Lieferung 73

Karl May

12. April 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


// 1729 //

»Sennora Maria hat den jungen Grafen nach Mexiko gebracht.«

»Nun, so muß sie doch wissen, ob es der rechte gewesen ist oder nicht.«

»Sie hat das Erstere geglaubt, ist aber später anders überzeugt worden.«

»In wiefern?«

»Das weiß ich nicht. Ich hörte nur, daß die Tochter dieses Cortejo mit im Complotte gewesen sei. Diese Josefa muß ein Ausbund von Schlechtigkeit sein.«

Sie hatte Mühe, sich zu beherrschen; doch zwang sie sich zu der ruhigen Frage:

»Ihr kennt sie also nicht?«

»Nein.«

»Und habt sie auch nie gesehen?«

»Nein. Es handelte sich um ein Testament, welches verschwunden ist. Das wird ihnen aber nun nichts nützen, da der alte Graf ja nun wieder erschienen ist.«

»Das ist richtig. Wenn der Testator noch lebt, hat das Testament natürlich keine Giltigkeit. Aber er mag sich nur in Acht nehmen, daß er am Leben bleibt.«

Aus diesen Worten klang ein nicht mehr ganz verborgener und kaum noch zurückgehaltener Grimm, so daß der Vaquero sie betroffen anblickte und dann fragte:

»Wie meint Ihr das, Sennorita?«

»Nun, wenn der Graf noch lebt, und wenn Alle noch leben, welche verschwunden waren und auch todt zu sein schienen, so leben doch auch ihre Feinde noch.«

»O, die sind ja nicht zu fürchten!«

»Ah, waren sie etwa früher nicht zu fürchten?«

»Ja, das war wohl etwas Anderes. Man kannte sie nicht; man wußte nicht, was sie thaten und beabsichtigten; jetzt aber sind sie ja Alle ganz und gar entlarvt, und da wird man sich wohl vorsehen, ihnen abermals in die Hände zu fallen.«

Ihr hageres Gesicht nahm jetzt einen offenbar höhnischen Ausdruck an.

»Ihr sprecht sehr klug,« meinte sie. »Nur schade, daß Ihr Euch ganz gewaltig irrt!«

»Wieso, Sennorita?«

»Nun, wenn diese Feinde entlarvt sind, so sind sie jetzt desto mächtiger als früher.«

»Ah, wer sollte sie fürchten!«

»Nicht? Auch Cortejo etwa nicht?«

»Nein.«

»Aber er ist jetzt ein gewaltiger Parteigänger; er wird in kurzer Zeit Präsident oder gar König von Mexiko sein, also der mächtigste Mann im ganzen Staate.«

»O, bildet Euch das nicht ein, Sennorita! Noch ist General Bazaine da.«

»Bazaine? Den wird man fortjagen.«


// 1730 //

»Und Maximiliano von Oesterreich!«

»Der Scheinregent? Der Flimmerkaiser? Der wird endlich von selbst ausreißen!«

»Aber Juarez, der Präsident?«

»Der Indianer vom Stamme der Zapoteken? Den wird man sehr einfach an einem Stricke aufhängen und dann von den Geiern fressen lassen.«

Ihr Gesicht hatte einen finsteren, fast diabolischen Ausdruck angenommen. Der Vaquero bemerkte das, und er wurde sichtlich unschlüssig, was er von ihr denken solle.

»Glaubt das nicht, Sennorita!« sagte er. »Habt Ihr Juarez schon einmal gesehen?«

»Ja, oft sogar.«

»Wo?«

»In Mexiko, in der Hauptstadt.«

»Als er noch Oberrichter war?«

»Ja, und dann später als Präsident.«

»Nun, damals war er ein Mann, den man anerkannte. Später aber wurde er vertrieben; er mußte fliehen, und das ändert den Menschen. Was früher weicher Knorpel war, das wird dadurch zum festen Knochen. Juarez ist jetzt ein Anderer als früher. Ich glaube nicht, daß er sich hängen lassen wird; ich glaube vielmehr, daß Diejenigen hängen werden, welche ihm den Strick zugedacht haben, am Ersten dieser Cortejo, der die Hanfschlinge tausendmal verdient hat.«

Da trat sie einen Schritt auf ihn zu und zischte ihn an:

»Das wünscht Ihr wohl von ganzem Herzen?«

Er fuhr um einen Schritt zurück, blickte sie erstaunt an und sagte:

»Ja, natürlich! Ihr doch auch?«

»Ich? Ah, ich sage Euch, weil Ihr wünscht, Cortejo am Stricke zu sehen, werdet Ihr der Erste sein, welchen man hängen wird.«

Ihre Augen sprühten, ihre Selbstbeherrschung und ihre Verstellung waren vorüber.

»Aber Sennorita,« sagte er, »ich begreife Euch nicht!«

»O, Ihr sollt mich und alles Andere sogleich begreifen! Nicht wahr, Ihr habt gesagt, daß Ihr mit Eurem Haziendero zu Juarez haltet?«

»Ja, freilich!«

»Nun, wenn alle Anhänger dieses Juarez so dumm sind wie Ihr und Euer Herr, so wird er ohne allen Zweifel in sehr kurzer Zeit hängen. Wißt Ihr, wo Arbellez ist?«

»Nun, geflohen, denke ich,« antwortete der Vaquero, ganz betreten von der plötzlichen Veränderung, welche mit diesem Mädchen vorgegangen war.

»Und das laßt Ihr Euch wirklich weiß machen? Ihr seid wirklich dümmer als dumm!«

Er zögerte, zu antworten; er war zu ehrlich, um an eine solche Verschmitztheit sogleich glauben zu können; dann aber sagte er langsam und zögernd:

»Aber Ihr habt es mir ja selbst gesagt!«

»Ja, aber ich dachte wirklich nicht, daß Ihr so einfältig wäret, es sofort zu


// 1731 //

glauben. Haltet Ihr Cortejo wirklich für so unvorsichtig, Arbellez entkommen zu lassen?«

»Es ist ja mit Eurer Hilfe geschehen!«

»Nein, mit meiner Hilfe ist im Gegentheil Arbellez gefangen genommen worden!«

»Gefangen genommen?«

Die Augen des Vaquero vergrößerten sich; seine Lippen preßten sich zusammen.

»Ja. Er steckt unten im Keller. Er ist verurtheilt, langsam zu verhungern.«

»Treibt keinen so grausamen Scherz, Sennorita!«

»O, wenn Ihr wüßtet, wer ich bin, so würdet Ihr es nicht für Scherz halten!«

»Wer Ihr seid? Ihr habt es mir ja gesagt!«

»Um Euch zu täuschen, um aus Euch herauszulocken, was ich erfahren wollte. Und das ist mir glänzend gelungen. Rathet einmal, wer ich bin!«

Bei dieser Aufforderung ruhte ihr Auge mit einem triumphirenden Blicke auf ihm.

Er war ein einfacher, ehrlicher Mann, aber doch keineswegs ein Idiot. Es ging ihm jetzt eine plötzliche Ahnung durch die Seele. Er sagte erschrocken:

»Mein Gott, ahne ich recht!«

»Nun, was ahnt Ihr, Alter?«

»Ihr seid - - Ihr seid - - - Himmel, wenn es wahr wäre!«

»Nun, heraus damit!«

»Ihr seid Sennorita Josefa - - -«

»Ja!« rief sie frohlockend.

»Die Tochter Cortejo's?«

»Ja,« wiederholte sie.

»So sei mir die heilige Madonna gnädig! Was habe ich gethan!«

»Ja, sie mag Euch gnädig sein! Ich habe Alles erfahren, Alles, was ich nicht wissen sollte. Und wißt Ihr, was ich nun thun werde?«

»Was?« fragte er in höchster Bestürzung.

»Ich werde nach Fort Guadeloupe senden und den Grafen ermorden lassen - - -«

»Mein Gott!«

»Ich werde nach El Refugio senden und den Engländer nebst seiner Tochter ebenso ermorden lassen - - -«

»Das möge Euch nicht gelingen!« stöhnte der Alte. »Ich wäre schuld daran!«

»Ja, Ihr tragt die Schuld daran! Ich werde ferner Juarez und Allen, die bei ihm sind, auflauern lassen. Sie müssen sterben, alle - alle - alle!«

Es glühte auf ihrem sonst so bleichen Gesichte eine so boshafte, höllische Freude, daß der Vaquero sich über sie entsetzte. Er erhob die gefesselten Arme und sagte:

»Sennorita, bedenkt, daß es einen Gott im Himmel giebt!«


// 1732 //

»Einen Gott? Ah!« lachte sie, den Kopf schüttelnd.

»Welcher Alles belohnt oder bestraft, je nachdem es gut oder böse ist!«

»Das sind Ammenmärchen!«

»O, lästert nicht!«

»Ammenmärchen!« wiederholte sie. »Seht Ihr denn nicht, daß gerade dieser Gott mich beschützt? Er hat mich Eure Anschläge wissen lassen. Aber ich brauche seine Hilfe gar nicht; ich weiß allein, was ich thue. Sie werden Alle fallen. Und Ihr, wißt Ihr, was mit Euch geschieht?«

»Ich stehe in Gottes Hand,« antwortete er.

»Nein, Ihr befindet Euch zunächst in meiner Hand. Ihr werdet hängen, wirklich hängen, so wie ich es Euch ja versprochen habe. Ich pflege, Wort zu halten.«

»Ich habe lange genug gelebt. Meine Tage waren ja bereits gezählt. Wollt Ihr um eines alten Vaquero willen Eure Schuld vergrößern, so thut es!«

»Ja, ich werde es thun!«

»Ihr seid eine Teufelin!«

»Nicht wahr? Ihr habt recht; das sollt Ihr an Euch selbst erfahren. Ihr sollt nämlich nicht sogleich gehangen werden; ich will Euch erst ein kleines Vergnügen gönnen.«

»Dieses Vergnügen wird eine Folter sein!«

»Meint Ihr? Ja, das ist möglich. Ihr sollt nämlich Arbellez verhungern sehen.«

»Meinen Haziendero? Ah, das würdet Ihr doch nicht thun, Sennorita!«

»O doch! Auch diese Maria Hermoyes wird vor Euren Augen verschmachten.«

»Ihr wollt mich nur martern!«

»Hofft auf keine Schonung! Ihr habt vorhin gesagt, daß ich ein Ausbund von Schlechtigkeit sei und ich werde Euch den Gefallen thun, Euch zu beweisen, daß ich dies auch wirklich bin.

Arbellez und Maria Hermoyes sind unten im Keller eingeschlossen. Sie erhalten weder Essen noch Trinken. Ihr werdet zu ihnen gesteckt werden und Speise und Trank erhalten, bis sie todt sind. Dann werdet Ihr gehängt.«

»Das wäre höllisch!«

»Meinetwegen! Ihr werdet übrigens da unten sehr gute Unterhaltung haben. Arbellez wird Euch musikalische Vorträge geben mit Stöhnen und Wimmern. Er kann kein Glied regen. Ich habe ihn schlagen lassen, daß das Blut in der Stube umher lief und ihm der Athem ausging.«

Da färbte sich das Gesicht des Vaquero roth und seine Muskeln spannten sich.

»Ist dies wahr?« fragte er.

»Ja,« antwortete sie.

»Ihr habt ihn wirklich schlagen lassen?«

»Ja.«

»Bis auf's Blut?«

»Freilich!«


// 1733 //

»Mein Gott! Wäret Ihr doch ein Mann und nicht ein Weib!«

»Warum?« lachte sie.

»Ich würde Euch für diese freche Grausamkeit bestrafen!«

»Ihr? Mich?« rief sie.

»Ja,« antwortete er drohend. »Oder glaubt Ihr, daß ein Vaquero machtlos ist, weil ihm die Hände gebunden sind? Ihr seid ein Weib; ich verachte Euch. Aber das Blut meines Herrn schreit zum Himmel auf und Gott wird es hören und rächen.«

»Packt Euch fort, Alter! Dieses Blut schreit höchstens zu dem Aste auf, an dem Ihr später hängen werdet. Herein!«

Dieser letztere Ruf galt den beiden Männern, welche vor der Thüre standen. Sie traten ein. Josefa fragte sie:

»Habt Ihr gehört, was gesprochen wurde?«

»Nein, Sennorita,« antwortete der Eine.

»Gut. Bringt diesen Menschen in den Keller hinab, in welchem sich die beiden andern Gefangenen befinden. Diese müssen hungern und dursten. Er aber erhält täglich so viel, daß er gerade am Leben bleibt. Verstanden?«

»Ja.«

»Aber er erhält Speise und Trank nicht in sein Loch hinein, sonst würde er den Andern davon geben. Er wird vielmehr vor der Kellerthür gefüttert.«

»Ich werde das genau besorgen, Sennorita!«

»Gut, so schafft ihn fort! Morgen aber wird diese Maria Hermoyes herausgeholt, um fünfzig Hiebe zu erhalten.«

Sie sagte dies nur, um den alten Vaquero zu ärgern; dieser aber nahm es ernst. Er wendete sich ihr zu und fragte:

»Wie? Ihr wollt auch die Sennora schlagen lassen?«

»Ja.«

»Oder droht Ihr bloß?«

»Pah, Alter! Es ist mein Ernst!«

Da schwoll die Ader an seiner Stirn.

»So seid Ihr allerdings kein Weib, welches man schonen muß, sondern ein Satan, den man vertilgen soll. Fahrt zur Hölle!«

Er erhob den Fuß. Die beiden Männer sahen es und fielen über ihn her; aber dennoch gelang es ihm, dem Mädchen mit solcher Gewalt gegen den Unterleib zu treten, daß sie über das ganze Zimmer hinüber und gegen die Wand flog.

»Kerl, was hast Du gewagt!«

Mit diesen Worten wurde er von den Beiden niedergerissen. Sie nahmen ihre Lassos ab und banden ihn fester als vorher.

Von der Wand her erscholl ein Wimmern. Der eine der beiden Männer bewachte den Vaquero, der Andere trat zu Josefa. Sie hatte die Augen zu und stöhnte.

»Fehlt Euch etwas, Sennorita?« fragte er.

Sie öffnete die Lider, sah ihn an, holte schmerzlich Athem, antwortete aber nicht.

»Thut Euch Etwas weh?« fragte er.


// 1734 //

»Ja,« hauchte sie.

»Was?«

»Die Brust.«

Bei diesen Worten hob sie leise die Hand und legte sie auf die Stelle, an welcher wohlgebildete Damen den Busen zu haben pflegen.

»Donnerwetter, Ihr werdet doch nichts gebrochen haben!« rief er.

»Ich weiß nicht,« lispelte sie.

»Habt Ihr irgendwo Schmerzen?«

»Da.«

Sie legte die Hand auf die Stelle, wo der Tritt des Vaquero sie getroffen hatte.

»Ja, das war ein Fußtritt! Das ganze Darmzeug kann zerplatzt sein! Und wir haben keinen Doctor hier. Was macht man da? Sennorita, versucht doch einmal, ob Ihr aufstehen könnt!«

Er umfaßte sie und versuchte, sie emporzurichten.

»O Gott!« rief sie.

Diese Bewegung hatte ihr große Schmerzen verursacht.

»Jetzt ruft sie zu Gott!« sagte der Vaquero.

»Still, Du Schuft!« rief sein Wächter. »Du wirst den Tritt theuer bezahlen müssen.«

»Wo thut es jetzt weh, Sennorita?« fragte der Andere.

»Hier,« sagte sie, nach der linken Brust zeigend.

»Ah, so habt Ihr einige Rippen gebrochen. Wollen einmal sehen, wie es mit dem andern Arme und Beinen steht.«

Er zerrte an den erwähnten Gliedern hin und her und sagte dann beruhigend:

»Na, die sind noch ganz und das mit den Rippen hat nichts zu bedeuten. Man drückt und quetscht ein Wenig daran herum, und dann sind sie zurecht geschoben. Kommt! Ich lege Euch da auf die Hängematte.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Wohin sonst?«

»Setzt mich dort auf den Stuhl - - an den Tisch!«

Sie sprach dies mit Mühe. Das Athmen und infolge dessen auch das Reden fiel ihr schwer. Der Mann faßte sie an, hob sie empor und ließ sie auf den Stuhl nieder. Sie wimmerte dabei; er aber sagte:

»Na, es geht ja. Haltet Euch aufrecht. Ich werde Euch eine Magd schicken. Zuvor aber müssen wir diesen Kerl nach dem Loche bringen. Welche Strafe soll er für den Tritt erhalten, Sennorita?«

Sie schüttelte den Kopf und winkte mit der Hand von sich ab.

»Keine?« fragte er verwundert.

»Doch!« antwortete sie leise.

»Welche denn?«

»Jetzt nicht.«

»Ah, das ist etwas Anderes. Also später. Fort mit Dir, Hallunke. Du wirst sehr bald erfahren, was Du Dir da für einen Braten an den Spieß gesteckt hast.«


// 1735 //

Der Vaquero wurde von den Beiden erfaßt und hinausgestoßen. Sie schleppten ihn zwei Treppen tiefer, bis vor die Thür des Loches. Erst als sie die Riegel zurückgeschoben hatten, bemerkten sie das Hängeschloß.

»Donnerwetter, das habe ich vergessen. Ich muß wieder hinauf!«

Mit diesen Worten eilte der eine retour. Als er wieder kam, fragte der Andere:

»Was macht die Sennorita?«

»Sie lag mit dem Kopfe auf dem Tische.«

»Und - - -«

»Und spuckte Blut.«

»Ah, so sind wirklich Rippen entzwei. Mein Oheim war Bader. Weißt Du das?«

»Nein. Also Bader! Da konnte er wohl gebrochene Rippen ganz machen?«

»Ja, natürlich.«

»Aber, was kann dies uns hier nützen?«

»Siehst Du denn das nicht ein?«

»Hm. Lebt denn Dein Oheim noch und ist er hier auf der Hazienda?«

»Nein. Er ist todt. Er hat den Hals gebrochen, und den konnte er sich nicht selbst einrichten.«

»Nun, also, was haben wir da von Deinem Oheim!«

»Kannst Du das nicht einsehen?«

»Nein.«

»So will ich Dir es sagen. Wenn er mein Oheim war, was war ich da von ihm?«

»Ach, doch nicht etwa sein Lehrjunge!«

»O, grad das bin ich gewesen!«

»Donnerwetter, so bist Du ja auch Bader!«

»Nein.«

»Was denn sonst?«

»Ich war nur eine Woche in der Lehre. Da zog ich Einem anstatt des kranken zwei gesunde Zähne aus und bekam dafür solche Prügel, daß ich auf und davon lief. Mit der Baderei war es also nun für immer zu Ende.«

»O wehe.«

»Warte es ab. Während meiner Lehrzeit nun kam es grad vor, daß Einer zwei oder drei Rippen brach - - -«

»Ah, während dieser acht Tage?«

»Ja.«

»Welch ein Glück!«

»Das nennst Du ein Glück? Wohl für den, der die Rippen gebrochen hatte?«

»Unsinn. Was gehen mich die Rippen dieses Kerls an. Ich meine, für uns.«

»Da kannst Du recht haben, denn mein Oheim mußte diese Rippen einrichten.«

»Und Du warst dabei?«


// 1736 //

»Natürlich. Ich mußte mit helfen.«

»Ging es gut?«

»Ja. Viel besser, als ich dachte. Der Kerl brüllte zwar etwas, aber daraus darf man sich nicht viel machen. Die Rippen wurden eingerichtet.«

»Wie fingt Ihr dies an?«

»Sehr einfach. Der Kerl mußte sich auf die Erde legen.«

»Mit dem Rücken?«

»Das versteht sich ganz von selbst. Mein Oheim hielt ihm nun die Arme fest, und dann mußte ich ihm auf die Rippen treten.«

»Was? Auf die gebrochenen Rippen?«

»Unsinn. Auf die gesunde Seite. So bald man auf dieser Seite acht bis zehnmal auf und nieder springt, kommt die Brust in eine solche Bewegung, daß die herausgebrochenen Rippen wieder einschnappen.«

»Das wäre allerdings höchst einfach. Der Kerl wurde also wieder gesund?«

»Leider nicht; er war in vierzehn Tagen todt.«

»Ah! Also gelang die Heilung der Rippen nicht?«

»Unsinn. Sie gelang vollständig. Als er nämlich todt war, stellte es sich erst heraus, daß der Kerl die Rippen gar nicht gebrochen hatte.«

»Donnerwetter! Was denn?«

»Das Bein, unweit der Hüfte. Da kam der Brand dazu, und so mußte er in's Gras beißen. Hätte er dem Oheim nicht weiß gemacht, daß er die Rippen gebrochen habe, so hätten wir ihm anstatt der Rippen das Bein eingerichtet; der Brand wäre nicht dazu gekommen, und der Mann lebte heute noch.«

»Das ist gewiß. Und solche Leute wollen Patienten sein. Hast Du Dir das mit den Rippen genau gemerkt?«

»Sehr genau.«

»Getraust Du Dir, sie der Sennorita einzurichten?«

»Ganz gewiß. Ganz ausgezeichnet. Nur Eins muß ich sicher wissen.«

»Was denn?«

»Daß es auch wirklich die Rippen sind, welche sie gebrochen hat.«

»Was Anders soll sie denn gebrochen haben?«

»Vielleicht den Hals?«

»Da wäre sie todt.«

»Oder ein Bein?«

»Nein; an den Beinen habe ich sehr derb gezogen und gezerrt.«

»Oder einen Arm?«

»Sie kann sie ja alle zwei bewegen.«

»Nun so können es also nur die Rippen sein.«

»Es fragt sich nur, ob sie es erlaubt, daß Du auf sie trittst und springst.«

»Das ist hier gar nicht nöthig.«

»Nicht? Warum denn nicht?«

»Eine Sennora ist viel zarter gebaut wie ein Mann; da braucht man nicht zu treten und zu springen. Es genügt, wenn man mit den Fäusten tüchtig drückt und trommelt. Dann schnappen die Rippen ganz von selber ein.«

»Und Einer muß halten?«


// 1737 //

»Ja, natürlich; damit sie mich nicht stört.«

»Wen wirst Du dazu nehmen?«

»Ich weiß noch nicht. Du hättest wohl Lust?«

»Ja. Die Sennorita wird jedenfalls ein gutes Geschenk geben, wenn sie wieder gesund ist. Willst Du mich ihr vorschlagen?«

»Ja; aber unter einer Bedingung.«

»Unter welcher?«

»Du mußt festhalten. Sie kann schreien, weinen, bitten, raisonniren wie sie will; Du darfst nicht darauf hören, sondern Du mußt festhalten, bis Du die Rippen schnappen hörst.«

»Hört man dies denn?«

»Ja; sie geben einen lauten Knax, den man gar nicht überhören kann.«

»Gut. Ich werde sie so fest halten, daß zehn Pferde nichts machen könnten.«

»So sind wir also einig. Du gehst zu ihr und sagst ihr, daß ich ein Bader bin.«

»Ja. Und Du sagst ihr nachher, daß ich Dir helfen soll.«

Während dieses grotesk-komischen Gespräches hatten die Beiden sich Mühe gegeben, das Hängeschloß zu öffnen. Jetzt endlich gelang es. Die Thür wurde geöffnet und als der Vaquero hineingestoßen worden war, wieder hinter ihm verschlossen. Dann hörte man, daß die Beiden sich entfernten.

Gleich im ersten Augenblicke war der Alte auf eine Gestalt getreten, welche zusammengekauert an der Mauer zu sitzen schien. Bei dem zweiten Schritte stieß er an eine Person, welche auf dem Boden lag. Erkennen konnte er nichts, denn es war vollständig dunkel.

Er wartete, bis die Schritte verhallt waren; dann sagte er:

»Sennor Arbellez.«

Ein leises Stöhnen antwortete.

»Sennor Petro Arbellez.«

Das Stöhnen wiederholte sich, aber ein lauteres Wort war nicht zu hören.

»Sennora Maria Hermoyes!« sagte da der Vaquero.

»Das bin ich,« antwortete da die an der Mauer sitzende Gestalt. »Wer seid Ihr?«

»Wer ich bin? Ah, kennt Ihr mich denn nicht an der Stimme?«

Er nannte seinen Namen. Da fuhr Maria von ihrem kalten, feuchten Sitze so schnell auf, als es ihre Fesseln zuließen und rief:

»Du bist es? Du? Ist das möglich! Wie kommst Du herein zu uns?«

»Ich bin Gefangener,« antwortete er.

»Mein Gott! Bereits glaubte ich, Rettung durch Dich erwarten zu können.«

»Wenn Gott kein Wunder thut, ist Rettung unmöglich.«

»Santa Madonna! Auch Du verzweifelst?«

»Verzweifeln? Nein, denn Gott lebt noch, er kann uns noch immer retten!«

»O, möchte er es bald thun, sonst sind wir verloren. Wie hast Du es in Fort Guadeloupe gefunden, und wie bist Du in Cortejo's Hand gefallen?«

»Das werde ich später erzählen. Laßt uns zunächst über die Gegenwart sprechen. Der hier liegt, ist Sennor Arbellez?«


// 1738 //

»Ja.«

»Steht es schlimm mit ihm?«

»Er ist am ganzen Körper blutrinstig und fällt aus einer Ohnmacht in die andere. Weißt Du schon, was ihm geschehen ist?«

»Ja. Gott vergelte es diesem Satan am Tage des Gerichtes. Ihr sollt verhungern?«

»Ja und verdursten.«

»So habt Ihr gar nichts zu essen und zu trinken?«

»O doch! Irgend ein Mitleidiger hat uns täglich Brod und Wasserflaschen durch das Luftloch herabgelassen. Auch andere Dinge scheinen dabei zu sein. Leider aber kann uns das Alles nichts helfen.«

»Brod und Wasser? Nichts helfen?«

»Ja.«

»Warum?«

»Wir sind ja gefesselt. Ich kann die Hände nicht gebrauchen.«

»Ich auch nicht. So habt Ihr noch nichts genossen?«

»Noch gar nichts.«

»Mein Gott! Und dieser enge Raum? Drei Personen können hier kaum treten, geschweige denn liegen. Ah, da fällt mir ein, ich habe ja mein Messer bei mir.«

»Dein Messer? Hat man Dich nicht entwaffnet?«

»Freilich doch; aber man hat vergessen, mir die Taschen auszusuchen. In der linken Tasche meiner Hose steckt mein Klappmesser; es ist scharf wie Gift, aber ich kann die Hand nicht in die Tasche bringen.«

»Vielleicht gelingt dies mir, wenn Du zu mir trittst.«

»Laß es uns versuchen.«

Er trat ganz nahe zu ihr heran, so daß es ihr gelang, eine ihrer gefesselten Hände in seine Tasche zu bringen und das Messer herauszunehmen.

»Aber was nun?« fragte sie. »Ich kann es nicht öffnen.«

»Halte den Griff nur fest, ich werde die Klinge mit den Zähnen packen,« sagte er.

Dies geschah, und nach vielen vergeblichen Versuchen gelang es.

»So,« sagte der Vaquero. »Jetzt nehme ich das Messer in meine rechte Hand, und Du reibst Deine Fesseln an der Schneide hin und her. Hast Du einmal Deine Hände frei, so schneidest Du auch meine Riemen durch.«

Dies geschah. Freilich verging eine lange, lange Zeit, ehe sie es fertig brachten; endlich aber standen sie doch fessellos da.

»Gott sei Lob und Dank!« sagte Maria. »Nun kann ich doch nach unserem guten Sennor sehen, oder wenigstens nach ihm greifen. Nimm Dich in Acht, daß Du nichts von dem zertrittst, was uns der unbekannte Wohlthäter herabgelassen hat.«

»Laß uns zunächst sehen, was es ist!« sagte der Vaquero. Beide knieten nieder und fühlten mit den Händen um sich.

»Ein kleines Brod,« sagte Maria.

»Eine Wasserflasche,« meinte der Vaquero.


// 1739 //

»Auch eine Flasche.«

»Und ich ein Brod.«

»Und ich - ah, ein Talglicht!

»Ist's wahr, Sennora?«

»Ja.«

»So hat man jedenfalls auch Zündhölzer herabgelassen. Leider werden sie wohl naß geworden sein. Ah, hier liegt ein kleines Lederpacket.«

Er öffnete es, betastete den Inhalt und fuhr fort:

»Wirklich Zündhölzer, noch ganz trocken, und ein Zettel dabei. Laßt uns das Licht anbrennen, Sennora Maria, damit wir uns umsehen können.«

Das Licht war bald in Brand gesteckt, und so fand sich noch ein zweites Licht und noch eine dritte und vierte Wasserflasche.

»Gott sei Dank, verdursten können wir nun doch nicht,« sagte Maria. »Jetzt muß ich vor allen Dingen sehen, ob etwas auf dem Zettel steht.«

»Hier ist er,« meinte der Vaquero.

Während er leuchtete, warf sie einen Blick darauf.

»Ja,« sagte sie, »hier stehen einige Zeilen, zwar schlecht geschrieben, aber doch leserlich.«

Sie hielt den Zettel etwas näher an das Licht und las:

»Von Einem, der sich an Euch versündigt hat. Heute muß ich fort, aber ich habe einen Anderen gefunden, der Euch an meiner Stelle täglich Licht, Brod und Wasser geben wird. Betet für mich und vergebt mir.«

»Wer mag das sein?« fragte Maria.

»Jedenfalls Der, welcher den Sennor geschlagen hat.«

»Ja, jedenfalls. Gott verzeihe es ihm! Er mußte gehorchen. Aber heilige Maria, wir denken ja gar nicht an unseren Herrn!«

Jetzt leuchteten sie Petro Arbellez an. Er bot einen traurigen Anblick dar. An Händen und Füßen gefesselt und am ganzen Leibe zerfleischt, bildeten die Fetzen seiner Haut, seines Fleisches und seiner Kleider sammt den Fesseln eine einzige, formlose, durch das geronnene Blut verbundene Masse.

Seine Augen waren geschlossen, und sein Gesicht glich dem eines Todten. Er bewegte sich nicht. Die beiden braven Leute brachen in die heftigsten Thränen aus.

»O heiliger Himmel, mein lieber, lieber Sennor!«

Während Maria diese Worte schluchzte, nahm sie den Kopf des in dieser Weise Gemarterten in den Arm. Der Vaquero aber ballte die Faust.

»Das hätte ich vorhin wissen sollen!« sagte er.

»Wann?« fragte sie.

»Als ich bei dieser Josefa war.«

»O, Du warst bei ihr?«

»Ja.«

»Wie kamst Du zu ihr? Was sagte sie?«

»Später davon! Ich habe ihr einen Tritt versetzt, daß sie einige Rippen gebrochen hat. Hätte ich aber vorher gesehen, was ich hier sehe, so hätte es ihr ganz sicher das Leben gekostet.«


// 1740 //

»Was ist da zu thun?« rief Maria. »Unser guter Herr wird sicherlich sterben!«

»Das Beste und Nothwendigste, was wir brauchen, hat uns Gott bereits bescheert -«

»Wasser, nicht wahr?«

»Ja. Und hätte ich Leinwand an mir, ein Hemde oder -«

»O, ein Hemde habe ich, und auch einen übrigen Rock,« sagte Maria. »Hier darf man keine Complimente machen. Wir brauchen Verbandzeug.«

»Lösen wir das geronnene Blut erst auf.«

»Aber mit nassen Lappen, sonst verbrauchen wir zu viel Wasser!«

Sie zerriß einen der Röcke, welche sie anhatte, und entledigte sich auch ihres Hemdes. Dann wurden Lappen befeuchtet und dem Verwundeten aufgelegt. Es war eine sehr langwierige Arbeit, und als endlich Arbellez verbunden war, war auch das zweite Licht fast ganz verbrannt.

Der Haziendero hatte während des Verbindens nur Zeichen des Schmerzes von sich gegeben, aber kein Wort gesprochen. Jetzt lag er ruhig athmend da. Die Beiden glaubten, daß er schlafe, und sprachen daher leise mit einander.

»Denkst Du, daß er sterben wird?« fragte Maria.

»Das steht in Gottes Hand. Jammerschade wäre es.«

»Ja, der gute, liebe Sennor!« schluchzte sie.

»O, nicht nur, weil er so lieb und gut ist, sondern auch aus einem ganz anderen Grunde.«

»Aus welchem denn?«

Der Vaquero brannte vor Begierde, seine frohe Botschaft an den Mann zu bringen, aber er gab, wie diese Leute zu thun pflegen, seine Arznei in kleinsten Dosen.

»Es giebt Leute, welche uns wohl befreien würden, wenn es uns gelänge, uns einige Zeit zu halten.«

»Wirklich? Glaubst Du das? Wer sollte das sein?«

»Rathe einmal!«

»Das könnten nur solche sein, denen Cortejo ein Feind ist. Etwa die Franzosen?«

»Nein.«

»Die Oesterreicher?«

»Nein.«

»Juarez?«

»Dieser eher. Wenn er wüßte, was hier vorgeht, er käme sicherlich. Aber es giebt noch ganz andere Leute hier. Da weiß ich zum Beispiel einen Sennor Sternau - - -«

Er hielt mit Vorbedacht inne und wartete.

»Sternau?« fragte sie rasch.

»Ja.«

»Wer ist das?«

»Ein Mann, den ich in Fort Guadeloupe getroffen habe.«

»Was ist er?«


// 1741 //

»Er ist ein Arzt und zugleich ein außerordentlicher Jäger und Krieger.«

»Mein Gott, da muß ich an jenen großen, deutschen Arzt denken, welcher damals auf der Hazienda so vieles erlebt hatte. Er hieß auch Sternau. Also Der, den Du meinst, würde kommen, um uns zu retten?«

»Ganz sicher.«

»Warum? Kennt er uns denn?«

»Freilich.«

»Aber ich weiß ja keinen Sternau, welcher auf der Hazienda gewesen wäre.«

»Du sagtest ja soeben selbst, daß jener Arzt Sternau hier gewesen sei.«

»Gewiß. Aber das ist doch nicht Derjenige, welchen Du meinst.«

»Warum nicht?«

»Ah, der ist todt!«

»Weißt Du das genau?«

»Ja. Lebte er noch, so hätte man längst Etwas von ihm gehört.«

»So! Hm! Ferner war da auf dem Fort ein gewisser Sennor Mariano -«

»Mariano?« fragte sie schnell.

»Ja; ferner ein gewisser Sennor Helmers mit seinem Bruder - - -«

»Helmers? Geh, Du schwärmst.«

»In meinen alten Tagen etwa? Es war ferner da ein gewisser Sennor Büffelstirn, ein gewisser Sennor Bärenherz, ferner ein - - -«

Da ergriff sie seine Hand und sagte:

»Höre, willst Du zu Allem auch noch Spott mit mir treiben?«

Er hielt ihre Hand fest und fuhr fort:

»Ferner war da eine gewisse Sennorita Emma Arbellez - - -«

Sie entriß ihm mit Gewalt ihre Hände und zürnte ihm zu:

»Schweig. Unser Unglück ist groß genug. Deine Phantasie ist gar nicht im Stande, es durch trügerische Bilder zu mildern.«

Er aber fuhr unbeirrt fort:

»Ferner sah ich da einen gewissen Grafen Ferdinando de Rodriganda, von dem man gesagt hat, daß er gestorben sei; er aber lebt noch und kehrt nach Hause zurück, um seine alte, treue Maria Hermoyes zu belohnen.«

Das war der Alten denn doch zu viel.

»Ich bitte Dich um Gottes Barmherzigkeit willen,« sagte sie, »mir ehrlich zu gestehen, daß Du dies Alles nur sagst, um mich hier zu trösten.«

»Fällt mir gar nicht ein!«

»Nicht trösten? Du willst Dich also bloß lustig machen?«

»Fällt mir noch viel weniger ein!«

»Aber, mein Gott, wahr kann es doch nicht sein!«

»Warum nicht?«

Da faßte sie dieses Mal seine beiden Hände, hielt sie fest und sagte:

»Höre, ich fordere Dich auf, mir bei der heiligen Madonna zuzuschwören, daß Du auf alle Fragen, die ich Dir jetzt vorlegen werde, die Wahrheit antworten willst.«

»Gut, ich schwöre es!«

»Nun, so sage mir, war Graf Ferdinando wirklich in Fort Guadeloupe?«


// 1742 //

»Ja.«

»Es ist wirklich wahr, gewißlich wahr?«

»Bei Gott und allen Heiligen, es ist wahr!«

Da stieß die alte, treue Seele trotz ihrer gegenwärtigen, unglücklichen Lage einen Schrei aus, der fast dem Jauchzer eines Sennhirten glich.

»Er ist da! Er ist nicht todt!« rief sie. »Und wer war noch dort?«

»Sennor Mariano - - -«

»Der ächte Graf Alfonzo de Rodriganda!« fügte sie hinzu.

»Sennora Emma - - -«

»Die verloren geglaubte Tochter unsers guten Herrn. O, hätte er doch seine Besinnung, um es zu vernehmen. Weiter, weiter! Wer war noch da?«

»Die Sennores Helmers - - -«

»Der Bräutigam von Sennora Emma und sein Bruder.«

»Büffelstirn und Bärenherz - - -«

»Welche mich aus Mexiko nach der Hazienda retteten.«

»Sennorita Karja - - -«

»Die Schwester Büffelstirns.«

»Und natürlich Sternau, der Fürst des Felsens.«

»Du hast sie gesehen?«

»Ja.«

»Alle?«

»Alle zusammen.«

Die alte Maria schwieg; sie hätte gern gesprochen, ja, laut geschrieen und gejubelt, aber sie brachte dies nicht fertig. Sie saß sprachlos da und weinte leise vor sich hin. Was sie gehört hatte, war zu groß für sie, stürmte zu mächtig auf sie ein. Sie fühlte sich förmlich erdrückt unter der Masse des Glückes, vor welcher der Gedanke an ihre gegenwärtige Lage zurücktreten mußte.

Und nun, während sie so weinte, begann der Vaquero zu erzählen. Er sprach in halblautem Tone und Maria lauschte jedem seiner Worte. Sie wagte nicht, ihn zu unterbrechen und nur zuletzt, als er seine Heimkehr beschrieb und daß er an das Thor der Hazienda geklopft habe, rief sie:

»Um Gotteswillen, der Cortejo ist ja da!«

»Leider ja; aber das wußte ich ja nicht.«

»Man hat Dich eingelassen?«

»Ja. Ich stieg ab und ging nach der Vaquerostube. Dort nahm man mich gefangen.«

»Und was dann?«

»Man band mich und führte mich zu einer Sennorita, die mich verhören sollte.«

»Das war Josefa Cortejo.«

»Ich wußte es nicht.«

»Du kanntest sie also nicht?«

»Nein, ich hatte sie noch nie gesehen.«

»Was fragte sie Dich?«

»Sie gab sich für eine Freundin von Sennor Arbellez aus. Sie sagte, der Sennor sei entkommen und habe ihr aufgetragen, meine Botschaft entgegenzunehmen.«


// 1743 //

»Gott im Himmel! Du hast ihr doch nichts erzählt?«

»O, Alles!«

»Alles?« schrie Maria.

»Leider!«

»So sind sie verloren, Alle, Alle!«

»Ja, das sagte sie mir dann auch,« erklärte der Vaquero kleinmüthig.

»So hat sie sich Dir dann noch zu erkennen gegeben?«

»Ja. Dabei sagte sie mir, daß sie alle diese Sennores nebst den Sennoritas umbringen lassen werde.«

»Das wird sie thun. O Gott, wie sind sie zu retten? Wäre ich doch nicht gefangen!«

»Wir müssen versuchen, frei zu kommen,« erklärte der Alte.

»Aber wie?«

»O, ich habe ein Messer. Ich grabe mir mit ihm ein Loch.«

»Durch diese dicke Mauer?«

»Oder ich steche den Wächter nieder.«

»Und wirst dann von den Andern festgenommen, um doppelt gemartert zu werden.«

Da erklang wie der Ton eines unsichtbaren Geistes eine leise Stimme neben ihnen:

»Sorgt Euch nicht. Ich sehe Euch frei. Die Guten siegen, sie haben dann noch eine schwere Prüfung, aber der Vater im Himmel führt sie zum Ziele.«

Der verwundete Haziendero hatte diese Worte gesprochen.

»Sennor Petro!« sagte Maria.

Er antwortete nicht.

»Sennor Arbellez.«

Auch jetzt schwieg er.

Das Licht war niedergebrannt, darum konnten sie den Kranken nicht sehen.

»Hat er im Wachen gesprochen?« fragte sie leise.

»Dann wäre er ja sofort wieder eingeschlafen,« meinte der Vaquero.

»So hat er im Traume geredet.«

»Und der Traum hat ihm die Zukunft gezeigt.«

»Oder ist es noch anders,« sagte Maria zagend.

»Wie anders?«

»Hast Du nicht schon einmal gehört, daß sich vor dem Auge mancher Sterbenden die Zukunft öffnet? Sie sagen dann Dinge vorher, welche Andern verborgen sind.«

»So meinst Du, daß unser Sennor im Sterben liegt?«

»Ja.«

»Nein, das glaube ich nicht. Der Tod ist anders. Wir haben ihn verbunden; das hat ihm wohlgethan. Er ist erwacht und hat meine Erzählung gehört.«

»Meinst Du?«

»Ja, aber wie man Etwas halb im Traume hört; so hat er auch gesprochen und dann ist er sofort wieder eingeschlummert.«


// 1744 //

Dieser Ansicht schloß sich schließlich auch Maria Hermoyes an.

Unterdessen hatte der Eine der Mexikaner, welche den Vaquero nach dem Keller gebracht hatten, eine Magd hinauf zu Josefa geschickt. Diese fand das Mädchen in der oben bereits erwähnten Stellung: Sie saß auf dem Stuhle, hatte die Stirn auf der Kante des Tisches liegen und hustete in einzelnen, schwachen Stößen Blut aus dem Munde.

»Um aller Heiligen willen, was ist mit Euch, Sennorita?« fragte die Magd. »Ihr spuckt ja Blut. Seid Ihr verletzt?«

Josefa hob langsam den Kopf in die Höhe und sagte leise:

»Ich muß schreiben. Gieb Kissen her.«

»Schreiben? Das geht unmöglich.«

»Es muß gehen.«

»Aber man sagte mir, Ihr hättet mehrere Rippen gebrochen.«

»Wer sagte es?«

»Einer von den Zweien, die dabei gewesen sind.«

Da fuhr sie langsam mit der Hand nach der Brust. Ein Wehelaut entfuhr ihrem Munde; ihr Gesicht wurde erst leichenblaß, dann blutig roth und nun hustete sie wieder so, daß das Blut ihr in einem dünnen Strahle aus dem Munde floß.

»Seht Ihrs, Sennorita, daß der Mann recht hatte?« fragte das Mädchen.

»Hole ihn.«

Sie ging und bald trat Der ein, von dem die Magd gesprochen hatte.

»Ihr sagtet vorhin, daß ich einige Rippen gebrochen hätte?« fragte Josefa.

Man sah und hörte es ihr an, daß Ihr jede Silbe schwer fiel.

»Ja, Sennorita,« antwortete er.

»Wißt Ihr, wo der nächste Arzt zu finden ist?«

»Vielleicht in Saltillo und Castanuela. Gewiß weiß ich es nicht.«

»Wie weit ist es hin?«

»Einen Tag und einen halben hin und ebenso lang wieder her, also drei Tage.«

»So lange kann ich nicht warten.«

»Ja, näher giebt es keinen Arzt.«

»Kennt Ihr alle Männer genau, welche sich jetzt hier befinden?«

»Ich denke, so ziemlich alle.«

»Giebt es nicht zufälliger Weise Einen unter ihnen, der Arzt gewesen ist?«

Diese Frage war nicht so außerordentlich als es einem Deutschen scheinen möchte. Da drüben in jenen Ländern spielt das Schicksal sonderbar mit dem Menschen.

»Arzt nicht, aber - - -« antwortete der Mann zögernd.

»Was denn?«

»Chirurg.«

Er wollte das Wort Bader denn doch lieber nicht gebrauchen.

»Ein Chirurg? Das ist ja, was ich nöthig habe. Wer ist es?«

»Mein Kamerad, der vorhin mit bei Euch war.«

»Der den Vaquero hielt?«


// 1745 //

»Ja.«

»Versteht er sich auf Rippenbrüche?«

»O, ausgezeichnet. Er hat bereits als Lehrling Rippenbrüche geheilt.«

»So holt ihn herauf.«

Er ging und brachte in kurzer Zeit seinen Kameraden herbei, welcher mit selbstbewußter Miene in das Zimmer trat.

Josefa hatte Mühe, sich auf dem Stuhle zu erhalten.

»Ihr seid Chirurg?« fragte sie ihn.

»Nein,« antwortete er.

»Dummkopf,« raunte ihm der Andere zu.

»Was denn?« fragte sie. »Der da sagte, daß Ihr Chirurg wäret.«

»Chirurg nicht, sondern Bader bin ich, Sennorita.«

»Bader? Da ist ja ein sehr großer Unterschied, denke ich.«

Der gute Mann sah ein, daß er einen Fehler gemacht hatte und antwortete:

»Jawohl, Sennorita. Nämlich die Chirurgusse heilen die Bein und Leistenbrüche, die Bader aber heilen die Rippen- und Wasserbrüche«

Er glaubte, damit seinen Fehler wieder gut gemacht zu haben. Josefa litt zu große Schmerzen, als daß sie über diesen Unsinn hätte nachdenken mögen.

»Also Ihr versteht, mit Rippenbrüchen umzugehen?«

»Ja.«

»Ihr könnt sie einrichten?«

»Ja.«

»Und verbinden und kuriren?«

»Das versteht sich.«

»So untersucht mich einmal genau.«

»Legt Euch in die Hängematte.«

»Schafft mich hin.«

Die beiden Mexikaner griffen zu und legten sie in die Matte. Da sie nach Art der Mexikaner nur leicht gekleidet war, so konnte die Untersuchung ohne große Schwierigkeiten vorgenommen werden. Sie biß die Zähne zusammen, mußte aber doch einige Male einen lauten Schmerzensschrei ausstoßen.

Endlich war der Mann fertig. Er verstand von dem Baue und den Krankheiten des menschlichen Körpers auch nicht mehr, als ein jeder andere Abenteurer, dennoch aber gab er sich die Miene eines weisen Mannes der Wissenschaft.

»Nun, wie steht es denn?« fragte sie.

»Schlimm, sehr schlimm,« antwortete er.

»Wirklich?« fragte sie voller Angst.

»Ja. Es steht so schlimm, daß es Euer Tod sein kann, wenn Ihr Euch an einen Charlatan, an einen Pfuscher wendet. Davon rathe ich Euch ab.«

»Nun, was seid Ihr denn da? Ein Pfuscher?«

»Pfui Teufel,« antwortete er stolz.

»Also ein erfahrener Bader?«

»Ja. Fragt nur Den da. Der weiß es. Der hat Kuren von mir gesehen, Kuren, daß sich Einem die Haare sträuben würden.«


// 1746 //

»Vor Angst und Schreck?«

»Unsinn. Vor Erstaunen und Bewunderung.«

»Nun also, wie steht es mit mir?«

»Das muß ich Euch erklären. Habt Ihr die Rippen studirt, Sennorita?«

»Nein.«

»So muß ich Euch sagen, daß es dreierlei Rippen giebt; solche die zusammenstoßen, das sind die verheiratheten Rippen, solche die nicht zusammenstoßen, das sind die unverheiratheten Rippen und solche die nur zuweilen zusammenstoßen, das sind die Concubinatsrippen. Eine jede Frau hat sechs verheirathete, fünf unverheirathete und vier Concubinatsrippen auf jeder Seite, macht also zusammen dreißig Rippen vorn und dreißig Rippen hinten. Der Mann hat einige Concubinatsrippen mehr und eine verheirathete weniger.«

»Wozu das Alles?«

»Um Euern Zustand zu begreifen. Der Fußtritt hat eine sehr große Verwüstung bei Euch angerichtet. Es sind nicht nur neun Rippen gebrochen, nämlich auf der linken Seite, sondern die gebrochenen und ungebrochenen sind vollständig unter einander hineingeraten - verheirathete, unverheirathete und Concubinats-Rippen, Alles befindet sich bunt durcheinander. Darum stehen Sie so große Schmerzen aus. Das Alles aus einander zu fitzen, das ist wahrhaftig nicht Jedermanns Sache.«

»Werdet Ihr es bringen?«

»Das versteht sich,« antwortete er, sich in die Brust werfend.

»Wie lange wird es dauern?«

»Vier bis fünf Stunden.«

Sie wurde leichenblaß.

»Fünf Stunden,« hauchte sie, »das ist ja unerhört.«

»Unerhört? Bei neun Rippen? Wo denkt Ihr hin. Ich habe in Durango zugesehen, wie ein College nur drei gebrochene Rippen einrichtete, was bei ihm elf volle Stunden dauerte, und als die Patientin gesund war, stellte es sich heraus, daß er zwei von diesen Rippen so dumm eingerichtet hatte, daß sie zwei Fuß lang hinten zum Rücken hinausstanden.«

»Aber die Schmerzen,« bangte sie.

»Pah! Das thut nicht sehr wehe; das ist ungefähr ganz so, als wenn Euch so ein ziemlich großer Floh sticht.«

»Wirklich?«

»Ja. Und thut es ja einmal weher, so thut man am Besten, man beißt die Zähne zusammen und fällt in Ohnmacht. Werdet Ihr dies fertig bringen?«

»Ich denke es.«

»Nun, so kann es wohl losgehen?«

»Halt. Zuvor eine Frage. Werde ich dann gleich schreiben können?«

»Nach der Einrichtung dieser neun Rippen?«

»Ja.«

»Wo denkt Ihr hin. Es würden Euch ja alle neun zum Rücken hinausfahren, wie der Frau in Durango. Ihr müßt im Bette liegen bleiben.«

»Gut, so werde ich vorher schreiben.«


// 1747 //

»Ist das so nothwendig?«

»Ja.«

»Aber Ihr werdet dabei große Schmerzen ausstehen.«

»Das muß ich mir gefallen lassen.«

»Ganz wie Ihr wollt. Ich muß Euch aber sagen, daß ich mit diesen neun Rippen nicht allein fertig werden kann.«

»So braucht Ihr also Hilfe?« fragte sie erschrocken.

»Ja.«

»Aber woher diese nehmen?«

»Ist schon gefunden.«

»Wer?«

»Hier mein Kamerad.«

»Ist der denn auch Chirurg oder Bader?«

»Nein, das ist gar nicht nothwendig. Ich brauche nur einen aufmerksamen Mann, welcher aufpaßt, daß die verheiratheten, unverheiratheten und Concubinats-Rippen nicht wieder zusammenfahren, wenn ich sie auseinandergelesen habe. Er muß sie festhalten, bis ich eine nach der andern eingerichtet habe.«

»Nun gut; er mag Euch helfen. Ich werde Euch rufen lassen, wenn ich Euch brauche. Schickt mir die Magd und noch eine zweite dazu.«

Die beiden Männer entfernten sich. Unten sagte der Bader zum Andern:

»Habe ich das nicht gut gemacht?«

»Famos! Sind wirklich neun entzwei?«

»Unsinn! Es sind nur sechs. Drei habe ich dazugelogen, um ein besseres Trinkgeld zu erhalten. Verstehst Du mich?«

»Sehr gut. Du bist ein Schlaukopf. Aber war das mit den dreierlei Rippen auch wirklich wahr?«

»Hm, darüber bin ich mir selber im Zweifel. Ich glaube, das hat mir einmal ein Spaßvogel aufgebunden, und nun habe ich es auch glücklich wieder abgeladen.«

»Und sie hat es geglaubt?«

»Ah, Weiber glauben Alles, wenn sie ein paar Rippen gebrochen haben, sonst aber glauben sie verteufelt wenig, das kann ich Dir sagen.«

»Hm, das ist meine Erfahrung auch. Aber ich will nach den Mägden sehen, damit sie nicht so lange zu warten braucht.«

Eine Viertelstunde später saß Josefa, von Kissen unterstützt und den zwei Mägden gehalten, vor dem Tische und schrieb. Es ging nur langsam und es war viel, was sie schrieb. Endlich war sie fertig und schickte die Mädchen fort; zugleich ließ sie einen der Unteranführer rufen.

»Hat Euch mein Vater seine Route mitgetheilt?« fragte sie diesen.

»Ja, im Geheimen, Sennorita,« antwortete er.

»Ihr würdet ihn also treffen, wenn ich Euch ihm nachschickte?«

»Sicher.«

»Wann?«

»Er reitet schnell. Vier Tage würde ich brauchen.«

»Wenn Ihr ihn von jetzt an in vier Tagen erreicht und ihm diesen Brief


// 1748 //

übergebt, erhaltet Ihr dreihundert Duros ausgezahlt. Wollt Ihr diese Botschaft übernehmen?«

»Ja,« antwortete der Mann, indem sein Gesicht strahlte.

»Aber mein Vater braucht noch mehr Leute. Könnten wir fünfzig Mann entbehren?«

»Ja, ganz gut.«

»So nehmt fünfzig wohlbewaffnete Männer mit. Ihr werdet später erfahren, weshalb. Nur so viel kann ich Euch sagen, daß es einen Zug gilt, welcher Euch Auszeichnung und gute Beute bringen wird. Diesen Brief aber gebt ja in keine anderen Hände als in Diejenigen meines Vaters.«

Dieser Brief lautete wie folgt:

          »Lieber Vater.
»Ich habe kurz nach Deinem Wegritte höchst Wichtiges erfahren. Ein alter Vaquero, Derjenige, den Arbellez nach Fort Guadeloupe geschickt hatte, kam zurück und wurde festgehalten und von mir verhört. Es gelang mir, ihm Folgendes zu entlocken:
   »Henrico Landola hat ein falsches Spiel mit uns getrieben. Keiner unserer Feinde ist todt, sie leben alle noch. Sie wurden auf einer wüsten Insel ausgesetzt, von welcher sie sich jetzt gerettet haben. Gegenwärtig befinden sie sich in Fort Guadeloupe, um unter Juarez' Schutz gegen uns loszubrechen. Es sind: Sternau, Mariano, Graf Ferdinando, die beiden Helmers, Büffelstirn, Bärenherz, Emma Arbellez und Karja. Graf Ferdinando bleibt auf dem Fort zurück, weil er verwundet ist; er wird unter Apachenbedeckung später den Andern nachreiten. Diese sind mit Juarez jetzt nach Chihuahua aufgebrochen, von wo sie dann nach Cohahuila gehen werden, um auch dieses zu erobern.
   »Juarez hat vier Compagnieen Franzosen völlig vernichtet, dazu ebenso viele Comanchen. Oestlich von Cohahuila, am Zusammenflusse des Sabinaflusses mit dem anderen Arme, wollen sie Lord und Amy Lindsay treffen.
   »Du weißt nun, wie die Sachen stehen, und wirst Dir selbst sagen, was geschehen muß. Sie müssen natürlich Alle sterben, sonst sind wir verloren. Triff Deine Maßregeln schnell; ich sende Dir zu diesem Zweck noch fünfzig Männer nach.
   »Handle schleunigst, daß Du bald zurückkehren kannst. Ich bedarf Deiner, denn ich habe neun Rippen gebrochen, welche mir jener Vaquero hineingetreten hat aus Rache dafür, daß ich ihn überlistet und ausgehorcht habe.
          Deine Josefa.«

Noch vor Abend sprengte die Truppe von fünfzig Mann zum Thore der Hazienda hinaus. Der Anführer trug den Brief wohl verwahrt bei sich.

Um dieselbe Zeit lag Josefa auf einem über den Boden ausgebreiteten Teppich. Die Operation hatte begonnen. Während der eine Mexikaner sie mit seinen kräftigen Fäusten hielt, arbeitete der Andere an ihren sechszig Rippen in einer Weise herum, daß ihr der blutige Schaum vor dem Munde stand.

Man hörte in der ganzen Hazienda ihr Schmerzgeschrei, welches aber einem thierischen Gebrüll ähnlicher klang, als menschlichen Wehelauten. Man wollte bei ihr eintreten, um zu sehen, ob das nicht zu ändern sei, aber die beiden


// 1749 //

Operateurs hatten von Innen die Thür verschlossen und ließen keinen Menschen eintreten.

Die Rache hat begonnen.

Erst nach mehreren Stunden hörte das Brüllen auf, und wer an der Thür horchte, konnte ein halblautes, ununterbrochenes Wimmern hören. Die Tochter Cortejo's litt unsägliche Schmerzen. In diesen Augenblicken hätte sie den Tod willkommen geheißen. Und doch ahnte sie nicht, daß sie diese Schmerzen nun stets empfinden werde, als Begleiter für ihr noch zugemessenen Lebens. Die Rache des gerechten Richters hatte mit heute begonnen. -

Gehen wir zurück in die Zeit, mit welcher das Nachfolgende sich im innigsten Zusammenhange befindet, so treten wir durch das Portal des Palacio imperiale (kaiserlicher Palast) in Mexiko, steigen die Treppe empor und begeben uns in das Audienzzimmer, in welchem Max die Spitzen seiner Behörden zu empfangen pflegte.

In diesem Augenblicke lehnt der Kaiser mit dem Rücken an einem Tische. Sein Auge ruht auf einem großen Schriftstücke, welches er in den Händen hält. Dieses Auge blitzt, seine Wangen sind geröthet, sein Inneres scheint in gewaltiger Bewegung zu sein.

Vor ihm steht einer seiner Minister und hält den Blick mit einem fast lauernden Ausdruck auf den Gebieter gerichtet. Wir wollen den Namen dieses Herrn nicht nennen; der Kenner der Geschichte wird ihn errathen.

Unweit des Fensters, in einem Fauteuil, sitzt die Kaiserin in all ihrer Jugend und Schönheit. Sie scheint mehr Männliches als der Kaiser selbst zu besitzen. Er schwärmerisch, träumerisch und weich, sie nach Glanz und Ehren strebend, er ein Poet, sie eine feurige Trachterin nach materiellen Werthen.

Der Minister schien gesprochen zu haben, denn Kaiser Max antwortete:

»Sie verlangen meine endgiltige Entscheidung? Jetzt gleich?«

»Ich muß um dieselbe bitten, Majestät.«

»Ich bin entschlossen -«

»Abzulehnen etwa?« fragte die Kaiserin schnell.

Max drehte sich ihr mit lächelnder Miene zu und sagte:

»Wie ich höre, sind Sie mit der Entscheidung bereits zu Stande?«

»Allerdings.«

»Darf ich fragen, wie sie lautet?«

»Bei dem siegreichen, überzeugenden Eifer, mit welchem diese hochwichtige Angelegenheit soeben vorgetragen wurde, kann die Entscheidung nicht zweifelhaft sein. Ich stimme bei.«

Max nickte und sagte, zu dem Minister gewendet:

»Sie hören, wie man sich beeilt, meiner Anerkennung vorzugreifen. So will ich Ihnen denn sagen, daß ich nicht blos bereit bin, dieses Decret zu unterschreiben, sondern ich werde, Wort für Wort, es selbst zu Papiere bringen und den Herren Ministern zur Signatur unterbreiten.«

»Ich danke, Majestät,« sagte der Minister mit einer tiefen Verneigung. »Es ist die Aufgabe meines Berufes und Lebens, all mein Sinnen und Denken für das Wohl Mexikos und seines Kaisers einzusetzen. Ich bin überzeugt, daß wir mit diesem Schritte siegreich über Alles hinweg schreiten, was sich uns bisher


// 1750 //

hindernd und störend in den Weg gestellt hat. Mit einem vulgären, deutschen Worte zu sagen: wir »räumen auf«. Das war doch endlich einmal sehr nothwendig.«

»Sie haben recht, mein Lieber. Ich werde -«

Da erschien der Diensthabende.

»General Mejia!« meldete er.

»Sogleich eintreten!« befahl der Kaiser.

Eigenthümlich war es, daß die Kaiserin sich sofort erhob und durch eine Thür verschwand, während Max den Minister verabschiedete. Dieser traf mit dem berühmten Generale unter der Thür zusammen. Beide machten einander eine kalte Verneigung, ohne aber einen Blick auszutauschen.

»Willkommen, General!« sagte Max. »Sie kommen heute gerade zur guten Stunde.«

Das ernste Gesicht des Mexikaners zeigte ein schönes, aufrichtiges Lächeln, als er die heiteren Züge des Herrschers bemerkte.

»Ich bin ganz glücklich, dies zu hören, Majestät,« sagte er. »Wollte Gott, es wären Ew. Hoheit und dem Reiche lauter solche Stunden bescheert.«

»Ich hoffe, daß es von jetzt ab geschehen werde.«

»Darf ich fragen, ob diese Hoffnung eine gewisse Veranlassung habe?«

»Ja. Ich stehe im Begriff, ein wichtiges Decret zu erlassen.«

»Wenn es die erwähnte Wirkung haben soll, so ist es allerdings wichtig.«

»Da, überzeugen Sie sich selbst. Lesen Sie.«

Er reichte Mejia den Entwurf hin und trat an das Fenster. Während er durch dasselbe hinabblickte, um dem General Muse zu lassen, die Lectüre mit Sammlung vorzunehmen, warf dieser sein Auge auf die Zeilen.

Je weiter er kam, desto mehr zogen sich seine Brauen zusammen, seine Augen blitzten zornig, seine Lippen zuckten. Dann hörte Max ein lautes Papierrascheln hinter sich. Als er sich umblickte, bemerkte er den General dastehen, ein Bild des höchsten Zornes, das zusammengeknitterte Papier in der Faust.

»Majestät, wer hat dieses - dieses Machwerk verfaßt?« fragte er.

In seinem Zorne hatte er gar nicht an die Regeln der Etiquette gedacht.

Der Kaiser, sonst so gütig, konnte so etwas nicht gut übergehen.

»General!« sagte er im ernstesten Tone.

»Majestät!«

Bei diesen Worten verneigte sich Mejia tief, wie um sich zu entschuldigen.

»Wo ist mein Entwurf?«

»Hier, Majestät.«

Er nahm das Papier, glättete es so gut wie möglich und reichte es dem Kaiser hin.

»Ah, in welchem Zustande! Sind meine Diarien etwa Cotillonzeichen?«

Er war jetzt wirklich zornig. Da sagte Mejia:

»Ich bitte allerunterthänigst um Gnade, Majestät. Was hier gesündigt wurde, das ist nur meinem Eifer für das Wohl meines Kaisers in Schuld zu schreiben.«


// 1751 //

»Aber dieser Eifer darf nichts Anderes als nur Eifer sein.«

Ueber Mejias Gesicht zuckte ein rascher, undefinirbarer Zug. Max kannte denselben. Wenn er sich zeigte, so brannte der Vulkan im Innern des Generals.

»Kann mir nicht vergeben werden, so dictire ich mir selbst die größte Strafe,« sagte er. »Erlauben mir Ew. Majestät, mich zurückzuziehen!«

Ohne eine Antwort abzuwarten, begann er, sich rückwärts nach der Thür zu bewegen.

»Halt!«

Auf diesen Zuruf des Kaisers blieb er stehen.

»Haben Sie das Decret bis zu Ende gelesen?«

»Ja, Majestät.«

»Sie nannten es ein Machwerk; es hat also Ihren Beifall nicht?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Darf ich meine Meinung aufrichtig sagen, Majestät?«

»Ich ersuche Sie darum.«

»Hätten Ihre ärgsten Feinde in Ihrem Namen ein Decret zu erlassen, um Sie ganz sicher zu verderben, so hätten sie grad dieses Decret wählen müssen.«

»Ah, welch eine Anschauung.«

»Die richtige, Majestät.«

»Ich habe meinen Unterthanen einmal zu zeigen, daß ich Kaiser bin.«

»Sie - - werden es doch nicht glauben.«

»Ah, General, das klingt ja fast wie eine Beleidigung.«

»Hoheit haben mir befohlen, die Wahrheit zu sagen. Mexiko wird bei jedem Decrete sagen, daß es von den Franzosen dictirt sei.«

»Ah, sagt man dies wirklich?«

»Ja.«

»Nun, so mag man es von diesem auch sagen; ich aber werde es ausführen.«

»Majestät, ich bitte, mir den Kopf zu nehmen, aber dieses Schriftstück in der Mappe zu lassen. Ich kenne mein Volk, ich kenne Mexiko, ich weiß, welche Folgen die Bekanntmachung dieses Schriftstückes nach sich ziehen wird.«

»Nun, welche?«

»Es wird ein Schrei der Entrüstung durch alle Länder gehen.«

»General!«

Die Augen des Kaisers blitzten zornig.

»Majestät!«

Die Augen des Generals blitzten auch.

Max wußte, was er Mejia dankte; er besann sich und sagte:

»Hören Sie meine Vertheidigung!«

»O, Majestät, wenn das Decret einer Vertheidigung bedarf, so - - -«

»Sie wollen mich wirklich ernstlich erzürnen!«

»Nein, ich schweige.«

»So hören Sie.«

Er begann nun, was man von einem Herrscher allerdings als Selbstüberwindung anerkennen muß, sich zu vertheidigen.


// 1752 //

»Sie wissen, General,« sagte er, »daß sich alle Hauptstädte und Häfen des Landes in unserer Gewalt befinden -«

»In der Gewalt der Franzosen, Hoheit.«

»Das ist gleich. Sie sind unsere Verbündete.«

»Gut. Ich sehe es aber kommen, daß sie das Land verlassen und alle diese Hauptstädte und Häfen nicht uns, sondern den Republikanern überlassen werden.«

»Sie sehen zu schwarz, wie immer. Das Land befindet sich in unserer Gewalt. Juarez ist nach El Paso entwichen; ja, man sagt, daß er den mexikanischen Boden ganz verlassen habe. Es ist Zeit, durch eine feste, ernste Kundgebung die Stellung zu nehmen, welche wir für immer festhalten wollen.«

»Zugegeben, Majestät. Was wird dies für eine Stellung sein?«

»Eine beruhigende und zugleich vernichtende.«

»Ah.«

»Ja. Trotzdem sich das Land in meiner Gewalt befindet, wagen es gewisse Maulwürfe, im Boden fortzuwühlen. Da ist dieser Panther des Südens, dieser Cortejo und noch einige Andere. Ich erkläre in meinem Decrete, daß ich von heut an einen jeden Republikaner gleich einem Banditen, Straßenräuber und gemeinen Verbrecher bestrafen werde. Von heut ab sind die Republikaner vogelfrei; sie stehen außerhalb des Gesetzes. Jede republikanische Truppe erkläre ich für eine Bande, und jedes ergriffene Mitglied einer solchen Bande soll binnen 24 Stunden erschossen werden.«

Mejia schüttelte den Kopf.

»Banditen, Straßenräuber? Vogelfrei - erschossen? O, Majestät, ich wiederhole meine Bitte: Nehmen Sie meinen Kopf, aber geben Sie den Gedanken auf, dieses Decret zu sanctioniren.«

»Behalten Sie Ihren Kopf; ich behalte mein Dekret; es ist in allen seinen Theilen von erfahrenen Männern sorgfältig überlegt.«

»O, diese erfahrenen Männer kennen Mexiko nicht. Sie haben Alles überlegt, aber nur das Eine nicht.«

»Was?«

»Ich möchte es Majestät mit Donnerstimme entgegenrufen; aber ich darf es nicht.«

»Warum nicht?«

»Ich fürchte nichts als nur die Ungnade meines Kaisers.«

»Sprechen Sie ohne Furcht, General.«

»Nun wohl. Majestät sind wirklich entschlossen, dieses Decret zu unterzeichnen?«

»Fest entschlossen!«

»So werden Sie sich Ihr eigenes Todesurtheil damit ausfertigen.«

Das Blut wich aus den Wangen Maxens zurück. Es war fast, als ob er heftig erschrocken sei. Aber er faßte sich schnell und sagte:

»Mein Todesurtheil? Sie sprachen von einer Unmöglichkeit, die zugleich eine Ungeheuerlichkeit ist, wie von etwas ganz Gewöhnlichem, Selbstverständlichem.«

»Allerdings, denn was ich sagte, ist mir ganz und gar selbstverständlich.«

»Verdeutlichen Sie das.«


Ende der dreiundsiebzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk