Lieferung 38

Karl May

11. August 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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»Ja.«

»So halte ich die Tochter für schlimmer als den Vater selbst.«

»Sie sind ein großer Physiognom? Aber kommen Sie! Wir werden sie überraschen, denn sie stehen mit dem Rücken jetzt gegen uns.«

Sie schritten auf die Gruppe zu, der Lord schnell, Sternau etwas langsamer.

»Ah, Mylord,« sagte Cortejo, als er den Ersteren bemerkte, »welche Freude, Sie hier zu sehen! Haben Sie sich meinen Antrag überlegt?«

»Welchen?«

»Wegen der Hazienda del Erina?«

Lindsay's Brauen zogen sich zusammen.

»Ich liebe es nicht, in Gesellschaften Geschäfte zu besprechen,« sagte er. »Uebrigens muß ich zuvor wissen, ob die Hazienda wirklich Eigenthum des Grafen Rodriganda ist.«

»Natürlich ist sie es!«

»Und Sie haben den Auftrag, sie zu verkaufen?«

»Ja.«

»Aber man sagt ja, der Besitzer sei Petro Arbellez, welchem die Hazienda nach dem Tode des Grafen Ferdinando zufallen mußte.«

»Das ist eine Unwahrheit, Mylord, ein leeres Gerede.«

»Nun, das wird sich finden; ich werde die Wahrheit ja bald erfahren.«

»Durch wen?«

»Durch einen Freund von mir, welcher sich nächstens nach der Hazienda begeben wird. Ich mache mir das Vergnügen, Sie ihm vorzustellen.«

Er deutete mit der Hand nach rückwärts, wo Sternau stand, und sofort drehte sich Cortejo und ebenso auch seine Tochter nach demselben um. Der Erstere trat schnell zwei Schritt zurück; ein starres Erstaunen breitete sich über seine Züge.

»Der Herzog von Olsunna!« rief er.

Alle in der Nähe Stehenden blickten ihn höchst überrascht an.

»Ach, nein, das ist ja gar nicht möglich!« fügte er hinzu, sich besinnend. »Aber welch eine ganz außerordentliche Aehnlichkeit.«

»Sie irren sich allerdings,« lächelte der Lord. »Dieser Sennor ist mein Freund, Doktor Sternau.«

»Doktor Sternau?« fragte Cortejo, indem er sein Auge scharf und spitz über das Gesicht und die Gestalt des Deutschen gleiten ließ, dann aber nahm seine Miene den Ausdruck der Gefälligkeit an, und er sagte:

»Es ist eine Ehre für mich, Sennor Sternau, Sie kennen zu lernen. Sie sind, wie man mir bereits sagte, ein Deutscher?«

»Ja.«

»Ich liebe die Deutschen. Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen meine Tochter Josefa vorstelle!«

Sternau wechselte mit der Dame eine Verbeugung und wurde dann von ihnen in die Mitte genommen und nach einer Bank geführt, welche sich rund um das Zimmer zog. Dies geschah so auffällig, daß Sternau sogleich ahnte, daß ein Verhör beginnen werde. Er hatte sich nicht geirrt, denn kaum hatte er sich zwischen den Beiden auf die Bank niedergelassen, so begann Cortejo:


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»Ich höre, daß Sie nach der Hazienda del Erina wollen, Sennor Sternau?«

»Vielleicht.«

Sternau antwortete mit diesem Worte. Es war ihm außerordentlich unlieb, daß der Lord diese seine Absicht verrathen hatte.

»Darf ich fragen, in welcher Absicht?«

»Ich will Mexiko und seine Bewohner kennen lernen. Daher werde ich auch den Norden des Landes bereisen. Als dies der Lord erfuhr, bat er mich, mir die Besitzung del Erina einmal anzusehen, da er die Absicht habe, sie anzukaufen.«

»Ach so!« meinte Cortejo befriedigt. »Ich habe in del Erina einen renitenten Pächter, welcher behauptet, die Hazienda sei sein Eigenthum. Lächerlich! Wie es scheint, reisen Sie viel?«

»Allerdings.«

»Dann sind Sie glücklich!« sagte Josefa mit liebenswürdig sein sollender Miene. »Ein Mann, welcher vollständig Herr seiner Zeit ist, ist glücklich zu preisen. Welche Länder haben Sie bereits besucht, Sennor Sternau?«

»Amerika, Afrika und ein Wenig von Asien.«

»Und Europa?«

»Da bin ich geboren!« lächelte er.

»Ja, richtig; das nennt so ein Weltläufer nicht eine Reise. Kennen Sie Frankreich?«

»Ja.«

»Vielleicht auch Spanien?«

»Ich war auch da.«

Sie tauschte mit ihrem Vater einen schnellen Blick des Einverständnisses und fragte weiter:

»Spanien ist unser Mutterland, für welches wir uns natürlich am Meisten interessiren. Darf ich erfahren, welche Provinz oder Städte Sie kennen?«

Er nahm seine gleichgiltigste Miene an und antwortete:

»Ich war leider nur kurze Zeit in diesem schönen Lande. Ich bekam als Arzt einen Ruf zu einem Grafen Rodriganda, um ihn von einem Uebel zu befreien.«

»Rodriganda? Ach, wissen Sie, daß dieser Graf auch hier Besitzungen hat?«

»Ja.«

»Und wissen Sie, daß mein Vater Verwalter dieser Besitzungen ist?«

Sternau heuchelte ein sehr erstauntes Gesicht.

»Ach, ist das möglich, Sennor Cortejo!« Und dann setzte er, wie sich besinnend, hinzu: »Es giebt auch in Rodriganda einen Sennor Cortejo. Sie sind vielleicht verwandt mit ihm?«

»Er ist mein Bruder,« meinte Cortejo.

»Das freut mich sehr, Sennor, denn ich bin mit Sennor Gasparino sehr oft zusammengetroffen.«

»Er ist nicht sehr umgänglich,« forschte Cortejo.

»Das habe ich nicht gemerkt. Wir haben uns im Gegentheile sehr gut kennen gelernt.«

Josefa biß sich erzürnt auf die Lippe, denn sie verstand den Doppelsinn dieser Worte nur zu gut; dennoch sagte sie in ihrem freundlichsten Tone:


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»Wollte Gott, Sie hätten unsern guten Grafen Emanuel retten können, Sennor!«

»Ja, ich gäbe Vieles, sehr Vieles darum, Sennorita.«

»Woran starb er? Ich glaube an einem unglücklichen Falle?«

»Ja, dieser Fall war allerdings ein sehr unglückseliger.«

Auch hier lag ein Doppelsinn vor, den die Beiden gar wohl verstanden.

»So haben Sie doch auch Gräfin Rosa kennen gelernt?« forschte sie eifrig weiter.

»Gewiß. Sie ist jetzt meine Frau.«

Sternau war überzeugt, daß ihnen das bereits bekannt sei; sie gaben sich den Anschein der allerhöchsten Ueberraschung.

»Was Sie sagen, Sennor!« rief Cortejo.

»Ist das denn möglich?« fragte Josefa.

»O, der Liebe ist Alles möglich, Sennorita,« lächelte Sternau. »Man mag in Spanien allerdings etwas strenger auf die Abgeschlossenheit des Standes halten als in meinem Vaterlande. Wir aber sind in Letzterem vermählt worden.«

»So hat Contezza Rosa ihr Vaterland verlassen?«

»Ja.«

»Und Graf Alfonzo gab dies zu?«

»Er hat es nicht gehindert,« antwortete Sternau in gleichgiltiger Weise. »Sie kennen Graf Alfonzo auch?«

»Natürlich! Er war ja seit seiner frühesten Jugend hier bei uns in Mexiko!«

»Ja, wirklich; ich dachte nicht daran.«

»Es wurde uns geschrieben, daß Contezza Rosa gefährlich erkrankt sei!«

»Sie ist vollständig geheilt, Sennorita. Aber entschuldigen Sie! Dort winkt mir Lord Lindsay. Er wird gewiß die Absicht haben, mich Jemand vorzustellen.«

Er erhob sich, um sich zu entfernen, und die Beiden erhoben sich folglich mit.

»Das ist ein wunderbarer und sehr lieber Zufall,« sagte Cortejo, »einen Sennor hier zu treffen, welcher Rodriganda kennt. Würden Sie uns gestatten, Sie einmal bei uns zu sehen?«

»Ich stehe mit Vergnügen zu Gebote.«

»Oder Sie einmal bei Lord Lindsay zu besuchen?« fügte Josefa bei. »Ich bin glücklicher Weise mit Miß Amy sehr eng befreundet.«

»Es soll mir ein Vergnügen sein, Sie bei mir zu sehen!«

Er verbeugte sich und entfernte sich. Die Beiden warteten, bis er ihren Augen entschwunden war, und dann sagte Josefa:

»Caracho, er war es!«

»Ja, er war es!« murmelte auch ihr Vater.

»Hast Du ihn genau betrachtet?«

»Sehr genau.«

»Nun?«

»Er ist ein Gegner, den man nicht unterschätzen darf.«

Sie blickte ihren Vater fast verächtlich von der Seite an und antwortete:

»Den man nicht unterschätzen darf? Du sprichst eigenthümlich. Ich sage Dir, das ist ein Gegner, der hundert Männern gewachsen ist, ob aber einem Weibe, das


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soll und wird sich zeigen. Diese Gestalt, diese Stirn, dieses Auge! Jetzt begreife ich Rosa, daß sie ihn liebt! Wie ruhig er sprach! Und doch kennt er uns, doch weiß er Alles, doch ist er in irgend einer feindseligen Absicht nach Mexiko gekommen. Er muß untergehen; er thut mir leid, aber es geht nicht anders. Er ist ein Feind, für den man schwärmen könnte!«

»Du schwärmst ja bereits! Wie konntest Du sagen, daß wir ihn besuchen wollen!«

»Glaubst Du wirklich, daß er zu uns kommt? Wenn wir ihn ausforschen wollen, so müssen wir zu ihm.«

»Er wird zu uns kommen. Er sieht ganz aus wie ein Mann, dem es ein Kleines ist, in die Höhle des Löwen zu gehen. Wenn ich nur wüßte, was er in Mexiko will!«

»Wir werden es erfahren, denn wir werden ihn bereits morgen besuchen.«

»Bist Du toll? Nachdem diese Engländerin Dich in dieser Weise abgefertigt hat?«

»Daran denke ich nicht, wenn es sich um eine solche Wichtigkeit handelt.«

»Ich begleite Dich nicht!«

»So gehe ich allein!« sagte sie trotzig.

»Ich glaube fast, daß Du dies thun würdest!«

»Ich thue es sicher. Aber ich weiß, daß Du mitgehst. Wir müssen ihn aushorchen; wir müssen Alles erfahren, Alles, um zu wissen, mit welcher Waffe er anzugreifen ist.«

Während diese Beiden von Sternau sprachen, wurde dieser von dem Lord gefragt:

»Nun, wie finden Sie das Paar?«

»Habicht und Eule, nur daß hier die Eule mehr Courage und Energie besitzt als der Habicht.«

»Sie halten also Beide dessen fähig, wessen wir sie beschuldigen?«

»Ganz gewiß. Diese Gebrüder Cortejo sind einander vollständig ebenbürtig. Aber Mylord, verderben wir uns diesen Abend nicht mit dem Gespräche über solche Menschen. Es ist genug, daß man sie sieht.«

»Wurden Sie nicht eingeladen?«

»Ja.«

»Und werden Sie gehen?«

»Jedenfalls, wenn sie nicht etwa vorher mich aufsuchen.«

»Sie sind des Teufels! Haben sie etwa davon ein Wort fallen lassen?«

»Die Dame sprach davon. Sie behauptete, mit Miß Amy sehr befreundet zu sein.«

Der Lord zuckte die Achseln und wandte sich ab. Sternau gab sich während des ganzen Abends Mühe, nicht mehr in die Nähe der Beiden zu kommen, und noch während der Nacht träumte es ihm von Eulen und Ungeziefer mit denen er zu ringen hatte.

Bereits am andern Vormittage öffnete der Diener die Thür und meldete Sennor und Sennorita Cortejo. Sternau wollte seinen Ohren nicht trauen, mußte ihnen aber endlich doch Glauben schenken, als seine Augen ihm die Wahrheit des Gehörten bestätigten: Cortejo trat mit seiner Tochter ein.


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»Verzeihen Sie, Sennor Sternau,« sagte er, »daß wir Sie so bald aufsuchen. Josefa hat so große Sehnsucht, Etwas aus ihrer Heimath zu hören. Wir haben sehr lange Zeit keine Nachricht von dort erhalten, und so machen wir von Ihrer freundlichen Erlaubniß Gebrauch.«

Sternau bemeisterte seinen Aerger und bewillkommnete sie mit möglichster Höflichkeit. Das Examen, welches er zu erwarten hatte, begann sofort, nachdem sie Platz genommen hatten.

»Sie sind in Vera Cruz gelandet?« fragte Cortejo.

»Ja, Sennor.«

»Mit welcher Gelegenheit?«

»Per Dampf,« antwortete Sternau kurz.

»Ich nehme an, daß Sie an Lord Lindsay empfohlen waren?«

»Ich lernte Miß Amy in Rodriganda kennen.«

»Ah,« sagte Josefa überrascht, »sie ist eine Freundin von Contezza Rosa gewesen.«

»Gewiß.«

»War das Leben in Rodriganda ein gesellschaftlich bewegtes, Sennor Sternau?«

»Ich habe das stricte Gegentheil gefunden.«

»Das glaube ich nicht. Sie sagen, Miß Amy sei zugegen gewesen, und in einem Briefe an uns wurde ein französischer Offizier erwähnt. Ich glaube aus diesem Grunde, daß man nicht einsam gelebt habe.«

Sternau merkte sehr wohl, daß er jetzt über Mariano ausgefragt werden solle.

»Ja, es war fast einsam,« sagte er kalt.

»Aber diesen Offizier lernten Sie auch kennen?«

»Ja.«

»Können Sie sich seines Namens erinnern?«

»Er nannte sich Alfred de Lautreville.«

»Und war er lange in Rodriganda?«

»Einige Tage.«

»Dann kehrte er nach Frankreich zurück?«

»Hm! Er reiste ab, ohne uns das Ziel zu nennen, Sennorita.«

Sie sah, daß Sternau so nicht zu fassen war. Er sagte ihr zwar keine direkte Unwahrheit, aber er gab ihr auch die gewünschte Auskunft nicht. Sie stand eben im Begriff, eine neue Frage zu formuliren, als Helmers eintrat. Dies war Sternau sehr lieb. Er konnte sich auf kurze Zeit entfernen, da Helmers als Seemann genug Spanisch gelernt hatte, um sich leidlich verständlich machen zu können. Er stellte den Seemann vor und entfernte sich dann unter einem schnell gesuchten Vorwande.

Er eilte zu dem Lord, bei welchem er Amy und Mariano fand.

»Was bringen Sie?« fragte der Erstere. »Sie treten ja in einer ganz bedeutenden Eile ein.«

»Ich bringe Ihnen die Bestätigung meiner gestrigen Muthmaßung: Cortejo ist da.«

»Unmöglich! Bei Ihnen?«

»Ja, er und seine Tochter!«


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Der Lord schüttelte den Kopf und sagte dann lachend:

»Und Sie haben Beide sitzen lassen?«

»Nein; Helmers ist bei ihnen. Ich komme nur, um Ihnen eine Bitte vorzutragen.«

»Sprechen Sie!«

»Laden Sie die Beiden zum Frühstücke ein.«

Der Lord machte ein sehr erstauntes Gesicht.

»Die beiden Cortejo's?« fragte er. »Ich nehme an, daß Sie im Scherze sprechen.«

»O, nein, ich spreche im vollsten Ernste. Zwar sehe ich, daß auch Miß Amy sich über meine Bitte wundert, aber ich ersuche dennoch um die Erlaubniß, sie aufrecht zu erhalten.«

»Aber, beim Teufel, aus welchem Grunde denn?« fragte Lindsay. »Dieses Geschmeiß ist mir so verhaßt und widerwärtig, daß ich es gar nicht sehen mag!«

»Ich muß wissen, welchen Eindruck der Anblick unseres Mariano auf sie macht.«

»Ah, so, das ist etwas Anderes! Aber so nehmen Sie ihn doch mit herüber zu ihnen!«

»Nein, Mylord. Sie und Miß Amy sollen ja Zeugen dieses Eindruckes sein!«

Der Lord nickte leise vor sich hin, und da er jetzt auch auf dem Angesicht seiner Tochter die Bestätigung von Sternau's Bitte las, so sagte er:

»Gut, das kann von Werth für uns sein. Sie mögen also zum Frühstücke kommen.«

»Aber ich kann sie nicht einladen, Mylord!« meinte Sternau.

»Hm, auch das noch! Nun wohl, gehen Sie in Gottes Namen; ich werde das besorgen.«

Sternau kehrte in sein Zimmer zurück, wo er jetzt von unbequemen Fragen verschont blieb, da die Anwesenheit des Seemannes dem Gespräche eine allgemeine Richtung gab. Nach einiger Zeit trat der Lord ein. Er gab sich den Anschein, als ob er geglaubt habe, Sternau allein zu treffen, und von der Anwesenheit der Beiden gar nicht unterrichtet sei. Er begrüßte sie mit vornehmer Freundlichkeit, blieb einige Zeit und lud sie dann ein, am Frühstück mit Theil zu nehmen. Sie nahmen es an.

Nach kurzer Zeit versammelte man sich im Speisesalon. Es waren Alle da, und nur Mariano's Stuhl war unbesetzt; dennoch aber wurde begonnen, und ein lebhaftes Gespräch würzte die reichlich aufgetragenen mexikanischen Delikatessen.

Da, nach einer ziemlichen Weile erst, trat Mariano ein. Man hatte Cortejo und seine Tochter so placirt, daß sie ihn jetzt nicht sofort sehen konnten. Er trat näher und stand dann bei seinem leeren Stuhle, welcher sich neben dem Sitze Cortejo's befand.

Jetzt erst merkte der Letztere, daß ein neuer Gast eingetreten sei und blickte auf. Kaum aber hatte er in das Gesicht Mariano's gesehen, so fuhr er erschrocken von seinem Stuhle empor.

»Graf Emanuel!« rief er.

Sein Gesicht war bleich geworden, und seine Augen standen weit geöffnet. Auch seine Tochter hatte sich erhoben und starrte Mariano an. Es befand sich im


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Palaste der Rodriganda ein Bild aus des Grafen Emanuel Jugendzeit, und diesem Bilde glich der junge Mann so genau, daß auch Josefa erschrak.

»Sie irren,« sagte Sternau. »Dieser Herr ist nicht Graf Emanuel de Rodriganda, sondern der Lieutenant Alfred de Lautreville, nach welchem Sie mich gestern fragten.«

»Sie scheinen überhaupt ältere Personen mit jüngeren gern zu verwechseln,« bemerkte der Lord. »Gestern hielten Sie Herrn Sternau für den Herzog von Olsunna und heut den Lieutenant für einen Grafen Rodriganda. Das ist merkwürdig!«

Jetzt endlich hatten sich die Beiden wieder gefaßt.

»Verzeihung!« sagte Cortejo. »Es liegt hier allerdings eine kleine Aehnlichkeit vor, welche mich irre führte und nicht daran denken ließ, daß die Jahre vergehen.«

»Und mich hast Du förmlich erschreckt!« entschuldigte sich Josefa.

»Sie sagen es liege eine Aehnlichkeit vor, zwischen dem Lieutenant und dem Grafen Emanuel?« fragte Lindsay.

»Allerdings, Mylord.«

»So gab es wohl auch wirklich eine Aehnlichkeit zwischen Sennor Sternau und dem Herzoge von Olsunna?«

»Sogar eine frappante.«

»Haben Sie den Herzog gekannt?«

»Sehr genau. Mein Bruder war Haushofmeister bei ihm. Darf ich vielleicht Sennor Sternau fragen, wo er geboren ist?«

»In Mainz,« antwortete der Gefragte.

»Wunderbar! Eine solche Aehnlichkeit zwischen Angehörigen ganz verschiedener Nationalitäten! Es ist der reine Zufall. Ihr Vater war gewiß auch Arzt, wie Sie?«

»Nein. Er starb als Professor und war früher in Spanien Erzieher gewesen.«

Der Frager warf seiner Tochter einen Blick zu, den nur sie verstand, und dann bewegte sich das Gespräch wieder in einem gewöhnlicheren Geleise.

Während des weiteren Verlaufes ruhten die Augen Josefa's fortwährend auf Mariano und Amy. Das scharfsinnige Mädchen bemerkte die Herzensverwandtschaft, welche zwischen diesen Beiden stattfand, und ein nie geahntes Gefühl zog ihr das Herz zusammen.

Wie oft hatte sie vor dem Bilde des Grafen Emanuel gestanden. Sie hatte es als einen Inbegriff männlicher Schönheit zu betrachten gelernt; ihre Phantasie hatte sich mit demselben beschäftigt; sie hatte von diesen Zügen geträumt, und es sich als das größte Glück vorgestellt, von einem solchen Manne geliebt zu sein. Und nun saß das Ebenbild dieses Gemäldes ihr gegenüber. Das waren ganz genau dieselben Züge. Sie hätte aufjauchzen können vor Wonne, ihr Traumbild verkörpert zu sehen. Sie fühlte in diesem Augenblicke, daß Graf Alfonzo ihr vollständig gleichgiltig sei; sie erkannte, daß es eine Liebe giebt, die in einem einzigen Augenblicke kommt und siegt. Sie verschlang die Züge Mariano's förmlich, und konnte sich nur gezwungen von diesem Anblicke trennen, als das Frühstück beendet war.

Sie fuhr mit ihrem Vater nach Hause. Dort angekommen, sagte er:

»Weißt Du nun, woran Du bist?«


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»Nun?« sagte sie wie abwesend.

»Dieser Lieutenant ist der ächte Graf Alfonzo.«

Sie nickte schweigend.

»Sternau hat ihn befreit.«

»Wahrscheinlich!«

»Aber wie und wo? Was ist aus Landola und seinem Schiffe geworden?«

Er bemerkte in seinem Eifer das eigenthümliche Verhalten seiner Tochter gar nicht und fuhr höchst zornig fort:

»Und wie habe ich mich blamirt! Erst gestern Abend, und dann heut. So eine zweimalige Verwechselung! Aber die Aehnlichkeit war zu groß. Und, Josefa, weißt Du, wer jener Sternau ist?«

»Ein ganz und gar ungewöhnlicher und bedeutender Mensch!«

»Das mag sein, aber ich meine etwas Anderes. Erinnerst Du Dich, was Gasparino vom Herzoge von Olsunna schrieb?«

»Meinst Du die Liaison mit der Gouvernante?«

»Ja. Nun, diese Gouvernante ging mit einem deutschen Erzieher in ihr Vaterland zurück, und dieser Erzieher - Caramba, es fiel mir vorhin wie Schuppen von den Augen - dieser Erzieher hieß Sternau. Ich hörte den Namen von meinem Bruder.«

Seine Tochter sah ihn fragend an und sagte:

»Nun, was weiter?«

»Was weiter?« rief er ganz ereifert. »Was ist's denn mit Dir, Mädchen? Hast Du denn Deine Gedanken verloren, he? Was weiter? Dieser Sternau ist der Sohn, und noch dazu der einzige Sohn des Herzogs von Olsunna!«

Jetzt erst wurde sie aufmerksam.

»Du phantasirst wohl?« fragte sie.

»Das fällt mir gar nicht ein. Ich muß auch einen Brief von Gasparino da haben, in welchem er auf jenes Abenteuer zurückkommt. Ich werde ihn sogleich suchen.«

Er eilte fort. Sie aber warf sich in die Hängematte und blickte lange, lange sinnend in das Leere. Ihre Eulenaugen bekamen einen milderen Ausdruck; ihre bleichen Wangen rötheten sich, und endlich erhob sie sich wieder und schritt hinauf in das Bibliothekzimmer ihres Vaters, wo das Jugendbild des Grafen Emanuel an der Wand hing. Sie nahm es herab, trat damit an das Fenster und betrachtete es.

»Es gleicht ihm auf das Haar,« sagte sie leise. »O, was ist Alfonzo gegen ihn! Was ist der falsche gegen den ächten Rodriganda!«

Ohne es zu wissen, drückte sie ihre Lippen auf das Bild.

»Wie erschrak ich, als ich ihn erblickte!« dachte sie laut. »Es gab mir einen Stich durch das Herz, aber dieser Stich that nicht wehe, er brachte keinen Schmerz. Und dann, als er sprach, da klang mir seine Stimme bis in die tiefste Tiefe meiner Seele hinab. Was war das? War das etwa die Liebe?«

Und abermals drückte sie ihre Lippen auf das Bild.

»Und er saß neben dieser blonden Amy, und er hatte sie lieb! Ihre Augen suchten und fanden sich an jedem Augenblicke. Ihre Hände begegneten einander


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unter dem Tische; ich habe es gesehen. Da gab es mir abermals einen Stich durch das Herz; aber dieser Stich that wehe, er brachte mir Schmerz. War das die Eifersucht?«

Ihr Blick senkte sich inniger und inniger auf das Bild, und ihr Mund legte sich zum dritten Male auf die Stelle, wo der Pinsel des Malers den Mund des Grafen mit köstlichem Roth versehen hatte.

»Giebt es wirklich eine Liebe, welche keine Jahre, keine Monate und Wochen braucht, um zu entstehen? Giebt es eine Liebe, welche beim ersten Blick erwacht und dann nimmer wieder vergehen und sterben kann? Ja, es giebt eine solche; es giebt eine; ich fühle es. Und diese Liebe ist bei mir erwacht, für ihn, der Dir gleicht, Du süßes, süßes Angesicht!«

Sie küßte wieder und immer wieder das Bild, bis eine Stimme sie aus ihrer Verzückung weckte. Ihr Vater war unbemerkt eingetreten und rief verwundert:

»Josefa, Mädchen, was machst Du! Was fällt Dir ein! Ich glaube gar, Du küssest das alte Bild! Willst Du es gleich wieder an den Nagel hängen!«

_________

Viertes Kapitel.

Eine Heilung.

»Es lag auf meinem Geist ein Alp
   Nicht zentner- sondern bergesschwer.
Der Wahnsinn legte dicht und falb
   Um mich sein ödes Nebelmeer.

Ich bebte, dennoch war ich todt;
   Es schlug mein Herz, doch fühlt es nichts;
Und mitten in des Morgens Roth
   Stand ich, beraubt des Tageslichts.

Und nun ich endlich aufgewacht,
   Da hör' ich in mir fort und fort
Von früh bis spät, bei Tag und Nacht
   Nur der Vergeltung blutig Wort.«

Von diesem Tage an ging eine eigenthümliche Veränderung mit Josefa Cortejo vor. Sie war für ihren Vater nur wenig zu sprechen. Ihr Mädchen erzählte ihm, daß die Sennorita stets am Spiegel stehe, um sich zu schmücken, dann aber immer wieder die Blumen und den Schmuck herabreiße und dabei zornig ausrufe:

»Wie häßlich, wie häßlich! Kein Gold, kein Stein, keine Rose macht das anders!«

Und wenn Cortejo sich nach dem Zimmer seiner Tochter schlich, so hörte er sie drinnen sprechen, als ob Jemand bei ihr sei; er aber wußte, daß sie allein war. Und legte er dann lauschend das Ohr an die Thür, so hörte er sie leise sagen:

»O wie lieb, wie so lieb habe ich Dich. Komm, küsse, o küsse mich!«

Und wenn er ein anderes Mal kam und horchte, so hörte er sie zornig sagen:


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»Unbarmherziger, ich tödte Dich, ich erwürge Dich! Ich hasse Dich, denn Du hast mir das Herz aus der Brust gerissen!«

Er wußte gar nicht, was er sich dabei denken solle. Darum erzwang er sich einmal den Zutritt zu ihr, um ernstlich mit ihr zu sprechen. Er fand sie vor dem Spiegel stehen. Sie hatte sich ganz dekolletirt angekleidet und musterte sich, ob sie schön sei. Aber ihre hageren Arme, ihr dürrer Hals, ihr scharfer Nacken, ihr spärlicher Busen traten nur um so häßlicher hervor.

»Was thust Du hier!« fuhr er sie an. »Ich glaube gar, Du bist von Sinnen!«

Sie wandte sich schnell um und warf, als sie ihn erblickte, erröthend ein Tuch über ihre entblößten Reize, die alles Reizes entbehrten.

»Was ich thue, ich probire meine Toilette an,« entschuldigte sie sich.

»Das soll eine Toilette sein? Wo willst Du Dich so zeigen?«

»Ich war ja noch gar nicht fertig. Ich will heute zur Phantasia gehen.«

»Ah, endlich ein vernünftiges Wort! Also ausgehen willst Du? Und zwar zur Phantasia? Das ist gut. Ich gehe mit. Die ganze Noblesse wird zugegen sein. Der erste Preis besteht in einem kostbaren Reitzeuge, welches die Gräfin Montala dem Sieger übergeben wird.«

»Die Gräfin Montala? Warum diese? Giebt es keine Andere?«

»Sie ist die Schönste. Oder willst etwa Du die Preise vertheilen?« lachte er.

Ihre Augen glühten zornig auf; aber sie biß die Zähne zusammen und wandte sich ab.

»Hast Du Dir überlegt, was ich Dir gestern sagte?« fuhr er fort.

»Nein,« sagte sie kalt.

»Warum nicht?«

»Ich habe keine Zeit.«

»Keine Zeit!« sagte er zornig. »Wann hast Du jemals keine Zeit gehabt, Dich mit unseren Feinden zu beschäftigen? Vorhin habe ich es erfahren, wann sie abreisen.«

Bei diesen Worten drehte sie sich im Nu herum zu ihm und fragte mit bebender Stimme:

»Wann reisen sie?«

»Uebermorgen.«

Es war, als ob ihr blasses Gesicht noch blässer werde, aber sie bezwang sich und sagte kalt:

»So mögen sie!«

»Was? So mögen sie? Wir sollen den wirklichen Grafen Rodriganda entkommen lassen?«

»Der Falsche bringt uns auch keinen Nutzen!«

»Das sollst Du nicht sagen! Ich habe Dir ja gestern wieder versprochen, daß er Dich heirathen soll. Ich werde an meinen Bruder schreiben.«

»Warte noch!«

»Bis wann?«

»Bis Uebermorgen!«

Er schüttelte den Kopf. Er begriff und verstand sie nicht; sie war ihm ein Räthsel.


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»Also gehst Du zur Phantasia?« erkundigte er sich.

»Ja.«

»Ich begleite Dich.«

»Ich gehe allein!«

Er schüttelte abermals den Kopf und hielt es für das Beste, sich zurückzuziehen. Kaum aber war er fort, so riegelte sie die Thür hinter ihm zu, warf das Tuch ab und begann, sich Hals, Busen, Stirn und Nacken mit Pudre zu bestreichen und auf die Wangen Roth zu legen. Sie wollte sehen, ob sie auf diese Weise schöner werden könne.

Da klopfte es leise an die Thür.

»Wer ist da?« fragte sie.

»Amaika.«

Sofort sprang sie, ohne ihre Blößen zu bedecken, zur Thür und öffnete. Es trat eine alte Indianerin ein. Sie diente im Hause und genoß das Vertrauen der Sennorita, deren eigentliches Mädchen für eine Plaudertasche galt. Josefa schloß wieder zu, stellte sich vor den Spiegel und sagte:

»Amaika, sieh mich an! Bin ich schön oder häßlich?«

Die Alte schlug die Hände zusammen und antwortete:

»Häßlich? O Madonna, wie können Sie häßlich sein! Schön, sehr schön sind Sie!«

»Meinst Du das wirklich?«

»Ja, bei meiner armen Seele!« betheuerte die heuchlerische Alte.

»So hat der Pudre also wirklich geholfen! Soll ich die Wangen noch mehr röthen?«

»Nein, Sennorita. Sie sehen so recht zart und lieblich. Man muß Sie lieben!«

»Man, ja man, aber er nicht!«

»Er?« lächelte die Indianerin. »Er wird Sie auch lieben. Er wird Sie umarmen und küssen, wenn Sie so wie jetzt heute Abend nach der Phantasia zu ihm treten. Sie sind ja so reizend, daß er gar nicht widerstehen kann!«

»Aber, ob er kommen wird!« sagte sie, sich geschmeichelt fühlend.

»Er wird kommen.«

Diese Worte wurden in einem so bestimmten Tone ausgesprochen, daß diese Sicherheit Josefa auffiel. Sie wandte sich rasch zu der Indianerin und fragte:

»Weißt Du das genau?«

»Sehr genau, Sennorita. Sie wissen, daß ich über Sie wache und Alles thue, um Sie glücklich zu sehen.«

»Wer sagte es?«

»Dieser Zettel.«

Dabei zog sie einen langen, gedruckten Zettel aus der Tasche und reichte ihn ihr hin. Die hervorragenden Bewohner Mexiko's pflegen nämlich von Zeit zu Zeit wilde Kampfspiele zu veranstalten, bei denen oft ganz bedeutende Preise erstritten werden. Sie finden gegen Abend statt, wenn die Sonnenhitze nicht mehr so drückend ist, und dann folgt am Abend noch eine Maskerade, an welcher sich Alles betheiligen kann, was Lust und Freude an dergleichen Dingen findet. Die höchsten


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Sennores betheiligen sich an diesen Kampfspielen, die oft wirklich lebensgefährlich sind, und auch jeder anständige Fremde wird zur Arena gelassen, natürlich mit den Waffen, für welche er sich entscheidet. Ein solches Kampfspiel wird Phantasia genannt und heute Abend sollte eine dergleichen stattfinden. Der Zettel, welchen die Alte gebracht hatte, enthielt die Namen derer, welche mit kämpfen wollten.

Sie las diese Namen der Reihe nach leise, zwei aber las sie laut:

»Sennor Carlos Sternau für Lasso, Büchse, Degen und Dolch. Sennor Alfred de Lautreville für Büchse, Degen und Dolch.«

So lauteten die beiden Namen.

»Ah, ich wußte es, er ist ein Held!« sagte sie. »Er kämpft nicht für nur eine Waffe, sondern für drei; er wird einen Preis gewinnen. O, wenn er denselben aus meiner Hand erhalten könnte!«

Die Indianerin machte ein sehr verschmitztes Gesicht.

»Das kann er ja,« sagte sie.

»In wie fern? Die Gräfin Montala theilt ja die Preise aus!«

»Diese Preise, ja. Aber können Sie ihm nicht auch einen Preis geben?«

Josefa erröthete und fragte:

»Welchen?«

»Einen Kuß, eine Umarmung, eine recht innige und zärtliche!«

»Vielleicht. Du wirst mich begleiten und dafür sorgen, daß ich ihn finde.«

Damit war die Alte von Herzen gern einverstanden, und Beide trafen ihre Vorbereitungen für den genußreichen Abend.

Auch im Palazzo des Lord Lindsay traf man dergleichen Vorbereitungen. Mariano hatte sich vollständig wieder erholt. Seine Augen leuchteten wieder; seine Wangen hatten sich wieder gefüllt und frisch geröthet und er konnte ein Pferd mit derselben Sicherheit wie früher tummeln. Darum hatte er sich entschlossen, an der Phantasia theilzunehmen und Sternau hatte ihm versprochen, das Gleiche zu thun.

Sternau war übrigens in den letzten Tagen sehr einsilbig und nachdenklich gewesen und zwar in Folge eines kurzen Gespräches. Am Abende nach jenem Frühstücke, an dem die beiden Cortejos theilgenommen hatten, hatte ihn der Lord unter vier Augen gefragt:

»Herr Sternau, was sagen Sie zu dem Herzoge von Olsunna?«

»Sie meinen zu der Verwechselung?«

»Ja, und zu Ihrer Aehnlichkeit mit ihm?«

»Das ist ein seltenes und interessantes Naturspiel, weiter nichts.«

»Ich finde es auffällig. Ihr Vater war ein Deutscher?«

»Ja.«

»Und Ihre Mutter?«

»Auch sie.«

»Sprachen Sie nicht vorgestern mit Mariano davon, daß Ihre Mutter in Spanien Erzieherin gewesen sei?«

»Das ist sie allerdings gewesen.«

»Nun, mein Freund, ich will das Andenken Ihrer Mutter nicht entheiligen, aber aus Zufall scheinen keine solche Aehnlichkeiten zu entstehen. Denken Sie nach!«

Und Sternau hatte nachgedacht. Aber dieses Nachdenken war ihm wie eine


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Sünde gegen die Mutter erschienen; er hatte gegen die aufkeimenden Gedanken gekämpft, war ihrer aber doch nicht völlig Meister geworden, und um sich zu zerstreuen war er gern bereit gewesen, an der Phantasia mit theilzunehmen.

