Lieferung 5

Karl May

23. Dezember 1882

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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in bitterem Tone hervor. »Nennst Du es ein Glück, wenn ein Kind seinen Eltern mit Gewalt entrissen und unter die Räuber gesteckt wird?«

Der verborgene Lauscher horchte auf.

»Ah, er ist's! Und er weiß es auch, daß er geraubt wurde!« dachte er.

Auch der Capitano war überrascht. Er schien, wie es deutlich zu hören war, vor Erstaunen einen Schritt zurückzutreten, und fragte dann zornig:

»Den Eltern entrissen? Mit Gewalt? Auf wen beziehst Du das?«

Mariano sah ein, daß es nicht klug gewesen war, sich so fortreißen zu lassen. Die Vorsicht hätte ihm geboten, gar nicht ahnen zu lassen, daß er jenem Ereignisse auf die Spur gerathen sei; da er sich aber von seiner Erbitterung einmal hatte hinreißen lassen, so ging er auch weiter und antwortete:

»Auf mich, auf keinen Anderen sonst!«

»Hm, so meinst Du also, daß Du geraubt worden seist?« fragte der Capitano vorsichtig.

»Geraubt und vertauscht.«

»Ja, das ist möglich. Aber was habe ich dabei zu schaffen? Ich fand Dich im Freien und habe bis heute noch keine Ahnung, wer Dich ausgesetzt hat.«

»Lüge nicht, Capitano! Du selbst warst es, der mich raubte!« rief der junge Mann zornig.

»Ich? Beweise es! Ich schwöre es Dir, daß ich es nicht war, der Dich Deinen Eltern nahm!«

»Ja, das kannst Du allerdings beschwören, denn ein Anderer war es, der mich stahl; aber es geschah in Deinem Auftrage.«

»Ich wiederhole: Beweise es!«

»Kennst Du nicht einen Mann, der Manuel Sertano hieß? Er stammte aus Mataro.«

»Alle Teufel! Wer hat Dir diesen Namen genannt?«

»Ferner: Kennst Du das Gasthaus »L' Hombre grand« in Barcelona? In demselben wurde in der Nacht vom ersten zum zweiten Oktober 18** ein Knabe umgetauscht.«

»Teufel! Wer hat Dir dies weiß gemacht?«

»Das ist mein Geheimniß!«

»Ich verlange, daß Du mir Antwort giebst! Ich habe Dich nach Rodriganda gesandt, um diesen Gasparino Cortejo und Andere zu überwachen, nicht aber, um Ränke gegen mich zu spinnen, welche allen Grundes entbehren. Ich verlange zu wissen, wer Dir diese Lügen gesagt hat!«

»Du wirst es nicht erfahren!«

»Ich werde es erfahren, denn ich habe die Macht, Dich zu zwingen!«

»Pah!«

Der Lieutenant sprach nur diese eine Sylbe, aber es lag in ihr eine solche Verachtung und Geringschätzung, daß der Hauptmann zornig rief:

»Glaubst Du etwa, mir widerstehen zu können?«

»Das glaube ich allerdings.«

»So werde ich Dir das Gegentheil beweisen.«

»Versuche es!«


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»Ich befehle Dir, sofort nach der Höhle zurückzukehren!«

Der junge Mann ließ ein leises, kurzes Lachen hören und antwortete dann:

»Das werde ich bleiben lassen!«

»Ah, also offenbare Widersetzlichkeit!« zischte der Capitano.

»Ja, offene!« lachte Mariano abermals. »Ich werde bleiben. Was soll der Graf Rodriganda von dem Herrn de Lautreville denken, wenn dieser wie ein Spitzbube bei Nacht und Nebel verschwindet? Uebrigens gefällt es mir in Rodriganda ganz ausgezeichnet, und« - fügte er mit Nachdruck hinzu - »es ist mir ganz, als ob ich zur gräflichen Familie gehöre.«

»Mensch, soll ich Dich zwingen?«

»Womit?«

»Entweder Du erklärst augenblicklich, daß Du gehorchen wirst, oder ich steche Dich nieder!«

»Warte vorher, was ich Dir zu sagen habe!«

»Nun?«

»Capitano, ich hege keinen Groll gegen Dich,« begann Mariano in ruhigem Tone; »Du hast mich zwar dem Boden entrissen, in welchem der Baum meines Lebens bereits Wurzel zu schlagen begonnen hatte, aber mit Deiner Erlaubniß habe ich mir durch den Pater Dominikaner Alles aneignen können, was nöthig ist, die mir gehörige Stelle wieder einzunehmen und auch auszufüllen; darum will ich nicht rachsüchtig sein, sondern ich sage: Wir sind quitt! Was ich beginnen werde, weiß ich noch nicht, aber das Eine weiß ich, nämlich, daß ich zu Euch nicht zurückkehre. Zwingen kannst Du mich nicht. Ich bin Dir an Geschicklichkeit und Körperstärke überlegen, und auch die List wird Dir nichts helfen können.«

»Wirklich?« höhnte der Hauptmann. »Wenn ich nun dem Grafen Rodriganda wissen lasse, daß Du ein Räuber bist?«

»So wird er mich vor allen Dingen fragen, wo meine Kameraden zu finden sind, und ich -«

»Ah, Du würdest sie verrathen?«

»Ja.«

»Mensch!« brauste der Hauptmann auf.

»Bleibe ruhig, Capitano! So lange mir von Eurer Seite nichts Böses droht, werde ich schweigen. Du kennst mich und weißt, daß Du Dich auf mein Wort verlassen kannst. Aber ich habe Euch den Schwur der Treue nicht geleistet, und wenn Ihr mich mit List oder Gewalt dazu zwingen wollt, so seid Ihr meine Feinde, und ich werde mich zu vertheidigen wissen. Das ist es, was ich Dir zu sagen habe.«

»Dies ist Dein fester Entschluß?« fragte der Hauptmann.

»Mein fester! Pah, Capitano! Meine Augen sind gut; ich sehe trotz der Dunkelheit sehr deutlich, daß Du das Messer ziehst; Du aber siehst nicht, daß ich bereits während unserer langen Unterhaltung den gespannten Revolver in der Hand gehabt habe. Ehe Dein Messer mich erreichen könnte, würdest Du eine Leiche sein. Dies laß Dir auch für später zur Warnung dienen! Der Knabe ist plötzlich zum Manne geworden, und ich sage Dir, daß er auch als Mann handeln wird. Lebe wohl, Capitano!«


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Der Lauscher hörte, daß der Sprecher sich schnell entfernte.

»Mariano!« rief der Hauptmann in befehlendem Tone.

Es erfolgte keine Antwort.

»Mariano!« rief er abermals, jetzt aber war der Ton kein befehlender, sondern beinahe ein ängstlicher.

Auch jetzt erfolgte keine Antwort und man hörte die Schritte des sich Entfernenden verklingen.

»Bei Gott, er geht!« murmelte der Capitano. »Er will sich frei machen, aber es soll ihm doch nicht gelingen. Wen ich einmal halte, den halte ich auch fest. Verdammter Gedanke, gerade ihn nach Rodriganda zu schicken! Wer muß ihn aufmerksam gemacht haben? Ich muß das erfahren!«

Er verließ mit langsamen Schritten das Borkenhäuschen und verschwand hinter dem Gesträuche des Parkes. Er hatte so Vieles und zwar ganz Anderes mit Mariano besprechen wollen, und nun hatte er nichts von Alledem gehört, was er hatte erfahren wollen.

Jetzt konnte der Advokat ohne Gefahr, gehört zu werden, sein Versteck verlassen. Er kehrte vorsichtig nach dem Schlosse zurück und begab sich wieder zu seiner frommen Freundin, die ihn mit Spannung erwartet hatte. Graf Alfonzo hatte sich bei ihr eingefunden und Beide erschraken, als sie hörten, daß dieser Husarenlieutenant in Wirklichkeit jener geraubte Knabe sei.

»Mein Gott, was ist zu thun?« fragte Clarissa. »Dieser Mensch ahnt also bereits, wer er ist?«

»Er ahnt es, wie ich aus einer seiner Andeutungen entnehme,« antwortete der Advokat.

»So stehen wir auf einem Vulkane, der in jedem Augenblicke explodiren kann. Der Allbarmherzige und Allgütige wird die Seinen nicht verderben lassen, wie ich hoffe!«

»Pah! Was hilft das fromme Wimmern. Hier muß gehandelt werden!« meinte Alfonzo.

»Aber wie?« frug die fromme Schwester.

»Vor allen Dingen rasch. Eine rasche That ist eine doppelte That. Dieser Mensch muß augenblicklich unschädlich gemacht werden.«

»Was verstehst Du unter unschädlich, mein Sohn?« fragte der Notar.

»Todt!«

»Hm!«

»Ja, todt. Nur der Todte schweigt, und es steht für uns so viel auf dem Spiele, daß es eine Schwachheit wäre, einen Menschen zu schonen, der uns so sehr gefährlich ist. Uebrigens ist er ja nichts als ein Bandit, und so muß seine Beseitigung geradezu als ein Verdienst bezeichnet werden, welches wir uns an der von ihm bedrohten Menschheit erwerben.«

Schwester Clarissa nickte beifällig und sehr energisch mit dem Kopfe; der Advokat aber sagte langsam und nachdenklich:

»Es versteht sich allerdings ganz von selbst, daß er unschädlich gemacht werden muß; ob dies durch seinen Tod, oder eine andere Art der Beseitigung geschehen wird, das soll meine Unterredung mit dem Capitano entscheiden. Ich


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werde um Mitternacht erfahren, was wir von ihm zu befürchten oder zu hoffen haben.« - Mit dieser Entscheidung mußten sich Mutter und Sohn beruhigen.

Kurz vor dem Schlage der Mitternachtsstunde suchte der Notar den Park wieder auf. Es gab da ein sehr verborgenes Plätzchen, an welchem er sich mit dem Capitano zu treffen pflegte, falls dieser einmal mit ihm zu sprechen hatte. Er fand ihn bereits seiner harrend.

»Ihr habt mir das Zeichen gegeben, zu Euch zu kommen,« sagte er. »Das ist mir lieb, denn Ihr erspart mir einen Weg nach den Bergen. Ich hätte Euch aufsuchen müssen.«

»In welcher Angelegenheit?« fragte der Hauptmann zurückhaltend.

»Das fragt Ihr noch?« sagte der Notar mit scheinbarer Verwunderung. »Ich habe Euch eine Aufgabe ertheilt, welche bis jetzt noch nicht gelöst worden ist.«

»Und warum wurde sie nicht gelöst, Sennor?«

»Weil Ihr mir keine Männer, sondern Feiglinge schicktet.«

»Das ist ein Vorwurf, dessen Berechtigung ich nicht anerkenne,« antwortete der Hauptmann. »Wir wollen nicht Versteckens miteinander spielen, Sennor, sondern diese Angelegenheit in aller Kürze erledigen.«

»Das ist auch meine Meinung. Also sprecht!«

»Wollt ihr, daß der Auftrag, welchen Ihr mir gabt, noch ausgeführt werde?«

»Das versteht sich! Ich verlange sogar, daß dies in aller Eile geschieht.«

»Gut, so will ich Euch meine Bedingungen sagen.«

»Bedingungen? Ich denke, über die Bedingungen haben wir uns bereits bei meinem letzten Besuche geeinigt.«

»Die Verhältnisse haben sich seitdem geändert. Ich habe natürlich erfahren, was geschehen ist, und obgleich ich nicht dabei gewesen bin, kenne ich doch meine Leute gut genug, um Alles richtig zu errathen. Der Arzt ist mit Messern angegriffen worden?«

»Ja.«

»Auf Euren ausdrücklichen Befehl?«

Der Notar zögerte ein wenig und antwortete dann:

»Nein. Dies hat Henricord so arrangirt.«

»Lügt nicht!« meinte der Hauptmann streng. »Meine Leute kennen den Unterschied zwischen einer Kugel und einer Messerklinge zu genau, um freiwillig die Dummheit zu begehen, so einen starken Menschen nur mit der letzteren anzugreifen. Ihr habt alles Geräusch vermeiden wollen und den Leuten verboten, zu schießen. Habe ich recht oder nicht?«

»Ihr habt unrecht.«

»Pah! Ich weiß, was ich sage, und lasse mich nicht täuschen. Henricord und Juanito sind bei einer anderen Gelegenheit gefallen. Was sie vermocht hat, die Contezza anzugreifen, das ist mir ein Räthsel, doch will ich annehmen, daß nicht Ihr die Schuld daran tragt. Aber an dem Tode der Anderen, deren Leichen hier im Parke gerichtlich aufgehoben wurden, seid Ihr schuld. Ihr zahlt mir für einen jeden Mann tausend Ducatos und dann wollen wir über die Angelegenheit weiter verhandeln.«

»Daß ich ein Esel wäre!«


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»Ah, Ihr wollt nicht?«

»Nein. Ich kann nicht dafür, daß diese Unvorsichtigen so dumm waren, sich tödten zu lassen.«

»Ich habe Euch bereits gesagt, wem ich die Schuld ertheile, und dabei bleibt es! Wollt Ihr zahlen oder nicht?«

»Keinen Pfennig!«

»Gut. Lebt wohl, Sennor!«

Der Hauptmann wendete sich, um zu gehen; der Andere hielt ihn jedoch fest und fragte:

»Was habt Ihr vor?«

»Das werdet Ihr bald erfahren, Sennor!«

»Ihr verlangt das Unmögliche!«

»Ihr sollt sehen, daß es sehr möglich ist. Die Männer sind in Eurem Dienste gestorben und Ihr habt zu zahlen. Ich schwöre es Euch, daß mich nichts von dieser Forderung bringen wird. Ihr kennt mich, und jeder Einwand wird nur die Folge haben, daß ich meine Forderung erhöhe.«

Der Notar schien nachzudenken. Dann sagte er langsam und lauernd:

»Vielleicht würde ich auf diese Forderung eingehen, wenn -«

»Nun, wenn?«

»Wenn ich auch von Euch eine Gefälligkeit erlangen könnte.«

»Welche?«

»Es giebt außer dem Arzte noch Einen, der mir im Wege ist.«

»Ah! Der verschwinden soll?«

»Verschwinden,« nickte der Notar.

»Das heißt, sterben?«

»Allerdings.«

»Wer ist es?«

»Ein Offizier.«

»Donnerwetter, das scheint interessant zu werden! In welcher Garnison steht der Sennor?«

»Er steht in keiner Garnison, sondern befindet sich jetzt auf Urlaub. Auch ist er kein Spanier, sondern ein Franzose.«

»Alle Wetter!« meinte der Hauptmann überrascht, und es war dem Tone seiner Stimme anzuhören, daß er zu ahnen begann, um wen es sich handele. »Ein Franzose? Was habt Ihr mit so einem Ausländer zu schaffen?«

»Verschiedenes! Es ist ein Husarenlieutenant.«

»Wo ist er zu finden?«

»Hier auf Rodriganda.«

»Und wie heißt er?«

»Alfred de Lautreville.«

»Alfred de - - hm!« brummte der Hauptmann. »Diesen Mann kenne ich nicht!«

»Das glaube ich,« bemerkte der Notar sarkastisch. »Uebrigens habt Ihr, trotzdem er Euch unbekannt sein muß, doch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen.«

»In wie fern?«


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»Er ist Derselbe, der Henricord und Juanito ermordet hat. Wollt Ihr ihn laufen lassen?«

»Laufen lassen? Fällt mir nicht ein!« sagte der Capitano zögernd. »Aber was ist es, was Ihr mit ihm zu schaffen habt?«

»Ich sagte es Euch ja bereits. Er ist mir im Wege.«

»Warum?«

»Das geht Euch nichts an! Wollt Ihr dieses Geschäft übernehmen oder nicht?«

»Hm, das muß überlegt werden.«

»So überlegt es schnell! Wenn ich mich nicht auf Euch verlassen kann, so werde ich mich an einen Anderen wenden, der mich besser bedienen wird, als Ihr und Eure Leute.«

»Den möchte ich kennen! Ich dulde keine Konkurrenz; das sage ich Euch, Sennor! Uebrigens gehört dieser Franzose bereits mir, da er zwei meiner Männer getödtet hat, und wer mir hier in das Handwerk pfuscht, der hat es mit mir zu thun. Das könnt Ihr Euch merken!«

»Gemach! Heißt das etwa, daß dieser Kerl sich unter Eurem Schutze befindet?«

»Nein,« antwortete der Hauptmann; »es heißt im Gegentheile, daß er meiner Rache verfallen ist, und diese lasse ich mir nicht nehmen. Er soll verschwinden!«

»Das heißt mit anderen Worten, er soll sterben?«

»Sterben? Nein, auf keinen Fall. Ich habe mit ihm Anderes vor; aber ich gebe Euch mein Wort, daß er Euch nicht lästig fallen soll.«

Der Notar wußte jetzt, woran er war, aber er ließ es nicht merken, daß er den Hauptmann durchschaute, und sagte also:

»Ich will Euch vertrauen, Capitano. Ich werde Euch also tausend Ducatos für jeden der Todten geben, verlange aber dafür, daß der Deutsche stirbt und der Franzose verschwindet.«

»Ihr sollt Euren Willen haben, habt aber dann für den Deutschen die betreffenden Fünfhundert nachzuzahlen und für den Franzosen ebenso viel zu entrichten.«

»Ihr seid ein Gauner!«

»Pah!« lachte der Brigand. »Man will ja leben und muß auch Andere leben lassen!«

»Gut, Ihr sollt sie haben!«

»Wann?«

»Nach gethaner Arbeit.«

»Ich brauche sogleich Geld. Ihr zahlt die Hälfte!«

»Ich habe jetzt kein Geld. Thut Eure Pflicht und dann erhaltet Ihr sogleich das Ganze. Ist Euch dies nicht recht, so muß ich von dem ganzen Geschäfte absehen.«

»Wenn es so steht, so muß ich Rücksicht nehmen,« meinte der Hauptmann zögernd. »Aber glaubt nicht, daß Ihr mich um einen einzigen Ducato betrügen könnt!«

»Wann wird es geschehen?«

»Bald, der Tag läßt sich nicht so leicht bestimmen. Habt Ihr noch etwas zu bemerken?«


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»Nein.«

»So sind wir für heute fertig. Lebt wohl, Sennor!«

»Gute Nacht!«

Der Bandit verschwand und der Notar schritt langsam dem Schlosse zu.

»Hahaha!« lachte er leise und höhnisch vor sich hin; »Du glaubst, mich betrügen zu können, alter Heuchler, aber es soll Dir nicht gelingen. Ich werde Dir zuvorkommen und die Sache in meine eigenen Hände nehmen!« -

Am anderen Morgen trat die Kastellanin in das Zimmer Sternau's, um ihm den Kaffee zu bringen.

»Ich danke Euch, Sennora,« sagte er. »Gebt mir ein Glas Milch; ich darf keinen Kaffee trinken.«

»Keinen Kaffee?« fragte sie verwundert. »Fühlt Ihr Euch vielleicht krank, lieber Sennor?«

»Nein. Es ist etwas Anderes. Ich habe etwas zu thun, wobei die außerordentlichste Ruhe aller Nerven erforderlich ist, und Ihr wißt ja, daß der Kaffee das Blut erregt.«

»Das muß etwas sehr Wichtiges sein!«

»Allerdings, bittet Gott, daß es mir gelingen möge, Sennora! Ich werde die Augen unseres guten Grafen Emanuel operiren.«

Da ließ Elvira das Kaffeebrett zur Erde fallen und schlug erschrocken die Hände zusammen.

»Die Augen operiren!« rief sie. »O, Gott! ist es wahr?«

»Ja. Aber, was hat dies mit dem Kaffeebrett zu thun?«

»Sennor, ich kann doch das Kaffeebrett nicht mit den Händen über dem Kopfe zusammenschlagen; das sagt mein Alimpo auch; darum habe ich es fallen gelassen.«

»Ihr konntet es ja vorher auf den Tisch stellen. Uebrigens ersuche ich Euch, den Kastellan dafür sorgen zu lassen, daß unbedingte Ruhe und Stille im Schlosse herrscht. Die Fenster im Krankenzimmer werden nach der Operation sofort verhängt. Wendet Euch in dieser Angelegenheit an die Contezza, welche das Nöthige veranstalten wird. Und jetzt bitte ich um meine Milch!«

»Ja, ja, die sollt Ihr sofort erhalten, Sennor. O, was wird mein Alimpo sagen, wenn er von der Operation hört! Ich eile, ich laufe, ich fliege bereits! Gott gebe Gelingen und Segen!«

Sie ließ das zerbrochene Geschirr einstweilen liegen und verließ das Zimmer mit einer Bewegung, welche sie »Fliegen« nannte, welche aber mehr einem »Kugeln« glich.

Als der Arzt nach einiger Zeit den Salon betrat, wurde er von den Anwesenden mit lauten, stürmischen Fragen empfangen.

»Ist es wahr, Sennor, daß der gnädige Graf heute operirt wird?« fragte Clarissa.

»Ja.«

»Also wirklich!« rief Sennor Gasparino Cortejo.

»Wirklich!« antwortete Sternau.

Da trat der junge Graf an ihn heran und sagte mit finsterer Miene und strengem Tone:


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»Sennor, ich fordere Euch auf, die Sache noch zu überlegen. Seid Ihr überzeugt, daß Euch der Schnitt gelingen wird?«

»Nein, aber ich hoffe es.«

»Hoffe es! Also auf Grund einer vagen Hoffnung tretet Ihr an ein so hochwichtiges Unternehmen. Könnt Ihr dies vor Gott und Eurem Gewissen verantworten?«

»Ja,« lautete die ernste und bestimmte Antwort.

»So fordere ich als Sohn des Kranken, daß Ihr Euch wenigstens durch einige hervorragende Operateurs assistiren laßt!«

Sternau blickte ihm mit einem Lächeln, welches die Gewalt eines Lanzenstoßes hatte, in das Gesicht und antwortete:

»Ich habe nicht die mindeste Lust, Scenen zu wiederholen, welche glücklicherweise vorübergegangen sind. Uebrigens ist mir der Wunsch seiner Erlaucht so vollständig maßgebend, daß ich die Ansicht eines Zweiten nicht berücksichtigen kann.«

»Ah, soll das eine Beleidigung sein?« zischte der Graf.

»Eine Beleidigung kann nicht in meiner Absicht liegen,« antwortete Sternau sehr gleichmüthig.

»Auch ich bestehe darauf, daß noch weitere chirurgische Kräfte herbeigezogen werden!« rief der Notar.

»Ich ebenso!« stimmte die fromme Schwester bei.

»Meine Entscheidung ist gefallen und ich habe keine Veranlassung, das Geringste an ihr zu ändern,« erklärte Sternau.

»Oho! Wer hat hier zu befehlen?« fragte Alfonzo. »Ich meine doch, hier mehr zu gelten, als jeder Andere!«

»Und ich als Sachwalter Seiner Erlaucht bin auch nicht gewohnt, überhört zu werden!« fügte Cortejo hinzu.

Sternau machte eine abwehrende Handbewegung und sagte sehr ernst und nachdrücklich:

»Sennores, ich gebe Ihnen zu bemerken, daß nur der Arzt zu befehlen hat, kein Anderer! Die Operation wird in zehn Minuten beginnen. Ich werde jede Störung energisch zurückweisen.«

»Das wollen wir sehen!« rief Alfonzo.

»Ja, das werden wir sehen!« erklang die scharfe Antwort. »Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß die kleinste Aufregung dem Grafen gefährlich werden muß, und mache Sie verantwortlich für Alles, was geschehen könnte!«

»Wir werden beiwohnen!« meinte der Graf Alfonzo.

»Ich werde allerdings einiger Handreichungen bedürfen; wer dieselben zu leisten hat, das habe nur ich zu bestimmen. Ich erkläre mit aller Aufrichtigkeit, daß es mir scheint, als ob es hier Personen gebe, welche an einer Wiederherstellung Seiner Erlaucht keinen Gefallen finden, und werde demnach meine Maßregeln treffen. Contezza Rosa, darf ich Sie bitten, mir bei der Operation behilflich zu sein?«

»O, wie gern werde ich dies thun, wenn es in meinen Kräften steht,« antwortete sie.

»Es wird nicht über Ihre Kräfte und Gefühle gehen. Damenhilfe ist nothwendig. Vielleicht ist Miß Amy so freundlich, sich Ihnen anzuschließen?«


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»Ich danke Ihnen, daß Sie mir dieses Vertrauen schenken!« antwortete die Engländerin zustimmend.

»Und ich?« fragte die Schwester Clarissa.

»Sie darf ich nicht bemühen, Sennora!« antwortete Sternau kurz und kalt.

»Warum?« fragte sie scharf.

»Ihre Nerven entbehren der nothwendigen Festigkeit.«

»Wie wollen Sie mir dies beweisen?« fragte sie in einem geradezu herausfordernden Tone.

»Sie wurden beim Anblicke meiner kleinen Wunde so schwach, daß ich Sie stützten mußte. Wie wollen Sie bei einer lange Zeit in Anspruch nehmenden Operation aushalten!«

»Aber ich muß ganz entschieden darauf dringen, dabei zu sein!« sagte Alfonzo.

»Und ich muß es Ihnen ganz entschieden verweigern! Ich brauche keine Herren. Nur einen einzigen werde ich um eine Gefälligkeit ersuchen. Sennor de Lautreville, darf ich mich an Sie wenden?«

»Ich stelle mich zur Verfügung!« antwortete Mariano schnell.

»Ich habe Ihnen eine eigenthümliche Bitte vorzutragen, aber ich bin überzeugt, daß Sie mir dieselbe erfüllen werden.«

»Sprechen Sie!«

»Sie kennen die Fenster, welche zu den Zimmern Seiner Erlaucht führen!«

»Ja.«

»Dann bitte, richten Sie es ein, unter diesen Fenstern während der Operation einen kleinen Spaziergang zu machen. Ihre Anwesenheit wird mir die beste Bürgschaft sein, daß jede gefährliche Störung von dieser Seite abgehalten wird.«

Der Lieutenant verneigte sich mit einem verständnißvollen Blicke und sagte:

»Ich errathe, was Sie meinen, und stelle mich gern zur Verfügung, denn es kann nur eine Ehre für mich sein, einen Vorgang in Schutz zu nehmen, welcher einem edlen Manne das kostbare Gut des Augenlichtes wieder geben soll.«

»Eine Ehre?« fragte Alfonzo höhnisch. »Eine Schande ist es vielmehr, ja geradezu eine Schande, sich als Kettenhund eines Arztes brauchen zu lassen!«

Da trat Mariano mit zwei raschen Schritten auf ihn zu und fragte:

»Werden Sie dieses Wort augenblicklich zurücknehmen?«

»Nein!« lautet die zornige Antwort. »Ich wiederhole es sogar!«

»Wohl, so werden Sie mir diejenige Antwort geben, welche unter Kavalieren gebräuchlich ist!«

»Sie? Ein Kavalier?« rief Alfonzo. »Sie sind ja -«

Er konnte nicht weiter reden, denn der Notar trat auf ihn zu und legte ihm die Hand fest auf den Mund.

»Halt, Graf!« warnte er. »Wir haben weder die richtige Zeit noch den rechten Ort zu einem solchen Gespräche.«

»Das ist auch meine Meinung,« erklärte der Arzt. »Uebrigens, Sennor de Lautreville, wenn Sie eines Sekundanten bedürfen, so stelle ich mich Ihnen gern zur Verfügung. Ich ersuche Sie und die Damen, mir zu folgen!«

Die beiden Mädchen waren so bestürzt und erschrocken, daß sie ihm wortlos folgten; auch der Lieutenant ging, ohne einen einzigen Blick auf die Zurückbleibenden


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zu richten. Diese warteten lautlos, bis die Schritte der sich Entfernenden verklungen waren, dann sagte der Notar:

»Unvorsichtiger! Fast hättest Du Alles verrathen!«

»Was hätte dies geschadet!« grollte Alfonzo. »Welche Wonne, die Gesichter dieser Menschen zu sehen, wenn sie erfahren hätten, daß der Kerl ein Räuber ist!«

»Und welche Wonne, wenn er ihnen dann gesagt hätte, daß er an Deine Stelle gehört! Er ahnt dies nicht blos, sondern er weiß es sogar, und scheint nur noch entdecken zu wollen, welcher Abstammung Du bist. Ich werde dafür sorgen, daß er uns nicht mehr belästigen kann!«

»Und dieser Mensch, der Arzt!« zürnte Schwester Clarissa. »Trat er nicht auf, als ob er Herr von Rodriganda sei! Ja, diese Sünder gehen in der Welt umher wie brüllende Löwen und suchen, wen sie verschlingen. Aber der Gerechte wird seines Glaubens leben und sie alle besiegen!«

»Wie er dafür sorgte, daß keine Störung eintreten kann!« grollte der Notar. »Und doch, dennoch soll die Heilung gestört werden! Er hat selbst gesagt, daß eine jede Aufregung des Kranken schädlich werden könne. O, wir werden bemüht sein, eine Aufregung hervorzubringen, die groß genug ist, die Operation wieder auszugleichen!«

Während im Salon diese feindseligen Worte fielen, trat der Arzt mit den beiden Damen bei dem Grafen ein. Er postirte zwei Diener vor die Thür des Vorzimmers und verschloß dasselbe dann. Der Graf hatte ihn bereits erwartet und erwiderte seinen Gruß mit Freundlichkeit.

»Wen bringen Sie mir mit, Sennor?« fragte er, als er den leisen Schritt der Damen hörte.

»Ich bringe Ihnen Contezza Rosa und Miß Amy Lindsay, auf deren zarte Hände ich mich mehr verlassen kann, als auf andere Hilfe.«

»Ich danke Ihnen, Doktor! Sie sind meinem Herzenswunsche entgegen gekommen. Wo ist mein Sohn?«

»Er befindet sich im Salon und läßt sich entschuldigen. Ich mußte mir seine Begleitung verbitten.«

»Werden die Damen standhaft genug sein, Sennor?«

»Ich glaube, Sie darüber beruhigen zu können, Don Emanuel. Diese Operation ist keine Amputation, welche die Nerven des Zuschauers beängstigt. Die Damen haben mir nur kleine Handreichungen zu leisten. Gestatten Sie mir aber die Frage, in welcher Stimmung Sie sich befinden!«

Ueber das Gesicht des Grafen ging ein helles, vertrauensvolles Lächeln, und er antwortete, indem er die Hände faltete:

»Ich bin mit mir und meinem Gotte zu Rathe gegangen und lege mein Auge ohne Zagen in Ihre Hände. Der Schlaf bemächtigt sich des Körpers; aber der Geist beschäftigt sich im Traume mit Allem, was man im Wachen fühlt, denkt und thut. Es träumte mir, daß Sie mir die Augen öffneten. Ich sah die schöne Gotteswelt; ich erblickte das Angesicht meines guten Kindes; ich sah auch Sie und den Lieutenant - aber,« setzte er seufzend hinzu, »ich sah nicht meinen Sohn, sondern einen Fremden, dessen Angesicht und Rede ich nicht verstand. Was haben Sie da? Ich höre es klirren.«


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»Es sind meine Instrumente.«

»Darf ich sie befühlen?«

»Ich gehöre nicht zu den Aerzten, welche den Patienten stets für schwächer halten als er ist. Sie dürfen diese Instrumente getrost kennen lernen, bevor ich sie anwende.«

Er reichte dem Grafen die Werkzeuge einzeln entgegen.

Dieser betastete nach einander Augenspiegel, Nadeln, Messer, Schnepper, Augenhalter, Liderhaken, Scheeren, Pincetten, Linsenkapselöffner, Presser, Löffel, Sonden, Bistouris und Scalpells, Spritzen, Troicars, Augenwannen, Koreonkions, Compressorien, Röhren und Perforatorien. Dann sagte er ruhig:

»Diese Instrumente erschrecken mich nicht. Sie sind Gehilfen Ihres Geistes und Ihrer Geschicklichkeit, die ich lieb haben muß und denen ich mich gern anvertraue. Wann können wir beginnen?«

»Sogleich. Doch erlauben Sie mir vorher eine Probe!«

Er zog sich ein Haar aus dem Kopfe und hielt es gegen die silberweiße Tapete des Gemaches, um zu sehen, ob seine Hand fest sei oder zittere. Das Experiment hatte ein befriedigendes Resultat und darum gab er dem Ruhebette, welches der Graf einnehmen sollte, die richtige Lage, legte sich die Instrumente handlich zurecht und erklärte den Damen, worin die Hilfeleistungen bestanden, die er von ihnen erwartete. Als er sich dann nochmals überzeugt hatte, daß nicht das Geringste vergessen sei, trat er an das Fenster und richtete seine Augen hinauf zum Himmelsblau. Er sagte kein hörbares Wort; seine Lippen bewegten sich nicht, aber dennoch stieg es den beiden Mädchen siedend heiß aus dem Herzen in die Augen herauf, und Rosa umarmte leise den Vater und flüsterte ihm zu, während einige schwere Thränentropfen aus ihrem Auge auf seine Wangen fielen:

»Vater, er betet.«

»Ich ahnte es,« antwortete er ebenso leise. »Er wird mich retten, oder Keiner!«

Außer den drei Verschworenen gab es in diesem Augenblicke wohl keinen Menschen im Schlosse, welcher nicht aus tiefstem Herzensgrunde gebetet hätte, daß das schwere Werk gelingen möge.

Auch der Lieutenant, welcher mit leisen Schritten unter den Fenstern promenirte, hatte unwillkürlich die Hände gefaltet.

»Herr, mein Gott,« flüsterte er inbrünstig, »sei barmherzig und höre auch den Räuber an! Gieb dem Kranken den Anblick des Sonnenlichtes wieder, und ich will Dich preisen in alle Ewigkeit. Amen!«

Eine halbe Stunde war bereits vergangen, seit Mariano sich auf seinem Posten befand; da trat der junge Graf aus dem Portale. Er hatte sich zur Jagd gerüstet und führte zwei Hunde an der Leine. Die Diener schüttelten die Köpfe, daß dieser Mann es über sein Herz brachte, auf die Jagd zu gehen, während das Schicksal seines Vaters entschieden wurde.

Eben als er in der Nähe des Lieutenants vorüberging, erblickte er auf dem Gipfel eines Baumes eine Krähe. Rasch riß er das Doppelgewehr von der Schulter und legte an.

»Ein schönes Ziel! Paßt auf den Vogel, Pluto, Pollux! Apporte!«


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Er wollte losdrücken, kam aber nicht dazu.

»Schurke!« klang eine Stimme in sein Ohr. Weiter hörte er nichts, sondern brauste und rauschte es um ihn; es wurde ihm blutroth vor den Augen und der Athem verging.

Mariano war herbeigesprungen, hatte ihm die Hand um die Gurgel gelegt und mit der andern das Gewehr ergriffen. Unter dem gewaltigen Drucke der Faust des Jünglings sank der junge Graf laut- und leblos zu Boden. Nicht einmal die beiden Hunde hatten eine Bewegung zu seiner Vertheidigung unternommen; er war sogar den Thieren verhaßt und zuwider.

Einige der Diener hatten es gesehen und kamen herbei. Unter ihnen befand sich auch der Kastellan.

»O, heilige Madonna, er wollte schießen!« wehklagte der brave Alimpo. »Er wollte den Sennor Doktor stören! Das sagt auch meine Elvira! Was sollen wir mit ihm thun?«

»Nichts,« antwortete der Lieutenant. »Wenn Ihr Euch an ihm vergreift, so würde er sich an Euch rächen!«

»So ist er noch nicht ganz todt?«

»Nein. Es fehlt ihm nur der Athem.«

»Ah, wenn er todt wäre - ah - ah - Das wäre - das wäre jammerschade um den jungen Herrn!«

Man sah es dem guten Kastellan an, daß er eigentlich das Gegentheil hatte sagen wollen.

»Bekümmert Euch nicht um ihn. Ich werde ihn dahin bringen, wo er nicht schaden kann.«

Der Lieutenant hob Alfonzo auf, trug ihn in das Schloß, stieg eine Treppe hinab, legte ihn in eins der dort befindlichen Kellergewölbe, welches er verschloß, zog den Schlüssel ab und begab sich wieder auf seinen Posten.

Nur wenige Augenblicke später wurde die Kastellanin zur Contezza in die Zimmer des Grafen beordert. Als sie die Krankenstube mit unhörbaren Schritten betrat, saß der Graf in einem tiefen Polsterstuhle, und der Arzt war beschäftigt, ihm die Binde zurecht zu rücken.

»Nun Alles verhängen,« sagte der Letztere. »Ich brauchte bisher das Licht; jetzt aber müssen sogar die hellen Wände verdeckt werden - aber ohne Geräusch, bitte ich!«

Es herrschte noch der eigenthümliche Geruch des Chloroforms in dem Raume. Das Gesicht des Grafen war, so weit man es sehen konnte, leichenblaß, aber seine Stimme klang leise zwar, aber doch fest, als er fragte:

»Doktor, werden Sie aufrichtig sein?«

»Ja, Don Emanuel,« antwortete Sternau, indem seine Augen leuchteten.

»Ist - ist es - - ist es gelungen?«

»Werden Sie stark genug sein, die Wahrheit zu hören?«

»Ja, Sennor. Aber Ihre Frage sagt mir bereits, daß ich nichts zu hoffen habe!«

»Nein, Don Emanuel, das sagt sie nicht; aber auch die Freude ist schädlich!«

»O, mein Gott, also darf ich hoffen?«


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»Hm, ja.«

»Ein wenig?«

»Ganz, nach dem Sie sich verhalten, gar nichts, ein wenig, oder auch sehr viel. Ich bitte Sie, recht ruhig zu sein. Morgen werde ich mehr sagen können.«

Der Graf seufzte leise. Aber Rosa faßte die Hand des Arztes und flüsterte, dem Vater unhörbar:

»Bitte aufrichtig mir gegenüber zu sein!«

Da leuchtete es wie eine hohe, stolze Freude aus dem männlich schönen Angesichte des Arztes; seine Brust hob sich unter einem tiefen, erlösenden Athemzuge, und er antwortete, ebenso flüsternd:

»Es ist gelungen!«

»O, mein Gott, er wird sehen lernen?«

»Ja; aber bst, leise! Die Freude ist ebenso gefährlich, wie jeder andere Affect.«

Da konnte sie sich nicht halten. Trotz der Gegenwart der der Freunde und der Kastellanin legte sie ihre Arme um ihn, und streckte ihm ihre vollen, blühenden Lippen zum leisen, leisen Kusse entgegen.

Die gute Elvira hätte, als sie dieses sah, beinahe vor Ueberraschung laut aufgeschrieen; sie bezwang sich jedoch glücklicherweise noch, und tröstete sich mit dem Gedanken:

»Das soll mein Alimpo erfahren. O, heilige Lauretta, wie wird er sich wundern und freuen!«

Auch Miß Amy war erstaunt, konnte aber nicht umhin, der Freundin Recht zu geben. Sie zog dieselbe an sich, und küßte sie wortlos auf dieselben Lippen, welche einige Augenblicke zuvor der Mund des Arztes berührt hatte. Dieser Letztere verließ das Zimmer auf einige Augenblicke, um den Lieutenant abzulösen.

»Ah, fertig, Sennor?« fragte dieser, als er ihn erblickte.

»Ja.«

»Und wie ist - - ach, ich brauche nicht zu fragen; Eure Augen sagen deutlich, daß Ihr nicht unglücklich gewesen seid.«

»Nein, bei Gott nicht. Die Operation ist noch besser gelungen, als ich erwartete; dies muß jedoch dem Kranken noch verschwiegen bleiben. Was ist dies für ein Gewehr?«

»Es gehört Don Alfonzo, den ich arretirt habe,« antwortete Mariano finster.

»Arretirt? Weshalb? Wieso?«

Der Lieutenant erzählte das Vorkommniß, und der Arzt hörte mit wachsendem Zorne zu. Als der Erstere geendet hatte, sagte der Letztere:

»Welch' ein Mensch! Welch' eine Schändlichkeit! Ohne Absieht kann dies gar nicht geschehen sein! Und das will der Sohn seines Vaters sein!«

Mariano hätte jetzt eine Bemerkung machen können, aber er hielt an sich und schwieg. Der Arzt fuhr fort:

»Was beabsichtigen Sie nun, mit ihm zu thun?«

»Das zu bestimmen, überlasse ich Ihnen, Sennor. Sie müssen am besten wissen, ob er schädlich ist.«

»Hätte er vorhin geschossen, so war es sehr leicht möglich, daß der Graf aus


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der Betäubung erwachte, und die Operation gefährdet wurde. Jetzt aber - hm, führen Sie mich zu ihm. Ich werde mit ihm sprechen.«

Sie gingen nach dem Gewölbe, welches der Lieutenant öffnete. Graf Alfonzo hatte ihr Kommen gehört und stand hinter der Thür. Er wollte sich mit beiden Fäusten auf Mariano stürzen, aber in demselben Augenblicke faßte ihn der Arzt bei den Armen und hielt ihn so fest, daß er sich kaum regen konnte.

»Räuber! Banditen!« knirschte er.

»Schimpft so viel Ihr wollt, Sennor!« sagte Sternau. »Was so ein Mensch sagt, wie Ihr seid, berührt uns keinen Pfifferling. Wir werden Euch wieder frei lassen; vorher aber habe ich noch ein Wort mit Euch zu reden.«

»Packt Euch fort, Ihr Schurken! Ich lasse Euch aus der Thür werfen.«

»Nur ruhig, mein Lieber! Ich lasse Euch nicht eher los, als bis Ihr mich ruhig angehört habt.«

»So redet!« herrschte er den Arzt an.

Ach habe Euch zu sagen, daß Euer Verhalten mir außerordentlich verdächtig vorkommt. Ich kann zwar die Ursache nicht ergründen, aber wenn Ihr Euch Eurem Vater naht, ehe ich es erlaube, oder wenn Ihr das Geringste unternehmt, was ihm schaden könnte, so mache ich Euer Verhalten in den Blättern öffentlich bekannt, und übergebe Euch den Gerichten!«

»Thut es doch, thut es!« rief er. »Ich werde Euch Beide dann dafür auspeitschen lassen.«

Das war dem Lieutenant denn doch zu viel. Er hatte sein Geheimniß auf das Strengste bewahren wollen, jetzt aber konnte er sich doch nicht ganz beherrschen. Er legte Alfonzo die Faust auf die Achsel und sagte:

»Mensch, wage noch eine solche Drohung, so schlage ich Dich zu Boden! Meinst Du etwa, die Gerichte nicht fürchten zu müssen, Du und Deine sauberen Eltern? Der Staatsankläger mag entscheiden, ob Du wirklich ein geborener Graf de Rodriganda-Sevilla bist! Packe Dich, Kanaille!«

Er gab Alfonzo einen so fürchterlichen Hieb, daß der Getroffene aus den Händen des Arztes, trotzdem ihn diese so fest gepackt hielten, an die Mauer flog. Er taumelte zurück, raffte sich jedoch schnell auf, und sprang die Treppe empor.

»Mein Gott, was war das?« fragte der Arzt. »Der Mensch ist nicht der Sohn des Grafen Emanuel?«

Jetzt erst merkte der junge Mann den Fehler, welchen er begangen hatte. Er fuhr sich mit der Hand nach der glühenden Stirn und sagte:

»Sennor, könnt Ihr schweigen?«

»Ja,« sagte Sternau einfach und herzlich.

»Ich habe Euch lieb; Ihr seid ein ganzer Mann. Wollt Ihr mein Freund sein?«

»Gern, sehr gern, denn auch ich habe Euch lieb, Sennor. Hier ist meine Hand!«

»So erfüllt mir eine Bitte!« bat Mariano, in die Rechte des Arztes einschlagend.

»Welche?«

»Schweigt jetzt noch von dem, was Ihr gehört habt!«


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»Sagt mir vorher, ob Ihr die Wahrheit spracht!«

»Ich glaube, daß es die Wahrheit ist. Ich muß noch Zeit haben, diese schwierige Angelegenheit zu untersuchen. Bis dahin aber ist unbedingte Verschwiegenheit nothwendig.«

»Gut, ich werde schweigen, doch unter der Bedingung, daß ich als Freund dann später auf Euer Vertrauen rechnen kann!«

»Das könnt ihr, ja bei Gott, das könnt Ihr, Sennor.«

»So mag diese Angelegenheit einstweilen ruhen, obgleich ich mich in Gedanken sehr mit ihr beschäftigen werde. Jetzt aber muß ich schleunigst zum Grafen, denn ich muß gewärtig sein, daß dieser Alfonzo zu ihm gegangen ist, um meine Erfolge zu Nichte zu machen.«

Er fand glücklicherweise, daß Alfonzo diesen Weg nicht eingeschlagen hatte; er war vielmehr sogleich zu der Schwester Clarissa geeilt.

»Mutter,« rief er beim Eintreten, »schicke sofort zum Vater! Es ist etwas ganz und gar Unerhörtes geschehen.«

Die fromme Schwester fuhr erschrocken von ihrem Sitze auf.

»O, du gütiger Himmel, welche Unvorsichtigkeit!« zürnte sie. »Du schreist ja, als ob Dich Niemand hören könnte. Was ist geschehen?«

»Eine Ruchlosigkeit, wie es keine zweite giebt, eine Nichtswürdigkeit sondergleichen. Dein Mädchen war nicht im Vorzimmer; ich werde den Vater gleich selbst holen!«

Er eilte fort und kehrte in kurzer Zeit mit dem Notar zurück, um zu erzählen, was ihm widerfahren war. Die beiden Alten erschraken auf das Aeußerste.

»Was thue ich? Sagt es mir!« rief Alfonzo noch immer ganz erregt.

Da erhob sich der Notar, und sprach in strengstem Tone:

»Schweigen, ja schweigen sollst Du! Du hast einen fürchterlichen Fehler begangen. Wer hat Dir befohlen, unter dem Fenster des Grafen zu schießen, ha? Du bringst Dich, uns und unsern ganzen Plan in Gefahr. Hier giebt es keine andere Hilfe, ich muß sofort nach Barcelona zum Kapitain Landola. Ich habe soeben eine Depesche erhalten, daß er nicht kommen kann, da er das Ausladen seiner Güter überwachen muß. Der Steuermann, dessen Arbeit dies eigentlich ist, ist krank geworden.«

»Wenn reisest Du?« fragte die fromme Schwester.

»Bereits in einer halben Stunde. Aber ich verlange unbedingten Gehorsam! Höre ich von einer weiteren Unvorsichtigkeit, so ziehe ich meine Hand von Dir ab. Verstanden, Bursche! Jetzt gehe!«

Das hatte Alfonzo nicht erwartet. So hatte sein Vater noch nie mit ihm gesprochen, und er verließ das Gemach, ohne ein Wort der Entgegnung zu wagen.

Es war drei Tage später, als in der frühen Morgenstunde Sternau mit dem Lieutenant im Parke spazieren gegangen war. Er hatte während dieser Tage den Grafen keinen Augenblick verlassen, und jetzt zum ersten Male einen Mund voll Gartenluft haben wollen.

Sie trafen vor einem Blumenbosquet die Kastellanin, welche Blüthen in die Schürze pflückte.

»Guten Morgen, Sennores!« rief sie ihnen bereits von weitem entgegen.


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»Seht diese prachtvollen Rosen! Ja, am heutigen rnuß man die schönsten pflücken; das sagt mein Alimpo auch.«

»Was ist's mit dem heutigen Tage?« fragte Sternau.

»Wie? Das wißt Ihr nicht?« fragte sie ganz erstaunt.

»Nein.«

»Daß der Geburtstag unserer lieben, gnädigen Contezza ist!«

»Ah! Wirklich? O, da muß man ja gratuliren!«

»Natürlich! Sie ist bereits längst munter. Auch der gnädige Herr sind wach und haben mich eben in den Garten geschickt. Er will ihr in seinem Zimmer bescheeren.«

»Davon hat er mir ja nicht das Mindeste gesagt!« meinte der Arzt.

»Vielleicht hat er auch Euch mit überraschen wollen. Die Geschenke sind bereits gestern angekommen. Geht hinauf, Sennor; Ihr könnt mit Blumen legen helfen.«

Fünf Minuten später befand sich Sternau bei dem Grafen und war beschäftigt, den Letzteren und die Kastellanin beim Ordnen und Dekoriren der reichen Geschenke zu unterstützen. Dann ging Frau Elvira, um Rosa zu holen. Sternau wollte sich zurückziehen, aber der Graf gab es nicht zu.

»Bleiben Sie, Doktor,« bat er. »Ihre Gegenwart macht mir die Freude zu einer doppelten.«

Die Contezza erschien. Sie trug ein einfaches, weißes Halbnegligee, welches die schönen Formen ihrer königlichen Gestalt auf das Entzückendste hervorhob. Sie reichte beiden Männern das Händchen, freute sich kindlich über die Ueberraschung und dankte dem Vater durch eine innige Umarmung.

»Elvira sagte mir, daß auch Sie mit besorgt gewesen seien, mich zu erfreuen. Ich danke Ihnen,« sagte sie zu Sternau.

Dieser zog die Hand, welche sie ihm nochmals reichte, innig an die Lippen und antwortete:

»Was ich that, ist nur eine Kleinigkeit; aber wenn Sie es mir gestatteten, so würde ich es wagen, diesen Tag mit einer wirklichen Gabe zu feiern. Darf ich?«

Sie erröthete, sagte aber:

»Aus Ihrer Hand ist mir jede Gabe, auch die kleinste werth.«

»So wollen wir es wagen! Gott gebe seinen Segen!«

Er trat zum Grafen und nahm ihm die Binde von den Augen.

»Wenden Sie sich vom Fenster ab, Erlaucht!« bat er, zitternd vor Erwartung. »Sehen Sie Ihr Kind?«

Das war so rasch gekommen, daß der Graf die Augen geschlossen hielt, als die Binde bereits entfernt war. Er stand an dem mit Blumen bedeckten Tische, auf welchen er sich mit der Hand stützte, und wußte nicht, wie ihm geschah. Doch endlich faßte er sich und flüsterte:

»Welch' großer Tag! Welch' heiliger Augenblick! Mein Jesus und mein Gott, laß es gelingen!«

Er zitterte am ganzen Körper und schlug langsam die Augen auf. Sternau stand hinter ihm und konnte sein Angesicht nicht beobachten; aber er sah, daß sich die Arme des Grafen voll Sehnsucht und Entzücken erhoben, daß er einige Schritte vorwärts trat, der Tochter entgegen, und dabei rief:


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»Heiliger Himmel! Ist es wahr? Ist es kein Traum? Ich sehe! Ich sehe einen Engel, einen Engel, so schön, so licht, so rein und so herrlich! Sennor Doktor, ist dies Wirklichkeit?«

»Es ist Wirklichkeit!« antwortete Sternau mit tiefer, bebender Stimme, indem sein Auge voll dicker Thränen stand.

»O, du hochgelobte Dreieinigkeit, ist es wahr! Und dieser Engel, wer ist es?«

»Vater, Du meinst doch mich! Du siehst mich! Ich sehe es Deinen Augen an!« jubelte Rosa.

Sie warf sich in die ausgestreckten Arme ihres Vaters. Diesen übermannte das Entzücken so, daß er in das Polster des Divans sank und die Augen schloß.

»Um Gott,« rief Rosa, »er ist ohnmächtig; es wird ihm und seinen Augen schaden!«

»Haben Sie keine Sorge, Contezza!« bat Sternau. »Er ist nur erschüttert, aber nicht ohnmächtig. Und seine Augen sind gesund; sie halten diese Freude sicher aus.«

»Ja, sie halten sie aus!« flüsterte der Graf mit seligem Lächeln. »Ich fühle es. Ich darf sie öffnen.«

Er schlug die Augen wieder langsam auf und trank die Seligkeit aus dem entzückten Blicke seines herrlichen Kindes. Rosa wechselte mit Jubeln und Weinen; sie küßte mit Inbrunst die erstarkten Augen ihres Vaters, sie sprang von demselben weg und warf sich unbesorgt in die Arme des Doktors; sie eilte zurück, um mit lauten Ausrufen den Vater abermals zu umfangen. Und dieser konnte den Blick nicht von ihren Zügen wenden. Er drückte sie an sich, er herzte sie, er nannte sie bei den süßesten Namen. Und dazwischen faltete er zehn- und zwanzigmal die Hände, um Gott zu danken für die unbeschreibliche Freude dieser Stunde. Und endlich rief er, sich auf seine jetzt so nahe liegende Pflicht besinnend:

»Aber Sennor, Sie vergesse ich ja ganz und gar! Bitte, treten Sie näher, daß ich den Mann sehe, dem ich dies Alles zu verdanken habe!«

Sternau trat zu ihm und reichte ihm die Hand. Noch standen die schweren Thränentropfen in seinen Augen. Der Graf nahm die ausgestreckte Rechte des Arztes liebevoll zwischen seine beiden Hände und blickte ihm lange, lange Zeit wortlos in das Angesicht.

Der Graf nahm ...

»Ja,« sagte er endlich. »So habe ich Sie mir gedacht, so hoch und stark, so stolz und mild, so wahr und klar, so offen und freundlich, Sennor, ich kann Ihnen nicht danken, aber ich gehöre Ihnen, so lange ich lebe!«

Er zog Sternau an sich und küßte ihn, als ob er einen Sohn vor sich habe.

»Und nun die Anderen, Sennor!« bat er.

»Don Emanuel, lassen Sie es einstweilen genug sein!« antwortete der Arzt. »Schonen Sie sich und warten Sie bis zum Nachmittage. Diese Entsagung wird sich belohnen.«

»Auch meinen Sohn nicht?«

»Auch diesen nicht!« bat Sternau, dem plötzlich ein Gedanke durch den Kopf ging. »Contezza Rosa gehört ja Ihnen; die Anderen sehen Sie in der Dunkelstunde, wenn die Sonnenstrahlen ihre Schärfe verloren haben. Bitte, gehorchen Sie mir nur noch diesesmal!«


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»Ich gehorche,« sagte der Graf. »Aber ich will mich nicht allein freuen. Rosa, sorge dafür, daß ganz Rodriganda sich freut. Man soll ein Fest feiern, ein großes Fest, und wer eine Bitte hat, der soll sie Dir sagen, nicht Sennor Gasparino oder Alfonzo, sondern Dir, und wenn es möglich ist, so werde ich sie erfüllen. Alle meine Beamten sollen heute ein Monatsgehalt gratis erhalten. O, ich werde - ich werde -«

Er sann nach und wandte sich dann an Sternau:

»Sennor, haben Sie Verwandte?«

»Eine Mutter und eine Schwester,« lautete die Antwort.

»In Deutschland?«

»Ja, in Mainz.«

»Glauben Sie, daß ich lesen kann?«

»Sie können es, aber Sie dürfen es noch nicht.«

»Auch nicht ein paar Worte?«

»Das kann ich gestatten.«

»Oder schreiben? Nur eine Zeile oder zwei, mehr nicht!«

»Ist es sehr nothwendig?«

»Ja.«

»So schreiben Sie, aber nicht gegen das Fenster gewendet!«

Der Graf trat an seinen Schreibtisch, zog ein Blankett hervor und füllte es aus. Dann legte er es zusammen und reichte es seiner Tochter.

»Hier, Rosa, mein Kind,« sagte er, »bitte ihn, daß er diese Worte als eine Erinnerung an den heutigen Tag annehme, nicht von mir, sondern von Dir, und nicht für sich, sondern für seine Mutter und Schwester. Was er gethan hat, muß unvergolten bleiben, aber seiner Mutter und Schwester dürfen wir sagen, wie lieb wir ihn haben und wie unvergeßlich er uns sein wird!«

Sie nahm den Zettel und reichte ihn Sternau entgegen. Er trat zwei Schritte zurück und streckte die Hand abwehrend aus.

»Ich wußte es,« sagte sie erröthend; »aber verstehen Sie mich recht; nicht Ihnen soll eine Gabe werden, sondern Sie sollen uns eine Freundlichkeit erweisen, und Sie haben nicht das Recht, etwas zurückzuweisen, was nicht ihnen, sondern Anderen gehören soll.«

Und als er in seiner Haltung verharrte, trat sie ganz nahe an ihn heran, legte ihm das Papier in die Hand und hauchte fast unhörbar:

»Carlos, bitte, nimm es!«

Da konnte er nicht widerstehen. Er gab den Beiden eine Hand des Dankes, aber er ging. Als er auf sein Zimmer kam, war es eine Anweisung auf zweimal je hunderttausend Silberpiaster, ein wahrhaft fürstliches Honorar, welches ihn sofort zum selbstständigen Manne machte.

Als er den Grafen so schnell verlassen hatte, sagte Rosa zu diesem:

»Weißt Du, Vater, daß Du ihn beleidigt hast!«

»Ich glaube nicht, mein Kind. Er soll nicht das Geld, sondern die Gesinnung beachten. Mein Herz ist zum Zerspringen und ich konnte nicht anders. Es soll kein Honorar, keine Bezahlung sein; es ist ja Alles sein, was mir gehört;


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sage ihm dies noch extra, Rosa! Jetzt aber eile und sorge dafür, daß man sich mit mir freue!«

Was Sennor Gasparino Cortejo betraf, so hatte der Graf sich in Beziehung auf diesen einer kleinen Vergeßlichkeit schuldig gemacht. Der Notar hätte heute gar keine Bitte entgegennehmen können, denn er war ja vor bereits drei Tagen nach Barcelona gereist.

Im Hafen dieser Stadt lag zwischen anderen Schiffen ein Dreimaster, welcher am Bug und Stern den Namen »La Pendola« führte. Dieses Wort heißt zu Deutsch »die Feder«. Dies war für den Nichtkenner vielleicht ein sonderbarer Name für ein großes schweres Kauffahrteischiff von drei Masten und mehreren Decks; aber ein Seemann hätte sich über diesen Namen nicht gewundert. Man sah es zwar, daß die »Feder« nicht auf einem amerikanischen Werft gebaut sei, aber sie war doch nach amerikanischem Muster modellirt: Ihr Bug stieg kühn am Vorderdeck empor und der Kiel lag lang und scharf in dem Wasser; dazu war die Takelung eine beinahe klipperartige, so daß sich vermuthen ließ, die »Feder« sei ein außerordentlich schneller Segler und fliege »federleicht« über die Wogen dahin. Freilich sind solche Schiffe auch leicht zum Kentern geneigt; sie »brechen oft das Rückgrat«, wie der Seemann sich ausdrückt, und es gehört ein mehr als gewöhnlicher Seemann dazu, ein derartiges Fahrzeug zu kommandiren.

Nun, ein nicht ganz gewöhnlicher Seemann war Kapitän Henrico Landola; das wußten Alle, die ihn kannten. Und diese Alle sagten einstimmig, daß er trotz seines gut spanischen Namens ein Amerikaner sei, ein echter Yankee, der sich vor dem Teufel nicht fürchte, und wenn es sein müsse, vorn zur Hölle hinein und hinten wieder hinaus segeln werde, ohne eine Spiere oder Stänge zu beschädigen. Er kannte alle Meere und alle Häfen und galt für einen Mann, dem jede Fracht recht sei, wenn er nur Geld verdiene. Ja, man munkelte sogar davon, daß er zuweilen eine Ladung Neger nicht verschmähe, obgleich die Sclaverei auf dem Papiere überall abgeschafft ist und man sich vor den »Kreuzern« sehr in acht zu nehmen hat.

Dieser Mann also lag mit der »Pendola« im Hafen von Barcelona vor Anker und hatte sich heut mit dem Notar Gasparino Cortejo in die Kajüte eingeschlossen, um ungestört über Geschäfte sprechen zu können.

Cortejo saß vor einem großen Stoße von Papieren, welche er durchgerechnet hatte. Er legte die Feder weg und sagte:

»Ich bin mit Euch zufrieden, Landola. Mein Part beträgt dreißigtausend Duros, und soviel gedachte ich für diesesmal nicht zu gewinnen.«

In dem scharfen, verwetterten Gesichte des Kapitäns zuckte keine Miene. Er fragte kalt:

»Und wie steht es? Soll ich zahlen, oder laßt Ihr das Geld im Geschäft, weil ich es brauche?«

»Behaltet es.«

»Gut, abgemacht. Habt Ihr sonst noch etwas?«

»Ich denke.«

»So schießt los!«

»Hm! Könnt Ihr keinen Matrosen gebrauchen?«

»Brauche immer welche. Was für einen?«


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»Den man einmal verliert.«

»Aha! Im Wasser?« fragte Landola mit einem bezeichnenden Lächeln.

»Meinetwegen auch auf dem Lande. Nur wiederkommen darf nicht.«

»Wie damals Don Ferdinando de Rodriganda-Sevilla. Nicht wahr?«

»Pst!« meinte der Notar erschrocken. »Wenn man Euch hörte! Nennt diesen Namen ja nicht wieder!«

»Warum?«

»Don Ferdinando ist ja todt!«

»Ja, schlimmer als todt - verloren - das kann ich beschwören! Wer ist der neue Matrose?«

»Einer, der sich für einen Offizier ausgiebt, aber ein Abenteurer ist.«

»Freut mich! Sind mir die Liebsten! Wo ist er zu finden?«

»Auf Rodriganda.«

»Ah! Wie bringt Ihr ihn her?«

»Ihr sollt ihn Euch holen.«

»Auch schön. Ist er stark?«

»Sehr!«

»Tapfer?«

»Noch mehr!«

»Jung?«

»Anfangs Zwanziger.«

»Das ist gut! Er wird sich wehren?«

»Jedenfalls!«

»Das wollen wir ihm verbieten! Wieviel zahlt Ihr, Sennor?«

»Wieviel verlangt Ihr, Capitano?«

»Dreihundert Duros für Alles: Unbemerktes Abholen, ohne Geräusch, spurloses Verschwinden und niemalige Wiederkehr.«

»Ich gehe darauf ein, obgleich ich weiß, daß er Euch beim Verkauf eine tüchtige Summe einbringt. Schreibt Euch also die Dreihundert über. Wohin werdet Ihr ihn bringen?«

»Hm, weiß noch nicht. Vielleicht nach Borneo oder Celebes. Die Malayen geben dort gern Geld oder gar Edelsteine für Weiße, welche sie ihren Göttern oder Todten zu Ehren schlachten.«

»Ihr seid ein verdammt feiner Pfiffikus, Capitano!«

Der Seemann lachte boshaft und meinte:

»Euch fehlt es auch nicht an dieser verdammten Pfiffigkeit. Wann soll ich den Jungen holen?«

»Könnt Ihr morgen Abend eintreffen?«

»In Rodriganda? Ja. Werde einen hübschen Wagen mitbringen. Wo soll ich halten?«

»Ich werde Euch entgegenkommen. Richtet es ein, daß ich Euch punkt zehn Uhr an der Grenze der Besitzung treffe.«

»Schön! Die Einleitungen überlasse ich natürlich Euch. Es muß ein ungewöhnlicher Kerl sein!«

»Warum?«


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»Sonst gäbt Ihr Euch nicht solche Mühe. Ein Schlückchen Gift, hm! würde viel rascher sein.«

»Ich hasse das Gift. Es ist unzuverlässig und verrätherisch.«

»Unzuverlässig? Hahahaha! Habe da eine Art neues Gift entdeckt, prachtvoll!«

»Wo?«

»In einer alten Scharteke. Will sie Euch einmal zeigen!«

Er schloß ein in der Kajütenwand eingelassenes Schränkchen auf, schob eine Menge schwerer Geldrollen zur Seite und zog ein Heft hervor, dessen Schrift erkennen ließ, daß es mehrere hundert Jahre alt sei. Der Einband und das Titelblatt fehlte. Der Kapitän legte es vor sich hin und schlug es auf.

»Herrliches Buch!« meinte er. »Habe es einem alten deutschen Steuermann abgekauft, der es weiß Gott wo aufgegabelt hatte. Stehen alle möglichen Recepte und Mittels drin, und hier auch das Gift.«

Er fand das Recept, welches also lautete:

   »Item eyn herrlich Gifft für Tott und Wahnsinn.
Man nimbt eyn Töpfleyn Safft von Antiaris toxicaria, welches genannt ißt Antschaar, eyn halbes Töpfleyn Safft des Strichnos Tieute, so man nennt javanische Brechnuß, eyn vierteyl Töpfleyn Safft von Alpinia galanga, welches ißt indischer Galgant und ebenso vill Safft des Zingiber cassamumar, genannt gifftiger Ingwär. Daß siedet man auff die Hälfften ein und hebt es in eyn Flaschen auff. Fünff Tropffen davon machen eyn starken Menschen tott; zwey Tropfen awer gäben ihm in Wahnsinn, so nicht mehr weiß, wer er gewessen ißt.
   Diesser Wahnsinn wierd wieder geheylt durch folgenden Trankk:
Man zerstößt eyn Tassenkopff Capsicum, welches heyßt die strauchigte Beißbeeren und thut darauff eyn halben Tassenkopff Speichel von eyn Menschen, welchem man zu Totte gekietzelt hat, läßt stehen eyn Wochen und thut darauff eyn Löffel scharpfen Essieg, gießt ab und hebt in eyn Flaschen auff. Zwei Tropffen von dieser feynen Artzeneyen nimbt den Wahnsinn wieder hinfort binnen dreyen Tagen.
   Notabene: Kann nur im Landte Asien gemacht werden und ißt erprobt von viellen Menschen, so man Neger, Malaya's oder Wildte nennet.«

»Könnt Ihr diese Schrift lesen?« fragte der Advokat.

»Ja,« antwortete der Kapitän. »Ich verstehe Deutsch.«

»So verdolmetscht mir doch einmal das Zeug!«

Der Kapitän that es. Als er fertig war, fragte der Notar:

»Und dieses Gift habt Ihr?«

»Ja.«

»Wirklich?«

»Versteht sich!«

»Hm! Könnte man wohl einige Tropfen bekommen?«

»Für wen?«

»Das geht Euch nichts an.«

»Für den Jungen etwa, den ich mir holen sollte?«

»Nein.«


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»So, das ist etwas Anderes! Aber das Zeug ist verteufelt theuer.«

»Wie viel?«

»Der Tropfen fünf Duros.«

»Alle Wetter! Aber wirkt es zuverlässig?«

»Auf mein Wort!«

»Kann ich zehn Tropfen haben?«

»Ja. Macht fünfzig Duros!«

»Gebt her, und schreibt Euch die Fünfzig über!«

Der Kapitän griff in dasselbe Schränkchen, nahm eine Arzneiflasche und ein kleines, leeres Fläschchen heraus, in welches er aus der Ersteren genau zehn Tropfen abzählte.

»Hier, Sennor! Das ist grad genug, um Zwei todt oder Fünf wahnsinnig zu machen. Ich hoffe, Ihr werdet mit mir zufrieden sein!«

Diese Unterredung geschah am zweiten Tage nach der Abreise des Advokaten von Rodriganda. Am dritten, also an dem Tage des Festes, kehrte er dorthin zurück. Als er durch das Dorf fuhr, war er nicht wenig überrascht, den ganzen Ort im Festkleide zu erblicken. Die Häuser waren mit Kränzen geschmückt, und die Bewohner trugen ihre Festtagskleider. Erst auf dem Schlosse erfuhr er, was geschehen sei und ging sofort zu seiner Verbündeten, um sich Alles ausführlich erzählen zu lassen.

Als die Dämmerung hereinzubrechen begann, befand sich der Arzt mit Rosa abermals bei dem Grafen. Dieser fragte, ob er nun seinen Sohn sehen könne.

»Ich werde nach ihm schicken,« meinte Sternau, indem er nach dem Vorzimmer ging.

»Der Graf Alfonzo und der Lieutenant Lautreville sollen kommen und dürfen nur zugleich eintreten!« befahl er dem Diener; dann kehrte er wieder zurück.

Mariano hatte keine Ahnung von der Intrigue des Arztes. Er trug heute nicht die Uniform sondern ein kleidsames Civil, und stieß unten im Vorzimmer mit Alfonzo zusammen, der ihn gar nicht beachtete. Der Graf hatte bereits die Binde wieder abgelegt, und erwartete mit Ungeduld den Sohn. Als die Beiden eintraten, fiel sein Auge zunächst auf Alfonzo, glitt aber schnell von diesem ab, und auf den Lieutenant hinüber. Er erhob sich, schritt auf den Letzteren zu, öffnete die Arme und rief:

»Mein Sohn, ich bin sehend! O komm , und freue Dich!«

Bei dieser Scene stieg dem Lieutenant das Blut siedend heiß empor, aber er mußte sich beherrschen. Wie gern hätte er sich an die Brust dieses Mannes geworfen! Es war ihm unmöglich, eine Antwort zu geben, aber er hatte es auch nicht nöthig, zu sprechen, denn Alfonzo antwortete an seiner Stelle:

»Das ist ein Irrthum, Vater, Graf Alfonzo bin ich!«

Der sehend Gewordene heftete seinen Blick schärfer auf den Sprecher, und sagte:

»Wer treibt hier Scherz mit mir? Ihr seid nicht mein Sohn!«

»Und doch bin ich es,« antwortete Alfonzo. »Erkennst Du mich nicht an der Stimme?«

Don Emanuel starrte den Sprecher an, und sagte dann:


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»Diese Stimme, o, diese Stimme! Ja, ich kenne sie, aber als ich sie zuerst hörte, dachte ich nicht, daß sie meinem Sohne gehören könne. Aber, wer ist der Andere?«

»Es ist Lieutenant de Lautreville,« antwortete Sternau.

»Der Lieutenant! O, Sennor de Lautreville, sagt, ob dies wahr ist!«

Mariano wollte das Herz brechen, aber er antwortete:

»Erlaucht, es ist so!«

Da stieß der Graf einen Laut aus, von dem man nicht sagen konnte, ob es ein Seufzer oder ein Schluchzen sei. Er berührte keinen von den Beiden, sondern er drehte sich langsam um, sank auf seinen Sitz und sagte:

»Rosa, sage den Herren, daß sie gehen sollen. Nur Sennor Sternau bleibt mit hier!«

Alfonzo und Mariano gingen. Sie erfuhren nicht, was in des Grafen Zimmer noch gesprochen wurde. Als der Erstere das Zimmer der frommen Schwester erreichte, fand er den Advokaten dort. Sie Beide hatten seine Rückkehr mit allergrößter Spannung erwartet.

»Nun?« fragte Cortejo.

»Er mag nichts von mir wissen!« lautete die Antwort.

»Ah, ich ahnte es! Weiter!«

»Er wollte den Lieutenant umarmen.«

»Dieser war zugegen?«

»Er trat mit mir ein.«

»Alle Teufel, das sieht ja aus, wie eine Berechnung! Was sagte der Graf zu ihm?«

»Er hielt ihn für seinen Sohn.«

»Und als Du den Irrthum natürlich aufklärtest?«

»Da gebot er uns Beiden, uns zu entfernen. Jetzt sitzt dieser Sternau wieder bei ihm.«

»Sollte dieser etwas ahnen, oder gar wissen? Es ist ein Glück, daß es heute anders wird. Morgen wäre es vielleicht zu spät dazu!«

»Heute? Was soll geschehen, mein Lieber?« fragte die fromme Schwester.

»Das werdet Ihr später erfahren. Je weniger heute davon wissen, desto besser ist es für uns. Geht bei Zeiten schlafen, und bekümmert Euch um nichts.«

Auch er begab sich nach seinem Zimmer; bald jedoch verließ er dasselbe, und es schien, als ob er sich noch im Parke ergehen wolle, denn er verschwand mit den langsamen, ziellosen Schritten eines Spaziergängers nach dieser Richtung hin.

Da Sternau und Rosa bei dem Grafen waren, so waren Amy und der Lieutenant auf einander angewiesen. Die Erstere war auch auf eine Viertelstunde zu Don Emanuel gerufen worden, hatte sich aber bald wieder zurückgezogen, da das Gemüth des Grafen sehr gedrückt zu sein schien.

Um der Langeweile zu entgehen, hatte Amy dem Lieutenant vorgeschlagen, einen Gang in das Dorf zu machen. Sie hatten die Venta (Wirthshaus) besucht, wo bei dem Klange der Pfeifen und Zithern getanzt wurde, und kehrten nun nach dem Schlosse zurück. Unweit desselben blieb die Engländerin stehen, und fragte in leisem Tone:


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»Sennor, Sie leiden an einem Geheimnisse?«

»Ja,« antwortete er nach einer kleinen Pause.

»Darf man es nicht erfahren?«

»Jetzt nicht.«

»Sie haben kein Vertrauen zu mir, Sennor?«

»O doch, wie unendliches Vertrauen!« antwortete er. »Aber es giebt Dinge, welche man kaum sich selbst sagen darf.«

»Aber später, darf ich es da erfahren?«

»Miß Amy, Sie werden es sicher erfahren, ganz sicher, wenn ---«

Er stockte, und sie fragte daher:

»Wenn - - -? Was wollten Sie sagen, Sennor?«

»Wenn ich - - wenn ich Sie wiederfinden darf!«

Da nahm sie seine Hand, blickte ihm treu und offen in das Gesicht und sagte:

»Sie dürfen! Ich werde auf Sie warten.«

»Wie lange? O, wie lange? Sagen Sie es mir, Miß Amy!«

Sie legte ihr Köpfchen an seine Brust und antwortete:

»So lange, als ich lebe, denn wenn Du nicht kommst, so sterbe ich.«

Er antwortete nicht; er sagte kein Wort; aber er hielt sie umschlungen lange, lange Zeit, bis sie selbst ihn bat, den Weg fortzusetzen. Er brachte sie noch bis vor die Thür zu ihren Gemächern, und begab sich dann direkt nach seiner Wohnung. Er fühlte sich so glücklich, so selig. Er wollte Niemand treffen, sondern in der Einsamkeit seines Zimmers mit seinen Gefühlen allein sein.

Als vorhin der Notar den Park erreichte, verdoppelte er seine Schritte. Er erreichte die Grenze lange vor zehn Uhr und mußte also bis dahin warten. Landola erschien sehr pünktlich. Er hatte einen zweispännigen Wagen und sechs kräftige Matrosen bei sich. Der Wagen wurde unter Bäumen, die ihn verbargen, in die Obhut eines der Leute gestellt und die Anderen marschirten auf Rodriganda zu.

»Wie wird es gehen?« fragte der Kapitän.

»Sehr leicht,« antwortete der Notar. »Es ist Tanz im Dorfe, wo sich fast die ganze Dienerschaft befindet. Er ist auch hier; ich habe ihn beobachtet. Eine der hinteren Treppen ist frei. Auf ihr führe ich Euch nach dem Korridor und in seine Zimmer, welche unverschlossen sind. Ihr postirt Euch in die Schlafstube und wenn er kommt, so nehmt Ihr ihn fest.«

»Das klingt leicht. Aber wie kommen wir wieder fort?«

»Auf demselben Wege. Ihr wartet, bis ich komme, denn ich hole Euch wieder ab, wenn Alles sicher ist.«

Es geschah, wie der Advokat gesagt hatte. Sie erreichten vollständig unbemerkt den hinteren Theil des Schlosses und gelangten von der Treppe, auf welcher sie die Fußbekleidungen auszogen, auf den erleuchteten Korridor, welcher aber verlassen lag, und in die Wohnung des Lieutenants, in welcher kein Licht brannte. Dort versteckten sie sich.

Als Mariano ahnungslos aus dem Dorfe zurückkehrte, trat er in das Zimmer, welches ihm als Wohnraum diente, und machte Licht. Er riegelte die Thüre zu, welche nach dem Korridore führte, und trat dann in das Schlafzimmer, um sich seiner Oberkleider zu entledigen. Kaum jedoch hatte er den ersten Schritt in den


Ende der fünften Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk