Der sterbende Widerstand

 

Nach dem Bürgerkrieg sank, wie Nye und Morpurgo schreiben, »ganz allgemein das kulturelle Niveau Amerikas. Die Denker des ›Goldenen Zeitalters‹ waren tot, versprengt oder verwirrt durch ein Amerika, das sie nicht begreifen konnten. Mark Twains Bezeichnung ›das vergoldete Zeitalter‹ erfasste durchaus den Geist einer Epoche, da der Geschmack verfiel, Prunksucht die Würde verdrängte, Qualität und das gesellschaftliche Leben von einer frechen Vulgarität geprägt waren … Gleichzeitig war es nicht nur eine üble Zeit. Sie besaß eine – bisher noch mit keinen Idealen verknüpfte – ungeheure Vitalität, immerhin eine große Reserve richtungsloser Energie. Ihre Helden waren die Tatmenschen, die Kämpfernaturen … (es war) eine Ära derber, vitaler, rücksichtsloser Kraftentfaltung.«
     Schon ab etwa 1900 standen die USA an erster Stelle der Industrieländer, gemessen am Anteil an der Weltproduktion. Die Immigration aus Deutschland blieb unvermindert stark. Von 1870 bis 1910 wanderten mehr als drei und eine Viertel Million Deutsche nach Amerika aus, vor allem Arbeiter. Zwischen 1866 und 1873 trieben die Steuerlast, der Militärdienst und das Angebot von Schifffahrts- und Siedlungsgesellschaften jährlich 130.000 Deutsche nach Amerika. Der wirtschaftliche Aufschwung des Deutschen Reiches allerdings ließ den Auswandererstrom zurückgehen. Bismarcks Sozialgesetzgebung hielt viele Arbeiter in Deutschland zurück; zudem war die Auswanderung nach Amerika seit der Reichsgründung nicht mehr gern gesehen und wurde teilweise in die neu entstandenen Schutzgebiete und Kolonien umgelenkt, wo die Emigranten unter deutscher Oberhoheit standen.
     Die meisten deutschen Immigranten blieben im Osten und Mittelwesten. Aber hier war der Arbeitsmarkt überfüllt, der Kampf ums tägliche Brot groß. Hier konnte die Arbeiterbewegung Fuß fassen. Schon die Anfänge sozialistischer Vereinigungen gingen zum größten Teil auf deutsche Initiative zurück. 1876 waren von den 24 sozialistischen Zeitungen in Amerika vierzehn deutsch. Die amerikanische sozialistische Arbeiterpartei wurde 1877 gegründet, Jahrzehnte hindurch waren die meisten Mitglieder Deutsche, Friedrich Sorge (1828–1906) war ihr Führer und Leiter der amerikanischen Sektion der I. Internationale. Der Österreicher Victor Berger (1860–1929), der erste Sozialist, der in den Kongress gewählt wurde, löste allerdings 1900 die Arbeiterpartei aus der Internationalen und machte sie amerikanisch – der Dogmatismus des Marxismus entsprach nicht den Vorstellungen liberaler Amerikaner.
     Deutsche Arbeiter und Handwerker, die mit der Ideologie und den Praktiken der europäischen Arbeiterbewegung vertraut waren, spielten in der Geschichte des amerikanischen Sozialismus eine bedeutende Rolle. Als 1886 die Arbeiterbewegung schon sehr stark war, kam es wiederholt zu schweren Zusammenstößen zwischen Arbeitern und Polizei. Als die Polizei eine friedliche Kundgebung am Haymarket Square in Chicago sprengte, wurde eine Bombe geworfen, und es kam zu einem blutigen Handgemenge. Fast alle, die im Zusammenhang mit dieser Straßenschlacht vor Gericht gestellt wurden, waren Deutsche, unter ihnen der Herausgeber der deutschen »Arbeiter-Zeitung« August Spies, der auch prompt zum Tode verurteilt wurde. Damals richtete sich die Wut der Öffentlichkeit gegen alle Fremdgeborenen, vor allem gegen die Deutschen, und es kam zu ähnlichen Übergriffen und Straßenkämpfen, wie sie dreißig Jahre vorher gang und gäbe gewesen waren, als die Deutschen von den Nativisten, den radikalen Gegnern der Einwanderung, verfolgt wurden.
     Der Zusammenstoß am Haymarket Square hatte ein bekanntes Nachspiel. Der Gouverneur von Illinois, John Peter Altgeld (1847–1902), der in Hessen geboren worden war, ließ die drei zu lebenslänglicher Haft verurteilten »Rädelsführer« (die anderen waren gehenkt worden) frei, da das Gerichtsurteil ein Hohn auf jede Gerechtigkeit gewesen war. Altgeld, der 1892 vor allem von Bauern und Arbeitern gewählt worden war und dessen Programm die Verbesserung von Haftbedingungen, Ausbildung und Arbeitsverhältnissen umfasste, verscherzte sich mit diesem einfachen Akt der Gerechtigkeit seine Wiederwahl und sogar seinen Traum, Senator zu werden. Durch die Aufnahme seiner Tat in John F. Kennedys Buch »Zivilcourage« bleibt sein Name unvergessen.
     Die Strömungen und Tendenzen, die das industrielle Amerika beeinflusst haben, sind auch an den Deutschamerikanern nicht spurlos vorbei gegangen. Auf der anderen Seite haben sie Großes zum Aufbau der USA beigetragen. Die berühmten Rockefellers, Öl-Millionäre, waren deutscher Abkunft und stehen stellvertretend für eine Fülle deutscher Industrieller. Als »bedeutendster Elektroingenieur Amerikas und damit der Welt« wurde der Breslauer Karl Steinmetz (1865–1923) 1902 anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Harvard bezeichnet. Er entwickelte den Drehstrom; sein langjähriger Freund und Gönner Rudolf Eickemeyer (1831–1895) aus Bayern meldete über 150 Patente in Amerika und im Ausland an. Charles Goessmann (1827–1910) aus Naumburg war lange Zeit der bedeutendste Chemiker in Amerika. Der Württemberger Uhrmacher Ottmar Mergenthaler (1854–1899), der 1872 nach Amerika kam, erfand die Linotype, die Zeilengießmaschine, eine der wichtigsten Neuerungen im Druckwesen. Fast ein Jahrhundert lang waren die deutschen Apotheker die einzigen in Amerika, die eine Fachausbildung genossen hatten, die »Deutsche Apotheke« war eine bekannte Einrichtung in vielen Städten, und deutsche Pharmazeuten und Ärzte erlangten in Amerika große Bedeutung.
     Die politische Entwicklung beschleunigte die Amerikanisierung des Deutschtums im Geschäftsgebaren und in der Moral. Die deutsche Presse errang zu Ende des 19. Jahrhunderts ihre größten finanziellen Erfolge, aber nur deshalb, weil das Kommerzielle über das Niveau gestellt wurde. Auf der anderen Seite gewannen die Deutschamerikaner vor dem Ersten Weltkrieg eine Selbstachtung wie nie zuvor. Die Ereignisse in der alten Heimat: der Sieg im deutsch-französischen Krieg, die Reichsgründung und Bismarcks Sozialgesetzgebung und Außenpolitik gaben dafür den Ausschlag. Auch das Verhältnis zwischen Amerika und Deutschland war ausgezeichnet. So gewannen die Deutschen in Amerika auch wieder politischen Einfluss. Insgesamt wurden etwa 40 Deutschamerikaner ins Repräsentantenhaus gewählt, elf wurden Senatoren, eine Vielzahl wurde Bürgermeister oder Staatsgouverneur. Der Pennsylvanien-deutsche Geschäftsmann John Wanamaker (1838–1922) war 1889 bis 1893 Postminister, George von Lengerke Meyer (1858–1918) aus Boston brachte es zum Postminister und Marinesekretär zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Von 1909 bis 1913 war der Texaner Charles Nagel (1849–1940), der in Berlin studiert hatte, Minister für Handel und Arbeit. Und schon viel früher hatte William Wirt (1772–1834) aus Virginia, Sohn deutscher Einwanderer und ein berühmter Jurist, als Chef des Justizministeriums amtiert (1817–1829) und war 1832 gar von der Anti-Freimaurer-Partei als Präsidentschaftskandidat aufgestellt worden.
     Trotz der zunehmenden Amerikanisierung waren die Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg für das Deutschtum nicht nur eine Zeit der Verflachung. Die deutsche Kultur blühte nach wie vor. Das Feuilleton vieler großer deutschamerikanischer Zeitungen hatte beachtliches Niveau. Eine Fülle deutschamerikanischer Dichtungen erschien. Einer der populärsten Dichter, Kritiker und Journalisten war Robert Reitzel (1849–1898) aus Baden, der 1870 in die Staaten kam; sein Wochenblatt »Der arme Teufel« war die beliebteste deutschamerikanische Zeitschrift außerhalb der Kirchenkreise. Einer der begabtesten deutschamerikanischen Lyriker war Konrad Nies (1862–1922).
Die Metropolitan Opera wurde durch den Einfluss von Deutschen erfolgreich und bedeutend. Der Schlesier Leopold Damrosch (1832–1885), der Gründer der New York Symphony Society (1878), und Heinrich Conried (1855–1909) aus Bielitz, der das Theater am Irvingplatz in New York zu einem Mittelpunkt des kulturellen Lebens in New York gemacht hatte (ab 1892), waren die bedeutendsten Förderer der Metropolitan. Als stellvertretend für viele andere hervorragende deutschamerikanische Komponisten und Dirigenten sei noch Theodor Thomas (1835–1905) genannt, der die New Yorker Philharmoniker im ausklingenden 19. Jahrhundert berühmt machte.
     Chicago galt nicht nur als deutschamerikanische Dichterhauptstadt, sondern auch als »größtes deutsches Wunder in Amerika«, weil die bedeutendsten Bauwerke der Stadt von Architekten erbaut waren, die aus deutschen Schulen stammten. Zahlreiche deutsche Wörter wurden in die amerikanische Sprache aufgenommen: Ratskeller und Delikatessen, Katzenjammer, Hansworst, Sauerkraut, Sauerbraten und Kohlrabi, durchkomponiert, Föhn, Kindergarten, Gestalt-Psychologie und Hinterland, Weltliteratur, Weltschmerz, Glockenspiel – man könnte noch lange fortfahren. Selbst das Wort Dollar kommt aus dem Deutschen – es ist von Taler abgeleitet.
Im Lauf der Zeit zerfielen die deutschamerikanischen Kulturgruppen. Das deutsche Viertel von New York, Yorkville, nahm immer mehr Iren und andere europäische Gruppen auf. Auch der »Deutschamerikanische Nationalbund«, 1889 in Philadelphia von Charles Hexamer (1862–1921) gegründet, der sich die Pflege der Muttersprache und die Einigkeit des Deutschamerikanertums zum Ziel setzte, konnte an der Auflösung nichts ändern. Nur die Pennsylvanien-Deutschen bewahrten ihre Eigenart und ihren Dialekt. Den endgültigen Niedergang der deutschamerikanischen Kultur brachte dann der Erste Weltkrieg.
     Während sich im Sozialgefüge der Amerikaner und Deutschamerikaner bedeutende Umwälzungen vollzogen, drängten die Siedler in die letzten Gebiete des »Wilden Westens«, um auch sie der Zivilisation zu öffnen: nach Neu Mexiko und Arizona.

  
Die zerrissene, zerklüftete, unzugängliche, wasserarme Wüstenei von Arizona bildete die Zufluchtsstätte für die letzten freien Indianerstämme der Vereinigten Staaten, die Apachen. Sie waren ein einzigartiger Stamm, grausam, genügsam, außerordentlich ausdauernd und von ungeheurem Freiheitsdrang beseelt. Sie konnten Spuren lesen und besaßen eine fast unheimliche Gabe, sich zu verstecken wie kein anderer Stamm. Sie bekämpften ihre indianischen Nachbarn, dann die Spanier, später die Mexikaner und schließlich die Amerikaner. Schon in der ersten Zeit des spanischen Vorstoßes in ihre Gebiete kam es zu blutigen Kämpfen.

Die Vorhut der Spanier waren Missionare. Unter ihnen gab es eine große Anzahl Deutscher. Der bedeutendste und bekannteste von ihnen war wohl der Jesuitenpater Eusebio Francisco Kino aus Trient in Süd-Tirol, der in Wirklichkeit Kühn hieß. 1681 kam er, etwa sechsunddreißigjährig, nach Mexiko, wo er die meiste Zeit im Norden des Landes, also im heutigen Südwesten der Vereinigten Staaten, verbrachte. Gerade im Jahr zuvor hatte der große Freiheitskämpfer der Pueblo-Indianer, Pope (gest. 1690), die Spanier aus dem heutigen Neu Mexiko vertrieben, wohin Juan de Onate (ca. 1550–ca.1624) um 1600 die ersten Siedler gebracht hatte. Die Unterdrückung der Indianer durch die Spanier, besonders durch die Franziskaner-Missionare, hatte die Eingeborenen aufs äußerste erbittert, und Stämme wie die Apachen machten sich ohnehin einen Spaß daraus, die Eindringlinge zu jagen. Es ist viel über die Grausamkeit der Apachen geschrieben worden; sicher ist indes, dass die Spanier mit diesen stolzen Indianern nicht besser verfuhren und dass die Apachen ihre spanischen Sklaven nicht wie Vieh behandelten, was man umgekehrt nicht immer sagen kann.

Fünfundzwanzig Jahre lang unternahm Kino in Kalifornien, Sonora und vor allem im südlichen Arizona Forschungen. Er errichtete Missionen bei den Serie- und Pima-Indianern; in der Mission Dolores, der heutigen Stadt Magdalena, führte er die Viehzucht ein und wurde damit zum Begründer der Viehzucht in Arizona. Die letzten Lebensjahre verbrachte er bei den Pima in Arizona, bei denen er 1711 starb.

Unter den 56 Jesuiten in Kalifornien und Sonora befanden sich 15 Deutsche. Wie Kino schrieben viele von ihnen ihre Erlebnisse auf und leisteten damit Bedeutendes zur geographischen und ethnologischen Erforschung des Landes. Oberaufseher über alle Missionen in dem Land war der Deutsche Ferdinand Konsag. José de Jesu Maria Ignacio, eigentlich Herrmann Lössing (1721–1780) aus Paderborn legte im 18. Jahrhundert großartige Sammlungen von Antiquitäten und Beschreibungen der Ureinwohner Mexikos an. Juan Esteyneffer aus Schlesien verfasste 1729 in Sinaloa ein ausgezeichnetes Heilkräuterbuch. Johann Baegert (1717–?) wirkte von 1750 bis 1767 in Kalifornien und schrieb hervorragende Berichte über die Ureinwohner. Ignacio Pfefferkorn, der elf Jahre lang die Missionen von Sonora leitete, verfasste nach seiner Rückkehr 1795 ein Buch über das ihm verhasste Land.

Forschungen in Arizona unternahm ein anderer Deutscher, Padre Ignacio Keller. In den Jahren 1736 und 1737 stieß er ins Tal des Gila vor und brachte als einer der ersten Kunde von den Monumentalbauten der Pueblos, den Casas Grandes, nach Süden. 1743 brach er erneut mit einer kleinen Expeditionsgesellschaft von der 1700 entstandenen Mission in San Xavier del Bac ins Apachenland auf. Wieder erreichte er den Gila. Dort aber warteten die Herren des Landes. Keller wurde immer wieder von den Apachen angegriffen und musste wie seinerzeit die stolzen Konquistadoren Pferde und Federn lassen. Bei einem Überfall erbeuteten die Indianer sämtliche Vorräte und Pferde, und der Rest der Gruppe brach nach Süden auf und eilte, so schnell es ging, in ruhigeres Land. Keller gab seine Pläne auf, aber Jacob Sedelmair, der die Mission in Tubutama in Sonora leitete, eiferte ihm nach. Er drang bis zum Colorado vor. Am Gila wollte er eine Missionsstation gründen; der Plan scheiterte, aber Sedelmair unternahm 1748 ein zweites Mal den Versuch – und wieder ohne Erfolg. Die Pima lehnten ihn ab, die Yuma zeigten sich feindlich, und die Apachen führten offenen Krieg. Als Verfasser des ersten Wörterbuches der Pima-Sprache und einer Schilderung der Yuma machte er sich einen Namen.

Nach zweihundertjährigen Kämpfen zwischen Apachen und Spaniern kehrte um 1800 Frieden ein, weil die Politik der Spanier sich gebessert hatte; fünfundzwanzig Jahre lang herrschte das »Golden Age« von Neu Mexiko. Aber dann ging die Zeit des Friedens zu Ende, weil die mexikanischen Behörden keine glückliche Hand mehr im Umgang mit den Indianern hatten. Die Grausamkeiten begannen von neuem und hielten 75 Jahre lang an. Auch der Krieg gegen die Amerikaner wurde eröffnet, die erst spärlich, dann immer zahlreicher nach Arizona und Neu Mexiko kamen und von den Apachen zunächst unbehelligt gelassen worden waren. 1837 war nämlich der Apachenführer Juan José mit etwa 400 Stammesangehörigen von dem Mountain-Man James Johnson und seinen Leuten massakriert worden; Johnson waren die von den mexikanischen Behörden auf Apachenskalps ausgesetzten Prämien so verlockend gewesen, dass er seine langjährige Freundschaft mit dem Häuptling verriet. Falls die Geschichte so stimmt. Nach neueren Erkenntnissen handelt es sich um eine Mär. Es existierte keine Freundschaft zwischen Johnson und dem Häuptling, und es gab »nur« – schlimm genug – zwanzig Tote, darunter der Häuptling. Daraufhin begann der bedeutende Mimbreno-Häuptling Mangas Coloradas (ca. 1797–1863) einen grausamen und unerbittlichen Rachekrieg gegen Amerikaner und vor allem Mexikaner. Während aber auch nach dem Kauf der ursprünglich mexikanischen südwestlichen Gebiete durch die Vereinigten Staaten (Gadsden-Kauf 1853) Mangas Coloradas in den nun amerikanischen Gebieten seine Raubzüge fortsetzte, konnten die Amerikaner ungehindert durchs Land der Chiricahua-Apachen ziehen. Ihr Häuptling Cochise (ca. 1812/15–1874), der vielleicht der wildeste, tapferste und fähigste aller Apachenführer gewesen ist, schloss mit den Amerikanern Frieden. In dieser Zeit begann die Besiedlung Arizonas.

1850 kam der Kentuckier Charles Poston (1825–1902), der später als »Vater von Arizona« bezeichnet wurde, nach San Francisco und lernte dort den deutschen Mineningenieur, Feldmesser und Abenteurer Hermann (von) Ehrenberg kennen. Dieser, um 1810 oder 1816 in Steuden in der Gegend von Leipzig geboren, war ein radikaler Studentenführer der dreißiger Jahre gewesen und hatte 1834 nach Amerika fliehen müssen. Er nahm am texanischen Unabhängigkeitskrieg teil und schrieb später ein bedeutendes Buch darüber. Poston und Ehrenberg schmiedeten verschiedene Pläne. 1853 verließen sie die Stadt per Schiff, im Golf von Kalifornien erlitten sie Schiffbruch, wurden aber gerettet und kamen nach Alamos. Von dort brachen sie nach Norden ins Santa Cruz Tal auf. Damals war das Gebiet noch mexikanisch, und Poston wurde von den Behörden unter dem Verdacht festgenommen, er wolle für die Vereinigten Staaten Land gewinnen. Einflussreiche Leute schalteten sich ein, er wurde freigelassen, und 1854 gehörten Poston und Ehrenberg zu den ersten amerikanischen Zivilisten, die den Boden Arizonas betraten, wo damals in der Hauptsache Mexikaner und Indianer lebten. In Tubac, einer verlassenen mexikanischen Garnison, wohnten sie in den leeren Häusern, verbrachten hier den Winter 1854/55 und suchten nach Gold und Silber. In der Nähe entdeckten sie reiche Silberminen. Verschiedene Expeditionen führten sie zu den alten Ajo-Kupferminen und der Heintzelman-Mine. Poston brachte Minenarbeiter und Siedler in das Gebiet, und die ersten Ranchers wurden von der Kunde von Postons und Ehrenbergs Niederlassung angezogen.
 

Hermann Ehrenberg

Hermann (von) Ehrenberg

 
Über Tubac berichtete Poston später: »Wir hatten kein Gesetz, aber Liebe, keine Anstellung, aber Arbeit, keine Regierung, keine Steuern, keine Staatsschuld, keine Politik. Es war eine Gemeinschaft in einem perfekten Naturstatus. Als Syndikus in Neu Mexiko eröffnete ich ein Urkundenbuch, vollzog die Heiratszeremonie, taufte die Kinder und nahm die Ehescheidung vor.«

Auch Ehrenberg machte sich um die Anfänge der Besiedlung Arizonas sehr verdient. Zu seinen Ehren wurden eine Mine und die dort 1861 gegründete Stadt nach ihm benannt. Im Bürgerkrieg half das Gold der Stadt Ehrenberg, die Staatskassen zu füllen. Im August 1856 nahm Ehrenberg an den Verhandlungen um die Aufnahme Arizonas als Territorium teil. Er war der erste zivile Feldmesser und topographische Ingenieur in Arizona und verfertigte z. B. die erste detaillierte Karte der Grenze zwischen Mexiko und Arizona nach dem Gadsden-Vertrag 1853.

Als in den Apachenkriegen alle Siedler Tubacs nach Tucson flohen, zogen Poston und Ehrenberg nach Fort Yuma und weiter zum Pazifik. 1862 reiste Poston nach Washington und erreichte die Organisierung des Territoriums Arizona. 1863 kehrte er als Superintendent für Indianer zurück. Später unternahm er zahlreiche Reisen nach Europa und Asien. 1902 starb er im Alter von 77 Jahren in Armut in Phoenix. Ehrenberg, der in Kalifornien geblieben war, wurde 1866 bei Dos Palmas bei einem Raubmord, möglicherweise von Indianern, getötet.

Zu den frühen deutschen Siedlern in Arizona gehörten die Brüder Fritz und Julius Contzen, die sich 1856 hier niederließen. Den Geschäftsmann L. J. F. Jäger trieben 1848 die Goldfunde in Kalifornien in die Neue Welt. Seine Laufbahn begann er als Koch auf Johnsons Steamer »General Jessup«, der ihn 1849 zur Mündung des Gila River in den Colorado brachte. Hier blieb er und gründete eine Fähre über den Strom. Weiter ins Innere des Landes wagte er sich wegen der feindlichen Yuma nicht hinein. Jäger verlangte zwei Dollar pro Person für die Übersetzung.

1854 gründete Jäger an der Mündung des Gila die spätere Stadt Yuma, deren großer Förderer er wurde. Schon 1856 besaß er 60.000 Dollar. 1877 verkaufte er die Fähre an die Südpazifikbahn und besaß nun eine halbe Million Dollar. Dann heiratete er eine hübsche Mexikanerin, die ihm drei Kinder gebar. Er baute die Industrie der Stadt auf und machte sich um die Stadt hoch verdient. Als angesehener und reicher Mann starb er 1892 in Washington.
Auf andere Weise erwarb sich der deutsche Goldsucher und legendäre Besitzer der »Lost Dutchman Mine«, Waltz, ein Vermögen. Er war ein typischer Grenzgänger seiner Zeit, eine dunkle Existenz, Desperado, Outlaw und Abenteurer, ein Kind des Wilden Westens.

Von dem »Dutchman« weiß man nicht viel. Er hieß Jakob Waltz oder Wolz, kam 1810 in Preußen zur Welt und war möglicherweise ein studierter Mineningenieur. Im Lauf der 1848er Revolution gelangte er nach Amerika und 1863 nach Prescott in Arizona. Bei einem Streit rettete er einem gewissen Miguel Peralta das Leben und erhielt von diesem aus Dankbarkeit die Karte einer Goldmine in den Superstition-Bergen. Einzelheiten darüber sind unbekannt. Es war die legendäre »Lost Dutchman Mine«, und schon nach ihrem ersten Besuch dort brachten Waltz und sein Partner Jacob Weiser (1810–1871), ebenfalls ein Deutscher, Gold im Wert von 60.000 Dollar nach Tucson, von denen Peralta die Hälfte erhielt. Weiser wurde offenbar später von Indianern (oder seinem Gefährten selbst) getötet. Feststeht nur, dass Waltz etwa ab 1870 bis zu seinem Tod Besitzer einer Mine war, von der niemand etwas Genaues wusste, aber jeder aufgrund von Waltz' Lebenswandel ahnte, wie reich sie war. Waltz führte ein üppiges Leben, gab sein Geld bzw. Gold mit vollen Händen aus und holte sich neues, wenn er es brauchte. Er erlangte weite Berühmtheit. Alle Welt versuchte ihm die Mine abzujagen. Aber er schüttelte jeden Verfolger ab, verwischte immer wieder seine Spuren und brachte acht Männer um, denen er anders nicht entkommen konnte. Er soll seinen eigenen Neffen getötet haben. Nicht einmal seinem Freund Reinhard Petrasch, einem deutschen Bäcker in Phoenix, und seiner Freundin verriet er die Lage der Goldader. Die Zeitungen waren voll mit Geschichten über ihn. Waltz war oft betrunken. Er starb am 22. Februar 1891 in Phoenix mit einer Schuhschachtel voll Gold unter dem Bett. Mit beinahe dem letzten Atemzug gab er freundlichen Nachbarn ein paar Hinweise, wie sie die Mine finden könnten. Der Eingang sei unter Eisenholzscheiten verborgen und mit Felsbrocken bedeckt. Doch konnte der wichtigste Markstein, ein Paolo-Verde-Baum, der einen Ast in einer ganz bestimmten Richtung reckte, bis heute nicht gefunden werden.

Tausende versuchten, die »Lost Dutchman Mine« aufzuspüren: ohne Erfolg. Viele verloren ihr Leben auf geheimnisvolle Weise in den Canyons. In Arizona heißt es, in den Superstitions gehe es um und ein böser Fluch liege auf der Mine. Viele Legenden ranken sich um die mysteriöse Bonanza. Der »Dutchman« nahm ihr Geheimnis mit ins Grab.

Anders der Deutsche, der eine der reichsten Minen, vielleicht sogar die größte Goldfundstätte in Arizona entdeckte! Man erzählt sich, dass der Goldgräber Henry Wickenburg durch ein burro (Kaninchenart) auf die Ader aufmerksam gemacht wurde. Johannes Henricus Wickenburg wurde 1819 in Holsterhausen in Essen geboren. Des illegalen Kohleabbaus verdächtigt, floh er 847 nach New York. 1853 kam er nach San Francisco, und 1862 betrat er den Boden von Arizona, wo er ein Jahr später eine Mine entdeckte, die später als Geier-Mine bekannt wurde und die ihn und andere steinreich machte. Drei Jahre später gründete er hier die Niederlassung Wickenburg, die sich bald zu einer der größten Ortschaften in Arizona entwickelte und sogar beinahe Hauptstadt geworden wäre. Zwischen Ehrenberg und Wickenburg verkehrte eine Postkutsche.

Von der Gründung bis zum Einstellen der Mine in den achtziger Jahren wurde hier Gold im Wert von dreißig bis fünfzig Millionen Dollar geschürft. Banditenunwesen und der Konkurrenzkampf brachten Wickenburg allerdings nur Sorgen. Da er zu wenig Kapital hatte, um die Mine auszubauen, verkaufte er sie 1866 an eine New Yorker Gesellschaft und ließ sich in Wickenburg als Farmer nieder. Zu allem Unglück brach 1890 eine der schlimmsten Flutkatastrophen der Geschichte Arizonas über Wickenburg herein, als ein Damm nachgab. Achtzig Einwohner wurden getötet, auch Wickenburgs Ranch wurde zerstört, wenn er auch trotzdem noch einen wertvollen Besitz behielt. Wickenburg zog sich in die Einsamkeit zurück, angeblich soll er 1905 an seinem 88. Geburtstag Selbstmord begangen haben, vielleicht wurde er auch ermordet, man fand ihn mit einer Kugel im Kopf, doch ist die Todesursache noch immer ungewiss.

Außer Wickenburg und Waltz fanden sich noch andere deutsche Prospektoren in Arizona. Die Brunckow-Mine, benannt nach dem Berliner Frederick Brunckow (ca. 1830–1860), der beim heutigen Tombstone eine Silbermine fand und wohl von mexikanischen Angestellten ermordet wurde, war wenig ergiebig, wurde aber eine bekannte Landmarke. Carl Schuchard (1827–1883) aus Hessen-Kassel verbrachte viele Jahre als Mineningenieur in Arizona und Mexiko.

Es gab noch andere seltsame deutsche Gestalten in Arizona. Ein komischer Kauz war der Friedensrichter in Tucson, das besonders von Banditen heimgesucht wurde. Er hieß Charles H. Meyer und war ein deutscher Apotheker. Angeblich besaß er nur zwei Bücher: »Materia Medica« und eine Abhandlung über Knochenbrüche. Aus diesen beiden Werken soll er der Überlieferung zufolge Inspirationen bei der Rechtsprechung gewonnen haben. Meyer ersetzte die alte Prügelstrafe durch Einsperren.

Bürgermeister von Tucson war übrigens von 1883 bis zu seinem Rücktritt 1884 der amerikanische Geschäftsmann und Politiker Charles Moses Strauss (1840–1892), der – von deutsch-jüdischer Herkunft – in New York geboren worden war und 1870 nach Arizona kam. Als Bürgermeister gründete er die Feuerwehr und eine Bücherei sowie die erste Bausparkasse der Stadt und regte den Bau des Rathauses an. Er war Manager der Groß- und Einzelhandelsfirma Zeckendorf & Company, die damals den Groß- und Einzelhandel in Süd- und Zentralarizona sowie in Sonora, Mexiko, weitgehend  in der Hand hatte. Als General Crook 1886 gegen die Apachen zu Felde zog (s. unten), schloss er sich der Expedition an, warum, ist nicht bekannt. Nach seiner Amtszeit beteiligte er sich an der Gründung der University of Arizona und versah noch weitere politische Ämter. Er starb in Tucson, zu einer Zeit, als der Kampf gegen die Apachen längst beendet war.

Das Jahr 1860 brachte den Umschwung im Verhältnis zu den Indianern. Cochise wurde ungerechtfertigt beschuldigt, einen weißen Jungen geraubt zu haben, und sollte unter der Friedensfahne verräterisch gefangen genommen werden. Zwar gelang es ihm zu entkommen, aber einige seiner Begleiter, alles Verwandte, wurden festgehalten und später gehenkt. Diese Ereignisse führten zu einem unerbittlichen Rachefeldzug. Begünstigt durch den Umstand, dass wegen des Bürgerkrieges zunächst fast alle Bundestruppen abgezogen wurden, gelang es Cochise elf Jahre lang, mit weniger als 200 Kriegern der US-Armee standzuhalten. Der Häuptling bewies mehr Geschick, zeigte mehr Grausamkeit und tötete mehr weiße Soldaten als irgendein Indianer vor ihm. Auch Mangas Coloradas führte seinen Krieg fort. Aber als er mit Cochise im Juli 1862 am Apache Pass eine Niederlage einstecken musste und kurz danach schwer verletzt wurde, war er im Frühjahr 1863 zum Frieden bereit. Man sicherte ihm freies Geleit zu, dennoch wurde er von den Amerikanern ermordet. Sein Nachfolger Victorio (ca. 1825–1880), einer der gerissensten Guerillaführer der Indianer, unterstellte sich zunächst Cochise. Arizona war der Schauplatz des schrecklichsten Indianerkrieges der Geschichte. Über tausend Weiße kamen ums Leben.

Auch die Mescalero-Apachen in Neu Mexiko, geführt von Cadete, Chato und Estrella, nahmen den Kampf auf. Zu Beginn der sechziger Jahre zogen sie raubend und sengend am Rio Bonito entlang und führten am Rio Grande ihr blutiges Werk fort. Der Kommandant des Department of New Mexico, General James Carleton (1814–1873), ging schließlich energisch gegen sie vor und befahl dem alten Scout Christopher »Kit« Carson (1809–1868), sie zu fangen. 1863 schlug Carson die Mescalero derart, dass sie sich ergaben; aber Carletons brutalem Befehl, alle Männer zu töten, entsprach er nicht, sondern er erreichte an höherer Stelle, dass sie nach Bosque Redondo am Rio Pecos in eine vierzig Quadratmeilen große Reservation gebracht wurden, wo sie zu Ackerbauern umerzogen werden sollten. Dann zog Carson gegen die Navaho zu Felde und schaffte einige Tausend von ihnen ebenfalls nach Bosque Redondo. Hier, auf minderwertigem, wasserarmem Land, wo die Ernten nur Misserfolge brachten, wo der Hunger umging, wo die Indianer von Comanchen überfallen wurden, hausten Navaho und Mescalero zusammen, ohne sich zu vertragen. Schon ab 1864 kam es unter den Mescalero zu Massenausbrüchen, vor allem unter Führung des alten schlauen Caballero, den 1880 Victorio tötete, und bald suchte der Stamm erneut Neu Mexiko heim.

Gegen die Mescalero operierte nun der bereits erwähnte, in Deutschland geborene Offizier August V. Kautz. Nach seiner Teilnahme am Krieg gegen die Indianer in Oregon hatte Kautz 1859 bis 1860 Europa bereist. Dann brach der Sezessionskrieg aus, in dem Kautz bei den Unionstruppen Karriere machte. Am bekanntesten wurde er durch seine Teilnahme an den Kämpfen um Petersburg 1864, in denen er sich auszeichnete. Aufgrund seiner Tapferkeit stieg er bis zum Generalmajor der Freiwilligen auf. Am Ende des Krieges führte er die ersten Regimenter Afroamerikaner, mit denen er als erster in die Hauptstadt der Konföderierten Richmond einrückte.
 

August V. Kautz

August-Valentin Kautz

 
Auch nach dem Krieg blieb Kautz in der Armee. Nach Lincolns Ermordung gehörte er dem Militärgericht an, das die Attentäter verurteilte. Bemerkenswerterweise waren auch unter den an Lincolns Mord Beteiligten Deutschamerikaner: Louis Weichmann, George Atzerodt und Edward Spangler; der Mord selbst wurde von dem Schauspieler John Wilkes Booth verübt.

Bei der Reorganisation der Armee nach dem Krieg wurde Kautz 1866 Oberstleutnant und kam 1869 nach Neu Mexiko. Hier befehligte er bis 1874 sein Regiment und beendete in dieser Zeit den Krieg gegen die Mescalero. Es ist schon bemerkenswert, dass ein deutschstämmiger Militär gegen »Winnetous Stamm« kämpfte. In Neu Mexiko war Kautz in Fort Stanton stationiert, von wo aus er 1869 mehrere erfolgreiche Expeditionen gegen die Mescalero organisierte, bevor sie endgültig auf ihrer heutigen Reservation angesiedelt wurden. Diese Expeditionen wurden von dem Haudegen Oberleutnant Howard Cushing (1838–1871) kommandiert. Sie richteten sich gegen einzelne Mescalero-Gruppen, führten zur Rückholung von gestohlenem Vieh oder zur Zerstörung eines ihrer Lager, aber sie brachten noch nicht die Befriedung des Stammes.

Anfang November 1865, also noch vor Kautz’ Zeit, hatten praktisch alle Mescalero die ihnen zugewiesene Reservation von Bosque Redondo (Fort Sumner) verlassen, weil sie sich mit den Navaho, mit denen sie, wie erwähnt, zusammenhausen mussten, nicht verstanden. 1870 aber streckten sie Friedensfühler aus; im Februar 1871 erschien der Unterhäuptling José La Paz mit einer kleinen Abordnung in Fort Stanton und erklärte, sein ganzer Stamm wünsche Frieden. Sofort reagierte der Kommandant hier, nämlich Kautz, und sandte La Paz zu dem Rest der Mescalero, die damals im Comanchen-Land lebten, um ihnen zu versichern, dass sie bei ihrer Rückkehr Hilfe und Schutz erhalten würden. La Paz kehrte zu Kautz zurück und berichtete, dass die Mescalero sich über das Angebot freuten und nach Fort Stanton kommen würden, sobald das Gras so weit gewachsen war, dass sie mit ihren Herden den Llano Estacado durchqueren konnten. Als der Superintendent of Indian Affairs für Neu Mexiko, Nathaniel Pope (1830–nach 1902), im Sommer 1871 Fort Stanton besuchte, lebten dort 5–600 Mescalero; seinem Bericht zufolge wurde nun endgültig Frieden mit ihnen geschlossen, was nach seiner Ansicht der guten Verwaltung seitens der Armeeführung, also von Kautz, sowie einigen prominenten amerikanischen Bürgern zu verdanken war. Die Indianer wurden gut versorgt, und zu Ende des Jahres 1871 sollte die endgültige Reservation in der Nähe des Forts für sie eingerichtet werden, was sich allerdings doch noch verzögerte. »Großer Dank gebührt General Kautz und den Offizieren seines Kommandos in diesem Posten [Fort Stanton] für ihre freundliche und generöse Behandlung, die diese Indianer durch sie erfuhren«, heißt es in dem Bericht, in dem an anderer Stelle auch ausgesagt wird, es sei billiger, die Indianer zu versorgen, als gegen sie zu kämpfen. Pope ließ sich in seinem Report auch noch über die Segnungen aus, die das Heranführen der Indianer an die Zivilisation mit sich bringen würde, und konnte stolz berichten, dass der Mescalero-Häuptling Cadete den Wunsch geäußert habe, die Kinder seines Stammes zur Schule zu schicken. Cadete, wie ihn die Mexikaner nannten, hieß eigentlich Gian-nah-tah (»Immer bereit«) und hatte sich schon länger darum bemüht, seinen Stamm aus den Auseinandersetzungen mit den Weißen herauszuhalten, und war darin relativ erfolgreich gewesen. Häufig gab er von Mescalero gestohlenes Vieh an die Weißen zurück und wurde nach der Besiegung seines Volkes durch Kit Carson der einflussreichste Sprecher seines Stammes. Er informierte auch die Weißen über den geplanten Auszug aus der Reservation von Bosque Redondo und bemühte sich in der Zeit, in der die Mescalero im Llano Estacado hausten, um die Vermeidung von Feindseligkeiten. Nach der Rückkehr nach Fort Stanton strebte er weiterhin ein gutes Verhältnis zu den Weißen an. 1872 begab er sich nach Mesilla, um dort gegen mexikanische Whisky-Händler auszusagen, die den Indianern verbotenerweise Whisky verkauften, und wurde auf dem Heimweg ermordet – vermutlich aus Rache von eben diesen Händlern.

Zusammenfassend kann man über Kautz’ Rolle bei der Befriedung der Mescalero sagen: Was er tat, war, dass er die Mescalero, die nach Fort Stanton kamen, um dort die Möglichkeit einer Rückkehr in ihr Land zu erörtern, anständig behandelte. Das hatte zur Folge, dass nach und nach immer mehr Mescalero zurückkehrten. Nach dem Herbst 1865, als die Mescalero aus dem Bosque Redondo-Reservat geflohen waren, hatten die Amerikaner den Stamm für sechs bis sieben Jahre mehr oder weniger aus den Augen verloren. Man wusste, dass sich ein Teil im Llano Estacado aufhielt, andere Mescalero nach Mexiko geflohen waren, weitere in den Bergen streiften und wieder andere sich den Mimbreno-Apachen angeschlossen hatten. Erst 1872 kehrte der größere Teil der Mescalero in ihre Heimat zurück, wo dann ein Jahr später die zugesagte Reservation für sei eingerichtet wurde. In der Folgezeit verhielten sie sich meist friedlich. Sie wurden »zwangszivilisiert«, d.h. mussten ihr Haar kurz tragen und Kleider der Weißen anziehen, sie durften nicht mehr tanzen und mussten ihre Stammeszeremonien auf den 4. Juli, Weihnachten und das Erntedankfest beschränken. Aber im Lauf der Zeit ging es ihnen besser. Etwa 3000 Mescalero leben heute auf dem Reservat und sind, vor allem durch das von ihnen betriebene Casino, relativ wohlhabend und einer der größten Arbeitgeber in Neu Mexiko.

In Arizona kommandierte General George Stoneman (1822–1894), der eine zweifelhafte Politik verfolgte. In seine Amtszeit fallen das schreckliche Camp Grant Massaker am 30. April 1871, in dem 108 Indianer – davon etwa 100 Frauen und Kinder – von weißem Pöbel umgebracht wurden, und die Niederlage der berüchtigten »Fliegenden Schwadron« von Leutnant Cushing am 5. Mai 1871. Howard Cushing, ein kühner Offizier, den wir bereits im Zusammenhang mit Oberst Kautz und den Kämpfen gegen die Mescalero erwähnt haben – er war bei seinen Soldaten sehr geachtet - hatte Anfang 1870 mit einem Feldzug gegen die Apachen in den Pinal-Bergen Aufsehen erregt. Damals hatte ihn der deutschstämmige Joe Felmer als Scout begleitet. Beinahe hundert Indianer waren dabei gefallen. Ein Jahr später wollte Cushing von Fort Lowell bei Tucson aus gegen Cochise reiten, um dessen Macht endlich zu brechen. Nur etwa zwanzig Soldaten begleiteten ihn, unter ihnen die Deutschamerikaner Fichter und Kilmarten. Er geriet in einen Hinterhalt des Chiricahua-Führers Juh (gest. 1883) und kam mit einigen seiner Soldaten ums Leben.

Stonemans Nachfolger wurde General George Crook (1828–1890), der bei den Apachen geachtet war - sie nannten ihn den »Grauen Fuchs«. Er schaffte in teilweise grausamen Kämpfen die meisten Stämme in die Reservate. Mit Cochise Frieden zu schließen, gelang allerdings nicht ihm, sondern dem Sonderbeauftragten von Präsident Ulysses Simpson Grant (1822–1885, Amtszeit 1869–1877), General Oliver Otis Howard (1830–1909), für den Crook nur Spott übrig gehabt hatte (1872). Aber auch Howards ehrlich gemeinte Versprechungen wurden von der Regierung nicht gehalten. Auf der Reservation, die für sie in ihrer Heimat angelegt worden war, wurden die Chiricahua in verschiedener Weise betrogen und gedemütigt. Bei einer Gelegenheit musste der Agent Thomas J. Jeffords (1832–1914) aus eigener Tasche Vorräte kaufen, weil die Regierungslieferungen ausblieben. Nur weil Jeffords, der an der Friedensmission Howards beteiligt war, sich bereit erklärt hatte, Agent für die Chiricahua zu werden, hatte sich Cochise überhaupt zum Frieden entschlossen, mit Jeffords verband ihn schon seit vielen Jahren eine enge Freundschaft – Jeffords hatte sogar in seinen Erzählungen daraus eine Blutsbrüderschaft gemacht, aber das gehört in den Bereich Legende. Blutsbrüderschaften gab es, wie wir heute wissen, bei den Indianern so gut wie nicht. Durch die ständigen Sorgen um seinen Stamm bekam Cochise ein Magenleiden, er starb am 8. Juni 1874.

Howard richtete eine neue große Reservation am Gila ein, das San Carlos Reservat. Ursprünglich lebten hier die Reste der unglücklichen Überlebenden des Camp Grant- Massakers unter dem friedlichen Eskiminzin (ca. 1825–1890), bald aber wurden verschiedene der von Crook gestellten Banden hierher geschafft. Sie allerdings hielten sich nicht lange friedlich. Die Unruhestifter waren die Häuptlinge Chunz und Cochinay; auf der Camp Grant Reservation schloss sich ihrem Aufruhr der grimmige Delshay (ca. 1835–1874) an. Seine Absicht aber, den Agenten Walter Schuyler umzubringen, wurde von dem Chef-Scout auf dem Reservat Al Sieber durchkreuzt. Al Sieber gehörte zu den bedeutendsten Gestalten der Grenzgeschichte Arizonas. Hätte Karl May für seine Gestalt Old Shatterhand ein historisches Vorbild gehabt, so hätte es Al Sieber sein müssen. Kein anderer Weißer kannte die Apachen besser als er.
 

Al Sieber

Al Sieber, 1862

 
Geboren wurde Sieber am 29. Februar 1844 in Baden, das kurz vor der Revolution stand. Sein Vater starb bald nach seiner Geburt, und die Mutter wanderte 1849 nach Pennsylvanien aus. Hier besuchte Al die Schule. 1856 starb auch die Mutter, und Al zog zu einer Schwester nach Minneapolis in Minnesota, wo er auf Farmen und Sägemühlen seinen Lebensunterhalt verdiente. Im Bürgerkrieg kämpfte er unter dem Namen Albert Sebers auf verschiedenen Kriegsschauplätzen, in der Schlacht von Gettysburg wurde er so schwer verletzt, dass er ein halbes Jahr im Lazarett lag. Er kehrte noch einmal zur Armee zurück und wurde 1865 ehrenhaft ausgemustert.

Im nächsten Jahr machte er sich nach Westen auf, um sein Glück in den Goldfeldern von Nevada und Kalifornien zu versuchen. Erfolg hatte er keinen, so schloss er sich 1868 einigen Männern an, die Pferde nach Arizona trieben, und kam so ins Apachenland. Bald war er Vormann auf einer großen Ranch. Hier gab es nur wenige verstreute Siedler, die unter ständigen Angriffen der Apachen zu leiden hatten. Von den Soldaten konnten sie nur wenig Schutz erwarten, sie mussten zur Selbsthilfe greifen, und Sieber errang sich bald einen Namen unter den Weißen, weil er die Verteidigung gegen die Apachen organisierte. Als der Führer der Siedler brachte er den Indianern eine empfindliche Schlappe bei, tötete eine Anzahl von ihnen, verjagte den Rest und rettete Hab und Gut der Siedler und ihr Vieh. Für seine Tapferkeit war er schon damals weit bekannt, die Armee wurde auf ihn aufmerksam, 1871 stellte sie ihn als Scout an, und von 1871 bis zum Herbst 1890 diente er als Chef-Scout in Arizona, zu einer Zeit, als dieser Posten zu den gefährlichsten in den Staaten gehörte. Als Scout, Dolmetscher, Führer des Militärs und Führer in Verhandlungen wurde Sieber zu einer legendären Gestalt und zu einem der berühmtesten Pfadfinder der Grenzgeschichte des Territoriums Arizona. Auch er ist hierzulande nahezu unbekannt geblieben. Seine Findigkeit, Zähigkeit und Schlauheit übertrafen die der meisten Indianer. Sehnig und breitschultrig gebaut, ein Hüne von etwa einem Meter neunzig, mit einem Gewicht von fast zwei Zentnern, war er außerordentlich stark, tapfer, entschlossen und besaß eine ungeheure Ausdauer, die ihn größere Entbehrungen ertragen ließ, als sie die meisten Indianer ertragen konnten. Die Apachen nannten ihn »Mann aus Eisen«, er selbst lehnte jeden Spitznamen ab und war Weißen und Indianern einfach als »Sieber« bekannt.

Er hatte dunkle Augen und dunkles, langes Haar und sah gut aus. Er war ein unvergleichlicher Gewehrschütze und konnte mit seinen Scouts pro Tag 60 Meilen weit marschieren. Im Umgang mit anderen zeigte er sich meist zurückhaltend, manchmal kam ein roher, etwas derber Humor zum Ausbruch, vor allem während seiner Freizeit, die er oft mit Trinken und Spielen zubrachte, weil ihm ein häusliches Leben völlig fehlte – er heiratete nie. Aber er war ein wertvoller Kamerad und besaß viele Freunde. Sein hoher Ehr- und Gerechtigkeitssinn wurden ebenso sprichwörtlich wie seine völlige Furchtlosigkeit.

Die grundlegende Indianerpolitik Crooks zielte unter anderem dahin, Apachen-Scouts anzuwerben und mit diesen ihre Rassegenossen zu bekriegen. Sieber kommandierte diese Truppen auf Feldzügen und war bisweilen der einzige Weiße, der sie begleitete. Das verschaffte ihm eine tiefe Einsicht in den Charakter und die Psyche der Apachen, er lernte ihre Dialekte und gewann das absolute Vertrauen und den Respekt seiner Leute. Es konnte vorkommen, dass er Apachen, gegen die er eben noch gekämpft hatte, bald danach als Scout anwarb, und kaum einer fand sich, der ihn betrog. Obwohl er unbeugsam war, wenn er sich durchsetzen musste, verhandelte er mit den Indianern ehrlich und fair – aber seine Willensstärke und sein Mut wirkten so unüberwindlich, dass sich jeder unter seiner Führung geborgen fühlte. Übeltäter erschoss er, wenn er es für richtig hielt, ohne Bedenken mit eigener Hand. In den Kämpfen soll er persönlich 50 Indianer getötet haben, selber wurde er durch Kugeln oder Pfeile 29mal verwundet. Verschiedentlich verhandelte er mit Häuptlingen, die einen Aufstand planten, und da er Strenge mit Gerechtigkeit paarte, gelang es ihm, die Banden unter Kontrolle zu bringen. Seine Teilnahme an zahllosen Expeditionen gegen die Apachen kann hier nicht im Einzelnen dargestellt werden.

Der Aufstand 1873 wurde bald niedergeschlagen. Cochinay fiel in diesem Jahr, Chunz ein Jahr später, und auf Delshay wurde ein Kopfgeld ausgesetzt, das auch –von Angehörigen seines eigenen Stammes – eingelöst wurde. Die Apachen wurden auf die Reservate zurückgebracht. Zunächst herrschte Ruhe. Der Agent in San Carlos, John Clum (1851–1932), der »von den Indianern geachtet wurde, weil er sie achtete«, hatte eine glückliche Hand im Umgang mit den Apachen und konnte 1875 sogar verantworten, dass das Militär von San Carlos abzog. Aber bald wurden alle Erfolge wieder zunichte. 1874 ging der Oberbefehl über die Reservationen vom Kriegsdepartment auf das Indian Bureau über, und dieses heckte eine »Konzentrierungspolitik« aus, nach der alle Apachen nach San Carlos gebracht werden sollten. Das heißt, man nahm ihnen das Land, auf dem man sie angesiedelt hatte und »das ihnen für immer gehören sollte«, wieder einmal weg; und als man 1875 mit der Umsiedlung begann, wagten die meisten Indianer nicht, sich zu widersetzen. Crook wurde in diesem Jahr nach Norden versetzt, wo er im Krieg gegen die Lakota und Cheyenne eine wenig rühmliche Rolle spielte, und brauchte nicht mitanzusehen, wie seine Befriedung der Apachen durch die unsinnige Politik zunichte gemacht wurde. Sein Nachfolger wurde sein West Point-Klassenkamerad Kautz, der inzwischen zum Obersten befördert worden war. Am 22. März 1875 übernahm der untersetzte, bärtige Mann Crooks Aufgabenbereich. Wie er bemühte er sich um das Vertrauen der Indianer. Er versuchte, seine Politik fortzusetzen, und einige Monate glückte es ihm, die Ruhe auf den Reservaten zu bewahren. Auf die Feststellung des Kommissionärs für indianische Angelegenheiten, er glaube jetzt, dass niemand mehr die Richtigkeit des Entschlusses, alle Apachen nach San Carlos zu bringen, in Frage stelle, antwortete Kautz heftig, nach seinen Beobachtungen gäbe es niemanden, der die Removal-Politik bejahe, abgesehen von den Leuten im Indian Department – der Erfinder der Removal-Politik, der Indianerbeauftragte Smith, wurde später von Carl Schurz entlassen!

Als das Indian Bureau die Umsiedlung der White Mountain Apachen nach San Carlos anordnete, baten die Indianer Kautz, in Washington für sie zu intervenieren. In der Antwort auf sein Gesuch warf man ihm »Feindseligkeit gegen die Friedenspolitik« vor. Vergeblich protestierte Kautz gegen die Zusammenführung der Apachen in San Carlos. Auch die Chiricahua unter Cochise’ friedlichem Sohn Taza wurden unter Brechung aller Verträge und Versprechungen nach San Carlos geschafft (1876). Im Spätsommer 1876 reiste Clum mit Taza und anderen Apachen nach Washington, wo Taza an einer Lungenentzündung starb. Als sein Tod bei den Apachen bekannt wurde, hielten sich viele Krieger nicht mehr an ihre Friedensversprechen gebunden und flohen in die Berge. Die Führer dieser neuen Generation waren Nachise (ca. 1857–1921), ein anderer Sohn von Cochise, Nana (ca. 1810–1895), der bereits erwähnte grimmige Juh und der schlimmste von allen, der fanatische Goyatlay, »der Gähnende«, den die Mexikaner Geronimo nannten. Im Juni 1829 geboren, war er als Zaubermann der Chiricahua ausgebildet worden. In der Zeit, als Cochise mit den Amerikanern in gutem Verhältnis lebte, kamen die Apachen auch mit den Mexikanern leidlich aus und tauschten mit ihnen in Casa Grandes Waren. Als sie 1858 einmal vom Tausch zu ihrem Lagerplatz zurückkehrten, war er von Mexikanern zerstört, und auch Geronimos Familie war fast gänzlich ausgelöscht. Geronimo hat ihren Tod so bitter gerächt, dass noch lange in Mexiko unartigen Kindern mit seinem Namen gedroht wurde.
 

Geronimo

Geronimo

 
Oberst Kautz gehörte zu den wenigen Offizieren, die die Misere der Indianer erkannten und sich daher in der Wahl ihrer Mittel sehr mäßig zeigten. Vielleicht ist das auch der Grund, warum über Kautz in der gängigen Literatur kein Wort zu finden ist, in der ganz überwiegend nur die Schattenseiten der indianischen Geschichte behandelt werden. Er zählt nicht zu den sogenannten »Helden« der amerikanischen Wildwest-Geschichte. Dafür schuldeten ihm die Indianer umso größeren Dank.

Charakteristisch für Kautz’ Einstellung war z.B. folgende Episode: Im Mai 1877 kam es im Fort Bowie-Gebiet zu Unruhen, in der Nähe des Postens wurden zwei Postreiter getötet. Kautz weigerte sich hartnäckig, einen schweren Vergeltungsschlag zu üben, bis er sichere Kunde über die Anzahl der beteiligten Indianer erhalten hatte. Natürlich wurde Kautz bei einer derartigen Haltung Ziel vieler Angriffe seitens der Siedler und der Territorial-Behörden, die seine Ablösung forderten und ihm Untätigkeit vorwarfen. In Wahrheit befahl Kautz schon im Juli 1876 regelmäßige Patrouillenritte, und im nächsten Jahr wurde die Aktivität noch gesteigert. Am Nordende der Huachuca-Berge ließ Kautz ein neues Fort bauen, um die Truppenstärke in Südost-Arizona zu vergrößern.

Unterstützung fand Kautz, so seltsam es klingen mag, bei Geronimo. Dieser war im April 1877 von Clum in Neu Mexiko gestellt worden, man sperrte ihn ein, aber der Prozess wurde ihm nicht gemacht, auch sonst wurden die Verhältnisse der Apachen nicht befriedigend geregelt, zu guter Letzt wurde sogar wieder Militär nach San Carlos verlegt, worauf Clum entrüstet zurücktrat und damit Jeffords Beispiel folgte. Aber Geronimo blieb friedlich, seine Farm wurde die vorbildlichste in San Carlos, und viele Krieger schlossen sich seiner Haltung an.

Bemerkenswerterweise wurde die Kritik an Kautz umso größer, je größer seine Erfolge wurden. Ende 1877 waren die meisten Apachen ins Reservat zurückgeschafft, für Monate war der Friede in den meisten Teilen Arizonas wieder hergestellt. Dennoch wurde Kautz im März 1878 durch General Orlando B. Willcox (1823–1907) abgelöst.

Es gab noch weitere deutschstämmige Offiziere im Krieg gegen die Apachen, wenn auch nicht so rühmliche wie Kautz. Emil Adam (1831–1903) aus Homburg in Bayern verhinderte 1874 nicht die Flucht des Apachen-Führers Eskiminzin (ca. 1825–1890) von San Carlos und wurde deshalb verurteilt, obwohl an seinem angeblichen Fehler offenbar seine Vorgesetzten mit schuld waren. Später diente er unter General Crook am Rosebud und in den Kämpfen gegen die Nez Percé. Der bereits erwähnte Joseph Felmer (ca. 1830–1904) aus Preußen kam auf abenteuerlichen Wegen nach Arizona, wo er 1865 eine gr0ße Ranch gründete und eine Apachin heiratet, die leider schon vor 1870 starb. Freundschaften oder Sympathien zwischen deutschen Siedlern in Arizona und Neu Mexiko und Apachen gab es allerdings, im Gegensatz zu den früher geschilderten Freundschaften zwischen Deutschen und Irokesen, Delawaren und Comanchen, nicht; dazu waren wohl die Verhältnisse zu rau. Felmer diente vielen Offizieren als Scout und Führer gegen die Indianer. Guido Ilges (1835–1918) aus Ahrweiler bei Koblenz war von 1865 bis Mitte der 70er Jahre in Arizona gegen die Apachen eingesetzt; von Camp Grant aus schloss er, damals Oberst, einen Friedensvertrag mit den Arivaipa und einigen Tonto und Pinal, die sich einverstanden erklärten, auf eine Reservation zu ziehen. Doch es gab US-Generale, denen dieser Vertrag angeblich zu lasch war – allerdings, als er 1868 ohne Ilges‘ Zutun, neu verhandelt wurde, waren die Bedingungen für die Apachen so unakzeptabel, dass sie, nachdem sie ihre Rationen erhalten hatten, in die Berge flohen. Später nahm Ilges am Krieg gegen die Nez Percé teil und führte Expeditionen gegen die Lakota und Cheyenne – ihm ergab sich der prominente Lakota-Häuptling Gall (1840–1894).

Kautz diente von 1878 bis 1886 in Kalifornien, danach in Nebraska, und schließlich kommandierte er das Department Columbia. 1891 wurde er zum Brigadegeneral befördert, aber schon ein Jahr später zog er sich aus dem Militärdienst zurück und ließ sich in Seattle nieder, wo er 1895 starb. Er genoss den Ruf eines ungewöhnlich integren, ehrenhaften, intelligenten und fleißigen Offiziers. Er hinterließ diverse Schriften, und seine umfangreichen und ausführlichen Tagebücher von 1857 bis 1895, 27 Bände, die in der Kongressbibliothek in Washington aufbewahrt werden, sind von unvergleichlichem historischem Wert.

Der Krieg gegen die Apachen ging weiter. Auch Willcox protestierte vergeblich gegen die Removal-Politik. Der große Unruhestifter zu Beginn seiner Amtszeit war der von den Weißen vielfach betrogene Victorio (geb. ca. 1825), der es meisterhaft verstand, sich gegen die Soldaten zu behaupten. Aber auch sein Ende war nur eine Frage der Zeit. Am 15. Oktober 1880 wurde er mit seinen Leuten von Mexikanern niedergemacht. Victorios Schwester Lozen (ca. 1848–1887; nach neueren Erkenntnissen 18801889) war übrigens seine ›Medizinfrau‹ und spirituelle Führerin – sie konnte die Nähe von Feinden erspüren und war eine geniale Kriegerin und Pferde-›Diebin‹; als ihr Bruder fiel, war sie leider nicht anwesend. Es heißt, dass sie als junges Mädchen in einen Weißen verliebt war, der – ein Deserteur, den die Apachen vor den ihn verfolgenden Kavallerie retteten – eine Zeitlang bei dem Stamm lebte, und als er wegging, hat sie keinen Mann mehr akzeptiert – der Weiße, genannt der ›Graue Geist‹, war offenbar ein Deutscher gewesen. In den letzten Jahren ist übrigens umstritten, ob Lozen die ihr in der Tradition der Apachen zugeschriebene Rolle wirklich gespielt hat, und ob es sie  vielleicht sogar gar nicht gegeben hat und sie möglicherweise nur eine  Legende gewesen ist.

Nach Victorios Tod teilten sich die in Mexiko hausenden Apachen in mehrere kleine Banden. Eine führte der siebzig Jahre alte Nana, der 1881 in Arizona einfiel und den Soldaten mit unglaublichem Geschick immer wieder entkam. Willcox machte jedoch damit von sich reden, dass er den Aufstand niederschlug, den der Zaubermann Nock-ay-del-klinne 1881 inszenierte. Aber nur wenig später, im September, brachte Juh den Leiter der Agenturpolizei in San Carlos, Albert Sterling, um und machte sich mit Geronimo, Nachise, Chato (ca. 1860–1934) und Chihuahua davon, die alle von des Zaubermannes Prophezeiungen mitgerissen waren. Leutnant John Blake nahm unter Siebers Führung die Verfolgung auf, doch die Soldaten suchten vergebens. Anfang 1882 kehrten Nachise, Chihuahua und Juh in die Reservation zurück und zwangen den seit einiger Zeit friedlichen Mimbreno-Führer Loco (gest. 1905), sich an ihren Streifzügen zu beteiligen. Nach mehreren vergeblichen Vorstößen der Truppen entdeckte Sieber nach wochenlangem Suchen Locos Lager Ende April 1882 in Mexiko, das Captain William Rafferty ohne Umschweife angreifen ließ. Doch Loco entzog sich geschickt den Soldaten.

Am 17. Juli 1882 fiel der Scout Captain J. L. »Cibicue Charlie« Colvig den Indianern von San Carlos zum Opfer. Nach dem Anschlag flohen etwa 75 Apachen unter Na-ti-o-tish und zogen sengend und mordend in die Berge. Kavallerie unter dem alten Haudegen Captain Adna R. Chaffee (1842–1914) nahm die Verfolgung auf. Scouts unter Sieber begleiteten sie. Der Weg durch das Tonto-Becken und entlang der Mogollon-Berge verzehrte die Kräfte der Pferde, und die Flüchtlinge waren längst durch Rauchsignale vom Nahen der Soldaten in Kenntnis gesetzt. Am Rand eines über 300 Meter tiefen Canyons oberhalb eines Nebenflusses des East Clear Creek sammelten die Indianer Felsbrocken, um sie auf die Soldaten hinunterzustürzen, sobald sie unten durchritten. Sieber, der mit seinen Scouts den Weg erkundete, entdeckte die Falle; die Kavalleristen schwärmten aus und umzingelten die Apachen, während ein Teil die Aufmerksamkeit der Indianer auf sich lenkte. Im nachfolgenden Kampf wurden zweiundzwanzig Indianer, unter ihnen der Anführer, aus ihren Felsnestern geschossen; der Rest entkam in der Dunkelheit.

Anfang September 1882 kehrte Crook, der »Graue Fuchs«, wie er bei den Apachen hieß, nach Arizona zurück. Alle bedeutenden Häuptlinge befanden sich zu der Zeit mit ihren Banden in Mexiko. Auch Crook vermochte zunächst nichts auszurichten. Erst als ein Apache namens Tso-ay (Tsoe, ca. 1853–1933) – bei den Weißen hieß er wegen seiner hellen Haut »Peaches« (Pfirsiche) – Chatos Bande verließ und, zu Crook gebracht, erklärte, er werde ihn zu dem Lager seiner Stammesgenossen führen, winkte Crook das Glück. Mit allen verfügbaren Soldaten, geführt von Sieber und seinen Scouts, verließ Crook am 1. Mai 1883 Fort Willcox und setzte sich mit solcher Hartnäckigkeit auf die Fährten der Apachen, dass sie schon Ende des Monats kapitulierten. Crook behandelte die Anführer menschlich und schaffte so zwei Jahre Ruhe im Apachenland. Loco begrub das Kriegsbeil für immer, was die Armeeführung nicht hinderte, auch ihn 1886 nach Florida in die Verbannung zu schicken.

Noch immer war der Apachenkrieg nicht beendet. Als man den Apachen neben dem Genuss des Feuerwassers auch den des vergleichsweise harmlosen »Apachenbieres«, des Tiswin, verbot, fühlte sich Geronimo nicht mehr an sein Friedensversprechen gebunden und brach im Mai 1885 mit einer kleinen Schar aus dem Reservat aus. Sicher war aber weniger das Verbot des Tiswin schuld an dem Aufstand als Geronimo selbst, der zu viel Hass im Herzen trug, als dass er es lange im Frieden ausgehalten hätte. Dazu gesellten sich Gerüchte über mögliche Verhaftungen und Unzufriedenheit über das Leben auf dem Reservat. Hieran war Sieber nicht unschuldig, aber in Anbetracht seiner vielen Verdienste überging man seinen Fehler, der in einer Fehlinterpretation des Verhaltens der Apachen bestanden hatte. Wieder wurde das Grenzgebiet verheert, sechs Indianer fielen – und 73 Soldaten und Siedler. Crook, schier am Verzweifeln, sandte Kavallerie unter Captain Emmet Crawford, der im nächsten Jahr von Mexikanern erschossen wurde, mit 92 Indianerscouts unter Sieber ins Feld. Schon Ende Juni stießen die Scouts auf Geronimos Lager, aber der verwegene Häuptling entkam; und ein weiteres halbes Jahr entging er immer wieder den zahlenmäßig weit überlegenen Truppen.

Sieber wurde unterdes vorübergehend von seinem langjährigen Gefährten, dem deutschstämmigen Tom Horn (1860–1903), der später wegen des angeblichen Mordes an einem 14Jährigen gehenkt wurde, als Chef-Scout vertreten. Daher nahm er an den letzten Kämpfen gegen Geronimo nicht teil. Es dauerte noch bis zum September 1886, 5000 Soldaten wurden aufgeboten, Crook wurde durch General Nelson Appleton Miles (1839–1925) ersetzt – dann erst gelang es, Geronimo zum Frieden zu bewegen. Fast alle Chiricahua und Mimbreno wurden nach Florida deportiert, darunter selbst freundliche, die geholfen hatten, den Krieg zu beenden. Erst 1894 durften sich die Indianer wenigstens in Fort Sill niederlassen. Dort starb Loco Anfang des 20. Jahrhunderts, und Geronimo im Jahre 1909. 1907 gestattete man 250 Apachen, sich den Mescalero anzuschließen, der Rest musste bis nach dem Ersten Weltkrieg in Fort Sill bleiben. Dann erst sahen diese Apachen ihre Heimat wieder. Nachise starb 1921.

Meistens wird das Ende des Apachenkrieges mit Geronimos Kapitulation gleichgesetzt. In Wahrheit gab es noch kein Ende. Einen Privatkrieg führte noch bis etwa 1889 der Apache Massai, der dem Gefangenenzug nach Florida entkommen war. Er war so wild, dass niemand jemals seine volle Geschichte erfuhr. Nach ihm erregte noch einmal ein Apache Schrecken, Ski-Be-Nan-Ted (ca. 1865–ca. 1894) , ein ehemaliger Scout Siebers, der unter Weißen aufgewachsen war. Sein Vater war ein bekannter Häuptling, der 1887 von Indianern in San Carlos getötet wurde. Apache Kid, wie der damals 22-jährige Ski-Be-Nan-Ted später genannt wurde, wollte die Mörder verfolgen, erhielt aber nicht die Erlaubnis, das Reservat zu verlassen. Daraufhin stahl er sich heimlich fort und brachte die Mörder um. Als er zurückkehrte, sollte er von Sieber festgenommen werden. Widerstrebend gehorchte der alte Scout und erklärte dem jungen Mann den Grund seines Kommens. Was dann geschah, ist mit letzter Sicherheit nicht mehr geklärt worden. Es scheint aber, dass gegen den Willen Ski-Be-Nan-Teds seine Begleiter das Feuer auf Sieber eröffneten und ihn niederschossen und dann in die Berge flohen. Sieber überlebte, aber ein Bein blieb seitdem für immer gelähmt. Apache Kid schüttelte die Verfolger ab, kehrte aber später zum Reservat zurück, um unter seinem Volk Schutz zu suchen. Dann ergab er sich; man machte ihm den Prozess und verurteilte ihn 1889 zu zehn Jahren Gefängnis. Aber als er die Strafe antreten sollte, gelang es ihm, sich und andere Apachen zu befreien, er tötete das Bewachungspersonal und floh. Militär, das ausgesandt wurde, ihn zu fangen, gelang es nicht, ihn aufzuspüren. Sieber, der an der Verfolgung teilnahm, hatte seine frühere Beweglichkeit verloren und fand diesmal keine Spuren mehr. Als er außerdem 1890 von seinem Posten als Chef-Scout entlassen wurde, war die Chance, Apache Kid zu finden, nur mehr ganz gering. Sieber, der für seinen Gerechtigkeitssinn bekannt war, setzte sich für die Indianer auf San Carlos ein, die von dem Agenten betrogen und schlecht behandelt wurden. Eskiminzin, einer der führenden Häuptlinge hier, hatte noch kurz vor seinem Tode – er starb 1890 – besonders unter den Intrigen der Agenten zu leiden, wurde schikaniert und bewahrte dennoch den Frieden, gerade Eskiminzin, dessen ganze Familie dem Camp Grant Massaker zum Opfer gefallen war. Eine Zeitlang musste auch er in Florida hausen, weil man ihn beschuldigte, mit Apache Kid zu sympathisieren. Sieber prangerte den Agenten John Bullis (1841–1911) an, einen Veteranen des Apachen-Krieges, der den Indianern alles andere als wohlgesonnen war, und wurde daraufhin am 1. Dezember 1890 von Bullis entlassen.

Hohe Prämien wurden auf des Apache Kid Kopf ausgesetzt, aber er blieb verschwunden. Zuletzt wurde er 1894 gesehen. Verschiedene Legenden erzählte man sich von ihm, aber wie Massai war er eines Tages dem Gesichtskreis entschwunden. Sicher war Apache Kid nicht einfach ein Bandit, wie er von Dee Brown genannt wird. Der letzte amtlich gemeldete Apachen-Überfall fand im Jahre 1900 in Chihuahua auf eine Mormonensiedlung statt.

Al Sieber erhielt lange keinen Dank, keine Bezahlung im Alter und fand nach seiner Entlassung nur noch wenig Beachtung. Er ließ sich in Globe nieder und verdiente sich seinen Lebensunterhalt mit der Schätzung des Wertes von Minen, die er früher ausfindig gemacht hatte. Als 1905 mit dem Bau des Roosevelt-Dammes begonnen wurde, übernahm Sieber die Leitung der Apachen, die die Straßenarbeiten verrichteten. 1907 wurde während des Baus eine Felsspitze weggesprengt, die einen großen Geröllblock zurückließ; dieser balancierte unsicher auf einem kleineren Stein. Sieber hatte sich während der Apachenkriege nicht gescheut, auf Indianer zu schießen, aber er erkannte hier die Gefahr und hielt die Apachen zurück, um selbst den Stützstein herauszuschlagen. Wegen seines lahmen Beines konnte er nicht schnell genug zurückspringen und wurde von dem nachstürzenden Fels getötet. Das geschah am 19. Februar 1907. Mit militärischen Ehren wurde er in Globe beigesetzt. Als sein Tod in Phoenix bekannt wurde, verschob die gesetzgebende Versammlung ihre Sitzung auf den folgenden Tag, um damit seinem Andenken Ehre zu erweisen. Auf dem Friedhof in Globe errichtete ihm die Territorialbehörde ein Denkmal; ein zweites wurde ihm an der Stelle, an der er gestorben war, gesetzt – hierfür gaben die Apachen die Anregung, und sie halfen bei der Aufstellung. Der Berg, auf dem dieses Denkmal steht, trägt den Namen »Sieber«. Bei den Apachen blieb der »Mann aus Eisen« unvergessen. Man hat ihm öfter unterstellt, er sei ein Feind der Apachen, rachsüchtig und brutal, aber das ist nicht wahr – er war einer der besten Freunde, die die Apachen jemals fanden.

Sieber wurde von Historikern zu den hervorragendsten Gestalten der Grenzgeschichte Arizonas gezählt und neben Persönlichkeiten wie Clum oder Mangas Coloradas gestellt. Der bedeutendste Apachen-Führer war Cochise. Sein Grab ist unbekannt geblieben. Der Berg Say Yahsedut, auf dem nach dem Glauben der Apachen die Toten hausen, heißt Cochise Head, weil seine Form an das Gesicht des Häuptlings erinnert. Im Stronghold Canyon in der Nähe des Apachenpasses ist das »Ghostland« von Cochise – hier ernten die Apachen keine Ahorns.

    


  

Die letzte Grenze

Karl Mays Väter – Die Geschichte der Deutschen im Wilden Westen