Teil III
Mittelalter
Die Humanisten des 15. und 16. Jahrhunderts waren es, die den Begriff des
Mittelalters einführten, als Bezeichnung für die Epoche zwischen dem Ende der
Antike und der Renaissance. Für sie war diese Epoche gekennzeichnet vom Verfall
der lateinischen Sprache und Bildung, während in der Renaissance eine
Wiedergeburt antiker Gelehrsamkeit einsetzte. In der Zeit der Aufklärung sprach
man dann vom »finsteren Mittelalter«, das man verachtete, und umgekehrt wurde
diese Ära von den Romantikern verklärt – sie idealisierten sie als Zeitalter
einer gläubigen und ritterlichen Gemeinschaft eines christlichen Abendlandes.
Und so viele gegensätzliche Ansichten und grundsätzliche Bedenken es auch
dagegen gab: der Begriff hat sich gehalten. Schwierigkeiten bereitet nach wie
vor die zeitliche Abgrenzung. Wir brauchen diesen Diskussionen im Einzelnen
nicht nachzugehen und nur festzuhalten, dass sich als Ergebnis der
Völkerwanderung und der islamischen Expansion im 8. Jahrhundert eine
Mächtekonstellation herauskristallisierte, in der Byzanz, das Reich der Kalifen
und das Fränkische Reich die führende Rolle spielten. Später übernahmen das
Heilige Römische Reich (deutscher Nation, wie später hinzugefügt wurde) und
Frankreich eine Vormachtstellung, aber auch die übrigen »Reiche« – ob im Westen,
England beispielsweise, Norden (Dänemark), Süden (Spanien, Portugal) oder Osten
(Polen, Russland) erwiesen sich im Laufe der Zeit als immer mächtiger. Vom 5.
/6. Jahrhundert bis zum 10./11. spricht man vom Frühmittelalter; danach bis etwa
Mitte des 13. Jahrhunderts schloss sich das Hochmittelalter an, berühmt vor
allem durch die Blüte des Rittertums und als Zeitalter der Kreuzzüge; und dann
folgte noch das Spätmittelalter, das mit den großen Entdeckungen (Columbus
1492), der Reformation (1517) und der Wiederentdeckung der Antike im Humanismus
auslief. Das Mittelalter bildete eine eigenständige Kulturepoche in Europa, die
– trotz nationaler Unterschiede – durch eine gemeinsame Grundhaltung getragen
war. Diese zeigte sich in der Gesellschaft, die ständisch geordnet war und sich
von der naturalwirtschaftlichen Adelsherrschaft bzw. dem Lehnswesen und dem
Rittertum bis zum Aufstieg des Bürgertums und des Städtewesens mit seiner
Geldwirtschaft entwickelte, in der religiösen Geisteshaltung – die Kirche
bewahrte lange Zeit die Glaubens- und Kultureinheit –, sowie in Kunst,
Wissenschaft und Literatur – man denke hier nur an die Blüte der Scholastik.
Eines kann man mit Fug und Recht sagen: rückständig und finster war diese Epoche
auf keinen Fall, nicht grausamer als unsere Zeit, sie hatte Licht und Schatten
wie alle Epochen der menschlichen Geschichte, und allenthalben finden wir
heutzutage noch ihre Spuren. Auch sie hatte ihre »Großen«.
1. Das
Fränkische Reich
Die
Franken, die »Freien« oder »Kühnen«, waren ein germanischer
Stammesverband, der sich durch den Zusammenschluss verschiedener
kleinerer Stämme am mittleren und unteren Rhein herausbildete. Erstmals
in der Geschichte tauchen sie im 3. Jahrhundert auf, als fränkische
Gruppen nach Gallien eindrangen. Ein fränkischer Kernstamm waren die
Salier vom Niederrhein, die im 4. Jahrhundert in Nordbrabant siedelten.
Im 4. und 5. Jahrhundert ließen sich Franken zwischen Lüttich und
Tournai nieder – sie wurden von Kleinkönigen aus der Dynastie der
Merowinger regiert; zu dieser Zeit siedelten die Rhein-Franken am
Niederrhein und hatten ihren Königssitz in Köln. Von Tournai aus
gründete Chlodwig dann um 500 das Fränkische Reich, wovon schon früher
die Rede war, wobei sein Übertritt zum christlichen (katholischen,
nicht arianischen) Glauben eine der wichtigsten Voraussetzungen für die
Einheit des Reiches war. Zwar wurde das Reich nach Chlodwigs Tod 511
unter seinen vier Söhnen aufgeteilt, die in Paris, Reims, Soissons und
Orléans residierten, aber insgesamt wurde es immer mächtiger: 531
geriet Thüringen unter fränkische Herrschaft, in den folgenden drei
Jahren wurde Burgund erobert, und nach und nach kamen Alemannen, Baiern
und Hessen in fränkische Abhängigkeit. Allerdings schwächten
Auseinandersetzungen zwischen Königtum und Aristokratie die Herrschaft,
und nach dem Tod König Dagoberts I. 639 bröckelten zusehends Ansehen
und Königtum der Merowinger; die eigentliche Herrschaft übten die
Hausmeier, die Verwalter, aus. Als Pippin von Heristal, später genannt
Pippin II. (gest. 714), ein Karolinger, wie das Geschlecht der
Arnulfinger später nach Karl dem Großen genannt wurde, 687 Hausmeier
des gesamten Frankenreiches wurde und in dieser Eigenschaft seinen
Zerfall verhinderte, und als dann noch sein Sohn Karl Martell (ca.
688–741) die rechtsrheinischen Stämme unterwarf und vor allem durch den
Sieg bei Poitiers über die Araber 732 die muslimische Bedrohung des
Frankenreiches abwehrte, war der Weg frei für seinen Enkel, Pippin III.
(714–768), den letzten merowingischen König abzusetzen und sich 751
selbst zum König der Franken zu erheben. So einfach war das zwar nicht,
denn ihm fehlte das königliche Geblüt, aber durch die kirchliche
Salbung, die die fränkischen Bischöfe vornahmen, und die Anerkennung
der Zeremonie durch den römischen Bischof, also den Papst, damals
Zacharias (Pontifikat 741–752), wurde die Krönung vollzogen. Als er
dann noch Papst Stephan II. (Pontifikat 752–757) gegen die Langobarden
unterstützte und die von den Langobarden besetzten und von ihm
zurückgewonnenen Gebiete dem Papst übereignete (»Pippinsche
Schenkung«), womit er die Grundlage für den späteren Kirchenstaat
schuf, war der Weg für die weitere Erstarkung des Frankenreiches
geebnet; der Weg war frei für eine so bedeutende Herrschergestalt wie
Karl den Großen, aber hier ist auch der tiefste Grund für die
verhängnisvolle weitere Geschichte der Konkurrenz zwischen
Kirche/Papsttum und Kaisertum um die weltliche Vorherrschaft zu sehen:
das karolingische Königtum, entstanden von des Papstes Gnaden, und der
Papst, abhängig vom Schutz durch den König (Patricius Romanorum), und
auch für die sicher eher weniger segensreiche Ausrichtung der deutschen
Geschichte im Mittelalter nach Italien.
Vater Europas: Karl der Große
Die Taten Karls des Großen erscheinen im Rückblick so gewaltig,
dass bereits Zweifel an seiner Existenz aufkamen. Hatte es ihn überhaupt
gegeben? Handelt es sich nicht um die größte Geschichtsfälschung in der
Geschichte überhaupt, sind nicht die Jahre 614 bis 911 schlicht dazu erfunden,
weil Kaiser Otto III. (geb. 980; König 983; Kaiser 996; gest. 1002) Kaiser des
neuen Jahrtausends sein wollte und Papst Gregor XIII. (geb. 1502; Pontifikat
1572–1585) dies bei seiner Kalenderreform kaschierte? Lassen sich damit
Ungereimtheiten und Fälschungen, mangelnde Quellen und Brüche im Kunststil
erklären, die den angeblich eingeschobenen Jahrhunderten zugeschrieben werden?
Haben nicht Kirche und Kaiser einfach einen »Überkaiser« als Ahnherrn gebraucht,
auf den sie sich beliebig für ihre Argumente berufen konnten, wenn es um
Schenkungen oder Ansprüche ging? Tatsächlich umranken kaum eine andere
mittelalterliche Herrschergestalt derart viele Sagen und Legenden wie Karl den
Großen, die im 14. Jahrhundert sogar zu einem regelrechten »Königszyklus«
vereinigt wurden, von denen das wenig geschichtsträchtige, aber um so
traurig-schönere Rolandslied nur eine ist. Aber ihn – und mit ihm fast 300 Jahre
mit all den dokumentierten Persönlichkeiten aus dieser Zeit (60 Prozent der
Quellen aus dieser Zeit werden für echt gehalten) aus der Geschichte
verschwinden zu lassen – wird von der Zunft der Historiker doch für schlicht
unmöglich gehalten; allein die Möglichkeit einer Koordination einer
gleichartigen Fälschung über derart viele Länder und in derart vielen Dokumenten
erscheint schlicht als absurd. Dazu gesellen sich dann noch Bewertungen des
Kaisers wie die eines »undeutschen Kaisers« oder gar des »Sachsenschlächters«
der Himmlerschen NS-Propaganda (letzteres machte nicht einmal Hitler mit)
einerseits oder dem heiligen Kämpfer gegen die islamischen Eroberer
andererseits, die mit dem wahren Karl auch nicht viel zu tun haben.
Karl der Große, Idealbild, gemalt 1513 von Albrecht Dürer (Wikipedia)
Manches
weiß man über Karl zugegebenermaßen nicht so genau, so kennt man seinen
Geburtsort nicht. Auch das Geburtsjahr Karls war umstritten. Allerdings geht man
heute davon aus, dass er 748 (oder 747?), wahrscheinlich am 2. April, geboren
wurde. Pippin hatte vor seinem Tode das Reich unter seinen Söhnen geteilt, aber
da Karls jüngerer Bruder Karlmann schon 771, erst zwanzigjährig, starb und Karl
dessen Söhne enterbte, regierte er nun allein über das Frankenreich, das er
zielstrebig vergrößerte. Schon 772 begannen seine Kriege gegen die Sachsen, die
erst 804 völlig ins Fränkische Reich aufgenommen und auch, zumindest äußerlich,
christianisiert waren. Diese Kriege waren grausam und blutig, aber das
sogenannte »Blutbad von Verden«, bei dem Karl 782 angeblich 4500 Sachsen
enthaupten ließ, gehört wohl auch zu den Fälschungen oder Irrtümern, die über
ihn kursierten und sich teilweise bis heute halten. So beruht die »Schlächterei«
wohl auf einem simplen Abschreibefehler: ein Kopist machte im Mittelalter aus
dem »delocati« der um 1100 entstandenen Quelle, was »umgesiedelt« bedeutet, ein
»deloccati«: »hingerichtet«, aus einer schon zu Römerzeiten üblichen
Umsiedlungsaktion also einen Massenmord.
Karl besiegte 773/774 die Langobarden, was ihm den Titel »König der
Langobarden« einbrachte. Nach Südwesten dehnte er das Reich bis zum
Ebro aus; hier holte er sich bei den Basken eine Niederlage, der
historische Hintergrund für die Rolandsage, aber errichtete die
Spanische Mark. 788 beseitigte er das Herzogtum Bayern, 791 bis 811
zerschlug er das Reich der Awaren, Böhmen wurde tributpflichtig, die
slawischen Sorben von seinem Reich abhängig (806). Im Norden gelang es
ihm, die Dänen zu befrieden, wodurch auch dort die Grenze gesichert
wurde. Der Höhepunkt seiner »Karriere« kam dann im Jahre 800, als ihn
Papst Leo III. (Pontifikat 795–816) am 25. Dezember zum Kaiser krönte.
Er war nicht etwa Kaiser des Frankenreiches, sondern »Römischer Kaiser«
– das alte Römische Reich wurde erneuert, erst 812 allerdings kam es zu
einer gegenseitigen Anerkennung des östlichen – byzantinischen – und
westlichen – römischen Kaisertums.
Damals, lange vor dem Investiturstreit, war Papst Leo gewissermaßen
Karls Untertan – Karl regelte die kirchlichen Angelegenheiten, wie es
ihm gefiel, und Leo ließ die päpstlichen Münzen nach den
Regierungsjahren Karls datieren. Karls eigentliche Leistung bestand
indes in der Verwaltung seines Reiches und seiner Förderung der Kultur.
Selbstständige Herzogtümer und Stammesorganisationen schaffte er ab; an
ihre Stelle setzte er eine Grafschaftsverfassung, an den Grenzen
richtete er je eine sogenannte Mark, einen das Reich sichernden
Grenzraum, als Grafschaft ein; Königsboten als sein verlängerter Arm
übten die Aufsicht über die örtlichen Grafen und Bischöfe aus, wenn das
auch nicht überall in seinem Riesenreich gelang. Er betätigte sich als
Gesetzgeber, wovon die Kapitularien, die Königsgesetze der Karolinger,
übrigens in lateinischer Sprache (unter Karl wurde das Spätlatein
wieder auf klassisches Niveau gebracht), Zeugnis geben, und er ließ die
Volksrechte der in seinem Reich lebenden Stämme und Völker
aufschreiben. Speziell Wissenschaft und Bildung blühten unter ihm in
der sogenannten »karolingischen Renaissance«: die Liturgie wurde
vereinheitlicht, die karolingische Minuskel entstand als
reichseinheitliche Schrift, die in ihren Kleinbuchstaben in der Antiqua
bis heute erhalten ist (Karl bemühte sich in seinen späteren
Lebensjahren rührend um das Erlernen des Alphabets), es gab eine
reichsweit verwendete Währung, den Denar. Die Ausbildung der
Geistlichkeit wurde ebenso reformiert wie das Heerwesen. An seinem Hof
versammelte er berühmte Gelehrte wie den angelsächsischen Leiter seiner
Hofschule und späteren Abt von Tour Alkuin (730–804) oder seinen
Biografen Einhard (770–840). Karl brachte auch die Kenntnis der Werke
der Antike voran. Er lebte seit 794 in seiner Residenz, der Pfalz
Aachen, wohin ihn wohl auch die heißen Quellen zogen – am Ende seines
Lebens litt er unter Gicht und Fieber. Auch das war ungewöhnlich in
seiner Zeit: ein fester Hauptsitz statt der ständigen Rundreise durch
das Reich von Pfalz zu Pfalz. 805 wurde hier die Pfalzkapelle
eingeweiht, die nach dem Vorbild von San Vitale in Ravenna errichtet
war. In ihr wurde er auch nach seinem Tode am 28. Januar 814
beigesetzt. Karl war fünfmal verheiratet und hatte nebenbei noch
Konkubinen; 18 Kinder sind von ihm namentlich bekannt. Die schöne
Alemannnin Hildegard, die er zur Frau nahm, als sie 13 war, schenkte
ihm in 12 Ehejahren sechs Kinder, darunter den einzigen überlebenden
Sohn Ludwig (geb. 778; reg. 814–840), später »der Fromme« genannt, den
er 813 zum Mitkaiser erhob – drei Jahre später erfolgte die
Kaiserkrönung. Karl maß, wie man durch die Untersuchung der
Skelettreste aus dem Aachener Karlsschrein 1843, 1945 und 1988
feststellte (vorausgesetzt, es handelte sich tatsächlich um die
Skelettreste Karls), stolze 1,90 m und war von ungewöhnlich kräftigem
Körperbau, aber nicht daher hatte er seinen Beinamen Karl der Große,
sondern aufgrund seiner Machtposition und seiner gewaltigen
integrierenden Leistung. Die Aufklärer, die sonst das Mittelalter
verachteten, zollten ihm höchsten Respekt, lobten seine Erfolge auf
allen Gebieten, seinen Charakter und seine Milde und Würde, und hoben
hervor, dass er offenbar seiner Zeit weit voraus gewesen sei. Der
Historiker Demandt zählt auch die Kaiserkrönung Karls zu den
»Sternstunden der Geschichte: »Die karolingische Renaissance leitet
jenen großen Prozess der Antikenrezeption ein, der die abendländische
Kultur zu dem gemacht hat, was sie geworden ist […] Mit der
Kaiserkrönung Karls des Großen zu Weihnachten 800 in Rom übernahmen die
Franken die römische Reichsidee. Dieses Ereignis eröffnet die Folge von
Renaissancen, ohne welche die Geistesgeschichte Europas kaum
vorstellbar wäre. Die Turbulenzen der Völkerwanderungszeit waren
überwunden, und es wurde möglich, auf allen Lebensgebieten an die
römischen Traditionen anzuknüpfen: in Staatsleben und Rechtswesen, in
Literatur und Kunst, in Wissenschaft und Technik. […] Der alte Gedanke
eines Vielvölkerstaates lebt wieder auf und mit ihm die Bemühung um die
Aneignung und Weiterentwicklung der antiken Tradition. Karl wollte die
Welt unter christlichen Vorzeichen vereinigen, wie Alexander unter
griechischen, Augustus unter römischen und Mohammed unter islamischen.
Karl der Große gehört zu den wenigen Gestalten, deren Beiname ‚der
Große’ sich ohne ernst zu nehmenden Widerspruch gehalten hat. Bei den
Franzosen und Engländern ist er Charlemagne, bei den Italienern Carolo
Magno, die slawischen Völker leiten ihr Wort für König Kralj von Karl
ab […] Die von Karl dem Großen erneuerte römische Kaiserwürde endete
zwar, als auf Druck Napoleons Franz II. sie am 6. August 1806
niederlegte. In den tausend Jahren zuvor aber war sie die höchste
weltliche Ehre, die es in Europa gab, ein Sinnbild seiner
Zusammengehörigkeit.« Der anonyme Verfasser des Karls-Epos hat Karl als
pater Europae bezeichnet, zu Recht. Schon bald nach seinem Tode hieß er
»Karl der Große«, was durch die idealisierte Darstellung von Notker
Balbulus (»der Stammler«, 840–912) in seiner Gesta Karoli Magni (um
885) offiziell wurde. Auch das ist mit Sicherheit gerechtfertigt.
Schließlich wurde er auf Veranlassung Kaiser Friedrichs I. Barbarossas
(geb. 1122; König 1152; Kaiser 1155; gest. 1190) auch noch heilig
gesprochen: 1165 bzw. 1176. Sein Tag ist der 28. Januar, also sein
Todestag; allerdings ist seine Verehrung nur »gestattet, nicht
anerkannt«; d. h. dass die Kanonisation kirchenrechtlich nicht
vollgültig ist. Aber sei’s drum: Karl der Große lebt weiter in seiner
Historizität, in den zahlreichen Darstellungen, die es von ihm gibt,
sei es die Metzer Reiterstatuette aus dem 9. Jahrhundert, die sich im
Louvre befindet, das Gemälde von Albrecht Dürer (1471–1528), die
Zeichnung seiner Krönung von Alfred Rethel (1816–1859) oder das Fresko
von Hermann Wislicenus (1825–1899), wie er die Irminsäule zerstört, um
nur ein paar zu nennen, oder in den Darstellungen in Kirchen oder auf
dem Karlsschrein im Aachener Domchor von 1215, in den Kaiser Friedrich
II. (geb.1194; König 1212; Kaiser 1220; gest. 1250) seine Gebeine
eigenhändig eingeschlossen hat, und in den zahlreichen Sagen und
Legenden. Wie Kaiser Barbarossa wartet auch Karl der Große in einem
Berg, und zwar im Unterberg zwischen Salzburg und Berchtesgaden, auf
seine Auferstehung. Alle 100 Jahre wacht er auf, und wenn die Raben
immer noch um den Berg fliegen, schläft er weitere hundert Jahre…Als
die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1957 gegründet wurde,
entsprachen die damaligen Gründerstaaten Frankreich, Italien,
Beneluxstaaten und Deutschland vom Gebietsumfang her in etwa dem Reich
Karls des Großen, und nicht ohne Grund wird jedes Jahr in Aachen der
Karlspreis an eine Persönlichkeit verliehen, die sich um die Aussöhnung
und Einigkeit in Europa verdient gemacht hat …
Keine Epigonen: Hugo, Heinrich, Arnulf, zweimal Wilhelm, nochmals Hugo und
Theobald die Großen
Das Reich der Franken hielt sich nicht lange
in der Form, wie es Karl der Große hinterlassen hatte. Nach dem Tod seines
Sohnes Ludwig des Frommen wurde es im Vertrag von Verdun 843 unter dessen drei
Söhnen aufgeteilt. Der nördliche Teil des mittleren Gebietes (Lotharingen) fiel
später in den Verträgen von Meerssen (870) und Ribemont (880) an die östliche
Reichshälfte. Danach kam es ausgerechnet unter dem schwachen Kaiser Karl III.
dem Dicken (geb. 839; reg. 882–887) noch einmal zu einer Vereinigung der
Teilreiche (885–887), aber danach spaltete sich das Reich endgültig auf, in
das Westfränkische Reich, also das spätere Frankreich, das Ostfränkische Reich,
das spätere »Deutschland« sowie Burgund und Italien. Die Abfolge von Königen und
Kaisern in den rund 70 Jahren bis zum Beginn der Ottonenzeit im späteren
deutschen Reichsgebiet war von einer verwirrenden Vielzahl von Kaisern und
Königen bestimmt, die überwiegend Karl oder Ludwig hießen und mit entsprechenden
Beinamen wie »das Kind«, »der Kahle« u.a. versehen waren. Dann gab es auch noch
zwei Herrscher namens Lothar, einen Karlmann und einen Arnulf, aber das können
wir hier übergehen. Das Westfränkische Reich erstreckte sich zwischen
Rhône-Mündung und Schelde und reichte von den Argonnen bis zur Saône und den
Cevennen. Zwar verfiel die Macht die Karolinger immer mehr, aber die Monarchie
als solche blieb bestehen, überdauerte die Normanneneinfälle, trotz des
Verlustes der Normandie, überstand auch die Abtrennung des umstrittenen
Lothringen, das 925 endgültig an das Deutsche Reich fiel, bis es dann 987 den
Kapetingern gelang, den Thron zu besteigen. Vorausgegangen war die faktische
Ausübung der Macht durch Hugo den Großen, den Grafen von Paris, der 923 einer
der mächtigsten Männer im Lande wurde, als sein Vater, der westfränkische
Gegenkönig Robert I., im Kampf gegen den eigentlichen König (Karl III. der
Einfältige, geb. 879; reg. 893/898–929) gefallen war. Er erbte nämlich dessen
weiträumigen Besitz zwischen Loire und Seine. Er ist nun schon der zweite Hugo
der Große; der andere, der uns bereits begegnet ist, lebte später und war mit
den kirchlichen Reformen von Cluny verbunden. Da die Anhänger Roberts siegreich
waren (Karl starb in Haft), hätte Hugo Gegenkönig oder gar König werden können,
lehnte aber ab. Hugo war mithin ein »Robertiner«, die man später «Kapetinger«
nannte, und war Herzog von Franzien, wie der ursprünglich fränkische Teil des
Westfrankenreiches im Nordosten hieß. Eine seiner wichtigsten Taten war, dass er
936 die Rückkehr König Ludwigs IV. (ca. 921–954) unterstützte. Dieser hatte
seine Kindheit im Exil in England zubringen müssen, um nicht Rudolf II. von
Burgund zum Opfer zu fallen, der zum französischen König gewählt worden war. Nun
war Rudolf gestorben, und der französische Adel, allen voran Hugo, riefen Ludwig
zurück und erhoben ihn zum König. Wiederum hätte Hugo König werden können, und
wieder verzichtete er. Aber Ludwig der Überseeische, wegen seines Exils so
genannt, wurde ein König von Hugos Gnaden, der zwar sein mächtigster Vasall war,
aber ihn entsprechend lenkte. Er musste ihm sogar den Titel »Herzog der Franken«
(»dux Francorum«) verleihen, ein Rang, der eigens für ihn geschaffen wurde,
womit er eine einzigartige Stellung gleich nach dem König einnahm. Dieses Amt
glich dem der Hausmeier bei den Merowingern. Als sich Ludwig von Hugos Einfluss
befreien wollte, kam es zum Krieg. Hugo der Große hatte Hadwig, die Schwester
Ottos des Großen geheiratet und konnte dessen Unterstützung sicher sein, vor
allem, als Ludwig Lothringen zurück erobern wollte. Aber auch Ludwig war mit
Otto verschwägert: er hatte 940 dessen Schwester Gerberga in seine Gewalt
gebracht und geheiratet. Am Ende regelte allerdings Otto der Große die
Streitigkeiten, von allen Seiten als Schlichter gerufen, weil er auf eine
Balance der Kräfte im Westfrankenreich bedacht war, und er wurde sogar von
verschiedenen Mächten als Schutzherr angesehen. Doch waren die Kämpfe nicht
beendet, und so zog Otto am Ende gegen Hugo ins Feld. Erst 950 kam es zum
Frieden, nachdem sich sogar noch die Kirche gegen Hugo gestellt hatte und er
exkommuniziert worden war. 954 starb Ludwig an den Folgen eines Reitunfalls,
aber auch jetzt wollte Hugo nicht König werden. Seine Stellung im Reich wurde
jedoch noch einmal bedeutsamer, und er regierte nun auch in Burgund und,
wenigstens nominell, in Aquitanien. Hugo starb im Juni 956. Warum er nie König
werden wollte, sondern sich mit der Stellung des zweiten Mannes im Staate
begnügte, wird sich wohl endgültig nie klären lassen, und sein Beiname
beinhaltete ursprünglich auch nicht politische Größe, sondern »der Ältere«, zur
Unterscheidung von seinem Sohn mit Hadwig, Hugo dem Jüngeren (ca. 940–996),
der bald nach dem Tod seines Vaters auch sein Erbe als »Herzog von Frankreich«
antrat und 987 zum König gewählt wurde, womit er die Dynastie der Kapetinger
begründete. Aber der Beiname Hugo der Große hat sich sogar in den großen Lexika
und Enzyklopädien erhalten, und sicher besaß er auch politische Größe.
Diese Geschichte ist noch nicht zu Ende. In Burgund brachte es Heinrich
I. ebenfalls zu einem »Großen«. Er kam um 946 zur Welt und war zunächst
Graf von Nevers und ab 965 bis zu seinem Tode am 15. Oktober 1002
Herzog von Burgund. Wie bei Hugo dem Großen bedeutete sein Beiname »der
Große« ursprünglich auch nur »der Ältere«, um ihn von dem späteren
Herzog Heinrich II. (1008–1060) von Burgund, einem Enkel Hugo Capets,
zu unterscheiden – dieser wurde als Heinrich I. seit 1031 König von
Frankreich. Heinrich der Große war der Bruder von Hugo Capet, der älter
war als er, und wohl auf dessen Einfluss hin von den burgundischen
Edlen zum Herzog von Burgund gewählt worden. Er diente als Lehns- und
Gefolgsmann seines Bruders, und als dieser französischer König wurde,
wurde Burgund Kronlehen. Heinrich starb ohne Erben, und so wurde das
Herzogtum von der französischen Krone eingezogen, was im burgundischen
Adel auf heftigen Widerstand stieß.
Ein Zeitgenosse von Hugo dem Großen war Arnulf I. der
Große von Flandern. Sein Vater war Graf Balduin II. der Kahle von Flandern,
seine Mutter Aelfthryd von Wessex, immerhin die Tochter König Alfreds des Großen
von England (es wimmelte um diese Zeit allenthalben von »Großen«). Er kam um 900
zur Welt. Als sein Vater 918 starb, erbte er den nördlichen Teil der Grafschaft
Flandern; Zug um Zug vergrößerte er sein Herrschaftsgebiet, das sich nach der
Einahme von Amiens von der Schelde bis zur Somme erstreckte, und durch eine
geschickte Heiratspolitik sicherte er die Grenzen. Eine seiner bedeutendsten
Leistungen war eine Klosterreform; immerhin war er Laienabt der großen Abteien
seiner Grafschaft und Schirmvogt der geistlichen Herrschaften in seinem Gebiet.
Er zählte zu den mächtigsten französischen Feudalherren seiner Zeit und nannte
sich häufig Markgraf, um seine starke Stellung zu betonen. Zwar war er
französischer Vasall, aber er neigte den Ottonen zu. Ohne Kriegszüge ging es
auch bei ihm nicht; vor allem kämpfte er gegen die Normannen und ermordete 942
deren Herzog Wilhelm. Seine Gebietserweiterung und seine Ehepolitik machten ihn
»groß«, aber das war auch eher lokal, denn anders als Hugo der Große hatte
Arnulf nicht Einfluss in ganz Frankreich. Immerhin wehrte er von Flandern alle
Herrschaftsansprüche der lothringischen Herzöge ab. Er starb am 27. März 965.
Es wurde schon erwähnt, dass Hugo der Große seine Herrschaft über Aquitanien
nur nominell ausüben konnte. Hier gab es auch einen »Großen«, nämlich Wilhelm V.
den Großen, nicht zu verwechseln mit dem Ritter und büßenden Mönch, dem wir
schon begegnet sind. Er wurde von seinem Vater Wilhelm IV. ab 993 an der
Regierung beteiligt und folgte ihm zwei Jahre später als Herzog nach, als er
abdankte. Er verstand es wie nur wenige andere, ein weit verzweigtes Netz aus
Heirats-, Verwandtschafts- und Freundschaftsbündnissen zu knüpfen. So war er dem
deutschen Kaiser Heinrich II. (geb. 973 oder 978; reg. 1002–1024)
freundschaftlich verbunden und hielt Beziehungen zu den Königen von England,
Dänemark und Navarra. Verschwägert war er mit diversen Fürsten Frankreichs.
Überall war er sehr beliebt. Allen französischen Machtansprüchen im Südwesten
widersetzte er sich erfolgreich; durch seine Bündnis-, Lehens- und Vasallenpolitk
gewann er ganz Aquitanien; keiner wagte es, sich gegen ihn zu erheben. Man hat
ihn hochgelobt; er war sehr gebildet – u. a. gründete er eine Bibliothek; er
trat als Gönner von Künstlern und Gelehrten auf, galt als Förderer und Wohltäter
der Kirche – so gründete er Kirchen oder das Kloster Maillezais, er unterstützte
auch die Cluniazensische Klosterreform – und glich von seinem Auftreten her
einem König, ja, er fühlte sich dem König von Frankreich als ebenbürtig. Er galt
als milde, freigebig, tapfer und weise im Rat, also hatte er alle Eigenschaften,
die einen Großen auszeichneten. Mehrfach pilgerte er nach Rom oder Santiago de
Compestella. Im Jahre 1024, nach dem Tode Heinrichs II., trugen ihm die
italienischen Edlen die Königs- oder gar Kaiserkrone an, worin sich seine hohe
Stellung dokumentiert, aber er lehnte vernünftigerweise ab. Am Ende seines
Lebens, nachdem er seinen Sohn 1025 an der Regierung beteiligt hatte, zog er
sich als Mönch in das von ihm gegründete Kloster zurück und starb im Januar
1030.
Und noch einen Wilhelm den Großen hat es gegeben – er ist Graf von
Burgund und Mâcon gewesen: Wilhelm I. der Große (Tête Hardie). Er kam 1020 zur
Welt und wurde 1057 nach dem Tod seines Vaters Graf von Burgund, 1078 auch Graf
von Mâcon und stieg damit zum mächtigsten Mann in der Region auf. Als der
deutsche Kaiser Heinrich IV. im Winter 1076/77 seinen Gang nach Canossa antrat,
wurde er von Wilhelm dem Großen in Besançon empfangen, und Wilhelm emöglichte
dem Kaiser auch den Zug über das Jura-Gebirge nach Savoyen. Ansonsten hat er
sich aber offenbar in den Konflikt zwischen Kaiser und Papst nicht eingemischt.
Noch zu Lebzeiten gelang es ihm, das bedeutendste Bistum der Grafschaft
Burgunds, Besançon, mit seinem Sohn Hugo (gest. 1101) zu besetzen (1086).
Wilhelm starb am 12. November 1087 in Besançon, wo er in der Kathedrale Saint
Ètienne beigesetzt wurde. Mit seiner Frau Stephanie (gest. nach 1088) hatte er
sieben Söhne und vier Töchter. Drei Söhne nahmen am Ersten Kreuzzug teil, der
vierte, Guido, wurde Priester, dann 1088 Erzbischof von Vienne und 1119 sogar
Papst. Als Papst Kalixt II. ordnete er den sogenannten zweiten venezianischen
Kreuzzug an, bei dem 1122 Damaskus angegriffen wurde. Er starb 1124. Die Familie
Wilhelms des Großen beteiligte sich in starkem Maße an den Kreuzzügen, für den
Zweiten brachte sie allein zehn Kreuzritter bei. Drei von Wilhelm des Großen
Töchtern ehelichten Männer, die im Ersten Kreuzzug für die »Befreiuung des
Heiligen Landes« gen Osten zogen; sein Sohn Rainald II. kam 1097 auf dem 1.
Kreuzzug ums Leben.
Hinsichtlich der Kreuzzüge ist noch ein weiterer Hugo
zu erwähnen, der den Beinamen »der Große« erhielt: Hugo Magnus von Vermandois.
Er kam 1057 als dritter Sohn König Heinrichs I., der eben im Zusammenhang mit
Heinrich dem Großen erwähnt wurde, zur Welt. Schon zu Lebzeiten wurde er von
zeitgenössischen Chronisten und Kreuzugsteilnehmern »der Große« genannt. Aber es
scheint, dass der Beiname Magnus bei den Kapetingern für ihre »Hugos« nicht
ungewöhnlich war. Hugo war einer der Anführer im Ersten Kreuzzug. Bekannt wurde
er vor allem durch sein überaus arrogantes Auftreten, u.a. dem byzantinischen
Kaiser Alexios Komnenos (geb.1048; reg. 1081–1118) gegenüber. Diesem schrieb
er, noch bevor er mit seiner Flotte zur Mittelmeerüberquerung ablegte: »Wisse,
Basileus, dass ich Basileus aller Basileis bin [d.h. König aller Könige] und der
größte von allen unter dem Himmel. Und es ist angebracht, wenn du mir gleich bei
meiner Ankunft entgegenkommst und mich in aller Pracht und meinem Adel
entsprechend empfängst.« – Hugo also seinem Selbstverständnis zufolge ein
»echter Großer«! Das kam natürlich beim byzanthinischen Kaiser nicht besonders
gut an. Pech war zudem, dass Hugos Flotte bei der Überquerung der Adria 1096 von
Bari aus in einen Sturm geriet; Hugo verlor viele Schiffe, wurde aber mit samt
dem größten Teil seiner Leute von den Byzanthinern gerettet. Er selbst wurde
unter Hausarrest gestellt und kam erst frei, als er dem byzanthinischen Kaiser
den Treueid geschworen hatte. Das Kreuzfahrerheer durchquerte dann unter großen
Entbehrungen Kleinasien. Nach der Eroberung Antiochas 1098 kehrte Hugo, zuerst
noch zu einer erfolglosen Mission zu Alexios mit der Bitte um Hilfe gesandt,
nach Frankreich zurück. Da er allerdings sein Gelübde, bis nach Jerusalem
vorzudringen, nicht eingehalten hatte, drohte ihm, abgesehen von der allgemeinen
Verachtung, seitens des Papstes sogar die Exkommunikation, und so machte er sich
drei Jahre später noch einmal auf in Richtung Heiliges Land. In einer Schlacht
bei Heraklia wurde er verwundet, entkam aber nach Tarsus, wo er am 18. Oktober
1101 an seinen Verletzungen starb.
Beenden wir dieses Kapitel mit
Theobald dem Großen, einem Regenten der Champagne. Er wurde 1093 geboren; sein
Vater war Graf Stephan Heinrich von Blois, seine Mutter Adela eine Tochter
Wilhelms I. des Eroberers (geb. 1027; reg. 1066–1087), und so war er auch der
ältere Bruder des späteren englischen Königs Stephan (geb. ca. 1097; reg. 1135 –
1154). Theobalds Mutter, unter deren Vormundschaft er zunächst stand, hatte
großen Einfluss auf ihn. 1125 trat er das Erbe seines Onkels an: die Grafschaft
Troyes und den Titel eines Grafen der Champagne. Sein Leben verlief insgesamt
kriegerisch. Er stand im Gegensatz zu seinem Lehnsherrn König Ludwig VI. (geb.
1081; reg. 1108–1137), gegen den er sich wegen seines Anspruchs auf eine
vakant gewordene Grafschaft erhob, aber der Aufstand endete ohne Erfolg. Nun
folgte ein Hin und Her zwischen Gefolgschaft und Gegnerschaft, was dahin führte,
dass der König 1127 die Champagne verwüstete. Danach, 1135, ging es nach dem
Tode Heinrichs I. um den Königstitel in England; als ältester Enkel Wilhelms des
Eroberers hätte Theobald Anspruch gehabt, doch sein Bruder Stephan bootete ihn
mit des Papstes Hilfe aus, überließ ihm aber als Ausgleich die Krone der
Normandie. Wenig später kam es zu einem neuen Krieg mit dem König. Diesmal ging
es um den Streit zwischen König und Papst über die Einsetzung eines Erzbischofs,
bei dem Theobald für den Papst Partei ergriff. Dabei ließ der König in
barbarischer Weise eine Kirche mit 1000 Menschen darin in Vitry niederbrennen.
Auf Vermittlung des Papstes kam es nun zum zwangsweisen Frieden, Ludwig musste
die Champagne räumen und auch in der Erzbischofsfrage nachgeben. Zu dieser Zeit
brach in England ein Bürgerkrieg aus, was der Graf von Anjou dazu nutzte, in der
Normandie einzufallen; durch den Krieg mit Ludwig gebunden, musste Theobald
tatenlos zusehen, wie ihm die Normandie verloren ging, aber infolge des
Machtzuwachses des Grafen von Anjou, der Ludwig nicht recht sein konnte, kam es
nun zur endgültigen Aussöhnung zwischen König und Theobald. Letzterer starb am
10. Januar 1152. – Was ist von seinem kriegerischen Leben geblieben? Nun, er
erweiterte den Einfluss der Champagne im Osten Frankreichs nicht unerheblich;
sogar in Burgund waren ihm mehrere Herzöge untertan. Aber seinen Nachruhm
sicherte er sich vor allem durch seine wirkungsvolle Förderung der
Zisterzienser: er stiftete wichtige Ordenseinrichtungen, wie z. B. die Abtei von
Clairvaux. Der einflussreiche Abt und Kirchenlehrer Bernhard von Clairvaux, dem
wir schon begegnet sind, war ihm ein Vertrauter und Freund. Als der
scholastische Philosoph und Papstlehrer Pierre Abaelard – die Liebesgeschichte
zwischen ihm und Heloise wurde zu den bekanntesten und ergreifendsten des
europäischen Mittelalters gezählt – aus Saint Denis fliehen musste, gewährte ihm
Theobald Asyl. Und nicht zu vergessen: Theobald stellte die Champagnemessen
unter gräfliche Schirmherrschaft; damit leitete er eine wirtschaftliche
Entwicklung der Champagne ein, die die Region zu einer der am meisten
prosperierenden, ja reichsten Europas werden ließ. Ein Glas Champagner also auf
Theobald den Großen!
Die Widerständler: Gralion MUR und Alain die
Großen
Am Rande des Fränkischen Reiches, im Nordwesten, lebten
kleinbritische Kelten. Es handelte sich um das Herzogtum Bretagne, das ungefähr
der heutigen französischen Region dieses Namens entsprach. Im Jahre 56 v. Chr.
hatte es Cäsar erobert; als Armorica wurde es Teil des römischen Galliens. Erst
im 5./6. Jahrhundert n. Chr. siedelten dort Briten, die Bretonen. Auch dieses
raue Territorium hatte »Große« in der Geschichte, über die allerdings nicht viel
bekannt ist. Auf das Königreich Armorica folgte das Königreich Dommonée, dann in
der West-Bretagne das Königreich Cornuailles. Sein erster Herrscher war Gradlon
Mur, den man »den Großen« nannte; er regierte bis 505. Ab Mitte des 9.
Jahrhunderts bildete die Bretagne ein zeitweise unabhängiges Herzogtum. Damals,
im 9. Jahrhundert, 831, hatte Kaiser Ludwig der Fromme den bretonischen
Kleinkönig Nominoë zum Fürsten ernannt. Seine Nachfolger übernahmen den
Königstitel und gingen zum Fränkischen Reich auf Distanz, aber die ständigen
Auseinandersetzungen und Kämpfe zwischen rivalisierenden Fürsten verhinderten
die Entwicklung eines echten mit zentraler Gewalt ausgestatteten Königtums. In
Folge der ständigen Normannenüberfälle im 9. und 10. Jahrhundert näherten sich
die Bretonen der Normandie an und begaben sich in ein Vasallenverhältnis zum
dort regierenden Herzog.
Widerstand gegen die Franken, Widerstand gegen die
Normannen und Kriege unter einander – das waren die Hauptlinien der bretonischen
Geschichte. Das Fränkische Reich suchte seine Grenze zur Bretagne durch eine
Mark zu sichern, aber hier begann eine wilde Gegend mit sich unabhängig
fühlenden Bewohnern, und diese Geisteshaltung findet sich noch heute bei vielen
Bretonen.
Nach Nominoë regierte von 851 bis 857 sein Sohn Erispoë, dann ein
Neffe von Nominoë: Salomon der Heilige, der 874 ermordet wurde. Daraufhin kam es
zu einer Art Erbfolgekrieg, den die Normannen beendeten, indem sie beide
Thronaspiranten entmachteten. Den Kampf um den Thron führten nun Verwandte
weiter; einer davon, Alain von Vannes, siegte schließlich in der Schlacht von
Questembert 888 und wurde ein »guter« König, 890 gekrönt, er regierte bis 907,
und ihn nannte man Alain I. den Großen. Nach seinem Tode gingen die Kämpfe unter
einander und gegen die Normannen weiter, die erst 937 aus Nantes vertrieben
werden konnten.
Erst 1297 wurde die Bretagne als französisches Herzogtum
bestätigt, und 1532 fiel es als letztes bedeutendes Lehnsfürstentum durch Heirat
an Frankreich. Bis zur Französischen Revolution behielt die Bretagne
Sonderrechte, und noch im 20. Jahrhundert machte das Land durch militante
Autonomiebestrebungen auf sich aufmerksam. Widerständler gab und gibt es dort
also bis heute.
2. Heiliges Römisches Reich (deutscher Nation)
Die »theodisca lingua« war – mittellateinisch ausgedrückt – die fränkische
Volkssprache im Gegensatz zum Lateinischen. Der Ausdruck ist seit 786 erstmals
belegt. Anfang des 9. Jahrhunderts sprach man auch von der »rustica lingua
romana«, dem Altfranzösischen. Im 7. Jahrhundert war der Begriff »theudisk, »dem
eigenen Stamm zugehörig« (von »thiot«, Volk) im Fränkischen Reich entstanden, im
Unterschied zu »walhisk« gleich »welsch«, d. h. »romanisch«. Im Lauf der Zeit
verdrängte das althochdeutsche, bei den ostfränkischen Völkern entstandene »diutisc«, das dem westfränkischen
»theudisk« entsprach, das mittellateinische »theodiscus« und wurde zur allgemeinen Bezeichnung der Sprachen im
ostfränkischen Reichsgebiet; daraus entwickelte sich der Begriff »deutsch«. Es
mussten aber noch an die zweihundert Jahre vergehen, bis die Bezeichnung auch
auf die Menschen angewandt wurde, die das »Deutsche« sprachen; dies geschah
erstmals im um 1080 entstandenen Annolied.
In den Gebieten, in denen »deutsch« gesprochen wurde, also im
Ostfrankenreich, hatten sich in der späten Karolingerzeit etliche
Umstrukturierungen ergeben. Wie wir gesehen haben, hatten die
Karolinger die Stammesherzogtümer abgeschafft und durch Grafschaften
ersetzt. Nun aber wurden mit dem Verfall der Macht der Karolinger die
alten Herzogtümer wiederbelebt, wenn auch nicht unbedingt in der alten
Form. Das brachte viele neue Konflikte mit sich; starke
Adelsgeschlechter waren die Konradiner (ab 830 im hessischen
Rhein-Main-Gebiet) und die Liudolfinger im Gebiet zwischen Leine und
Harz ab Mitte des 9. Jahrhunderts. Und der erste »deutsche« König, der
nach dem Tode König Ludwigs (IV.) dem Kind (geb. 893; reg. 900–911) von
den bedeutendsten Vertretern des Ostfränkischen Reiches gewählt wurde,
der allerdings noch an der Schwelle zwischen fränkischer und deutscher
Geschichte stand, der glücklose Konrad I. (geb. ca. 880/85; reg.
911–918), scheiterte mehr oder weniger an allen seinen Aufgaben; er war
als König auch nicht gekrönt, »nur« gesalbt worden. Immerhin schlug er
seinen größten Widersacher als Nachfolger vor, den Sachsen
(Liudolfinger) Heinrich, dem es als König Heinrich I. (geb. ca. 876;
reg. 919–936) gelang, aus den verfeindeten Herzogtümern ein neues und
halbwegs einiges Reich zu schaffen: der Beginn des mittelalterlichen
Deutschen Reiches. Vielfach wird dieses Reich ab 911/919 angesetzt,
manchmal sogar schon ab 843. Die Bezeichnung Heiliges Römisches Reich
kam erst später auf: sie wurde als Amtsbezeichnung auf den
Herrschaftsbereich des abendländischen Römischen Kaisers angewandt, d.
h. auf das Deutsche Reich, Italien (seit 951) und Burgund (seit 1033).
Seit 1034 sprach man vom Romanum Imperium, was aber schon zum
Kaisertitel Karls des Großen gehört hatte; vom Sacrum Imperium ist seit
1157 in Königsurkunden die Rede, seit 1254 vom Sacrum Romanum Imperium,
und dies lediglich in lateinischer Sprache. In deutscher Sprache gibt
es das Heilige Römische Reich erst ab den Zeiten Kaiser Karls IV. (geb.
1316; König 1346, Kaiser 1355; gest. 1378); der Zusatz »Deutscher
Nation« (Nationis Germanicae) wurde seit 1512 verwendet und betraf auch
nur das Deutsche Reich und nicht Italien und Burgund. Im Weströmischen
Reich war – im Gegensatz zum Oströmischen, wo in Byzanz das Kaisertum
noch lange erhalten blieb – die Reichsidee mit dem Ende seines
Bestehens 476 weitgehend erloschen. Aber mit der Kaiserkrönung Karls
des Großen 800 wurden das alte Weströmische Reich und die dahinter
stehende Idee auf die Franken übertragen; mit der Kaiserkrönung Ottos
des Großen 962 auf die Deutschen. Von der Idee her war dieses Reich, so
jedenfalls wurde es im Mittelalter gesehen, allen anderen Staaten des
Abendlandes überlegen, auch durch seine übernationale Zusammensetzung
und seine Verbindung mit der römischen Kirche, und trotz ihres
Niedergangs im Lauf der Jahrhunderte lebte die Reichsidee auch nach
1806 in anderer Form, z. B. als Reichspatriotismus fort. Als Begründer
des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation kann Otto der Große
angesehen werden.
Vater des
Vaterlandes: Otto der Große
Das
Reich von Ottos Vater trug noch keine besondere Bezeichnung; es hieß
allgemein »Heinrichs Reich«. Erst sein Sohn Otto sollte ein »neues«
Reich daraus machen. Dieser hatte sich die Wiederholung der Erfolge
Karls des Großen zum eigenen ehrgeizigen Ziel gesetzt, strebte nach
europäischer Hegemonie, und nach dem grandiosen Sieg über die Ungarn
955 auf dem Lechfeld bei Augsburg gelang es ihm tatsächlich, das
Kaisertum zu erneuern und damit die Grundlagen für das Heilige Römische
Reich und schließlich für Deutschland zu legen und somit auch die
Hegemonie in Europa zu erreichen. Nach diesem Sieg feierte ihn sein
Heer bereits als »Kaiser« (imperator) und als »Vater des Vaterlandes«,
und immer öfter wurde er damals schon als der »Große« bezeichnet.
Geboren wurde Otto am 23. November 912 als ältester Sohn König
Heinrichs I. und seiner Gemahlin Mathilde. Als sein Vater 936 gestorben war,
wurde Otto in Aachen zum König gewählt, eine Besonderheit, da das Reich nicht
unter allen Söhnen aufgeteilt wurde, wie es die Franken gehandhabt hatten,
sondern als Sachse bestimmte Heinrich seinen Erstgeborenen zum Nachfolger. Doch
hatte er damit die Saat für familiäre Auseinandersetzungen gelegt, mit denen
Otto in der ersten Hälfte seiner Regierungszeit zu kämpfen hatte. Zudem suchte
er von Anfang an, die Zentralgewalt des Reiches zu stärken und die
Machtbefugnisse der Herzöge einzuschränken. Sein älterer Halbbruder Thangmar
erhob sich vor diesem Hintergrund 938 gegen ihn und kam dabei ums Leben; auch
sein Bruder Heinrich (919/920–955) versuchte 939, im Verein mit den Herzögen
von Franken und Lotharingen, ihn zu stürzen, aber wurde gefangen gesetzt, und
die feindlichen Herzöge verloren zwei Schlachten und fielen. Otto verzieh seinem
Bruder bald, ebenso, als dieser 941 noch einmal einen Anlauf nahm und Otto
ermorden wollte, und er übertrug ihm 947 sogar das Herzogtum Bayern. Dem König
war bewusst, dass er auf Dauer nicht gegen seine Verwandten und gegen die
Herzöge regieren konnte, doch das Resultat seiner Politik bestand in der
Schaffung des ottonisch-salischen Reichskirchensystems des 10. und 11.
Jahrhunderts, d. h. die starke sowohl personelle als auch institutionelle
Verbindung zwischen Königstum und Kirche bzw. ihren Vertretern. So erhielten
meist ihm nahe stehende und loyale Bischöfe oder auch treue Verwandte als
Kirchenvertreter weltliche Aufgaben und wurden seine wichtigste Stütze. Dieses
auf dem Reichstag von Arnstadt 954 endgültig formulierte System sollte
allerdings spätestens im 11. Jahrhundert, während des Investiturstreites, und
noch an die hundert Jahre länger all seine Schattenseiten zeigen. – Dazu betrieb
Otto eine geschickte Heiratspolitik und brachte damit im Laufe der Zeit so gut
wie alle Herzogtümer in königsnahe oder gar königliche Hand. Die Geschichte
seiner Beziehung zu Hugo dem Großen und dem französischen König Ludwig IV. dem
Überseeischen wurde bereits erzählt – ihr Ausgang bestand darin, dass Otto zum
Schützer und Stützer des französischen Königtum wurde, eine Rolle, die er auch
für Burgund und Italien übernahm. Er selbst hatte die Enkeltochter Alfreds des
Großen von England, Edith (eigentlich Eadgyth), geheiratet, die 946 starb. Fünf
Jahre später vermählte er sich mit Adelheid (ca. 931–999), der Tochter Rudolfs
II. von Burgund, die schon mit sechzehn Jahren mit König Lothar von Italien
verheiratet worden war. Als dieser schon 950 starb, gerade mal 23 Jahre alt,
wurde sie von Berengar von Ivrea gefangen gesetzt, der selbst König werden
wollte, aber vor dem Problem stand, dass Adelheid als Königinwitwe durch Wahl
eines neuen Gemahls die Nachfolge des Königs bestimmen konnte – so sah es das
alte lombardische Gewohnheitsrecht vor. Mit ihren Begleitern, einem Priester und
einer Magd, grub sie einen Fluchttunnel; sie rief König Otto um Hilfe, dessen
Ritter sie retteten, und bald wurde sie an Ottos Seite Königin. So wurde Otto
auch König von Italien. Adelheid selbst war eine der bemerkenswertesten Frauen
der deutschen Geschichte. Nach dem Tode Ottos beriet sie den neuen Kaiser, ihren
Sohn Otto II. (geb. 955; (Mit-) König 961; (Mit-) Kaiser 967; reg. 973–983).
Und, nachdem Ottos II. Gemahlin Theophano (959 (?)–991) gestorben war, war sie
von 991 bis 994 mit Erzbischof Willigis von Mainz (gest. 1011), dem Erzkanzler
des Reiches seit 975, Regentin für ihren Enkel Kaiser Otto III. Am Rande
bemerkt: Willigis veranlasste den Bau des Mainzer Domes und wurde später heilig
gesprochen. Desgleichen wurde auch Adelheid schon 1097 heilig gesprochen.
Adelheid hätte den Titel »die Große« allemal verdient gehabt, aber dieser
Beiname blieb ihrem Mann vorbehalten.
953 brach gegen Otto eine große
Empörung aus, in die auch sein Sohn Liudolf (930–957), der Herzog von
Schwaben, verwickelt war, aber die Stimmung schlug gegen die Aufständischen um,
als die Ungarn 954 bis zum Rhein vorstießen. Nach der vernichtenden Niederlage
der Ungarn auf dem Lechfeld war Ottos Stellung unangefochten; die Ungarn zogen
sich in die pannonische Tiefebene zurück, wo sie sesshaft wurden und später zum
christlichen Glauben übertraten. Mit der Gründung der bayerischen Ostmark legte
Otto nun auch den Grundstein für das spätere Österreich. Außerdem dehnte Otto
die Ostgrenze gegen die Slawen bis nach Brandenburg und weiter aus und sicherte
sie: durch die Gründung von Bistümern, dessen bedeutendstes das Erzbistum
Magdeburg als Missionszentrum 968 wurde, und mit Hilfe seiner Ritter, vor allem
unter dem tüchtigen Markgrafen der Elbmark Gero, der schon 937 den Oberbefehl in
den Grenzgebieten auf beiden Seiten der Elbe erhalten hatte und 965 starb.
Schon 951/952 war Otto im Zuge seiner Vermählung mit Adelheid in Italien
gewesen. Als er 960 wegen der unruhigen Zustände in Oberitalien von Papst
Johannes XII. (ca. 937–964, Pontifikat 955–963) zu Hilfe gerufen wurde,
brach er 961 mit einem großen Heer auf und traf im Januar 962 in Rom ein. Hier
wurde er am 2. Februar zum Kaiser gekrönt, mit ihm wurde Adelheid Kaiserin.
Damit band er die Kaiserwürde an das deutsche Regnum, also das spätere Heilige
Römische Reich (deutscher Nation), übernahm aber auch die Schirmvogtei über das
Papsttum und orientierte die Reichspolitik nach Italien, was Historiker im Lauf
der Zeit durchaus auch als zwiespältig angesehen haben. In der Zeit danach kam
es zum Zerwürfnis mit dem Papst, den Otto 963 kurzerhand absetzte. Hatte er im
Jahr zuvor noch die Pippinsche Schenkung bestätigt, bestimmte er nun, dass
künftig ein Papst nur mit kaiserlicher Bestätigung gewählt werden durfte. Es gab
noch weitere Verwicklungen, und so kam er erst Anfang 965 nach Deutschland
zurück, wo sein Bruder Brun (925–965), der Erzbischof von Köln und Herzog von
Niederlothringen, die Regierungsgeschäfte in seinem Sinne geleitet hatte. Von
966 bis 972 hielt sich Otto noch einmal in Italien auf, also fast sechs Jahre,
obwohl er dort nach dem anfänglichen Zwist mit den Römern kaum mehr größere
Schwierigkeiten hatte. In dieser Zeit ließ er seinen Sohn Otto 967 zum Mitkaiser
und einzigem Nachfolger krönen. Als diesem auch noch der byzantinische Kaiser
seine Nichte Theophano zur Frau gab – die Hochzeit fand im April 972 in Rom
statt – war auch die Anerkennung seines Kaisertums durch Byzanz gesichert; das
Kaisertum war seitdem an die »deutschen« Herrscher gekoppelt.
Otto
kam im August 972 gerade rechtzeitig zurück, um dann auf dem Hoftag von
Quedlinburg zu Ostern 973 die Huldigungen der Gesandtschaften aus den
europäischen Fürstentümern, einschließlich Frankreich, entgegen zu
nehmen, die seine hegemoniale Stellung und seine Vormacht anerkannten.
Wenig später, am 7. Mai, starb Otto in seiner Pfalz Memleben und wurde
im Magdeburger Dom beigesetzt. Er hatte sein Ziel, die Nachfolge Karls
des Großen anzutreten, erreicht. Äußerlich ähnelte er seinem Vorbild
allerdings nicht: Er war klein, untersetzt mit massigem Körper und
breiten Schultern, hatte ein gerötetes Gesicht mit langem roten Bart
und war wegen seiner Zornesausbrüche bekannt und gefürchtet. Er liebte
die Jagd, den Kampf, Reiten und Sport ohnehin. Erst in späteren Jahren
begann er, sich mit geistigen Dingen zu beschäftigen. Er war schon 34
alt, als er lesen und schreiben lernte. Seine Haltung war nicht
königlich, von Erhabenheit war wenig zu spüren. Aber es wäre falsch,
ihn für derb und dem Geistigen gegenüber für unaufgeschlossen zu
halten. Mehr noch als ihm allerdings war es sein Bruder Brun, dem der
kulturelle Aufschwung des Reiches in dieser Zeit zu verdanken war. Die
Domschulen, vor allem die Kölner, errangen einen hohen Ruf. Die
Goldschmiedekunst blühte; dafür stehen kostbare Behältnisse für die
Heiligenreliquien, Kelche, Monstranzen und vor allem die Kaiserkrone
selbst und andere Reichskleinodien. Die Reichskrone, die heute in der
Wiener Schatzkammer aufbewahrt wird, wurde vermutlich bereits von Otto
getragen; sie bildet Jesus Christus mit zwei Engeln und daneben die
alttestamentlichen Könige David und Salomo ab, womit sie den religiös
legitimierten Führungsanspruch des Kaisers dokumentiert. In den
Klöstern wurden damals religiöse Texte von Hunderten von Schreibern
nicht nur abgeschrieben, sondern künstlerisch verziert, mit bunten
Bildern versehen. In der Baukunst entwickelte sich der »romanische«
Stil. Und allgemein wurde die Zeit Ottos zu einem bedeutenden, »großen«
Zeitalter. Otto selbst wurde von seinem Zeitgenossen Widukind als
»Caput orbis«, als »Haupt der Welt« bezeichnet, und von den Zeiten
Ottos von Freising (ca. 1112–1158), des bekannten mittelalterlichen
Chronisten, an, also dem 12. Jahrhundert, der ihn als erster so nannte,
hieß er Otto der Große. Nach ihm hat kein König bzw. Kaiser des Reiches
diesen Titel wieder getragen. Dafür gab es aber in »deutschen« Landen
einige bedeutende Grafen und Herzöge, denen man diesen Titel verlieh,
und auch in der späteren Geschichte, in der Neuzeit, stoßen wir auf
sie.
Grafen und Herzöge von Rang und Namen:
Konrad, Albrecht, Gerhard und Amadeus die Großen
Kommt man nach
Dresden und besucht bei einer Besichtigung den Schlossplatz und seine Umgebung,
gleich bei den Brühlschen Elbterrassen, so erreicht man auch den Langen Gang,
der den Georgenbau mit dem Johanneum verbindet. Er wurde zwischen 1586 und 1588
erbaut. An seiner Außenseite – nach innen begrenzt er den Stallhof, wo im
Mittelalter ritterliche Spiele und Turniere veranstaltet wurden und der mit
seiner Ringstechbahn heute noch die einzige gut erhaltene Turnieranlage in
Europa aufweist – kann man den berühmten, 101 m langen Fürstenzug bewundern,
der, ein Werk von Wilhelm Walther, 1876 hier angebracht wurde und alle Herrscher
des Geschlechts Wettin auf insgesamt 24000 Meißener Porzellankacheln zeigt.
Schreitet man ihn ab, so stößt man auf Konrad den Großen, einen von jenen
wenigen deutschen Fürsten, die diesen Titel verliehen bekamen und der hier einen
Ehrenplatz erhielt. Konrad I. aus dem Adelsgeschlecht der Wettiner wurde wohl um
1098 geboren. Schon 929 hatte König Heinrich I. auf dem Burgberg von Meißen die
Reichsburg Misni errichtet und sie zum Zentrum der deutschen Herrschaft im
mittleren Elbegebiet gemacht. Sie war Sitz der Markgrafen, der Bischöfe (seit
968) und seit 1068 der Burggrafen von Meißen. 1089 kam Meißen an die Wettiner,
und bald danach trat Konrad auf den Plan. Nach diversen Erbstreitigkeiten, in
deren Folge er sogar im Kerker landete, aber zum Glück wieder freikam, erhielt
er um 1123/25 die Markgrafschaft Meißen, ein Lehen von Kaiser Heinrich V. (geb.
1086; König 1089/99; Kaiser 1111; gest. 1125), das Kaiser Lothar III. von
Supplinburg (geb. 1075; König 1125; Kaiser 1133; gest. 1137) 1130 bestätigte
Letzteren begleitete er auf seinem Zug nach Unteritalien 1132. Vier Jahre später
wurde er mit der Mark Lausitz belehnt, und im Jahre 1143 erhielt er auch noch
das Rochlitzer und Milzener Land.
Das Verdienst von Konrad bestand darin,
dass er den späteren Wettiner Territorialstaat und die Wettiner Hausmacht
begründete. Er förderte die Ostkolonisation und verbreitete Macht und
Christentum über die Elbe hinaus bis zur Oder. Am Kreuzzug gegen die Wenden nahm
er 1147 persönlich teil. Auch mit kluger Diplomatie gelang es ihm, seine Macht
zu vergrößern. Er entspannte das Verhältnis zu Polen und verband durch eine
geschickte Heiratspolitik die bedeutenden Geschlechter der Askanier (Markgraf
Albrecht der Bär; ca. 1100–1170) und Wettiner. Sein gutes Verhältnis zur
Kirche, vor allem zu den Magdeburger Erzbischöfen, war ihm ebenfalls für den
Ausbau seiner territorialen Macht von Nutzen. Die Nachwelt rühmte seine
Verbindung aus weltlicher Tatkraft, irdischem Machtstreben und tiefer
Frömmigkeit von Jugend auf und verlieh ihm die Titel Konrad der Große, aber auch
Konrad der Fromme, zumal er 1156 allem Herrschertum entsagte und als Laienbruder
in das von ihm gegründete Kloster auf dem Lauterberg, dem heutigen Petersberg
bei Halle, eintrat, wo er am 5. Februar 1157 starb.
Albrecht I. der
Große, Herzog von Braunschweig-Lüneburg, stammte aus dem Hause der Welfen, dem
im 12. Jahrhundert Herzog Heinrich der Löwe von Sachsen und Bayern alle Ehre
gemacht hatte, ohne aber den Titel »der Große« zu erhalten. Braunschweig, an der
Oker gelegen, kann seine Ursprünge auf Kaufmannssiedlungen aus dem 9.
Jahrhundert zurückführen. Seit Kaiser Lothar III. war der Ort welfisch und wurde
1031 als Braunschweig erstmals erwähnt. Im Laufe der Zeit entwickelten sich hier
insgesamt fünf Stadtteile, meist Kaufmanns- und Handwerkersiedlungen. Hier wurde
auch die Residenz Heinrichs des Löwen, die Burg Dankwarderode, errichtet. Im 13.
Jahrhundert wurden die im Laufe der Zeiten entstandenen Bezirke Alt- und
Neustadt, Burgbezirk, »Hagen« und »Sack« mit einer Mauer umbaut, mit Burg
Dankwarderode und Dom auf der Okerinsel im Mittelpunkt, und 1227 wurde der
Siedlung das Stadtrecht bestätigt. Bald danach erblickte Albrecht das Licht der
Welt, 1236, und wurde 1252 nach dem Tode seines Vaters, also schon mit 16
Jahren, Herzog; zusammen mit seinem jüngeren Bruder Johann, über den er zunächst
noch die Vormundschaft gehabt hatte, regierte er das Land. Um einem Streit um
die Herrschaft zu begegnen, teilte Albrecht schließlich 1267 das Territorium und
überließ sogar seinem Bruder das Recht, sich seinen Teil zu wählen. So bekam
Johann das Lüneburger Land mit Hannover, Albrecht das Gebiet um Braunschweig und
Wolfenbüttel mit Ländereien um Göttingen und Calenberg. 1269 wurde die Teilung
endgültig rechtswirksam. Albrecht begründete somit das »Ältere Haus
Braunschweig«, Johann das »Ältere Haus Lüneburg«. Albrecht, der wohl ob seiner
weisen, vom Wunsch nach Frieden und Einigung getragenen Entscheidungen von der
Nachwelt Albrecht der Große genannt wurde, starb am 15. August 1279 und wurde im
Braunschweiger Dom bestattet. Sein Sohn Luther (oder Lothar; 1275–1335),
jüngster von sechs Söhnen, war von 1331 bis zu seinem Tode Hochmeister des
Deutschen Ordens.
Der
nächste »Große« führt uns weiter nach Norden, ins heutige
Schleswig-Holstein, das eine wechselvolle Geschichte erlebte.
Ursprünglich handelte es sich bei Schleswig um ein Herzogtum an Eider
und Schlei, das seit der Karolingerzeit zwischen Dänen und Fränkischem
Reich umstritten war. Hier, an der Grenze zu Jütland, ließ der dänische
König Göttrik (Godfred), der 810 starb, eine Wallanlage, das Danewerk,
errichten bzw. eine ältere, die schon seit 737 bestanden haben soll,
ausbauen, um zum Schutz gegen das Frankenreich den Zugang zu Jütland zu
sperren.. Sie war etwa 30 km lang und wurde bis ins 12. Jahrhundert
immer wieder um weitere Wälle erweitert. Zwischen 1025 und 1035 fiel
das Gebiet an den dänischen König Knut den Großen, dem wir bald wieder
begegnen werden, und Schleswig wurde Ende des 11. Jahrhunderts ein
weitgehend selbstständiges Herzogtum, wenn es auch unter der
Statthalterschaft der dänischen Könige verblieb. 1232 wurde Abel
(1218–1252) Herzog von Schleswig, und dieser Abel war auch von 1250 bis
1252 König von Dänemark. Die nächsten Jahrzehnte waren von
Unsicherheiten und Unruhen geprägt. In dieser Zeit brachte es Graf
Gerhard III. der Große von Holstein-Rendsburg zu Macht und Ansehen,
sowohl in Schleswig als auch in Dänemark. Geboren wurde er, aus der
Rendsburger Linie des Hauses Schauenburg stammend, um 1292. Nach dem
Tod seines Vaters 1304 wurde er Graf von Holstein-Rendsburg. In der
Geschichte von Dänemark und Schleswig sollte er bald eine wichtige
Rolle spielen. Als er 1313 seine Schwester Adelheid mit Herzog Erich
II. von Schleswig verheiraten konnte, legte er die Grundlage für die
Vereinigung von Schleswig und Holstein. Und auch in Dänemark spielte er
wesentlich mit auf dem politischen Parkett. Nach dem Tode Erichs 1326
gelang es ihm nämlich, seine Ansprüche gegenüber König Christoph II.
von Dänemark (geb. 1276; reg. 1319–1332) aufrecht zu erhalten, und
gleichzeitig schaffte er es mit Hilfe des mit ihm verbündeten dänischen
Adels, die Wahl seines noch unmündigen Neffen Waldemar, den Sohn Erichs
II., auf den dänischen Königsthron als Waldemar III. (geb. 1314; reg.
1326–1330; gest. 1364) unter seiner Vormundschaft durchzusetzen.
Christoph II. musste das Land verlassen. Damit mischte Gerhard in der
Innenpolitik Dänemarks kräftig mit. Gleich als ersten Schritt ließ er
sich noch 1326 von Waldemar III. Schleswig als Lehen geben und war
damit der erste Schauenburger, dem das gelang; allerdings war das nicht
besonders schwer, da Waldemar ja unter seiner Vormundschaft stand. Und
erstmals befanden sich nun Schleswig und Holstein in einer Hand; zudem
musste Waldemar zusichern, dass Schleswig und Dänemark nicht mehr
gemeinsam unter derselben Herrschaft stehen sollten. Christoph II.
kehrte allerdings unter Einräumung großer Zugeständnisse 1329/30 nach
Dänemark als König zurück, und Waldemar III., gegen den sich immer mehr
innere Gegner gewandt hatten und der darob 1330 abdankte, erhielt nun
die schleswigsche Herzogswürde. Als König Christoph 1332 starb,
übernahm Gerhard die Regierung über Jütland und Fünen; wegen des
Erhalts von Fünen hatte er schon 1329 auf Schleswig verzichten und es
abtreten müssen. Jedoch erwarb er 1340 gegen die Abtretung von
Nord-Jütland Schleswig erneut. Zu dieser Zeit verlor er aber die
Unterstützung des dänischen Adels, der sich Christophs Sohn Waldemar
als Nachfolger wünschte. Diese immer bedrohlicher werdende Opposition
und Bauernaufstände führten zu chaotischen Zuständen, und am 1. April
1340 tötete Gerhard ein jütländischer Verschwörer, ein Ritter namens
Niels Ebbbesen, in Randers. Gerhards Söhne verzichteten nunmehr in
Anbetracht der blutigen Auseinandersetzungen weise auf alle Ansprüche
in Dänemark, und Christophs Sohn wurde als Waldemar IV. Atterdag (ca.
1320–1375) dänischer König – er verwickelte sich nach 1361 in einen
langen Krieg mit der Hanse, der erst 1370 endete.
Das Schleswigsche Herzoghaus starb 1375 aus,
daraufhin kam das Gebiet 1386 als dänisches Lehen an die Schauenburger
(Schaumburg). Seine folgende Geschichte schwankte weiterhin zwischen der
Zugehörigkeit zu Dänemark und »Deutschland«, wobei sich die Schleswiger und
Holsteiner immer wieder auf den Ripener Freiheitsbrief von 1460 beriefen,
demzufolge Schleswig und Holstein ewig ungeteilt zusammenbleiben sollten. In den
deutsch-dänischen Kriegen 1848/50 und 1864 erreichten die nicht enden wollenden
und unerfreulichen Auseinandersetzungen erneut einen Höhepunkt – hier gewann
sogar das alte Danewerk noch einmal an Bedeutung – dann fiel Schleswig-Holstein
endgültig an »Deutschland« bzw. richtigerweise an Preußen (Nordschleswig kam
1920 durch Volksabstimmung an Dänemark). Diese Auseinandersetzungen spiegeln
sich auch in der Beurteilung Gerhards III. in der deutschen und dänischen
Geschichtsschreibung wider. In den Querelen und Kriegen des 19. Jahrhunderts
wurde die Rolle Gerhards als Vereiniger von Schleswig und Holstein
herausgestellt, für diese Betrachtung war er eben Gerhard der Große. Die
nationalistische dänische Seite sah in ihm dagegen einen Quertreiber, der
Dänemark in einer schweren Krise weiter gedemütigt und sich einen Teil dänischen
Territoriums angeeignet hatte – für sie blieb er der »kahlköpfige Graf«, der »kullecke greve«, wie
»der groote Gert« in der dänischen Geschichtsschreibung
überwiegend genannt wurde.
Die
Geschichte des nun folgenden Grafen hätte auch im Zusammenhang mit dem
Reich der Franken geschildert werden können, aber sein Gebiet Savoyen
gehörte nun mal zum Heiligen Römischen Reich, und daher müssen wir ihn
an dieser Stelle nennen. Savoyen, ein historisches Gebiet in den heute
französischen Alpen an der Grenze zu Italien, war im Altertum von
keltischen Stämmen besiedelt und kam 121 v. Chr. unter römische
Herrschaft. Die von den Römern hier 443 n. Chr. angesiedelten Burgunder
wurden 532 durch die Franken niedergeworfen, und ihr Land gehörte
seitdem zum Fränkischen Teilreich Burgund. 1032/34 wurde Savoyen Teil
des Heiligen Römischen Reiches. Als Graf von Savoyen regierte von 1285
bis 1323 Amadeus V., den man den »Großen« nannte. Geboren um 1250 in Le
Bourget, bestand seine Hauptleistung in der Vereinigung und Erweiterung
der Herrschaft über die savoyischen Länder. Dafür regelte er nach innen
die Unteilbarkeit und Vererbung nach dem Erstgeburtsrecht in männlicher
Linie. Nach außen gewann er die Oberhoheit Savoyens über die Gebiete
der Grafen von Genf, ja, ließ sich zum Beschützer der Stadt Genf
erklären. Zum einen beendete er die Streitigkeiten um das Wallis, zum
anderen unterstützte er die Städte der Westschweiz gegen Rudolf I. von
Habsburg (geb. 1218; reg. 1273–1291), der nach dem für die deutsche
Geschichte so trostlosen Interregnum zum König des Heiligen Römischen
Reiches gewählt worden war. So schloss er sich auch dem französischen
König Philipp IV. dem Schönen (geb. 1268; reg. 1285–1314) an und
erhielt nach einem erfolgreichen Feldzug in Flandern die Normandie als
Vizegrafschaft. Philipp der Schöne war, wie allgemein bekannt, der
treulose Urheber des schnöden Verrats an dem Orden der Templer,
offenbar, weil es ihm um den Schatz der Templer ging, und im Palast von
Amadeus in Paris wurden 1309 auch siebzehn Tempelritter verhört,
nachdem 1307 die führenden Persönlichkeiten des Ordens festgenommen
worden waren. Aber Savoyen war nach wie vor Teil des Heiligen Römischen
Reiches, und so blieb Amadeus auf Dauer nichts anderes übrig, als sich
ihm anzunähern. Anlass bot der Tod von König Albrecht I. von Habsburg
(geb. 1255; reg. 1298–1308); der neue König Heinrich VII. von Luxemburg
(geb. 1274/75; reg. 1308–1313) wollte entgegen den Wünschen von Philipp
dem Schönen das alte Königreich Burgund-Arelat wieder errichten.
Philipp ließ daraufhin die Stadt Lyon besetzen, Grund für Amadeus,
Partei für Heinrich VII. zu ergreifen, aber Heinrich hatte keinen
Erfolg, und so scheiterte auch Amadeus und gab den Versuch einer
Ausdehnung nach Westen in Richtung Frankreich auf. Dafür richtete er
sein Augenmerk nun auf Italien. Als Heinrich nach Rom zog, wo er 1312
zum Kaiser gekrönt wurde – die erste Kaiserkrönung seit 92 Jahren,
schloss sich ihm Amadeus an, und zum Dank wurde er noch im selben Jahr
zum Reichsfürsten und zum Generalvikar der Lombardei ernannt; auch die
Grafschaft Asti, heutzutage aus anderen Gründen vom Namen her bekannt –
man denke an den entsprechenden Sekt! – erhielt er als Lehen. Am 16.
Oktober 1323 starb Amadeus V. der Große in Avignon; Anna, seine Tochter
aus 2. Ehe, heiratete 1325 den nachmaligen byzantinischen Kaiser
Andronikos III., der von 1328 bis zu seinem Tode 1341 regierte und
sich, nachdem er durch einen Staatsstreich gegen seinen Großvater an
die Macht gekommen war, vor allem seinen Vergnügungen widmete,
unterbrochen allenfalls durch Kriegszüge gegen Bulgaren, Serben und
Türken. Amadeus’ bedeutendste Leistung bestand hauptsächlich in der
Sicherung Savoyens. Ob er daher den Titel »der Große« erhielt und
verdiente? Aber so findet man ihn noch heute in den großen
Enzyklopädien. Und vielleicht bereitete er auch den Boden dafür, dass
Savoyen einen bedeutenden Platz in der Geschichte behielt. Die Grafen,
die 1416 zu Herzögen wurden, erkoren das oberitalienische Piemont zu
ihrem Kernland. Seit 1720 stellte das Haus Savoyen die Könige von
Sardinien, ab 1861 die Könige von Italien. Und der edle Streiter gegen
die Türken, Prinz Eugen von Savoyen-Carignan (1663–1736), ist ohnehin
bis heute ein Begriff …
Böhmische Kämpfer: Grabissa, Slauko und Prokop die Großen
Unter Böhmen versteht man bekanntermaßen eine historische
Landschaft in Mitteleuropa, die heute das Kernland der Tschechischen
Republik bildet. Der Name leitet sich von den ursprünglichen Siedlern
her, den keltischen Boier, die um 60 v. Chr. von germanischen Stämmen
verdrängt wurden. Etwa ein halbes Jahrhundert später erschienen die
Markomannen, und als diese nach rund 500 Jahren ins heutige Bayern
zogen, wanderten slawische Stämme ein. Unter ihnen setzten sich die
Tschechen durch, die im 9./10. Jahrhundert die Führung übernahmen. Ihre
Herzöge stammten aus dem Geschlecht der Přemysliden, das der Legende
nach von dem Bauern Přesmyl begründet worden war. Dieser war angeblich
mit Libussa verheiratet, der legendären Gründerin von Prag, die die
Ehre hatte, in Schauspielen von Clemens Brentano (1778–1842) und Franz
Grillparzer (1791–1872) sowie in einer Oper des tschechischen
Komponisten Bedřich (Friedrich) Smetana (1824–1884) wieder
aufzuerstehen, und in deren Sage die ursprüngliche Dominanz der Frauen
in einem Matriarchat, «tschechische Amazonen« und die
Gleichberechtigung der Geschlechter ihre feste Rolle haben, wie es der
Historiker Patrick J. Geary beschreibt. Im 9. und bis zu Beginn des 10.
Jahrhunderts (906/907) war Böhmen Teil des Großmährischen Reiches, um
im 10. Jahrhundert dann zum Heiligen Römischen Reich zu kommen. Anfangs
des 11. Jahrhunderts wurde Böhmen mit Mähren und Schlesien vereinigt.
Zu Beginn des 12. Jahrhunderts verfasste Cosmas von Prag seine Chronik
Böhmens, die bis 1125, dem Jahr seines Todes, reicht. Während er
Libussa eher zwiespältig und sagenverklärt schildert, so versucht er
bei anderen Sujets die »Wahrheit« darzustellen. Eine Gestalt, die bei
ihm auftaucht, ist Grabissa der Große, aber auch bei diesem kann man
sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er als eine widersprüchliche
Persönlichkeit geschildert wird. Viel erfährt man ohnehin nicht über
ihn. Er war ein böhmischer Adliger aus dem Geschlecht der Hrabischitz,
auf den offenbar nicht viel Verlass war und der für Unstimmigkeiten
sorgte und sich selbst in Schwierigkeiten brachte. In die
Auseinandersetzungen zwischen dem böhmischen Herzog Boňvoj und dem
Přemysliden-Herzog Vladislav I. (reg. 1109–1117 und 1120–1125)
hineingezogen, musste er, während sich Boňvoj in Sicherheit brachte,
die Prager Burg verteidigen, die Boňvoj, von Vladislav kurz vorher
gestürzt, 1109 zurückeroberte. Aber dieser triumphierte zu früh. Mit
Hilfe Kaiser Heinrichs V. gewann Vladislaw I. seine Herrschaft zurück,
und die Gefolgsleute Boňvojs wurden hart bestraft. Was aus Grabissa
wurde, berichtet Cosmas nicht. Erst für das Jahr 1116 erwähnt er ihn
erneut, mit dem Hinweis, dass er im mährischen Vlčnov eine stark
befestigte Burg erbaute. Noch einmal nennt er ihn: für das Jahr 1121,
und schildert ihn als vorbildlichen Vater und guten Christen.
Schließlich soll er an der Seite des böhmischen Herzogs und späteren
Königs Vladislavs II. (reg. 1061–1092) 1158 gefallen sein, der für
Kaiser Friedrich Barbarossa in den Krieg zog, als dieser 1158 seinen
zweiten Italienfeldzug unternahm, u. a. um Mailand zu unterwerfen.
Als deutsche
Reichsfürsten erhielten die Přemysliden 1198 die erbliche Königswürde, der 1290
die Kurwürde folgte. Ottokar I. (geb. ca. 1155; reg. 1198–1230) konnte sich
erfolgreich bei König Philipp von Schwaben (geb. 1176/77; ermordet 1208), der
1198 in Mainz gekrönt wurde, dafür einsetzen und erhielt auch die Bestätigungen
des Papstes (1203) und 1212 die des späteren Kaisers Friedrich II. Böhmen wurde
von ihm kulturell und wirtschaftlich sehr gefördert. Im 13. Jahrhundert
gründeten die Přemysliden viele Städte, lockten vor allem deutsche Siedler an
und förderten die deutsche Kultur. Einer der Städtegründer war Slauko der Große,
ein böhmischer Fürst, der um 1207 Burggraf in Bilin war und es zum höchsten
Kämmerer unter Ottokar I. brachte; er füllte dieses Amt von 1198 bis 1202 und
noch einmal von 1212 bis 1226 aus, nachdem Ottokar I. gegen den Kaiser opponiert
hatte und der damalige Kämmerer Cernin aus Böhmen verbannt worden war. Slauko
gründete die Städte Schlackenwerth und Schlaggenwald sowie das
Zisterzienserkloster Ossegg, wohin er Mönche aus dem bayerischen Waldsassen
holte. Der Titel »der Große« tauchte zum ersten Mal 1211 auf. Als loyaler
Gefolgsmann des Königs, dessen Vertrauen er in hohem Maße gewann, zeigte er auch
diplomatisches Geschick. Im Konflikt Ottokars mit dem Prager Bischof Daniel II.,
der den Einfluss der Kirche gegenüber dem König stärken wollte, wurde Slauko
1219 ausersehen, mit fünf anderen Abgesandten mit dem Bischof einen Kompromiss
auszuhandeln. Sowohl einer positiven Würdigung durch den König als auch selbst
durch den Papst, damals Honorius III. (Pontifikat 1216–1227), konnte er sich
rühmen. So beschenkte Honorius auch das von Slauko 1206 gegründete Kloster der
Jungfrau Maria Ossegg 1221 mit Reliquien von heiligen Märtyrern wie Kosmas und
drei weiteren sowie der seligen Jungfrau Petronilla, und der Prager Bischof und
der Papst nahmen das Kloster unter ihren Schutz. Slauko selbst schenkte dem
Kloster noch viele Ländereien, einschließlich der dazu gehörigen Dörfer, wie das
eben in dieser Zeit so Brauch war, befreite es von Zöllen und sicherte ihm
weitere Einnahmen. Er starb 1226 in Ossegg; den Ehrentitel verliehen diesem
besonnenen und edlen Kämpfer für Kultur, Religion und Wirtschaft schon seine
Zeitgenossen.
König
Ottokar II. (geb. 1233; reg. 1253–78) gelang es, Böhmen zur Großmacht
zu erheben. Die Přemysliden starben indes 1306 aus, und Böhmen fiel an
die Luxemburger (1310–1437). Deren bedeutender Abkömmling, der schon
erwähnte Kaiser Karl IV., Enkel von Kaiser Heinrich VII., regierte das
Heilige Römische Reich von Prag aus, wo er 1348 die erste deutsche
Universität gründete, und Böhmen wurde durch ihn zu hoher Blüte
geführt. Allerdings brachen 1419 die Hussitenkriege aus, die sich bis
1433/34 hinzogen. Bekanntermaßen hatte der tschechische Theologe und
Reformator Johannes Hus (oder Huß; ca. 1370–1415) seine Lehren mit dem
Scheiterhaufen bezahlt. Der Name Hussiten leitete sich zwar von ihm ab,
aber von den Zielsetzungen her gab es unter dieser Bezeichnung diverse
kirchenreformerische und revolutionäre Bewegungen in Böhmen. Allenfalls
gemeinsam war ihnen der Laienkelch als Zeichen eines
Eucharistieverständnisses, das allein als bibelgemäß angesehen wurde.
Neben den Kalixtinern bzw. Ultraquisten, die vor allem in der
Abendmahlslehre von der Kirche abwichen, gab es als zweite bedeutende
Strömung die Taboriten, benannt nach dem Berg Tabor in Israel, wo Jesus
in Versuchung geführt oder nach einer späteren Tradition verklärt
wurde. Während die erst genannte Richtung vor allem von Adel und
Bürgertum getragen wurde, standen hinter den Taboriten die
Unterschichten. Hier verbanden sich soziale Forderungen mit religiösen.
Es handelte sich um eine sozialrevolutionär-chiliastische Bewegung, die
über die Forderungen der anderen Richtung nach Laienkelch, freier
Predigt, strenger Kirchenzucht, Säkularisation des Kirchenguts und
Verzicht des Klerus auf Reichtum noch hinausging und Gütergemeinschaft,
also eine Art Kommunismus, Abschaffung der kirchlichen Einrichtungen
und Gebräuche und sogar die Aufrichtung eines Reiches Gottes mit
Waffengewalt forderte. Hier kam also die soziale Not der Bauern als
Auslöser der Kriege 1419 noch dazu. Beide Bewegungen standen im
Widerstreit. Gemeinsam war ihnen vielleicht die Volkswut gegen die
Geistlichkeit und die Gegnerschaft gegen Kaiser Sigismund (Siegmund;
geb. 1368; König 1410; Kaiser 1433; gest. 1437) als »Hus-Mörder«;
dieser wiederum warb für den erbarmungslosen »Kreuzzug« gegen die
Hussiten. Um die seit dem 13. Jahrhundert bestehende Burg Tabor
entstand 1420 ein Hussitenlager, aus dem sich später die im Süden der
Tschechischen Republik liegende Stadt Tabor mit heute etwa 35000
Einwohnern entwickelte. Der anfänglich bedeutendste Führer der
Taboriten war J. Žiška z Trocnova (Johann Schischka von Trocnow), aber
er starb schon 1424 an einer pestartigen Krankheit, nachdem ihm vorher,
vor allem 1422, glorreiche Siege gegen Sigismund und seine Heere
gelungen waren, er hatte es auch immer verstanden, die Zwistigkeiten
zwischen einzelnen hussitischen Führern zu schlichten. Ihm folgte für
einen Teil seiner ehemaligen Anhänger Prokop nach, der heute als Prokop
der Große in den Enzyklopädien zu finden ist. Geboren in Böhmen um
1380, wurde er Feldhauptmann und nach dem Tode Žiškas Anführer der
Taboriten. Er führte sie auf seinen Kriegszügen, die im Lauf der Zeit
zu immer brutaleren Raubzügen ausarteten, mit denen er Böhmen und
benachbarte Länder verheerte, bis nach Österreich und Ungarn,
Brandenburg und Sachsen, in die Lausitz und die Pfalz, nach Schlesien,
Franken und Ungarn. Besonders in Schlesien hinterließen die Hussiten
auch Besatzungen, mit denen sie das Land immer wieder aufs Neue
ausraubten. Das ganze Heilige Römische Reich zitterte vor ihnen. Lange
behaupteten sie sich gegen die kaiserlichen Truppen, die natürlich in
der Übermacht waren, und wurden zum Schrecken der Obrigkeit und der
Geistlichkeit. Kaiser Sigismund, der sein Versprechen auf freies Geleit
gegenüber Hus gebrochen hatte, musste Kompromisse eingehen. Nach der
Schlacht bei Taus 1431 erkannte das Basler Konzil 1433 die Forderungen
der gemäßigteren Kalixtiner, die in den sogenannten »Vier Prager
Artikeln« niedergelegt waren, weitgehend an, d. h. Laienkelch, freie
Predigt des Wortes Gottes, frommer Wandel des Klerus und Herstellung
christlicher Zucht. Aber die Taboriten kämpften weiter. Auch die
Kalixtiner verbanden sich nun mit den Kaiserlichen. So wurden die
Taboriten in der Schlacht bei Lipan am 30. Mai 1434 geschlagen. Prokop
der Große, den man auch Prokop den Geschorenen bzw. den Kahlen nannte,
kam dabei ums Leben. Die Taboriten ergaben sich unter denselben
Bedingungen wie die Ultraquisten und erkannten zwei Jahre später auch
Sigismund als König an. Und was ist geblieben? Die taboritische
Tradition lebte teilweise fort in der Lehre der Böhmischen Brüder. In
Böhmen erstarkte der tschechische Pronationalismus, was sich für die
weitere Entwicklung als sehr bedeutsam herausstellte, vor allem, als
Böhmen zu Ungarn (1471 – 1526) und dann zum habsburgischen Österreich
(1526 – 1918) gehörte. Der Dreißigjährige Krieg nahm hier seinen
Ausgang. Nach vielen Kriegen und schwankendem Schicksal entstand in der
1. Hälfte des 19. Jahrhunderts eine tschechische Nationalbewegung, und
das alte Böhmen ging nach dem Ersten Weltkrieg in der
Tschechoslowakischen Republik auf. Da aber gab es auch schon lange kein
Heiliges Römisches Reich mehr …
3.
Westliches und nördliches Europa
Kelten waren es, die im 1.
Jahrtausend v. Chr. im heutigen Groß-Britannien siedelten. Der Zinnreichtum des
Landes, der für den Handel im Altertum wichtig war, zog die Römer an, die,
nachdem zwei Feldzüge Cäsars (55 und 54 v. Chr.) keinen großen Erfolg gebracht
hatten, ab 43 n. Chr. das Land eroberten. Aber sie konten weder Irland noch
Schottland zu ihrer Provinz Britannia hinzu gewinnen, und ihnen gelang es auch
nie, die Einwohner zu romanisieren, was ihnen in Gallien durchaus glückte. Zu
Beginn des 5. Jahrhunderts zogen fast alle römischen Truppen ab, und nun, der
Überlieferung nach ab 449, drangen nordwestgermanische Stämme ein, die
»Angelsachsen«, und unterwarfen mit der Zeit den Hauptteil Englands. Schottland
und Wales blieben allerdings in keltischer Hand. Sieben Königreiche entstanden,
deren Bewohner, dank der gemeinsamen Sprache und Kultur, auch dank des sich
allmählich ausbreitenden Christentums, das von Irland und Rom aus schon seit dem
6./7. Jahrhundert eingeführt worden war, mit der Zeit zu einem Volk, dem
angelsächsischen, zusammenwuchsen. Gefahr drohte ihm allerdings im 9. und 10.
Jahrhundert von den dänischen und norwegischen Wikingern, den Normannen.
Die
Dänen werden im 6. Jahrhundert zum ersten Mal erwähnt; sie kamen wohl aus
Südschweden und drangen in das von Germanen bewohnte Land ein, wo sie mehrere
kleine Königreiche gründeten. Über ein Jahrhundert nach König Göttrik, der, wie
beschrieben, das »Danewerk« hatte errichten lassen, fasste der König den größten
Teil des heutigen Dänemark unter seiner Herrschaft zusammen, der als
eigentlicher Gründer des dänischen Staates gilt: Gorm der Alte, der um 950
starb. Nur rund ein Jahrzehnt später nahm sein Sohn Harald Blauzahn (»Blåtand«)
960 das Christentum an, womit er die Geschicke des Landes entscheidend
bestimmte; er starb um 987. Aber auch das Christentum konnte die dänischen
Wikinger nicht davon abhalten, die englischen Küsten zu verheeren, womit sie
schon 793 begonnen hatten. Hier standen sie den norwegischen Wikingern in nichts
nach. In Norwegen hatten bis ins 9. Jahrhundert ebenfalls mehrere
Kleinkönigtümer existiert, die um 872 von König Harald I. Harfågre erstmals
vereinigt wurden. Norwegische Wikinger kamen auf ihren Raub- und Handelszügen,
die schließlich auch Erkundungsfahrten wurden, über England hinaus nach
Nordwest-Frankreich, Grönland und schließlich im Jahre 1000 unter Leif Ericsson
(ca. 975–ca. 1020) bis nach Nordamerika, nach »Vinland«, in die Gegend, wo
heute die Stadt Boston steht. In die andere Richtung segelten die schwedischen
Wikinger, die Waräger. Im heutigen Schweden hatte das Stammeskönigtum des
Geschlechts der Ynlingar schon früh die Svear geeinigt, um 600 hatten sie die
Gauten (Göten) in Götaland besiegt, und der Ynglingarkönig Erich VII. Segersäll
(»der Siegreiche«; gest. 994) herrschte am Ende des 10. Jahrhunderts auch in
Dänemark. Die Waräger, man kann sie auch als Kriegerkaufleute bezeichnen, kamen
auf der Wolga und dem Dnjepr bis nach Byzanz; sie waren die eigentlichen Gründer
des Kiewer Reiches und daher maßgeblich auch für die Geschichte Russlands und
der Ukraine, und sie beherrschten große Teile des nordeuropäischen Fernhandels.
Das Christentum fasste erst spät in Schweden Fuß; erst Anfang des 11.
Jahrhunderts breitete es sich nach Norden aus; und als der Sohn Erichs VII.,
König Olaf III. Skötkonung (»Schoßkönig«), der etwa 995 bis 1022 regierte, 1008
den Schritt wagte und sich taufen ließ, gelang ihm der Durchbruch, zumal er
gleich noch die staatlichen Verwaltungsformen, die sich in den Staaten
Mitteleuropas herausgebildet hatten, und die Bischofsverfassung übernahm. Das
Erzbistum Uppsala wurde 1164 begründet. Zu jener Zeit hatten sich auch die
Einfälle der Wikinger in anderen europäischen Ländern weitgehend beruhigt. In
diesen rauen Zeiten hatten sich verschiedene Herrscher als »Große« ins Buch der
Geschichte geschrieben …
Bedeutende Gründer von Reichen: Alfred
und Knut die Großen
Den
dänischen Wikingern, unter denen die Bewohner des späteren England zu
leiden hatten, erwuchs ein bedeutender Widerpart: König Alfred, der
wohl volkstümlichste angelsächsische Herrscher, den man »den Großen«
nannte. Er wurde 848 oder 849 in Wantage in der heutigen County
Berkshire geboren und 871 nach dem Tode seines Vaters Aethelwulf (reg.
838–871) zum König gekrönt – er war der Herrscher des zu der Zeit
letzten unabhängigen Königreiches auf angelsächsischem Boden, nämlich
des südlich der Themse gelegenen Wessex. Alfred galt als hübscher und
eleganter Mann und als hervorragender Jäger. Auch als klug und
kriegstüchtig ist er überliefert. Man sagte ihm allerdings auch nach,
dass er an epileptischen Anfällen gelitten habe, z. B. in seiner
Hochzeitsnacht. Im Frühsommer 878 musste er nach einer Niederlage vor
den Dänen unter ihrem Anführer Guthrum, die seit sieben Jahren sein
Reich immer stärker bedrohten, flüchten – sie hatten damals schon Teile
von Wessex in ihrer Gewalt – und zog sich auf eine Flussinsel zurück.
Aber ihm sollte es schließlich beschieden sein, die Dänen in
langwierigen Kämpfen zurückzuwerfen. Er sammelte alle Truppen, die er
auftreiben konnte. Bei Edington in der County Wiltshire besiegte er
dann die Dänen im Sommer 878 in einer aufreibenden
Entscheidungsschlacht; so waren sie bereit, einen Vertrag
abzuschließen, mit dem sie sich in die Gebiete nordöstlich von London
(Ostanglien) zurückziehen sollten. Zwar verblieben den Dänen weite
Ländereien, aber Alfred verhinderte damit, dass ganz England dänisch
wurde, wie es eine Zeit lang gedroht hatte, und er schuf damit auch
eine Basis für eine etwaige Rückeroberung der übrigen von den Dänen
gehaltenen Gebiete. Interessant ist, dass Alfred den Dänen auch das
vertraglich festgelegte Versprechen abnahm, sich taufen zu lassen.
Tatsächlich hielt sich Guthrum an die Zusage, doch die meisten seiner
Anhänger folgten ihm wohl nicht, sondern zogen in andere Länder, z. B.
nach -Frankreich, um ihre Beutezüge dort weiter zu führen. Von den
Dänen, die im Lande verblieben, siedelten die meisten im äußersten
Osten.
Alfred aber ging
mit seinen Sicherungsmaßnahmen noch darüber hinaus. Ihm war daran gelegen, alle
angelsächsischen Gebiete zu vereinigen. Er ließ planmäßig ein System von
Befestigungsanlagen errichten – in zwölf Jahren entstanden 33 Burgen im ziemlich
gleichmäßigen Abstand von 30 Kilometern, sogenannte »burhs«, woran die Endung
von Städtenamen »burough« noch heute erinnert – ordnete das Heer neu und machte
sich an den Aufbau einer Flotte. Alle Maßnahmen waren gegen die Dänen und
etwaige sonstige Aggressoren gerichtet. Und das war auch gut so, denn 886 zeigte
sich Guthrum erneut feindselig. Doch für Alfred war der Sieg jetzt kein großes
Problem mehr. Er eroberte sogar das von den Dänen besetzte London. Nun zwang er
den dänischen Anführer zu einem Vertrag, in dem das angelsächsische Königtum in
Wessex und im westlichen Mercien anerkannt wurde. Den Dänen blieben die Gebiete
nordöstlich einer Linie London-Chester. So hatte Alfred eines seiner Ziele
erreicht und konnte sich als König aller »Engländer« bestätigen lassen. London
überließ er dem König von Mercia, Aethelred, aus dessen Haus auch seine Frau
stammte, und seine älteste Tochter Aethelflaed gab er ihm zur Frau. Von seinen
Enkelinnen heiratete, wie schon erwähnt, eine den Westfranken-König Karl den
Einfältigen, die andere den späteren Kaiser Otto den Großen. Aber Alfred dachte
auch daran, den Bildungsstand in seinem Reich zu heben, um sein Volk kulturell
zu einigen. Er selbst war immer schon sehr an Bildung interessiert gewesen,
hatte sogar 884 begonnen, Latein zu lernen. Er wusste auch, dass gemeinsame
Literatur und höherer Bildungsstand grundlegend für die gemeinsame Identität
eines Volkes sein würden. Ein Achtel seiner Einkünfte verwendete er für das
Bildungswesen (ein weiteres Achtel übrigens für die Armenfürsorge). An seinen
Hof zog er angelsächsische und auch fremde Gelehrte, wie Grimbald von St. Bertin
oder seinen Biografen Bischof Asser (gest. 909/910), der allerdings nicht als
ganz verlässlich gilt, wo sie u. a. die Werke von Augustin, Gregor dem Großen,
Boëthius, oder dem berühmten Beda Venerabilis (673–735), dem bedeutendsten
angelsächsischen Gelehrten seiner Zeit, übersetzten; ja, er selbst beteiligte
sich sogar an den Übersetzungen. Er gab damit der Entwicklung des Altenglischen
einen gewaltigen Anschub. Als einer der ersten europäischen Häupter erkannte er
die zunehmende Bedeutung der Volkssprachen und sammelte auch Volkslieder, die er
mit den Spielleuten an seinem Hof sang. Wichtig war auch die von ihm veranlasste
Zusammenstellung des angelsächsischen Rechtes, das auf den bisherigen
Rechtsgewohnheiten basierte und die dahin wichtigsten Rechtstexte aus dem 7.
Jahrhundert ablöste. Mit diesen kultur- und rechtspolitischen Maßnahmen suchte
er das Volk zu einen, aber auch für die neuen Zeiten zu rüsten. »Er lässt sich«,
wie Will Durant schreibt, »mit einem Riesen wie Karl dem Großen nicht
vergleichen, denn seine Unternehmungen erstreckten sich nur auf ein kleines
Gebiet; aber in seinen sittlichen Eigenschaften – seiner Frömmigkeit, seiner
bescheidenen Redlichkeit, Mäßigkeit, Geduld und Höflichkeit, seiner Hingabe an
das Volkswohl und seinem Bestreben, die Bildung zu fördern – gab er seinem Volke
Vorbild und Antrieb …« Als er am 26. Oktober 899 nach fast dreißig
Regierungsjahren starb, hatte er für sein Land Unglaubliches geleistet, und der
Titel »der Große« stellte sich bald nach seinem Tode mehr oder weniger von
selbst ein. Sein Gesetzbuch wurde erst um 1020 erneuert, und dann durch einen
anderen »Großen«, nämlich Knut den Großen.
Der angelsächsische König
Aethelstan (reg. 924–939) drängte die Wikinger weiter zurück und herrschte
fast über das ganze heutige England. Damit legte der den Grundstock für ein
nationales Königtum und Reich. Aber erneut brachen die Dänen, die Wikinger, in
einem zweiten Ansturm über England herein, und diesem waren die Angelsachsen
dann doch nicht mehr gewachsen. Die von dem dänischen König Sven Gabelbart (reg.
986–1014) eingeleitete Eroberung Englands brachte Knut II. von Dänemark zum
Abschluss, dem die Nachwelt ebenfalls den Titel »der Große« zugesprochen hat.
Geboren um 995, eroberte er zusammen mit seinem Vater Sven Gabelbart 1013
England. Vorausgegangen waren der erfolglose Versuch des schwachen Königs
Aethelred des Ratlosen (reg. 978–1013), die das Land verheerenden Wikinger mit
horrenden Zahlungen (»Danegeld«) friedlich zu halten, und dann die »dänische
Vesper« am 13. November 1002, bei der auf geheime Anordnung des Königs die
meisten waffenfähigen Dänen umgebracht wurden. Unter den Ermordeten befand sich
auch die Schwester des dänischen Königs Sven. Dieser schwor Rache und fiel 1003
und vor allem 1013 mit ungeheurer Wucht in England ein. Er konnte sich seiner
englischen Krone allerdings nur ein Jahr erfreuen, denn er starb bereits im
Februar 1014 an den Nachwirkungen der Feldzüge. Knut bemühte sich um die
Anerkennung seiner eigenen Königswürde, aber diese blieb ihm versagt, zumal er
nur von seiner eigenen Flotte zum König ausgerufen worden war; er konnte sich
gegen den alten und neuen englischen König Aethelred, der in die Normandie zu
Herzog Richard II., dem Bruder seiner Frau Emma, geflohen war, und den seine
Anhänger aus dem Exil zurückriefen, nicht durchsetzen. So zog er sich erst
einmal fluchtartig nach Dänemark zurück, wo sein Bruder Harald Svensson
regierte. Hier war für ihn auch weiter nichts zu gewinnen, obwohl ihn Harald als
Mitkönig anerkannte. So nahm er im Spätsommer 1015 einen neuen Anlauf, England
zu erobern. Diesmal hatte er Erfolg: Er konnte London unterwerfen und im Oktober
1016 den neuen englischen König Edmund II. Ironside, den Sohn des im April 1016
während der Belagerung Londons verstorbenen Aethelred, in der Schlacht bei
Ashingdon schlagen – hinterher behauptete man, er habe durch Verrat gesiegt.
Edmund kämpfte allerdings so verbissen, dass die Dänen trotz Ashingdon schon um
den Sieg fürchteten. Zunächst als Herrscher von Mercia Mitkönig (eine weise
Entscheidung, nicht auch noch Edmund zu stürzen; denn nur so konnte er
allmählich im Volk Vertrauen aufbauen), wurde Knut nach Edmunds baldigem, noch
1016 – im November – erfolgtem Tod im nächsten Jahr alleiniger und vor allem
allgemein akzeptierter König. England war nun ganz in seiner und dänischer Hand.
Seine Stellung nutzte er allerdings zunächst brutal aus. Eine ganze Reihe
englischer prominenter Führer wie Edmunds Bruder ließ er hinrichten oder
ermorden, und Mitglieder der Königsfamilie wie die Kinder von Edmund Ironside
schickte er ins Exil. Aber als er erfuhr, dass Aethelreds Witwe Emma mit ihren
Kindern noch am Leben war und in Rouen bei ihrem Bruder lebte, erkannte er die
Chance zur Versöhnung und bot ihr seine Hand (1017). Er war erst 23 Jahre alt
und Bezwinger, wenn auch nicht Mörder ihres Mannes, sie immerhin schon 33, aber
sie willigte ein. Seine erste Lebensgefährtin Aelgifu (seine »Konkubine«, nicht
Gemahlin, aber Mutter zweier Söhne von ihm) hatte zu verzichten, ohne aber die
Verbindung zu ihm ganz aufgeben zu müssen. Als Knuts Bruder Harald in Dänemark
1018 starb, wurde er auch unangefochtener König von Dänemark. In Schweden war
der bereits erwähnte König Olaf Schoßkönig an der Macht. Hatte Knuts Vater in
Schweden noch mächtig hinein regiert, verweigerte Olaf Knut die Unterwerfung und
sicherte sich ganz im Gegenteil eine Allianz mit dem norwegischen König Olaf
Haraldsson (reg. 1016–1028). Beide Olafs versuchten eine Invasion in Dänemark,
aber ohne eine Entscheidung zu ihren Gunsten zu erreichen. Knuts Stellung als
König von England und Dänemark blieb unangefochten, und 1027 konnte er sogar in
Rom Seit’ an Seit’ mit den mächtigsten Herrschern seiner Zeit an der
Kaiserkrönung Konrads II. (geb. ca. 990; König 1024; Kaiser 1027; gest. 1039)
teilnehmen. Durch ein Bündnis mit Konrad II. gegen Polen gelang es Knut noch,
sich Schleswig zu sichern. Seine spätere Beendigung von Grenzstreitigkeiten hier
wurde besiegelt durch die Verlobung seiner Tochter Gunhild (oder Kunigunde) mit
Konrads Sohn, dem späteren Kaiser Heinrich III., 1035; die Hochzeit erfolgte ein
Jahr später; Gunhild starb aber schon 1038, erst 20jährig. Überhaupt betrieb
Knut eine auf Verständigung ausgerichtete Heiratspolitik. Er selbst hatte, wie
erwähnt, Emma, die Witwe Aethelreds, geehelicht, um die dynastische Kontinuität
in England sicherzustellen und zum Ausgleich beizutragen, aber auch, um die
konstruktiven Verbindungen zur Normandie fortzusetzen – schließlich war Emma die
Schwester des dortigen Grafen Richard II. Als dieser 1026 starb, drohten die
guten Beziehungen allerdings in die Brüche zu gehen, aber da verheiratete Knut
seine Schwester Estrith mit Robert I. (gest. (Gift?) bei Schiffspassage vor
Palästina 1035), der nun Graf der Normandie war, und sorgte wieder für bessere
Verhältnisse, jedenfalls eine Zeit lang; denn 1034 sandte Robert I. eine Flotte
gegen Knut zur Invasion in England aus, die allerdings bei der Insel Jersey vom
Sturm zerstreut wurde. Robert I. war tapfer, aber grausam, und hieß nicht von
ungefähr Robert der Teufel.
Knut regierte in England gerecht und schenkte dem
Land eine Ära des Friedens. Seine Herrschaft war für England ein Segen. Hier
unterstützte er auch die Kirche – er nahm das Christentum an – und erwies sich
ihr als Wohltäter. Seine englischen Untertanen haben es nie bereut, dass sie ihn
ohne große Widerstände akzeptiert haben. Er achtete ihre Gebräuche und Gesetze,
aber brach auch die Macht der Adligen zu Gunsten des Volkes. Der von ihm
aufgebaute Verwaltungsapparat, den er zumeist Engländern überließ, sicherte die
Beständigkeit und Qualität der Regierung. Anders sah es in Schweden und Norwegen
aus. Sein klares Ziel war die Unterwerfung Norwegens. Nachdem die Invasion der
beiden Olafs in Schonen, wie erwähnt, nichts gebracht hatte, schickte Knut nach
seiner Rückkehr aus Rom den norwegischen König 1028 ins Exil nach Russland
(damals war Olaf schon 12 Jahre König in Norwegen); mit Olafs strengem Regiment
und Vorgehen unzufriedene Freibauern und Edle hatten Knut ins Land gerufen und
sich mit ihm verbündet, aber im nächsten Jahr kehrte Olaf zurück und nahm den
Kampf auf. Olaf hatte das Land streng, wenn auch meist gerecht regiert und
rigoros die Christianisierung vorangetrieben. Auch jetzt standen Engländer und
Dänen sowie norwegische Bauern gegen ihn. Es kam zur entscheidenden Schlacht am
29. Juli 1030 bei Stiklestad, Olaf starb an seinen Verletzungen, gerade einmal
35 Jahre alt, aber seitdem als Norwegens Nationalheiliger verehrt – schon 1031
wurde er heilig gesprochen. Nun war Knut auch König von Norwegen; er überließ
die Regentschaft seiner ehemaligen Gefährtin Aelgifu und ihrer beider noch
minderjährigem Sohn Sven. Auch sonst konnte Knut sein Reich nur über Regenten
und Vizekönige regieren, was ihm ziemlich viel Verdruss bescherte. In Norwegen
beendete Olafs Sohn Magnus der Gute (reg. 1035–1047) die Herrschaft von Aelgifu
schon 1035, aber wie vorher schon in ihrer Heimat Nordengland war sie bei den
Norwegern sehr beliebt gewesen. Knut selbst starb am 12. November 1035 in
Shaftesbury in England und wurde im Old Minster in Winchester beigesetzt.
Winchester war gewissermaßen seine Hauptstadt geworden.
Eine Zeit lang war
Knut der mächtigste Herrscher in West- und Nordeuropa, der noch dazu, sieht man
von seiner dünnen Hakennase ab, sehr gut aussah. Wirklich nachhaltig war seine
Regentschaft aber nur in England, wo er Verwaltung und Recht reformierte, z. B.
durch die Erneuerung der Gesetzestexte von Alfred dem Großen. In Dänemark
begründete er Bischofssitze; die Einführung der ersten dänischen Münze geht auf
ihn zurück. Sein »Nordsee-Großreich« zerbrach allerdings schon kurz nach seinem
Tode, 1035 löste sich Norwegen ab, 1042 England, als Knuts jüngster Sohn
Hardeknut – 1037 König von Dänemark und 1040 nach dem Tod seines Bruders Harald
Hasenfuß König von England – starb. Aufgrund eines Erbvertrages stand Dänemark
von 1042 bis 1047 sogar selber unter norwegischer Herrschaft. Knut selbst wurde
ob seiner Taten und Leistungen zu Knut dem Großen. Er ist heute noch aus einem
anderen Grund bekannt. Der Legende nach soll er versucht haben, vom Meer
Gehorsam für seine Anordnungen zu fordern. Als sich dieses trotz seines Befehls
nicht zurück zog, sondern seine Füße und Beine überspülte, soll er die Macht von
Königen für wertlos erachtet und nur noch Gott als den wahren Herrn anerkannt
haben; er soll sogar von da ab nie wieder seine goldene Krone aufgesetzt haben.
»Basierend auf der Geschichte von Knuts Überzeugung, den aufbrandenden Wellen
Einhalt gebieten zu können, spricht man in England auch heute noch vom
»Knut-Syndrom« (Canute Syndrome). Gemeint ist der Glauben vor allem von
Politikern und Managern, in ihrer großen Macht selbst das schlichtweg
Unabwendbare noch abwenden zu können.« (Fraesdorff). Resümierend urteilt Will
Durant über Knut den Großen, dem er Sympathie entgegenbringt, wenn auch nicht so
viel wie Alfred dem Großen: »Er war als Däne gekommen und starb als
Engländer…Knut war mehr als nur ein Eroberer; er war ein Staatsmann.«
Nach
Alfred und Knut erhielt kein englischer Herrscher mehr den Beinamen »der Große«.
Königin Elisabeth I. (geb. 1533; reg. 1558–1603) hätte den Ehrentitel
sicherlich verdient gehabt, aber das wollte die Geschichte nicht…
Dem Gedächtnis weit gehend entschwunden: Maelgwn, Rhun, Rhodri, Llywelyn
und Gregor die Großen
Als germanische Stämme ins heutige
Großbritannien eindrangen, durchlief Wales eine politische Entwicklung, die sich
vom Rest der Insel abhob. Einer der Ursprünge der berühmten Arthus-Sage ist
offenkundig in Wales zu suchen – viele Historiker vermuten in Arthus, dessen
reales Vorbild vielleicht im 6. Jahrhundert lebte, mehr als nur eine
Sagengestalt, und es gibt auch Stimmen, die im Sagenkranz um Arthus Wales’
möglicherweise bedeutendsten Beitrag zur europäischen Kultur sehen, so
jedenfalls nachzulesen in der Encyclopedia Americana. In Wales gab es
etliche unabhängige Fürstentümer, wie die Königreiche Gwynedd, Powys,
Deheubarth, Brycheiniog und Morganwg, die in steter Fehde mit einander lagen.
Der letzte Herrscher eines vermutlich mehr oder weniger vereinigten Britanniens
war Cadwaladr, der 664 starb. Seine Standarte, ein roter Drache auf grünem
Grund, stellt noch heute die Flagge von Wales dar. Ein Jahrhundert später
befestigte Offa, der angelsächsische König von Mercia seit 757, gestorben 796,
die Grenze zwischen den Engländern und den Walisern, den Kelten, durch einen
nach ihm benannten Damm. Nach zwei Kriegszügen gegen Wales ging es ihm nicht
mehr um Eroberung, sondern um die Markierung der äußersten Grenzen seiner Macht.
Die Spuren des Dammes sind noch heute sichtbar, und auch heute noch spricht man
oft in England von Wales als »hinter Offas Damm gelegen«.
Von den
Königreichen in Wales stach Gwynedd hervor. Von etwa 520 bis etwa 549 regierte
hier Maelgwn, dem die Nachwelt den Titel »der Große« verlieh. Ihm folgte Rhun,
der bis etwa 580 an der Macht war, und auch ihn ehrte man mit dem Beinamen »der
Große«. Im 9. Jahrhundert gelang es dann dem Gwynedder König Rhodri dem Großen,
der seit 844 herrschte und 878 starb, Wales unter seiner Herrschaft zu vereinen.
Er zeichnete sich vor allem durch seine Verteidigung von Wales gegen die
Normannen aus, und als Rhodri den Großen findet man ihn auch in der
Encyclopedia Americana. Sein Reich hatte nicht lange Bestand, und erst im
nächsten Jahrhundert gelang die Einigung von Wales noch einmal einem Gwynedder,
nämlich Howell dem Guten (Hywel Dda, 942–950), auf den auch das erste
Gesetzeswerk von Wales zurückgeht. 1066 eroberten die Normannen nicht nur
England, sondern auch Südwales. Während sie in diesen Gebieten Grenzmarken mit
Rittern oder Grafen als Herren einrichteten, widerstanden ihnen die Waliser im
Norden. Rhodris des Großen Fürstentum Powys, das er innerhalb von Gwynedd
begründete, hielt sich selbstständig bis 1075, aber auch nach Verlust der
Unabhängigkeit brachte es bedeutende Könige hervor. Einer davon war Llywelyn der
Große (Llywelyn ab Iorwerth), also noch einmal ein Gwynedder, der, 1173 geboren,
von 1200 bis 1240 regierte und als geschickter Krieger und Staatsmann fast ganz
Wales unter seine Herrschaft brachte. Mit König Johann I. von England (Johann
ohne Land; geb. 1167, reg. von 1199–1216; gest. 1217), dem Bruder und
Nachfolger von König Richard I. Löwenherz (geb. 1157, reg. 1189–1199) schloss
er ein Abkommen, das ihm zehn Jahre gute Verhältnisse mit dem Nachbarland
ermöglichten; er heiratete auch 1205 Johanns uneheliche Tochter Johanna. Aber
1210 verschlechterten sich die Beziehungen, und er verlor einige Gebiete an
England. Nun baute er gute Verhältnisse zu englischen Baronen auf, und dadurch
und über Bündnisse mit anderen walisischen Fürsten gewann er die Gebiete zurück.
In der englischen Politik, die schließlich 1215 zu der dem König Johann
aufgezwungenen Magna Charta Libertatum führte, der »großen Urkunde der
Freiheiten«, der im Lauf der Zeit wichtigsten Grundlage des englischen
Verfassungsrechtes, spielte er eine bedeutende Rolle. Nach Johanns Tod gab es
Auseinandersetzungen mit der englischen Krone, auch wenn diese ihn in seiner
Stellung in Wales bestätigt hatte, aber vor allem Kämpfe mit anderen walisischen
Herrschern, die 1234 mit einem Friedensschluss beendet wurden, und Llywelyn war
unangefochten zum mächtigsten walisischen Herrscher aufgestiegen. Er starb am
11. April 1240. Sein Enkel Llywelyn ap Gruffydd, der 1246 an die Macht kam,
konnte, nachdem »des Großen« Söhne nur Chaos ins Land gebracht hatten, die
Einheit noch einmal herstellen, aber König Eduard I. von England (geb. 1239;
reg. 1272–1307) trachtete danach, Wales und Schottland unter der englischen
Krone zu vereinigen. Mit Schottland gelang es ihm nur vorübergehend, aber Wales
eroberte er 1282. Llywelyn, der 1267 noch mit Billigung der englischen Krone den
Titel Prinz of Wales angenommen hatte, fiel; sein Kopf wurde am Tower von London
aufgehängt, Wales kam zu England, und 1301 wurde der Titel eines Prinzen von
Wales von Eduard I. auf den englischen Thronfolger übertragen – von diesem wird
er noch heute getragen, aber wer kennt schon noch Rhodri oder Llywelyn die
Großen? …
Gregor den Großen (ca. 540–604) sollte man dagegen kennen. Er war
ein bedeutender Papst und einer der sogenannten vier lateinischen Kirchenlehrer;
im Teil ‚Intermezzo‘ ist er uns bereits im 2. Kapitel ›Die Kirchenlehrer‹
begegnet. Was aber den wenigsten bekannt sein dürfte, ist, dass es noch einen
Träger dieses Titels gab: den schottischen König Gregor den Großen, der in der
Encyclopedia Americana beschrieben ist. Das vereinigte schottische Königreich
war 844 durch Kenneth MacAlpine gegründet worden; Gregor folgte 878 als fünfter
König dessen Sohn Aed und übernahm die Herrschaft für den eigentlichen Erben,
den noch nicht volljährigen Eocha, mit dem er elf Jahre lang regierte, bis beide
vertrieben wurden. Während seiner Herrschaft eroberte er Teile von Northumbria.
Vor allem soll er der erste gewesen sein, der der schottischen Kirche ihre
Freiheit gab, die bis dahin unter Knechtschaft gestanden hatte. Ob damit die
Befreiung von säkularer Herrschaft verbunden war oder nur die Übertragung von
Privilegien von einer Kirche, Dunkeld, zur Kirche von St. Andrews, darüber
diskutieren die Historiker immer noch. Gregor der Große, zur Zeit des englischen
Königs Alfred des Großen ein bedeutender Herrscher, starb 889 in Schottland.
Leider fiel auch er, im Gegensatz zu seinem berühmten Namensvetter, dem Papst,
dem Vergessen anheim …
Um Frieden und Einheit bemüht: Waldemar und Margarete
die Großen
Das
Ringen Dänemarks mit England, aber auch mit Schweden und Norwegen um
Macht und Einfluss, hatte am Ende Dänemark eher geschadet als genützt.
Wie wir gesehen haben, hat England die dänische Herrschaft wieder
abgeschüttelt, nachdem Knut der Große gestorben war, und Dänemark war
eine Zeit lang sogar Norwegen untertan. Erst unter Waldemar I. gewann
Dänemark wieder an Ansehen; man hat ihn daher »den Großen« genannt.
Geboren wurde er am 1. Januar 1131, acht Tage, nachdem sein Vater Knut
Laward ermordet worden war. Seinen Namen erhielt er nach dem Großvater
seiner Mutter, dem russischen Grandprinzen Vladimir. Als König Erich
III. 1147 starb, beanspruchte Waldemar den Thron und übernahm schon
einmal die Macht über Jütland. Es vergingen zwar zehn Jahre bis zu
seinem Sieg über seine Widersacher, aber dann war er unangefochtener
König von Dänemark. Seine erste Aufgabe sah er darin, die Küstengebiete
vor den räuberischen Wenden zu schützen. Die nicht enden wollenden
Thronstreitigkeiten hatten diese dazu benutzt, ständig in Dänemark
einzufallen und das Land zu verheeren. Die Wenden lebten an der Ostsee
und waren zu dieser Zeit noch Heiden. Sie fanden fast keinen Widerstand
vor, da die Bauern geflohen waren. Waldemar baute ein schlagkräftiges
Heer auf und schaffte wieder Ruhe und Frieden, nachdem er die Wirren im
eigenen Land beendet hatte. Im Bunde mit dem Sachsenherzog Heinrich dem
Löwen und unterstützt von seinem Freund, dem kriegerischen Bischof von
Roskilde, Absalon (1128 (?)–1201), zog er 1168/69 gegen die Wenden in
ihrem eigenen Land zu Felde, eroberte die Insel Rügen, machte sie
lehnspflichtig und zwang die Wenden, den christlichen Glauben
anzunehmen. Schon vorher – 1162 – hatte er die Lehnsoberhoheit Kaiser
Friedrichs I. Barbarossa anerkannt. Damals war es ihm noch darum
gegangen, des Kaisers Hilfe gegen Heinrich den Löwen zu erhalten,
dessen Expansionspolitik im Norden auch an seiner Herrschaft gerüttelt
hatte. Trotzdem: Als Waldemar 1168 das wendische, gut verteidigte
Arkona eroberte, womit er Heinrich zuvor gekommen war, bekam Heinrich
die Hälfte des Tempelschatzes und des Tributes der Insel Rügen. Aber
wichtiger war, dass er die slawische Gefahr beseitigt hatte. Absalon,
der 1177 auch Erzbischof von Lund wurde, konnte nun die dänische Kirche
stärken und ihren Einfluss bis Rügen und Pommern ausdehnen. Schon 1167
hatte er die Burg Havn errichten lassen, die Keimzelle für die spätere
Hauptstadt Kopenhagen. Absalon, der nach Waldemars Tod ebenfalls
einflussreicher Berater von dessen Sohn Knut VI. (reg. 1182–1202)
wurde, unterstützte Waldemar auch in anderer Hinsicht: Mit Erzbischof
Eskil von Lund gab es offenen Konflikt und Streit; die meisten Bischöfe
hielten unter Führung von Absalon zu Waldemar. Am 25. Juni 1170 kam es
zur Aussöhnung zwischen Kirche und Krone; sie wurde symbolisiert durch
die Weihung von Waldemars Vater Knut Laward zum Heiligen, und Waldemars
Sohn Knut wurde beim selben Anlass gekrönt. Es war der im ersten Anlauf
erfolgreiche Versuch, aus dem Wahlkönigtum in Dänemark ein erbliches zu
machen, aber der Erfolg war nur vorübergehend. Waldemar der Große starb
am 5. Dezember 1182. Seine Regierung hatte seinem Land zwölf Jahre
Frieden und Wohlstand gebracht, und auch wieder Macht und Ansehen –
sichtbares Zeichen dafür war auch seine Erweiterung des Danewerks.
Nach
dem Tode Waldemars des Großen knüpften seine Söhne Knut VI. und Waldemar II.
(geb. 1170; reg. 1202–41) an seine Erfolge an: sie eroberten weitere wendische
Gebiete an der mecklenburgisch-pommerschen Ostseeküste, 1201 das deutsche
Holstein und 1219 Estland. Allerdings gingen diese deutschen und wendischen
Eroberungen wieder verloren, und Estland wurde 1346 dem Deutschen Orden
verkauft. Waldemar IV. Atterdag, der diesen Verkauf tätigte, andererseits aber
1361 Gotland erwarb, ist uns schon in Verbindung mit dem Grafen Gerhard III. dem
Großen von Schleswig und Holstein begegnet. Er unterlag im Krieg gegen die Hanse
und musste 1370 Frieden schließen. Seine Tochter war Margarete die Große.
Margarete ergeht es wie Hatschepsut von Ägypten: Offiziell trägt sie den Titel
»die Große« nicht, aber inoffiziell wird sie so genannt. So haben Dunbar,
Petersen und Jessen das Werk Christine von Schweden. Karoline Mathilde von
Dänemark und Norwegen. Margarete die Große von Dänemark in drei Bänden
(Paderborn 2004) herausgebracht. Damit gibt es ein eigenständiges Werk mit dem
Titel Margarete die Große, und sicher wird sich diese Ehrbezeichnung in
Anbetracht ihres Lebenswerkes mit der Zeit auch durchsetzen.
Margarete die Große von Dänemark, Abbild auf Margarethes Sarg (Wikipedia)
Unter Waldemar
IV. hatte Dänemark begonnen, im Konzert der großen europäischen Mächte wieder
mehr Einfluss zu erhalten. Von allen Herrschergestalten, die das nördliche
Europa in dieser Epoche hervorgebracht hat, war Margarete I. ganz eindeutig die
bedeutendste. Geboren wurde sie in Søborg auf der Insel Seeland im März 1353.
Als sie zehn Jahre alt war, verheiratete sie ihr Vater mit König Haakon VI.
Magnusson (geb. 1339; reg. 1355–1380) von Norwegen und Schweden. Waldemar IV.
starb 1375. Margarete begab sich daraufhin mit ihrem damals erst fünfjährigem
Sohn Olaf nach Kopenhagen, wo sie sich dem Königswahlkollegium, bestehend aus
Adligen und Geistlichen, stellte; tatsächlich gelang es ihr, zu erreichen, dass
der Prinz zum König gewählt und sie selbst als Regentin Dänemarks anerkannt
wurden. Glückliches oder unglückliches Skandinavien – wie dem auch sei: Haakon
VI. starb 1380, und nun wurde Olaf gerade in dem Alter, in dem seine Mutter
geheiratet hatte, König von Norwegen, aber da er noch unmündig war, übernahm
seine erst 27 jährige Mutter nun auch die Regentschaft in Norwegen »und erweckte
mit ihrem Mut und ihrer taktvollen Klugheit das Erstaunen ihrer an männliche
Unfähigkeit und Brutalität gewohnten Zeitgenossen, so dass die dänischen und
norwegischen Barone, die mit ihren Königen oftmals so wenig Federlesens gemacht
hatten, der weisen und um das Landeswohl besorgten Fürstin ehrerbietige
Gefolgschaft leisteten.« (Will Durant). Dank ihres diplomatischen Geschicks
erhielt Olaf dann 1385 auch noch den schwedischen Thron. Leider starb Olaf schon
zwei Jahre später, erst 17 Jahre alt. Für Margarete hätte dies den Verlust ihrer
Macht bedeuten können. Aber es kam anders: Sie hatte inzwischen schon so viel
Ansehen erworben und so viele Erfolge vorzuweisen, dass die dänischen Wahlmänner
sie 1387 zur Regentin Dänemarks erkoren, unter Missachtung des von der
Verfassung vorgesehenen Ausschlusses der weiblichen Thronfolge. Ein Jahr später
folgte Norwegen trotz des dort gegebenen Erbkönigtums, und wiederum ein Jahr
später auch Schweden, dieses Land allerdings, weil hier der Adel mit König
Albrecht von Mecklenburg (ca. 1340–1412; als Albrecht III. Herzog von
Mecklenburg 1385–88 und seit 1395) unzufrieden war – man hatte ihn 1364 auf
den Thron gesetzt, ein schwacher Herrscher, der sich aber nun anmaßte, gegen den
sich als Herren aufspielenden und das Volk unterdrückenden Adel mehr Gewicht zu
erhalten – Margarete schickte ein Heer, das Albrecht schlug und bis 1395
gefangen setzte. Nun war sie Königin aller drei skandinavischen Reiche. Und 1397
wurden diese Erfolge sogar noch einmal getoppt: In Kalmar in Schweden traten die
Wahlkollegien aller drei Länder zu einem gemeinsamen Reichstag zusammen und
krönten ihren Großneffen Erich von Pommern (ca. 1382–1459), der schon 1388 in
Norwegen als Erbkönig anerkannt worden war, zum gemeinsamen König. Dabei wurde
auch die ewige Vereinigung aller drei Länder proklamiert – dabei sollten
allerdings Gesetzgebung oder gar Autonomie der Einzelstaaten unangetastet
bleiben (Kalmarer Union). Margarete übernahm nun auch für den damals
fünfzehnjährigen Erich die Regentschaft (Generalvollmacht für die
Reichsverweserschaft) und regierte weise und vorausschauend. Ihr nordisches
Großreich umfasste neben Dänemark, Schweden und Norwegen auch Schleswig,
Holstein, Grönland, Island, die Faröer und die Shetland-Inseln. Als sie plante,
das Herzogtum Schleswig noch fester an ihr Reich zu binden, begab sie sich mit
Erich nach Flensburg. Dort herrschte allerdings die Pest. Sie starb, gemessen an
ihren Aufgaben zu früh, an dieser Seuche am 28. Oktober 1412 auf einem Schiff im
Flensburger Hafen. In Flensburg ist sie noch heute unvergessen, da sie hier die
Duburg hatte errichten lassen. Im Dom von Roskilde ist ihr Sarkophag an
exponierter Stelle zu besichtigen. Die von ihr geschaffene Kalmarer Union der
drei Staaten hielt sich mit Unterbrechungen bis 1523, die dänisch-norwegische
Personalunion von 1380 sogar bis 1814. »Kein europäischer Monarch jener Zeit hat
ein so ausgedehntes Reich regiert, und keiner mit solchem Erfolg«, hat Will
Durant resümiert. Sie brachte dem Reich Ruhe und Ordnung, und auch der Adel
hielt zu ihr. Sie war auf jeden Fall eine ganz ungewöhnliche Frau. Den
Ehrentitel »die Große« auch offiziell hätte sie auf jeden Fall verdient, aber
immerhin wird sie manchmal – und das offiziell – »die Semiramis des Nordens«
genannt.
Leider gelang es Erich, der als Erich XIII. regierte, nicht, in die
Fußstapfen seiner Großtante zu treten. Seine Politik war denkbar unglücklich. Er
– wie alle seine Nachfolger – blieben im Grunde dänische Könige und
vernachlässigten Norwegen und Schweden. Es kam zum Aufruhr, vor allem in der
Bauernschaft. Schon 1439 wurde er erst in Dänemark, dann in den anderen
Reichsteilen abgesetzt. Sein Neffe schwesterlicherseits Christoph von Bayern
(man höre und staune: ein Bayer im Norden), der alle ihm gestellten Bedingungen
annahm, wurde als Christopher III. zum König gewählt. Als er schon 1448 starb,
bedeutete das auch das vorläufige Ende der Kalmarer Union…
Exkurs: Namentlich »Große«
Vorgestellt werden in diesem Buch
Persönlichkeiten, die mit dem Titel der oder »die Große« geehrt wurden. Es gab
aber auch einige, die wirklich diesen Namen trugen, die tatsächlich »der Große«
hießen. Da sie in erster Linie in Norwegen anzutreffen waren, sollen die
bedeutendsten von ihnen in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Sie hießen
Magnus, und das bedeutete (von lateinisch magnus »groß«) »der Große«. Magnus I.
der Gute (geb. 1024; reg. 1035–1047) war der Sohn Olafs des Heiligen, dem wir
weiter oben bei seinem verlorenen Kampf gegen Knut den Großen begegnet sind. Als
die Norweger den Sohn Knuts vertrieben hatten, holten sie den im russischen Exil
lebenden Magnus auf den Thron, und sieben Jahre später wurde er auch – durch
Erbvertrag – König von Dänemark. 1043 verteidigte er Schleswig erfolgreich gegen
einen Wendeneinfall. Ein späterer König mit diesem Namen war Magnus V.
Erlingsson (1156–1184); er wurde 1163 norwegischer König, allerdings unter
Festlegung von Thronfolgerechten für Magnus, bei der die Kirche maßgeblichen
Einfluss gewann: die dänische Krone wurde als »Lehen des heiligen Olaf«
vergeben. Dagegen empörten sich 1180 dänische »Nationalisten«; Magnus musste
fliehen und kam vier Jahre später in einer Schlacht am Sogneford ums Leben.
Magnus VI. Lagabøter (1238–1280), der »Gesetzesverbesserer«, war ein weiterer
Träger dieses Namens – er regierte seit 1263 als König. Das Land- und
Stadtrecht, das er ausarbeiten ließ (1274), blieb bis 1604 in Kraft; die Kirche
durfte zwar ihre eigene Gerichtsbarkeit behalten, aber Norwegen bekam damit
dennoch eine Rechtseinheit. Für Schweden stellte diese Rechtseinheit Magnus
VIII. Eriksson (1316–1374), König von Norwegen (1319–55) und – als Magnus
II. Eriksson – König von Schweden (1319–64), im Jahr 1350 her. Er ertrank im
Hardangerfjord.
Der Name Magnus war seinerzeit nicht unüblich. In Sachsen
hieß Magnus der letzte aus dem Geschlecht der Billunger, der seit 1072 Herzog
von Sachsen war und sich am Sächsischen Fürstenaufstand 1070 bis 1075 gegen den
unglückseligen Heinrich IV., den durch den Gang nach Canossa 1077
traurig-berühmten Kaisser, beteiligte, ja sogar an führender Stelle, was dann zu
seiner mehrfachen Gefangensetzung führte. Durch seine Heiratspolitik baute er
dynastische Verbindungen zu den Askaniern und Welfen auf. Magnus starb hoch
geehrt im Jahre 1106.
Zur Zeit der Regierung von Kaiser Lothar III. von
Supplinburg, einem von der Nachwelt vielfach unterschätzten Kaiser, der aber den
deutschen Landen immerhin für zehn Jahre so etwas wie ein »Goldenes Zeitalter«
bescherte, wüteten in Dänemark wieder einmal heftige Thronstreitigkeiten. Knut,
der Herr zwischen Schleswig und Lübeck, sächsischer Lehnsmann, den Lothar mit
Wagrien belehnt hatte, war von einem weiteren Magnus heimtückisch, bei
friedlichem Treffen, ermordet worden; Magnus wiederum war der Sohn von Niels,
dem Onkel von Knut, der ihn, als er noch unmündig war, beiseite geschoben hatte,
um selbst den dänischen Thron zu besteigen. Knut hatte dies nicht akzeptiert,
Magnus strebte ebenfalls nach dem Thron, und Knuts Halbbruder Erich Edmund nun
nach Knuts Tod ebenso. Schon standen sich Lothar, der zu Erich hielt, und Niels
1131 am Danewerk gegenüber, zur Schlacht bereit. Aber Niels und Magnus
verhandelten und sühnten die Tat; drei Jahre später schwor Magnus Lothar den
Lehnseid. Noch 1134 wurden Niels und Magnus jedoch erschlagen, und Erich Edmund
als letztendlicher Sieger, wenn auch kaum als »lachender Dritter«, erhielt nun
den dänischen Thron und Dänemark als Lehen Kaiser Lothars.
Und das Fazit?
Der Name Magnus sagt nichts über tatsächliche Größe, auch wenn die eine oder
andere große Tat von den Trägern dieses Namens begangen wurde. Da war Jarl
Haakon (ca. 937–995) aus anderem Holz geschnitzt. Jarl war in Skandinavien die
Bezeichnung für einen Freien, später für einen hohen königlichen Beamten. Jarl
Haakon führte zwar selbst seine Abstammung auf Odin zurück, war aber kein König,
und doch regierte er Norwegen als de facto – König von etwa 975 bis zu seinem
Tode. Man nannte ihn nicht selten Haakon, den »großen Jarl« …
4.
Vom östlichen Europa bis zum Balkan
Slawen und Finnen waren schon im
9. Jahrhundert die Gründer der befestigen Stadt Nowgorod, die zu den ältesten
russischen Städten gehört. Beherrscht wurde sie wohl ursprünglich von den
Normannen, den Warägern, die uns bereits begegnet sind. In Nowgorod vertrieben
die Bewohner die Normannen wieder, aber bald waren die finnischen und slawischen
Bevölkerungsgruppen so zerstritten, dass die Stadt leicht abermals den
Skandinaviern in die Hände fiel. Deren Anführer Rurik (ca. 830–879), ein vom Mythos verklärter
normannischer Held, begründete um 862 eine feste Herrschaft in Nowgorod, legte
hier den Grundstock für das russische Reich und wurde zum Ahnherr des russischen
Herrschergeschlechtes. Von Nowgorod aus, das durch weite Handelsbeziehungen mit
der muslimischen und byzantinischen Welt in Verbindung stand und zu einer Zeit
immer mehr zu Wohlstand gelangte, als Städte wie Genua oder Pisa schon an
Einfluss verloren, wurde das russische Reich bis weit nach Süden ausgedehnt.
Oleg, später ein Lieblingsheld der Zarin Katharina der Großen, eroberte weite
Landesteile, unterwarf die slawischen Nachbarn, machte nach der Eroberung 882
Kiew zum Mittelpunkt des Reiches und beherrschte, als er 912 oder 922 starb, ein Reich,
das vom Bug bis zur Wolga und vom Schwarzen Meer bis zum Nordmeer reichte. Sein
Enkel Swatoslaw vergrößerte abermals das russische Reich um ein beträchtliches
Ausmaß, unter anderem durch die Eroberung des Chasarenreiches. Zwar endete er
unrühmlich, er wurde 973 erschlagen, und sein Bezwinger ließ sich aus seinem
Schädel ein Trinkgefäß machen, aber durch Swjatoslaw ist Alt-Russland große und
mächtig geworden – so mächtig, dass der schon unter Rurik begonnene Versuch,
Konstantinopel zu erobern, bis 1043 noch fünfmal wiederholt wurde, wenn auch
immer ohne Erfolg. Sein Sohn Wladimir der Heilige brachte Russland unter den
Einfluss der griechischen Kirche und Gedankenwelt; bis zum Ende des Zarentums
war Russland in Religion, Kunst, Münzwesen, Kultur und Alphabet von diesem
Gedankenkreis geprägt. Unter Wladimirs Sohn Jaroslaw dem Weisen (geb. 978; reg.
1016–1018 und 1019–1054) erreichte das Kiewer Reich (»Kiewer Rus«) seinen
Höhepunkt, aber durch das von ihm eingeführte unglückliche Erbrecht säte er
Zwietracht zwischen die Großfürsten, und nach seinem Tode zerfiel das Reich sehr
schnell. Russland erlebte dann bis zur Ankunft der Mongolen (ab 1223) 83
Bürgerkriege, 293 Fürsten, die um 64 Fürstentümer stritten, 46 Invasionen und 16
Kriege gegen nicht-russische Völker; Kiew sank nach der Zerstörung durch die
Mongolen 1240 (und schon vorher) allmählich zur Bedeutungslosigkeit herab.
Im 10. Jahrhundert war auch für Polen der Beginn der Staatswerdung. Im Jahre
966 trat Herzog Mieszko (reg. ca. 960–992) aus dem Geschlecht der Piasten zum
Christentum über, allerdings nicht zum griechisch-byzantinischen, sondern zum
lateinischen, d. h. römisch-katholischen. Sein Reich umfasste vor allem das
Gebiet um die mittlere Weichsel und die mittlere Warthe. Unter seinen
Nachfolgern vergrößerte es sich immer mehr; der Raum um Krakau, Schlesien,
Mähren, Böhmen, die Westslowakei, die Lausitz und Pommern kamen, wenn auch
teilweise nur vorübergehend, dazu. Kaiser Otto III. erhob Herzog Boleslaw den
Tapferen (Chrobry; geb. ca. 967; Herzog 992; gest. 1025) zum »Bruder und
Mitarbeiter des Reiches« und begründete mit ihm das direkt dem Papst
unterstellte Erzbistum Gnesen mit den drei Bistümern Krakau, Breslau und
Kolberg. Im Jahr seines Todes wurde Boleslaw zum König gekrönt. Sein Reich lag –
eine nicht ganz einfache Situation – zwischen dem Heiligen Römischen Reich,
Dänemark, Böhmen und im Osten dem Kiewer Reich. Aber wie auch in Russland
schwächten Erbfolgestreitigkeiten und Teilungen das polnische Reich in den
kommenden Jahrzehnten. Dazu trat der Angriff der Mongolen, die trotz aller
Legenden nicht in der Schlacht von Liegnitz 1241 von einem deutsch-polnischen
Heer aufgehalten wurden, sondern sich wegen interner Schwierigkeiten um die
Herschernachfolge zurückzogen. Zwar wurde Polen 1320 dauerhaft zum Königreich
erhoben, aber wenig später (1339/53) schied Schlesien aus dem Staatsverband aus
und wurde ein Teil Böhmens und damit auch indirekt Teil des Heiligen Römischen
Reiches.
Noch ein Reich erstarkte im Osten Europas in diesem Zeitraum:
Litauen. Baltische Litauer, die von Slawen von der oberen Oka und Wolga
vertrieben worden waren, nahmen wohl zu Beginn des 9. Jahrhunderts vom heutigen
Litauen Besitz. In zahlreiche Kleinfürstentümer zersplittert, wurde das Gebiet
im 14. Jahrhundert unter Großfürst Gedimin (reg. 1316–41) geeinigt; er machte
Wilna zur Hauptstadt seines Reiches, das er nach Osten vergrößerte, wo er z. B.
Minsk unter seine Oberhoheit brachte. Sein Sohn Algirdas (reg. 1345–77)
erweiterte das inzwischen als Großreich zu bezeichnende Reich bis zur Oka und
zum Dnjepr. Großfürst Jagiello (reg. 1377–1434) verbündete sich mit Polen, um
eine Union gegen den Deutschen Orden zu schaffen – er ließ sich taufen und
heiratete die polnische Thronerbin Hedwig; so war der Weg bereitet, dass er 1386
die polnische Königskrone als Wladyslaw II. erhielt, womit er die Dynastie der
Jagiellonen begründete. Seinem Vetter Witold (Vytautas), dem man den Ehrentitel
»der Große« verlieh, überließ er die Großfürstenwürde in Litauen. 1410 besiegte
dann das litauisch-polnische Heer den Deutschen Orden in der berühmten Schlacht
von Tannenberg.
So sieht der geschichtliche Rahmen aus, in dem mehrere
»Große« eine Rolle spielten.
Krieger, Diplomaten und ein
Heiliger: Wladimir, Mstislaw, Kasimir und Witaut die Großen
Wladimir der Heilige wurde gerade erwähnt. Ihm wurde ebenfalls der Ehrentitel
Wladimir der Große verliehen; so jedenfalls wird er auch in der Enyclopedia
Americana
genannt. Er wurde um 956 geboren und erhielt nach dem Tod seines Vaters
Swjatoslaws einen Teil dessen Reiches; die übrigen Teile bekamen die
anderen Söhne Swjatoslaws, nämlich Oleg und Yaropolk. Natürlich
entbrannte sofort Streit zwischen den Brüdern. Oleg wurde schon bald
getötet, und Wladimir musste nach Skandinavien fliehen. Von dort kehrte
er mit Warägern zurück, brachte seinen verbliebenen Bruder verräterisch
um und wurde somit 978 Großfürst von Kiew. Wladimir, dem die Geschichte
nachsagt, er habe ursprünglich neben fünf rechtmäßigen Frauen noch 800
Nebenfrauen in verschiedenen Städten gehabt und sei ein wilder, Götzen
anbetender Barbar gewesen, ließ sich 988 taufen. Vorausgegangen war,
dass die Kirchen der benachbarten Staaten nach seiner
Machtkonsolidierung zunächst versuchten, ihn von ihrem jeweiligen
Glauben zu überzeugen. Daraufhin beriet sich Wladimir mit seinen
Adligen und sandte Beobachter in die anderen Länder, um herauszufinden,
wie die Menschen unter den Bedingungen der verschiedenen Religionen,
sei es römisch-katholisches oder griechisch-orthodoxes Christentum,
Islam oder Judentum, lebten. Als seine Abgesandten aus dem Bereich der
griechisch-orthodoxen Kirche zurückkehrten und berichteten, sie wüssten
nicht mehr, ob sie im Himmel oder auf Erden gewesen seien, entschied er
sich für diese Religion. Verstärkt wurde diese Entscheidung durch
seinen Wunsch, die Schwester des byzantinischen Kaisers Basileios (geb.
958(?); reg. 976–1025), Prinzessin Anna, zu heiraten. Basileios II.
gilt als einer der bedeutendsten byzantinischen Kaiser schlechthin; er
führte Byzanz zur einer damals ganz hervorragenden Macht in der
christlichen und muslimischen Welt; unter ihm erreichte das
byzantinische Reich seine größte Ausdehnung. Interessanterweise hat
kein byzantinischer Herrscher je den Titel »der Große« erhalten; auch
Basileios II. nicht, der es »nur« zu einem Basileios »der
Bulgarentöter« brachte. Er stimmte der Heirat unter der Bedingung der
Taufe von Wladimir zu, und die Hochzeit wurde auf der Krim gefeiert.
Russland stieg somit endgültig zu einem Teil der »zivilisierten Welt«
auf. Das Christentum wurde zur Staatsreligion und Wladimir durch seine
Taufe innerlich so verwandelt, dass er später in der russischen Kirche
zum Heiligen erkoren wurde – sein Tag in der russisch-orthodoxen Kirche
ist der 15. Juli, der Tag seines Todes – er starb am 15. Juli 1015. Den
Rest seines Lebens widmete er der Verbreitung von Kultur und
Zivilisation in seinem Reich. Unter seinem Sohn und Nachfolger Jaroslaw
dem Weisen, unter dem das Kiewer Reich seinen Höhepunkt erreichte – er
starb 1054 – gab es dann rund vierhundert prachtvolle Kirchen; auf acht
Märkten trafen sich Händler aus Byzanz und Holland, aus Skandinavien,
Deutschland und Ungarn. Es entstanden schon unter Wladimir Klöster und
Schulen – Bildung und Erziehung waren Wladimir ein großen Anliegen –
und ein Gesetzbuch, das die Todesstrafe ausdrücklich nicht vorsah. Auch
die Armenfürsorge wurde schon unter ihm aufgebaut.
Wladimir vergrößerte sein Reich, dessen Einheit er bewahrte.
Seine zwölf Söhne dienten ihm als Gouverneure der verschiedenen Distrikte, waren
ihm aber tributpflichtig. Sein Tod bedeutete für sie allerdings leider das
Signal zum Krieg um das Reich, aber zu dessen Glück setzten sich Jaroslaw und
Mstislaw durch, die das Reich bis 1036 gemeinsam regierten. Den eigentlichen
Anfang vom Ende begründete Jaroslaw durch die Teilung seines Reiches unter
seinen fünf Söhnen…
Wladimir hat den Titel »der Große« sicher verdient. Warum
ihn ein anderer russischer Fürst, Mstislaw I., erhielt, wissen vermutlich nur
wenige. Er wurde 1076 geboren und war von 1125 bis zu seinem Tode 1132 Großfürst
des Kiewer Reiches. Schon 1088 war er Fürst von Nowgorod geworden, wo er
zahlreiche Kriege gegen die Esten (Tschuden) führte. Über ihn ist insgesamt
wenig bekannt. Im Rahmen weiterer Feldzüge kämpfte er auch gegen die Litauer und
verheerte das Gebiet von Polzk, aber er machte sich auf der anderen Seite um den
Bau von Kirchen und Klöstern in Nowgorod verdient. Nach seinem Tod und dem
seines ihm in der Regierung folgenden Bruders Jaropolk II. 1139 beschleunigten
Nachfolgestreitigkeiten den weiteren Zerfall des Kiewer Reiches. Es musste eine
lange Zeit vergehen, Jahrhunderte dauerte es, bis wieder russische Herrscher den
Titel »der Große« erhielten: Die Zaren Iwan und Peter sowie Zarin Katharina die
Großen. Warum er nicht dem hervorragenden Fürsten von Nowgorod (1236–1251) und
Großfürsten von Wladimir (seit 1252) Alexander Newski (geb. ca. 1220; gest.
1263) verliehen wurde, der 1240 an der Newa die Schweden, zwei Jahre später den
Deutschen Orden auf dem Eis des Peipussees und 1245 in drei Schlachten
litauische Heere besiegt hatte und durch seine kluge Politik Nowgorod vor der
Zerstörung bzw. Plünderung durch die Mongolen bewahrte, bleibt ein Rätsel der
Geschichte, aber immerhin wurde er Heiliger der russisch-orthodoxen Kirche; sein
Tag ist der 23. November, und er gilt als der bedeutendste Nationalheld der
russischen Geschichte…
Die Entwicklung Polens seit seinen Anfängen wurde
bereits skizziert. Polen gehört nicht zum östlichen Europa, sondern zum
östlichen Mitteleuropa, aber seine Geschichte ist so sehr mit der Russlands und
Litauens verknüpft, dass wir sie getrost in diesem Zusammenhang erzählen können.
Auch Polen hat einen »Großen«, und zwar Kasimir III. den Großen. Als letzter der
Dynastie der Piasten kam er 1310 zur Welt. Als er 1333 den Thron bestieg, erbte
er ein von ständigen Kriegen zermürbtes Land, das zwar von seinem Vater
weitgehend vereinigt worden und immerhin vom Heiligen Römischen Reich anerkannt
war, aber es gab noch genug zu tun, und so sah er sich gezwungen, mehr auf
Diplomatie als auf Krieg zu setzen. Zunächst erkannte er 1335 im Vertrag von
Wischegrad die Oberhoheit über Schlesien durch den König von Böhmen an und gab
ihm noch ein stolzes Sümmchen Geldes dazu, und dieser verzichtete im Gegenzug
auf alle Ansprüche auf den polnischen Thron. Dann, acht Jahre später, schloss er
im Frieden von Kalisch einen Vertrag, in dem er das umstrittene Gebiet
Pommerellen (Westpreußen), das Michelauer und das Kulmer Land dem Deutschen
Orden überließ, dafür aber die Region Kujawien und das Dobrziner Land zurück
erhielt. Zwar brachte er im Westen solche territorialen Opfer, aber dafür erwarb
er schrittweise 1349, 1352 und 1366 die ostgalizischen bzw. rotreußischen
Fürstentümer Lemberg, Halitsch und einen Teil Wolhyniens, sicherte sie endgültig
für Polen und gliederte Masowien (1351–1356) und Chelm (1366) Polen als
Lehensfürstentümer an, indem er alte rechtliche Forderungen teilweise auch
militärisch durchsetzte. Sein Neffe König Ludwig I. von Ungarn (Ludwig von
Anjou) unterstützte ihn dabei – er wurde bei einem Treffen in Buda 1355 in einem
Erbvertrag unter einigen für Polen günstigen Randbedingungen als Nachfolger des
kinderlosen Kasimir auf dem polnischen Thron bestätigt – auch er ein »Großer«,
dem wir in Kürze wieder begegnen werden. Unter Kasimir dem Großen machte Polen
rasante Fortschritte auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet. Er hatte die
Zeichen der Zeit erkannt, sah, dass das alte Rittertum sich überlebt hatte – die
Feuerwaffe war bereits erfunden – und das Volk in anderen Kategorien dachte. So
gab er Anstöße für Handel und Gewerbe und weitete sie aus. Er unterstützte die
unteren Schichten, stärkte die Bauern gegenüber dem Adel und wurde darob als
»Bauernkönig« bezeichnet, allgemein eher als Ehrentitel verwendet, und umgekehrt
suchte er die großpolnische Adelsopposition zu spalten, auch wenn er den Adel
als Kronrat brauchte. Zu seiner Zeit ließen sich viele Juden in Polen nieder,
und Kasimir stattete sie mit Privilegien aus. Er gründete Städte und Dörfer, die
deutsches Recht erhielten – schließlich siedelte dort auch jede Menge Deutsche,
vereinheitlichte das Münzwesen und mit einer Zusammenstellung der gebräuchlichen
Gesetze auch das Rechtswesen, zumal er auch neue Gerichtshöfe gründen ließ. Er
schuf eine einheitliche Verwaltung durch neue Reichsämter und führte eine
Reorganisation des Kriegswesens durch. War bisher nur der Adel zum Kriegsdienst
verpflichtet gewesen, wurde nun auch der Bürger waffenfähig, und die Kirche
musste Stellvertreter entsenden. Im Jahre 1364 gründete er die Universität von
Krakau nach dem Modell italienischer Rechtsschulen. Als Kasimir am 5. November
1370 starb, hatte er Polen zu einer bedeutenden Macht in Europa gemacht, »war
das vordem erschöpfte und verachtete Polen ein reiches und angesehenes
Kulturland« geworden, wie es ein Historiker ausdrückte; er legte damit den
Grundstock für die Macht seiner Nachfolger, der Jagiellonen, und er hatte den
Weg zur Union mit Litauen geebnet, kurzum ein tatsächlich »großer« Herrscher.
Mitbegründer des litauisch-polnischen Großreiches war Vytautas der Große,
der auf Polnisch Witold hieß und auch als Witaut in der Literatur bezeichnet
wird. Als in Litauen 1930 ein Orden für besondere Verdienste um den Staat
geschaffen wurde, nannte man ihn den »Orden des Vytautas des Großen«. Witold kam
1350 zur Welt. Zu der Zeit war das Großfürstentum in zwei Teile geteilt.
Gedimin, den wir bereits erwähnt haben, hatte zwei Söhne: Kestutis, der von 1345
bis 1382 regierte, herrschte im westlichen Teil, an der Grenze zum
Deutschritterorden, und Algirdas (1345–1377) regierte im östlichen Teil, von
wo aus er dreimal gegen Moskau zog und es belagerte. Der Ausbreitung der Litauer
wurde wenig Widerstand entgegengesetzt, so dass sie relativ friedlich erfolgte,
zumal die bisherigen Fürsten ihre Position behalten durften, wenn sie Tribut
entrichteten. Litauen wurde römisch-katholisch, als Großfürst Jagiello, der Sohn
Algirdas’, die polnische Königin Hedwig (Jadwiga; ca. 1374–1399) heiratete,
eine der Bedingungen für die 1386 erfolgte Union zwischen Polen und Litauen.
Witold, der Sohn von Kestutis und damit Cousin von Jagiello, war damit nicht
einverstanden, weil er um Litauens Einfluss fürchtete, und revoltierte zunächst
dagegen mit Waffengewalt. Schließlich akzeptierte er jedoch das Bündnis und
wurde Großfürst von Litauen. Unter ihm erreichte die Ausdehnung von Litauen
ihren Höhepunkt, als seine Truppen an die Küste des Schwarzen Meeres gelangten.
Im Laufe seines Zuges an den unteren Dnjepr 1396 schlug er die dort ansässigen
Tataren entscheidend; über zehntausend Familien brachte er nach Litauen; aus der
gleichzeitig unterworfenen, im 8. Jahrhundert entstandenen jüdischen Sekte der
Karaiten (Karäer, davor Ananiten nach dem Gründer Anan Ben David genannt) – 500
verschleppte er nach Litauen – rekrutierte er später seine Leibwache. Zwar
musste er drei Jahre danach eine herbe Niederlage gegen die Tataren einstecken,
aber sein Einfluss auf die Goldene Horde, wie die Bezeichnung für den Verbund
der Tataren in Russland lautete, blieb nach wie vor sehr stark. Mittlerweile
nahmen die Spannungen mit dem Deutschen Orden zu; dieser hatte stark an Macht
gewonnen und große Ländereien erworben. Er hetzte allenthalben bei den deutschen
Fürsten und in Rom gegen Polen und Litauen. So kam es zum Krieg, den vor allem
Witold betrieb. Am 15. Juli 1410 wurde der Orden in der Schlacht von Tannenberg
vernichtend geschlagen. Zum ersten Mal, so ist überliefert, hat damals das
polnische Heer das Tedeum in polnischer Sprache gesungen. Auch wenn der Friede
von Thorn 1411 für den Orden einigermaßen glimpflich aussah, war dessen Macht im
Osten gebrochen, und auch der Einfluss des Deutsche Reiches auf Osteuropa.
Wiltolds Werk und Sieg bedeutete eine Wende – nämlich die Wiedererneuerung und
Stärkung des Slawentums. Wiltold selbst stieg zum einflussreichsten Herrscher in
Osteuropa auf. Auch innenpolitisch hat er für sein Land Großes geleistet. So gab
er der jüdischen Bevölkerung Privilegien, unterstützte die Katholiken und ließ
die Schriftkultur verbreiten. Die Union blieb, trotz vieler Wechselfälle und
eines mehrfachen Hin und Her – Witold richtete sich häufig neu aus – erhalten
und er selbst recht eigenständiger Großfürst von Litauen. Er starb am 27.
Oktober 1430 ohne Nachkommen. Als »Großer« blieb er der polnischen und
litauischen Bevölkerung in Erinnerung, vor allem in den schweren Zeiten. Denn
die weitere Entwicklung hielt für Polen noch viele Wechselfälle des Glücks und
schlimme Schicksalsschläge bereit, man denke nur an die vielfältigen polnischen
Teilungen und Freiheitskämpfe. Aber das ist eine andere Geschichte.
Glänzende Herrscher auf dem Balkan: Simeon, Petar Krešimir, Stefan Uroš,
Basarab und Mirtschea die Großen
Auf der Balkanhalbinsel findet
sich eine Reihe teils uralter Staaten: Bulgarien, Kroatien, Serbien und
Rumänien, dazu noch Griechenland, Albanien und die europäische Türkei, um nur
eine grobe Aufzählung zu geben. Bulgarien zählte im Altertum zur Landschaft
Thrakien. Nachdem es einige Jahrhunderte zum Mazedonischen Reich gehört hatte,
kam es im 1. Jahrhundert unter römische Herrschaft. Slawische Einwanderer
siedelten hier seit Ende des 5. Jahrhunderts. Die Protobulgaren, von
turktatarischer Herkunft, richteten in dem Gebiet nach 675 eine Herrschaft auf,
und schon 681 erkannte das Byzantinische Reich die Gründung des ersten
Bulgarischen Reiches an, dessen Herrscher Khan Asparuch (gest. 701) war. Rund
zweihundert Jahre später, um 865, nahm das Land unter Boris I. das orthodoxe
Christentum an und führte seit 885 das kyrillische Alphabet ein. Ihm sind wir im
Zusammenhang mit Papst Nikolaus dem Großen bereits begegnet. Boris dritter Sohn
war Simeon, der 864 geboren worden und am kaiserlichen Hof von Byzanz
aufgewachsen war, wo er eine umfassende Ausbildung erhalten hatte. Mit Byzanz
hatte der Friede lang angedauert, aber als Simeon 893 den Thron des bulgarischen
Reiches bestieg, endete er aus wirtschaftlichen Gründen und wegen Handelsfragen.
Simeons Regierungszeit bis zu seinem Tode 927 bedeutete den Höhepunkt des
mittelalterlichen Bulgariens. Auch wenn der größte Teil davon in fruchtlosen und
teilweise für die durchquerten Länder wie Griechenland verheerenden Kriegszügen
gegen Konstantinopel bestand – er belagerte es 913, und erneut 924; bei dieser
Gelegenheit wurde er zum bulgarischen Zaren ausgerufen – gelang es Simeon, die
bulgarische Grenze in Richtung Adria auf serbisches Gebiet voranzuschieben.
Adrianopel wurde von ihm zweimal erobert. Er nannte sich »Kaiser und Autokrat
aller Bulgaren und Griechen« und bei anderer Gelegenheit »Zar der Bulgaren und
Rhomäer« (d. h. Oströmer, wie sich die Byzantiner selbst nannten) und versuchte,
aus seiner Hauptstadt Preslaw ein Zentrum zu machen, das mit Byzanz in Glanz und
Reichtum konkurrieren sollte.Tatsächlich hat man hier schöne Überreste
byzantinischer Architektur und Skulptur entdeckt. Byzanz seinerseits gelang es,
die Kroaten, Serben und Ungarn gegen Simeon aufzuhetzen, und auch die Griechen
kämpften gegen ihn einen langwierigen Zermürbungskrieg. Nachdem er Zar geworden
war, kehrte endlich mehr oder weniger Frieden ein. Simeon holte verschiedene
Gelehrte und Theologen an seinen Hof. Sie begannen mit der Übersetzung der
byzantinischen geistlichen Literatur ins Altslawische, das kyrillische Alphabet
setzte sich endgültig durch, und 923 wurde das Slawische zur offiziellen Staats-
und Kirchensprache erhoben. Hier und in der Vergrößerung des Reiches, das vom
Schwarzen Meer bis zur Adria und Ägäis reichte und die stärkste Macht auf dem
Balkan darstellte, lag die große Bedeutung von Simeon, den die Nachwelt »den
Großen« genannt hat, ein Titel, der sich allerdings nicht in allen Quellen
findet. Er bescherte, zumindest in seinen letzten Jahren, seinem Reich etwas wie
ein »goldenes Zeitalter«, aber nach seinem Tod verlor das alte bulgarische Reich
sehr schnell an Bedeutung, 972 bzw. 1018 fiel es an Byzanz, und erst 1185/87
entstand es als 2. bulgarisches Reich neu.
Ein weiteres bedeutendes Land auf
dem Balkan ist Kroatien. Das ist heute so, und das war auch schon in der
Vergangenheit der Fall. In römischer Zeit, seit kurz vor der Zeitenwende, war
Kroatien ein Teil Pannoniens bzw. Illyriens. Ab dem 7. Jahrhundert wanderten
slawische Stämme ein und besiedelten das Land. Ab 845 herrschte dort ein Fürst,
924 wurde es ein Königreich mit Tomislaw als erstem König, und die kroatische
Herrscherdynastie gewann Slawonien und die dalmatinischen Städte hinzu. Damals
existierte Kroatien gewissermaßen schon in der heutigen Form, bestand also aus
der Küstenregion und den nördlichen Gebieten, die damals Pannonien hießen. 1102
wurde eine Personalunion mit Ungarn begründet, die sich bis 1918 halten konnte.
Auf Tomislaw ging die kroatische Dynastie zurück, und einer seiner Nachfolger
war Peter Krešimir IV., den die Nachwelt »den Großen« nannte, wenn sich der
Titel auch – wie bei Simeon – nicht durchgängig findet. Er regierte von 1059 bis
zu seinem Tod 1074. Unter ihm erhielt Kroatien im Mittelalter seine größte
Ausdehnung, daher der Titel, den sonst in der kroatischen Geschichte kein
Herrscher mehr bekam. Bedeutsam war auch, dass Petar die katholische Kirche
förderte, im Widerspruch zu einem großen Teil des Klerus und des Volkes, die der
griechisch-orthodoxen Kirche zuneigten. Er schenkte der Kirche Ländereien, baute
Kirchen und Klöster, wie das Kloster der Hl. Maria in Zadar. Aber auch zu Byzanz
pflegte er gute Beziehungen; dagegen nahmen ihn die Normannen bei einem Überfall
gefangen, und er musste die Städte Zadar, Split und Trogir abtreten, um wieder
frei zu kommen; diese Städte gliederte dann Venedig seinen Machtbereich ein,
nachdem es die Normannen vertrieben hatte. Die Auseinandersetzungen mit Venedig
blieben ein Teil der kroatischen Geschichte.
Auch Serbien weist einen
»Großen« in seiner Geschichte auf, und diesem ist sogar ein eigener Artikel in
der Encyclopedia Americana gewidmet. Er stammte aus der prominenten
serbischen Nemanya-Dynastie: Stephen Nemanya V. bzw. Stevan Uroš I. der Große.
Geboren um 1220, kam er 1243 an die Macht. Er heiratete Helena, eine
französische oder deutsche Prinzessin, die Schulen, Bibliotheken und Kirchen
gründete, während er Befestigungsanlagen baute und sein Reich vergrößerte; u. a.
gewann er durch Eroberungszüge große Gebiete in Mazedonien dazu. Helene war ihm
eine wichtige Stütze und legte wie er auf Pomp wenig Wert. Er galt als
Volkskönig, dem es auch daran gelegen war, Unterschiede in seinem Reich, seien
es kirchlicher oder regionaler Art, auszugleichen. Unter ihm entwickelte sich
bemerkenswerterweise das Bergwesen in Serbien; hierin lag für Serbien eine
Haupteinnahmequelle, und bald belieferte Serbien ganz Europa mit Silber, was
fast ein Drittel des europäischen Silbermarktes ausmachte. 1276 stürzte ihn sein
ältester Sohn; er zog sich in ein Kloster zurück und starb am 1. Mai 1277, von
der Nachwelt mit dem Ehrentitel »der Große« geehrt.
Werfen wir noch einen
Blick nach Rumänien. Die ehemaligen Donaufürstentümer Moldau und Walachei sowie
Siebenbürgen bilden im Großen und Ganzen das heutige Rumänien. Die
Urbevölkerung, die Daker und Geten, wurden durch die römische Herrschaft seit
dem 1. Jahrhundert weitgehend romanisiert, daran änderten auch die vielen in der
Folgezeit durchziehenden Völker wie Goten, Alanen, Hunnen, Awaren und andere
nichts, noch wurden sie von ihnen oder auch den im 6./7. Jahrhundert
einfallenden Slawen vertrieben. Als Volk tauchen die Rumänen im 13. Jahrhundert
erstmals urkundlich auf. Die Siebenbürger Sachsen siedelten hier ab 1150,
nachdem sich vorher schon Ungarn (Magyaren) in dem Gebiet niedergelassen hatten.
Aber erst im 14. Jahrhundert wurden in diesen Regionen, nämlich in der Walachei
und in der Moldau, die ersten Staaten gebildet. Angeblich wurde die Walachei als
Staat von einem gewissen Radu Negru, einem Woiwoden aus Transsylvanien,
gegründet, der ab 1290 mit seinen Anhängern in die Tiefländer des heutigen
Rumänien zog. Die Geschichte ist mit vielen Legenden ausgeschmückt; vielleicht
hieß er auch Ivancu oder Tihomir. Interner Streit in Ungarn gab Basarab dem
Großen, der auch Basarab der Gründer hieß (reg. 1330–1352), den Anstoß, 1330
die Walachei von ungarischem Vasallentum zu befreien – dasselbe geschah dann
1359 in der Moldau, und Basarab und seine Nachfolger konnten in der Folge über
mehrere Dekaden ihre Unabhängigkeit bewahren. Der bedeutendste unter ihnen war
Mirtschea (Mircea, Mrtschea) der Große, der 1386 bis 1394 und dann noch einmal
von 1397 bis 1418 regierte. Er wird auch Mirtschea der Ältere genannt, aber in
der Geschichte hat sich doch der Titel »der Große« erhalten. Er war kein König
im westlichen Sinn, sondern betitelte sich als Groß-Woiwode. Für sein Volk war
er der »Herr«, und er verlangte nur den Zehnten, gelegentliche Geschenke und
Heeresfolge – nicht Untertanen war das Volk für ihn, sondern eher Gefährten. Er
führte den byzantinischen Doppeladler auf seiner Bekleidung, die einer
fürstlichen in nichts nachstand, er trug einen roten Mantel und rote Schuhe;
sein Name erschien in roter Schrift auf den Urkunden. Mit Unterstützung aus
Polen eroberte er die Dobrudscha. Ein Teil seines Heeres kämpfte auch 1389 im
Kosovo. Fünf Jahre später gelang es ihm, die Türken zu besiegen, aber 1417
konnte sich die Walachei nicht mehr gegen den türkischen Ansturm wehren – kein
Verbündeter kam Mirtschea zu Hilfe – und wurde ein tributpflichtiger Staat.
Insgesamt haben aber die Walachei, die Moldau (ab 1513) und Siebenbürgen (ab
1538) mehr Glück im Umgang mit den Türken gehabt als andere Fürstentümer – sie
wurden nie zu türkischen Provinzen, sondern konnten sich durch Tributzahlungen
bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts eine weit reichende innere Selbstständigkeit
bewahren, und der Moldau erwuchs in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts noch
einmal ein bedeutender Herrscher, Stefan III. der Große, der zum rumänischen
Nationalheiligen avancierte – ihm werden wir in der »Neuzeit« wieder begegnen.
Herr von Nord bis Süd: Ludwig der Große
Wir
hätten ihn im Zusammenhang mit der polnischen Geschichte behandeln können, im
Rahmen der Erbfolge von Kasimir dem Großen, aber das wäre ihm nicht gerecht
geworden. Er hätte auch zur Geschichte des Balkans gepasst, aber auch nicht
völlig adäquat, und auch in die Geschichte der südeuropäischen Länder hätte man
ihn einordnen können, aber eben auch nicht ohne jeden Zweifel. So erscheint es
am besten, ihm ein eigenes Kapitel zu widmen, das dann auch schon zu den
südeuropäischen »Großen« überleitet.
Ludwig der Große (Wikipedia)
Geboren wurde Luwig am 5. März 1326 im
ungarischen Visegrád. Sein Vater war König Karl Robert von Ungarn, der 1342
starb. Zu dieser Zeit war Ungarn ein mächtiges, unabhängiges Königreich. Hier,
im mittleren Donautal, dem alten römischen Pannonien, hatten sich nach dem
Rückzug der Römer um 400 germanische und hunnische Stämme niedergelassen. Unter
Attila, der 453 starb, wurde es Mittelpunkt des Hunnenreiches. Nach Langobarden,
Wandalen und Gepiden, letztere für längere Zeit, kamen Ende des 6. Jahrhunderts
die Awaren; deren Herrschaft beendete Karl der Große spätestens Anfang des 9.
Jahrhunderts, und nun, seit 896, erschienen die Magyaren auf der Bildfläche und
nahmen das Pannonische Becken für sich ein. Ursprünglich aus der Gegend zwischen
Ural und Wolga, dem finno-ugrischen Sprachraum, stammend, assimilierten sie die
einheimischen Völker und gingen auf Raubzüge gegen die Nachbarländer, in denen
sie Angst und Schrecken hervorriefen. Ihre Niederlage auf dem Lechfeld 955 und
später noch eine weitere vor Byzanz 970 beendeten diesen Teil der ungarischen
Geschichte. Großfürst Géza (ca. 940/945–997), der seit etwa 970 regierte,
bereitete die Christianisierung und Sesshaftwerdung seines Volkes vor und
festigte die fürstliche Macht. Sein Sohn war der berühmte ungarische König
Stephan I. der Heilige (geb. ca. 970/975; Fürst 997; König 1000; gest. 1038),
ein Schwager Kaiser Heinrichs II. – er christianisierte sein Volk teils mit
Gewalt, unterdrückte aber auch den Widerstand der Stammesfürsten und errichtete
eine zentralistische Königsherrschaft. Nach ihm ist die Stephanskrone benannt,
das ungarische Staatssymbol, und er selbst wurde zum Schutzpatron Ungarns und
1083 heilig gesprochen. Ungarn behauptete sich seine Macht in Europa, auch wenn
es Mitte des 11. Jahrhunderts vorübergehend vom Heiligen Römischen Reich
lehensabhängig war. Ab 1102 kam es zur Personalunion mit Kroatien; um 1150
begann die ungarische Krone mit der Ansiedlung von Deutschen in Siebenbürgen.
1222 erzwang der ungarische Adel vom König in der »Goldenen Bulle« die
Festlegung seiner Vorrechte. Nur rund 20 Jahre später drangen die Mongolen ein
und eroberten und besetzten das Land. Aber auch sie zogen sich eines Tages
wieder zurück, und die Ungarn konnten ihre Herrschaft und ihr Land festigen. In
dieser Situation betrieb Ludwig I. der Große eine Politik der immensen
Ausweitung seiner Herrschaft. Diese Expansion hatte aber durchaus auch sehr
starke dynastische Hintergründe. Ludwig war der Ururenkel Königs Karl I., Graf
von Anjou (1226–1285), der seit 1246 Graf der Provence und 1263 vom Papst mit
dem bislang staufischen Königreich Sizilien belehnt worden war. In Verteidigung
dieser neu verliehenen Rechte gegen die Staufer ließ er auch den Staufererben
Konradin 1268 hinrichten. Seine Hauptstadt verlegte er nach Neapel, Sizilien
selbst sollte ihm, worauf wir bald zurückkommen, nicht lange erhalten bleiben.
Karls langfristiger Plan war eine Herrschaft über das Mittelmeer, in die auch
Ungarn mit einbezogen werden sollte. Daraus sollte zwar nichts werden, aber
immerhin gelang es dem Haus Anjou, die Macht über Sizilien, Neapel und Ungarn zu
gewinnen. Ludwigs Vater Karl Robert wurde noch in Neapel geboren und hieß
allgemein Caroberto; er verlor zwar die Herrschaft über Süditalien, aber gewann
dafür immer mehr Einfluss im östlichen Mitteleuropa. Er heiratete Elisabeth, die
Tochter des polnischen Königs und begründete damit die ungarisch-polnische
Allianz, die im mittleren Europa eine bedeutende Rolle spielte. Für Karl Roberts
Pläne war der Verlust Süditaliens nicht entscheidend, er hatte auch die
ungarische Residenz nach Visegrád verlegt – anders aber für Ludwig. Dieser war
zwar in Ungarn geboren und machte das von den Mongolen 1241 zerstörte Budapest
1361 zur Hauptstadt des ungarischen Reiches, mit einem Hofe der Könige von
Anjou, der an Glanz nichts zu wünschen übrig ließ, aber an seinem Plan, auch
Neapel und Sizilien für seine Krone zurück zu gewinnen, ließ er nicht rütteln.
Seine Ansprüche auf die Krone von Polen sind schon erwähnt worden. 1370 wurde er
nach dem Tod seines Onkels Kasimir des Großen König von Polen. Das
Hauptaugenmerk seiner Politik lag aber in ganz anderer Richtung. Polen war für
ihn uninteressant. Er setzte seine Mutter Elisabeth, die ja aus Polen stammte,
als Regentin von Polen ein und übertrug dem polnischen Adel viele Rechte; für
seine polnischen Untertanen galt er nur als »Ludwig der Ungar«. Ansonsten trug
er den Ehrentitel »Ritterkönig«, und in den vierzig Jahren seiner Herrschaft ist
er überwiegend von einem Feldzug zum nächsten geeilt. Sein großer Traum war eine
Machtkonstellation in Europa, die von Polen und Ungarn über Dalmatien auf dem
Balkan bis nach Neapel und Sizilien reichen sollte. Dabei waren Polen und Ungarn
für ihn zweitrangig; von Bedeutung war für ihn vor allem das Mittelmeer. Hier
stieß er aber auf den Widerstand der Republik Venedig, die sich als aufblühende
Handels- und Wirtschaftsmacht ebenso für die Handelsstützpunkte Dalmatiens
interessierte wie er. Von 1345 bis 46, 1356 bis 58 und 1378 bis 81 kämpfte
Ludwig siegreich gegen Venedig; im Frieden von Zadar 1358 gewann er Dalmatien
mit Ragusa, und für das Land begann nun eine Zeit der wirtschaftlichen Blüte,
zumal die dalmatinischen Städte von ihm – anders als unter venezianischer
Herrschaft – weit gehende Autonomie erhielten. Zum abermaligen Krieg gegen
Venedig kam es von 1378 bis 1381 an der Seite Genuas im sogenannten
Chioggiakrieg, dessen Ende Ludwig erneut die Herrschaft über Dalmatien sicherte.
Zudem festigte Ludwig die Oberhoheit über Bosnien, die Walachei, die zwischen
1344 und 1369 unter seine Lehenshoheit geriet, und die Moldau, die er für seinen
Onkel unter polnische Herrschaft brachte; von 1365 bis 69 unterwarf er das
westbulgarische Vidin und machte aus dem alten bulgarischen Zarentum ein
ungarisches Banat. Auf den Thron von Neapel verhalf er 1380 dem letzten
männlichen Vertreter der Nebenlinie Anjou-Durazzo. Das Großreich, das Ludwig nun
regierte, reichte vom Baltikum bis zur Adria. Aber er war nicht nur im Felde
unterwegs. Er suchte, den katholischen Glauben zu verbreiten, und – keine
weitsichtige Entscheidung – verweigerte dem Kaiser von Byzanz aus
Glaubensgründen Militärhilfe gegen die anstürmenden Osmanen – auch sein
Herrschaftsbereich sollte den Osmanen nicht lange standhalten können. Vor dem
Hintergrund seiner Förderung des Katholizismus war ihm die Sekte
(»Häretikergruppe«) der Bogomilen in Bulgarien ein Dorn im Auge, die er daher
bekämpfte. 1367 gründete er die Universität Fünfkirchen (Pécs), womit er sich
auch ein kulturelles Andenken schuf. Ludwigs erste Frau Margarete von Luxemburg,
eine Tochter Kaiser Karls IV., war 1349 nach kinderloser Ehe an der Pest
gestorben; seine zweite Frau Elisabeth, die Tochter Stjepans II., des Banus von
Bosnien, gebar ihm drei Töchter, von denen die älteste schon als Kind starb.
Maria, die zweitälteste, wurde als seine Nachfolgerin »König« von Polen und
heiratete dann Kaiser Sigismund, und seine jüngste Tochter Hedwig wurde als
seine Nachfolgerin »König« von Polen, wo sie dann als Gemahlin Wladyslaws II.
Jagiellos, des Begründers der Jagiellonen, zur Großfürstin von Polen-Litauen
avancierte. Ludwig starb am 10. September 1382 in Tyrnau. Bei seinem Volk blieb
er lebendiger Erinnerung als Ludwig der Große, und das bis heute.
5.
Südliches Europa
Die frühen Siedler auf der Iberischen Halbinsel
waren die Iberer, später – seit dem 6. Jahrhundert v.Chr. – siedelten auch
Kelten dort; seit etwa 1100 v.Chr. kamen die Phönikier und gründeten ihre
Kolonien, danach auch Griechen, und schließlich kam das Land unter römischen
Einfluss, wurde Teil des Römischen Imperiums, mit enormer wirtschaftlicher
Bedeutung – nicht nur Gold und Silber, sondern auch Wein und Öl waren hier
ausschlaggebend. Als Rom an Macht und Einfluss verlor, kamen Sweben, Alanen und
Wandalen auf die iberische Halbinsel, und im Anschluss daran die Westgoten. Für
deren Geschichte war vor allem ihr Übertritt vom Arianismus zum Katholischen
Glauben 587 entscheidend. Innere Wirren schwächten ihr Reich, in dem sie ohnehin
mit der Zeit in der ursprünglichen (romanischen) Bevölkerung aufgingen, so dass
es 711 für die muslimischen Araber, die Mauren, von Nordafrika her im heutigen
Spanien einfallend, nicht all zu schwer war, sie zu besiegen und das Land zu
erobern. 756 entstand das selbstständige Emirat von Córdoba, das von 929 bis
1031 Kalifat war. Für das Land war die Maurenzeit eine gute Zeit; Handwerk,
Landwirtschaft und vor allem das geistige, kulturelle Leben blühten, erreichten
einen Höhepunkt. Dennoch fühlten sich die Christen einer fremden Macht untertan,
unselbstständig, abhängig auch von einer religiös ganz anders denkenden
Herrschaft.
Der Gedanke an die Reconquista, an die Rückeroberung der
ursprünglich christlichen Gebiete durch christliche Heere, wurde nie aufgegeben.
Im Norden des Landes, am Kantabrischen Gebirge, war die arabische Eroberung
stecken geblieben; der Pyrenäen-Raum war nach wie vor fränkisch. In den
asturischen Bergen begann schon bald nach dem entscheidenden Sieg der Mauren der
Widerstandskampf. Pelayo, wahrscheinlich ein westgotischer Adliger, begründete
das Königreich Asturien. Er besiegte bereits 718 oder 722 die Araber bei
Covadonga und gilt damit als derjenige Fürst, der die Reconquista einleitete. Er
starb im Jahre 737 und wird heute als spanischer Nationalheld verehrt. Den
Ehrentitel »der Große« erhielt er nicht, aber andere nach ihm.
Kämpfer für Ehre und Reich und gegen die Mauren: Alfons, Sancho, Ferdinand und
Raimund Berengar die Großen
In Asturien erhielt über 150 Jahre
nach Pelayo der erste Herrscher in diesem Raum den Beinamen »der Große«: Alfons
III. wurde um 848 geboren und 866 König von Asturien. In verschiedener Hinsicht
vergrößerte er sein Reich, u. a. eroberte er Navarra und drang nach
Alt-Kastilien vor; er dehnte die Grenze seines Territoriums über den Douro aus
und besetzte Coimbra im heutigen Portugal; die Hauptstadt Asturiens verlegte er
nach León, seiner beliebtesten Residenz, und schuf damit den Grundstock für die
Entstehung des Königreiches León. Seine erfolgeichen Kämpfe gegen die Mauren und
seine Politik der Wiederbesiedlung der Gebiete, aus denen die Mauren vertrieben
worden waren, brachten ihm den Titel »der Große« ein. Als er schon älter war und
eigentlich das Recht gehabt hätte, seine Erfolge zu genießen, erhob sich sein
Sohn García gegen ihn. Zwar gelang es Alfons, die Rebellion zu unterdrücken,
aber nun erhoben sich auch seine Frau und seine jüngeren Söhne gegen ihn – sie
setzten ihn ab und teilten sich das Reich unter einander auf. García sollte zum
Begründer der Dynastie der Könige von León werden. Alfons ging nach der
Absetzung, die sich im Sommer 910 ereignete, in die Verbannung und starb bald
danach. Interessant ist er, abgesehen von seinen Kämpfen gegen die Mauren, noch
aus einem anderen Grunde: er hinterließ eine Chronik, entweder von ihm selbst
verfasst oder doch zumindest in Auftrag gegeben und von ihm überwacht, die
Crónica Alfonso III. Sie stellt die Geschichte des Westgotenreiches ab 672
und die des asturischen Reiches bis zu Alfons’ Regierungsantritt dar, sozusagen
des asturischen als Fortsetzung des Westgotenreiches. Trotz aller Fälschungen
und der tendenziösen Propaganda zu Gunsten des Könighauses oder vielleicht
gerade deswegen wurde das Werk zu einer ideologischen Grundlage der Reconquista
und diente ihr als Ansporn.
Wesentlich erfolgreicher als Alfons der Große war
bald nach ihm Sancho III. der Große von Navarra. Geboren um 990, stand er bis
1004 unter der Vormundschaft seines Onkels väterlicherseits. Er gründete im
Norden des heutigen Spanien ein großes Reich um Navarra. 1028 fiel ihm Kastilien
durch Heirat zu – er heiratete die Erbin Mayor, die ihm vier Söhne gebar, und
1029 eroberte er das nördliche Kastilien und das östliche León; Aragonien,
Sobrarbe und Asturien huldigten ihm ebenfalls. Damit herrschte er praktisch über
den nördlichen Teil der iberischen Halbinsel. Den Mittelpunkt seines Reiches
bildete Navarra. Durch Förderung der Bildung und Stärkung der Kirche versuchte
er, dieses Reich zu festigen. Aber nach seinem Tode zerfiel es schnell, ja, kurz
vor seinem Ableben schuf er dazu noch selbst durch die Teilung die Grundlage;
alle Teile, die er mühsam geeint hatte, wurden bald wieder selbstständig.
Kastilien und León wurden seinem Sohn Ferdinand zugesprochen, der wie sein Vater
den Titel »der Große« erhielt, eine der seltenen Beispiele in der Geschichte,
dass ein Vater und sein Sohn mit diesem Ehrentitel bedacht wurden. Nerses und
Isaak von Armenien sind das andere Beispiel. Ferdinand I. wurde um 1016/1018
geboren und 1029 von seinem Vater mit der Grafschaft Kastilien belehnt. Nach dem
Tod von Sancho am 18. Oktober 1035 wurde er dort Alleinherrscher und erbte dann
auch noch 1037 das Königreich León. Die Krönung erfolgte 1038, und Ferdinand
führte nun den Titel »König von León und Burgos«. Ferdinand war eine
Kämpfernatur. Er hatte 1037 schon seinen Schwager Bermudo III. von León besiegt.
Im Jahre 1054 erweiterte er Kastilien nach dem Sieg über seinen Bruder García
von Navarra bis zum Ebro und ging dann gegen die Mauren vor. Ihnen nahm er Teile
Portugals ab und dehnte die Grenzen seines Reiches bis fast zum Tejo aus. Von
daher wurde er seit 1054 sogar »Kaiser« genannt, und seine militärischen Erfolge
waren es auch, die ihn zu Ferdinand den Großen machten. Er starb am 27. Dezember
1065 in León.
Portugal löste sich 1075 von Kastilien, 1137 wurden Katalonien
und Aragonien vereint, und Kastilien und León endgültig 1230. Mit dem Zerfall
des Kalifats von Córdoba nach 1031 begann auch die entscheidende Phase der
Reconquista. In dieser Zeit gab es noch einmal einen »Großen«: Raimund Berengar
III. von Barcelona. Er wurde 1082 in Rodez geboren und schon mit 15 Jahren
alleiniger Regent als Graf von Barcelona, Girona und Osona. Unter seiner
Herrschaft gelang es ihm, das katalanische Gebiet erheblich auszuweiten. Fast
alle katalanischen Grafschaften konnte er in seinen Machteinfluss bringen. Durch
seine Heirat mit Dulcia, der Erbin der Provence, fiel auch diese reiche Region
an ihn. Mit den italienischen Seerepubliken Genua und Pisa, mit denen er
Beziehungen knüpfte, griff er 1114 und ein Jahr später die maurischen
Piratenfestungen von Mallorca und Ibiza an, womit er vielen christlichen Sklaven
das Leben rettete. Auch maurische Festlandsstützpunkte wie Valencia bekämpfte er
mit der Unterstützung durch Pisa.
Am Ende seines Lebens wurde Raimund
Berengar der Große zum Templer. Er hatte in erster Ehe Maria, die zweite Tochter
des spanischen Nationalhelden El Cid (Rodrigo Ruy Diaz; 1043–1099) geheiratet,
seine dritte Frau war die eben erwähnte Dulcia aus der Provence. Als er 1131 in
Barcelona starb, konnte er ein gewaltiges Reich vererben – es erstreckte sich im
Osten bis nach Nizza. Sein Sohn aus der Ehe mit Dulcia war Raimund Berengar IV.
(geb. ca. 1113; reg. 1131–1162), der die Grundlage für das mächtige
Doppelreich Barcelona/Aragonien schuf, die »Krone Aragon«, wie dieses Gebilde
genannt wurde.
Die Reconquista erzielte bald große Erfolge. Nach einander
fielen Toledo (1085), Saragossa (1118), nach längerer Atempause 1236 Córdoba und
dann noch 1248 Sevilla. Aragonien-Kastilien brachte es bis zur Mitte des 15.
Jahrhunderts zur Vormacht im westlichen Mittelmeer; es beherrschte die Balearen,
Sizilien, Sardinien und das Königreich Neapel. Hören wir Sizilien und Neapel, so
werden wir an Ludwig den Großen erinnert, und nicht nur ihn als »Großen« treffen
wir hier.
Streiter um Macht und Ansehen: Hugo, Waimar und Peter
die Großen
Begeben wir uns in den Mittelmeerraum, nach Italien,
genauer gesagt in die Toskana, eines der beliebtesten Urlaubsziele der Deutschen
heutzutage. Nach dem Niedergang des Römischen Reichs stand Tuszien, wie das
antike Etrurien nun hieß, erst unter ostgotischer, dann unter byzantinischer,
langobardischer und schließlich fränkischer Herrschaft, letzteres seit 774.
Unter den Franken wurde die Toskana Grafschaft, dann Markgrafschaft, und einer
der Markgrafen war wiederum ein Hugo, nun schon der dritte, den man »den Großen«
nannte. Hugo von Tuszien wurde um 945 geboren. Ab 970 war er Markgraf von
Tuszien und als solcher die bedeutendste Stütze der Ottonen in Italien. Hugo
nahm am Reichstag zu Quedlinburg zu Ostern 991 teil und wurde auch drei Jahre
später zum Reichstag nach Sohlingen bei Höxter eingeladen, auf dem der spätere
Kaiser Otto III. für volljährig erklärt wurde. Otto III. schenkte ihm ein
Grundstück in Ingelheim. Bekannt aus seinem Leben ist die Einzelheit, dass er
zusammen mit Konrad von Spoleto 996 zum Schutz von Papst Gregor V. in Rom zurück
gelassen wurde. Dieser war ein Cousin von Kaiser Otto III. und hieß eigentlich
Bruno. Mit 24 wurde er im Mai 996 zum Papst gewählt und war damit der zweite
(oder sogar der erste?) Deutsche auf dem Stuhl Petri. Seine erste (und insgesamt
wichtigste) Tat war die Krönung Ottos III. zum Kaiser. Aber er überwarf sich mit
diesem, hatte auch in Rom keine Freunde und wurde aus Rom vertrieben, was Hugo
und Konrad nicht verhindern konnten. Er zog sich in die Lombardei zurück. Nun,
man wählte, wie in diesen Fällen üblich, einen Gegenpapst, aber mit Hilfe
kaiserlicher Truppen konnte Gregor als ordentlicher Papst zurückkehren und
unterstützte nun seinen Cousin in der Politik, wenn auch nicht besonders gern.
Schon im Jahre 999 starb er, möglicherweise an Malaria. Hugo der Große von
Tuszien verschied am 21. Dezember 1001 in Pistoia.
Während die deutschen
Kaiser in Ober- und Mittelitalien immer mehr an Einfluss gewannen – Otto der
Große hatte 951 den italienischen König Berengar II. (ca. 900–966) nach nur
einjähriger Regierungszeit zur Lehensnahme gezwungen und nach Deutschland
verbannt, wurden Unteritalien und Sizilien im Laufe des 11. Jahrhunderts von den
Normannen erobert. Nach den Phönikiern und Griechen waren die Römer nach
Sizilien gekommen und hatten aus Sizilien eine fast 700 Jahre überdauernde
römische Provinz gemacht (241 v. Chr. bis 440 n.Chr.). Von 827 bis 1061
herrschten die Araber auf Sizilien, die 901 Palermo zur Hauptstadt machten. Und
1061 kamen nun die Normannen, die rund 30 Jahre für die Eroberung brauchten.
Unter ihrer Herrschaft bildete sich eine glanzvolle Hochkultur, die europäische
mit byzantinischen und arabischen Elementen und Traditionen verband.
In
Salerno in Unteritalien regierte Anfang des 11. Jahrhunderts Fürst Waimar; er
trug den Ehrentitel »der Große«. Zu dieser Zeit lebten in Süditalien unter
anderem Griechen, Reichsdeutsche, Araber und langobardische Fürsten, die sich
alle unter einander bekämpften. Eine ständige Bedrohung stellten die »Ungläubigen« dar, die Sarazenen. Waimar begab sich als
»patricius« in ein
Abhängigkeitsverhältnis zu Byzanz, um sich vor ihnen zu schützen. 1017 kamen
normannische Pilger auf ihrer Rückreise vom Gelobten Lande nach Salerno, eher
zufällig, aber sie halfen Waimar dem Großen zum Sieg in dessen Krieg gegen die
Sarazenen. Er hätte sie gern noch länger in seinen Diensten gehabt, aber sie zog
es nach Hause, nicht ohne Waimar den Hinweis zu geben, dort gäbe es noch viele
tüchtige und tapfere Männer. Durch entsprechende, ausgesucht wertvolle
Geschenke, die seine Boten in die Normandie brachten, gelang es Waimar dann
doch, Ritter zum Kampf gegen seine Gegner anzuwerben. Warum auch immer,
wahrscheinlich aufgrund besserer Bezahlung, traten sie bald in die Dienste des
Herzogs von Neapel. Dieser schenkte ihnen Land (1029), wo sie ein Jahr später
unter Graf Rainulf die befestigte Stadt Aversa (la Normanna) gründeten. Kaiser
Konrad II. übertrug Waimar 1038 die Städte Capua, Gaëta und Aversa, und als
Waimar als hiesiger Vertreter des Kaisers den Besitz der letzteren Stadt dem
Grafen Rainulf bestätigte, wurde aus dieser normannischen Gründung sogar ein
Reichslehen, und Rainulf erweiterte es 1043 zur Grafschaft Aversa. Von nun ab
strömten immer mehr Normannen nach Sizilien; die Flut war nicht mehr
aufzuhalten, aber Waimar der Große hat durch seine Initiative unwissentlich
einen bedeutenden Beitrag zur sizilianischen und abendländischen Geschichte
geleistet.
Sizilien wurde Teil des Königreiches Neapel und kam mit diesem
1194 an die Staufer, die hier abermals, vor allem unter Kaiser Friedrich II.,
dem wir schon mehrfach begegnet sind, einen Staat von hoher Kultur gründeten.
Wie schon erwähnt, erhielt nach dem Tode Friedrichs II. Karl von Anjou Sizilien
als Lehen des Papstes, aber er wurde damit nicht froh. Am Ostermontag 1282 brach
zur Vesperzeit ein Aufstand der Bürger Palermos gegen Karl von Anjou aus, der
bald auf die ganze Insel übergriff; in dieser »Sizilianischen Vesper« wurden
fast alle Franzosen umgebracht oder von der Insel vertrieben, mit ihnen das Haus
Anjou. Wer nun aber kam, waren die – Spanier. Als Schwiegersohn des Staufers
Manfred (1232–1266), des zweiten Sohnes Friedrichs II., erhob der König von
Aragon Peter III., später der Große genannt, Anspruch auf dessen Erbe. Manfred
hatte nach dem Tode König Konrads IV. (geb. 1228; König 1237; reg. 1250–1254),
des Sohnes und Erben Friedrichs II., zunächst auf Nachfolge und Herrschaft
spekuliert, obwohl auch der Sohn Konrads IV., Konradin, Ansprüche erhob, aber
die Päpste Urban IV. (geb. um 1200; Pontifikat 1261 – 64) und Clemens IV. (geb.
um 1195; Pontifikat 1265–68) strebten eine andere Lösung an. Wie erwähnt,
erhielt Karl von Anjou Sizilien als Lehen. Er schlug Manfred entscheidend;
dieser fiel in der Schlacht von Benevent 1266, und Konradin wurde hingerichtet.
Für Karl diente Sizilien lediglich als Quelle für Steuern und Soldaten, er
beutete das Volk gnadenlos aus, und selbst der Aufstand 1282 nagte kaum an
seinem Selbstbewusstsein. Im Kampf gegen Karl von Anjou eroberte Peter III.
wenige Monate später Sizilien.
Peter III., geboren zwischen 1238 und 1243, wurde 1276 König von Aragon
und Graf von Barcelona. Erst kurz auf dem Thron, musste er einen
Aufstand der maurischen Bevölkerung Valencias niederschlagen. 1281 zog
er mit einer großen Flotte, die rund 15.000 Mann umfasste, gegen die
arabischen Piratennester und sonstigen Stützpunkte in Tunis aus, als er
von dem Aufstand der Sizilianer gegen Karl von Anjou hörte. Aus Palermo
erreichte ihn ein Hilferuf. Sofort dirigierte er seine Streitmacht um
und landete am 30. August 1282 bei Trapani. Die sizilianischen Adligen
boten ihm die Krone an, die er annahm, und am 4. September wurde er in
Palermo zum König Peter I. von Sizilien ausgerufen, nur um noch im
selben Jahr von Papst Martin IV. (geb. zw. 1210 und 1220; Pontifikat
1281–1285) in den Bann getan zu werden – das galt sogar noch rund ein
Jahrhundert lang für die Herrscher Siziliens, und Karl von Anjou
rüstete zu einem großen Kriegszug gegen Aragon. Aber vergeblich bemühte
er sich um eine Rückeroberung. Französische und päpstliche Truppen
fielen in Spanien ein, doch gelang es Peter, sie zurückzuschlagen. Karl
von Anjou starb am 7. Januar 1285, und auch Peter, der, um die
Kriegskosten decken zu können, den aragonischen Ständen mehr Einfluss
auf die Regierung zubilligen musste, im sogenannten »Privilegio
general« – die starke Stellung, die er den Ständen gewährte, gewähren
musste, um ihren Widerstand aufzufangen, hat die Geschichte Aragonien
nachhaltig geprägt – starb in diesem Jahr, am 10. November 1285. Er
ging als Peter der Große in die Geschichte ein, lange vor dem
russischen Peter dem Großen, den wir vor Augen haben, wenn wir den
Ehrentitel bei einem »Peter« hören. Peter III. hat mit dazu
beigetragen, Spanien als größte Mittelmeermacht zu etablieren. Als 1469
durch die Heirat der Erben der beiden spanischen Hauptreiche, Isabella
I. von Kastilien (geb. 1451; reg. 1474–1504) und Ferdinand II. von
Aragonien (geb. 1452; reg. seit 1468 (Sizilien) bzw. 1479–1516
(Kastilien und León)) die Basis für den Spanischen Staat geschaffen
war, bedeutete das auch den Aufstieg Spaniens zur Weltmacht. Das Reich
konnte in ferne Länder und Kontinente aufbrechen…
6. Asien
Von
fernen Ländern wusste man im Europa des Mittelalters nur wenig. Die Beziehungen
Karls des Großen zu Harun ar-Raschid (geb. 763 oder 766; reg. 786–809), die
Einfälle der Araber, später die Kreuzzüge, die Eroberungen der Mongolen und die
(immer noch umstrittenen) Reisen Marco Polos (1254–1324) 1271 bis 1295 ins
Chinesische Reich weiteten dann doch allmählich den Blick. Der Begründer des
riesigen Weltreiches der Mongolen, Dschingis Chan, eigentlich Temüdschin (geb.
ca. 1155, 1162 oder 1167; reg. 1206–1227) hätte den Titel »der Große« aus
europäischer Sicht sicher verdient gehabt, aber er, den man den »ozeangleichen
Herrscher«, den »Weltherrscher« nannte, hätte darüber wohl nur müde gelächelt.
Aber ein paar »Große« in fernen Ländern außerhalb Europas gab es durchaus.
Einzelne bedeutende Fürsten in Asien: Aschot, Gurgen, David,
Alexander, Parakrama Bahu und Sejong die Großen
Georgien
war schon im Altertum bedeutend. Der westliche Teil stand unter
griechischem, der östliche unter persischem Einfluss. Der östliche
wurde als Iberien bezeichnet, was aber nichts mit der Iberischen
Halbinsel zu tun hat. Ab 65 v. Chr. war Georgien dann römisch, und
schon im 4. Jahrhundert hielt das Christentum Einzug. Erst bedrohte
Byzanz die georgische Unabhängigkeit, dann die persischen Sassaniden,
und schließlich eroberten das Land die Araber im 7. Jahrhundert.
Während die Muslime in Georgien weit gehend die Macht innehatten,
gelangte dort ein bedeutender Fürst zu Ansehen, dem die Nachwelt den
Titel »der Große« verlieh. Es handelte sich um Aschot I., einen Prinzen
aus Iberien, der ab 813 als Großherzog und später erster iberischer
König des georgischen Fürstentums Tao-Klardschetien, der Gegend von
Artvin in der heutigen Türkei, regierte. Er entstammte dem nachmals so
berühmten Geschlecht der Bagratiden, die Georgien im 12. und 13.
Jahrhundert zur Blütezeit führten. Auch Aschot erweiterte seinen
Machtbereich. Um ohne offene Flanke gegen die muslimischen
Eindringlinge kämpfen zu können, stellte sich Aschot unter den Schutz
der Byzantiner, die ihm den Titel »Kuropalates« von Iberien verliehen,
der etwa dem des fränkischen »Hausmeier« entsprach. Er förderte das
Christentum und ließ zahlreiche Kirchen und Klöster errichten. Auch war
ihm daran gelegen, die von den Arabern oder von Choleraepidemien
entvölkerten und verwüsteten Regionen wieder zu beleben und erneut zu
besiedeln. Im Kampf gegen die Araber, deren Kalif Aschot als Prinzen
Iberiens anerkannte, konnte er manche Erfolge verzeichnen, eroberte
einige Gebiete und vertrieb den gegnerischen Stamm der Kacheten aus
Zentraliberien. Aber als der Vizekönig des Kalifen in Armenien um
827/828 einen Feldzug in den Kaukasus führte, wendete sich sein Glück.
Die Araber vertrieben ihn aus Zentraliberien, und er wurde am Altar
einer von ihm selbst erbauten Kirche in seiner Burg in Artanugi
(Ardanue in der Türkei) im Januar 830 von Abtrünnigen getötet. Von der
georgisch-orthodoxen Kirche wurde Aschot I. der Große heilig
gesprochen; sein Gedenktag ist der wahrscheinliche Tag seiner
Ermordung: der 29. Januar.
Nach Aschot erhielte noch weitere Fürsten Georgiens den Titel
»der
Große«: Gurgen II. , der von 918 bis 941 regierte, David III., der von 961 bis
1000 die Macht inne hatte und dem Byzanz 989 ebenfalls den Titel Kuropalat
verlieh – beide waren Großherzöge von Tao, und schließlich noch Alexandre I. aus
der Dynastie der Bagratiden, König in Georgien von 1412 bis 1442.
In
einem ganz anderen Teil der Welt gelangte ein Herrscher ebenfalls zum Ehrentitel
»der Große«, der ihn nun wirklich verdient hat: Parakkama bzw. sanskritisch
Parakrama Bahu I. von Ceylon. Nicht von ungefähr wurde er in der Einleitung zu
diesem Buch zitiert. Der Titel ist nicht jüngeren Datums. Schon um 1910
schrieben Historiker über ihn: »[er) war von allen denen, die auf dem
singhalesischen Königsthrone gesessen haben, der größte. Man muß sich das Elend
vergegenwärtigen, dem das Land zur Zeit seiner Jugend fast erlag, um zu
würdigen, was dieser Mann, den die Geschichte mit Recht d e n G r o ß e n nennt,
durch Geist, Willen und Vaterlandsliebe gewirkt hat.« Ceylon hatte eine unruhige
und blutige Geschichte hinter sich. Im Hochmittelalter, etwa ab 1000, entstanden
Reiche – meist unter südindischem Einfluss – und vergingen wieder. Um die Mitte
des 12. Jahrhunderts gab es ein singhalesisches Königtum so gut wie nicht mehr.
Kleine Fürstentümer regierten in ihren Regionen. Eines davon, das Land der
»zwölftausend Dörfer«, gehörte dem Vater Parakramas. Letzterer wuchs in den
Bergen auf: »Er wurde in Religion, in den verschiedenen Systemen des Rechtes, in
Rhetorik, Poesie, in Tanz und Musik, im Reiten, im Gebrauche von Schwert und
Bogen gründlich ausgebildet und erlangte darin den höchsten Grad von
Vollkommenheit«, so die Überlieferung. Im Jahre 1153 übernahm er die Macht.
Hören wir noch einmal die eben zitierten Historiker (Emil Schmidt / Richard
Schmidt) im Teil über Indien in Helmolts Weltgeschichte: »Nach dem Tode seines
Oheims zur Herrschaft über das kleine Fürstentum gelangt, gab er diesem eine
treffliche Verwaltung, führte ein geordnetes Steuerwesen ein, sorgte für
möglichste Ausnutzung alles Regen- und Flußwassers zu künstlicher Bewässerung
des Bodens; zugleich aber übte er im Hinblick auf eine Einigung seines größeren
Vaterlandes die waffenfähige Mannschaft.« Parakrama gelang es, die übrigen
Fürstentümer der Insel zu erobern. Jedoch beließ er die ursprünglichen Herrscher
in ihrer Machtposition und erwarb dadurch ihre Freundschaft; sie setzten
schließlich den Sieger als Nachfolger ein. Nach nicht allzu langer Zeit war
Parakrama der Herr der gesamten Insel. Gegen Burma und Südindien unternahm er
erfolgreiche Feldzüge und verlangte dabei die Wiedergutmachung von Unrecht, das
Ceylon früher zugefügt worden war.
Parakramas Hauptleistung bestand darin,
dass er aus Ceylon, einer verödeten Insel, ein wohlhabendes Land, eine Insel
voller Wohlstand und Frieden, machte. Er ließ tausende von Stauseen anlegen –
die größten wie das »Meer des Parakrama« erreichten die Ausdehnung des
Vierwaldstätter Sees – bzw. wiederherstellen. Tausende von Kanälen wurden neu
gebaut oder ausgebessert. Wo bis vor kurzem noch fieberschwangeres Sumpfland und
undurchdringlicher Dschungel die Landschaft beherrscht hatten, erstreckten sich
nun riesige Reisfelder und Fruchtbaumpflanzungen. Verfallene Dörfer wurden
renoviert, die alte, heruntergekommene Hauptstadt Polonnaruwa erstand in neuem
Glanz, mit herrlichen Palästen, Gartenanlagen und Klöstern. Ordnung schuf
Parakrama auch in der Verwaltung; sein Steuersystem war milde und gerecht, er
beseitigte die Übelstände in der Religionsgemeinschaft (der Buddhismus war die
tragende Religion), bemühte sich um die Hebung der Sittlichkeit der
Priesterschaft und beendete die Feindschaft zwischen den Hauptsekten. Als er
1186 starb, hatte er eine der bedeutendsten Leistungen in der Geschichte seines
Landes und weit darüber hinaus erbracht. »Was gibt es in der Welt, das nicht von
beharrlichen Männern ausgeführt werden könnte?« war sein Wahlspruch. Misst man
seine Taten an denen vieler waffenklirrender, kriegslüsterner Recken, die den
Titel »der Große« erhielten, so fallen diese neben ihm reichlich ab. In der
Hauptstadt Polonnaruwa befindet sich eine Monumentalstatue des Königs, die
manchmal für eine Statue Buddhas gehalten wird.
Nach seinem Tode zerfiel das
Reich bedauerlicherweise schnell. Nur kurze Friedensperioden unterbrachen die
ständigen Thronstreitigkeiten und sonstigen inneren Unruhen. Im Norden entstand
im 14. Jahrhundert ein unabhängiges tamilisches Königreich – die Spannungen
zwischen Tamilen und Singhalesen dauern an bis in unsere Zeit. König Parakrama
Bahu VI. (reg. 1415–1467) gelang es noch einmal, ganz Ceylon zu einen; auch er
förderte Religion, Kunst und Wissenschaft, aber nach seinem Tod zerfiel das
Reich erneut, und unter Parakrama Bahu VIII. (reg. 1484–1509) landeten die
Portugiesen auf Ceylon, was für die alten Strukturen endgültig das »Aus«
bedeutete.
Einen
Herrscher, der den Titel »der Große« erhielt, und das sicher auch zu
Recht, gab es auch in Korea. Auch dieses Land hatte – wie überall auf
der Welt – eine wechselvolle und blutige Geschichte hinter sich. Das
erste, noch ganz von der Legende verklärte Reich soll schon 2333 v.
Chr. gegründet worden sein, aber geschichtlich fassbar wurde Korea erst
ab ungefähr 400 v. Chr. Im Lauf der Jahrhunderte bildeten sich hier
drei Reiche: Koguryŏ, Paekche und Silla, die im 1. Jahrhundert Gestalt
annahmen. Von ihnen setzte sich Silla am Ende durch, das mit
chinesischer Hilfe die beiden anderen Reiche 660 bzw. 668 unterwarf.
Aber auch dessen Herrschaft war nicht von Dauer, und es folgte eine
lange Zeit der Zersplitterung. Erst das 918 im Norden gegründete Reich
Koryŏ, woher die Bezeichnung Korea rührt, brachte bis 936 ganz Korea
unter seine Herrschaft. Ab etwa 1231 herrschten dann bis Mitte des 14.
Jahrhunderts die Mongolen in Korea, die auch 1274 und 1281 Waffenhilfe
bei ihren Angriffen auf Japan erzwangen. Diese »Bruderschaftshilfe«
hatte aber nur zur Folge, dass nun japanische Piraten die Küsten Koreas
unsicher machten. Erst Ende des 14. Jahrhunderts fand Korea wieder
einen starken Mann, General Yi Songgye (1335–1408), der den letzten
König von Koryŏ stürzte und die Yi-Dynastie begründete. Nachdem er eine
radikale Landreform durchgeführt hatte, erlaubte er seinen Anhängern,
ihn auf den Thron zu setzen. Als König T’aejo (oder Taejong) zeigte er
viel Tatkraft. Er verlegte den Regierungssitz ins heutige Seoul und
teilte das Reich in acht Provinzen. Der bis dahin in Korea sehr
einflussreiche Buddhismus wurde vollständig unterdrückt (kein
buddhistischer Priester durfte Seoul mehr betreten); an seine Stelle
trat der Konfuzianismus, aber in einer derart strikten Form, wie er
selbst in China nicht ausgeübt wurde, und er wurde fast zur
Staatsreligion. Auch ansonsten lehnte sich Korea sehr stark an China
an, sei es hinsichtlich Tracht und Verwaltung, Kalender oder
Zeitrechnung. Menschenopfer und das Lebendigbegraben von Dienern
anlässlich vornehmer Begräbnisse, bis dahin angeblich noch üblich
gewesen, schaffte der neue Herrscher völlig ab. Seine Nachfolger waren
allesamt tüchtige Leute, denen das Wohl des Volkes am Herzen lag. Einer
von ihnen war Sejong der Große.
Sejong
kam am 6. Mai 1397 im heutigen Südkorea zu Welt und wurde zunächst Yi Do
genannt. Als er 21 Jahre alt war, trat sein Vater, der wie der Dynastie-Gründer
auch den Namen Taejong trug, zu seinen Gunsten zurück. Sejong, der vierte König
der neuen Dynastie, zeigte sich schon als Kind als sehr wissbegierig. Er war an
allen wissenschaftlichen Bereichen außerordentlich interessiert und für die
Verbreitung des Wissens und des Konfuzianismus überaus aufgeschlossen. So
gründete er schon 1420 die sogenannte »Halle der Verdienstvollen«, eine Art
königlicher Akademie, deren Ziel genau darin bestand, den Konfuzianismus zu
verbreiten, die wissenschaftliche Forschung zu unterstützen und junge Talente zu
fördern. Die »Halle« bildete einen Anziehungspunkt für viele Wissenschaftler und
Gelehrte, und aus ihren Reihen erwuchsen wiederum neue Gelehrte, die viele
Neuerungen entwickelten. Sejong selbst nahm aktiv daran teil; zusammen mit
verschiedenen Wissenschaftlern erarbeitete er das koreanische Alphabet Hanguel,
das 1443 vollendet war und 1446 veröffentlicht wurde. Im selben Jahr gründete er
auch ein linguistisches Forschungsinstitut in seinem Palast, und in den
folgenden Jahren ließ er eine Reihe von Kommentaren und Büchern, darunter auch
Sammlungen von chinesischen Gedichten mit koreanischer Übersetzung
veröffentlichen. Von all diesen Arbeiten wirkte die Entwicklung der koreanischen
Schrift am meisten nach.
Sejong starb am 18. Mai 1450. Er gilt als der
weiseste König in der Geschichte Koreas und war auch der einzige, der in Korea
den Ehrentitel »der Große« erhielt. Seit 1990 wird »für außergewöhnliche
Projekte oder Programme im Bereich der Grundbildung und Alphabetisierung« der
König-Sejong-Preis verliehen, und zwar von niemandem Geringerem als der UNESCO.
Unter der Yi-Dynastie erlebte Korea, nunmehr Chosŏn genannt, das
»Land der
Morgenstille«, vor allem im 15. Jahrhundert eine kulturelle Blüte. Nach
erfolglosen Invasionsversuchen der Japaner Ende des 16. Jahrhunderts kam Korea
ab 1627 unter chinesische Oberhoheit, die bis 1894 bestand und zu einer
rigorosen Abschottung Koreas nach außen führte, deren Ende die Japaner 1876
erzwangen. Die Yi-Dynastie überdauerte bis 1910. Man kann sich fragen, ob das
mehr als ein Zeichen ihrer Stärke oder eher als ein Zeichen ihres Festhaltens an
bestimmten Traditionen, ihres »Einfrierens« und »Konservierens« gewisser
politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ordnungen mit einem überaus
konservativ interpretierten Konfuzianismus als Leitbild zu interpretieren ist.
Die Entwicklung Koreas im 20. Jahrhundert und die jüngste Geschichte Südkoreas
zeigen im Gegensatz dazu durchaus eine starke Flexibilität und ungeheure Dynamik
der Gesellschaft und Kultur. Sejong der Große hat in seiner Zeit noch sehr viel
dafür getan, sein Land an die neuen Verhältnisse anzupassen, es an die »Neuzeit«
heranzuführen, in der die Wissenschaften eine immer größere Rolle spielten.