Lieferung 69

Karl May

15. März 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


// 1633 //

Unterdessen hatten sich die weißen Jäger vertheilt und mit ihren sicher treffenden Büchsen gelichtet. Ein jeder ihrer Schüsse kostete einen Mann. Als Bärenherz das zweite Viereck erreichte, war es bereits so dezimirt, daß er sein Pferd gar nicht zum Sprunge ausholen ließ, sondern geraden Laufes in den Feind hineinstürmte, so daß die erschrockenen Franzosen aus einander stoben.

Die Apachen waren durch das Erscheinen ihres vor so langen Jahren verschwundenen Häuptlings förmlich electrisirt worden. Sie sahen nicht die Waffen der Feinde, sie achteten nicht auf den Widerstand, der ihnen entgegengesetzt wurde. Sie mußten das Wiedererscheinen des großen Häuptlings durch einen vollständigen Sieg und durch die Eroberung aller Scalpe feiern. Darum war ihr erneuter Angriff gerade unwiderstehlich.

Die Franzosen wurden wie Halme niedergemäht. Welche von ihnen die Flucht versuchten, wurden sicher von den ihnen nachjagenden rothen Reitern erreicht und niedergehauen. Es war vorauszusehen, daß kein Einziger entkommen werde.

Kein Einziger? Das war denn doch noch die Frage.

Vorhin, als die Franzosen im Halbkreise heranrückten, hatten ihre beiden Flügelpunkte sowohl ober- als auch unterhalb des Forts das Ufer des Flusses berührt.

Oberhalb gab es eine Strömung und da hier der unterwaschene Felsen steil emporstieg, so war es schwer, wenn nicht unmöglich, von hier aus das Fort zu überrumpeln.

Unterhalb aber gab es ruhiges Wasser und große Fels- und Steinbrocken lagen in demselben. Schwamm oder watete man von dem einen zum andern, so fand man genug Deckung, um nicht sofort bemerkt zu werden. Ueberdies war die Böschung des Felsens, auf welchem das Fort stand, nicht so steil wie auf der andern Seite. Sie konnte ohne große Anstrengungen erstiegen werden.

An dem Ende des rechten Flügels, welcher hier das Wasser erreichte, stand ein Sergeant, der gern ein Wenig den Offizier gespielt hätte. Er befand sich später an der Stelle, welche Gérard so wacker vertheidigte, und als die Apachen ihren Angriff machten, ahnte ihm, was da kommen könne.

»Kommt, folgt mir!« gebot er seinen Leuten. »Wir werden umzingelt und niedergemacht, aber ich weiß ein Mittel dagegen.«

»Welches?« fragte Einer, indem er sich den Schweiß von der Stirn wischte.

»Jetzt kommt dem Feinde Hilfe; er wird also einen Ausfall machen. Unterdessen dringen wir von der Wasserseite in das Fort und öffnen das Thor.«

»Bei Gott, das ist wahr. Wir folgen Dir.«

Es waren etwa zehn oder elf Mann, welche mit ihm sich rechts hin nach dem Flusse zogen, ohne von Jemand bemerkt zu werden. Sie stiegen in das Wasser, welches hier nicht allzu tief war, und gelangten von Stein zu Stein an die Böschung der Wasserseite des Forts.

Diese war von Bäumen und Sträuchern besetzt. Droben stand der Mann, welchen Sternau als Wache herbeordert hatte. Er war leider mit keinem großen Scharfsinne begabt. Anstatt sich hinunter an das Ufer zu stellen, wo er Alles, selbst das Geringste hätte bemerken müssen, war er oben stehen geblieben, wo ihm die Bäume aller Aussicht beraubten. Darum hatte er den Sergeant nicht gesehen.


// 1634 //

Dieser kroch mit seinen Leuten an der Böschung empor. Fast bei den obersten Bäumen angekommen, blieb einer seiner Leute stehen, zeigte nach vorwärts und flüsterte:

»Halt! Seht!«

»Was?«

»Ein Mann.«

»Wo?«

»Dort hinter der Glanzeiche.«

Das Auge des Sergeanten folgte der angedeuteten Richtung.

»Wahrhaftig!« sagte er. »Er hat ein Gewehr; er ist jedenfalls ein Wachtposten.«

»Soll ich ihn niederschießen?« fragte Einer.

»Nein. Wir müssen alles Geräusch vermeiden. Der Schuß würde Andere aufmerksam machen. Ich werde ihn erstechen.«

Er pürschte sich leise und vorsichtig von Baum zu Baum, bis er nur noch wenige Schritte von dem Manne stand. Da zog er sein Seitengewehr und holte aus. Ein Sprung, ein Stich und ein Schrei - und der Posten war eine Leiche.

»Jetzt wieder vorwärts!« gebot der Sergeant seinen Leuten.

Sie kamen herbei und erreichten bald die Palissaden. Der Sergeant maß die Höhe derselben mit seinem Blicke und sagte dann:

»Hier können wir nicht hinüber. Es ist unmöglich. Gehen wir weiter.«

Sie schritten längs der Palissaden hin und gelangten fast an die Ostseite des Forts, ehe sie eine Lücke fanden, welche zum Passiren der Vertheidiger offen gelassen worden war. Hier war vorher auch der Erstochene hindurchgekrochen.

Als sie diese Lücke durchschlüpft hatten, befanden sie sich, wie sie bemerkten, im Innern des Forts, und wunderten sich nicht wenig, keinen einzigen Menschen zu sehen. Die bewaffneten Bewohner desselben standen ja auf der andern Seite, und die Frauen und Kinder hatten sich nicht getraut, das Innere ihrer Wohnungen zu verlassen.

»Das Fort ist unser!« sagte der Sergeant. »Hört Ihr es unten brüllen? Der Ausfall hat stattgefunden, ganz wie ich es gesagt habe.«

»Was thun wir aber jetzt?«

»Wir öffnen den Unserigen das Thor.«

»Denkst Du wirklich, daß sie nöthig haben werden, sich zurückzuziehen?«

»Hm, wer kann das wissen. Es waren der Indianer gar zu viele.«

»Indianer? Pah! Ein Franzose flieht vor keiner Rothhaut!«

»Und« - meinte ein Anderer - »was haben wir davon, wenn wir sofort öffnen? Dann kommen Alle und theilen die Beute!«

»Recht hast Du!« meinte der Sergeant. »Wir könnten uns Einiges vorher wegnehmen. Aber verrathen dürfte es nicht werden.«

»Wer soll es verrathen?«

»Nun, irgend Einer von Euch vielleicht gar. Es ist nicht Jedermanns Sache, reinen Mund zu halten.«

»O, es wird sich doch nicht Jemand selbst verrathen! Ich wenigstens nicht.«

»Ich auch nicht - ich auch nicht,« stimmten ihm die Uebrigen bei.


// 1635 //

»Nun, so will ich es einmal wagen,« meinte der Sergeant. »Aber zerstreuen dürfen wir uns nicht, da wir nicht zahlreich sind und doch nicht wissen können, wie viele Feinde sich noch im Fort befinden.«

»So gehen wir von Haus zu Haus.«

»Das nimmt zu viel Zeit in Anspruch. Am besten ist es, das reichste Haus aufzusuchen.«

»Aber wie wollen wir wissen, welches das reichste ist?«

»Hm! In den Kneipen und Läden giebt es immer das meiste baare Geld.«

»Das ist wahr. Wir müßten also ein solches Haus suchen, wenn es eins hier giebt.«

»Es giebt in jedem Fort ein Kaufhaus, also jedenfalls auch hier.«

»Venta glaube ich, nennen die Spanier ein Haus, wo gezecht und verkauft wird.«

»Venta? Vielleicht steht dieses Wort über der Thür. Laßt uns suchen.«

Der Mann hatte richtig gerathen. Das Wort Venta stand über der Thür des alten Sennor Pirnero, welcher Geierschnabel, seinen Stellvertreter, für sich kämpfen ließ.

Da dieses Haus ein Stockwerk besaß und hoch gebaut war, so konnte man von seinem Bodenraume aus, über die Palissaden hinweg, den Kampfplatz beobachten.

Aus diesem Grunde hatte sich Graf Ferdinando dort hinauf begeben. Emma, Karja und Resedilla waren bei ihm. Pepi und Zilli hatten sich in ihr Zimmer eingeschlossen. Pirnero saß unten an seinem gewohnten Fenster und blickte hinaus, hielt sich aber mit beiden Händen die Ohren zu. Jeder Schuß drang ihm in die Seele. Er forderte es von jedem Andern, tapfer zu sein; sich selbst hielt er natürlich für den Tapfersten, doch hütete er sich sehr, diesen großen Vorzug in Anwendung zu bringen.

So allein im Zimmer zu sitzen, das wurde ihm denn doch zu unheimlich. Er faßte den Entschluß, sich Resedilla zu rufen, doch erwies sich dies nicht als nothwendig, denn soeben trat der alte Vaquero ein, welcher als Bote von der Hazienda del Erina gekommen war und sich ganz wacker am ersten Theile des Kampfes betheiligt hatte.

Er machte Miene, sich nach der Küche zu begeben, aber Pirnero hielt ihn zurück.

»Halt! Da bleiben!« sagte er. »Ihr kommt von der Schlacht?«

Obgleich die Vaqueros gewöhnlich mit Du angeredet werden, bediente Pirnero sich jetzt des höflicheren Ihr. Der Mann mußte nicht nur als Bote des Schwagers berücksichtigt, sondern auch als Kämpfer geehrt werden.

»Von der Schlacht?« fragte der Rinderhirt. »Es ist ja nur ein Gefecht.«

»Hm! Welcher Unterschied ist denn da eigentlich zwischen Schlacht und Gefecht?«

»Bei einer Schlacht sind größere Truppenmengen thätig, Sennor Pirnero.«

»Richtig! Aber die Hauptsache habt Ihr vergessen.«

»Welche?«

»Ich will es Euch erklären. Wißt Ihr, was Politik ist?«


// 1636 //

»Ja.«

»Nun, was denn?«

»Wenn Einer kein Esel ist, sondern ein kluger Kopf, ein pfiffiger Kerl.«

Pirnero sah den Mann erstaunt an.

»Das ist sehr richtig!« sagte er. »Darum treiben die Esel niemals Politik. Aber wißt Ihr denn auch, was Diplomatie ist?«

»Ja.«

»Was denn?«

»Wenn die großen Herren, die Präsidenten und Minister einander an der Nase führen.«

»Donnerwetter, Ihr seid kein unebener Kerl! Ja, diese Nasenführerei und Nasendreherei ist Politik und Diplomatie. Die hat nicht ein Jeder; die bekommt man nur durch die sogenannte Abstammung vom Vater auf die Tochter hinüber.«

»Aber wer nun keine Tochter ist?«

»Schadet nichts, wenn er nur eine hat! Mit einem Gefechte nun hat die Diplomatik gar nichts zu thun; aber sie spielt Schach, und die letzten Züge werden in der Schlacht gethan. Darum muß ein guter Diplomat auch ein guter Feldherr sein. Ich zum Beispiel, kenne die Politik sehr genau.«

»Das glaube ich.«

Der Vaquero sagte diese Worte, um nicht für einen unhöflichen Mann gehalten zu werden.

»Und ich bin auch ein sehr guter Diplomat. Meint Ihr nicht?«

»Ich bestreite dies keineswegs, Sennor Pirnero.«

»Folglich muß ich auch ein guter Feldherr sein. Habt Ihr das verstanden?«

»Ja. Aber warum betheiligt Ihr Euch da nicht mit am Kampfe?«

»An einer Schlacht würde ich mich sogleich betheiligen. Ich habe den Prinzen Eugen und auch den alten Dörfflinger gelesen. Auch Kyau war ein tüchtiger General. Aber an einem kleinen Gefechte Theil zu nehmen, das ist einem Diplomaten zu despectirlich.«

»Weil da die Nase nicht in den letzten Zügen liegt?«

»Ja. Aber sagt doch einmal, wie es draußen steht!«

»Gut, sehr gut!«

»Ihr hattet Eure Büchse mit; da habt Ihr wohl auch mit geschossen?«

»Freilich!«

»Wie viele habt Ihr ausgeblasen?«

»Sechs oder sieben.«

»Das ist nicht übermäßig viel,« meinte Pirnero sehr tapfer. »Wehren sich die Franzosen noch?«

»Ja. Aber die Apachen sind gekommen.«

»Alle Teufel! Da ist es mit den Franzosen aus!«

»Auch Jäger waren bei ihnen; der Juarez führte das Heer persönlich an.«

»Der Juarez? Ah ja, der Jäger sagte ja gleich, daß Juarez mitkommen werde. Habt Ihr ihn bereits einmal gesehen?«

»Ja.«


// 1637 //

»Wann und wo?«

»Auf unserer Hazienda. Er kam und übergab dem Herrn auch die nebenan liegende Hazienda Vandaqua.«

»Ich habe ihn noch nicht gesehen, aber hoffentlich kommt er nach vollendetem Siege, um bei mir ein Glas Pulque oder Julep zu trinken. Ich bin nämlich - - - ah! ah!«

Er hielt erschrocken inne, denn soeben öffnete sich die Thür, und der Sergeant trat ein, gefolgt von seinen elf Mann. Er stieß den Kolben auf die Erde und fragte:

»Hier ist eine Venta?«

»Ja,« antwortete der erbleichte Wirth, an allen Gliedern zitternd.

»Wie heißt Ihr?«

»Pirnero. Aber, Sennor, ist denn der Feind bereits im Fort?«

»Allerdings! Ihr seht es ja!«

»Aber, ich denke, wir siegen!« rief er naiv.

Der Franzose lachte höhnisch und meinte:

»Der Teufel wird Euch den Sieg geben. Welche Leute sind in dem Hause hier?«

»Ich!«

»Weiter!«

»Dieser Sennor.«

»Was ist er?«

»Er ist ein Vaquero.«

»Ah, so mag er uns seine Flinte abgeben.«

Der alte Vaquero umfaßte seine Büchse fester und machte ein sehr finsteres Gesicht. Er konnte gar nicht begreifen, wie es den schon halb besiegten Franzosen möglich gewesen war, in das Fort zu gelangen. Er hätte sich am Liebsten vertheidigt; da aber trat Pirnero zu ihm heran und flüsterte ihm zu:

»Um Gotteswillen, macht keine Dummheiten! Ihr bringt uns ins Verderben!«

Bei diesen Worten entriß er ihm die Büchse und trug sie dem Sergeanten hin.

»Hier, Sennor, habt Ihr das Gewehr,« sagte er. »Ihr mögt es als ein Zeichen nehmen, daß Euch Fort Guadeloupe mit Freuden empfangen hat.«

»Mit Freuden?« fragte der Sergeant. »Mit Kugeln sind wir empfangen worden. Wer befindet sich noch in diesem Hause?«

»Zunächst zwei junge Sennoritas - - -«

»Wo?«

»Eine Treppe hoch. Sie werden sich eingeschlossen haben.«

»Sie werden uns öffnen müssen! Wer noch?«

»Droben im Bodenraume sind noch drei Sennoritas mit einem Sennor.«

»Wer ist dieser Sennor?«

»Ein Graf Rodriganda.«

»Ein Graf? Donnerwetter! Ist er reich?«

»Sehr.«

»Gut, wir werden sehen, was er besitzt. Bindet den Vaquero dort!«


// 1638 //

Die Chasseurs zogen ihre Fangschnuren hervor und näherten sich dem Vaquero. Dieser erhob sich von seinem Stuhle und zog sein Messer.

»Ich lasse mich nicht fesseln!« erklärte er.

»Heilige Madonna! Was fällt Euch ein!« rief Pirnero. »Einer gegen Zehn!«

Der Mann erkannte die Unmöglichkeit, mit heiler Haut davonzukommen. Er gab also seine Hände hin und wurde gebunden.

»Nun auch den Wirth,« gebot der Sergeant.

»Auch mich?« fragte Pirnero erschrocken. »Ihr irrt, Sennores! Ich bin ja der getreuste Unterthan seiner Majestät, des Kaisers der Franzosen!«

»Wenn Ihr das wirklich seid, so werdet Ihr Euch nicht weigern, uns Gehorsam zu leisten,« lachte der Soldat. »Her also mit Euren Händen.«

»Hier sind sie!« antwortete der Wirth kleinlaut. »Aber ich bitte, zu bemerken, daß ich kein Feind der Franzosen bin. Ich bin kein Mexikaner.«

»Was denn?«

»Ich bin aus Pirna.«

»Was ist das? Wo liegt das?«

»In Sachsen.«

»In Sachsen, also in Deutschland? So soll Euch der Teufel erst recht holen! Rasch also! Gebt die Hände her!«

So wurde also auch der Wirth gefesselt. Er ergab sich ohne weitere Wiederrede drein.

»Jetzt werdet Ihr uns zu den Andern führen!« gebot der Sergeant.

Er ließ zwei Mann Wache bei dem Vaquero zurück. Die Eingangsthür zum Hause wurde von innen verschlossen, und dann stiegen sie zur Treppe empor.

»Hier sind die jungen Sennoritas!« sagte Pirnero, auf eine Thür zeigend.

»Klopft an!« gebot der Sergeant.

Als auf das Klopfen nicht geöffnet wurde, stieß er die Thür mit dem Kolben ein.

»O, heiliger Himmel!« rief der Wirth. »Wer soll mir meine Thüren repariren, wenn Ihr sie mir kaput schlagt! Das bin ich von Pirna aus nicht gewöhnt.«

»So werdet Ihr es gewöhnt werden!«

Der Sergeant trat ein. Die beiden Mädchen standen neben einander am Fenster und blickten den Eintretenden erwartungsvoll entgegen.

»Alle Teufel, wie nett!« meinte der Sergeant. »Da wird man wohl um einen Kuß bitten dürfen und um eine Umarmung dazu.«

Er schritt auf Pepi zu und breitete die Arme aus. Sie richtete sich hoch empor und steckte die rechte Hand unter die kurze, mexikanische Jacke.

»Was wollt Ihr?«

Sie sagte dies in einem Tone und hatte dabei eine Haltung, daß der Franzose sich augenblicklich verblüfft fühlte. Doch faßte er sich schnell und antwortete:

»Was ich will? Pah! Ein ganz kleines Küßchen.«

Er verschlang dabei die schöne, einladende Gestalt des Mädchens mit seinen Blicken.


// 1639 //

»Wagt es nicht, mich anzurühren!« drohte sie.

»Ah seht, das Kätzchen stellt sich zur Wehre. Aber das hilft Dir nichts, mein Engel. Geküßt wirst Du doch; erst von mir und dann von den Andern. Unter Kameraden pflegt man brüderlich zu theilen.«

Er trat noch einen Schritt auf sie zu; da aber zog sie die Hand aus der Jacke zurück. Die blanke Klinge ihres Dolches blitzte ihm entgegen.

»Donnerwetter, sie macht Ernst!« rief er, halb bestürzt und halb belustigt.

Er war natürlich sehr überzeugt, es mit ihr aufnehmen und den Dolch ihr mit einem einzigen Griffe entwinden zu können. Auch Zilli hatte ihre Waffe gezogen. Die beiden Mädchen waren wirklich entschlossen, sich ernsthaft zu vertheidigen.

Einer der Soldaten trat jetzt zu der jüngeren Schwester und sagte:

»Gieb den Dolch her, mein Püppchen. So Etwas ist nichts für Frauen.«

Er wollte zugreifen; sie trat ein Wenig zurück, zuckte die Waffe und antwortete:

»Nehmt Euch in Acht! Der Dolch ist vergiftet!«

»Das mache einem Andern weiß! Ich werde davor nicht bange.«

Er griff zu und gab eine Finte. Während sie dahin stieß, wohin er scheinbar hatte greifen wollen, zog er plötzlich die Hand zurück und faßte sie beim Arme.

»So, jetzt habe ich Dich! Jetzt bist Du mein!« rief er. »Nun einen Kuß!«

Während er mit der einen Hand ihren rechten Arm hielt, so daß sie nicht stechen konnte, versuchte er, sie mit dem andern Arme um die Taille zu fassen und an sich zu ziehen.

»Pepi, hilf!« bat sie, sich vergeblich wehrend.

»Gleich!« lautete die Antwort der Schwester.

Und in demselben Augenblicke zuckte ihr Dolch in den Arm, mit welchem er denjenigen der Schwester hielt. Der Stich war nur leicht und nicht tief.

»Donnerwetter, die hat wirklich Krallen!« rief er, seinen Arm zurückziehend. »Aber wir werden Euch die scharfen Nägel verschneiden.«

Er wollte abermals zufassen und streckte den Arm aus, aber er blieb mit ausgestrecktem Arme stehen. Es war, als ob er plötzlich durch alle seine Nervenstränge einen Schlag erhalten hätte. Sein Auge war stier nach der Wand gerichtet; seine Finger ballten sich zusammen; ein scharfes Gurgeln ließ sich hören, und ein graubrauner Schaum trat auf seine Lippen; dann fiel er um, oder vielmehr, er schlug um, steif und hölzern wie ein lebloser Klotz. Er war todt.

»Alle Teufel!« rief da der Sergeant. »Was ist mit ihm?«

»Er ist todt!« erklärte Pepi. »So wird es einem Jeden gehen, der uns anzurühren wagt.«

»So ist der Dolch wirklich vergiftet.«

»Ja, der meinige und der ihrige.«

»Das sollst Du entgelten, Du gefährliche Katze! Ergreift diese Beiden und nehmt ihnen die Dolche!«

Er selbst trat sehr vorsichtig zurück, um diese gefährliche Arbeit von den Seinigen verrichten zu lassen. Aber Keiner hatte Lust, zu gehorchen.

»Nun! Habt Ihrs gehört?« zürnte er.


// 1640 //

»Fällt uns nicht ein!« antwortete Einer. »Wer sie küssen will, mag sie entwaffnen.«

»Aber ich bin Euer Vorgesetzter. Ich befehle es Euch!«

»In solchen Sachen haben wir Niemandem zu gehorchen.«

Er sah, daß es ihm unmöglich war, durchzudringen, und da er selbst zu viel Angst hatte, die Mädchen anzufassen, so sagte er:

»Sie haben den Tod verdient, denn sie haben einen Franzosen ermordet. Wir werden sie bewachen, bis wir fertig sind, und dann an ihre Bestrafung denken.«

Er postirte einen Mann vor die Thür und ließ sich dann von Pirnero weiter geleiten, hinauf nach dem Dachboden, wo sich der Graf befand.

»Ob die Franzosen gesiegt haben?« fragte Zilli ihre Schwester.

»Ich glaube es nicht. Pirnero hat uns, als er vorhin bei uns war, doch gesagt, daß die berühmtesten Jäger das Fort vertheidigen werden und daß Juarez mit den Indianern kommt.«

»So sind diese Leute nur eine eingeschlichene Truppe?«

»Jedenfalls.«

»Sie werden uns tödten.«

»Wir werden uns wehren.«

»Kannst Du Dich mit dem Dolche gegen eine Kugel wehren?«

»Leider, nein.«

Da vernahmen sie vom Kampfplatze her ein wildes Triumphgeheul.

»Das sind die Apachen. Sie haben gesiegt,« sagte Pepi.

»Und wir sollen uns erschießen lassen? Nein! Fliehen wir!«

»Ich gehe mit.«

»Aber wohin?«

»Das werden wir sehen, wenn wir unten sind.«

»Wie kommen wir hinaus und an dem Manne vorüber?«

»Mit Hilfe des Dolches. Laß nur mich machen. Komm!«

Sie schritten der Thür zu.

»Halt!« gebot der Posten, welcher ihre leisen Worte nicht gehört hatte.

»Wir gehen!« sagte Pepi in bestimmtem Tone.

»Ich darf Euch nicht passiren lassen.«

»Wir gehen dennoch!«

»So muß ich schießen!«

Er that wirklich einen Griff, als ob er das Gewehr anlegen wollte, doch die gewandte Pepi kam ihm zuvor.

»Versuchet es doch!«

Sie stand nach zwei raschen Schritten vor ihm und bohrte ihm den Dolch in die Hand, welche den Lauf des Gewehres umfaßt hielt. Er stieß einen Schrei aus und ließ das Gewehr fallen. Das war keineswegs in Folge des Giftes, sondern des Schreckes; aber grad der Schreck trieb ihm das Gift um so rascher durch den Leib.

Er hatte kaum das Gewehr fallen lassen, so schlug auch er um. Es war fürchterlich, zu sehen, mit welcher Schnelligkeit das Curaregift wirkte.


// 1641 //

Die beiden Mädchen eilten zur Treppe hinab. Die Straßenthür war zu; darum gingen sie nach der hinteren Thür, welche nach dem Hofe führte. An diese hatten die Franzosen nicht gedacht. Aus dem Hofe führte eine hohe, schmale Pforte hinaus nach dem offenen, viereckigen Platze, an welchem gewöhnlich die Pferde angebunden wurden. Und von diesem Platze aus gelangten sie auf die Gasse, welche nach den Palissaden führte.

»Wohin nun?« fragte Zilli.

»Wir müssen erst sehen, wer Sieger ist,« antwortete Pepi.

Da sie bereits einige Tage im Fort wohnten und in demselben herumgegangen waren, so kannten sie die Lücke in den Palissaden. Sie eilten auf dieselbe zu. Kaum hatten sie einen Blick hindurch geworfen, so wußten sie, woran sie waren.

Ganz draußen hielt Juarez noch immer mit seinem Stabe. Von ihm an, bis herein zur Böschung des Felsens lag Leiche fast neben Leiche. Rechts hielten einige Indianer bei den eroberten Pferden der Franzosen, und da vorn, im Vordergrunde, schwärmten die Apachen noch hin und her, um die letzten noch lebenden Franzosen vollends zu tödten.

»Juarez hat gesiegt!« sagte Zilli.

»Wer mag es sein?«

»Gewiß einer von den beiden Rothen, welche da unten, mit den Adlerfedern auf dem Kopfe noch auf die sechs Franzosen einhauen.«

»Wo denkst Du hin!« meinte Pepi. »Das sind Indianerhäuptlinge.«

»Juarez ist doch Indianer!«

»Ja. Aber er war Oberrichter und ist Präsident. Er wird doch nicht in der Tracht der Wilden gehen. Siehst Du ganz draußen den Reiter in Mitten der kleinen Truppe, welche dort regungslos hält?«

»Ja.«

»Das ist er jedenfalls. Aber wir müssen unserer Venta Hilfe bringen.«

»Wen holen wir? Indianer etwa?«

»Wen wir zunächst treffen.«

»So komm.«

Sie krochen durch die Lücke hinaus und krochen nach rechts. Sie waren noch nicht weit gekommen, da sahen sie eine lange breite Gestalt an der Erde liegen, den Kopf in die Hand gestützt, während der Arm mit dem Ellenbogen auf der Erde ruhte.

»Wer ist das?« fragte Zilli.

»Mein Gott, das ist der schwarze Gérard!« antwortete Pepi.

»Wahrhaftig! Er liegt in einer blutigen Lache.«

»Gott! Er stirbt! Er hat die Augen zu, und aus der Schulter läuft ihm das Blut!«

Sie eilten zu ihm hin. Als er sie kommen hörte, schlug er langsam die Augen auf, aber er regte kein Glied seiner Gestalt.

»Ihr seid verwundet, Sennor?«

»Ja.«

»Wir werden Euch verbinden!«


// 1642 //

»Es ist zu spät!« sagte er leise. »Ich wollte hier eben sterben. Grüßt sie von mir, Sennorita!«

»Wen?«

»Resedilla,«

»Resedilla? Ah! Sie befindet sich in großer Gefahr. Wir wollten Hilfe holen.«

»Gefahr?« fragte er rasch, während sein todtesbleiches Gesicht sich leicht röthete.

»Ja. Es ist einigen Franzosen gelungen, in das Fort zu dringen.

Sie kamen in die Venta. Wir haben zwei getödtet, welche uns küssen wollten. Jetzt sind die Andern hinauf auf den Boden, wo Resedilla sich befindet.«

Er blickte sie einen Augenblick lang an, als müsse er erst seine Gedanken sammeln. Dann belebte sich sein Auge immer mehr.

»Hinauf auf den Boden - - wo Resedilla sich befindet?« wiederholte er. »Ah, noch ist der schwarze Gérard nicht todt!«

Er versuchte, sich zu erheben, sank aber in die blutige Lache zurück.

»Bleibt liegen, Sennor!« bat Zilli. »Wir werden andere Hilfe holen, für Resedilla und für Euch!«

Sie eilten weiter.

»Andere Hilfe?« sagte Gérard. »Ein Anderer soll ihr helfen? Ah, pah!«

Er stemmte beide Arme auf die Erde und richtete sich auf. Er taumelte; aber er brachte es doch fertig, sich an die Palissaden zu lehnen und sein Gewehr nebst den Revolvern zu laden.

Er war vorher, als die Franzosen sich zurückgezogen hatten, um sich gegen die Apachen zu wenden, ihnen auf dem Fuße gefolgt und hatte sich in das dickste Kampfgewühl gestürzt. Ein Bayonnetstich und ein Schuß zu den vorherigen Verwundungen kommend, hatten ihn niedergestürzt. Er dachte, sterben zu müssen; aber er wollte sein Leben nicht hier unten aushauchen, sondern droben am Baume, wo er sich so kühn und nachdrücklich vertheidigt hatte.

Dort hinauf schleppte er sich, und dort legte er sich nieder, während unten der Kampf noch hin und her wogte. Wie gerne wäre er noch nach der Venta gegangen, um unter den Augen der Geliebten zu sterben! Aber nein, er wollte ihr den häßlichen Anblick des Todes ersparen. Darum blieb er liegen. Er sah sein Blut fließen, ohne dem Laufe desselben Einhalt zu thun. Er fühlte mit dem rothen Wallen des Lebens seine Kräfte schwinden; er schloß die Augen; er glaubte, der Tod sei nahe, um ihn von allen Zweifeln und Selbstvorwürfen zu erlösen. Er flüsterte leise den Namen der Heißgeliebten. Da hörte er leichte Schritte und als er die Augen öffnete, erblickte er die beiden Schwestern, welche ihm sagten, daß Resedilla sich in Gefahr befinde.

Jetzt waren sie wieder fort, und er lehnte an den starken, hölzernen Pfosten.

Es war ihm, als ob die kriegerische Beschäftigung des Ladens ihm seine Kräfte zurückbringe. Er konnte stehen, ohne zu lehnen. Er versuchte, zu gehen. Es gelang; erst langsam und wankend, dann immer schneller und sicherer. Er kam an die Lücke, er kroch hindurch. Er achtete nicht darauf, daß alle seine Wunden bluteten.


// 1643 //

»Resedilla, o Resedilla!«

Diese Worte wirkten wie ein Wunder. Er nahm die schwere Büchse fester in seine Hand und ging, nein, trabte weiter, der Venta zu.

Er wußte nicht, daß die vordere Thür verschlossen war. Er fand sie zu. Ohne sich zu besinnen schlug er das Fenster ein, nicht einen Flügel desselben allein, nein, sein Stoß war so gewaltig, daß das ganze Fenster in das Zimmer stürzte.

Im nächsten Augenblicke stand auch er in demselben, vor ihm der Soldat, welchen der Sergeant als Wache bei dem Vaquero zurückgelassen hatte.

»Halt!« rief dieser und fällte das Gewehr gegen ihn.

»Bube!«

Mit diesem Worte antwortete er und schlug ihn mit dem Kolben nieder.

»Macht mich los, Sennor!« bat der Vaquero.

»Später!«

Er hatte keine Zeit, sich mit anderen Dingen abzugeben. Er mußte, so lange seine letzten Kräfte noch vorhielten, der Geliebten Hilfe bringen. Er trat hinaus in den Flur und stieg die Treppe empor. Dort lag vor einer zertrümmerten Thür der tollte Posten. Gérard warf einen Blick hinter diese Thür und erblickte den zweiten Franzosen, welcher im Zimmer lag.

»Das ist Curare,« murmelte er. »Das waren die Dolche der beiden Mädchen. Aber weiter! Hinauf auf den Boden! Hinauf zu Resedilla!« -

Als der Sergeant vorhin, von Pirnero geführt, mit seinen acht Mann den Bodenraum erreicht hatte, sah er den alten Grafen mit den drei Damen am Giebelfenster stehen, wo sie den Lauf des Gefechtes beobachteten. Er hörte den Grafen sagen:

»Die Franzosen werden vernichtet bis auf den letzten Mann!«

»Oho! Soweit ist es jetzt noch nicht!« antwortete er.

Die Vier blickten sich um und erschraken, als sie die Soldaten sahen, welche den gefesselten Wirth mit sich führten.

»Vater, mein Vater!« rief Resedilla, auf Pirnero zueilend und ihn umschlingend.

»Halt! Zurück!« gebot der Sergeant. »Hier giebt es keine Scenen!«

Da trat der Graf auf ihn zu und sagte:

»Sergeant, was wollen Sie?«

»Das haben Sie mich nicht zu fragen!« lachte dieser. »Wer sind Sie?«

»Ich bin Graf Ferdinando de Rodriganda.«

»Den suchen wir!«

»Mich? Warum?« fragte der Graf erstaunt.

»Ja, Sie! Sie sind mein Gefangener.«

»Sie irren. Ich bin kein Feind der Franzosen.«

»Das wird sich finden. Bindet ihn!«

»Mich binden?« fragte Don Ferdinando entrüstet. »Ein Sergeant befiehlt, mich, den Grafen Rodriganda zu binden! Wer hat Ihnen den Befehl dazu gegeben?«

»Das geht Sie nichts an!«

»Ich würde Sie mit dieser meiner Faust niederschlagen, wenn Sie ein


// 1644 //

Offizier wären; einen Sergeanten aber rühre ich nicht an. Da ich leider unbewaffnet bin, so kann ich mich gegen so viele nicht vertheidigen. Hier sind meine Hände!«

Er wurde gebunden.

»Nun auch diese Frauen oder Mädchen!« gebot der Sergeant.

»Ist es möglich!« rief Resedilla. »Wir haben ja gar nichts gethan!«

»Ergieb Dich drein!« warnte ihr Vater. »Gegenwehr hilft hier nichts.«

Sie ließ sich binden, Emma desgleichen. Ein Soldat trat auch zu Karja, die Schnur in der Hand. Die Augen der Indianerin funkelten. Sie war die ächte Schwester Büffelstirns. Mit einem raschen Griffe hatte sie das Seitengewehr des Soldaten erfaßt und aus der Scheide gerissen.

»Wagt es!« rief sie, die Klinge zückend.

»Donnerwetter, sind hier die Weiber giftig!« rief der Sergeant. »Schlagt sie nieder!«

Der Soldat wollte sie fassen. Sie rannte ihm die Klinge in den Leib, erhielt aber dafür von einem Andern einen Kolbenschlag auf den Kopf, daß sie zusammenbrach.

»Widerstand gegen die Sieger?« schrie der Sergeant. »Das sollt Ihr entgelten!«

Und zu dem Grafen gewendet fuhr er fort:

»Ich höre, Sie sind reich, Graf?«

»Weshalb fragen Sie?«

»Ich bin bereit, Sie gegen ein Lösegeld frei zu geben.«

»Wie viel verlangen Sie?«

»Wieviel haben Sie bei sich?«

»Sie haben meine Frage gehört. Antworten Sie!«

»Oho! Das klingt ja ganz, als ob Sie es wären, der hier zu befehlen hätte! Wo haben Sie Ihre Besitzung, Ihre Wohnung?«

»In Stadt Mexiko.«

»So sind Sie hier fremd?«

»Ja.«

»Aber Reisegeld haben Sie doch mit?«

»Ja.«

»Wieviel?«

»Es wird zureichen, mich loszukaufen, wenn ein Sohn der großen Nation wirklich den Banditen spielen will.«

»Zügeln Sie Ihre Zunge. Es ist Krieg und wir sind die Meister. Wenn Sie meinen, daß Ihr Geld zureicht, so müssen Sie eine bedeutende Summe besitzen und ich wäre ein Thor, eine bestimmte Zahl anzugeben. Wo ist Ihr Geld?«

»Ah! Sie wollen wirklich, im Ernste, den Räuber spielen?«

»Räuber oder nicht! Ich will wissen, wo sich Ihr Geld befindet!«

»Ich bin nicht verpflichtet, es Ihnen zu sagen. Wollen Sie ein Dieb sein, wollen Sie es stehlen, so suchen Sie es sich!«

»Ich befehle Ihnen, mir Auskunft zu geben!«


// 1645 //

Bei diesen Worten trat der Sergeant drohend auf den Grafen zu. Dieser zuckte die Achsel und sagte im Tone der tiefsten Verachtung:

»Sie? Mir befehlen? Sie sind verrückt! Sie sind unheilbar wahnsinnig!«

»Ah, eine Beleidigung! Ich werde Sie zwingen, mir Antwort zu geben. Legt ihn nieder und zählt ihm so viel auf, bis er redet!«

Der Graf wurde von den Soldaten gepackt. Einer derselben aber meinte mit dem Lächeln eines Fauns:

»Sergeant, ich habe eine hübschere Idee.«

»Welche?«

»Wie wäre es, wenn wir die Weiber hauten?«

»Warum diese?«

»Hm! Erstens ist das interessanter und zweitens wird der Graf dann aus Galanterie eher gezwungen sein, Antwort zu geben.«

Der Sergeant lachte grinsend und antwortete:

»Du bist ein unbezahlbarer Kerl; Du hast recht. Haut sie!«

»Welche?«

»Alle beide. Zuerst aber diese da. Eine nach der Andern.«

Er deutete auf Resedilla.

»Mein Gott; es ist unmöglich!« rief diese, im höchsten Grade erstaunt.

»Sennor Serganto, seid vernünftig! seid menschlich!« bat Pirnero.

»Faßt sie, und legt sie nieder!« gebot der Sergeant als Antwort.

Vier seiner Leute griffen zu. Resedilla's Hände waren gebunden, aber sie wehrte sich dennoch mit allen Kräften gegen die rohe Gewaltthätigkeit.

»Halt!« rief da der Graf, »ich werde sagen, wo sich das Geld befindet!«

Der Sergeant nickte ihm grinsend zu und antwortete:

»Sehen Sie, wie gefügig Sie werden! Aber um Ihr Geld ist mir nun nicht mehr bange. Ich habe meinen Leuten einmal eine kleine, interessante Unterhaltung gewährt, und so sollen sie diese auch haben. Gebt der Mademoiselle zehn Hiebe, und der andern Dame ebenso viele!«

Ein lautes Gelächter erschallte von den Lippen der Franzosen. Sie packten Resedilla, die sie bei den Worten des Grafen losgelassen hatten, von Neuem und bemühten sich, sie zu Boden zu zerren. Die Schamhaftigkeit verzehnfacht selbst die Kräfte des schwächsten Weibes. Resedilla wehrte sich wie eine Verzweifelte, aber ohne Erfolg, wie sich denken läßt.

»Teuflische Buben!« rief der Graf.

Er warf sich trotz seines Alters und seiner gebundenen Hände auf die vier Soldaten, erhielt aber von dem Sergeanten einen Kolbenschlag, welcher so kräftig war, daß er ihn besinnungslos machte.

»Vorwärts! Macht ein Ende!« befahl der Letztere.

Diese Menschen waren so sehr auf die Ausführung ihres niederträchtigen Vorhabens bedacht, daß sie gar nicht an ihre Lage dachten. Ein Blick durch das Fenster hätte sie belehren müssen, daß sie unrettbar verloren seien, wenn sie nicht sofort den einzigen Rettungsweg benutzten, schwimmend über das Wasser hinüber die Flucht zu ergreifen.


// 1646 //

Auf den letzten Zuruf des Sergeanten machten die vier Soldaten eine vereinte und doppelte Anstrengung, und Resedilla wurde zu Boden gerissen. Sie stieß vor Angst einen lauten Schrei um Hilfe aus, mit welchem sich ein Weheruf ihres Vaters vereinigte.

»Endlich!« rief einer der Soldaten, welcher auf der sich Sträubenden kniete, um sie am Boden festzuhalten.

»Ja, endlich!« ertönte eine tiefe Stimme von der Thür her.

Zu gleicher Zeit erkrachte ein Schuß, und der Soldat, welcher das »Endlich« ausgerufen hatte, stürzte mit zerschmettertem Schädel nieder.

»Halt, was ist das?« rief der Sergeant.

»Der schwarze Gérard ist es!«

Mit diesen Worten schoß der Jäger, welcher selbst halb todt war und kaum stehen konnte, sondern nur noch matt am Thürpfosten lehnte, den nächsten der drei Soldaten nieder, welche Resedilla noch hielten.

Dann ließ er das schwere Gewehr krachend zu Boden fallen und ergriff die Revolver. Zwei Schüsse, rasch hinter einander abgefeuert, streckten auch noch die beiden Uebrigen nieder, so daß Resedilla sich frei fühlte und wieder aufspringen konnte.

Der Sergeant hatte mit seinen vier noch übrigen Leuten, als er den Namen des schwarzen Gérard hörte, im ersten Augenblicke ganz erschrocken dagestanden. Jetzt aber faßte er sich und brüllte:

»Der schwarze Gérard! Drauf!«

Er schwang seine Büchse, um den Feind niederzuschlagen. Aber das Dach war zu niedrig, der Kolben blieb hängen. Dadurch irre gemacht, blickte der Sergeant, der sich mitten im Sprunge befand, in die Höhe. Er stolperte dabei über einen der todt daliegenden Franzosen und stürzte zur Erde.

Dies gab Gérard noch einmal Raum. Er Schoß noch Einen der Vier, die ihn packten, nieder; dann wurde er umgerissen. Er versuchte, sich loszumachen, um zu schießen; aber zwei Kugeln gingen fehl, und dann wurden ihm die Revolver entrissen.

Es gelang ihm zwar noch mit der letzten, verschwindenden Kraft, das Messer aus dem Gürtel zu ziehen, und damit um sich zu stechen, aber in der nächsten Secunde mußte er verloren sein, denn der Sergeant hatte sich erhoben und sein Gewehr wieder aufgerafft. Er wollte nicht mehr zuschlagen; ein Schuß war ja sicherer, darum legte er die Büchse an und gebot seinen Leuten, welche von Gérards Messer mehrfach verwundet waren:

»Zur Seite mit Euch, daß ich Euch nicht treffe!«

Sie gehorchten, und schon legte er den Finger an den Drücker, da schrie Resedilla laut auf und faßte mit ihren gefesselten Händen den Lauf seines Gewehres. Der Schuß krachte, aber er ging fehl.

»Zum Teufel! Schafft mir das Frauenzimmer vom Leibe!«

Bei diesen Worten ergriff er das Gewehr eines seiner Untergebenen, welches noch geladen war. Zwei warfen sich auf Resedilla, um sie zurückzuziehen, und der Dritte kniete auf den am ganzen Körper blutenden Gérard, welcher sich noch einmal emporzubäumen versuchte, aber kraftlos niedersank.


// 1647 //

»Gérard, mein guter Gérard!« rief Resedilla, unter der vergeblichen Anstrengung, sich loszureißen.

»Leb wohl, Resedilla!« hauchte er kaum hörbar.

Die Mündung des Gewehres gähnte gerade vor seiner Stirn. Er schloß die Augen. - -

Als Pepi und Zilli vorhin Gérard verlassen hatten, und in ihrer Herzensangst noch eine Strecke gelaufen waren, sahen sie einen dunkelhaarigen Mann die Felsen emporklimmen. Er hatte die Büchse über die Schulter geworfen und trug mexikanische Kleidung. Pepi blieb stehen und fragte:

»Wollen wir ihn anrufen, liebe Zilli?«

»Ja, er ist ein Mexikaner.«

»So laß uns vereint rufen!«

Sie erhoben ihre Stimmen und riefen. Der Mann hörte es, hielt an und blickte empor.

»Kommt schnell herauf, Sennor!« rief Pepi.

»Warum?« fragte er.

»Die Franzosen sind in der Venta.«

Die Kletterbewegungen des Mannes waren erst mit langsamer Sicherheit vor sich gegangen, jetzt aber war es, als ob er Flügel erhalten habe. Er schnellte sich mehr, als er stieg, herauf, und stand nun vor den Mädchen.

Als sie ihn so nahe sahen, wollten sie sich fast fürchten. Diese untersetzte, breitschulterige Gestalt! Diese Stirn, diese Augen, diese ernsten Züge.

»Wer seid Ihr, Sennor?« entfuhr es Pepi unwillkürlich.

»Ich bin Büffelstirn, der Häuptling der Miztecas,« antwortete er.

»Seid Ihr ein Freund vom schwarzen Gérard?«

»Ja.«

»Und von Sennor Pirnero?«

»Ja.«

»Da oben liegt Gérard im Sterben, und in der Venta sind Franzosen.«

Da leuchtete das dunkle Auge Büffelstirns grimmig auf.

»Wie viele?« fragte er.

»Wir haben neun gesehen. Sie sind oben unter dem Dache.«

»Was thun sie da?«

»Der Graf ist oben.«

»Der Graf Rodriganda?«

»Ja.«

»Wer noch?«

»Sennorita Resedilla mit noch zwei anderen Damen. Wir sahen sie mit dem Grafen nach oben steigen, ehe wir uns einschlossen.«

»Ah! Giebt es einen schnellen Weg nach der Venta?«

»Ja, dort rechts durch die Lücke. Aber die vordere Thür ist zu, Ihr müßt durch die hintere in das Haus.«

»Ich kenne das nicht und könnte zu spät kommen. Führt mich, Sennorita! Diese andere Sennora mag hier an den Palissaden weitergehen, bis sie an das


// 1648 //

Thor kommt. Dort ruft sie nach dem Sennor Sternau, dem sie Alles genau erzählen muß.«

»Mein Gott, ich allein? Ich fürchte mich!« sagte Zilli.

»Es ist keine Gefahr. Wir haben ja gesiegt. Rasch!« sagte Büffelstirn.

»Ich werde an das Thor gehen,« entschied die entschlossenere Pepi. »Führe Du den Sennor, liebe Zilli!«

Sie eilte fort.

»Kommt, Sennorita, aber schnell, sehr schnell!« sagte Büffelstirn.

Er ergriff die Hand des Mädchens und schritt mit ihr davon, so daß sie fast springen mußte, um mit ihm fortzukommen. Als sie die Stelle erreichten, wo Gérard gelegen hatte, blieb das Mädchen erstaunt vor der Blutlache stehen.

»In diesem Blute lag der schwarze Gérard,« sagte sie. »Er ist fort!«

»Habt Ihr es ihm gesagt, daß die Franzosen in der Venta sind?«

»Ja.«

»So ist er dort. Weiter!«

Sie kamen durch die Palissadenlücke. Zilli führte den Häuptling auf dem Wege, den sie selbst gegangen war, zurück. Als sie den Hausflur betraten, ertönte oben ein Schuß. Es war derselbe, dessen Kugel Resedilla so glücklich abgeleitet hatte.

»Gott, sie werden ermordet!« rief Zilli.

»Bleibt unten, Sennorita,« sagte Büffelstirn.

Er riß sein Doppelgewehr vom Rücken und sprang erst die untere, und dann auch die obere Treppe empor. Er kam gerade in dem Augenblicke an, als der Sergeant dem schwarzen Gérard die Mündung des Gewehres vor die Stirn brachte.

»Hund!«

Mit diesem Worte rannte ihm der Häuptling den Kolben so in die Seite, daß der Franzose mehrere Ellen weit fortgeschleudert wurde. Ein zweiter Kolbenstoß traf den, welcher auf Gérard kniete, so an den Kopf, daß er die Besinnung verlor. Im Nu hatte sich der Häuptling herumgedreht. Er sah die Zwei, welche Resedilla hielten. Seine Büchse fuhr empor, zwei Schüsse krachten, und die beiden Franzosen stürzten zur Erde.

Der nächste Schritt des Miztecas war zu Karja, seiner Schwester. Sie lag von dem Schlage, der sie getroffen hatte, noch besinnungslos am Boden. Ihre Stirn war bereits blutig unterlaufen.

»Das haben diese Franzosen gethan?« fragte der Häuptling grimmig.

»Ja,« antwortete Resedilla.

»Warum?«

»Sie hat sich vertheidigt.«

»Womit?«

»Sie hat den Soldaten da mit dem Seitengewehr erstochen.«

"Büffelstirn wird sie rächen."

»Ah, sie ist eine Miztecas!« sagte er stolz. »Büffelstirn wird sie rächen. Wer ist der Anführer dieser Hunde?«

»Jener Sergeant.«

Sie zeigte nach dem Genannten, welcher sich vor Schmerzen krümmte.


// 1649 //

»Was wollte er von Euch?«

»Er wollte das Geld des Grafen und die Damen wollte er schlagen lassen. Sennorita Karja erhielt einen Hieb, daß sie stürzte. Sennorita Emma fiel in Ohnmacht und ich wurde zu Boden geworfen, um Schläge zu empfangen.«

Büffelstirn knirrschte mit den Zähnen.

»Der Tod wäre zu wenig; der Hund soll es büßen!« sagte er.

Er schritt auf den Sergeant zu, der sich halb wieder erhoben hatte. Er stieß ihn mit einem kräftigen Tritte zu Boden, kniete auf ihn nieder und zog das Messer.

»Himmel, was wollt Ihr machen?« rief der Sergeant.

»Du bist kein Mensch, sondern ein Thier,« antwortete der Häuptling. »Du hast die Tochter der Miztecas geschlagen; ich werde Dich lebendig scalpiren.«

»Gott, o Gott, nur das nicht!« rief der Franzose.

»Rufe Deinen Gott nicht an, denn Du bist ein Teufel.«

»Tödtet mich lieber!«

»Du selbst hattest kein Erbarmen. Ich werde Dir zeigen wie man scalpirt. Nicht rasch, mit drei Schnitten und einem Rucke, sondern fein langsam, wie man sich die Scalplocke des Feindes auf die Haut des Büffels malt.«

»Gnade! Gnade!«

»Du bist eine Memme. Wimmere fort.«

Er faßte das Haar des Franzosen mit der Linken und setzte ihm das Messer an die Stirn. Da machte er einen Versuch, sich aufzurichten; aber das Knie des Miztecas drückte sich so fest an seine Brust und das andere legte sich nun über seinen Hals weg, daß sein Oberkörper wie angenagelt am Boden lag.

Jetzt schnitt das Messer des Häuptlings die Stirnhaut durch. Der Franzose stieß einen fürchterlichen Schrei aus. Ein zweiter ertönte von seitwärts her. Resedilla hatte ihn ausgestoßen. Ihr Vater stand zitternd neben ihr und betrachtete, während ihm die Haare zu Berge stiegen, die wilde fürchterliche Scene.

»O, thut es nicht, Sennor!« bat sie schaudernd.

»Er hat noch mehr verdient,« antwortete der Indianer kalt; »er wird auch Nase und Ohren verlieren. Büffelstirn ist kein Henker; aber die Tochter der Miztecas muß gerächt werden.«

Er zog dabei sein Messer langsam um den Haarschopf des Franzosen herum. Dieser stieß ein Geheul aus, welches nicht mehr menschlich genannt werden konnte. Resedilla legte die Hände vor die Augen und glitt an ihrem Vater zu Boden nieder. Sie wurde ohnmächtig. Nun lagen alle drei Damen besinnungslos da. Die Franzosen waren, Zwei ausgenommen, todt und auch Gérard lag ohne Regung da. Der ganze Boden schwamm von Blut. In Mitten dieser grauenhaften Scene stand der alte Pirnero und heftete mit Entsetzen seine Augen auf Büffelstirn. Er konnte den Blick nicht von ihm wenden, so viele Mühe er sich auch gab, von ihm los zu kommen.

»Schreie nicht, Hund!« sagte der Häuptling. »Dieser Schnitt macht keine Schmerzen. Sie beginnen erst jetzt, wenn ich Dir das Fell sammt den Ohren herabziehe.«

Er schob den Kopf des Franzosen erst auf die linke und dann auf die rechte Seite, um ihm erst das rechte


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und dann das linke Ohr abzuschneiden, wobei die beiden abgelösten Ohrmuscheln jedoch an der oberen Kopfhaut hängen blieben.

Der Franzose brüllte wie ein Stier.

»Schweig, Feigling!« rief Büffelstirn. »Erst jetzt wirst Du singen; denn nun ziehe ich Dir das Fell herunter. Paß auf!«

Er faßte die Haare fest und zog die Kopfhaut los, nicht schnell, sondern langsam und allmählig, wie er gesagt hatte.

Der Sergeant konnte den Kopf und den Oberkörper nebst den Armen nicht bewegen, weil der Miztecas auf denselben kniete, aber die Beine waren ihm freigelassen. Er warf sie in die Luft; er schlug mit ihnen die Dielen vor ungeheuren Schmerzen. Er brüllte nicht mehr, denn das, was er that, die Töne, welche er ausstieß, waren kein Brüllen mehr zu nennen. Es giebt sogar kein Thier, welches im Stande wäre, so fürchterliche, entsetzliche, grauenhafte Laute auszustoßen.

Der Häuptling blieb kalt. Als er die Haut abgezogen hatte, sagte er:

»Dies ist die Haut eines Feiglings, welcher schreit, wenn er scalpirt wird. Büffelstirn wird sie nicht tragen, sondern er schenkt sie Dir als Andenken an diese schöne Stunde. Und dazu wird er Dir noch die Nase geben, welche bisher in Deinem Gesichte gewesen ist.«

Er faßte mit zwei Fingern der Linken die Nase und trennte sie mit einem raschen Schnitt von ihrer Stelle. Der Franzose stieß dabei einen Schrei aus, in welchem sich seine ganze körperliche und geistige Qual gipfelte; dann ließ er nur noch ein langanhaltendes Stöhnen und Wimmern hören.

Jetzt zog Büffelstirn einen Riemen hervor, zerschnitt ihn in zwei Theile und band damit dem Scalpirten die Hände und die Beine zusammen. Dann schleifte er ihn in eine Ecke, wickelte die Nase in den Scalp und legte dann Beides neben ihm hin.

»Dein Leben wäre zu wenig gewesen,« sagte er zu ihm. »Büffelstirn mochte es nicht haben. Nun hat er Dir gezeigt, einen Lebenden zu scalpiren, ohne ihn zu fesseln. Das ist ein Meisterstück, welches unter tausend Männern kaum Einer bringt. Du kannst davon erzählen, wenn Du in das Land zurückkehrst, in welchem die Hunde Deiner Brüder wohnen.«

Pirnero lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand. Büffelstirn trat zu ihm, schüttelte ihn und sagte:

»Mein weißer Bruder kann die Augen öffnen, denn es ist vorbei! Ich werde Dir die Fesseln lösen und den Andern auch.«

Er zerschnitt die Schnuren, mit denen die Franzosen ihre Opfer gefesselt hatten. Dabei bemerkte er, daß der Soldat, welcher Gérard zuletzt gehalten, und dann einen Stoß vor den Kopf bekommen hatte, wieder erwachte.

»Er soll das Leben nicht wiedersehen,« sagte er.

Mit diesen Worten stieß er ihm das Messer in das Herz.

In diesem Augenblicke hörte man eilige Schritte, welche zur Treppe heraufkamen. Sternau trat ein mit Donnerpfeil und Mariano, alle Drei die Waffen in der Hand. Mit einem Blicke erkannte Sternau die ganze Scene.

»Ah, Büffelstirn hat aufgeräumt!« sagte er.

»Der schwarze Gérard vorher!« antwortete der Angeredete bescheiden.


// 1651 //

Donnerpfeil sah Emma am Boden liegen und eilte auf sie zu.

»Herrgott, ist sie todt?« fragte er.

Sternau untersuchte sie.

Sternau kniete bei ihr nieder und untersuchte sie.

»Nur eine Ohnmacht,« sagte er beruhigend.

»Und die Tochter der Miztecas?« fragte Büffelstirn.

Sternau untersuchte auch diese.

»Eine Contousion. Wir müssen es abwarten,« sagte er.

»Wenn sie stirbt, wird Büffelstirn ihr tausend Scalpe der Franzosen auf das Grab legen,« meinte der Häuptling drohend.

»Wer hat dem Manne dort den Scalp genommen?« fragte Sternau, auf den wimmernden Franzosen deutend.

»Er war der Anführer der Feinde. Er hat Alles verschuldet. Er hat die Tochter der Miztecas geschlagen. Ich habe ihm die Haut sammt Ohren und Nase genommen.«

Sternau wendete sich ab. Der Anblick dieses Menschen war zu gräßlich.

»Sennor, blickt auch nach meinem Kinde,« bat Pirnero.

Sternau erfüllte ihm den Wunsch.

»Auch nur eine Ohnmacht,« entschied er, als er sie untersucht hatte.

Dann trat er zu dem Grafen und untersuchte dessen Kopf, welcher von einem wuchtigen Kolbenschlag getroffen worden war. Er machte ein sehr ernsthaftes Gesicht.

»Wie steht es?« fragte Mariano, im höchsten Grade besorgt.

»Es ist gefährlich,« antwortete Sternau.

»Mein Gott! Welch ein Herzeleid!«

»Die Gefahr liegt in den beiden Umständen, daß der Graf alt ist und schon so Vieles erlitten hat. Es werden Stunden vergehen, ehe er aufwacht. Aber wer liegt da? Das ist der schwarze Gérard.«

Er kniete nun auch bei diesem nieder, um ihn zu untersuchen.

»Gott, so zerschossen und zerstochen sah ich noch keinen Menschen!« sagte er. »Er muß zunächst verbunden werden, um fernere Blutungen zu vermeiden.«

»So ist er nicht todt?« fragte Pirnero.

»Jetzt noch nicht. Ich kann erst später sehen, ob seine Wunden tödtlich sind oder nicht. Vor allen Dingen schafft Leute herbei, um die Patienten zu transportiren. Sennor Pirnero, Euer Haus wird ein förmliches Lazareth werden. Gérard ist der Erste, welcher in ein Bett muß. Faßt an, Freunde. Wir wollen ihn vorsichtig fortschaffen.«

Da auf dem Schlachtfelde nichts mehr zu thun war, so waren sehr bald Hände gefunden, die Beschädigten und Ohnmächtigen in separate Zimmer zu schaffen. Jetzt erst begann Sternaus Hauptthätigkeit, da die beiden Wiener Aerzte sich noch auf dem Kampfplatze befanden, um den verwundeten Apachen beizustehen.

Die todten Franzosen wurden vom Boden herabgeschafft und einfach in den Fluß geworfen. Ebenso erging es auch den auf dem Kampfplatz Gefallenen, nachdem ihnen die Scalpe und alles Brauchbare abgenommen worden war.

Dort hatte es überhaupt noch einige Scenen gegeben, welche unmöglich übergangen werden dürfen.


// 1652 //

Als der letzte Franzose gefallen war und es keine kriegerische Pflicht mehr zu erfüllen gab, ritt Bärenauge links nach dem Flusse hinab, wo über einem Wipfel einige Bäume hervorragten.

Einige Minuten später hatte auch Bärenherz sich die von ihm Erlegten herausgesucht und ihnen sein Zeichen eingeschnitten. Dann ritt er, ganz wie ohne alle Absicht, auf dasselbe Gebüsch zu.

Hinter demselben weidete das Pferd Bärenauges; er selbst aber stand am Ufer und blickte dem Laufe des Wassers nach, ohne sich umzudrehen, als er das Geräusch des Herannahenden vernahm, welcher abstieg und sein Pferd frei gab.

Ein berühmter Häuptling darf keinem Dritten sehen lassen, welche zarte Regungen er seinen Familienangehörigen widmet. Die beiden Brüder konnten unmöglich vor den Augen Anderer ihre Freude über das Wiedersehen kundgeben. Darum zog Bärenauge sich nach diesem verborgenen Orte zurück, und darum folgte ihm Bärenherz mit einer Genauigkeit, als ob diese Zusammenkunft vorher verabredet worden sei.

Dazu kam, daß der jüngere Bruder noch nicht wußte, wie der ältere ihm entgegenkommen werde. Bei den Apachen hat der ältere große Vorrechte vor dem jüngeren. Bärenauge war jetzt Häuptling seines Stammes. Dem Gebrauche nach war er jetzt gezwungen, diese Würde seinem Bruder abzutreten. Darum war er höchst neugierig, ob Bärenherz sich beim ersten Worte als Bruder oder Häuptling zeigen werde. Darauf kam es nach Indianersitte an.

Während er so dastand, von Zweifeln und Befürchtungen durchzogen, legten sich zwei Arme um seinen Nacken, und sein Kopf wurde nach hinten zurückgezogen. Dann fühlte er zwei warme Lippen auf seinem Munde.

»Schi tische - mein Bruder!« sagte Bärenherz mit überströmender Liebe.

»Schi nta-ye - mein Bruder!« antwortete Bärenauge, nun auch seinerseits die Arme um ihn schlingend.

Eigentlich heißen diese Wort nicht blos »Bruder«. Die Indianer haben nämlich besondere Bezeichnungen für den älteren und jüngeren Bruder. Ebenso ist dies auch bei Schwestern und sonstigen Verwandten der Fall. »Schi tische« heißt »mein jüngerer Bruder«, und »schi nta-ye« heißt »mein älterer Bruder«. Brüder unter einander werden sich niemals einfach mit dem Worte »Bruder« anreden, sondern stets die Bezeichnung »älterer« oder »jüngerer« hinzufügen. Die erstere Bezeichnung soll einen gewissen freiwilligen Respect ausdrücken, während in der letzteren eine aufrichtige Zärtlichkeit liegen soll.

Dieses Bewillkommnen von Seiten des älteren Bruders sagte Bärenauge, daß er von Seiten desselben für seine Würde als Häuptling nichts zu befürchten habe; darum quoll ihm sein Herz von Liebe und Dankbarkeit über. Er nahm den Tomahawk in die Linke, streckte die Rechte vor und sagte, indem ihm die Thränen über die Wangen liefen:

»Soll ich mir die rechte Hand abhauen, mein Bruder?«

»Weshalb?«

»Aus Freude, Dich wiederzusehen!«

Bärenherz nahm ihm den Tomahawk aus der Hand, steckte ihn sich in den Gürtel und gab ihm den seinigen dafür.


// 1653 //

»Wir tauschen unsere Schlachtbeile,« sagte er. »Mein Beil ist Dein, und Dein Beil ist mein. So sind auch unsere Hände. Du sollst die Deinige behalten, denn sie ist auch die meinige. Sie soll noch tausend Feinde der Apachen tödten.«

Er setzte sich am Uferrande nieder, und sein Bruder that dasselbe. Sie schlangen die Hände ineinander, blickten sich in die Augen und konnten sich nicht satt sehen an einander. Da endlich drückte Bärenherz den Bruder fest an sich und sagte:

»Du trägst die Farben des Krieges.«

»Du auch,« sagte Bärenauge, der die Absicht des älteren Bruders sogleich errieth und sich herzlich darüber freute.

»Die Farbe des Krieges verdeckt das Angesicht,« fuhr Bärenherz fort.

»Man kann es nicht sehen,« stimmte Bärenauge bei.

»Hier fließt Wasser zu unseren Füßen.«

»Die Farbe weicht dem Wasser.«

»Willst Du mir Dein Angesicht zeigen?«

»Und Du mir das Deinige?«

»Ich wasche mich!«

»Ich auch.«

Sie sprangen zum Wasser und entfernten das gräßliche Blau, Roth und Schwarz, welches ihre Gesichter so sehr entstellte. Dann kehrten sie an das Ufer zurück und blickten sich an. Sie sahen sich so ähnlich. Bärenauge war das ganz genaue, wenn auch jüngere Spiegelbild von Bärenherz.

»Dein Angesicht ist schön!« sagte Bärenherz.

»Und das Deinige das Angesicht eines großen Häuptlings.«

»Ich bin nicht Häuptling, ich bin Dein Bruder!«

»Und ich bin Dein Bruder und Dein Diener. Ich habe Dich sehr lieb!«

Sie umarmten sich, drückten einander an das Herz und küßten sich. Sie schoben einander von sich ab, um sich wieder anzusehen, zu umarmen und zu küssen.

Sie waren so glücklich, so froh, wie zwei Kinder, zwei Knaben, welche noch nicht Männer sind, und also die Stimme des Herzens sprechen lassen können.

Man sage nicht, daß die Indianer Wilde sind. Man hat sie zu dem gemacht, was sie scheinen. Sie sind ebenso gute, treue, liebe und ehrliche Menschen, wie alle anderen Leute. Wer sie kennen gelernt hat, der weiß das.

Die Beiden setzten sich wieder nieder. Sie hatten sich, und so ging ihnen für jetzt alles Andere ganz und gar nichts an.

»Du warst sechszehn Sommer fort,« sagte Bärenauge.

»Du warst ein Knabe, als ich ging.«

»Und Du ein großer Häuptling. Warum kehrtest Du nicht zurück?«

»Ich werde es Dir später erzählen. Als ich ging, lebte mein Vater noch.«

»Er ist todt.«

»Wie starb er?«

»Im Kampfe, nachdem er elf Comanchen getödtet hatte.«

»So ist er in die ewigen Jagdgründe gegangen, wo ihn die Comanchen be-


// 1654 //

dienen werden in alle Ewigkeit. Sie werden seine Sclaven sein. Warst Du bei ihm, als seine Seele seinen Körper verließ?«

»Sein Haupt lag in meinem Schooße, als er verschied.«

»Welches war sein letztes Wort?«

»Sein letztes Wort warst Du.«

In das Auge Bärenherz' traten Thränen.

»Hast Du ihm ein Grabmal errichtet?« fragte er.

»Ja. Es ist das größte Grabmal im ganzen Gebiete der Apachen. Er sitzt in seinem Grabe auf seinem Schlachtrosse, behängt mit allen Scalpen und Totems und trägt seine Waffen in den Händen.«

»Ich werde sein Grabmal besuchen und dort zum großen Geiste beten. Als er starb, verloren die Kinder der Apachen einen guten Vater und einen großen Häuptling.«

»Sie baten mich, sein Nachfolger zu sein.«

»Du wurdest es?«

»Nicht gleich, denn Du warst würdiger als ich. Die Kinder unseres Stammes waren fünf Sommer und fünf Winter ohne Häuptling. Als Du da noch nicht zurückkehrtest, konnte ich den Bitten nicht länger widerstehen, aber ich opferte Deiner Seele in jeder Woche das Leben eines Weißen.«

»Warum eines Weißen?«

»Ich folgte Deiner Spur, bis ich sie verlor; aber ich erfuhr, daß Deine letzten Feinde Bleichgesichter gewesen waren.«

»Du hast recht gehört; ich werde es Dir erzählen.«

»Von heut an wirst Du Häuptling sein!«

»Nein!«

»Du bist der Aeltere!«

»Du bist so tapfer wie ich!«

»Aber nicht so weise und erfahren!«

»Das sagst nur Du, mein Bruder!«

»Hast Du es nicht selbst gesehen und gesagt, heut, als ich, um zwei oder drei einzelne Feinde zu tödten, nicht sah, in welcher Gefahr sich meine Krieger befanden?«

»Du warst tapfer und unwiderstehlich; das reißt den Krieger fort. In Zukunft wird meine Lehre Dir stets vor Augen sein.«

»Aber Du darfst doch kein gewöhnlicher Krieger sein!«

»Ich habe jetzt noch viel zu thun. Ich muß meine Freunde begleiten und mit ihnen kämpfen. Wenn ich zurückkehre, werde ich einen andern Stamm finden, welcher mich bittet, sein Häuptling zu sein.«

»Mein Bruder, Du bist nicht nur tapfer und weise, sondern Dein Herz ist das Herz eines guten Bruders. Du willst mich nicht kränken; dafür wird mein Leben Dir gehören bis zum letzten Hauch desselben.«

Sie umarmten sich abermals innig und aufrichtig.

Das waren zwei sogenannte »Wilde«. Würde wohl in unsern »civilisirten« Staaten ein älterer Bruder sich so frisch und frei, so selbstlos dazu verstehen, dem Nachgeborenen alle seine Rechte abzutreten?


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Es entstand eine Pause, während welcher die beiden »Rothhäute« sich ihren stillen Gefühlen hingaben. Dann sagte Bärenherz:

»Als ich fortging, lebte auch meine Mutter. Sie war die beste Mutter, so weit die Dörfer und Jagdgründe der rothen Männer reichen.«

»Du redest die Wahrheit. Ich habe viele Mütter gesehen, aber keine, wie sie.«

»Auch sie ist zum großen Geiste zurückgekehrt?«

»Nein.«

Da schlug Bärenherz, der große Apachenhäuptling, im kindlichen Jubel und überquellender Freude die Hände zusammen und rief fragend:

»Sie lebt noch?«

»Sie lebt.«

»Ists wahr?«

»So wahr wie mein Schwur!«

Da sprang Bärenherz empor, breitete seine Arme gegen Westen aus und rief:

»O Mutter, o Mutter, meine Mutter!«

Dann kniete er neben dem Bruder nieder, küßte ihn auf Stirn, Mund, Wangen und Augen und sagte:

»Diese Nachricht ist mir mehr werth, als Alles, was Du mir geben könntest.«

»Und als die Häuptlingswürde?«

»Ja, viel, viel mehr werth!«

Seine Augen quollen über von einer Flut von Thränen. Er faltete die Hände, hob sie empor und rief, noch immer auf den Knieen liegend:

»O Gott, Du guter Manitou, Du gnädiger großer Geist, ich danke Dir, daß Du mir die erhalten hast, die mir mein Herz und mein Leben gab.«

Das war das Gebet eines Indianers. Wie manches sogenannte christliche Kind könnte sich ein Beispiel an diesen rothhäutigen Barbaren nehmen.

»Als ich von ihr fortging, zählte sie fünf mal zehn Winter,« sagte er.

»Sie zählt jetzt sechs mal zehn und sechs Winter,« fügte Bärenauge hinzu.

»Wie ist die Kraft ihres Körpers?«

»Ihr Körper ist stark und ihre Seele licht, aber ihre Augen sind dunkel.«

»Sie kann nicht mehr gut sehen?«

»Sie kann das Licht der Sonne gar nicht mehr sehen.«

»O Manitou! Sie ist blind?« fragte Bärenherz erschrocken.

»Ja.«

»Seit welcher Zeit?«

»Seit zwei Wintern und einem Sommer.«

»Wer trägt die Schuld, daß ihr das Licht genommen ist?«

»Der böse Geist hat sie angeblasen und ihr eine Haut über das Auge gemacht.«

»Was sagt der Zauberer dazu?«

»Der Medizinmann hat ihr viele Mittel gegeben. Er hat ihr süße und bittere Tränke bereitet; er hat ihr Kräuter und Wurzeln aufgelegt; aber der böse Geist hat sich nicht erweichen lassen.«

»Habt Ihr keine Opfer gebracht?«

»Viele, aber es hat nichts geholfen.«

»Ich weiß ein Mittel, welches ihr vielleicht helfen wird.«


// 1656 //

»Welches, mein Bruder?«

»Ich habe einen weißen Freund, der ein großer Medizinmann und auch Zauberer ist.«

»Ein Bleichgesicht? Der böse Geist flieht vor keinem Bleichgesicht.«

»Uff! Aber dieses Bleichgesicht ist so viel werth wie zehn rothe Häuptlinge.«

Bärenauge sah ihn staunend an. Das war doch ganz und gar nicht gesprochen wie ein Häuptling der Apachen.

»Will mein Bruder mit mir scherzen?« fragte er.

»O nein. Dieses Bleichgesicht hat schon vielen Blinden die Sonne wiedergegeben.«

»Wie heißt der Mann?«

»Sternau.«

»Das ist ein fremder, unbekannter Name. Der Mann wird sein wie der Halm des Grases in der Savanne; es sind ihrer Millionen.«

»Kennst Du den Namen Matava-se?«

»Den Fürsten des Felsens? Wer sollte ihn nicht kennen! Er ist das größte Bleichgesicht in den Bergen und in der Savanne.«

»Der Fürst des Felsens wird von seinem Volke Sternau genannt.«

»Ugh! Der Fürst des Felsens ist Dein Freund?« fragte Bärenauge im Tone des freudigsten Erstaunens.

»Ja.«

»Wo ist er?«

»Hier.«

»Hier? Beim Fort Guadeloupe?«

»Ja.«

»Was thut er da?«

»Er hat das Fort kommandirt und den Angriff der Franza abgeschlagen.«

»So werde ich ihn sehen?«

»Ja,«

»Wann kam er nach dem Fort?«

»Heut am vierten Theile der Sonne.«

»Hat er viele Krieger bei sich?«

»Nein, aber welche bei ihm sind, die sind sehr berühmt.«

»Wie heißen sie?«

Ein leises Lächeln ging über das Gesicht Bärenherzens, als er antwortete:

»Sie heißen Shosh-in-liett - -«

»Shosh-in-liett? Bärenherz? Du selbst bist mit ihm gekommen?«

»Ja. Ich bin diese sechzehn Winter mit ihm zusammen gewesen.«

»Wo?«

»Auf einer Insel mitten im großen Wasser. Ich werde es Dir noch erzählen. Ferner sind bei ihm Donnerpfeil und Büffelstirn.«

»Das sind sehr berühmte Krieger.«

»Auch noch Andere sind bei ihm, welche Du sehen wirst. Er ist ein Häuptling aller Krankheiten. Er hat ein kleines Messer, mit welchem er in ein blindes Auge ein Loch schneidet, daß das Licht der Sonne wieder eindringen kann.«


Ende der neunundsechzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk