Lieferung 45

Karl May

29. September 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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und Häuptling sogar in der ersten, allgemeinen Anrede ausgezeichnet werde. So eine Auszeichnung war noch niemals erlebt worden. Büffelstirn fuhr fort:

»Der Häuptling der Miztecas ist zu ihnen gekommen, um ihnen eine Kunde zu bringen. Sie mögen ihn hören nachher, wenn das Mahl gehalten ist. Ihre Feinde sind seine Feinde und ihre Freunde seine Freunde. Er läßt sein Leben für jeden Sohn der Apachen und wird sich freuen, den Ruhm der Miztecas mit dem ihrigen zu vereinigen.«

Nach diesen Worten that auch er die sechs beschriebenen Züge aus der Friedenspfeife und gab sie dann an Bärenherz. Dieser und nach ihm der dritte Häuptling, welcher ein Sohn des fliegenden Pferdes war, thaten unter ähnlichen Höflichkeitsausdrücken ebenso, und dann ging die Pfeife im Kreise der Krieger herum. Nur der Sohn des Alten durfte sie nicht in den Mund nehmen, da er noch keinen Namen hatte.

Als diese Ceremonie beendet war, begann das Essen. Die fürchterlichen Stücke Büffelfleisches verschwanden in einer Zeit, deren Kürze ganz erstaunlich war, und dann erklärte der Alte, daß man bereit sei, die Kunde Büffelstirns zu vernehmen.

Dieser erhob sich und begann:

»Es ist in dem Lande Mexiko ein großer Streit ausgebrochen. Die Krieger und Männer sind mit dem Häuptling, welchen sie sich gewählt hatten, nicht mehr zufrieden. Er ist ein Bleichgesicht und thut nicht, was seines Amtes ist. Sie haben nach einem andern Häuptling gesucht und einen Mann gefunden, der ihnen besser gefällt; er ist ein rother Mann und heißt Juarez. Er ist stark wie ein Büffel, schlau wie ein Panther und erfahren in allen Dingen, die ein Häuptling wissen muß. Er hat die Stimme seines Volkes gehört und will die Seinen glücklich machen. Daher hat er sich mit tapfern Kriegern umgeben und durchzieht das Land, um Alle zu sammeln, welche zu ihm gehören. Da ist es dem bisherigen Häuptling angst geworden, und er hat viele Boten zu den Söhnen der Comanchen gesandt, welche kommen und ihm helfen sollen. Die Häuptlinge der Comanchen haben eine große Berathung gehalten und ihm ihre Hilfe versprochen. Jetzt brechen sie auf, viele hundert Krieger stark, und ziehen nach Mexiko. Sie wollen sich zwischen dieses Land und die Weidegründe der Apachen legen. Wenn ihnen dies gelingt, so sind die Krieger der Apachen von den südlichen Gebieten abgeschnitten und werden in die Gebirge gedrängt, wo sie großen Mangel leiden müssen, denn der Winter ist vor der Thür. Der neue Häuptling der Mexikaner aber, welcher Juarez heißt, liebt die tapferen Krieger der Apachen; er will nicht haben, daß sie von den Hunden der Comanchen verdrängt werden, und sendet mich, ihnen zu sagen, daß er sich mit ihnen vereinigen will, den Feind zurückzujagen. Die Comanchen befinden sich bereits auf dem Kriegspfade, aber wenn die Apachen sofort auf brechen und sich zwischen die Wüste Mapimi und die Stadt stellen, welche man Chihuahua nennt, so können die Comanchen ihren Weg nicht fortsetzen und werden mitten in der Wüste erschlagen. Wenn die Krieger der Apachen meine Stimme hören, so werden sie viele Skalpe erbeuten und einen großen Sieg erfechten.«

Nach diesen Worten setzte er sich wieder nieder. Die Versammelten blieben zunächst in ein tiefes Schweigen versunken. Dann sagte das fliegende Pferd:

»Die Worte unseres Bruders klingen gut. Der neue Häuptling Juarez ist


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ein rother Mann, dessen Stimme wir lieber hören, als diejenige eines Bleichgesichts; die Söhne der Apachen werden sich nicht verdrängen lassen von den Feiglingen der Comanchen. Das fliegende Roß bittet die beiden andern Häuptlinge, ihre Stimme zu erheben.«

Da stand Bärenherz auf und sprach:

»Hier steht mein Bruder Büffelstirn. Er ist ein berühmter Krieger; er fürchtet keinen Feind, und auf seiner Zunge wohnt nur das Wort der Wahrheit. Er wird nie etwas sagen und fordern, was den Söhnen und Töchtern der Apachen Schaden bringen könnte. Ich habe mit ihm die Comanchen getödtet und werde mir mit ihm noch viele ihrer Skalpe holen. Sie befinden sich bereits auf dem Wege, und darum darf keine Zeit verloren werden. Hier sind versammelt drei Stämme der Apachen, um Fleisch zu machen für den Winter. Ich bin der Anführer der tapferen Jicarillas-Apachen; ich werde sogleich mit ihnen aufbrechen, wenn die beiden anderen Stämme uns versprechen, Fleisch für den Winter für uns zu bereiten und uns dann nachzukommen.«

Der dritte Häuptling, der Sohn des Alten, nahm auch das Wort.

»Mein Bruder Bärenherz hat die Wahrheit gesprochen,« sagte er. »Die Krieger der Apachen dürfen keine Zeit verlieren. Einer der Stämme muß schnell aufbrechen; aber welcher dies sein soll, ob der seinige oder der meinige, das soll die Berathung entscheiden.«

Somit hatten alle drei Häuptlinge sich einverstanden erklärt, und es galt nur noch, den Medizinmann zu befragen. Medizin bedeutet nämlich bei den Indianern nicht Arznei, sondern Zauber, der Medizinmann ist also der Zauberer, der Priester. Er hat einen großen Einfluß auf alles Einzelne und Allgemeine; besonders wichtig ist aber seine Zustimmung, wenn es sich um einen Kriegszug handelt. Sagt er voraus, daß der Zug verunglücken werde, so wird dieser sicherlich nicht unternommen.

Der Mann hatte alle Insignien seiner Würde bei sich, wunderbar geformte Skalpe, Beutel, Haarschöpfe, Stäbe und Fähnchen. Er hüllte sich in die frische Haut eines der getödteten Büffel, legte die Zeichen seiner Würde an und begann nun einen Tanz, der um so ungeheuerlicher und grotesker aussah, als er von den düstern Feuern beschienen wurde, welche tiefe Schatten in die dunkle Ebene hinaus zeichneten.

Die Indianer sahen mit ernster Andacht zu und wurden nicht ungeduldig, obgleich der Tanz eine ziemliche Weile in Anspruch nahm. Endlich hielt der Zauberer in seinen Bewegungen inne, nahm zwei Feuerbrände und beobachtete die Richtung des Rauches; dann warf er einen forschenden Blick zu den Sternen empor und verkündete dann mit lauter Stimme:

»Manitou, der große Geist, zürnt den Kröten, welche sich Comanchen nennen; er giebt sie in die Hände der Apachen und gebietet, daß die Krieger der Jicarillas ausziehen, sobald die Sonne sich zum zweitenmale erhebt; die andern Stämme sollen ihnen folgen, wenn das Fleisch getrocknet ist, welches für den Winter reicht!«

In diesen Worten war nicht nur die Erlaubniß Gottes zum Kriegszuge enthalten, sondern es war auf eine sehr schnelle und darum praktische Weise die Frage entschieden, welcher Stamm zunächst aufzubrechen habe; es war der Stamm, dessen Häuptling Bärenherz war. Diese Leute jubelten vor Freude. Sie hatten einen


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vollen Tag Zeit erhalten, ihre Vorbereitungen zu dem Kriegszuge zu treffen. Dies war ein Umstand, der sie sehr befriedigte, denn ohne diese Vorbereitungen, zu denen besonders das Anmalen mit den Kriegsfarben gehört, glaubt der Indianer nicht an einen glücklichen Ausgang.

Es wurden noch verschiedene Einzelheiten besprochen, über welche man sich schnell einigte, denn Alle waren begeistert von dem Gedanken, den Comanchen so viele Skalpe wie möglich abzunehmen.

Nach diesen nothwendigen Verhandlungen war es dem fliegenden Rosse endlich möglich, seinem jüngsten Sohne gerecht zu werden. Dieser hatte bis jetzt bewegungslos dagesessen und kein Wort gesprochen. Nun aber fragte ihn sein Vater:

»Mein Sohn hat sich in die Haut des Bären gekleidet. Hat er ein Recht dazu?«

»Ich habe ihn erlegt,« antwortete der junge Mann.

»Allein?«

»Ganz allein.«

»Mit welcher Waffe?«

»Mit der Büchse, welche der berühmte Häuptling der Miztecas mir lieh. Er ist Zeuge.«

Da wandte sich der Alte an Büffelstirn und sagte:

»Der Häuptling der Miztecas ist Zeuge von dem Kampfe mit dem Bären, denn die Tatzen desselben liegen zu seinen Füßen. Er mag uns erzählen, was er gesehen hat!«

Büffelstirn erzählte mit kurzen Worten das Vorkommniß, vermied aber dabei Alles, was den jungen Mann kränken konnte. Als er geendet hatte, erhob sich Bärenherz und sagte:

»Der Sohn des fliegenden Rosses hat den Grizzly erlegt; er hat dazu eines einzigen Schusses bedurft; das ist mehr, als wenn er zwanzig feige Söhne der Comanchen getödtet hätte; sein Herz ist stark, seine Hand fest und sein Auge sicher; er verdient, aufgenommen zu werden unter die Schaar der Krieger. Bärenherz will, daß sein junger Bruder einen Namen erhalte.«

Das war sehr schmeichelhaft für Vater und Sohn, denn Beide hatten als die Betheiligten kein Recht, den Antrag zu stellen, welchen Bärenherz jetzt ausgesprochen hatte. Er erhielt lauten, allgemeinen Beifall. Der Besieger des Bären stand noch immer aufrecht am Feuer. Sein Auge glänzte vor Stolz und Freude, und er sagte:

»Bärenherz, mein Bruder, ist berühmt unter den Berühmten; seiner Rede verdanke ich es, daß ich einen Namen haben werde. Wann soll das Fest des Namens gefeiert werden?«

»Sobald die Söhne der Apachen heimgekehrt sind in ihre Wigwams,« antwortete der Alte.

»Darf Einer, der keinen Namen hat, gegen die Hunde der Comanchen ziehen?«

»Nein.«

»Aber ich will jetzt Bärenherz, meinen Freund, nach Mexiko begleiten; darum soll man mir bereits morgen einen Namen geben!«

»Das ist nicht Sitte; aber die Tatzen des Bären gehören dem Häuptling der Miztecas, er ist unser Gast und mag entscheiden, wann er einen Namen für Dich hat.«


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Da sagte Büffelstirn:

»Diesen Namen habe ich bereits. Mein junger Freund hat den Grizzly überwunden, und darum soll er Grizzly-tastsa, der Grizzlytödter heißen. Ich werde ihm morgen diesen Namen geben, und wenn mein Bruder, das fliegende Roß, erlaubt, so soll Grizzlytödter mit uns nach Mexiko reiten, um sich die Seele des Comanchen zu holen, nachdem er sich die Haut des Bären genommen hat.«

Dieser Vorschlag des berühmten Häuptlings war abermals eine ehrenvolle Auszeichnung für den jungen Apachen und wurde darum sofort angenommen.

Damit war die Berathung beendet, aber noch lange saßen die Männer beisammen, um sich in ihrer ernsten, ruhigen Weise über den beabsichtigten Kriegszug auszusprechen. Einige aber brachen trotz der Dunkelheit nach der Schlucht auf, um den von Büffelstirn getödteten Stier und den abgezogenen Bären herbeizuschaffen. Es geschah dies durch Schleifen, welche man aus freier Hand fertigte und an die man mittelst Lassos die Pferde spannte.

Darauf trat die nächtliche Stille ein. Büffelstirn schlief im Zelte Bärenherzens, und das Lager war von Posten bewacht, welche sich stündlich abzulösen hatten.

Am anderen Morgen wurde die Feier der Namensgebung vorgenommen, bei welcher die beiden gebratenen Bärentatzen eine Hauptrolle spielten. Grizzlytödter erhielt die beste Büchse seines Vaters, und als Häuptlingssohn das Recht, eine Adlerfeder in seinem Haarschopfe zu tragen. Am Nachmittage begannen die Kriegsmalereien. Es waren gegen zweihundert Krieger, welche bei Anbruch des Tages abziehen sollten, und sie alle hatten vollauf zu thun, ihre Kleider und Waffen mit den Trophäen früherer Siege zu schmücken.

Als diese Schaar am anderen Morgen das Lager verließ, wurde sie von den Uebrigen eine Strecke lang begleitet, und erst dann, nach der Trennung, formirte man den bekannten, indianischen Zug, ein Reiter immer hinter dem anderen. Der älteste Krieger erhielt das Kommando über die Schaar; Büffelstirn, Bärenherz und Grizzlytödter aber ritten im Galopp davon, um eine halbe Tagereise vor den Ihrigen die Gegend zu erkundigen und für die nöthige Sicherheit zu sorgen.

Da man die offene Prairie nicht benutzen durfte, so führte der Zug in das Gebirge und über die verschiedenen Stufen desselben empor auf die Hochebene; dies gab einen Aufenthalt, eine Verspätung, welche man aber der Vorsicht halber keineswegs umgehen konnte, und erst am fünften Tage nach dem Aufbruche wurde die Wüste Mapimi erreicht, und zwar an einem Punkte, welcher sich ungefähr zwischen dem Muschelsee und dem westlichen Ende der Wüste befand.

Da es galt, zwischen Chihuahua und den heranziehenden Comanchen Stellung zu nehmen, so drangen die drei Männer nach Süden vor, immer weiter in die Mapimi ein, bis sie plötzlich, alle Drei zugleich, ihre Pferde anhielten. Grad im rechten Winkel zu ihrer jetzigen Richtung führten Spuren vorüber.

»Reiter!« sagte Grizzlytödter, indem er vom Pferde stieg.

»Mein Bruder mag zählen, wie viele es ihrer waren,« sagte Bärenherz, indem er ruhig im Sattel blieb. Er wollte nur den Scharfsinn des jungen Apachen üben, denn für ihn selbst hatte es nur einer halben Minute bedurft, um die Zahl der hier vorüber gekommenen Pferde zu erkennen.

Grizzlytödter untersuchte die Fährte und sagte dann:


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»Es waren zehn und ein Pferd.«

»Das ist richtig. Wer hat auf diesen Pferden gesessen?«

»Es waren Bleichgesichter.«

»Woraus sieht das mein Bruder?«

»Sie sind nicht hinter einander geritten. Ihre Spur ist so breit, daß man alle Huftritte zählen kann.«

»Wann kamen sie vorüber?«

Der junge Apache bückte sich abermals nieder und antwortete dann:

»Die Sonne steht jetzt bald über uns; sie sind vorübergekommen, als sie gestern fast am Horizonte war.«

»Hatten diese Bleichgesichter Eile oder nicht?«

»Sie hatten sehr große Eile, denn der Sand wurde von den Hufen zurückgeschleudert. Sie sind im Galopp geritten.«

»Mein Bruder hat sehr richtig gesehen, nun aber mag er mir noch sagen, ob es gute Männer waren oder böse!«

Grizzlytödter blickte den Häuptling einigermaßen rathlos an, schüttelte langsam und nachdenklich den Kopf und sagte dann:

»Wer soll das aus dieser Fährte erkennen! Kein Mensch!«

»Ich werde meinem jungen Bruder beweisen, daß es doch zu erkennen ist. Die Mapimi ist hier vier Tagereisen breit. Wer über drei Tagereisen geritten ist, dessen Thier ist sehr ermüdet, und er wird es schonen. Die Eindrücke der Hufe sind nicht leicht, wie gewöhnlich beim Galopp, sondern sehr tief; die Sprünge sind nicht weit und lang gestreckt, sondern sehr kurz gewesen. Die Thiere waren angegriffen und wurden über die Maßen angestrengt, die Reiter befanden sich also auf der Flucht.«

Grizzlytödter wollte sich vertheidigen und sagte:

»Auch wer sich auf der Verfolgung befindet, reitet schnell.«

»Hätten sie einen Feind verfolgt, so wären sie auf der Fährte desselben geritten, dies ist nicht der Fall; es giebt keine frühere Fährte, sie sind geflohen, sie befanden sich auf der Flucht und werden verfolgt. Es sind also böse Menschen gewesen.«

Büffelstirn nickte und sagte, scharf nach der Richtung blickend, aus welcher die Fährte kam:

»Bärenherz hat recht. Es können in jeder Minute die Verfolger eintreffen, und da wir uns nicht sehen lassen können, so mag Grizzlytödter zurückreiten und sagen, daß die Krieger der Apachen uns nicht hierher folgen mögen, sie sollen weiter nach Norden über die Höhen gehen, welche die Mapimi begrenzen, und dort auf mich und Bärenherz warten. Wir werden sehen, was diese Spuren zu bedeuten haben.«

Der junge Apache gehorchte augenblicklich. Er setzte sich auf sein Pferd und ritt im Galopp zurück. Die beiden Anderen verfolgten den westlichen Lauf der Spuren und blickten sich dann an. Sie sahen, daß sie ganz denselben Gedanken hatten.

»Die Fährte geht grad nach West,« sagte Büffelstirn.

»In jenen Paß hinein. Das ist ein gefährlicher Ort.«

»Vielleicht stellen die Verfolgten den Verfolgern eine Falle. Wir müssen nachsehen.«

»Aber wir müssen unsere Spuren verbergen, denn die Verfolger können doch unsere Feinde sein. Mein Bruder mag mir helfen.«


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Sie löschten die Tapfen ihrer Pferde und ihre eigenen mit einer Geschicklichkeit aus, die wirklich bewundernswerth genannt werden mußte, und als dies auf eine genug lange Strecke geschehen war, ritten sie einen Bogen und erreichten die Berge, welche an der westlichen Grenze der Mapimi liegen, vielleicht eine englische Meile nördlich von der Stelle, an welcher der Paß durch die Berge führte.

Es gab zwar hier ein außerordentlich schwieriges Terrain, aber dennoch lenkten sie ihre Pferde die schroffen, von Gebüsch besetzten Höhen hinan, wieder in die Tiefe hinab und ließen sie hier, wo sie in Sicherheit waren, stehen. Dann stiegen sie einen Felsenrücken empor und konnten nun von hier aus eine ziemliche Strecke des Passes übersehen. Derselbe bildete grad unter ihnen das Thal, in welchem Verdoja zum letzten Male gelagert hatte, und von welchem aus die kleine Seitenschlucht nach Süden strich, in welchem die Mexikaner zurückgeblieben waren, die Sternau tödten oder fangen sollten. Davon aber wußten die beiden Indianer nichts.

Sie hatten sich auf den Boden niedergeduckt und konnten von unten unmöglich gesehen werden, während ihre scharfen, geübten Augen Alles erkannten, was unter ihnen lag.

»Uff!« sagte Bärenherz.

Dieses Wort war ein sicherer Beweis, daß er etwas Ungewöhnliches bemerkte. Büffelstirn sah ihn an und folgte dann der Richtung seiner Augen. Da erkannte er einen Mann, welcher aus dem Seitenthale empor zur Höhe stieg. Die Entfernung war so groß, daß der Mann einem großen Käfer glich, welcher sich aufwärts bewegte, dennoch aber wußten die Beiden sofort, wie sie ihn zu dessiniren hatten.

»Ein Mexikaner!« sagte Büffelstirn.

»Ja,« antwortete Bärenherz. »Das Seitenthal scheint besetzt zu sein.«

»Sie stellen den Verfolgern einen Hinterhalt.«

Sie warteten, bis der Mann die gegenüber liegende Höhe erreicht hatte. Dort stand er und blickte nach Osten. Sie folgten ihren Augen ganz unwillkürlich derselben Richtung. Es vergingen einige Sekunden, ehe sie den dortigen Horizont abgesucht hatten, da aber meinte Büffelstirn:

»Uff, sie kommen!«

»Drei Reiter!« fiel Bärenherz ein.

Sie erblickten drei kleine Punkte, welche aber so winzig waren, daß sie nur von zwei Paar solcher Augen erkannt werden konnten, wie die beiden Indianer besaßen. Der Mexikaner da drüben, jenseits des Passes, hatte sie jedenfalls noch nicht erkannt.

»Sollten es die Verfolger sein?« fragte Bärenherz.

»Nein,« antwortete Büffelstirn.

»Warum nicht?«

»Würden elf Krieger vor dreien fliehen?«

»Warum nicht, wenn diese Drei tapfer genug sind! Uebrigens können diese Drei ja der Vortrab einer größeren Horde sein.«

»Wir müssen es abwarten.«

Sie beobachteten den Mann, welcher drüben auf dem Berge stand. Er stieß


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jetzt einen Ruf aus und glitt so schnell wie möglich von der Höhe herab. Er hatte die drei Nahenden jetzt auch bemerkt.

»Er benachrichtete die Anderen, welche sich versteckt haben,« sagte Bärenherz.

Der Mann verschwand in dem Seitenthale, und eine Minute später erschien er mit noch zwei Anderen, welche aus dem Thale herauskamen und sich mit ihm hinter einen Felsen versteckten, der die ganze Breite des Passes beherrschte.

»Sie werden die Nahenden tödten,« sagte Bärenherz.

»Aber weshalb sind es nur Drei, da wir doch elf Spuren fanden!«

»Die Anderen haben den Ritt fortgesetzt, da die drei Feiglinge genug sind, um zwei tapfere Männer aus dem Hinterhalte zu ermorden.«

»Wollen wir die Bedrohten warnen?«

»Wir werden sie nicht nur warnen, sondern ihnen sogar helfen, wenn sie es werth sind. Es vergehen nach der Zeit der Weiße noch fünf Minuten, ehe sie hier sind, und das giebt uns Zeit, hinter ihre Gegner zu kommen. Vorwärts!«

Er glitt wieder von der Höhe herab und Büffelstirn folgte ihm. Sobald sie von unten nicht mehr gesehen werden konnten, rannten sie aus Leibeskräften an der Abdachung des Berges dahin, bis sie ein Gebüsch erreichten, welches sich über die Höhe zog und dann drüben bis auf die Sohle des Passes niederstieg.

Im Schutze dieses Gebüsches gelangten sie hinab und zwar in genügender Entfernung, um von den drei Mexikanern nicht gesehen zu werden, dann sprangen sie quer über das Thal hinüber und befanden sich nun auf derselben Seite, an welcher die drei Männer versteckt lagen. Nun aber galt es, sich diesen unbemerkt zu nähern. Es gab zum Glück einige Büsche und einige zerstreute Felsen, welche Deckung gewährten, und so brachten es die beiden Häuptlinge fertig, sich schlangengleich vorwärts zu bewegen und hinter einem Steine Posto zu fassen, welcher kaum fünfzig Schritte von dem Felsenstücke entfernt war, hinter welchem die drei Mexikaner lagen.

Die Häuptlinge konnten die Letzteren genau sehen und zugleich auch die ganze Sohle des Thales überblicken. Sie kauerten hinter dem Steine und hielten ihre Büchsen schußbereit.

Da, jetzt hörte man nahendes Pferdegetrappel, und sogleich erschienen die drei Nahenden am Eingange des Hauptthales, befanden sich aber noch außer Schußweite.

Kaum hatten die Indianer einen Blick auf sie geworfen, so konnten sie sich einer Bewegung der lebhaftesten Ueberraschung nicht erwehren.

»Uff!« flüsterte Bärenherz. »Das ist ja Itinti-ka, Donnerpfeil, unser Bruder.«

»Und Franzesko, der Vaquero!« flüsterte Büffelstirn zurück. »Was thun die hier? Sollte es auf der Hazienda del Erina ein Unglück gegeben haben?«

»Das müssen wir abwarten. Aber wer ist der starke Krieger, welchen sie bei sich haben? Kennt ihn mein Bruder Büffelstirn?«

»Ja,« sagte Büffelstirn. »Es ist der berühmteste Jäger der Savanne, es ist der »Fürst des Felsens«, vor dem alle Feinde zittern.«

»Ugh!« machte es Bärenherz, indem seine dunklen Augen glänzten. »Das ist ein großer Tag, an welchem Bärenherz diesen Krieger kennen lernt. Wir werden die drei Mexikaner tödten!«

»Erst wollen wir sehen, was sie vorhaben. Nur wenn sie zu den Waffen greifen, schießen wir sie nieder.«


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Die Mexikaner lagen hinter dem Steine und flüsterten mit einander. Sie hatten nur Sternau erwartet und zwar auch nicht jetzt schon, sondern erst am nächsten Tage. Sie hatten ihm also doch nicht so viel Vorsprung abgewonnen, als Verdoja geglaubt hatte. Und nun kam er nicht allein, sondern mit zwei Andern. Wer waren sie?

»Sie werden unterwegs zu ihm gestoßen sein,« sagte der eine Mexikaner leise zu den beiden Anderen. »Was thun wir? Es sind nun Drei gegen uns.«

»Pah!« antwortete der Zweite. »Fangen können wir ihn nicht; das ist nun wegen seiner Begleiter unmöglich; aber erschießen werden wir ihn.«

»Und sie? Lassen wir sie laufen?«

»Unsinn! Sie müssen mit fallen, damit sie nichts erzählen können. Aber wir haben noch Zeit. Sie sind noch nicht im Bereiche unserer Büchsen, und wir dürfen keinen von ihnen fehlen. Sie müssen alle Drei auf unsere ersten Schüsse fallen, sonst kann es uns übel ergehen; wir wissen ja, was für ein Teufel dieser Sternau ist. Uebrigens haben wir vollständig Zeit zum Zielen. Sie finden hier die Spuren unseres Lagers und werden diese sehr genau untersuchen. Sie verweilen also eine geraume Zeit vor den Mündungen unserer Gewehre und werden uns nicht entlaufen. Wir brauchen uns nicht zu überstürzen und können mit Gemächlichkeit zielen.«

»Wenn unsere Kameraden, welche Verdoja zurücksenden wollte, bereits erschienen wären, so würden wir alle Drei fangen können,« sagte der Dritte.

»Wir brauchen sie nicht. Wir sind Manns genug.«

Sie ahnten nicht, daß wenige Schritte hinter ihnen zwei furchtbare Männer lagen, die jede ihrer Bewegungen beaufsichtigten.

Unterdessen war Sternau mit seinen beiden Begleitern vorwärts geritten, aber nicht so scharf, sondern er hatte den Gang seines Pferdes gezügelt und betrachtete mit forschenden Blicken den Bau des Thales und die Entfernung der Wände voneinander.

»Ein gefährliches Loch!« sagte er.

»Warum?« fragte Donnerpfeil.

»Wenn dieser Verdoja uns hier nicht einen Hinterhalt gelegt hat, so verdient er, todt geprügelt zu werden. Wir wollen langsam vordringen und so thun, als ob wir uns gar nicht umblickten. Aber ich werde dabei die Augen sehr offen halten.«

Sie ritten im Schritte vorwärts, bis sie an die Stelle kamen, an welcher Verdoja gelagert hatte. Hier blieben sie halten.

»Hier haben die Schufte ausgeruht,« sagte Franzesko.

Sternau warf einen Blick umher und sagte dann hastig:

»Rasch! Steigt von den Pferden, koppelt sie an und thut, als ob wir hier lagern wollten! Schnell, schnell!«

Donnerpfeil's Auge folgte der Richtung, welche der Blick Sternau's gehabt hatte und sofort sprang er vom Pferde.

»Sie haben Recht!« sagte er. »Aber, lassen wir uns nichts merken! Wir müssen uns eine Verschanzung suchen.«

»Da, rechts an der Wand, der große Felsblock,« sagte Sternau, »die Pferde werden sie nicht erschießen. Wir theilen uns und thun, als ob wir Holz zum Lagerfeuer suchen wollen; dann springen wir hinter den Felsen.«


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Sie ließen ihre Pferde grasen und lasen dürre Zweige auf.

»Seht!« meinte der erste Mexikaner. »Sie bleiben hier. Wir können sie also mit aller Gemüthlichkeit niederpuffen!«

»Sie suchen Lesholz,« sagte der Zweite. »Wir können sie noch eine Viertelstunde leben lassen. Aber Donnerwetter! Was ist das?«

»Verflucht!« sagte auch der Erste. »Sie springen hinter den Felsen! Sollten sie Unrath gewittert haben?«

»Hm!« brummte der Dritte. »Wir haben unsere Spuren nicht verwischt!«

»Pah, die haben sie ja gar nicht gesehen! Sie sind ja noch gar nicht in das Seitenthälchen gekommen! Es muß einen andern Grund haben.«

»Schwerlich! Nun stecken wir hier und sie drüben. Wir sind also ebenso gut belagert wie sie!«

So war es auch. Sternau hatte nichts weiter gesehen, als am Eingang zu dem Seitenthale den abgebrochenen Zweig eines Busches. Als der eine Mexikaner, welcher vorhin von der Höhe Umschau gehalten hatte, emporgeklimmt war, hatte er sich an diesem Zweige angehalten und denselben abgebrochen; die Rinde hatte weiter geschlitzt, so war eine helle Stelle entstanden, welche ein scharfes, vorsichtiges Auge sofort sehen mußte. Auch Donnerpfeil hatte sie dann bemerkt.

Jetzt nun lagen die drei Bedrohten hinter dem Felsen in vollständiger Sicherheit.

»Was gab es denn?« fragte Franzesko.

Er konnte sich den Grund dieses Versteckenspielens nicht erklären.

»Siehst Du nicht den abgeschlitzten Zweig da drüben am Busche?« fragte Donnerpfeil.

»Ah! Ja.«

»Und darüber die eigenthümlichen Einschärfungen in das Steingeröll?«

»Ja.«

»Nun, es ist vor ganz kurzer Zeit Jemand da oben gewesen und hat nach uns ausgeschaut. Als er uns bemerkte, ist er etwas zu hastig in das Thal zurückgekehrt; er ist mehr gerutscht als gelaufen und hat also jene Spur zurückgelassen. Da drüben stehen Leute, welche uns auflauern.«

»Donnerwetter!« fluchte Franzesko.

»Du brauchst keine Angst zu haben,« lächelte Sternau. »Es sind nur zwei, höchstens drei Männer.«

»Warum so wenige?« fragte Donnerpfeil.

»Glauben Sie,« antwortete Sternau, »daß sich Verdoja mit seiner ganzen Truppe in den Hinterhalt gelegt hat? Nein! Es muß ihm zuerst daran liegen, seine Gefangenen in Sicherheit zu bringen. Es sind vier, die Eskorte aber beträgt nur elf Mann, und so kann er höchstens drei entbehren. Er hat ja nicht gewußt, daß ich Hilfe bekomme; er hat geglaubt, daß ich allein kommen werde, und da wäre ja ein Einziger genug, mir eine Kugel zu geben. Der Hinterhalt da drüben liegt natürlich in Schußweite von dem Lagerorte. Wir wollen einmal Alles genau absuchen. Vielleicht bemerken wir das Versteck.«

Sein scharfes Auge glitt langsam und bedächtig über jeden Busch und Stein, der da drüben Deckung geben konnte.

»Ah, ich hab's!« sagte er dann.


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»Wo?« fragte Franzesko.

»Ich sah ein Knie für einen kurzen Augenblick hinter jenen hohen viereckigen Felsen erscheinen. Wollen den Leuten einmal eine Kugel geben!«

»Sie wird nicht treffen,« meinte der Vaquero.

»Ich bin vom Gegentheile überzeugt.«

Er legte sich platt auf den Boden. Es war aus der Ecke des Steines, hinter dem sie steckten, etwas ausgepröckelt, und er konnte also durch diese Oeffnung zielen, ohne sich selbst eine Blöße zu geben. Dann bat er Donnerpfeil:

»Wenn Sie Ihren Hut auf den Gewehrlauf stecken und ihn so weit emporhalten, daß es grad aussieht, als ob Jemand über den Stein hinübersehen wolle, so wird sich wohl Einer da drüben verleiten lassen, nach dem Hute zu schießen; er wird also einen Theil von sich sehen lassen müssen, und dann ist es um ihn geschehen.«

»Wollen es versuchen,« meinte Donnerpfeil lächelnd, indem er den Hut vom Kopfe nahm und auf den Gewehrlauf steckte.

Darüber hatten die beiden Häuptlinge Alles genau beobachtet. Sie legten ihre Büchsen bereit, um an jedem Augenblicke abdrücken zu können.

»Jetzt sind sie in Schußweite,« sagte Bärenherz. »Sie steigen ab. Der »Fürst des Felsens« blickte sich um. Ah, sein Auge blitzte auf; er hat etwas Verdächtiges bemerkt. Was muß es sein?«

Büffelstirn nickte.

»Er ist gewarnt. Er weiß, daß ihm der Tod nahe ist. Jetzt giebt er den Anderen seine Befehle. Wie ruhig! Ja, er ist ein großer Jäger!«

»Uff,« flüsterte Bärenherz. »Sie springen hinter den Stein. Sie sind gerettet auch ohne uns. Was werden sie beginnen?«

Es verging eine Weile; da erschien da drüben der Hut; es sah ganz so aus, als ob ein Kopf vorsichtig herüberblickte.

»Uff« flüsterte Bärenherz. »Welche Unvorsichtigkeit!«

»Hält mein Bruder den »Fürst des Felsens« wirklich für so dumm?« fragte Büffelstirn. »Wir wollen den Spaß abwarten!«

Die drei Mexikaner flüsterten miteinander; dann griff der Erste nach seinem Karabiner, lehnte ihn an die Kante des Felsens, bog seinen Kopf ein Wenig vor und zielte auf den Hut. Noch aber hatte er nicht losgedrückt, so blitzte es drüben auf, ein Schuß krachte, und der Mexikaner sank mit zerschmettertem Kopfe hintenüber.

"Ein Schuß krachte"

»Sieht nun mein Bruder, daß es eine List war?« fragte Büffelstirn.

»Der »Herr des Felsens« ist wahrhaftig ein großer Jäger!« antwortete der Gefragte.

»Er würde die beiden Anderen auf alle Fälle tödten; aber das dauert zu lange. Wollen wir uns zeigen?«

»Ja,« nickte der Apache.

Die beiden Mexikaner waren um ihren Todten so beschäftigt, daß sie gar kein Auge für das hatten, was hinter ihnen vorging. Die beiden Häuptlinge erhoben sich und winkten hinüber; dann ließen sie sich wieder nieder.

»Alle Teufel, was ist das,« sagte Donnerpfeil.


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»Das ist ja Büffelstirn,« meinte Sternau. »Wer war der Indianer an seiner Seite?«

»Löwenherz, der Apache,« antwortete der Gefragte.

»Der berühmte Bärenherz? Welch Zusammentreffen! So haben wir den Feind also zwischen zwei Feuern. Wer konnte ahnen, daß die beiden Häuptlinge in der Nähe sind. Kein Zufall konnte so glücklich sein.«

»Sie werden die Mexikaner erschießen; wir brauchen nur ruhig zuzusehen,« meinte Franzesko.

»Daran liegt mir nichts,« sagte Sternau. »Besser ist es, wir fangen sie lebendig, damit wir sie ausfragen können. Ich hoffe nicht, daß diese Mexikaner die Sprache der Apachen verstehen. Wenn ich also rufe, werden sie nicht ahnen, wem es gilt und wie es heißt. Und ich glaube auch nicht, daß die beiden Häuptlinge so unbedacht sind, mir mit Worten zu antworten.«

»Das fällt ihnen nicht ein,« sagte Donnerpfeil.

Sternau ließ einige Augenblicke vergehen, dann rief er, aber ohne sich sehen zu lassen, mit seiner weithin schallenden Stimme:

»Tlao nte akajia - wie viele Feinde sind drüben?«

Sofort erhoben sich hinter dem Verstecke der Häuptlinge zwei Arme.

»Also nur zwei,« meinte Sternau; »ich hatte Recht.«

Er rief abermals:

»Ni no-khi eti tastsa, ni no-khi ho-tli inta-hinta - ich will sie nicht todt, sondern ich will sie lebendig haben!«

»Was schreit nur dieser Sternau da drüben?« meinte der eine Mexikaner. »Will er uns verhöhnen, so mag er doch spanisch reden! Wir stecken in einer verfluchten Patsche. Sobald wir ein Glied sehen lassen, werden sie schießen. Es bleibt uns wirklich nichts Anderes übrig, als hier stecken zu bleiben, bis es Nacht wird, oder gar bis die Unsrigen zurückkehren.«

Es sollte aber anders kommen, als er gedacht hatte. Die Häuptlinge hatten Sternau verstanden. Sie legten ihre Büchsen weg, nahmen die Messer zwischen die Zähne, erhoben sich und schlichen sich leise an die Mexikaner heran. Sternau bemerkte dies und sah, daß er die Aufmerksamkeit der Letzteren von den Indianern ablenken müsse; er erhob sich also zu seiner vollen Höhe, legte die Büchse an und zielte.

»Ah, er will schießen!« lachte der eine Mexikaner, indem er vorsichtig hinter dem Felsen hervorlugte. »Ich werde ihm eine Kugel geben.«

Er langte nach seinem Gewehre, fühlte aber in demselben Augenblicke zwei Hände um seinen Hals, die ihm die Kehle mit solcher Gewalt zudrehten, daß ihm der Athem verging; seinem Kameraden geschah ganz ebenso.

»Hinüber!« sagte Sternau.

Er sprang quer über das Thal herüber, und die beiden Anderen folgten ihm. Sie brauchten gar nicht zu helfen, denn die Häuptlinge waren bereits beschäftigt, die Besinnungslosen mit ihren Lasso's zu binden.

»Büffelstirn, der Häuptling der Miztecas, rettet mich zum zweiten Male,« sagte Sternau.

Er streckte dem Genannten dankbar die Hand entgegen.


// 1068 //

»Der Fürst des Felsens hat sich selbst vertheidigt,« antwortete der Häuptling bescheiden. »Hier steht Bärenherz, der Häuptling der Apachen.«

Sternau streckte diesem die Hand entgegen.

»Ich begrüße den tapfern Häuptling der Apachen,« sagte er. »Sein Name ist berühmt, aber seine Gestalt sehe ich erst heute.«

»Noch berühmter ist der Herr des Felsens,« antwortete der Apache. »Er ist ein Freund der rothen Männer, und ich werde sein Bruder sein.«

Die beiden großen Jäger und Krieger standen einander gegenüber, Hand in Hand, der eine ein hochgebildeter Weißer und der Andere ein ungebildeter Indianer, aber nach dem Maßstabe der Menschlichkeit Beide von gleich hohem Werthe. Sie dachten in diesem Augenblicke wohl nicht, welchem gemeinschaftlichen Geschicke auf viele Jahre hinaus sie entgegengingen. Auch die Anderen, welche sich ja bereits kannten, begrüßten sich; dann setzten sie sich zur Berathung nieder, aber so, daß die zwei Mexikaner von der Unterhaltung nichts hören konnten.

»Was treibt unsere Freunde über die Wüste herüber?« fragte Büffelstirn.

»Ein sehr trauriges Ereigniß,« antwortete Sternau. »Die Hazienda del Erina ist überfallen worden.«

»Von wem? Von diesen Mexikanern?«

»Ja. Diese Schufte haben vier Personen gefangen genommen, nämlich Sennor Mariano, Sennor Helmers, Sennorita Emma und Sennorita Karja.«

Die Indianer sind gewohnt, selbst der überraschendsten Nachricht mit stoischem Gleichmuthe entgegenzutreten, bei Nennung dieser Namen aber fuhren die Häuptlinge alle beide erschrocken empor.

»Karja, meine Schwester?« fragte Büffelstirn.

»Karja, die Blume der Miztecas?« rief Bärenherz.

»Ja,« antwortete Sternau.

»Wie ist das gekommen? Waren keine Männer da?« fragten die Beiden wie aus einem Munde.

»Es waren alle Männer da, aber -«

»Nein, es können keine Männer da gewesen sein,« rief Bärenherz. »Wie können Männer da gewesen sein, wenn man Gefangene fortzuschleppen vermag?«

Der Umstand, daß er Sternau gar nicht ausreden ließ, gab eine Ahnung davon, wie sehr sein Herz noch heute an Karja hing.

»Ich sage dem Häuptlinge der Apachen, daß ich selbst gefangen war,« sagte Sternau.

»Der Fürst des Felsens war gefangen?« fragte Bärenherz ungläubig.

»Ja.«

»Aber ich sehe ihn frei.«

»Weil ich mich befreit habe. Die beiden Häuptlinge mögen hören, was geschehen ist.«

Er erzählte in kurzen, gedrängten Worten das Erlebniß der letzten Tage. Als er geendet hatte, reichte ihm der Apache die Hand und bat:

»Der Fürst des Felsens möge mir verzeihen. Im Dunkel der Nacht ist es leicht, den stärksten und tapfersten Helden hinterrücks niederzuschlagen. Jetzt aber wollen wir die Pferde verbergen, denn Keiner weiß, wer kommen kann.«


// 1069 //

Sternau ging selbst mit und die Pferde wurden in das Nebenthal geführt, wo man bei dieser Gelegenheit die drei Pferde der Mexikaner fand. Sie waren hinter dem Gebüsche verborgen, wo sie ruhig weideten. Die Mexikaner, welche wieder zu sich gekommen waren, wurden wieder herbeigeschafft; Franzesco blieb am Eingange des Seitenthales als Wache zurück, und die Uebrigen hörten den Fragen zu, welche Sternau an die beiden Gefangenen richtete.

»Ihr gehört zu der Truppe Verdoja's?« fragte er.

Keiner antwortete.

»Ich habe Euch bei ihm gesehen, es hilft Euch also weder das Schweigen, noch ein Leugnen in Etwas,« sagte er. »Aber ich will Euch bemerken, daß Ihr Euer Schicksal verschlimmert, wenn Ihr hartköpfig seid. Weshalb bliebt Ihr zurück?«

»Verdoja gebot es uns,« erwiderte der Eine barsch.

»Was solltet Ihr?«

»Wir sollten Sie fangen oder tödten.«

»Das konnte ich mir denken. Aber getrautet Ihr Drei Euch denn wirklich an mich? Ihr habt mich ja kennen gelernt. Tödten war leicht, aber das Fangen wäre Euch schwer geworden.«

»Wir dachten, Sie würden erst morgen hier vorüberkommen, und Verdoja wollte uns ja Hilfe senden.«

»Ah! Es kommen noch Leute?«

»Ja.«

»Wann?«

»Vielleicht bereits morgen am Vormittage.«

»Wie viele?«

»Das wissen wir nicht.«

»Wohin hat Verdoja die Gefangenen geführt?«

»Auch das wissen wir nicht.«

»Lüge nicht!«

»Glauben Sie, daß Verdoja uns solche Geheimnisse mittheilt?«

»Hm! Aber Diejenigen, welche morgen nach hier zurückkehren, werden es wissen?«

»Jedenfalls.«

»Wo wollten sie mit Euch zusammentreffen?«

»Hier im Thale.«

»Wie viel hat Verdoja Euch für den Raub versprochen?«

»Dem Manne hundert Pesos.«

»Es ist gut. Man wird über Euer Schicksal berathen.«

Diese Berathung fiel für die beiden Gefangenen allerdings sehr ungünstig aus. Sternau hätte ihnen gern das Leben geschenkt, aber die beiden Häuptlinge gaben es nicht zu, und Donnerpfeil nebst Franzesco schlossen sich ihnen an.

Die Mexikaner wurden tiefer in das Seitenthal hineingeführt. Sternau blieb zurück, und als er zwei Schüsse fallen hörte, wußte er, wem sie gegolten hatten. Zu den beiden Todten wurde auch der Leichnam des Dritten geschleift; man begrub sie gar nicht, sondern ließ sie den Geiern, welche sich bald versammelten, zum Fraße liegen.


// 1070 //

Jetzt waren sie zu fünf Mann versammelt und konnten auch von der Veranlassung sprechen, welche die Apachen herbeigeführt hatte. Sternau wußte nichts zu sagen, als daß ein Lieutenant mit einer Schwadron Lanzenreiter, welche zu Juarez hielten, in Monclova hielten. Verdoja hatte noch sechs Mexikaner bei sich. Selbst wenn diese Alle morgen zurückkehrten, brauchte man sie nicht zu fürchten, und so wurde beschlossen, daß Bärenherz zu seinen Apachen gehen solle, um sie über sein Wegbleiben zu beruhigen, und dann jenseits des Gebirgszuges auf die Anderen zu warten. Er ging mit Büffelstirn ab. Beide mußten ihre Pferde aufsuchen, worauf sie sich trennten. Büffelstirn kehrte zu Sternau zurück.

Während des ganzen Nachmittages und auch während der Nacht unterbrach nichts die Einsamkeit des stillen Thales, auch fast der ganze Vormittag verging, aber um die Zeit des Mittages ließ sich fernes Pferdegetrappel vernehmen. Sternau hatte für diesen Fall einem Jeden seinen Posten angewiesen und den Befehl gegeben, zunächst nur die Pferde zu erschießen. Als sich das Geräusch vernehmen ließ, steckte sich daher ein jeder Einzelne hinter einen der herumliegenden Felsenbrocken.

Es erschienen die sechs Mexikaner an der Stelle, wo nach Westen hin das Thal sich wieder zum Passe verengte. Sie blieben halten, um das Thal zu überblicken. Als sie aber keinen ihrer Gefährten bemerkten, schwenkten sie in das kleine, enge Seitenthal ein. Kaum waren sie dort angekommen, so fielen vier Schüsse und darauf aus den Doppelgewehren noch zwei. Alle sechs Pferde bäumten sich empor und stürzten dann zur Erde; sie waren zu gut getroffen, als daß sie sich hätten wieder erheben können. Pferde und Reiter bildeten für einige Zeit einen Wirrwarr, den die vier Schützen augenblicklich benutzten. Sie sprangen herbei und schlugen die Mexikaner, noch ehe dieselben sich von den Pferden losmachen konnten, mit den Kolben zu Boden und banden sie mit ihren eigenen Lassos so, daß an eine Flucht nicht zu denken war.

Der Anführer dieser Leute war Derjenige, welcher auf der Hazienda del Erina als Lanzenreiter-Offizier erschienen war.

»Jetzt sehen wir uns wieder, mein Bursche, und werden Abrechnung halten,« sagte Sternau zu ihm. »Du sollst nicht so bald wieder Gelegenheit finden, den Offizier zu spielen.«

Der Mann warf einen haßerfüllten Blick auf ihn und antwortete:

»Ich bin ein freier Mexikaner, mit mir hat kein Fremder Abrechnung zu halten.«

»Ein freier Mexikaner?« lachte Sternau. »Ich habe noch nicht gewußt, daß Jemand, der in Fesseln liegt, frei ist. Wohin habt Ihr Eure Gefangenen gebracht?«

»Das geht Niemandem etwas an.«

»Ich wiederhole meine Frage, aber nur dies eine Mal. Wo sind die Gefangenen?«

»Ich sage es nicht!«

Da zog Büffelstirn das Messer, hielt es ihm entgegen und sagte:

»Wo ist Karja, meine Schwester?«

Der Mexikaner schwieg trotzig; er kannte den Sinn der Indianer nicht. Der Häuptling der Miztekas bemerkte mit ruhiger Stimme:


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»Antworte!«

»Ich sage nichts!«

»So brauchst Du nicht zu leben. Nur die Todten schweigen, und wer schweigt, soll todt sein. Aber Dein Tod soll nicht schnell sein, sondern Du sollst ihn langsam kommen sehen.«

Er setzte ihm das Messer auf den Unterleib und riß ihm denselben mit einem raschen Schnitte auf, so daß die Eingeweide sofort aus der Wunde hervorquollen. Der Mann stieß einen Schrei des Entsetzens aus. Er sah, daß er dem unvermeidlichen Tode verfallen sei, und rief:

»Verdammte Rothhaut, nun sollst Du erst recht nichts erfahren!« Und sich an seine Gefährten wendend, setzte er hinzu: »Verflucht, tausendmal verflucht sei Der von Euch, welcher sagt, wohin wir die Gefangenen geschafft haben!«

»So werden sie Alle sterben, gerade wie Du!« sagte Büffelstirn kaltblütig.

Er setzte das Messer dem Zweiten auf den Leib und fragte:

»Wirst auch Du schweigen, oder sagst Du mir, wo sie sind?«

Der Mann besann sich nur eine Minute lang; er wollte gern sein Leben retten, aber der Fluch des Anderen hatte ihn eingeschüchtert. Diese Minute entschied über ihn; sie dauerte dem Miztekas zu lange; er senkte sein Messer in den Leib des Mexikaners und sofort quollen auch dessen Gedärme durch die fürchterliche Wunde.

»Ihr sollt sterben, wie die Hunde,« sagte Büffelstirn. »Ihr sollt Eure Kaldaunen sehen und zählen bis der Brand Euch tödtet. Sprich, Hund, wo sind die Gefangenen!«

Während die beiden Aufgeschlitzten vor Schmerz und Todesangst ächzten und wimmerten, setzte er bereits dem Dritten das Messer auf den Leib.

»Ich will es sagen!« rief dieser eilig.

»Schweig!« brüllte der Ariführer.

»Daß ich ein Esel wäre!« antwortete der Mann. »Ich will leben und nicht sterben, nur Dir zu Liebe!«

»So möge Dich die Hölle verderben, schuftiger Verräther!«

Der Sprecher, der jetzt sah, daß er sein Leben nutzlos geopfert hatte, schäumte vor Schmerz und Wuth. Seine Augen unterliefen mit Blut und dicker Gischt stand auf seinen bleichen Lippen.

»Rede schnell!« gebot Büffelstirn dem Mexikaner.

Mit dieser Aufforderung drückte er die Klinge seines Messers durch die Kleidung des Gefesselten, so daß die Spitze den bloßen Leib berührte.

»Ich spreche ja schon; thue das Messer fort!« rief der Mann erschrocken. »Die Gefangenen befinden sich in einer alten Opferstätte.«

»Leben sie noch?«

»Ich hoffe es!«

»Wo ist die Opferstätte?«

»Im Staate Chihuahua, in der Nähe der Hazienda Verdoja.«

»Beschreibe sie mir!«

»Es ist eine alte, mexikanische Pyramide; sie liegt im Norden von der Hazienda und ist mit Gebüsch bewachsen.«


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»Wo ist der Eingang?«

»Das weiß ich nicht. Es war Nacht, als wir hinkamen. Wir mußten im Freien halten bleiben und durften nicht mit hinein.«

»Keiner von Euch?«

»Keiner. Nur Sennor Verdoja, Sennor Pardero und ein alter Diener gingen in die Pyramide. Erst wurden die Damen und dann die beiden Anderen hineingeschafft.«

»Auf welcher Seite befindet sich der Eingang?«

»Ich weiß es nicht.«

»Dummkopf! Auf welcher Seite hieltet Ihr, als Ihr dort ankamt?«

»Auf der Ostseite.«

»Und auf dieser Seite verschwand Verdoja in der Pyramide ~«

»Nein. Er ging nach den Büschen, welche an der Ecke der Pyramide stehen, und verschwand dann auf der Südseite.«

»So ist dort der Eingang. Was thatet Ihr, als die Gefangenen fort waren?«

»Wir ritten nach der Hazienda Verdoja, erhielten frische Pferde und Proviant, dann brachen wir sofort wieder auf.«

»Nach hier?«

»Ja.«

»Wie lange seid Ihr geritten?«

»Von zwei Stunden nach Mitternacht bis jetzt.«

»Wenn wir jetzt aufbrechen, können wir also des Abends bei der Pyramide sein?«

»Ja.«

»Gut. Du wirst uns führen, und zwar so, daß wir von Niemand bemerkt werden. Aber beim kleinsten Verdacht, daß Du uns betrügen willst, bist Du ein Kind des Todes. Hast Du Dir den Weg gemerkt?«

»Ja, ich kenne ihn genau.«

»Das genügt, und wir brauchen die Anderen nicht. Sie haben nach den Gesetzen der Savanne den Tod verdient und sie sollen ihn haben; aber da sie nicht widersetzlich gewesen sind, so sollen ihn leicht und schnell finden.«

Er zückte, ehe Sternau es verhindern konnte, dreimal das Messer und senkte es bis an das Heft in die Herzen der drei übrigen Mexikaner; sie waren augenblicklich todt. Dann wendete er sich an die Zwei, welche mit aufgeschlitzten Leibern hier lagen, und durchschnitt ihre Banden.

»Ihr sollt hier liegen und sehen, wie die Geyer Eure Kameraden zerreißen, und dann sollt Ihr mit den Vögeln ringen, bis Ihr matt werdet und sie Euch überwältigen. Wir aber brechen auf, denn es ist keine Zeit zu verlieren.«

»Warum nimmt mein Bruder nicht die Skalpe der Todten?« fragte Donnerpfeil.

Der Gefragte antwortete in stolzem Tone:

»Der Häuptling der Miztekas nimmt nur die Skalpe solcher Feinde, mit denen er gekämpft hat, dies hier aber sind Hunde, deren Fell er nicht haben mag; sie sind gestorben, wie die Schakals, die man mit dem Stocke erschlägt.«

Man nahm den sechs Mexikanern Alles ab, was sie Brauchbares bei sich trugen, dann wurde aufgebrochen. Der gefangene Führer erhielt das Pferd, welches


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Sternau übrig hatte. Als die fünf Männer davon ritten, sahen sie noch, wie die beiden Lebenden sich bemühten, ihre Gedärme in die geöffneten Leiber zurück zu stecken, und noch lange wurden sie von dem Geschrei der dem langsamen Tode Geweihten verfolgt, welche an diesem einsamen Orte so unerwartet ihre Bestrafung gefunden hatten. Sie ritten durch den Paß und bogen nach Norden um, wo die Apachen ihrer warteten. Diese hatten Posten vorgeschoben, um leichter gefunden zu werden.

Als Bärenherz hörte, was im Thale geschehen war, gab er zu dem, was Büffelstirn gethan hatte, seine volle Zustimmung. Der Führer wurde gefragt, ob er vielleicht gehört oder gesehen habe, daß Comanchen in der Gegend von Chihuahua befindlich seien. Er verneinte die Frage, und auch von den Regierungstruppen, welche in der Hazienda Verdoja lagen, wußte er nichts. Er hatte die Hazienda ja bereits in der Nacht vor dem Morgen verlassen, an dem sie dort angekommen waren.

Es wurde beschlossen, insgesammt aufzubrechen. Die Apachen wollten sich der Hazienda bemächtigen und Verdoja mit Pardero gefangen nehmen. Beide waren dann ja gezwungen, ihre Gefangenen herauszugeben, und dann sollte Gericht über sie gehalten werden. Einer der Apachen ritt als Bote zurück, um dem »fliegenden Rosse« zu melden, wo die nachfolgenden Krieger mit den zuerst aufgebrochenen zusammentreffen sollten.

Nun setzte sich der Zug in Bewegung. Voran ritten die Weißen mit Bärenherz und Grizzlytödter, den wohl bewachten Führer in der Mitte. Dann folgten unter Anführung des ältesten Kriegers die Apachen in ihrer gewohnten Weise, Einer immer in den Tapfen des Anderen reitend. Sie erreichten die Hochebene von Chihuahua und passirten die Gebiete mehrerer Haziendas, ohne von den Bewohnern derselben gesehen zu werden.

Am Spätnachmittage ritten sie an einem Walde vorüber, der sich so sehr in die Länge dehnte, daß es unmöglich war, ihn zu durchsuchen, was eigentlich durch die Vorsicht geboten worden wäre. Als es dunkel wurde, gelangten sie an die Grenze von Verdoja's Besitzung und sahen im Westen die Pyramide aufsteigen, welche das Ziel ihrer Wanderung bildete. Sie erhob sich noch finsterer als die Finsterniß des Abends, von jeher der Schauplatz von Thaten, welche das Licht zu scheuen hatten.

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Sechstes Kapitel.

Kurzes Glück.

»Wir lagen in des Kerkers Nacht,
   Zu uns kein Ton des Lebens drang,
Die Todten hatten uns bewacht,
   Uns selbst, uns wurde sterbensbang.

Und nun uns die Erlösung schlug
   Und als uns die Errettung kam,
Da ward die Freiheit uns zum Trug,
   Und doppelt bitter ist der Gram.«

Im Norden der Mapimi, da, wo von Südwesten aus der Gegend von Cosihuirachi her mehrere größere Wässer die Hochebene durchfließen, um sich dann


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von dem Plateau hinab in den Rio grande del Norte zu stürzen, entlocken diese Wasser dem sonst unfruchtbaren Boden eine ziemlich üppige Vegetation. Es giebt fruchtbare Weidestrecken, welche von dichten Wäldern umschlossen werden, die sich hinab nach Sonora, der nordwestlichsten Provinz von Mexiko, erstrecken, wo sie sich dann in die leblosen, glühenden Ebenen der Apacheria verlieren, denen dann weiter im Norden durch den Rio Gila einige Fruchtbarkeit abgezwungen wird.

Einer dieser Wälder war derjenige, an welchem die Apachen unter Anführung Sternau's, Büffelstirn's und Bärenherzens vorüberritten. Sie hatten während des ganzen Rittes keinen einzigen Menschen gesehen und hielten sich für vollständig sicher und unbeobachtet.

Hätte der Wald einen geringeren Umfang gehabt, so wäre er ganz gewiß von ihnen umstellt und durchsucht worden, dies war aber bei seiner ganz bedeutenden Größe vollständig unmöglich, und so begnügte man sich, an ihm vorüber zu reiten und nichts als seinen Saum zu durchforschen.

Zu ganz derselben Zeit hätte ein aufmerksamer Beobachter in der Tiefe dieses Waldes ein leises aber continuirlich sich fortbewegendes Geräusch vernehmen können. Bald klang es wie das Knicken eines kleinen, dürren Zweiges, bald wie das Zusammenreiben von Blättern, an welche Jemand stieß. Dieses Geräusch blieb nicht an einer Stelle, sondern es bewegte sich fort, nach dem Rande des Waldes hin. Endlich erklangen sogar einige flüsternde Worte:

»Hat mein Bruder gelernt, sich unhörbar zu bewegen?«

Darauf hätte man eine ebenso leise geflüsterte Antwort hören können:

»Unter den Bäumen ist es dunkel. Hat mein Bruder etwa die Augen einer Katze, daß er alle Zweige und Blätter erkennen kann?«

Darauf wurde es wieder still, nur ein geheimnißvolles Rauschen ließ sich hören. Da verstummte auch dieses, und nach kurzer Zeit lispelte es:

»Warum steht mein Bruder? Hat er etwas gehört?«

»Ja, er hörte das ferne Schnauben eines Pferdes.«

Da erklang dasselbe Schnauben abermals und zwar in größerer Nähe.

»Es kommen Reiter. Hier ist eine große Weihmutskiefer, wer oben in den Zweigen sitzt, kann nicht gesehen werden und hat die Prairie vor sich liegen.«

Es waren zwei Indianer, welche dieses Gespräch führten. Derjenige von ihnen, welcher die letzten Worte gesprochen hatte, umfaßte den Stamm und kletterte empor, der Andere folgte ihm augenblicklich. Beide kletterten den dicken Stamm empor, wie Eichkätzchen; sie zeigten eine solche Gewandtheit, daß nicht das geringste Geräusch zu vernehmen war. Als sie oben zwischen den dicht benadelten Aesten saßen, waren sie von unten unmöglich zu bemerken. Sie hatten ihre Waffen an sich hängen, wurden von denselben jedoch nicht im Mindesten belästigt.

Kaum saßen sie fest, so hörten sie nahende Schritte. Es waren diejenigen Apachen, welche von ihren Pferden gestiegen waren, um den Rand des Gehölzes zu untersuchen. Man konnte sie von oben nicht sehen. Als sie, dem Geräusche nach, vorüber waren, ertönte draußen lautes Pferdegetrappel und die Truppe ritt vorüber.

»Uff!« flüsterte der eine Indianer. »Apachen!«

»In den Farben des Krieges!« fügte der Andere bei.


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»Es sind Bleichgesichter bei ihnen.«

»Vier! Uff! Uff!«

Die beiden letzten Worte waren in einem solchen Tone der Ueberraschung geflüstert, daß der Andere leise fragte:

»Worüber wundert sich mein Bruder?«

»Kennt mein Bruder das große, starke Bleichgesicht, welches an der Spitze reitet?«

»Nein.«

»Es ist der Fürst des Felsens. Ich habe ihn gesehen vor drei Wintern, als ich in der Stadt war, welche die Bleichgesichter Santa Fé nennen.«

»Uff! Das ist das tapferste Bleichgesicht, welches es giebt! Aber kennt mein Bruder die beiden Häuptlinge, welche daneben reiten?«

»Der eine ist Bärenherz, der Apachenhund.«

»Und der Andere ist Büffelstirn, der Miztekas. Wir wollen sehen, wie viele Apachen vorüber reiten.«

Ihr Sitz war so hoch, daß sie über die Wipfel des Waldrandes hinausblicken und den ganzen Zug übersehen konnten. Sie zählten genau, und als die Apachen vorüber waren, sagte der Eine:

»Zwanzigmal zehn und noch sechs Apachen und vier Bleichgesichter!«

»Mein Bruder hat richtig gezählt, aber der Fürst des Felsens gilt hundert Apachen. Wohin gehen sie?«

»Diese Richtung geht nach der Hazienda Verdoja. Der Präsident von Mexiko hat die Krieger der Comanchen gerufen, und nun wird der Verräther Juarez die Apachen gerufen haben. Sie gehen nach der Hazienda, wohin auch wir wollen, und werden die Reiter, die sich dort befinden, tödten wollen. Morgen kommen viele Krieger der Comanchen; die Apachen sind verloren und werden uns ihre Skalpe geben müssen. Wir müssen unsere Freunde auf der Hazienda warnen, aber wir müssen auch den Hunden der Apachen folgen, um gewiß zu sein, was sie beabsichtigen.«

»So trennen wir uns. Ich folge ihnen und mein Freund eilt nach der Hazienda.«

»So soll es sein.«

Sie glitten vom Baume herab und drangen bis zum Rande des Waldes vor. Dort überzeugten sie sich zunächst, daß kein Nachzügler zu erwarten war, und dann traten sie auf die offene Prairie hinaus.

Jetzt konnte man Beide genau erkennen, Es waren zwei Comanchen im vollen Kriegsschmucke. Sie trugen nicht das Häuptlingsabzeichen, aber sie waren jedenfalls keine gewöhnlichen Krieger, sonst hätte man ihnen nicht die schwierige Aufgabe anvertraut, das Terrain zu sondiren und auf der Hazienda Verdoja die Ankunft der verbündeten Comanchen anzusagen.

Die Sonne war im Untergehen und in der Ferne verschwand jetzt der lange, schlangengleiche Zug der Apachen.

»Mein Bruder beeile sich, ihnen zu folgen. Er muß sie stets vor Augen haben, denn es wird nun so dunkel, daß man sich nicht auf die Fährte verlassen kann.«


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Der Andere eilte, ohne eine Antwort zu geben, vorwärts. Ein Kriegskundschafter hat selten ein Pferd bei sich, da ihm dasselbe oft hinderlich sein würde. So war es auch hier, und da der Comanche als Fußgänger in dem weiten Raume der Prairie nur einen verschwindenden Punkt bildete und eine jede Art der Deckung leicht benutzen konnte, so war es ihm leicht, selbst jetzt, da es noch hell war, sich den Apachen zu nähern, ohne von ihnen bemerkt zu werden.

Sein Kamerad blickte ihm eine Weile nach und schritt dann in gerade westlicher Richtung davon. Die Apachen machten, um unbemerkt zu bleiben, einen Umweg; der Comanche aber konnte sich direkt nach den Weideplätzen der Hazienda wenden und kam dort also eher an, als sie, obgleich sie beritten waren.

Er war wohl noch nie in dieser Gegend gewesen, aber sein Instinct und ein Rundblick über den Horizont ließen ihn errathen, wo die Hazienda liegen werde, und er hatte auch wirklich die ganz genaue Richtung dahin eingeschlagen.

Er eilte mit den langen, elastischen und ausgiebigen Schritten vorwärts, welche man bei einem Indianer, wenn er Eile hat, beobachtet. Es wurde bald dunkel, aber er eilte weiter, als ob er jeden Fußbreit dieser Gegend kenne. Er sah schließlich verschiedene Heerdenfeuer, welche die Vaqueros angezündet hatten, um sich zu erwärmen und die wilden Thiere abzuhalten; er hielt sich von ihnen fern, obgleich er als Freund kam und also Niemanden zu fürchten hatte. Er schlich sich unbemerkt zwischen den Heerden hindurch und erreichte die Hazienda.

Dort weideten die Pferde der Dragoner, an den Vorderbeinen eng gefesselt, und vor der Umzäunung, welche jede Hazienda besitzt, lagen die Krieger um mehrere Feuer. Der Comanche duckte sich zur Erde, schlich nahe an sie heran und stand plötzlich mitten unter ihnen, wie aus der Erde emporgefahren.

Dies thut der Wilde auch dann gern, wenn er zu Freunden kommt, denn wer es versteht, sich unbemerkt anzuschleichen, der wird für einen guten Krieger gehalten. Die Dragoner erschraken beim Anblicke der dunklen Gestalt, sprangen empor und griffen zu den Waffen, indem sie ihn sofort umringten.

Bei diesen Zeichen der Feindseligkeit machte er eine geringschätzende Handbewegung, blickte sich ruhig im Kreise um und fragte:

»Fürchten sich die Bleichgesichter vor einem einzelnen rothen Krieger?«

Einer der Dragoner, welcher die Abzeichen des Unteroffiziers trug, antwortete:

»Pah, wir fürchten uns vor hundert Rothen nicht! Wer bist Du?«

»Können die Bleichgesichter die Kriegsfarben der rothen Männer nicht unterscheiden?«

»Ihr seid viele hundert Stämme, und der Teufel kann sich da die Malereien alle merken; aber wie mir scheint, bist Du ein Comanche?«

»Ich bin es. Wo ist der Häuptling der Weißen?«

»Du meinst den Rittmeister? Was willst Du bei ihm?«

»Ich habe mit ihm zu sprechen.«

»Das läßt sich denken, aber es fragt sich, ob auch er mit Dir zu sprechen hat.«

»Er muß froh sein, wenn der rothe Krieger zu ihm kommt,« antwortete der Comanche stolz. »Ich komme als Abgesandter der verbündeten Comanchen und habe ihm eine wichtige Botschaft mitzutheilen.«

»Das ist etwas Anderes. Komm, ich werde Dich führen!


// 1077 //

Er schritt voran und der Indianer folgte ihm. Sie schritten durch das Palissadenthor und begaben sich in das Innere des Gebäudes; dort mußte der Wilde warten, bis er angemeldet war. Als er eintreten durfte, sah er den Rittmeister mit seinen Offizieren rauchend und spielend am Tische sitzen. Er blieb ruhig und wortlos an der Thüre stehen. Der Rittmeister warf einen verächtlichen Blick auf ihn, spielte seine Parthie erst aus, warf dann die Karte von sich und fragte unmuthig:

»Was willst Du, Rothhaut?«

Der Indianer antwortete nicht.

»Was Du willst, frage ich!« wiederholte der Rittmeister.

»Mit wem spricht der Offizier?« fragte jetzt der Comanche.

»Mit Dir!« rief der Rittmeister.

»Ich dachte, der weiße Häuptling rede mit einem Fuchse.«

»Mit einem Fuchse? Bist Du toll!«

»Der weiße Häuptling sprach mit einer Rothhaut, und der Fuchs hat eine rothe Haut.«

»Ah,« lachte der Offizier, »Du fühlst Dich beleidigt! Nun gut, so werde ich höflicher sein. Was willst Du, Comanche?«

»Ich bringe den Gruß unserer großen Häuptlinge. Der Präsident hat uns gebeten, ihm unsere Hilfe zu leihen, und die Häuptlinge haben beschlossen, es zu thun.«

»Sehr freundlich von Euch! Also Eure Krieger werden kommen?«

»Ja, sie kommen. Bereits morgen früh wird ein ganzer Stamm sich in dem Walde befinden, welcher von hier gerade gen Osten liegt.«

»Ah, das geht rasch! Und die Anderen?«

»Sie kommen nach, täglich ein berühmter Häuptling mit den Seinen.«

»Ihr scheint lauter berühmte Häuptlinge zu haben, ob sie uns aber großen Nutzen bringen, das wird sich erst zeigen. Sie werden sich zunächst unter meinen Befehl zu begeben haben. Ich werde noch heute Abend einen Boten nach Chihuahua senden, um mir Verhaltungsmaßregeln geben zu lassen.«

Der Comanche lächelte auf eine eigenthümliche Weise und antwortete:

»Mein weißer Bruder spricht Worte, welche ich nicht begreife.«

»Warum nicht?«

»Er will einen Boten senden, um Befehle zu holen, also kann er kein Häuptling sein, und dennoch verlangt er, daß die berühmten Führer der Comanchen ihm gehorchen sollen. Die Comanchen werden kommen, ihre Häuptlinge werden eine Berathung halten mit den Häuptlingen der Weißen und dann wird man thun, was beschlossen worden ist. Ein Comanche stellt sich nicht unter den Befehl eines fremden Kriegers.«

Der Rittmeister sah gar wohl ein, daß er hier nicht starke Saiten aufziehen dürfe, und antwortete daher:

»Wir streiten uns nicht. Wenn Deine Häuptlinge kommen, werde ich mit ihnen sprechen. Was mich betrifft, so würde ich allerdings keinen Rothen brauchen.«

Das Auge des Indianers glühte auf.

»Wenn Du keinen Rothen brauchtest, so wärst Du morgen eine Leiche und Dein Scalp hinge an dem Gürtel eines Apachen,« antwortete er.


// 1078 //

»Alle Wetter! Was sagst Du da?« fragte der Rittmeister erschrocken.

»Was Du gehört hast!«

»Du sprachst von Apachen?«

»Ja.«

»Sind sie etwa in der Nähe?«

»Ja.«

»Wo?«

»Sie sind von ihren Weideplätzen aufgebrochen, um die Weißen zu tödten.«

»Das ist möglich; aber sie haben einen weiten Weg.«

»Sie haben gute Pferde!«

»Eure Comanchen werden eher hier sein als sie.«

»Die Apachen sind eher da als wir.«

»Donnerwetter! Morgen kommt Ihr, da müßten sie also bereits heute hier sein!«

»Sie sind hier!«

»Wo?«

»Sie können jetzt in diesem Augenblicke bereits draußen bei Euren Pferden sein.«

»Heilige Madonna, ist das möglich?«

Er sprang erschrocken auf und die Anderen mit ihm. Der Comanche lächelte über den Eindruck, den seine Worte machten. Ein Indianer wäre ganz kaltblütig sitzen geblieben. Er wußte sehr genau, daß die Wilden ihre Angriffe am liebsten gegen Morgen unternehmen. Wenn er auch die Apachen gesehen hatte, so war er doch überzeugt, daß die Hazienda jetzt noch vor ihnen sicher sei. Darum sagte er in stolzem Tone:

»Die Bleichgesichter fürchten sich!«

»Nein!« rief der Rittmeister. »Aber wir wollen uns nicht unvermuthet und wehrlos morden lassen. Hast Du die Apachen gesehen?

»Ja.«

»Wo?«

»Sie ritten am Walde vorüber, in welchem morgen die Comanchen ankommen werden.«

»Wann?«

»Vor so viel Zeit, als die Bleichgesichter eine Stunde nennen.«

»Wie viele waren es?«

»Zehn mal zwanzig und sechs.«

»Alle Teufel, zweihundert und sechs! Doppelt so viel, als wir sind!«

»Es waren vier Bleichgesichter bei ihnen!«

»Ah! Jedenfalls Anhänger dieses Juarez. Jetzt ist es sicher, daß sie es auf die Hazienda abgesehen haben. Wir müssen uns in Vertheidigungszustand versetzen!«

»Es werden dennoch viele Bleichgesichter fallen.«

»Das befürchte ich nicht. Wir ziehen uns hinter die Umzäunung zurück und sind dann vor ihren Kugeln sicher.«

»Es ist bei ihnen der größte Krieger der Bleichgesichter; er hat ein Gewehr, welches hundert Feinde tödtet, ehe er wieder ladet.«


// 1079 //

»Wer wäre das?«

»Der Fürst des Felsens.«

Dieser Name war überall bekannt und berühmt; auch die Offiziere hatten ihn bereits gehört.

»Der Fürst des Felsens?« frug der Rittmeister. »Donnerwetter, das wäre ja die beste Gelegenheit, diesen famosen Kerl einmal zu sehen. Ist er wirklich dabei?«

»Ja, ich kenne ihn.«

»Aber was haben wir ihm gethan, daß er als Feind zu uns kommt?«

»Der Fürst des Felsens ist der Freund der Apachen und Comanchen; er ist der Freund aller rothen und aller weißen Männer,« sagte der Indianer. »Er ist gerecht und gut; er tödtet nur den, der ihn beleidigt hat. Wenn er als Feind nach der Hazienda Verdoja kommt, so muß es hier einen Mann geben, der sein Feind ist!«

»Hm, vielleicht Verdoja selbst? Aber der ist nicht mehr da; der hat sich aus dem Staube gemacht, der ist entflohen. Wo stekken die Apachen?«

»Ich weiß es nicht, aber es war einer meiner rothen Brüder bei mir, der ist ihnen nachgeschlichen. Er wird kommen und berichten, wo sie zu finden sind.«

»Das genügt. Du bleibst bei uns, bis Eure Krieger kommen?«

»Ich bleibe hier während der Nacht, dann aber gehe ich meinen Brüdern entgegen, um sie nach der Hazienda zu führen.«

Somit war dieses Gespräch beendet und der Rittmeister traf seine Vorbereitungen zum Empfange der Apachen. Die Pferde wurden auf der Weide gelassen, um den Anschein zu bewahren, daß man von der Anwesenheit der Feinde gar nichts wisse; die Dragoner aber löschten ihre Feuer aus und zogen sich hinter die Palissaden und in das Gebäude zurück. Da ein Jeder einen Carabiner, einen Degen und auch Pistolen hatte, so war vorauszusehen, daß die Apachen mit fürchterlichen Verlusten zurückgeschlagen wurden.

Als der Comanche die Hazienda erreichte, waren die Apachen auch bei der Pyramide angekommen. Sie hielten in der Nähe des finsteren Bauwerkes, und die Anführer betrachteten dasselbe mit nicht sehr angenehmen Gefühlen. Im Innern dieses massiven Mauerwerkes staken ja diejenigen, denen ihre Liebe gehörte.

»Könnte man das Dings da zertrümmern!« knirrschte Donnerpfeil.

»Nur Geduld!« antwortete Sternau. »Wir werden die Unsrigen ganz sicher befreien.«

»Davon bin ich überzeugt. Aber was werden sie zu leiden haben, ehe wir sie finden!«

»Vielleicht gelingt es uns, ihre Leiden sehr bald zu beenden.«

Da sagte Büffelstirn:

»Jeden Seufzer, den Karja, die Tochter der Miztecas, ausgestoßen hat, bezahlt ein Feind mit dem Leben! Wo wird der Eingang sein?«

Sternau wendete sich an ihren Führer, den Mexikaner:

»An welcher Stelle habt Ihr angehalten?«

»Kommen Sie.«

Er ritt eine Strecke weiter ab und blieb dann halten.

»Hier war es,« sagte er.

»Und wo verschwand Verdoja mit den Gefangenen?«


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»Hier ist der Busch, neben den er in das Dickicht drang, und dort die Ecke, an welcher ich das Licht der Laterne aufleuchten sah.«

»Gut. Wenn Alles sich wirklich so verhält, soll Dir das Leben geschenkt sein.«

»Sennor, ich rede die Wahrheit!«

»Das ist gut für Dich.«

Er rief die beiden Häuptlinge und Donnerpfeil herbei und zeigte ihnen das Terrain.

»So darf jetzt kein Mensch das Gebüsch und den Fuß der Pyramide betreten,« sagte Büffelstirn. »Verdoja ist öfters hin- und hergegangen; es müssen Spuren vorhanden sein trotz der Länge der Zeit, die seitdem vergangen ist, und diese Spuren können wir erst sehen, wenn es Tag geworden ist.«

»Warum warten, bis der Tag anbricht?« fragte Bärenherz.

»Jawohl!« stimmt Donnerpfeil bei. »Meine Braut soll keine Minute länger in diesem Kerker schmachten, als es durchaus nothwendig ist.«

»Sie meinen, daß uns Verdoja selbst den Weg zeigen soll?« fragte Sternau.

»Ja.«

»So überfallen wir die Hazienda?«

»Ja, unbedingt! Und wehe ihm, wenn er uns nicht gehorcht.«

»Gut, so wollen wir zunächst einmal forschen, wie es in der Hazienda steht.«

»Warum erst forschen,« sagte Donnerpfeil. »Wir reiten hin, fassen den Kerl fest und schleppen ihn her. Weiter ist ja nichts Anderes möglich!«

Der gute Anton Helmers, genannt Donnerpfeil, hätte am liebsten gleich den Himmel herabgerissen, um der Geliebten baldige Erlösung zu bringen. Eben wollte Sternau antworten, als ein lauter Ruf erscholl:

»Uff! No-ki peniyil - Uff, kommt herbei!

Das waren Worte im Apachendialekt, es war also ein Apache, der gerufen hatte. Die Stimme klang in der Nähe, und zwar von der Richtung aus, aus welcher sie gekommen waren.

»Wer war das?« fragte Sternau.

»Der Grizzlytödter,« antwortete ein Apache.

»Ist er fort?«

»Ja, er wollte die Gegend durchsuchen, ob wir sicher sind.«

»So hat er etwas Wichtiges entdeckt. Schnell hin zu ihm!«

Er selbst sprang eilig vom Pferde und eilte nach dem Orte hin, an welchem der Ruf erklungen war. Da fand er den jungen Apachen am Boden knieend, und unter ihm lag ein Mensch, den er fest an der Erde hielt.

»Ein Comanche!« sagte er.

Im Nu war ein Lasso zur Stelle, und der Comanche wurde gebunden. Es war der Bote, welcher sich im Walde von seinem Kameraden getrennt hatte, um den Apachen nachzuschleichen.

»Wie kommt mein Bruder Grizzlytödter zu diesem Hunde?« fragte Bärenherz.

»Ich ritt am Ende des Zuges und hörte ein Schleichen hinter uns,« erklärte der junge Held. »Es folgte uns ein Mann. Darum stieg ich vom Pferde, als wir hier angekommen waren, und suchte ihn. Ich fand ihn hier; er wollte unsere Rede belauschen. Da warf ich mich auf ihn und hielt ihn fest.«


Ende der fünfundvierzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk