ins Indianerterritorium, wo er 1943 gestorben sein soll. Der Kiowa-Häuptling Taft Hainta in den 1960er Jahren soll, wie der Amerika-Reisende Peter Groma herausgefunden haben will, ein Neffe von Assuwana gewesen sein; Vincent Myers, ein bekannter Comanche des 20. Jahrhunderts, war wohl Assuwanas Enkel. Myers betrieb in Oklahoma eine Art Musterfarm und erhielt viele Auszeichnungen; er ist sogar in der Encyclopedia Americana von 1968 erwähnt. Er nahm am Zweiten Weltkrieg teil und stieg bis zum Major auf. Er errang das »Distinguished Flying Cross« und die »Air Medal«. Für 1960 gewann er das »Department of Interior‘s Conservation Award«. Und es gab noch weitere entführte deutsche Jungen, die sich in den Kriegen der Comanchen und Kiowa gegen die Weißen, dem Verzweiflungskampf gegen ihre Unterwerfung, auszeichneten, und deutsche Mädchen, die Comanchen heirateten, und Deutsche, die sich mit Comanchen-Mädchen verbanden.

Die Kiowa, die sich um ein Auskommen mit den Weißen bemühten, konnten auf die Dauer den Krieg mit den in Scharen nach Texas strömenden Siedlern, Farmern, Viehzüchtern und Baumwollpflanzern nicht verhindern. Die Comanchen gruben früh das Kriegsbeil aus; der langwierige, tragische Kampf der freien Indianerstämme um ihre Existenz begann schon bald, nachdem Friedrichsburg erbaut worden war. Und auch die Niederlassungen der Deutschen blieben, wie geschildert, von den Unruhen nicht unbehelligt. Immer wieder kam es zu Zwischenfällen. Bei einer Gelegenheit kurz vor Ostern – so erfuhr der Reisende Peter Groma – hatten feindliche Krieger die Stadt eingeschlossen, die in einem Hügelland unweit einer größeren Anhöhe, des Bärenberges, gelegen ist. Auf den Hügeln rund um die Stadt brannten die Feuer der Indianer. Um die Kinder zu beruhigen, erzählte man ihnen, da droben färbten die Osterhasen ihre Eier. Es gelang bald, die Indianer zu vertreiben; die Erinnerung an den Tag hat sich bewahrt, und alljährlich wurden laut Groma am Palmsonntag die sogenannten Osterfeuer in der Stadt entzündet.

Die deutschen Siedler waren fleißig und brachten es zu Wohlstand. Sie besaßen große Baumwollfelder, führten Tabak- und Reisanbau in Texas ein, aber betrieben bemerkenswerterweise keine Sklavenwirtschaft. Sie lehrten ihre Kinder lesen und schreiben und ein Handwerk auszuüben und gingen ihren Nachbarn mit gutem Beispiel voran. Frühe Reisende in Texas wiesen auf die Deutschen hin, auf ihr gutes Land, die bei ihnen übliche Handelsfreiheit und ihre Gesellschaftsform. Bei ihnen gab es keine Stände oder Gilden, sondern ein Mann betätigte sich gleichzeitig als Bäcker, Metzger, Farmer, Pferdehändler und, wenn es sein musste, als Doktor. Amerikanische Soldaten kauften als erste die Erzeugnisse der Deutschen, und daher ging es vor allem seit der Gründung von Fort Austin in der Nähe mit Friedrichsburg aufwärts. Die Indianerüberfälle wurden seltener und hörten schließlich ganz auf.

Friedrichsburg hatte 1850 754 Einwohner. Mit der Ankunft der Soldaten erhielt der Ort eine Schlüsselstellung im ganzen Gebiet. Eine Reihe von Forschern, die in die texanischen »badlands«, in den Llano Estacado oder nach Neu Mexiko zogen, benutzten den Ort als Durchgangsstation oder sogar als Ausgangspunkt für ihre Expeditionen. Friedrichsburg wurde daraufhin sogar als Zentrum für Eisenbahnlinien und Verbindungsstraßen vorgeschlagen. Bedeutende Forschungen in Texas unternahm z B. der Offizier Nathaniel Michler (1827–1881), dessen Vorfahr 1743 als Bischof der Mährischen Brüder aus Württemberg nach Amerika ausgewandert war. Die Kenntnis der texanischen Pflanzenwelt verdanken wir zum Gutteil dem Frankfurter Jakob Lindheimer (1801–1879), der wegen angeblicher revolutionärer Machenschaften aus Deutschland fliehen musste und am texanischen Unabhängigkeitskrieg teilnahm. Angeregt von seinem Freund und ehemaligen Studienkollegen Georg Engelmann begann er danach, die texanischen Pflanzen zu erforschen. Neun Jahre verbrachte der unerschrockene Mann in unberührter Wildnis, oft monatelang ohne einem Weißen zu begegnen. Aber die Indianer, auf die er stieß, ließen ihn ungeschoren, weil sie ihn als »Zaubermann« mit scheuer Verehrung betrachteten.

1847 schloss sich Lindheimer der von Meusebach gegründeten Darmstädter Kolonie an, die das Land zwischen den Flüssen Llano und San Saba besiedelte. Nach sechs Monaten gaben die Pioniere allerdings auf, und Lindheimer ging nach Neu Braunfels, wo er 1852 die »Neu Braunfelser Zeitung« gründete. Sie hielt sich bis zum Ersten Weltkrieg. 1870 gab er die Redaktion der Zeitung ab, seine letzten Lebensjahre verbrachte er als Superintendent und Friedensrichter.

Lindheimer war ein politischer Flüchtling der dreißiger Jahre. Nach 1848 kam ein Schub deutscher Einwanderer nach Texas, die ebenfalls aus Deutschland hatten fliehen müssen, weil sie sich an der Revolution von 1848 beteiligt hatten. Der größere Teil waren Realisten, teilweise waren es aber auch romantische Idealisten, die zu den »Lateinbauern« wurden. Sie waren die ersten, die in den »Wilden Westen« von Texas Bildung brachten. Sie hießen »Lateinbauern«, weil sie von Latein und Griechisch mehr verstanden als vom Ackerbau. Sie waren Utopisten, vom Geiste Rousseaus beseelt, sehnten sich nach dem einfachen Leben und wollten ihre sozialen Vorstellungen und Wünsche verwirklichen. Manche hatten einen »Staat im Staat« im Sinn, manche wünschten sich kulturelle Isolation. Aber alle wollten den Traum von Freiheit und Glück in dem Blockhaus an der Indianergrenze verwirklichen. Sie träumten von einem Amerika, das nur in ihrer Einbildung oder ihren Büchern bestand, einem Garten Eden, in dem vor allem die Freiheit des Individuums gewährleistet sein sollte. Ihre Nachbarn verstanden sie nicht, lachten sie aus und blieben auch ihrerseits den »Lateinbauern« stets fremd.

Frederick Olmsted (1822–1903), ein Landschaftsarchitekt und Reisender in Texas, suchte diese Deutschen auf und beschrieb sie und ihre Wunderlichkeiten. Danach hatten sie wertvolle Madonnen an Holzwänden, tranken Kaffee aus Zinntassen, die auf Untertassen aus wertvollem Dresdner Porzellan standen, sie spielten Klavier und hatten Truhen, die halb mit Büchern und halb mit Kartoffeln gefüllt waren. Nach dem Abendessen kamen sie meilenweit zu einem Treffpunkt in einem Blockhaus, wo sie sangen, spielten und tanzten. Aber der Versuch dieser Utopisten musste scheitern, zur Farce entarten. Es stellte sich bald heraus, dass sie nicht wirklich glücklich waren, auch wenn sie mit niemandem tauschen wollten, sondern arm. Der deutschamerikanische Schriftsteller Friedrich Kapp (1824–1884) aus Hannover traf 1867 auf seiner Reise nach Texas einen alten Studienkollegen, der ihn über seine Situation aufklärte: »Ich bin nicht glücklich im wahrsten Sinn des Wortes, aber auch nicht unglücklich, denn ich lebe frei und ungezwungen. Ich bin von nichts abhängig, außer von meinen Ochsen und dem Wetter. Nichts hindert mich an meinen Plänen und Vorhaben, außer dass ich kein Geld habe. Nichts hält mich ab, meine revolutionären Gefühle auszudrücken, außer dass ich keine Zuhörer habe.«

Am Abend nach der Begegnung nahm Kapp an einem Treffen der »Lateinbauern« teil. Die Zusammenkunft begann als der Versuch, die alte Heidelberger Studentenzeit, ihre Gebräuche, ihre Lieder und ihre Gelage zu neuem Leben zu erwecken, aber sie endete mit nichtsnutzigen Gesprächen: »Unser Leben hier wäre ganz erträglich, wenn wir nur eine Kegelbahn hätten.« Dennoch waren auch diese kuriosen Achtundvierziger von Bedeutung, gerade im Westen; denn sie bildeten den Sauerteig für die kulturelle Entfaltung an der Grenze.

Vor dem Bürgerkrieg entstand schon eine Deutsche Theatergesellschaft in Neu Braunfels, der erste Gesangverein in diesem Ort wurde im März 1850 ins Leben gerufen und erhielt den Namen Germania. Der bedeutende Achtundvierziger Carl Douai (1819-1888) aus Altenburg, einer der ersten Marxisten in Amerika, der wegen seiner politischen Gesinnung aus seiner Heimat flüchten musste, gründete den San Antonio Gesangverein, den er auch leitete und dessen Mitglieder er 1853 nach Neu Braunfels führte, als dort das erste Sängerfest an der westlichen Frontier stattfand. In dem Dreieck zwischen Houston, San Antonio und Neu Braunfels entstand eine Reihe deutscher Gesangvereine, Schützenvereine, Turnvereine und anderer gesellschaftlicher und kultureller Organisationen. In der Grafschaft Comal unterstützten deutsche Farmer die Acker- und Gartenbaugesellschaft von 1852; ein Reformverein wurde 1854 in Friedrichsburg gegründet, der über Ackerbaumethoden beriet. Schon 1852 entstand der »Freie Verein« in Sisterdale, eine Freidenkergemeinschaft, zu deren Treffen die Deutschen dreißig Meilen weit aus der Umgebung kamen. Ihr Präsident war viele Jahre Ernst Kapp (1808–1896), der seinen Doktor in Bonn gemacht hatte und sechzehn Jahre lang – bis 1865 – auf einer fünfzig acre umfassenden Farm in Texas lebte. Er rodete den Wald selbst, wurde Wagenmacher, Schmied und daneben einer der frühen Geographen in Texas.

Schon bald entstand auch eine ganze Anzahl deutscher Zeitungen in Texas, denen hier wie anderswo eine Vermittlerrolle zwischen alter und neuer Heimat zukam; Lindheimers »Neu Braunfelser Zeitung« war wohl die bedeutendste davon. Als sie zum ersten Mal erschien, war das Papier so rar, dass Lindheimer gelegentlich Tapeten und Einwickelpapier vom Metzger hernehmen musste. Douai gründete die »San Antonio Zeitung«, doch musste er 1856 wieder einmal flüchten, diesmal in die Nordstaaten der USA, weil er gegen die Sklaverei geschrieben hatte.

Neun deutsche Zeitungen gab es vor dem Bürgerkrieg in Texas, aber nur vier überlebten ihn. Der Bürgerkrieg veränderte die Lage für die Deutschen in Texas erheblich. Einige Deutsche waren Verfolgungen ausgesetzt, weil sie mit den Nordstaaten sympathisierten. Waren Verordnungen und Erlasse eine Zeitlang in Deutsch und Englisch erschienen, so nahm nun die Assimilierung der Deutschen zu. Der erste Deutsche, der Texas im US-Kongress vertrat, war der Braunschweiger Eduard Degener (1809–1890), der auch in beide Häuser des texanischen Parlaments gewählt wurde.

Fredericksburg in der Grafschaft Gillespie und New Braunfels im Comal County hatten sich zu blühenden Ansiedlungen entwickelt. Das alte Friedrichsburg wurde ein Handelszentrum des umliegenden Farmlandes und ein beliebter Ferienort. Die Deutschen – etwa 5000 – kennen ihre alte Heimat kaum, aber sie pflegen noch immer deutsches Brauchtum. Die Menschen sind wie alle anderen Texaner gekleidet, aber erinnern nach Gromas Meinung irgendwie an altdeutsche Bauern. So ähnelt der Ort, in dem es auch einen »German Gesangverein« gibt, einer alten deutschen Kleinstadt mit amerikanischem Einschlag.

Nicht unerwähnt bleiben sollte abschließend, dass der erste Siedler im Blanco Canyon im sogenannten Panhandle Land von Texas, nahe der heutigen Stadt Lubbock, also im sogenannten Llano Estacado, den wir aus den Romanen Karl Mays kennen, der Deutsche Heinrich Schmitt (1836–1912) gewesen ist – in Amerika war er als Henry Clay Smith bekannt. Er stammte aus Rossbach bei Würzburg und führte in den USA ein abenteuerliches Leben, bevor er sich hier niederließ. Die guten Beziehungen zwischen Lubbock bzw. der dortigen (Technischen) Universität mit dem deutschen Kulturzentrum unter der Leitung von Prof. Dr. Meredith McClain und der Karl-May-Gesellschaft in Deutschland sollten hier besonders hervorgehoben werden – eine Enkelin von Hank Smith, Mrs. Georgia Mae Smith Ericson, die sich um die Freundschaft zwischen Lubbock und der deutschen May-Szene verdient gemacht hat, ist erst 2005 in hohem Alter gestorben.

    


  

Jenseits des Felsengebirges

Karl Mays Väter – Die Geschichte der Deutschen im Wilden Westen