Der Nachmittag rückte heran, und Tausende zogen hinaus auf die Ebene, wo eine Arena für die Kämpfer abgesteckt worden war. An einem bestimmten Orte versammelten sich die Kämpfer und ritten dann hinaus. Als ihr Zug den Platz erreichte, tönte ihnen ein donnernder Zuruf entgegen. Manches Frauenauge leuchtete glühend auf den Gestalten der Tapferen, welche sich nicht scheuten, ihre Geschicklichkeit im Kampfe zu messen.

Auf einem Balkon saßen die Preisrichter, umgeben von einem reichen Flor stolzer und schöner Frauen und Mädchen. Unter diesen befand sich die Gräfin von Montala, die schönste Wittwe des ganzen Landes. Sie war umworben und angebetet von Vielen, aber Keiner konnte Gnade finden vor ihren Augen. An ihrer Seite saß eine Freundin, welche aus Morella herbeigekommen war, die Kampfspiele mit anzusehen.

Soeben nahte der Zug der Streiter, Alle ohne Unterschied in die reiche mexikanische Tracht gekleidet. Da stieß die Freundin die Gräfin an und fragte:

»Dios, wer ist der Ritter, welcher dort auf dem Rappen soeben durch den Eingang reitet?«

»Hast Du ihn noch nicht gesehen?« gegenfragte die Gräfin.

»Nie.«

»Ja ja, Du warest seit drei Wochen nicht in der Hauptstadt.«

Die schöne Gräfin verfolgte den Reiter mit glühenden Blicken und vergaß dabei, der Freundin Antwort zu geben.

»Nun?« erinnerte diese.

»Er ist ein Deutscher,« klang die kurze Antwort.

Die Freundin blickte die Gräfin forschend an, lächelte heimlich und sagte dann:

»Ein Deutscher! Ist das Alles, was Du von ihm weißt?«

»Er ist der Gast des englischen Gesandten.«

»Lord Lindsays?«

»Ja.«

»So ist er nicht von gewöhnlichem Stande, denn Lindsay ist exclusiv.«

»Im Gegentheile; er ist Arzt.«

»Und heißt?«

»Auf der Kampfliste steht Carlos Sternau.«

Wieder lächelte die Freundin.

»Auf der Kampfliste? Du hast den Namen früher nicht gekannt und gehört?«

»Gehört, aber wieder vergessen.«

»Wohl Dir!«

»Warum?«

»Ich glaubte, wer diesen Mann einmal gesehen hat, der könne ihn nie wieder vergessen. Dir ist dies wenigstens mit dem Namen gelungen. Sich, diese Gestalt!«

»Zu massiv, viel zu massiv.«

Die Freundin lächelte zum dritten Male heimlich.

»Das ist Sache des Geschmackes,« sagte sie.


// 902 //

»Ich traue seiner starken Figur keine Gewandtheit zu. Und ein Deutscher, wie kann er sich in Lasso und Dolch mit einem Mexikaner messen. Die Deutschen sind zu zahm. In Büchse und Degen mögen sie immerhin einige Uebung haben.«

»Du tadelst ihn, folglich ist er Dir gefährlich!«

»Pah!« sagte die Gräfin stolz.

Dabei folgte ihr Auge aber unverwandt der stattlichen Gestalt Sternaus.

»Und wer ist der Sennor an seiner Seite?« fragte die Freundin.

»Ein Freund des Deutschen und ebenso Gast des englischen Gesandten. Er ist Offizier und nennt sich Alfred de Lautreville.«

»Du scheinst diese Fremden genau zu kennen?«

»Was willst Du! Die ganze hiesige Damenwelt ist vernarrt in sie.«

»Natürlich außer Dir.«

»Ich bestreite das nicht. Man ist gefeit gegen das, was Andere Liebe nennen. Ich danke!«

Nachdem ein Jeder der Kämpfer seinen Platz eingenommen hatte, begann das Spiel. Zunächst wurde mit dem Degen gekämpft, immer Zwei gegen Zwei, und dann die Sieger gegen einander. Sternaus Klinge konnte Keiner widerstehen, und Mariano's Gewandtheit war einem Jeden gewachsen. So kam es, daß Beide zuletzt um den Preis kämpfen sollten, Sternau aber wehrte ab und trat freiwillig zurück.

»Siehst Du,« sagte die Gräfin zu ihrer Freundin; »seine rohe Kraft fürchtet sich vor der Gewandtheit des Freundes. Er wird keinen Preis erlangen.«

Nun kam der Dolch an die Reihe. In dieser Waffe besitzt der Mexikaner eine ganz bedeutende Uebung. Hier konnte es ohne Wunden gar nicht abgehen. Viele bluteten, Andere traten zurück. Nur Einer war nicht einmal geritzt worden, nämlich Sternau. Er blieb Sieger.

»Nun, fehlt es ihm noch immer an Gewandtheit?« fragte die Freundin.

»Zufall!«

»Wenn Einer mit Zwanzig kämpft und Sieger bleibt, das nennst Du Zufall?«

Die Gräfin schwieg, denn jetzt wurden die Pferde bestiegen, um die Lasso's schwingen zu lassen. Es ritten je Zwei hervor, von denen der Eine den Anderen vom Pferde zu reißen suchte. Die Besiegten ritten zurück, und die Sieger blieben bereit, um mit einander zu kämpfen.

Der Freundin schien es Spaß zu machen, die Gräfin zu necken.

»Glaubst Du, daß der Deutsche einen Lasso führen kann?« fragte sie.

»Nein.«

»Dann wäre es unklug von ihm, sich mit den Anderen messen zu wollen.«

»Der Preis, den er jetzt errungen hat, macht ihn betrunken und unvorsichtig.«

»Hm, so war er bereits betrunken und unvorsichtig, ehe er diesen Preis erhielt, denn er war ja bereits entschlossen, mit dem Lasso zu kämpfen.«

Die Entscheidung ließ dieses Mal lange auf sich warten, und als sie endlich gefallen war, hatte sich wieder - Sternau den Preis errungen. Er hatte nicht ein einziges Mal im Sattel gewankt, es hatte ihn kein einziger Lasso fassen können, er aber hatte alle Gegner vom Pferde gerissen.

Jetzt begann der vierte Gang mit den Büchsen. Es wurden Scheiben aufgestellt. Auch hier besiegte Sternau alle Anderen. Und als er den Entscheidungs-


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schuß gethan hatte, zog ein großer, weißköpfiger Geier hoch droben durch die Luft. Sternau deutete stumm nach dem Vogel empor und lud seine Büchse.

Ein dumpfes Murmeln ließ sich hören. Kein Mensch glaubte, daß eine Kugel den Vogel erreichen könne, aber schon krachte Sternau's Schuß und der Geier fiel in einer engen Spirallinie zur Erde herab. Ein lauter, tausendstimmiger Jubelruf belohnte den Meisterschuß.

Nun nahten sich die Sieger der Tribüne. Was Keiner vorher gedacht hatte: es waren nur zwei, und zwar zwei Fremde. Die mexikanische Tracht saß ihnen ebenso gut wie den Einheimischen, und als sie jetzt die Preise in Empfang nahmen, da verbeugten sie sich mit demselben ritterlichen Anstande, als ob sie gewohnt seien, sich alle Tage aus schönen Händen einen Preis anzueignen.

Jetzt war das Kampfspiel vorüber, und der Maskenscherz begann. Die Sitte verbot nur den beim Kampfe betheiligt Gewesenen das Tragen einer Verkleidung. Sternau und Mariano hatten ihre Pferde und Preise einem Diener des Lords übergeben und schlenderten auf dem Lustplatze umher, wurden aber später getrennt.

Zwei der Kämpfer standen neben einander und besprachen den Erfolg des heutigen Spieles. Sie waren voller Wuth, daß die beiden Fremden die Ehre des Tages hinweggenommen hatten.

»Was meinst Du, Gonzalvo,« sagte der Eine, »ist es überhaupt richtig, daß man Fremde zuläßt?«

»Nein, zumal solche Elephanten, denen kein Mensch widerstehen kann. Wenn es mir einfällt, versetze ich diesem Sennor Sternau einen kleinen Stich in den Rücken, an dem er genug haben soll.«

»Ich bin dabei; aber woher nehmen wir das Geld, um uns die Absolution für eine solche That bei den frommen Patres zu erkaufen?«

»Das ist's, was auch mir Bedenken macht, sonst säße ihm mein Dolch bereits schon im Leibe. Es ist nichts Kleines, mit einem Morde auf dem Gewissen dereinst in jene andere Welt zu gehen.«

In ihrer Nähe hatte eine andere Maske gestanden, der diese halblaut geführte Unterhaltung nicht entgangen war. Jetzt trat sie näher und fragte:

»Wie viel wird die Absolution bei den frommen Patres kosten, Sennores?«

»Was geht das Euch an?« fuhr ihn Gonzalvo an.

»Vielleicht sehr viel.«

»Warum?«

»Weil ich Euch die Summe schenken will.«

»Alle Teufel! Ist das wahr?«

»Ja,« nickte die Maske.

»Wer seid Ihr denn?« fragte Gonzalvo.

»Das thut nichts zur Sache. Ich ärgere mich gerade so wie Ihr, daß dieser Mensch uns Mexikanern den Preis fortnimmt. Stecht den Frechen nieder; die Absolution bezahle ich.«

»Das wird aber ein hübsches Sümmchen sein, Freund!«

»Wie viel?«

»Fünfzig Pesos für uns Beide.«


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»Ich gebe Euch hundert, wenn dieser Sternau in einer Stunde fertig mit dem Leben ist.«

»Wann gebt Ihr sie?«

»Sofort nach der That.«

»Und wo?«

»Wo es Euch paßt und gefällt.«

»Das klingt ganz gut. Aber wenn das Werk vollbracht ist, und Ihr wollt nicht zahlen, dann können wir nichts thun!«

»So stecht Ihr mich nieder!«

»Kennen wir Euch? Nehmt für einen Augenblick die Larve ab!«

Die Maske that, wie ihr geheißen wurde, und die beiden Männer blickten ihr in das Gesicht.

»Ah,« sagte Gonzalvo, »Ich kenne Euch, Sennor Cortejo; Ihr werdet uns nicht betrügen. Wir werden unser Werk thun und uns den Lohn dann morgen holen.«

Die beiden Männer nahmen sich unter die Arme und ließen Cortejo stehen.

Es klingt unglaublich, daß ein solcher Handel so leicht und schnell abgeschlossen wird, aber wer in Mexiko gelebt hat, der weiß, daß dies gar keine Seltenheit ist.

Mariano hatte, als er Sternau verlor, sich wacker in das Menschengewühl gestürzt. Er freute sich seiner wieder erlangten Körperfrische und wandte sich in Folge dessen immer nur solchen Gegenden zu, wo es Mühe kostete, sich durch die Menge hindurch zu arbeiten. Da wurde plötzlich seine Hand erfaßt, und er sah an seiner Seite eine weibliche Maske, welche ihn zur Seite zog. Dies schien ein Abenteuer zu bedeuten, und so folgte er ihr.

Als sie das Gedränge hinter sich hatten, führte sie ihn zu dem eingefallenen Gemäuer einer Wasserleitung.

»Setzt Euch, Sennor,« sagte sie, »ich habe mit Euch zu reden.«

Er folgte aus Höflichkeit diesem Befehle und lehnte sich dann mit dem Rücken bequem an einen emporragenden Mauertheil.

»So, Sennora,« sagte er. »Ich bin Euch gehorsam, nun seid auch gefällig und sagt mir, was Ihr von mir begehrt.«

»Ich will Euch eine Frage vorlegen,« antwortete sie.

»So sprecht!«

»Darf ich mich zuvor neben Euch setzen?«

»Ja.«

Sie setzte sich an seiner Seite nieder und machte dabei einiges Geräusch, in Folge dessen die Beiden ein anderes Geräusch auf der anderen Seite der Mauer nicht vernahmen.

Lord Lindsay war nämlich auch auf den Gedanken gekommen, sich zu maskiren. Er hatte Mariano bemerkt und ihn ein Wenig necken wollen. Noch aber hatte er ihn nicht ganz erreicht, als sich die weibliche Maske des jungen Mannes bemächtigte. Das gab eine willkommene Gelegenheit, sich über den Charakter Mariano's aufzuklären. Ging er ohne Weiteres auf ein Liebesabenteuer ein, so war er Amy nicht werth. Darum folgte Lindsay ihm nach und versteckte sich, als er sah, wo die Beiden sich niedersetzten, an die andere Seite der Mauer, wo er jedes Wort vernehmen konnte.


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»Nun, so beginnt, Sennora,« hörte er jetzt Mariano sagen.

»Schwört mir zuvor, daß Ihr mir unter keiner Bedingung die Larve abnehmen wollt, Sennor!«

»Seid Ihr so häßlich, daß man Euch nicht ansehen darf?«

»Das ist es nicht. Ich will nicht erkannt sein, außer ich erlaube es Euch.«

»Nun wohl, ich gebe Euch mein Wort.«

»Nicht Euer Wort, sondern Euren Schwur!«

»Gut, also meinen Schwur. Nun aber dürft Ihr auch beginnen!«

»Sagt einmal, habt Ihr eine Braut, Sennor?«

»Nein.«

»Oder eine Geliebte?«

»Ist Euch das so nothwendig zu wissen?«

»Ja. Was ich Euch sagen will, ist von der allergrößten Wichtigkeit für Euch.«

»Das klingt sehr nachdrücklich. Na, ich kann ja ohne dies aufrichtig sein. Ja, ich habe eine Geliebte.«

»Und Ihr seid ihr von ganzem Herzen gut?«

»Ich mag ohne sie gar nicht leben.«

Ein langer, tiefer Seufzer quoll unter der Larve hervor; dann fragte sie weiter:

»Ihr würdet unter keiner Bedingung von ihr lassen?«

»Unter keiner!«

»Aber sie ist ja Eure Verlobte, Braut oder Frau noch nicht!«

»Das ist egal. Ich habe ihr in meinem Herzen Treue geschworen, und diesen Schwur werde ich halten.«

»Ihr würdet sie auch nicht verlassen um eines großen Vortheils willen?«

»Fällt mir nicht ein.«

»Und wenn es sich nun um Glück und Leben handelt?«

»Mein Glück gehört ihr und mein Leben Gott; ich halte meinen Schwur!«

Sie schwieg und wieder ließ sich der vorige lange, tiefe Seufzer hören. Dann sagte sie in einem energischeren Tone:

»Ich will glauben, daß Ihr jetzt so denkt; später aber wird es anders. Ich habe mir vorgenommen, aufrichtig zu sein, und so will ich Euch sagen, daß ich Euch liebe.«

»Alle Wetter,« sagte er überrascht; »so soll ich meine Geliebte wegen Euch verlassen?«

»Ja.«

»Das geht nicht!«

»Warum nicht?«

»Weil ich sie liebe und nicht Euch.«

»Ihr kennt mich nicht; vielleicht bin ich schöner als sie!«

»Möglich, aber nicht wahrscheinlich!«

»Und reicher!«

»Ist gleichgiltig.«

»Von edlerer Geburt und besserem Charakter!«


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»Das ist unmöglich!«

»Ihr würdet mich sicher lieben!«

»Ich würde Euch hassen und mich verachten, daß ich meinen Schwur gebrochen habe.«

Sie schien eine ganze Weile nachzusinnen; dann bat sie mit sanfter Stimme:

»Gebt mir einmal Eure Hand.«

»Hier.«

Sie ergriff seine Hand und schob sie unter den Mantel.

»Greift an mein Herze, Sennor,« sagte sie, »und fühlt, wie es für Euch schlägt!«

»Caramba, was fällt Euch ein!« sagte er. »Euren Mantel will ich wohl angreifen, aber nichts weiter. Sprecht um Gotteswillen nicht davon, daß Ihr ein braves, ehrliches Mädchen seid!«

Sie zuckte zusammen und antwortete in halb zornigem Tone:

»Ich bin es! Was ich thue, das thue ich, weil ich Euch glühend liebe.«

»So thut Ihr mir leid, denn ich kann Euch wahrlich nicht helfen.«

»So werde auch ich Euch nicht helfen!«

Sie sprach das in einem Tone, welcher seine Aufmerksamkeit erregte.

»Ich wüßte doch auch nicht, in welcher Angelegenheit Ihr mir helfen wolltet!« sagte er.

»O, in einer höchst wichtigen!« versetzte sie.

»Ah? Darf ich es wissen?«

»Ja. Ihr nennt Euch Alfred de Lautreville, aber Ihr seid es nicht!«

Er stutzte doch und fragte:

»Wer bin ich denn?«

»Euer richtiger Name würde Alfonzo de Rodriganda sein.«

Da faßte er sie schnell beim Arme, bog sich zu ihr herab und sagte:

»Weib, was sprichst Du da? Woher weißt Du das? Wer bist Du?«

Sie ließ sich den scharfen Druck seiner Hand gefallen, ohne ein Wort des Schmerzes auszustoßen, denn dieser Schmerz war ihr eine Wonne, aber sie antwortete:

»Das fragt Ihr mich vergebens!«

»Du mußt es sagen!«

»Ich muß? Wer will mich zwingen?«

»Ich.«

»Womit?«

»Ich werde erfahren, wer Du bist!

»Ihr habt mir geschworen, mir die Maske zu lassen, und wie Ihr der Geliebten den Schwur haltet, werdet Ihr Euer Wort auch mir halten.«

Er ließ ihren Arm los und sagte:

»Ihr habt recht; ich halte mein Wort. Also Ihr wißt, wer ich eigentlich sein sollte?«

»Ja, und Niemand weiß es besser als ich. Ich weiß es besser als Euer Kapitän, als Euer Sternau, als Euer Kapitän Landola; ich weiß es besser als Alle, Alle, Alle.«


// 907 //

»Und Du willst es mir nicht sagen?«

»Nein. Nur dem Geliebten würde ich es sagen. Verlasse Dein Mädchen!«

»Nie!«

»Ist Dir diese blonde Amy wirklich lieber als eine Grafschaft?« frug sie zornig.

»Tausendmal lieber! Aber woher kennst Du den Namen Amy?«

»Das geht Dich nichts an. Ueberlege Dir, was Du thust! Ich gebe Dir eine Bedenkzeit von zehn Minuten. Es handelt sich nicht nur um Dich, sondern auch noch um Andere. Vielleicht lebt Dein Vater noch und ebenso Dein Oheim Ferdinando!«

Er fuhr empor.

»Weib, bist Du allwissend!« rief er erschreckt.

»In Deiner Angelegenheit bin ich es. Ich habe alle Macht in meiner Hand. Es kostet mich nur ein einziges Wort, Dich zu erhöhen oder zu verderben. Ich liebe Dich; ich will Dich besitzen, und darum biete ich Dir Alles für Deine Liebe!«

»Du bietest mir dies Alles umsonst; mein Herz ist nicht mein Eigenthum; ich kann es nicht verschenken.«

»So verkaufe es!«

»Was ich nicht verschenken darf, darf ich auch nicht verkaufen!«

Sie hatte bis jetzt verhältnißmäßig ruhig gesprochen; jetzt aber, als sie sah, daß all' ihr Bitten und Drohen erfolglos sei, erhob sie sich und sagte mit vor Aufregung zitternder Stimme:

»Ich habe Dir die Wahl gelassen zwischen Liebe und Haß, Glück und Unglück, Himmel und Hölle. Wenn Du mich annimmst, bist Du innerhalb einer Woche hier als Graf Alfonzo anerkannt. Verstößest Du mich, so soll Deine Seele schreien und brüllen vor Schmerz. Die Bedenkzeit ist abgelaufen, jetzt wähle!« -

Auch er erhob sich.

»Ich bleibe meinem Worte treu,« sagte er ruhig und bestimmt.

»Ist dies Dein letztes Wort?«

»Mein letztes!«

Jetzt zitterte sie vor Eifersucht, Grimm und Rachgier.

»So bist Du verloren, Du und Deine Amy,« sagte sie. Und dennoch fügte sie hinzu: »Entscheide Dich noch einmal; entscheide Dich anders!«

»Ich kann nicht anders!«

»So sei verflucht, verliebter Thor! Du sollst und wirst mich kennenlernen!«

»Ich kenne Dich bereits. Ich brauche Dir die Larve nicht vom Gesicht zu reißen. Was Du weißt, kann nur Eine wissen, und was Du sprichst, das kann nur Eine sprechen. Du bist Josefa Cortejo, die Tochter des Mörders und Betrügers!«

Sie hatte bereits im Begriff gestanden, zu gehen, jetzt aber drehte sie sich schnell um und sagte:

»Ihr irrt, Sennor. Ich habe mit dieser Josefa Cortejo nichts gemein!«

»O doch! Du hast Alles mit ihr gemein, Alles, selbst die Schönheit, an welche Du mich führen wolltest. Packe Dich fort von hier!«


// 908 //

Das war der schlimmste Schlag für sie. Sie blieb noch einen Augenblick stehen.

»Wurm!« knirrschte sie. »Zittere! Wenn Du nur wüßtest, wer ich bin, so würdest Du erkennen, daß Du in meine Hand gegeben bist!«

»Pah!« lachte er. »Sei froh, daß ich Dir mein Wort gegeben habe, sonst würde ich Dir die Larve vom Gesicht reißen!«

Da ertönte neben ihm eine Stimme:

»Ich werde es thun, denn ich habe ihr mein Wort nicht gegeben!«

Eine Maskengestalt kam hinter der Mauer hervor und schoß auf das Mädchen zu. Josefa erkannte, in welcher Gefahr sie sich befand. Sie griff unter den Mantel und zog einen Doch hervor. Die Klinge desselben fuhr in die Hand, welche nach ihr greifen wollte und während der Lord einen Laut des Schmerzes ausstieß und die Hand schnell an sich zog, huschte das Mädchen fort und verschwand einige Augenblicke später in der Menge der anderen Masken.

»Alle Teufel, sie hatte einen Dolch!« sagte Lindsay, sein Taschentuch ziehend, um damit das Blut zu stillen.

»Wer seid Ihr, Sennor?« fragte Mariano ihn.

»Ein Freund von Euch!«

Die Stimme klang hinter der Larve so dumpf, daß Mariano sie nicht erkannte.

»Und Ihr habt unser Gespräch belauscht?«

»Von Anfang bis zum Ende.«

»Ohne Euch zu entfernen?«

»Ohne davon zu laufen. Ich kam ja zu dem Zwecke her, Euch zu belauschen.«

»So seid Ihr ein Schuft!«

»Meinetwegen!«

»Und verdient eine derbe Züchtigung!«

»Ganz richtig!«

»Ich verlange, daß Ihr die Larve abnehmt!«

»Warum?«

»Weil ich sehen will, wer der Schurke ist, der sich herumschleicht, um die Geheimnisse Anderer zu belauschen.«

»Das könnt Ihr leicht haben.«

Er nahm die Larve ab und hielt Mariano sein Gesicht entgegen. Mariano erkannte ihn trotz der Dunkelheit; er erschrak auf das Heftigste und sagte:

»Mylord, Sie sind es! Verzeihung!«

»Pah, ich bin es, dem verziehen werden muß,« sagte Lindsay. »Verzeihen Sie mir, daß ich Sie belauscht habe?«

»Gern, Mylord. Jeden Anderen aber hätte ich gezüchtigt.«

»Das glaube ich Ihnen; Sie sind ein verteufelter Kerl! Sie staken da in einer gewaltigen Klemme; dieses Frauenzimmer hat Ihnen die Hölle heiß gemacht. Glauben Sie wirklich, daß es die Tochter des Cortejo ist?«

»Sie war es ganz sicher.«

»Auch ich bin überzeugt davon. Leider habe ich sie nicht gefangen und nun können wir ihr nichts nachweisen, trotz des Geständnisses, welches sie Ihnen gemacht hat. Binden Sie mir doch einmal das Tuch um die Hand; ich habe eine Schmarre davongetragen.«


// 909 //

Mariano verband ihm die Wunde, dann nahm der Lord die Larve wieder vor, steckte seinen Arm in den des jungen Mannes und zog diesen mit sich fort.

Mariano folgte ihm mit einem Gefühle des Glückes. Lindsay hatte Alles gehört; er wußte nun genau, wie lieb er Amy hatte, und dieser Gedanke gab Mariano die Hoffnung, daß den Wünschen seines Herzens von jetzt an wenigstens keine unüberwindlichen Schwierigkeiten entgegen stehen würden.

Sternau hatte, als er Mariano verlor, sich nach der anderen Seite gewendet. Er ging von Gruppe zu Gruppe und bemerkte dabei nicht, daß ihm zwei Männer immer nachfolgten. Endlich ward er des Lärmens müde und wandte sich dem Freien entgegen. Dort war es still. Er spazierte weiter, in tiefe Gedanken versunken.

Er dachte an die Heimath, an das Weib seines Herzens, an den alten Oberförster, an die Mutter und Schwester und merkte immer noch nicht, daß ihm zwei Gestalten nachschlichen. Endlich wollte er sich umkehren, warf sich aber im nächsten Augenblick, nachdem er sich umgedreht hatte, zu Boden.

Die beiden Mörder hatten nämlich nicht bedacht, daß er sie beim Umwenden sofort erblicken müsse, da hinter ihnen der hell erleuchtete Festplatz lag und ihre Gestalten sich in der Helle desselben abzeichnen mußten.

Also Sternau hatte sie sofort bemerkt; es war klar, daß sie ihm in irgend einer bösen Absicht folgten und so verschwand er ihnen mit jener Schnelligkeit und Geistesgegenwart, welche den Mann der Prairie auszeichnet. Er kroch am Boden zur Seite hin und ließ sie herankommen. Sie blieben in seiner Nähe stehen und suchten das nächtliche Dunkel mit ihren Augen zu durchdringen.

»Ich sehe ihn nicht mehr,« sagte der Eine. »Und Du?«

»Ich auch nicht.«

»Er muß sich gesetzt haben.«

»Oder hat er die Richtung verändert.«

»Das wäre verdammt! Kehrt er zum Platze zurück, so wird es uns schwerer, hier hätten wir so leichte Arbeit gehabt.«

»Die hundert Pesos wären bald verdient. Wir müssen uns theilen, und wer ihn trifft, der führt den Stoß.«

»Gut, so gehe Du mehr rechts und ich mehr links!«

Sternau überlegte, was er thun solle. Er hielt es für das Klügste, sie laufen zu lassen. Schlug er sie nieder und zeigte er sie an, so konnte er es ihnen ja nicht beweisen, daß sie es auf ihn abgesehen gehabt hätten. So wartete er also, bis sie sich weit genug entfernt hatten, und kehrte dann nach dem Platze zurück, wo er bald Mariano und den Lord traf.

Er erzählte ihnen sein Abenteuer, und sofort vermutheten die Beiden, daß der Anschlag von Cortejo ausgehe. Sie hielten es für das Beste, nach Hause aufzubrechen, was auch sofort geschah. Im Palazzo angekommen, wurden sie von Amy empfangen, welche zwar während des Kampfes auf dem Festplatze gewesen war, dann aber sofort zurückgekehrt war.

»Da kommen die Sieger,« meinte sie freudig, die drei Männer in den Salon führend; »es ist unsere Pflicht, auf sie stolz zu sein.«

»Vor allen Dingen auf den dreifachen Sieger,« sagte Mariano, auf Sternau deutend.


// 910 //

»Und auch auf den Anderen,« fügte der Lord hinzu. »Unser Freund hat nach dem Kampfspiele noch einen Sieg errungen, der größer war als der vorige. Darum soll er auch seinen Preis erhalten.«

Er nahm Amy's Hand und legte sie in Mariano's Rechte.

»Ihr habt Euch lieb, Kinder, und Ihr seid Euch werth. Werdet glücklich, so wie ich es Euch wünsche!«

Das war eine Ueberraschung, an welche Niemand gedacht hatte, und ein Preis, wie er nach einem Kampfspiele noch niemals ausgezahlt worden war. Die beiden Liebenden lagen sich in den Armen und schoben sich dann den gütigen Lord einander zu. Der Abend wurde zu einem Freuden- und Wonneabend, ganz anders wie bei Cortejo, welcher nach Hause gegangen war, um, falls Sternau getödtet werde, nachweisen zu können, daß er nicht in der Nähe gewesen sei.

Nach einiger Zeit kehrte auch Josefa zurück. Ihr Angesicht glühte, und ihre Augen blitzten. Sie warf den Maskenanzug von sich und trat energisch vor ihren Vater.

»Vater, dieser Sternau reist übermorgen nach der Hazienda?« fragte sie.

»Ja.«

»Allein?«

»Nein, sondern die beiden Andern mit ihm.«

»Willst Du sie entkommen lassen?«

Er blickte sie verwundert an und antwortete dann mit verhaltener Ironie:

»Du scheinst Dich seit heut Vormittage sehr geändert zu haben.«

»Nicht im Geringsten; aber ich bin zu einem Entschlusse gekommen.«

»Und dieser lautet?«

»Wir lassen diesen Menschen keine Minute Frist.«

»Das ist meine Ansicht auch. Der Eine von ihnen ist bereits wohl jetzt schon todt.«

»Welcher?«

»Sternau.«

»Ach, ich dachte, der Andere!«

»Nein. Ich schickte ihm ein Paar Hidalgo's auf den Hals, welche ich kenne. Für hundert Pesos laufen sie in die Hölle.«

»Gut, so ist der Eine abgethan! Aber der Andere?«

»Warte bis morgen, dann wird sich darüber sprechen lassen.«

Vater und Tochter saßen noch beisammen, als zwei Männer Einlaß begehrten. Sie wurden eingelassen; es waren die beiden Hidalgos. Als sie Josefa erblickten, wollten sie sich zurückziehen, aber Cortejo gab das nicht zu.

»Tretet nur ein, Sennores,« sagte er. »Meine Tochter darf hören, was Ihr mir zu sagen habt. Ich hoffe, daß Euer Werk Euch gelungen ist!«

»Leider nicht,« lautete die Antwort.

Cortejo blickte sie streng an; ihm schien dieser Fall unglaublich.

»Warum nicht?« fragte er.

»Wir verloren ihn aus den Augen. Er ging in die Nacht hinaus, ganz einsam und allein. Wir folgten ihm und sahen ihn nicht mehr. Als wir nach dem Platze zurückkehrten, sahen wir ihn mit Lord Lindsay die Pferde besteigen.«


// 911 //

Cortejo schüttelte zornig den Kopf.

»Ihr seid Thoren und feige Miethlinge; ich mag nichts von Euch wissen.«

»Wir werden es nachholen, Sennor,« sagte der Eine.

»Ich brauche Euch nicht; Ihr könnt gehen. Für Eure unnütz verschwendete Mühe sollt Ihr ein kleines Geschenk haben. Hier habt Ihr zehn Pesos; theilt Euch darein, und trollt Euch dann von dannen.«

Die Hidalgo's waren froh, so viel erhalten zu haben, und gingen. Josefa begab sich zur Ruhe, aber sie konnte nicht schlafen. Sie brütete Rache wegen ihrer verschmähten Liebe, kam aber zu keinem Entschlusse, der der Stärke ihres Grimmes entsprochen hätte. Auch Cortejo schlief nicht. Er sann und grübelte einige Stunden lang und schien endlich zu einem Entschlusse gekommen zu sein, denn er ging nach dem Stalle und ließ satteln. Gegen Morgen verließ er die Stadt in nördlicher Richtung, und als Josefa am Vormittage nach ihrem Vater fragte, erfuhr sie, daß er auf einige Zeit verreist sei. - - -

Nicht einen Tag, sondern zwei Tage später hielten drei tüchtige, kraftvolle Pferde vor dem Palazzo des Lords, während drin in der Wohnung selbst Abschied genommen wurde.

»Also wie lange gedenken Sie auszubleiben, Doktor?« fragte Lindsay.

»Wer kann dies unter den gegenwärtigen Umständen bestimmen,« lautete die Antwort. »Wir kommen so bald wie möglich zurück.«

»Das hoffe ich. Schont die Pferde nicht; es laufen ihrer Tausende auf der Weide herum. Haben Sie noch einen Wunsch?«

»Ja, Mylord. Man weiß nicht, was Einem in diesem Lande begegnen kann. Nehmen Sie sich, wenn sich meine Rückkunft verzögern sollte, meiner Yacht und ihrer Bemannung an!«

»Das werde ich thun, obgleich ich nicht befürchte, daß ich die Veranlassung dazu haben werde. Leben Sie wohl.«

Sternau und Helmers saßen bereits zu Pferde, als Mariano noch immer oben an der Treppe stand und sich von Amy gar nicht trennen konnte. Endlich kam er, und nun ging es fort, zur Stadt hinaus auf ganz demselben Wege, welchen zwei Tage vorher Cortejo eingeschlagen hatte.

Sternau hatte vorgezogen, ohne Diener und Führer zu reisen. Er hatte eine Karte von Mexiko bei sich, das war ihr Führer, und obgleich keiner von den Dreien diesen Weg bereits einmal zurückgelegt hatte, verirrten sie sich nicht ein einziges Mal.

Es mochte noch eine kleine Tagereise von der Hazienda sein, daß sie über eine mit einzelnen Gebüschinseln bestandene Ebene ritten. Sternau war der Erfahrenere von den Dreien; es entging ihm kein gebrochener Halm, kein abgeknickter Zweig, kein von seinem Platze gestoßenes Steinchen. Während sie lautlos dahinritten, sagte er zu seinen beiden Gefährten:

»Wendet den Kopf jetzt weder nach rechts noch links; aber schielt einmal nach dem dichten Seifenbaumstrauche, dort rechts am Wasser.«

»Was giebt's?« fragte Mariano.

»Dort liegt ein Mensch auf der Lauer und sein Pferd ist hinter ihm angebunden.«


// 912 //

»Ich sehe nichts.«

Auch Helmers versicherte dasselbe.

»Das glaube ich. Es gehört Uebung und Erfahrung dazu, in diesem Dickicht bereits von Weitem einen Mann und ein Pferd zu unterscheiden. Sobald ich meine Büchse empornehme, thut Ihr es auch, schießt aber nicht eher, als bis ich selbst schieße.«

Sie ritten weiter, bis sie sich parallel mit dem Buschwerk befanden; da aber hielt Sternau plötzlich sein Pferd an, riß die Flinte vom Rücken und legte auf das Gebüsch an. Die beiden Anderen folgten seinem Beispiele.

»Holla, Sennor, was sucht Ihr da drin an der Erde?« rief er hinüber.

Ein kurzes, rauhes Lachen erscholl, und dann hörte man die Worte:

»Was geht das Euch an?«

»Sehr viel,« antwortete Sternau. »Kommt doch einmal hervor, wenn Ihr so gut sein wollt!«

»Ist das Euer Ernst?« lachte es zurück.

»Ja doch.«

»Na, so will ich Euch den Gefallen thun.«

Die Büsche theilten sich, und es trat ein Mann hervor, der ganz in starkes Büffelfell gekleidet war. Sein Gesicht trug die Spuren indianischer Abstammung, aber seine Kleidung hatte den Schnitt, wie ihn die Ciboleros (Büffeljäger) lieben. Bewaffnet war er mit einer schweren Büchse und einem fürchterlichen Messer. Der Mann sah ganz so aus, als ob er sich in seinem Leben noch niemals gefürchtet habe. Sobald er das Gebüsch verlassen hatte, folgte ihm sein Pferd von selbst.

Er überflog die Gruppe der drei Männer mit bohrenden Augen und sagte:

»Hm, das war nicht übel gemacht, Sennores! Man möchte fast denken, daß Ihr bereits in der Prairie gewesen wäret.«

Sternau verstand ihn sofort, aber Mariano fragte:

»Warum?«

»Weil Ihr so thatet, als ob Ihr mich nicht bemerkt hättet und dann doch plötzlich Eure Gewehre auf mich anlegtet.«

»Es kam uns natürlich verdächtig vor, einen Menschen hier versteckt zu sehen,« sagte Sternau. »Was thatet Ihr in dem Busche?«

»Ich wartete.«

»Auf wen?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht auf Euch.«

Sternau zog die Brauen etwas zusammen und warnte:

»Macht keinen dummen Witz, sondern erklärt Euch deutlicher!«

»Das kann ich thun. Sagt mir aber vorher, wohin Ihr wollt?«

»Nach der Hazienda del Erina.«

»Gut, so seid Ihr auch Diejenigen, auf welche ich warte.«

»Das klingt ja gerade so, als hätte man unsere Ankunft gewußt und Euch uns entgegengeschickt!«

»So ähnlich ist es! Ich jagte gestern da oben in den Bergen einen Büffel und fand auf dem Rückwege verdächtige Spuren. Ich ging ihnen nach und belauschte da einen ganzen Trupp Weiße, welche beisammen lagen und sich laut er-


Ende der achtunddreißigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk