Lieferung 72

Karl May

5. April 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


// 1705 //

sich also um ein ernstes Ereigniß. Er warf sich, so schnell es ging, in seine Kleider, und wollte eben seine Stube verlassen, als Maria Hermoyes eintrat.

»O, Sennor, was mag los sein?« fragte sie beängstigt.

»Ich weiß nicht,« antwortete er.

»Das ist ja ein Kampf! Hört Ihr die Rufe?«

»Ein Kampf? Mit wem sollten die Franzosen kämpfen? Wer sollte die Hazienda überfallen? Es wird sich um ein Mißverständniß handeln.«

»O, dann wäre das Schießen bereits aus! Hört Ihr diesen Schrei? Mein Gott!«

»Santa Madonna, das war ein Todesschrei!«

»Jetzt wieder einer und noch einer!«

»Man kommt in das Haus! Hört Ihr die Stimmen, Maria?«

»Ja. Man kommt jetzt sogar die Treppe empor. Wer mag das sein?«

Der Haziendero wollte öffnen, aber die Thür wurde bereits vorher geöffnet. Zwei Personen standen unter derselben, von dem Kienspahne beleuchtet.

»Cortejo!« rief Arbellez erschrocken.

»Josefa!« rief Maria Hermoyes.

Sie hatte das Mädchen trotz der Verkleidung sofort erkannt.

Cortejo hatte ein gespanntes Pistol in der Hand; seine Tochter ebenso. Hinter ihnen wurden die finsteren Gestalten seiner Mexikaner sichtbar.

»Ja, ich bin es,« sagte er, eintretend und die Thür hinter sich und Josefa verschließend.

»Mein Gott, was wollt Ihr?« fragte Arbellez.

»Das werdet Ihr sogleich sehen. Setzen wir uns!«

»Ja, setzen wir uns!« fügte Josefa hinzu, indem sie auf einem Stuhle Platz nahm und mit ihren runden, kalten Eulenaugen die beiden alten, erschrockenen Leute triumphirend betrachtete. »Wer soll das Verhör führen, Vater?«

»Ah, Du willst Dir einen Spaß machen,« sagte er. »Gut, sprich Du.«

Er lehnte sich in eine Hängematte und warf den brennenden Spahn zu Boden. Dieser war hier unnütz, da ja ein Licht brannte. Während er mit der Pistole spielte, ruhte sein Auge mit dem Ausdrucke des Hohnes und Hasses auf Arbellez und Maria.

Seine Tochter setzte den Hahn ihrer Pistole in Ruhe und sagte zu dem Haziendero:

»Ihr fragt, was wir hier wollen? Gericht halten wollen wir!«

»Gericht?« fragte er. »Ueber was?«

»Ueber Euch und Diese da.«

Bei diesen Worten zeigte sie auf Maria Hermoyes.

»Ihr scherzt, Sennorita,« meinte Arbellez. »Wir haben Euch ja nichts gethan. Ich bin erstaunt, Euch hier zu sehen, Sennor Cortejo. Wollt Ihr nicht die Güte haben, mir Euer Erscheinen auf meiner Hazienda zu erklären?«

»Diese Erklärung werde ich Euch an Stelle meines Vaters geben,« sagte Josefa. »Habt Ihr in jüngster Zeit von uns gehört?«

»Ja,« antwortete der Haziendero.

»Was?«


// 1706 //

»Darf ich es sagen? Ich habe es nicht geglaubt.«

»Sagt es! Ich befehle es Euch!«

Der Alte trat einen Schritt zurück und sagte:

»Ihr sprecht vom Befehlen? Jedenfalls bin ich es, der hierzu befehlen hat!«

»Da irrt Ihr Euch sehr,« antwortete sie stolz. »Ich bin jetzt Herrin der Hazienda del Erina, um welche Ihr uns betrügen wolltet.«

»Wenn Ihr in diesem Tone sprecht, werde ich meine Vaqueros rufen!«

»Ruft sie!« sagte sie höhnisch.

Arbellez trat wirklich an die Thür. Als er sie öffnete, blickten ihm die wilden Gesichter einiger Mexikaner entgegen, welche von Cortejo den Befehl erhalten hatten, sich hierher zu postiren. Er fuhr zurück und fragte:

»Wer ist das? Was wollen diese Leute?«

»Das ist meine Ehrengarde,« antwortete Josefa. »Ich will Euch sagen, daß wir mit dreihundert Mann die Hazienda überfallen haben. Die Franzosen sind getödtet und Ihr befindet Euch in meiner Hand.«

»Ich? In Eurer Hand? Ihr irrt, Sennorita. Ihr mögt die Franzosen überfallen und tödten; ich aber bin ein freier Mexikaner, dem Ihr nichts anhaben könnt!«

»Ihr seid es, der sich irrt. Ihr seid nicht ein freier Mexikaner, sondern unser Gefangener. Merkt Euch das! Beantwortet mir also meine Frage von vorhin: Was ist es, was Ihr in jüngster Zeit von uns gehört habt?«

Petro Arbellez konnte sich nur schwer in die Situation finden, sie war ihm fast unbegreiflich. Er sollte der Gefangene dieser beiden Menschen sein? Früher hätte er sich zur Wehr gesetzt, jetzt aber war er alt, schwach und krank, es fehlte ihm die Energie der jüngeren Jahre; er sah die Waffen, welche sich in den Händen der Beiden befanden, er hörte ein wüstes Schreien, Rufen und Jauchzen, welches jetzt durch die Räume der Hazienda erschallte, und das vermehrte seine Bestürzung.

»Antwortet!« gebot Josefa.

Und als er nicht sofort gehorchte, spannte sie den Hahn ihrer Pistole.

»O, Sennor, redet, gebt Antwort! Ihr werdet sonst erschossen!« bat Maria Hermoyes.

»Ja, wenn Ihr Beide mir nicht unbedingt gehorcht, werdet Ihr ohne Gnade und Barmherzigkeit erschossen,« drohte Josefa, welche sich in der Rolle eines Räuberhauptmannes ganz behaglich fühlte. »Also, was habt Ihr gehört?«

»Daß Sennor Cortejo Präsident werden will,« antwortete jetzt Arbellez.

»Präsident? Pah! König will er werden! Ganz Mexiko wird ihm und mir gehören! Diese Hazienda wird von uns zuerst besetzt, denn sie ist unser Eigenthum.«

»Sie ist das meinige!«

»Ihr lügt!«

»Ich habe sie gekauft!«

»Beweist es!«

»Ich habe es bereits bewiesen, ich besitze das Dokument des Kaufes.«


// 1707 //

»Dieses Dokument ist gefälscht. Ihr habt die Hazienda nicht gekauft, Ihr habt sie vielmehr geschenkt erhalten, und die Kaufacte sind nur zum Schein ausgestellt worden.«

»Selbst wenn Ihr das Richtige errathen hättet, wäre die Hazienda mein Eigenthum. Und selbst wenn mein Recht ein nichtiges wäre, fiele die Hazienda an den Grafen Rodriganda zurück, aber nicht an Euch.«

»Pah! Was dem Grafen gehört, gehört auch uns! Ihr versteht das freilich nicht!«

»O, ich verstehe und begreife das schon!« sagte er.

Der Zorn hatte ihn erfaßt, da begann er, muthiger zu werden.

»Ihr begreift es? Wirklich!« höhnte sie. »Wie unendlich klug von Euch.«

»Ja, ich begreife es,« antwortete er. »Ich kenne Eure ganze Schlechtigkeit, ich durchschaue den ganzen, ungeheuren Schwindel.«

»So seid doch so gut, es uns mitzutheilen,« lachte sie boshaft.

»Der untergeschobene Graf Alfonzo ist ein Cortejo, darum glaubt Ihr, was den Rodrigandas gehört, gehöre auch Euch. Oder wollt Ihr das leugnen?«

»Leugnen? Euch gegenüber? Ihr seid nicht bei Sinnen. Was ein Verrückter sagt, das braucht weder bestätigt noch geleugnet zu werden. Also Ihr habt die Hazienda wirklich gekauft, mein theurer Sennor Arbellez?«

»Ja.«

»Ihr habt ein Dokument darüber?«

»Ja.«

»Wo?«

»Es ist gut aufgehoben.«

»Ich frage, wo?«

»Das ist lediglich meine Sache, aber nicht die Eurige.«

»Ihr irrt Euch abermals. Ich bin gekommen, das Dokument von Euch zu fordern.«

»Ah, Ihr wollt das Dokument in Eure Gewalt bringen?«

»Ja,« lachte sie.

»Und mich dadurch um mein Eigenthum betrügen?«

»Ja.«

»Das wird Euch nicht gelingen.«

»Ich werde Euch zwingen.«

»Versucht es.«

Da wurden ihre Eulenaugen größer, ihre Züge zeigten einen unaussprechlichen Haß. Sie sagte:

»Bringt mich nicht in Zorn, Alter! Eure Strafe würde fürchterlich sein. Ich verlange das Dokument. Wo habt Ihr es?«

»Ich wiederhole, daß Ihr es nicht erhaltet.«

»Ich werde es suchen.«

»Ihr werdet es nicht finden.«

»Ich stürze das ganze Haus darnach um.«

»Es befindet sich nicht im Hause. Euer Suchen würde ein vergebliches sein.«

Da sprang sie vom Stuhle auf, ballte die Faust und zischte ihm entgegen:


// 1708 //

»Ah, Ihr habt es nicht hier auf der Hazienda?«

»Nein.«

»Wo sonst?«

»Es liegt mit meinem Testamente in sichern Händen. Gebt Euch keine Mühe.«

Ihr Zorn wuchs, ihre Augen sprühten Blitze.

»Ein Testament habt Ihr gemacht? Ah, ist das wahr?«

»Ja,« antwortete er.

»Und Ihr habt einen Erben eingesetzt?«

»Ja.«

»Dem die Hazienda gehören soll?«

»Die Hazienda und Alles, was zu ihr gehört.«

»Wer ist es?«

»Testamentsgeheimnisse pflegt man nicht auszuplaudern, Sennorita.«

Da stampfte sie mit dem Fuße auf und rief:

»Ich befehle Euch aber, es zu sagen.«

»Ihr habt mir nichts zu befehlen.«

»Das wird sich finden. Wenn Ihr mir nicht freiwillig antwortet, werde ich Euch zum Reden zu zwingen wissen.«

Seine ganze Energie war erwacht. Er antwortete im verächtlichsten Tone:

»Ihr seid nicht die Person, welche mich zu Etwas zwingen könnte!«

»Nicht? Ah, Ihr glaubt wohl gar nicht, daß sich die Hazienda in unserer Gewalt befindet?«

»Ich glaube es. Ich muß es ja glauben, denn ich höre das Freudengeheul Eurer Bande, welche bereits zu plündern beginnt.«

»Hört Ihr es? Hört Ihr es wirklich? Ja, unsere Burschen sind nicht faul. Alles, alles was sie finden, gehört ihnen, nur Petro Arbellez und Maria Hermoyes sind unser Eigenthum; diese beiden Personen haben wir uns ausbedungen. Glaubt nicht, daß Ihr entfliehen oder uns entgehen könnt!«

»Ich weiß es. Wir befinden uns in der Gewalt zweier Teufel.«

»Zweier Teufel, ja, das ist der richtige Ausdruck. Ihr sollt sehen, wie es ist, wenn der Teufel mit Einem umgeht. Ich frage Euch zum letzten Male, ob Ihr mir sagen wollt, wo sich das Kaufdokument befindet?«

»Ihr erfahrt es nicht.«

»Auch nicht, wer Euer Erbe ist?«

»Nein.«

»Ich werde Euch in den tiefsten Keller stecken lassen.«

»Thut es!«

»Ich werde Euch foltern und auf alle mögliche Weise peinigen und quälen!«

»Versucht es. Gott wird uns beschützen.«

»Gott wird sich um Euch nicht bekümmern. Ihr werdet verhungern müssen, langsam verhungern.«

»Ich fürchte den Tod nicht!«

»O, mein Alter, Du sollst ihn fürchten lernen. Dein Tod wird ein schrecklicher sein. Ich werde Dich peitschen lassen. Du sollst alle Qualen erleiden, welche es nur geben kann!«


// 1709 //

»Es wird sich ein Rächer finden lassen!«

»Glaube das nicht. Wer will es wagen, sich an der Tochter des Königs von Mexiko zu vergreifen oder zu rächen!«

»Noch ist Euer Vater nicht König. Er wird es niemals werden!«

»Wurm, der Du bist! Du bleibst also bei Deiner Halsstarrigkeit?«

»Ja. Ich bin ein alter Mann. Ihr habt mir mein einziges Kind geraubt, Ihr habt mit satanischer List das Glück ganzer Familien untergraben. Wenn Ihr mich zu Tode martert, wird Euer Gewissen nicht viel schwerer werden, aber ich verfluche Euch, und mein Fluch wird Euch treffen, wenn Ihr es am Wenigsten denkt!«

Sie stieß ein höhnisches, aber gezwungenes Lachen aus.

»Ja, Du bist ein alter Mann,« sagte sie, »Du bist altersschwach, Du weißt nicht mehr, was Du redest. Aber wenn ich Dir den Rücken zerfleischen lasse, so wirst Du wenigstens das noch reden können, was ich von Dir hören will. Mit Dir bin ich nun fertig. Jetzt zu der Andern.«

Die alte, brave Maria Hermoyes hatte mit Zittern und Beben dieser Unterredung zugelauscht. Sie kannte dieses Mädchen genau, sie wußte, was von Josefa zu erwarten war, welche vor keiner Gewalt und Grausamkeit zurückschreckte. Jetzt kam die Reihe an sie. Sie erwartete mit Angst, was man ihr sagen werde.

»Warum bist Du von Mexiko fortgegangen?« fragte Josefa.

»Ich wollte nach der Hazienda,« antwortete Maria.

»Warum?«

»Sennor Arbellez war mein Freund.«

»Ah, in Mexiko hattest Du keine Freunde? Hattest Du denn nicht uns?«

Die Alte schlug verlegen die Augen nieder. Konnte sie sagen, daß sie durch die Angst von Mexiko vertrieben worden war? Aber das Mädchen kam ihr zu Hilfe:

»Du hattest Angst vor uns? Nicht wahr?«

Maria schwieg. Josefa aber fuhr fort:

»Du hattest recht, Alte. Wärst Du in Mexiko geblieben, so lebtest Du heute nicht mehr. Mexiko ist ein schlimmer, ungesunder Ort für Leute, welche sich in die Geheimnisse Anderer drängen. Es war klug, daß Du flohst. Aber mit wem bist Du gegangen?«

»Mit zwei Indianern.«

»Mit Indianern? Da hast Du gute Gesellschaft gehabt. Doch das geht mich Alles jetzt nichts an. Für heute habe ich einige Fragen für Dich. Beantwortest Du sie mir der Wahrheit gemäß, so wird Dein Schicksal wenigstens kein so grausames sein, wie dasjenige dieses halsstarrigen Alten. Hast Du gewußt, daß er ein Testament gemacht hat?«

»Ja,« antwortete Maria.

»Hat er mit Dir darüber gesprochen?«

»Ja.«

»Weißt Du, wer der Erbe wird?«

»Nein.«

Dieses »Nein« war in einem auffallend unsichern Tone gesprochen. Dieser Ton fiel Josefa auf, darum fuhr sie die Alte an:


// 1710 //

»Lüge nicht! Weißt Du, wem er die Hazienda vermacht hat?«

»Ja,« antwortete jetzt die Gefragte zögernd.

»Wer ist es?«

»Eine Verwandte.«

»Er hat noch Verwandte? Das habe ich gar nicht gewußt. Wo sind diese Verwandten?«

»Ganz im Norden des Landes.«

Maria Hermoyes blickte bei jeder ihrer Antworten Arbellez an. Er that gar nicht, als höre er, was sie sagte. Die Angst brachte sie zum Reden.

»Im Norden?« wiederholte Josefa. »Wo?«

»In Fort Guadeloupe.«

»Das kenne ich nicht. Wo liegt das?«

»Am Rio Puercos.«

»Ach, dort oben; weißt Du, wer diese Verwandten sind?«

»Es ist ein Kaufmann, er heißt Pirnero.«

»Pirnero; den Namen wird man sich merken müssen. Und dieser Pirnero soll die Hazienda erben?«

»Er nicht, sondern seine Tochter.«

»Was Du sagst. Er hat also eine Tochter oder gar mehrere?«

»Nur eine einzige.«

»Wie heißt sie?«

»Resedilla.«

»Ein schöner, poetischer Name. Man wird dafür sorgen, daß diese Resedilla auch etwas Poetisches erlebt. Weiß sie denn, daß sie Erbin werden soll?«

»Ja.«

»So ist sie hier gewesen?«

»Nein. Sennor Arbellez hat einen Boten zu ihr geschickt.«

»Wer war der Bote?«

»Ein Vaquero.«

»Wann ist er fort?«

»Vor kurzer Zeit.«

»Wirklich? Vor kurzer Zeit erst? So ist der Mann wohl noch gar nicht zurück?«

»Nein.«

»Das ist gut. Man wird den Mann erwarten müssen. Welche Botschaft hatte er denn auszurichten?«

Maria blickte verlegen zu Arbellez hinüber. Dieser bemerkte es und sagte:

»Antwortet nur immer zu. Was Ihr wißt, mögt Ihr ruhig sagen. Ihr sollt meinetwegen nicht auch gepeinigt werden, Sennora.«

»Du hast es gehört, also antworte,« sagte Josefa.

»Der Vaquero hat Sennorita Resedilla zu bitten, nach der Hazienda zu kommen.«

Da machte Josefa eine triumphirende Miene.

»Ah, die Erbin kommt nach del Erina?« fragte sie rasch.

»Ja.«


// 1711 //

»Sie soll würdig empfangen werden. Ich werde ihr zu dieser Erbschaft gratuliren. Warst Du dabei, als Arbellez sein Testament machte?«

»Nein.«

»Wo hat er es gemacht?«

»Hier in diesem Zimmer.«

»Wer war dabei?«

»Drei Sennores, welche geritten kamen und zwei Tage hier verweilten.«

»Wo waren sie her?«

»Ich weiß es nicht.«

»Lüge nicht, Alte!«

»Sennorita, ich kann es mit dem heiligsten Eid beschwören, daß ich es nicht weiß.«

»Hat Arbellez nicht davon gesprochen?«

»Nein.«

»Und Du hast nicht darnach gefragt?«

»Nein. Sie waren so vornehm, ich getraute mich nicht, sie zu fragen.«

»Aber ihre Namen hast Du doch gehört?«

»Nein.«

»Ihr müßt sie doch gerufen oder genannt haben!«

»Der Eine wurde Sennor Mandatario genannt.«

»Und die Andern?«

»Der Erste war der Sennor Advocatore und der Andere der Sennor Secretario.«

»So habt Ihr alle Drei nur nach ihrem Stande genannt. Hat vielleicht Einer von ihnen das Testament mitgenommen?«

»Ja, der Sennor Mandatario.«

»Woher weißt Du das?«

»Als er Abschied nahm, sagte er zu Sennor Arbellez, daß das Testament ganz sicher liege.«

»Es könnte doch einer der Dienstboten oder Vaqueros ihn erkannt haben?«

»Keiner hat ihn erkannt.«

»Er ist auch nicht wieder hier gewesen?«

»Nein.«

Cortejo hatte sich bisher behaglich in seiner Hängematte geschaukelt und den stillen Zuhörer gespielt; jetzt nun begann er, sich zu betheiligen.

»Laß das, Josefa,« sagte er. »Auf diese Weise wirst Du nichts erfahren. Dieses alte Weib weiß nichts; aber Arbellez wird wohl reden müssen. Wir sperren ihn in den Keller und geben ihm nichts zu essen und zu trinken. Hunger und Durst thun weh, sie werden ihn schon zum Sprechen bringen. Er wird uns sagen, wo sich die Kaufacte befinden, er wird uns sogar die schriftliche Bescheinigung aufsetzen, daß diese Acte uns ausgehändigt werden soll.«

»Und damit willst Du warten, bis ihn der Hunger oder der Durst zwingt?« fragte sie.

»Ja. Oder weißt Du etwas Besseres?«

»Gewiß. Ich hoffe, daß Du mich thun läßt, was ich will, Vater?«


// 1712 //

»Erst muß ich wissen, was es ist.«

»Du sollst es erfahren. Zuerst aber noch eine Frage an den da.«

Sie wendete sich abermals zu Arbellez:

»Hat der Mandatario wirklich Euer Testament?«

»Ja.« antwortete er.

»Woher ist er und wo wohnt er?«

»Das werdet Ihr nicht erfahren. Mein Unglück hatte mich vorsichtig gemacht; ich ahnte, daß es noch nicht zu Ende sei und bat daher jene drei Sennores, keinem Menschen wissen zu lassen, wer sie seien. Sie haben diesen Wunsch erfüllt.«

»So ist es wohl auch dieser Mandatario, welcher die Kaufacte auf bewahrt?«

»Das werde ich Euch nicht sagen.«

»In zehn Minuten werde ich es dennoch wissen, denn ich werde Euch jetzt so lange prügeln lassen, bis Ihr redet. Ich frage Euch also jetzt zum letzten Male!«

»Laßt mich alten Mann schlagen! Ihr seid eine Furie, ein nichtswürdiges Geschöpf, welches nicht werth ist, von der Sonne beschienen zu werden.«

»Hörst Du es, Vater?« fragte sie grimmig. »Er soll seine Hiebe haben.«

»Das hat ja noch Zeit, Josefa. Wir wollen es vorher mit dem Hunger versuchen.«

»Nein, Vater. Hierein lasse ich mir nicht reden. Du mußt mir meinen Willen lassen. Was man jetzt erfahren kann, soll man nicht erst später hören wollen.«

Sie schritt zur Thür, öffnete sie und ließ zwei Mexikaner eintreten.

»Dieser Mann hier soll Schläge bekommen,« sagte sie. »Ihr werdet das besorgen.«

Die beiden Männer blickten einander an, und dann fragte der Eine:

»Wo soll es geschehen?«

»Gleich hier im Zimmer.«

»Wie viele Hiebe?«

»Ihr schlagt so lange zu, bis ich Euch aufzuhören gebiete.«

»Gut. Aber, Sennorita, Ihr werdet zugeben, daß wir Eure Diener nicht sind!«

Ihre Brauen zogen sich zusammen.

»Was sonst?« fragte sie barsch.

»Wir haben versprochen, für Eure Sache zu kämpfen, aber zu solchen Diensten haben wir uns keineswegs verpflichtet. Das ist das Amt eines Dienstboten oder Henkers.«

»So werde ich es Euch bezahlen.«

»Das läßt sich eher hören. Wie viel bietet Ihr uns, Sennorita?«

»Jeder erhält ein Goldstück.«

»Das ist genug. Aber Ihr vergeßt noch ein Weiteres: Ihr habt uns aufgefordert, da vor der Thür zu stehen und für Euch bereit zu sein. Unterdessen plündern die Andern das Haus, wir aber erhalten nichts von dem, was sie sich nehmen.«


// 1713 //

»Ihr meint, daß ich Euch zu entschädigen habe?«

»Ja, das meinen wir.«

»Ich werde es thun. Wenn Ihr mir gehorcht, so sollt Ihr nicht zu kurz kommen.«

»Wie viel werden wir erhalten, Sennorita?«

»Ich werde erst sehen, welche Beute die Anderen machen. Ihr werdet mit mir zufrieden sein. Glaubt Ihr, daß Stöcke im Hause zu finden sind?«

Der Sprecher nickte listig, zwinkerte mit den Augen und zeigte nach den Fenstern.

»Seht die Rouleaux', Sennorita,« sagte er. »Ich glaube, es sind Rohrstäbe, welche darin stecken. Man könnte sie sehr gut gebrauchen.«

»Und Stricke zum binden?«

»O, wir haben ja unsere Lassos!«

»Gut, so könnt Ihr beginnen!«

Da trat Maria Hermoyes näher, faltete die Hände und bat mit Thränen in den Augen:

»Um Gotteswillen, thut es nicht, Sennorita! Ihr werdet ihn tödten!«

»Packe Dich, Alte!«

Sie stieß sie von sich. Aber Maria machte dennoch einen Versuch.

»Bedenkt, wie treu ich Euch stets gedient habe. Ich habe Euch auf den Armen getragen und Euch gepflegt und gewartet, so lange Ihr ein Kind waret. Vielleicht hätte ich es verdient, daß Ihr mir eine solche Bitte erfüllt.«

»Mir treu gedient? Geflohen bist Du! Schweige, sonst erhältst Du ebenso Deine Prügel wie er.«

»Aber Sennorita, Ihr könnt doch nicht ernstlich wollen, daß -«

»Still!« rief sie unterbrechend, das unweibliche Mädchen. »Sagst Du noch ein Wort, so lasse ich Dich schlagen, bis das Blut kommt!«

Und zu den beiden Mexikanern gewendet, fuhr sie fort:

»Bindet der Alten das Maul zu, daß sie nicht schreien kann. Ich vermuthe, daß sie jammern wird, wenn er die Hiebe erhält.«

»Wollen wir sie nicht lieber hinwegschaffen lassen?« fragte Cortejo.

»Nein. Sie soll zusehen. Das hat sie ja mehr als reichlich verdient.«

»So will wenigstens ich fortgehen. Laß es mich wissen, wenn Ihr fertig seid!«

Er verließ das Zimmer.

Die beiden Mexikaner banden Maria Hermoyes an Händen und Füßen und befestigten ihr auch ein Tuch um den Mund. Sie ließ es geschehen, ohne sich zu wehren, da sie sah, daß ein jeder Widerstand vergeblich sei und die Sache nur verschlimmern werde.

Jetzt traten die zwei Henker zu Petro Arbellez.

»Willst Du beichten?« fragte Josefa, sich nochmals an ihn wendend.

»Nie, selbst wenn ich sterben sollte!« antwortete er.

»Ich werde Dich todtprügeln lassen, Mensch!« drohte sie.

»Thut es meinetwegen. Aber meine Hazienda erhaltet Ihr nicht; die bleibt meiner Erbin.«


// 1714 //

»So beginnt! Aber ja keine Schonung!«

Auf diesen Befehl bemächtigten sich die beiden Mexikaner des Haziendero. Er wurde entblößt, gebunden und zu Boden geworfen. Dann zogen sie die beiden Stöcke aus den Rouleaux', um die Execution zu beginnen.

Einer stand hüben und der Andere drüben von Arbellez, welcher regungslos am Boden lag. Er hatte sich in sein Schicksal ergeben und versuchte keinen Widerstand.

»Vorwärts!« befahl Josefa.

Der erste Streich fiel. Petro zuckte zusammen. Der zweite Hieb folgte, und es entstand sofort ein blutiger Striemen. Petro aber gab keinen Laut von sich.

So folgte Schlag auf Schlag. Das Blut floß über die Diele hin. Maria Hermoyes war gezwungen, zuzusehen. Sie konnte sich unter ihren Fesseln nicht bewegen, aber man sah ihr die fürchterliche Qual an, welche sie empfand.

Josefa zählte die Schläge. Ihre Augen leuchteten in grimmigem Entzücken. Es war kein Zweifel, die Execution verursachte ihr ein ungeheures Vergnügen.

Arbellez bewegte sich nicht. Da hielt der eine Mexikaner inne und sagte:

»Der Alte thut ja nicht dergleichen. Ich glaube, er ist todt.«

»Oder wenigstens ohne Besinnung,« fügte der Andere hinzu.

»Seht nach!« gebot Josefa.

Die beiden Buben drehten den Alten mit dem Gesicht nach oben. Seine Augen waren geschlossen, vor seinem Munde stand ein dicker, blutiger Schaum.

»Er hat genug!« sagte der Eine.

»Ist er todt?« fragte Josefa.

»Wollen einmal sehen.«

Er bückte sich nieder und untersuchte den Haziendero.

»Todt ist er noch nicht,« sagte er dann. »Es ist noch Athem in ihm.«

»So können wir später die Hiebe wiederholen, wenn er bei seinem Schweigen verharrt. Ihr habt Eure Sache gut gemacht. Hier ist Euer Lohn.«

Sie zog eine seidene Börse und nahm zwei Goldstücke daraus.

»Danke, Sennorita!« sagte der Sprecher. »Was aber thun wir mit ihm?«

»Wir schließen ihn ein.«

»Wo?«

»Es wird wohl im Keller einen Platz geben, wo man ihn sicher halten kann.«

»Und diese alte Frau hier?«

»O, die schließen wir zu ihm. Sie mögen Beide hungern bis ihnen der Athem ausgeht.«

»So wartet ein Wenig, Sennorita. Ich werde gehen und einmal im Keller nachsehen, ob dort ein geeigneter Ort vorhanden ist.«

Er ging und kehrte bereits nach kurzer Zeit zurück.

»Es ist da unten ein Verschluß, in welchem zur Noth drei Menschen stecken könnten,« meldete er. »Wollen wir sie hinunterschaffen?«

»Ist der Ort sicher?«

»Ja.«

»Die Thür gut und fest?«


// 1715 //

»Mit Eisenblech beschlagen und zwei große Riegel davor.«

»Ein Fenster?«

»Nein. Es giebt nur ein kleines Luftloch, nicht größer als eine Kinderhand. Flucht ist eine absolute Unmöglichkeit.«

»So faßt an, ich werde mitgehen.«

Der Eine nahm Arbellez und der Andere Maria Hermoyes auf die Arme und Josefa folgte. So begaben sie sich mitten durch das plündernde Gesindel hindurch nach dem Keller. Das entmenschte Mädchen untersuchte das bezeichnete Loch und erklärte es wie eingerichtet für den vorhandenen Zweck.

»Werft sie hinein!« gebot sie. »Den Schlüssel nehme ich zu mir.«

»Lassen wir ihnen die Fesseln?« fragte der eine Mexikaner.

»Ja. Das ist sicherer für mich und doppelte Qual für sie.«

»Aber wir brauchen unsere Lassos, Sennorita!«

»Gut, so bindet sie los. Sie werden auch ohne Fesseln nicht denken, daß sie sich im Paradiese befinden.«

Der leblose Haziendero wurde zuerst entfesselt und in den dunklen, kleinen Raum geworfen. Dann nahm man auch Maria die Fesseln und den Knebel ab.

Jetzt konnte sie wieder sprechen. Das, was sie hatte ansehen müssen, hob sie über jede Furcht hinweg. Sie trat vor Josefa hin und sagte:

»Sennorita, Ihr seid ein Ungeheuer. Thut mit uns, was Ihr wollt; aber es giebt einen gerechten Gott im Himmel, der Alles sieht und Alles hört; er wird uns an Euch rächen und Alles vergelten, was Ihr verbrochen habt!«

»Schweig!« rief Josefa. »Oder willst Du, daß ich Dir die Lippen abschneiden lasse, damit Du nicht mehr reden, sondern nur noch krächzen kannst?«

»Versündigt Euch nicht! Was Ihr mir androht, kann sehr leicht Euch geschehen. Gott kann geben, daß meine Augen Euch in derselben Lage sehen, in welcher sie vorhin den guten Arbellez erblicken mußten.«

»Ich kann dafür sorgen, daß dies nicht geschieht. Selbst wenn es mir einfallen sollte, Dich wieder frei zu geben, werde ich Dich vorher blenden lassen, daß Du nichts mehr sehen kannst.«

»Scheusal!«

»Immer schimpf! Du bist mir ungefährlich. Du könntest es gut bei mir haben; aber Du hast die Spionin und Verrätherin gemacht. Du glaubtest, uns entwischen zu können; nun aber wirst Du unter unseren Händen sterben und verderben wie ein Wurm, den man in den Koth tritt, so daß er sich nicht wieder loszuwinden vermag! Steckt sie hinein!«

Der Eine, welcher immer den Sprecher gemacht hatte, schob Maria in das Loch, warf die Thür zu und zog die beiden Riegel vor. Außerdem gab es ein Hängeschloß, welches vorgelegt wurde. Den Schlüssel nahm Josefa zu sich.

»Ihr werdet noch heut Eure Entschädigung erhalten,« sagte sie. »Es ist nicht nothwendig, daß Jedermann erfährt, was gesprochen worden und überhaupt geschehen ist. Seid Ihr verschwiegen, so belohne ich doppelt gut.«

Sie stieg die dunklen Stufen empor und die Männer folgten ihr langsam. Als sie oben verschwunden war, blieb der Sprecher stehen und sagte:

»Ich bin begierig, was sie uns bezahlen wird.«


// 1716 //

Der Andere schwieg, darum fuhr der Erstere fort:

»Warum antwortest Du nicht, he?«

Da holte der Gefragte tief Athem und sagte:

»Der Teufel hole die ganze Geschichte!«

»Warum? War Dir das Goldstück zu wenig? Es war rasch verdient.«

»Ich wollte, ich hätte es nicht verdient!«

»Kerl, ich glaube gar, Du wirst sentimental und fängst Grillen!«

»Höre, Du kennst mich. Ich bin nicht von Pfefferkuchen gemacht und habe gar Manches auf mich geladen, vor dem einem Andern das Ding, was sie Gewissen nennen, laut brüllen würde. Ich habe dem Alten meine Hiebe mit dem größten Vergnügen aufgezählt, denn sie wurden gut bezahlt. Als wir ihn aber herumdrehten und ich ihm in das Gesicht sah, da war es mir grad so, als ob mich Einer mit einer Keule in das Genick schlüge.«

»Unsinn!«

»Kein Unsinn! Der Schlag ging durch und durch. Was muß es doch gewesen sein?«

»Einbildung!«

»Ich sage Dir aber, daß ich den Schlag wirklich gefühlt habe!«

»Du wirst am Hexenschuß leiden.«

»Fällt mir gar nicht ein. Der Schlag ging nicht durch den Körper sondern durch die Seele. So ist es mir in meinem ganzen Leben noch nicht gegangen.«

»Was Du sagst, ist geradezu lächerlich.«

»Denke, was Du willst. Was ich gefühlt habe, das habe ich gefühlt. Ich glaube fast, es ist das gewesen, was sie das böse Gewissen nennen.«

»Nun höre auf, Mensch, sonst denke ich, Du bist übergeschnappt! Uebrigens hat die Sennorita recht. Es braucht nicht Jeder zu wissen, was geschehen ist.«

»Von mir erfährt es sicherlich Niemand.«

»Von mir auch nicht. Dieses Mädchen ist wahrhaftig eine richtige Teufelin.«

»Darum wird der Teufel sie auch sicher einmal holen!«

»Ich glaube, er könnte von ihr noch Manches lernen.«

»Wehe dem Volke, wenn ihr Vater Präsident würde!«

»Präsident?« lachte der Andere. »Fällt ihm gar nicht ein!«

»Donnerwetter, was faselst Du? Ich denke doch grad, daß wir ihn zum Präsidenten machen wollen?«

»Ja, aber er wird es in seinem ganzen Leben nicht. Wir folgen ihm, um einen guten Sold zu bekommen und einige Abenteuer zu erleben. Wer Präsident wird, das ist mir ganz und gar egal, wenn ich nur dabei leben kann nach meinem Wohlgefallen. Ich glaube gar, Du hast die Sache ernsthaft genommen!«

»Allerdings. Na, jetzt sind wir fertig. Nun können wir sehen, ob wir auch einen Theil von der Beute wegschnappen können.«

»Das versteht sich. Es wird sich wohl Etwas finden lassen, obgleich wir unsere Entschädigung erhalten werden.«

Sie trennten sich.

Der Eine ging, um wirklich nach Raub und Beute zu suchen. Der Andere schlich aber still und finster durch die hin und her rennenden Plünderer hindurch.


// 1717 //

Er schritt um die Ecke des Hauses hinum, blieb dort stehen und brummte:

»Dieses Gesicht. Ich werde es in meinem ganzen Leben nicht vergessen. Ich glaube, daß es mir im Traume erscheinen wird.«

Er schritt nachdenklich weiter, schüttelte sich und fuhr fort:

»Im Traum? Hm, vielleicht sogar in meiner letzten Stunde.«

Er blieb stehen, blickte sich um, als ob er denke, es folge ihm Jemand und sagte zu sich:

»Die letzte Stunde? Einige sagen, dann sei Alles aus und Andere sagen, daß da erst ein neues Leben beginne. Donnerwetter, wenn man Alles, was man hier auf sich geladen hat, mit in dieses Leben hineinschleppen müßte. Welchen Pack hätte ich da zu tragen. Dieser Arbellez läge dann oben darauf und grinste mich immerfort an, weil ich ihn - ah, und weil er dann verhungert ist. Verhungert? Ah, das braucht doch nicht zu geschehen. Ich werde einmal sehen.«

Er schritt an der hinteren Seite des Hauses hin und suchte. Als er ein Loch erreichte, welches sich unten an der Mauer befand, blieb er abermals stehen und murmelte:

»Dies ist ganz bestimmt das Loch, welches in das Gefängniß geht. Wie nun, wenn ich Etwas zu essen hinunterließ? Auch einige Flaschen voll Wasser brächte man ganz gut hinab, wenn man vorsichtig genug wäre, sie an eine Schnur zu binden. Das reicht ganz gut für einige Zeit. Ja, heute Abend, wenn Alles dunkel ist, werde ich es thun, von wegen der Todesstunde und des Gesichtes, welches ich sonst in meinem ganzen Leben nicht wieder aus dem Gedächtnisse bringe.« -

Die Hazienda befand sich also in der Gewalt Cortejos; aber Alles, was nicht niet- und nagelfest war, erklärten die Mexikaner für ihr Eigenthum. Erst als ein Jeder das Seinige bei Seite gebracht hatte, dachte man daran, die todten Franzosen zu entfernen. Sie wurden in der Nähe des Baches eingescharrt.

Bereits am nächsten Tage trafen Nachzügler ein, Angeworbene, welche von dem Agenten Cortejo's Diesem nachgeschickt worden waren. Er hatte festen Fuß gefaßt und es galt nun, sich im Norden zu behaupten. Darum machte er sich mit einer Zahl von hundert Reitern auf den Weg nach dem Rio Grande, um sein gegen Lord Lindsay gerichtetes Vorhaben auszuführen. Josefa blieb zurück, um möglichst seine Stelle zu vertreten, soweit dies ihr möglich war.

Einige Tage später trabte ein Reiter durch die Ebene, welche am rechten Ufer des Rio Guanabal liegt. Man hat von diesem Flusse aus gar nicht mehr weit bis zur Hazienda del Erina.

Der Mann sah verstaubt und angegriffen aus und auch sein Pferd that ermüdet, als ob es einen sehr weiten Weg und eine große Anstrengung hinter sich habe. Und dies war auch wirklich der Fall, denn dieser Reiter war kein Anderer als jener Vaquero, welcher in Fort Guadeloupe gewesen war, um Sennorita Resedilla zu Petro Arbellez einzuladen.

Er hatte sich am Morgen nach dem Kampfestage auf den Weg gemacht, um seinem Herrn, noch ehe die Andern auf der Hazienda eintrafen, die Nachricht zu bringen, daß aller Gram zu Ende sei, indem die so lange Zeit Beweinten noch am Leben und sogar auf dem Heimweg seien.


// 1718 //

Er war glücklich, diese Nachricht bringen zu können und spornte sein Pferd trotz der Müdigkeit desselben zur möglichsten Eile an. Aber der Nachmittag verging und erst am Abende gelangte er in die Nähe der heimathlichen Hazienda.

Jetzt gab er seinem Pferde die Sporen und galoppirte geradenwegs bis vor das Thor, welches er verschlossen fand. Er klopfte laut an.

»Wer ist draußen?« fragte eine fremde Stimme.

Er nannte seinen Namen.

»Kenne ich nicht,« brummte es drinnen.

»So bist Du wohl erst kurze Zeit hier?« fragte der Vaquero von außen.

»Ja.«

»Na, so mach nur auf. Ich bin Vaquero des Sennor Arbellez und komme von Fort Guadeloupe, wo wir die Franzosen geschlagen haben.«

»Fort Guadeloupe? Die Franzosen geschlagen? Ja, da bist Du einer der Unsrigen. Komm herein.«

Das Thor wurde geöffnet und hinter dem Vaquero wieder verschlossen. Er blickte sich nicht groß um, es war ja dunkel, daher bemerkte er nichts von den Veränderungen, welche seit seiner Abwesenheit hier vorgegangen waren.

Er sprang vom Pferde, ließ es so, wie er es gewohnt war, frei laufen und begab sich zunächst nach dem Raume im Erdgeschosse, wo sich die Vaqueros aufzuhalten pflegten. Er wollte diesen zeigen, daß er zurückgekehrt sei und sich dann hinauf zu Arbellez begeben, um diesem Bericht zu erstatten.

Er öffnete die Thür und blieb erstaunt stehen, als er den Raum mit fremden, bewaffneten Männern erfüllt sah. Auch er wurde sofort bemerkt.

»Holla, wer ist das?« rief Einer. »Wohl wieder ein Neuer?«

Er wurde angefaßt und hereingezogen. Er sah sich ganz verblüfft im Kreise um und wurde deswegen ausgelacht.

»Das Pulver hat er nicht erfunden,« meinte der vorige Sprecher. »Kerl, um für Cortejo zu kämpfen, bedarf es andere Männer als Du bist.«

»Cortejo?« fragte er ganz erstaunt.

»Ja. Oder kommst Du um einer andern Ursache willen?«

»Natürlich.«

»So. Zu wem willst Du denn?«

»Zu meinem Herrn natürlich.«

»Ganz recht. Aber wer ist denn Dein Herr?«

Das Gespräch schien sich in ein Verhör verwandeln zu wollen. Die Andern hörten zu.

»Sennor Petro Arbellez,« antwortete der Gefragte.

»Petro Arbellez? Das war der vorige Besitzer der Hazienda, ja.«

»Der vorige?« fragte der Vaquero ganz betroffen. »Giebt es denn jetzt einen andern?«

»Natürlich. Weißt Du das noch nicht?«

»Kein Wort weiß ich. Wer ist es denn?«

»Cortejo.«

»Cortejo? Cortejo aus Mexiko?« fragte der Vaquero erschrocken.

»Ja, Sennor Pablo Cortejo aus Mexiko.«


// 1719 //

»Donnerwetter.«

»Kerl, ich glaube, Du erschrickst. Paßt Dir dieser Sennor etwa nicht?«

»Ah, ich möchte nur wissen, auf welche Weise er hier so plötzlich Herr geworden ist.«

»Auf welche Weise? Nun sehr einfach: er ist mit uns nach del Erina geritten und hat die Hazienda diesem Arbellez weggenommen.«

»Santa Madonna! Und wo befindet sich jetzt Sennor Arbellez?«

»Der? Hm, wer weiß es? Niemand weiß es. Er ist weg und verschwunden.«

»Mein Gott, so muß ich wieder fort.«

Er wollte sich schleunigst entfernen, aber zehn Fäuste hielten ihn fest.

»Halt, Bursche. Mit Dir ist Etwas nicht richtig. So entkommst Du uns nicht. Man wird Dich erst ein Wenig ins Verhör nehmen müssen.«

»Ins Verhör? Weshalb? Ich bin ein ehrlicher Kerl.«

»Das sagt ein Jeder. Sage einmal, für wen kämpfest Du?«

»Wunderliche Frage. Für wen soll ich kämpfen?«

»Für Bazaine, Max, Juarez oder Cortejo?«

»Für Keinen. Ich bin ein Vaquero meines Sennor Arbellez und habe nur ihm allein zu gehorchen. Was gehen mich die andern Sachen an.«

»Hört Ihrs, Kameraden? Der Mann ist für Arbellez. Man muß ihn hinauf zur Sennorita führen. Haltet ihn fest. Ich werde ihn anmelden.«

Der brave Vaquero gab sich zwar Mühe, von den Leuten loszukommen, aber es gelang ihm nicht. Durch Widerstand konnte er seine Lage nur verschlimmern. Er ergab sich darein und war nun nur neugierig, wer die Sennorita sein werde, zu der er geführt werden solle.

Josefa saß in dem Gemache, welches sie für sich ausgewählt hatte, in einer Hängematte und rauchte eine Cigarrette. Sie trug heute wieder Frauenkleidung; sie hatte einen ganzen Packsattel voll davon mitgebracht. Da trat der Mexikaner ein, welcher soeben unten das Wort geführt hatte.

»Verzeihung, Sennorita,« sagte er, »ich habe eine Meldung zu machen.«

»Welche?«

»Es ist Einer gekommen, der für Arbellez kämpfen will.«

»Für Arbellez kämpfen? Das klingt wunderbar. Wer ist der Mann?«

»Ein Vaquero dieses Arbellez.«

»Schickt ihn mir herauf.«

»Sennorita, man muß vorsichtig sein. Er hat sich zur Wehr gesetzt.«

»So wird er entwaffnet und Zwei bringen ihn mir herein.«

»Ich werde ihn selbst mit bringen.«

Er ging und kehrte mit einem Zweiten zurück. Sie führten den Vaquero, dem sie die Hände auf den Rücken gebunden hatten.

Dieser warf einen forschenden Blick auf das Mädchen. Er kannte sie nicht persönlich und da man ihm ihren Namen nicht genannt hatte, so befand er sich im Unklaren darüber, bei wem er eigentlich sei.

»Sennorita, ich ersuche Euch, mir zu helfen,« bat er. »Es handelt sich hier um ein Mißverständniß.«


// 1720 //

»Wer seid Ihr?« fragte sie.

»Ich bin Vaquero im Dienste des Sennor Petro Arbellez.«

»Das hat man mir bereits gesagt.«

»Mein Herr schickte mich mit einer Botschaft fort und nun ich zurückkehre, finde ich ihn nicht mehr vor, wohl aber fremde Leute, welche ich nicht kenne.«

Bei diesen Worten fiel ihr ein, was Maria Hermoyes ihr von einem Vaquero gesagt hatte, der nach Fort Guadeloupe geschickt worden sei. Sogleich frug sie:

»Ihr wart in Fort Guadeloupe?«

»Ja,« antwortete er.

Da wendete sie sich an die beiden Mexikaner und sagte zu ihnen:

»Tretet hinaus und wartet vor der Thür; dieser Vaquero scheint ein braver Mann zu sein; ich werde allein mit ihm sprechen.«

Sie gingen hinaus und Josefa beschloß, sich durch List in Kenntniß dessen zu setzen, was dieser Mann seinem Herrn hatte mittheilen wollen.

»Ich will meine Frage wiederholen,« sagte sie. »Ihr wart in Fort Guadeloupe?«

»Ja,« antwortete er.

»Es ist indessen eine Veränderung eingetreten. Ist Euch ein gewisser Cortejo bekannt?«

»Ja,« sagte er.

»Woher kennt Ihr ihn?«

»Ich habe sehr viel von ihm gehört und ihn auch hier gesehen. Er war einmal da.«

»Was ist das für ein Mann?«

Der Vaquero war aufrichtig und unvorsichtig genug, diese Frage zu beantworten.

»Ein braver, ehrlicher Mann mag nichts von ihm wissen,« sagte er.

Ihre großen, runden Eulenaugen zogen sich zusammen. Er bemerkte gar nicht, welch ein Blick ihn aus denselben traf. Aber ihre Selbstbeherrschung und Verstellungskunst war so groß, daß sie mit der freundlichsten Stimme sagen konnte:

»Da gebe ich Euch ganz recht. Dieser Cortejo ist ein Mensch, dem nichts heilig ist. Wißt Ihr vielleicht irgend etwas Besonderes über ihn?«

»Genug, Sennora.«

»Was denn zum Beispiel?«

»Es läßt sich nicht von solchen Dingen sprechen,« antwortete er, dieses Mal vorsichtiger.

»Ja, ich bin Euch fremd und Ihr könnt mir solche Sachen natürlich nicht sogleich anvertrauen. Aber, wenn Ihr wüßtet - -. Ich hasse diesen Cortejo. Er hat mich und meine Familie unglücklich gemacht und ich folge ihm blos, um ihn zu verderben.«

Sie machte ein so ehrlich erzürntes Gesicht, daß er ihr glaubte.

»Ihn verderben?« fragte er. »Das wird Euch wohl schwerlich gelingen. Er ist eine so schlaue Canaille, daß er fast unmöglich zu täuschen ist. Aber sagt, wo ist Sennor Arbellez?«


// 1721 //

»Der ist geflohen.«

»Geflohen? Ah! Vor wem?«

»Eben vor Cortejo.«

»Aber warum?«

»So wißt Ihr diese Sache gar nicht?«

»Ich weiß von nichts. Ich bin nach Hause gekommen und man hat mich sofort festgenommen, und mir die Hände gebunden. Ich kann das ganz und gar nicht begreifen.«

»Nun, so will ich es Euch erklären. Aber ich muß leiser sprechen, damit die Beiden, welche draußen vor der Thür stehen, mich nicht hören.«

Mit dieser Bemerkung beabsichtigte sie ihn sicher zu machen. Sie fuhr fort:

»Sennor Arbellez ist ein Anhänger des Präsidenten Juarez. Das wißt Ihr wohl?«

»Ja.«

»Cortejo aber will selbst Präsident werden. Auch das wißt Ihr wahrscheinlich.«

»Ich hörte davon sprechen, aber ich kann es beinahe nicht glauben.«

»Ihr könnt es glauben. Er hat eine ziemliche Zahl Anhänger um sich versammelt und ist nach dem Norden des Landes gegangen, um sich denselben zu unterwerfen. Mit der Hazienda del Erina hat er den Anfang gemacht.«

»So hat er die Hazienda überfallen?« fragte der Vaquero finsteren Gesichtes.

»Ja,«

»Und Sennor Arbellez hat fliehen müssen

»Ja; es gelang ihm glücklicher Weise zu entkommen.«

»Wohin?«

»Er hat es mir mitgetheilt, mir aber verboten, es Jemand zu sagen.«

»Auch mir sollt Ihr es nicht sagen?«

»Er hat von keiner Ausnahme gesprochen.«

»Aber, wie kommt es, daß er gegen Euch so aufrichtig gewesen ist, Sennorita?«

»Das ist sehr einfach. Er und mein Vater waren gute Bekannte. Mein Vater verlor durch Cortejo's Schuld das Leben. Ich aber that, als wußte ich dies nicht und schloß mich dem Letzteren an, um mich an ihm zu rächen. Ich habe bei seiner Truppe einige brave Männer, welche heimlich zu mir halten und nur den Augenblick erwarten, gegen Cortejo aufzutreten. Als wir nach der Hazienda kamen, erkannte ich Sennor Arbellez und ich ließ ihn mit Hilfe dieser Männer entkommen. Vorher aber bat er mich, ihm alles Nöthige wissen zu lassen.«

»So stehet Ihr im Verkehr mit ihm?«

»Ja, aber heimlich natürlich.«

»So habt Vertrauen zu mir und sagt mir den Ort, an welchem er sich befindet. Ich habe ihm verschiedene sehr wichtige Mittheilungen zu machen.«

»Ich weiß nicht, ob Euch dies möglich sein würde, selbst wenn Ihr seinen Aufenthalt wüßtet.«

»Warum nicht?«

»Ihr seid ja hier Gefangener. Man wird Euch nicht so bald freilassen.«


// 1722 //

»Alle Teufel, das ist unangenehm. Könntet Ihr mir nicht zur Freiheit verhelfen?«

»Ich werde es versuchen, kann aber das Gelingen nicht garantiren. Am Besten wird es sein, Ihr theilt mir mit, was Ihr Sennor Arbellez zu sagen habt. Durch mich erfährt er es am Schnellsten und am Sichersten. Ich stand eben heute in Begriff, einen Boten an ihn abzusenden.«

»Ah, könnte ich das nicht sein, Sennorita?«

»Wo denkt Ihr hin. Cortejo ist für einige Zeit abwesend. Man wird Euch fest halten, bis er zurückkehrt und über Euer Schicksal entscheidet. Ob es mir bis dahin gelingt, Euch zu befreien, weiß ich nicht. Ihr aber müßt am Besten wissen, ob Das, was Ihr Euerm Herrn zu sagen habt, einen so langen Aufschub erleidet. Ueberlegt es Euch.«

Der Vaquero begann nachdenklich zu werden. Er wiegte den Kopf und sagte:

»Hm. Darf ich Euch denn wirklich trauen, Sennorita?«

»Macht das ganz, wie es Euch beliebt,« antwortete sie mit gekränktem Stolze.

»Darf ich Euern Namen erfahren?«

»Mein Vater war Oberst Ramirez.«

Der Oberst, ein bekannter Anhänger von Juarez, war vor einiger Zeit während einer Reise ermordet worden. Dieser Umstand kam Josefa so gelegen, daß sie sich seiner bediente, um den braven Vaquero zu betrügen.

»Oberst Ramirez?« fragte er. »Das war ein braver Mann.«

»Ueberhaupt,« bemerkte sie, »kann ich Euch beweisen, daß Sennor Arbellez mir sein Vertrauen schenkt. Er hat mir Alles von Euch erzählt.«

»Ah, wirklich?«

»Ja. Oder wüßte ich sonst, daß Ihr in Fort Guadeloupe bei Sennor Pirnero gewesen seid?«

»Das ist wahr.«

»Ich kann Euch auch sagen, was Ihr dort zu thun gehabt habt.«

»Nun, was?«

»Sennor Arbellez hat sein Testament gemacht und die Tochter Pirneros als Universalerbin eingesetzt. Das solltet Ihr dort melden und zugleich die Sennorita ersuchen, Euerm Herrn auf der Hazienda ihre Visite zu machen.«

»Wahrhaftig, Ihr wißt es. Das kann nur mein Herr Euch gesagt haben.«

»Natürlich. Er bat mich, ihm sofort wissen zu lassen, was Ihr ausgerichtet und erfahren habt.«

»So bleibt mir jedenfalls nichts anderes übrig, als es Euch mitzutheilen.«

»Macht das, wie Ihr wollt. Ich bettle natürlich nicht um Euer Vertrauen.«

»Gut. Ihr sollt Alles wissen, Sennorita. Nehmt es mir nicht übel, daß ich bedenklich war. Man muß in der jetzigen Zeit außerordentlich vorsichtig sein.«

»Ich entschuldige Euch. Wird die Sennorita kommen?«

»Möglich ist es, daß sie zum Besuche kommt, jedoch aber als Erbin nicht.«

»Ah, so hat sie die Erbschaft abgelehnt?«

»Das eigentlich nicht. Sie konnte sie nicht annehmen, weil die eigentliche Erbin vorhanden ist.«


// 1723 //

»Die eigentliche Erbin? Wie meint Ihr das?« fragte Josefa.

»Nun, die Tochter meines Haziendero. Sie ist doch die eigentliche Erbin.«

»Ihr meint Sennorita Emma Arbellez?«

»Ja.«

»Aber ich denke, daß sie nicht mehr lebt, daß sie ganz und gar verschwunden ist!«

»Ja, das dachten wir, aber denkt Euch, sie hat sich plötzlich wiedergefunden.«

»Unmöglich!« rief als alte Mädchen.

»Wir hätten es allerdings für unmöglich gehalten, aber Gott lebt noch, er thut noch immer Wunder über Wunder.«

»Ihr werdet Euch jedenfalls irren. Wiedergefunden nach so langen, langen Jahren!«

»Ich irre mich nicht; ich werde doch die Tochter meines Haziendero kennen.«

»So habt Ihr sie gesehen?«

»Ja.«

»Und mit ihr gesprochen?«

»Ja.«

»Und sie ist es wirklich? Es ist keine Täuschung möglich? Ihr habt sie erkannt?«

»Ich habe sie wieder erkannt, augenblicklich, als ich sie sah. Sie hat sich gar nicht verändert.«

Der gute Mann beachtete gar nicht, welche Gefühle sich auf dem Gesichte Josefa's ausdrückten. Erst Unglauben, dann Zweifel, Bangen, Ueberzeugung, Schreck und Grimm zuckten nach und nach über ihre Züge. Aber sie hatte dieselben doch so sehr in ihrer Gewalt, daß es ihr gelang, sich ganz leidlich zu beherrschen. Dies Letztere war nothwendig. Das Wiedererscheinen von Emma Arbellez brachte die größte Gefahr mit sich; Josefa mußte Alles erfahren, um gegen Alles gerüstet zu sein, und das konnte sie nur, wenn sie vermied, bei dem Vaquero Verdacht zu erregen. Darum schlug sie wie in höchster Ueberraschung die Hände zusammen und rief im freudigsten Tone, der ihr möglich war:

»Mein Gott, welch ein Glück! Welch eine Freude! Wo befindet sich denn die gute Emma?«

»Ich habe mich in Fort Guadeloupe von ihr getrennt.«

»So habt Ihr sie dort getroffen?«

»Ja. Sie kam plötzlich mit Allen an, die mit ihr verschwunden sind.«

Der Athem schien dem Mädchen zu stocken. Sie riß die runden Augen auf und fragte:

»Mit Allen?«

»Ja, Sennorita.«

»Wen meint Ihr da?«

»Zunächst Sennor Sternau - - -«

Bei diesem Namen wurde Josefa todesbleich. Henrico Landola hatte ja gemeldet, daß die ganze Gesellschaft untergegangen sei. Hatte er sich geirrt? War er getäuscht worden, oder hatte er absichtlich gelogen? Mit diesem Sternau er-


// 1724 //

wuchs den Brüdern Cortejo der grimmigste Feind von Neuem. Sie fragte, vor Erregung stockend:

»Sennor Sternau? Ich denke, der ist längst todt!«

»Nein, er lebt. Ich erkannte auch ihn sogleich wieder.«

»Ihr habt ihn gesehen und gesprochen?«

»Ja.«

»Und wer war noch mit dabei?«

»Jener Sennor Mariano, welcher mit Sennorita Emma und Sternau verschwand.«

Hätte ihr Schreck sich steigern können, so wäre es jetzt sicher geschehen. Also der ächte Graf Rodriganda lebte noch! Vielleicht war jetzt, da sie Alles bereits gewonnen geglaubt hatte, Alles nun im Gegentheile verloren.

»Und wer noch?« erkundigte sie sich weiter.

»Büffelstirn - - -«

»Ah, der Häuptling der Miztecas?«

»Ja. Und Bärenherz - - -«

»Der Häuptling der Apachen?«

»Ja. Ferner die zwei beiden Helmers, von denen der Eine Donnerpfeil genannt wurde.«

»Es ist unglaublich!« sagte sie fast ächzend, was aber der unbefangene, brave Vaquero für den Ausdruck freudigsten Erstaunens nahm. »Was Ihr mir da sagt, klingt ja fast wie ein Märchen, wie ein reines Wunder!«

»Ihr scheint die Personen alle sehr genau zu kennen,« sagte er.

»Ja. Sennor Arbellez hat mir ja Alles erzählt.«

»Vor seiner Flucht?«

»Ja. Er hatte noch so viel Zeit, mich mit Allem bekannt zu machen. Mir ist es lieb, daß er dies gethan hat, denn dadurch wird es nun möglich, ihm und den Wiedergefundenen meine Dienste anzubieten. Ich werde mein Möglichstes thun, um ihnen von Nutzen zu sein. Aber sagt, wo haben diese Leute denn so lange Zeit gesteckt?«

»Auf einer wüsten Insel im Meere.«

»Unglaublich! Wie sind sie denn dorthin gekommen?«

»Ein gewisser Kapitän Landola hat sie gefangen genommen und dort ausgesetzt.«

Jetzt hatte sie Mühe, ihren Grimm zu verbergen. Also nicht todt waren sie gewesen, sondern von Landola ausgesetzt. Dieser hatte also mit falschen Karten gespielt. Zu welchem Zwecke aber? Jedenfalls um seinen Vortheil zu suchen, um eine Waffe gegen die Brüder Cortejo zu haben, falls er sie aussaugen wollte. Etwas Anderes war ja gar nicht denkbar. Auch er mußte schleunigst unschädlich gemacht werden.

»Und auf dieser Insel haben diese Personen so lange gelebt?« fragte sie weiter.

»So viele, viele Jahre. Denkt Euch nur, Sennorita.«

»Wie traurig. Welch ein Unglück. Aber wie sind sie gerettet worden?«

»Das klingt auch fast unglaublich. Ein Graf hat sie gerettet.«


// 1725 //

»Ein Graf? Welcher?«

»O, Ihr kennt ihn sicher, wenn Sennor Arbellez Euch Alles erzählt hat.«

»Ihr macht mich immer neugieriger.«

»Wißt Ihr, wem vor Sennor Arbellez diese Hazienda gehört hat?«

»Ich denke, dem Grafen Rodriganda.«

»Ja.«

»Er ist gestorben.«

»Nein, Sennorita. Er ist nicht gestorben; er lebt noch; ich habe auch ihn gesehen.«

Sie trat einen Schritt zurück.

»Ihr lügt!« rief sie.

»O nein,« antwortete der Vaquero triumphirend. »Ich sage die Wahrheit. Man hat dem Grafen eine Medizin gegeben, welche den Starrkrampf hervorbringt. Er ist zwar begraben, aber auch wieder aus dem Grabe genommen worden. Dann hat man ihn als Sclaven verkauft. Es ist ihm aber geglückt, nach langen Jahren sich zu befreien. Er hat dabei meine Sennorita Emma getroffen. Diese führte ihn zu der wüsten Insel, und so wurden die Gefangenen alle befreit.«

»Was thaten sie dann?«

Sie hauchte diese Frage nur. Es war ihr vor Schreck fast unmöglich, laut zu sprechen.

»Sie gingen nach Mexiko und zwar zunächst nach Fort Guadeloupe.«

»Warum dorthin?«

»Ich weiß es nicht genau; wohl, um den Präsidenten Juarez zu treffen.«

»Und haben sie ihn getroffen?«

»Ja,« antwortete der Gefragte.

»Er war dort? Er war in Fort Guadeloupe?«

»Ja. Ich selbst habe ihn gesehen.«

»Ich hörte doch, er sei in el Paso del Norte?«

»Nein. Er ist nicht mehr dort. Er kam nach Fort Guadeloupe, um die Franzosen zu vernichten, welche das Fort erobern wollten.«

»Ah, das ist mir neu. Ist es wirklich zu einem Kampfe gekommen?«

»Zu einem fürchterlichen sogar. Es sind dreihundert Franzosen und noch mehr mit ihnen verbündete Comanchen vollständig aufgerieben worden, nachdem bereits vorher im Teufelspasse eine ganze Compagnie vernichtet worden ist.«

»Welch ein Glück! So gebietet also Juarez wieder über eine bedeutende Macht?«

»Er hat weiße Jäger bei sich, ist mit den Apachen verbündet und wird auch aus den Vereinigten Staaten zahlreiche Freiwillige erhalten.«

»Aber dazu gehört ja Geld, viel Geld!« sagte sie schlau, »und das hat er nicht.«

»Geld? O, das hat er, und er bekommt auch noch viel mehr. Er hat erst kürzlich von dem Präsidenten der Union Millionen geschickt erhalten, und eben jetzt bringt ihm ein Engländer wieder Geld, Kanonen und Waffen.«

Sie horchte auf. Sollte er etwa Lord Lindsay meinen? Sie fragte daher:


// 1726 //

»Von einem Engländer? Wie wollte der mit solchen Vorräthen nach Fort Guadeloupe kommen? Das Land ist ja von den Franzosen dicht besetzt.«

»Das wird keine Schwierigkeiten machen. Der Engländer befindet sich in El Refugio an der Mündung des Rio Grande und hat einen Boten an Juarez geschickt. Dieser ist Geierschnabel, ein berühmter Jäger und Pfadfinder. Er hat Juarez in Guadeloupe getroffen, ich habe auch mit ihm gesprochen. Dort ist verabredet worden, wie und wo das Geld und die Waffen in die Hände des Präsidenten kommen werden.«

»Aber Ihr wißt dies nicht; Euch hat man nichts davon gesagt,« meinte sie lauernd.

»Warum nicht?« fragte er mit Selbstbewußtsein. »Ich habe ja dabei gestanden, als Sennor Mariano dem Boten des Engländers sagte, daß er mit nach El Refugio fahren werde.«

»Sennor Mariano? Warum wollte er mit?«

»Hm, weil die Tochter des Engländers seine Verlobte ist.«

Jetzt wußte Josefa genau, woran sie war.

»Hat denn dieser Engländer eine Dame, eine Tochter bei sich?« fragte sie.

»Ja. Geierschnabel erzählte es.«

»Nannte er auch ihren Namen?«

»Ja. Sie heißt Amy Lindsay, und ihr Vater ist Lord Henry Lindsay, Graf von Nothingwell.«

»Ah, diese Beiden. Ich habe von ihnen gehört und weiß, daß sie gute Freunde von Juarez sind. Also Sennor Mariano will zu ihnen. Ganz gewiß, um ihnen behilflich zu sein, das Geld und die Waffen dem Präsidenten zu bringen.«

»Er wollte, aber es ist anders geworden. Geierschnabel hat ihn nicht mitgenommen.«

»Warum nicht?«

»Sein Boot war für zwei Männer zu klein. Darum wird Sennor Mariano sich Juarez anschließen und bei ihm bleiben, bis der Lord kommt.«

»Und die andern? Ich meine Sennor Sternau und die Uebrigen?«

»Sie bleiben auch bei Juarez. Sie machen seinen Kriegszug mit.«

Der Vaquero sprach nur in kurzen Bemerkungen. Diese Leute sind nicht gewöhnt, lange Reden zu halten; darum mußte Josefa ihm jede Antwort abkaufen.

»Was Ihr sagt!« meinte sie. »Juarez will einen Kriegszug unternehmen?«

»Ja. Er hat ihn ja bereits begonnen, indem er Fort Guadeloupe befreite.«

»Und wohin wird er nun gehen?«

»Erst nach Chihuahua und dann nach Cohahuila. In Chihuahua wird er bereits jetzt sein. Kommt er dann nach Cohahuila, so wird er dort den Lord und die Lady treffen.«

»In der Stadt selbst?«

»Nein, in der Nähe, eine Tagereise von der Stadt.«

»Kennt Ihr den Ort der Zusammenkunft?«

»Ja, ich hörte davon sprechen. Man wird sich da treffen, wo östlich von Cohahuila der Sabinafluß sich mit dem südlichen Arme vereinigt.«


// 1727 //

»Und da werden Alle dabei sein - Sternau, Mariano, Büffelstirn und die Anderen?«

»Alle, außer dem Grafen Rodriganda.«

»Warum dieser nicht?«

»Er bleibt in Fort Guadeloupe zurück, weil er krank ist.«

»Ah! Krank! Ist's gefährlich?« fragte sie schnell.

»Ich glaube nicht. Er hat von einem Franzosen einen Hieb auf den Kopf erhalten. Er war betäubt, aber Sennor Sternau gab alle Hoffnung, daß er bald wieder hergestellt sein werde. Er ist unter guter Pflege im Fort zurückgeblieben.«

»So wird er also den Andern nachreisen?«

»Jedenfalls.«

»Aber doch nicht allein! Die Gegend dort soll eine ziemlich gefährliche sein.«

»Allein allerdings nicht. Juarez hat ihm eine Bedeckung von Apachen zurückgelassen, welche ihn dann begleiten werden. Es wird ihm also nichts geschehen können.«

»Habt Ihr nicht vielleicht gehört, wie der alte Graf auf Cortejo zu sprechen ist?«

»Nein. Er lag ja ohne Bewußtsein in seinem Zimmer. Ich habe nur gehört, was die Anderen sprachen, und auch das war nur wenig, da es ganz zufällig geschah.«

»Nun, was habt Ihr denn da gehört? Ich interessire mich für Sennor Arbellez und dessen Freunde so sehr, daß ich gern so viel wie möglich wissen möchte.«

»Es ist nichts von Bedeutung, was ich Euch da sagen könnte, Sennorita. Ich war ja meist in der Küche, und befand ich mich ja im Gastzimmer, so waren da eine solche Menge von Jägern und Indianern beisammen, daß man kaum sein eigenes Wort hören und verstehen konnte. Die eigentlichen Herren und Sennores nebst den Sennoritas hatten ihre Zimmer, wo ich keinen Zutritt hatte. Wichtiges habe ich also ganz und gar nicht gehört. Nur als ich Anstalt machte, aufzubrechen, kamen sie Alle zu mir, um mir ihre Botschaften an Sennor Arbellez aufzutragen.«

»Nun, wie lauteten diese Botschaften?«

»Sennorita Emma und Sennor Helmers ließen ihm sagen, daß sie sich herzlich sehnten, ihn wieder zu sehen. Sie würden sogleich mit mir geritten sein, um nach der Hazienda zu kommen; da aber die Gegend von Franzosen besetzt und außerdem sehr unsicher sei, so seien sie gezwungen, sich dem Präsidenten anzuschließen. Doch sollte ich tausend und abertausend Grüße überbringen. Sie Alle seien sehr wohlauf.«

»Was vertraute Euch Sennor Sternau an?«

Es war klar, daß sie Sternau für die bedeutendste, und also auch die gefährlichste Person der ganzen Gesellschaft hielt. Deshalb stellte sie diese Frage.

»Er gebot mir,« antwortete der Vaquero, »meinem Haziendero zu sagen, daß er sich nicht sorgen solle. Chihuahua und Cohahuila würden ganz sicher in die Hände des Präsidenten fallen, und zwar bald. Dann wäre es von der letzteren


// 1728 //

Stadt ja gar nicht weit bis zur Hazienda, und das Wiedersehen würde gar nicht auf sich warten lassen.«

»Und Sennor Mariano?«

»Von ihm soll ich sagen, daß in der Angelegenheit des Grafen jetzt Alles sehr gut stehe. Die Verbrecher würden sehr bald entlarvt und bestraft werden.«

»Versteht Ihr, was er damit meinte?« fragte sie, indem sie ihre Eulenaugen mit einem stechenden Blick auf ihn richtete.

»Hm!« meinte er nachdenklich. »Man könnte da manches sagen oder wenigstens vermuthen.«

»Ah, ich habe auch so Einiges gehört.«

»Von dem falschen Grafen, nicht wahr, Sennorita?«

Ihre Augen schlossen sich, um nicht bemerken zu lassen, welch ein lauernder Raubthierblick ihnen sonst entschossen wäre. Als sie sie wieder öffnete, hatten sie nur den Ausdruck einer freundlichen, mitfühlenden Neugierde.

»Allerdings von dem falschen Grafen,« antwortete sie. »Aber was wißt Ihr davon?«

»Viel oder wenig, je nachdem man es nimmt. Ihr habt doch wohl gehört, daß die Sennors Sternau, Mariano und Helmers bereits einmal in El Erina waren?«

»Freilich, Sennor Arbellez hat es mir erzählt,« log sie.

»Nun, damals haben diese Herren mehrere ganz absonderliche Abenteuer erlebt. Cortejo trachtete ihnen nämlich nach ihrem Leben, und daß sie später verschwanden, daran ist er ganz allein schuld gewesen; das weiß man jetzt ganz genau.«

»Was sollte er dabei denn wohl für Gründe gehabt haben?«

»O, die kenne ich vielleicht. Habt Ihr vielleicht von Graf Alfonzo gehört?«

»Ja. Er ist doch wohl der junge Graf von Rodriganda.«

»Er wurde als solcher ausgegeben, aber er ist es nicht.«

»Was Ihr da sagt!« rief sie unter gut gespieltem Erstaunen.

»Es ist aber die Wahrheit,« meinte er. »Dieser Alfonzo muß untergeschoben sein. Sennor Mariano ist der eigentliche, der richtige Graf de Rodriganda.«

»Ah, ich entsinne mich. Es ist mir, als ob Sennor Arbellez mir etwas Aehnliches gesagt hätte. Es schien mir das aber doch etwas zu sehr phantastisch zu sein.«

»O, Sennor Mariano soll dem Grafen aber höchst ähnlich sein, hörte ich damals.«

»Das beweist aber ganz und gar nichts. Menschen sind sich oft ähnlich.«

»Das ist sehr wahr, Sennorita. Aber es muß doch noch andere, sehr triftige Gründe gegeben haben, von denen Unsereiner allerdings nicht viel zu hören bekommt.«

»Nicht viel, aber doch wohl etwas?« fragte sie lauernd.

»Hm! Ich habe einmal den Haziendero mit Sennora Maria Hermoyes über diese Angelegenheit sprechen hören. Sie wußten allerdings nicht, daß ich in der Nähe war.«

»Was habt Ihr da erfahren?«


Ende der zweiundsiebzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk