Lieferung 85

Karl May

24. Mai 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


// 2017 //

schrieb sich die werthvollsten Stücke ab. Sie hatte im Schreiben eine nicht gewöhnliche Fertigkeit, und doch gab es der Notizen so außerordentlich viele, daß sie voraussichtlich kaum bis zum Anbruch des Morgens fertig zu werden vermochte.

Indem sie sich mit dieser Arbeit beschäftigte, drangen Laute wie von menschlichen Stimmen zu ihr. Sie lauschte. Die Töne kamen wie aus einer Ecke hervor, und als sie mit der Lampe dorthin leuchtete, bemerkte sie ein Loch, welches wie eine Gosse geformt war, dessen Zweck hier an diesem Orte sie nicht zu begreifen vermochte. So viel aber stand sicher, daß dieses Loch ihren Raum mit einem anderen verband, in welchem jetzt gesprochen wurde.

Sie bückte sich zum Boden nieder und lauschte. Jetzt vernahm sie deutlich den Klang einer männlichen und einer weiblichen Stimme, und als sie ihr Ohr ganz nahe an das Loch brachte, konnte sie sogar, allerdings mit Anstrengung ihres sehr scharfen Gehöres, die Worte verstehen, welche da drüben gesprochen wurden.

»Du traust diesem Pater vollständig?« fragte die weibliche Stimme.

»Ja, vollständig,« antwortete die männliche.

»Aber er ist ja früher Dein Feind gewesen!«

»Er denkt ebenso wenig an diese vergangenen Dinge, wie ich an sie gedacht habe. Er haßt diesen Juarez und ist ganz erpicht darauf, sich an dem Grafen Rodriganda zu rächen.«

»Ich glaube doch, daß es gerathen ist, vorsichtig zu sein, Vater!«

»Habe keine Angst um mich, Josefa. Pablo Cortejo läßt sich nicht so leicht von irgend Jemand betrügen. Das müßtest Du doch wissen!«

»O, hast Du nicht grad in letzter Zeit den Beweis wiederholt erleben müssen, daß es doch Leute giebt, die uns überlegen sind?«

»Das war allerdings eine Reihe von ganz ungewöhnlichen Unglücksfällen, die sich aber jedenfalls nicht wiederholen werden. Ich habe dabei mein Auge verloren. Der Teufel hole jenen Kerl, welcher den so poetischen Namen Geiernase führt.«

»Woher weißt Du, daß der Mann, der Dir das Auge genommen hat, diesen Namen trägt?«

»Grandeprise nannte ihn mir. Er kennt ihn und hat ihn in der Gesellschaft von Juarez getroffen.«

»Vielleicht kommt uns dieser Mensch einmal in den Weg, Vater!«

»Dann sollte er eine Strafe erleiden, wie kein Teufel sie sich besser ausdenken könnte! Ich hatte erst die Absicht, zu versuchen, ob ich mich mit Juarez verbinden könne. Wäre mir mein Streich auf diesen Engländer und seine Ladung geglückt, so hätte ich dem Präsidenten höchst willkommen sein müssen, und ich hätte ihn gezwungen, zu einem Werkzeuge meiner Pläne herabzusinken. Nun aber ist auch das vorüber.«

»Wo mag Juarez jetzt sein?«

»O, da die Vereinigten-Staaten und England ihn unterstützen, so wird er jedenfalls schnelle Fortschritte machen. Sind die Freischaaren, denen ich ausweichen mußte, zu ihm gestoßen, so ist er stark genug, ein kräftiges und rasches Vordringen zu unternehmen. Er wird dann sehr bald auf der Hazienda del Erina eintreffen.«


// 2018 //

»Warum grad dort?«

»Ich denke es mir, weil diese verteufelten Miztecas grad dort den Aufstand unternommen haben, der uns um alle unsere Hoffnungen gebracht hat.«

»Ich denke, daß noch nicht Alles verloren ist.«

»Sprich mit dem Pater darüber, er denkt ganz anders. Der Panther des Südens hat uns betrogen.«

»Unmöglich!«

»O, der Pater hat mir einen Brief des Panthers gezeigt, welcher mir den sicheren Beweis gebracht hat. Aber für heut ist es genug, Josefa. Auch Du wirst von diesem Ritte ermüdet sein, mehr noch als ich selbst; wir wollen also sehen, ob wir in diesem unterirdischen Asyle schlafen können.«

Darauf wurde es still. Emilia lauschte noch eine Weile, bekam aber keine Silbe mehr zu hören.

»Sie sind zur Ruhe gegangen,« sagte sie zu sich selbst. »Wer aber sind sie? Cortejo und seine Tochter Josefa jedenfalls. Welch eine Entdeckung mache ich da! Sie haben sich nach hier geflüchtet, und der Pater hat ihnen ein Asyl geboten. Was aber die Hauptsache ist, Juarez kommt nach der Hazienda. Dort kann ich ihn treffen, um ihm die hier gefundenen Geheimnisse mitzutheilen. Zwar sollte ich eigentlich nach hier vollbrachter Arbeit schnell nach der Hauptstadt gehen, aber ich habe keinen zuverlässigen Boten, dem ich so Wichtiges anvertrauen dürfte. Ich bin also gezwungen, mich selbst nach der Hazienda zu begeben.«

Sie kehrte jetzt zu ihrer Arbeit zurück. Sie schrieb und copirte noch eine lange Zeit, bis endlich diese Aufgabe vollendet war.

Schon wollte sie den Raum verlassen, da fiel ihr Blick auf die Kisten, welche da standen. Sie hielt den Schritt zurück und fragte sich:

»Was soll ich hier thun? Diese Kisten enthalten Reichthümer, welche, meiner Ansicht nach, dem Staate, also Juarez gehören. Am Allerwenigsten hat der Pater das Recht, sie zu besitzen. Ich könnte mich an ihnen bereichern, aber das wäre ja Diebstahl, und eine Diebin bin ich nicht. Ich werde mich also an diesen Schätzen nicht vergreifen, Juarez aber davon Mittheilung machen, sobald ich ihn treffe.«

Sie brachte Alles wieder in den früheren Stand und kehrte nach ihrem Zimmer zurück. Die Aufregung, welche sich ihrer bemächtigt hatte, ließ sie nicht schlafen, sie traf die Vorbereitung einer heimlichen Abreise.

Bereits am frühen Morgen war der Pater wach. Er ging, um Cortejo und dessen Tochter den Morgenimbiß zu bringen. Er mußte dabei an Emilias Thüre vorüber. Das Mädchen hatte die Schritte gehört und trat aus der Stube, um zu sehen, wer der Nahende sei.

»Ah! Schon munter, meine schöne Sennorita?« fragte er.

»Ja, Sennor,« antwortete sie.

»Habt Ihr nicht gut geschlafen?«

»Sogar sehr gut, aber ich erwachte früh, weil ich mir einen Morgenspaziergang vorgenommen hatte.«

»Daran thut Ihr recht wohl. Ueberlegt Euch dabei die Antwort, welche Ihr mir nach Ablauf der festgesetzten Frist geben werdet.«


// 2019 //

»Sie wird sehr überraschend sein, Sennor,« sagte sie freundlich.

Er fühlte sich von ihrem Tone sofort bezaubert und fragte, indem er ihre Hand ergriff, um sie zu küssen:

»Sie wird günstig ausfallen, Sennorita?«

»Jedenfalls!«

»Ich meine natürlich, günstig für mich!«

»Wartet das ab! Man darf nicht zu viel auf einmal erfahren wollen!«

Bei diesen Worten aber ließ sie ihm einen leisen Druck der Hand fühlen, der ihn mit der Hoffnung des Glückes erfüllte.

»O, Sennorita, ich kenne die Antwort bereits,« sagte er, indem sein Antlitz vor Freude erglänzte. »Ihr braucht mir gar nichts zu sagen.«

Damit ging er. Kaum aber war er um die Ecke des Ganges verschwunden, so eilte sie nach seiner Thür. Der Schlüssel stak; sie war also nicht verschlossen. Emilia trat ein und brachte die gestern entwendeten Schlüssel wieder an ihre Stelle. Dann kehrte sie auf ihr Zimmer zurück.

Einige Augenblicke später verließ sie dasselbe. Sie trug ein ziemlich ansehnliches Paquet in der Hand, was aber Niemand bemerkte, da es noch früh am Tage war und die meisten der Klosterbewohner noch schliefen.

Sie begab sich in die Stadt hinab, und zwar zu einem Pferdebesitzer.

»Ihr verleiht Pferde?« fragte sie diesen.

»Ja, Sennorita,« antwortete er. »Wollt Ihr spazieren reiten?«

»Nein, ich habe eine Reise vor.«

»Weit?«

»Ziemlich weit. Ich will den Ort geheim halten. Könnt Ihr schweigen?«

»Ich bin gewohnt, bezahlt zu werden und dann zu schweigen.«

»Ich werde Euch pränumerando bezahlen. Ist Euch die Hazienda del Erina bekannt?«

»Ja. Wollt Ihr dorthin?«

»Dorthin, ja.«

»Das ist eine Reise von mehreren Tagen. Welche Begleitung habt Ihr?«

»Keine. Ich bin allein.«

»Dann seid Ihr eine sehr muthige Dame. Soll ich für Begleitung sorgen?«

»Zwei Männer werden genügen.«

»Ganz wie Ihr denkt. Wann soll es fortgehen?«

»Möglichst sofort.«

»Ich gebe Euch zwei meiner Knechte mit. Es sind sichere Leute. In einer halben Stunde werden sie fertig sein.«

»Ich bekomme natürlich Damensattel?«

»Das versteht sich ganz von selbst!«

»Nun gut! Hier dieses Paquet mögen sie mitbringen.«

»Wie, Ihr wollt nicht hier aufsteigen?«

»Nein. Ich gehe voraus und werde mich vor der Stadt von ihnen treffen lassen. Man soll nicht sehen, auf welche Weise und nach welcher Richtung hin ich Santa Jaga verlasse.«

Sie besprach nun den Preis mit ihm und bezahlte ihn so, daß er ganz


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außerordentlich mit ihr zufrieden war. Dann begab sie sich in der Haltung einer Spaziergängerin zur Stadt hinaus.

Zur angegebenen Zeit wurde sie von zwei Reitern eingeholt, welche ein Pferd mit Damensattel bei sich führten. Sie hielten bei ihr an.

»Ihr wollt nach der Hazienda del Erina?« fragte der Eine.

»Ja,« antwortete sie.

»Ihr habt ein Pferd mit zwei Begleitern bestellt?«

»So ist es. Seid Ihr diese Leute?«

»Wir sind es. Steigt auf, Sennorita.«

Sie sprangen Beide ab und halfen ihr in den Sattel, dann ging es nach mexikanischer Sitte im schnellsten Galopp von dannen.

Um dieselbe Zeit kam ungefähr eine halbe Tagereise weiter im Norden eine kleine Truppe von vier Reitern über den ebenen Grasboden geritten. Es war Sternau mit Donnerpfeil, Büffelstirn und Bärenherz. Ihnen folgten in ehrerbietiger Entfernung die Miztecas, welche Büffelstirn aufgefordert hatte, ihn zu begleiten.

Die Augen der Vier waren auf den Boden gerichtet, und Keiner sprach ein Wort, als Sternau auf das Gras zeigte und dabei sagte:

»Hier haben Pferde den Boden gestampft. Ich glaube, daß wir die Fährte noch sicher haben. Die Verfolgten haben hier ausgeruht.«

Sie stiegen von den Pferden, um den Platz zu untersuchen.

»Ja,« sagte Büffelstirn, »sie waren es. Die Zahl der Pferde ist dieselbe und auch die Größe der Hufe paßt genau.«

»Wohin geht diese Richtung?«

»Nach Santa Jaga.«

»Das kenne ich nicht. Was ist es? Eine Stadt? Ein Flecken?«

»Ein Städtchen ist es, mit einem Kloster, welches - - uff!«

Er stieß diesen Ruf, mit welchem er sich selbst unterbrach, in einem Tone aus, welcher von großer Ueberraschung zeugte.

»Warum wundert sich der Häuptling der Miztecas?« fragte Sternau.

»Ueber mich selbst.«

»Warum?«

»Weil ich erst jetzt an das denke, was am Wichtigsten ist.«

»Was ist das?«

»Das sind die Worte, welche der sterbende Mann sprach, den ich auf dem Berge el Reparo vom Pferde Schoß.«

»Welche Worte waren es?«

»Ich fragte ihn, ob er wohl wisse, wohin Cortejo geritten sei. Er antwortete: »Vielleicht nach dem Kloster della Bar- -« weiter konnte er nicht sprechen, denn er starb.«

»Hängt dies etwa mit Santa Jaga zusammen?«

»Jedenfalls, denn die Spur führt ja dorthin, und dort giebt es ein Kloster, welches della Barbara heißt.«

»So hat das Bar - - des Sterbenden Barbara heißen sollen?«

»Auf alle Fälle.«


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»Und in diesem Kloster befindet sich Cortejo?«

»Wir werden ihn dort sicher treffen.«

»So denke ich, daß wir keine Zeit zu verlieren brauchen, indem wir dieselbe mit der Betrachtung der Fährte verschwenden. Wir haben dadurch bereits so viel verloren, daß die Verfolgten uns anderthalben Tag voraus sind. Kennt der Häuptling der Miztecas den Weg nach Santa Jaga?«

»Sehr genau.«

»So mag er uns führen. Wir reiten direct auf den Ort los.«

Sie stiegen wieder auf und setzten den Ritt fort, dieses Mal aber viel schneller als vorher.

Es mochte gegen Mittag sein, als sie eine Gruppe von drei Berittenen bemerkten, welche ihnen entgegen kamen. Sie hielten an.

»Drei Reiter,« sagte Sternau. »Wer mag es sein?«

»Vaqueros jedenfalls,« meinte Büffelstirn.

»Nein,« antwortete Bärenherz. »Sieht mein Bruder nicht, daß eine Squaw dabei ist?«

»Wahrhaftig!« meinte Sternau, indem er sein Auge besser anstrengte. »Es ist eine Dame mit zwei Männern.«

»Sollte es diese Josefa sein?« fragte Donnerpfeil.

»Wohl schwerlich. Was sollte sie bewogen haben, umzukehren?«

»Man kann das nicht wissen, Herr Doctor.«

»Wir werden das bald sehen. Ah, sie haben uns bemerkt. Sie biegen zur Seite, um uns auszuweichen. Das darf ihnen nicht gelingen.«

»Reiten wir nach derselben Seite,« sagte Büffelstirn.

Wieder jagten die Pferde weiter. Die Dame mochte erkennen, daß es unmöglich sei, auszuweichen; darum schlug sie ihre ursprüngliche Richtung wieder ein. Als die beiden Parteien einander so nahe gekommen waren, daß man sich ziemlich zu erkennen vermochte, hielt Bärenherz sein Pferd an.

»Ugh!« rief er.

»Was?« fragte Sternau.

»Das ist ja die schöne Squaw von Chihuahua.«

»Von Chihuahua? Wen meint mein Bruder?«

»Welche bei den Häuptlingen der Franzosen war.«

»Sennorita Emilia wohl? Ach, bei Gott, es ist wahr, sie ist es. Was thut sie hier? Das muß eine eigenthümliche Bewandtniß haben.«

Er setzte sein Pferd wieder in Bewegung, und die Anderen folgten ihm. Einige Augenblicke später hielten sie vor der Reiterin.

»Doctor Sternau! Sennor Sternau!« rief diese, ganz verwundert.

»Ja, ich bin es, Sennorita,« antwortete er. »Aber sagen Sie doch, wie Sie hierher kommen! Ich glaubte Sie auf dem Wege nach Mexiko.«

»Das war ich auch. Jetzt aber wollte ich nach der Hazienda del Erina.«

»Dorthin? Warum?«

»Ist Juarez dort?«

»Nein.«

»Aber er kommt hin?«


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»Jedenfalls.«

»Ich habe ihm wichtige, sogar höchst wichtige Nachrichten zu bringen.«

»Sie selbst wollen das thun?«

»Es stand mir kein zuverlässiger Bote zur Verfügung.«

»Wir können Ihnen mit einem solchen jedenfalls dienen,« meinte Sternau, indem er einen Blick auf die Miztecas warf, welche ihnen gefolgt waren. »Lassen Sie uns absteigen und uns ausruhen.«

Dies geschah, und als sie sich niedergelassen hatten, fuhr Sternau in seinen Erkundigungen fort:

»Also einen sicheren Boten könnten Sie bei uns finden. Oder ist es nothwendig, daß Sie selbst mit Juarez sprechen?«

»Nein. Es handelt sich nur darum, Scripturen, welche ich bei mir trage, sicher in seine Hände gelangen zu lassen.«

»Uebergeben Sie diese Sachen Zweien von unseren Miztecas. Sie werden sie nach der Hazienda bringen und dem Präsidenten geben, sobald derselbe dort angekommen ist.«

»Ich nehme dieses Anerbieten dankbar an, Sennor. Ich müßte auf der Hazienda auf Juarez warten, und doch ist es sehr nöthig, daß ich die Hauptstadt so bald wie möglich erreiche.«

»Woher kommen Sie jetzt?«

»Von Santa Jaga.«

»Von daher? Ah, das ist wunderbar!«

»Warum?«

»Weil wir nach Santa Jaga wollen.«

»Zu wem?«

»Das wissen wir noch nicht, jedenfalls aber in's Kloster Bella Barbara.«

»Grad in diesem Kloster habe ich logirt.«

»Wirklich? Das ist eigenthümlich. Wir hoffen nämlich, Personen dort zu finden, welche wir seit einigen Tagen verfolgen.«

Sennorita Emilia machte eine Bewegung des Erstaunens.

»Etwa Cortejo?« fragte sie.

»Allerdings. Wie aber kommen Sie auf ihn?«

»Und seine Tochter Josefa?«

»Auch sie. Aber erklären Sie sich, Sennorita! Haben Sie etwa diese beiden Personen in Santa Jaga gesehen?«

»Ja, und zwar im Kloster.«

»Alle Wetter! Sie sind also dort angekommen?«

»Ja, gestern Abend.«

»Und befinden sich noch dort?«

»Ich denke es. Sie werden in einem unterirdischen Gemache versteckt.«

»Kennen Sie dieses Gemach?«

»Ja und nein. Ich muß Ihnen erzählen, wie ich dazu gekommen bin. Ich kenne wohl den Ort, aber nicht den Zugang zu demselben.«

»Selbst waren Sie nicht dort?«

»Nein, aber ganz in der Nähe, nebenan.«


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Sie erzählte nun ihre gestrigen Erlebnisse so ausführlich, als sie es für gut befand. Als sie geendet hatte, fragte Sternau:

»Also dieser Pater Hilario ist eigentlich ein Feind von Cortejo?«

»Ja. Wenigstens hörte ich es, als ich Cortejo und seine Tochter belauschte.«

»Und der Pater brennt darauf, sich an dem Grafen Rodriganda zu rächen?«

»Auch das hörte ich, ebenso, daß er ein Feind von Juarez ist.«

»Ich hätte nicht geglaubt, hier unterwegs so Hochinteressantes zu erfahren. Wir werden diesem Pater auf die Finger sehen müssen, und es ist da vielleicht möglich, daß wir irgend eine Entdeckung machen.«

»Ich wünsche, daß dieselbe eben so wichtig sei wie das, was ich mir von seinen Scripturen notirt habe.«

»Diese Notizen wollen Sie an Juarez gelangen lassen?«

»Ja. Sind die Miztecas wirklich sichere Boten?«

»Sie können sich auf sie verlassen.«

»Aber es handelt sich noch um die Meßgewänder und andere Kostbarkeiten, welche ich entdeckt habe.«

»Sie werden mir dieselben zeigen!«

»O, das wird nicht möglich sein, Sennor.«

»Warum nicht?«

»Weil ich mich im Kloster nicht wieder sehen lassen möchte.«

»Ich begreife das. Sie möchten am Liebsten so schnell wie möglich nach der Hauptstadt gehen.«

»Das ist allerdings mein Wunsch.«

»Wie nun, wenn ich Ihnen die Miztecas zur Begleitung gäbe, welche übrig bleiben, wenn die Zwei nach der Hazienda zurückkehren?«

»Brauchen Sie dieselben nicht?«

»Ich glaube, nein. Wenn die Franzosen in der Stadt liegen, können wir mit Gewalt nichts thun. Wir sind auf List angewiesen und da ist es sogar sehr leicht möglich, daß uns diese Leute im Wege sein würden.«

»Sie wollen Cortejo in Ihre Hand bekommen?«

»Ja.«

»Und seine Tochter ebenfalls?«

»Natürlich.«

»Nun, so brauchen Sie sich ja nur an die Franzosen zu wenden. Wenn sie erfahren, daß sich der lächerliche Prädentent Cortejo in dem Kloster befindet, so werden sie nicht zögern, ihn sich ausliefern zu lassen.«

»Daran liegt mir nichts. Ich muß Cortejo für mich haben, aber nicht für die Franzosen. Wollen Sie so gut sein, und mir einmal genau den Weg beschreiben, welcher in den unterirdischen Raum führt, von welchem Sie vorhin erzählten!«

»Recht gern!«

Emilia that es so genau wie möglich und erklärte auch die geheimnißvolle Weise des Oeffnens der verborgenen Thüren.

»Das habe ich begriffen,« meinte Sternau. »Aber die Schlüssel. Woran werde ich sie erkennen?«


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»Daran, daß sie unter einander neben dem Vogelbauer hängen, welcher sich neben dem Fenster befindet. Beide sind Hohlschlüssel.«

»So weiß ich für jetzt genug, Sennorita. Sie ziehen also vor, gleich von dieser Stelle aus nach Mexiko zu gehen?«

»Ja, nämlich, wenn Sie mir die versprochene Begleitung mitgeben.«

»Büffelstirn wird das Ihnen und mir nicht abschlagen. Aber, ist dieses Pferd Ihr Eigenthum?«

»Nein. Ich habe es geliehen, werde es aber dem Knechte abkaufen und es ihm so bezahlen, daß sein Herr zufrieden sein kann.«

»Sind Sie da mit hinlänglichen Mitteln versehen, oder dürfte ich Ihnen zu Diensten stehen?«

»Ich danke! Juarez hat mich ausgerüstet.«

»Aber Ihre Effecten?«

»Einiges habe ich bereits bei mir und das Uebrige werden mir die Franzosen ganz sicher nachbringen, obgleich sie noch nicht wissen, wohin ich heut geritten bin.«

»Ich würde Ihnen dies sehr gern besorgen, aber leider ist es mir unter den gegenwärtigen Umständen unmöglich.«

»Warum?«

»Diese Herren Franzosen haben mich ja in Chihuahua gesehen und würden mich erkennen. Der Empfang dürfte nicht zu meinem Vortheile sein.«

»Das ist wahr. Sie dürfen sich also gar nicht sehen lassen?«

»Nein. Wann sind Sie von Santa Jaga aufgebrochen?«

»Am Morgen gegen sieben Uhr.«

»So werden wir voraussichtlich bei Nacht dort ankommen. Das paßt; da kann man uns nicht sehen. Wollen Sie mir die Wohnung des Paters beschreiben, damit ich sie gleich finde?«

Emilia that dies und zog dann ihre Abschriften hervor, um sie Sternau zu übergeben. Dieser machte Büffelstirn mit dem Zwecke und der Bestimmung derselben bekannt, und bald ritten auf Befehl dieses Häuptlings zwei der Miztecas mit den wichtigen Schriften nach der Hazienda zurück. Die andern machten sich bereit, die Sennorita gleich aus dem Stegreife nach der Hauptstadt zu begleiten.

Die beiden Knechte waren mit dem Preise, welchen Emilia ihnen für das Pferd bot, sehr zufrieden und überließen es ihr. Als sie in den Sattel gestiegen war, fragte Sternau nochmals:

»Sie wissen also gewiß, daß die gestern angekommenen Personen keine andern waren als Cortejo und seine Tochter?«

»Ganz gewiß; denn erstens nannte er sich selbst Pablo Cortejo, und sie nannte ihn Vater, während er Josefa zu ihr sagte.«

»Und zweitens?«

»Zweitens sah ich gestern Abend, daß ihm ein Auge fehlte.«

»Dann ist er es ohne allen Zweifel.«

»Ich bin überzeugt davon. Aber Sennor, nehmen Sie sich ja vor diesem Pater Hilario in Acht!«

»Keine Sorge, Sennorita! Dieser Mann wird uns nicht gefährlich werden. Haben Sie an Juarez etwas auszurichten?«


// 2025 //

»Für jetzt nichts. Leben Sie wohl!«

»Reisen Sie glücklich!«

Sie ritt mit den Miztecas davon, und zwar nach rückwärts in einem spitzen Winkel mit der Richtung, aus welcher sie gekommen war.

Auch die beiden Knechte kehrten zurück. Sie hatten von der Unterredung Sternaus mit Emilia kein Wort vernommen. Jetzt fragte Helmers:

»Hätten wir nicht die Miztecas bei uns behalten sollen, Herr Doctor? Wir sind ja vier Personen, aber wir wissen ja nicht, was uns passiren kann. Es ist doch der Fall möglich, daß wir ihre Hilfe gebrauchen könnten.«

»Ich glaube nicht. Dieser Pater soll uns so leicht keinen Schaden bringen. Er wird uns Cortejo ausliefern müssen. Haben wir Etwas unterlassen, so ist es, daß wir den beiden Miztecas, welche nach der Hazienda zurückkehrten, hätten sagen sollen, wohin wir reiten.«

»Das werden sie doch wissen.«

»Vielleicht doch nicht. Wir haben fast gar nicht mit ihnen gesprochen.«

»Sie werden es aber vorhin gehört haben.«

»Ich glaube das nicht, denn sie hielten zu weit von uns entfernt. Doch sehe ich nicht ein, weshalb wir gerad heut so minutiös sein wollen. Laßt uns aufbrechen, damit wir Santa Jaga nicht zu spät erreichen.«

Der Ritt wurde fortgesetzt und zwar so schnell, daß sie die beiden Knechte sehr bald überholten. Der Eine meinte zum Andern:

»Daraus werde der Teufel klug. Erst will das Mädchen nach der Hazienda del Erina und dann kauft sie uns das Pferd ab, um mit diesen Kerls ins Blaue hinein zu reiten.«

»Es waren Miztecas.«

»Jawohl. Aber wer mögen diese vier Männer sein?«

»Zwei davon sind jedenfalls Indianer.«

»Und Zwei sind Weiße; das ist ja sehr leicht zu sehen. Aber wer sind sie und was wollen sie? Hast Du eine Ahnung davon?«

»Nein. Ich habe ja kein Wort von dem was sie sprachen, gehört.«

»Ich auch nicht. Aber dies Mädchen kenne ich.«

»Ich auch. Sie nennt sich Sennorita Emilia und wohnte im Kloster bei dem alten Pater. Aber, was geht uns dies Alles an? Treiben wir lieber die Pferde an, damit wir noch vor Mitternacht nach Hause kommen.«

Lange vor dieser zuletzt angegebenen Zeit erreichte Sternau mit seinen drei Begleitern Santa Jaga. Es war Abend, aber das Kloster war ohne Mühe zu erkennen.

»Wo stellen wir unsere Pferde ein?« fragte Helmers.

»Einstellen?« antwortete Sternau. »Gar nicht. Im Kloster ist es nicht rathsam und in der Stadt dürfen wir uns ja nicht sehen lassen. Es wird sich da oben am Berge schon noch ein Ort finden lassen, wo wir sie verstecken können, bis wir sie wieder brauchen.«

»Es werden uns zwei Stück fehlen!«

»In wiefern?«

»Nun, je eines für Cortejo und seine Tochter.«


// 2026 //

»Da mache ich mir gar keine Sorge. Haben wir erst diese Beiden, so werden Pferde schon zu beschaffen sein.«

Sie ritten den Berg hinan. In der Nähe des Klosters befand sich seitwärts vom Wege ein Gebüsch, in welchem sie die Pferde unterbrachten.

»Wer soll hier bei den Thieren bleiben?« fragte Sternau.

»Ich nicht,« antwortete Büffelstirn.

»Bärenherz muß zu Cortejo,« meinte der Apache.

»Und ich bleibe am Allerwenigsten zurück, wenn es sich darum handelt, diese beiden Personen zu fangen,« erklärte Donnerpfeil.

»Aber auch ich kann nicht zurückbleiben,« meinte Sternau. »Wir wollen also die Pferde ohne Wache lassen?«

»Ja. Es nimmt sie uns hier Niemand weg.«

»Wir wollen es hoffen. Also kommt.«

»Wie gelangen wir hinein? Durch das Thor?«

»Nein. Wir müssen heimlich sein. Laßt uns die Mauern besehen. Es ist am Allerbesten, wenn uns kein Mensch als nur der Pater zu sehen bekommt.«

Als sie den Berg hinaufgekommen waren und dann nach den Büschen abbogen, hatte sich neben dem Wege die Gestalt eines Mannes vom Boden erhoben und war nach dem Kloster geeilt. Er trat durch ein Seitenpförtchen ein, verschloß dasselbe und begab sich dann schleunigst nach der Wohnung des Paters. Es war Manfredo, der Neffe desselben.

»Du bist ja ganz außer Athem,« sagte der Alte. »Kommst Du von Deinem Posten?«

»Ja.«

»Hast Du Etwas gesehen?«

»Natürlich. Sie kommen!«

»Sie? Wer?«

»Vier Männer. Einer davon ist so groß wie ein Riese.«

»Das müßte dieser Sternau sein. Geh fort, damit sie Dich jetzt nicht sehen!«

»O, sie kommen noch nicht sogleich. Sie ritten erst nach den Büschen.«

»Warum? Was wollen sie dort?«

»Jedenfalls verstecken sie dort ihre Pferde. Sie werden beabsichtigen, heimlich in das Kloster zu kommen.«

»Das wäre auch mir lieber. Hast Du Dir Alles genau gemerkt?«

»Natürlich! Es ist ja wenig genug.«

»Du hast nichts zu thun, als hinter uns zu leuchten, gerad wie ich mit der Lampe vor ihnen gehe. Sobald wir aber in den betreffenden Raum eingetreten sind, nämlich ich und sie, bleibst Du zurück, wirfst die Thüre zu und schiebst die Riegel vor. Das ist Alles. Jetzt aber gehe.«

Der Neffe entfernte sich; der Oheim blieb zurück. Er saß an seinem Tische, anscheinend in ein Buch vertieft, aber er lauschte angestrengt auf jedes Geräusch, welches sich hören ließ. Aber er war kein Prairiejäger. Während er sein Gehör vergebens anstrengte, um irgend Etwas zu vernehmen, hatte sich längst die Thür leise geöffnet und Sternau stand unter derselben, hinter ihm seine drei Ge-


// 2027 //

fährten. Er betrachtete das Zimmer und den darin Sitzenden genau und fragte dann:

»Seid Ihr Pater Hilario?«

"Seid Ihr Pater Hilario?"

Der Gefragte fuhr erschreckt empor und drehte sich um. Er war so erschrocken, daß er erst nach einiger Zeit antworten konnte:

»Ich bin es. Wer seid Ihr?«

»Das werdet Ihr bald erfahren.«

Bei diesen Worten trat er ein und die andern Drei folgten ihm. Die Augen des Paters waren mit sichtlicher Scheu auf die riesige Gestalt des Deutschen gerichtet. Sollte er es wirklich wagen, mit diesen Leuten, welche noch dazu bis unter die Zähne bewaffnet waren, den Kampf aufzunehmen?

Als die Thür sich hinter ihnen geschlossen hatte, fragte Sternau:

»Ihr seid allein, Sennor?«

»Ja.«

»Es kann Niemand unser Gespräch belauschen?«

»Niemand.«

»Nun gut, so will ich Euch sagen, daß ich eine Bitte an Euch habe.«

Sternau hatte bisher in einem freundlichen Tone gesprochen, sodaß dem Pater der entsunkene Muth zu wachsen begann.

»Wollt Ihr mir nicht lieber erst sagen, wer Ihr seid?« fragte er. »Das werdet Ihr schon noch erfahren. Vorerst aber gebt uns gefälligst auf einige Fragen eine wahre Antwort!«

»Sennor, ich weiß nicht, was ich denken soll! Wie es scheint, seid Ihr nicht auf dem gewöhnlichen Wege in das Kloster gekommen?«

»Allerdings nicht.«

»Warum nicht?«

»Jedenfalls, weil wir Gründe dazu hatten, mein Lieber. Wenn Euch unser Kommen in Unruhe versetzt, so liegt es nur in Eurer Hand, Euch von uns so bald wie möglich zu befreien. Sagt einmal, ob Ihr vielleicht von unserm Kommen unterrichtet seid?«

»Nein. Wer sollte mich unterrichtet haben?«

»Es hat Niemand zu Euch gesagt, daß er vielleicht verfolgt werde?«

»Verfolgt? Ich verstehe Euch nicht!«

»Es ist nicht gestern Abend ein Herr und eine Dame zu Euch gekommen?«

»Nein.«

»Der Cortejo heißt?«

»Nein.«

»Und die Dame heißt Josefa Cortejo?«

»Ich kenne diesen Namen nicht.«

»Ah, Ihr wollt diesen so oft gehörten Namen nicht kennen?«

»Nein, ich lebe den Wissenschaften und der Krankenpflege und beschäftige mich nicht mit der Politik.«

»Ah, woher wißt Ihr denn, daß dieser Name mit der Politik in Verbindung steht? Ihr habt damit verrathen, daß er Euch bekannt ist.«


// 2028 //

»Nein. Ich errieth es nur, weil Ihr sagtet, daß der Name jetzt so viel genannt werde.«

»Versucht es nicht, mich zu täuschen! Ihr beschäftigt Euch nicht mit Politik?«

»Ganz und gar nicht!«

»Und dennoch steht Ihr in Correspondenz mit allen gegenwärtigen politischen Persönlichkeiten. Sogar der Panther des Südens schreibt Euch, daß er Cortejo betrogen habe.«

Der Pater erschrak. Woher wußte Sternau dieses?

»Ihr irrt, Sennor,« sagte er. »Vom Panther habe ich gehört, von einem gewissen Cortejo aber niemals!«

»So seid Ihr früher nicht sein Feind gewesen?«

»Nein.«

»Auch nicht der Feind des Grafen Ferdinando de Rodriganda?«

»Nie.«

Er wußte nicht, was größer war, sein Schreck oder seine Verwunderung darüber, daß dieser fremde Mann das Alles wußte. Sternau fuhr fort:

»Also Cortejo ist nicht zu Euch gekommen?«

»Nein.«

»Ihr habt ihn und seine Tochter wirklich nicht hier in diesem Zimmer empfangen?«

»Nein.«

»Ihr habt sie auch nicht nach einem unterirdischen Raume gebracht, um sie dort zu verstecken?«

»Nein.«

»Und dieser Raum liegt nicht gerad neben demjenigen, in welchem sich das verborgene Schränkchen mit Euren geheimen Briefschaften befindet?«

Jetzt fuhr dem Pater der Schreck durch alle Glieder. Aber er ermannte sich doch, nahm einen strengen Ton an und antwortete:

»Sennor, ich weiß nicht, wie Ihr dazu kommt, heimlich bei mir einzudringen und mir Fragen vorzulegen, welche ich nicht verstehe und begreife. Ich werde Hilfe gegen Euch herbeirufen!«

»Versucht das nicht, Sennor! Es würde Euch schlecht bekommen!«

»So erklärt Euch wenigstens deutlicher, damit ich erfahre, was Ihr eigentlich bei mir und von mir wollt.«

»Das ist kurz gesagt: Ihr sollt uns Cortejo und seine Tochter ausliefern.«

»Aber ich weiß ja gar nichts von ihnen!«

»Glaubt Ihr wirklich, mit dieser Lüge durchzukommen? Ich werde Euch das Gegentheil beweisen. Ist Euch Einer von uns bekannt?«

»Nein.«

»Nun, mein Name thut zunächst nichts zur Sache; Ihr werdet ihn wohl kaum gehört haben; aber Büffelstirn ist Euch bekannt?«

»Ja.«

»Bärenherz?«

»Ja.«

»Und Donnerpfeil?«


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»Ja.«

»Nun, diese Drei stehen hier vor Euch. Ihr seht wohl ein, daß solche Männer nicht zu den Leuten zu zählen sind, mit denen man ungestraft Spaß machen kann?«

Der Pater betrachtete diese Drei, und der Eindruck ihrer Persönlichkeiten war ein solcher, daß er unwillkürlich ausrief:

»Da mögt Ihr Recht haben!«

»Na also! Wollt Ihr uns also gestehen, daß Cortejo bei Euch ist?«

»Ich kann es ja nicht gestehen, Sennor!«

»Ich werde Euch beweisen, daß Ihr es gestehen könnt. Ich nehme Euch nämlich jetzt bei der Gurgel - so! - und wenn Ihr mir nicht sofort sagt, daß Ihr aufrichtig sein wollt, so drücke ich Euch die Kehle so zusammen, daß Ihr im nächsten Augenblicke eine Leiche seid. Wir werden dann die gesuchten zwei Personen schon zu finden wissen.«

Er hatte während dieser Worte den Pater wirklich bereits so fest bei der Gurgel gefaßt, daß dieser nur noch lallen konnte. Jetzt begann es doch dem Alten Angst zu werden. Er sah ein, daß es unmöglich sei, ohne Gefahr für sein Leben länger beim Leugnen zu bleiben und stammelte daher:

»Ich - - will - -!«

Sternau ließ ein wenig locker und fragte:

»Cortejo ist also bei Euch?«

»Ja,« antwortete der Pater.

»Auch seine Tochter?«

»Ja.«

»Wer noch?«

»Weiter Niemand.«

»Es sind ja noch mehr Leute mit ihnen gekommen?«

»Die haben sich unten in der Stadt einquartirt.«

Jetzt nahm Sternau die Hand ganz von ihm weg und sagte:

»Das Letztere will ich Euch glauben. Wo stecken die Beiden?«

»In einem unterirdischen Loche.«

»Loch? Pah! Ihr werdet Eure Schützlinge nicht in ein Loch gesteckt, sondern ihnen eine bessere Wohnung angewiesen haben.«

»Nein, sie sind ja meine Gefangenen!« log der Pater.

Sternau sah ihm scharf in das Gesicht und sagte dann:

»Ich warne Euch, mich abermals täuschen zu wollen!«

»Ich täusche Euch nicht, Sennor! Ich weiß nicht, woher Ihr es erfahren habt; aber Ihr sagtet vorhin ja selbst, daß Cortejo mein Feind gewesen sei. Der Zufall hat ihn in meine Hand geführt, und so hat er zwar geglaubt, mein Schützling zu werden, ist aber mein Gefangener geworden.«

»Welche Absicht hattet Ihr mit ihm?«

»Ich wollte ihn ein Wenig quälen und dann den Franzosen ausliefern.«

»Das könnt Ihr bequemer haben, indem Ihr ihn uns ausliefert.

»Was wollt denn Ihr mit ihm?«

»Hm! Ihn vielleicht etwas mehr quälen, als Ihr es gethan hättet.«


// 2030 //

»Was gebt Ihr mir denn, wenn ich Euch zu Willen bin?«

»Ich glaube gar, Ihr wollt noch Bezahlung fordern. Hört, diese Bezahlung könnte sehr leicht in Etwas bestehen, was Euch nicht lieb sein würde. Ich frage Euch kurz, ob Ihr uns Vater und Tochter ausliefern wollt oder nicht.«

»Sogleich?«

»Auf der Stelle!«

»Sennor, ich kenne Eure Absicht nicht; aber wenn ich genau wüßte, daß Ihr nicht Freunde von ihm seid, die da nur gekommen sind, ihn zu befreien, so würde ich mich vielleicht entschließen, Euren Wunsch zu erfüllen.«

»Unsinn! Versucht keine Komödie mit uns! Ich gebe Euch nur eine Minute Zeit. Wollt Ihr, oder wollt Ihr nicht?«

Der Pater gab seinem Gesichte den Ausdruck der größten Angst und sagte:

»Mein Gott, ich bin ja bereit dazu. Erlaubt mir nur, meinen Neffen kommen zu lassen!«

»Warum ihn?«

»Er ist Wärter der Gefangenen. Er hat die Schlüssel.«

»Wo befindet er sich?«

»Nebenan. Ich brauche nur zu klopfen.«

»So thut es!«

Der Pater klopfte an die Wand, und gleich darauf trat Manfredo ein. Er betrachtete die vier Männer mit neugierigen Blicken, senkte das Auge aber bald zur Erde. Sie machten ganz den Eindruck, als ob es gefährlich sei, mit ihnen umzugehen. Er hatte, wie es vorher ausgemacht worden war, eine brennende Laterne bei sich.

»Diese Sennores sind gekommen, die Gefangenen ausgeliefert zu erhalten,« sagte sein Oheim zu ihm.

»Wer sind sie?« fragte er.

»Das geht Dich nichts an. Du hast einfach zu gehorchen. Ist der Weg frei, oder können wir überrascht werden?«

»Ich denke, daß uns jetzt Niemand mehr begegnen wird.«

»So wollen wir gehen.«

Bei diesen Worten griff auch der Pater nach seiner Laterne.

»Wozu zwei Lichter?« fragte Sternau.

»Weil eins für sechs Personen in den dunklen Gängen zu wenig ist. Oder wünschen die Sennores, daß ich ihnen die Gefangenen hierher hole?«

»Nein, wir gehen mit. Aber versucht nicht, uns zu entfliehen. Einer von Euch geht vor und der Andere hinter uns. Der Vordere ist Geißel für Beide. Geschieht etwas, so wird er niedergeschossen.«

Der kurze Zug setzte sich in Bewegung, ganz in der Reihenfolge, welche Sternau angegeben hatte, und welche leider auch in der Absicht des Paters lag.

Dieser schritt voran und führte sie durch einen Gang und dann eine tiefe Treppe hinab, wieder durch einen Gang und durch einen Keller. Vor einer starken, mit Eisenblech beschlagenen Thür blieb er stehen und schob zwei Riegel zurück.

»Hast Du den Schüssel?« fragte er seinen Neffen.

»Ja,« antwortete dieser.


// 2031 //

»Sind sie hinter dieser Thür?« erkundigte sich Sternau.

»Nein, aber hinter der nächsten, Sennor.«

Jetzt hatte Manfredo aufgeschlossen und trat zurück, um die Anderen passiren zu lassen. Der Pater schritt voran, und die Vier folgten. Sie bemerkten nicht, daß die gegenüberliegende Eisenthür nicht verschlossen war, sondern offen stand. Noch ehe sie einen argen Gedanken fassen oder die ihnen drohende Gefahr ahnen konnten, that der Pater einen blitzschnellen Sprung vorwärts, zum Raume hinaus und warf die Thüre hinter sich zu. In demselben Augenblicke hörten sie auch hinter sich einen Krach. Auch diese Thür war von dem Neffen zugeworfen worden. Hinter und vor ihnen rasselten Riegel und Schlösser, sie selbst aber befanden sich im Dunkeln.

»Donnerwetter! Gefangen!« rief Helmers.

»Uff!« rief der Apache.

»Ueberlistet!« entfuhr es Sternau.

Nur der Miztecas sagt nichts, aber ein Schuß aus seiner Büchse krachte gegen die Thür.

»Was will mein Bruder? Warum schießt er?« fragte Sternau.

»Das Schloß zerschießen,« antwortete Büffelstirn.

»Das hilft uns nichts. Es sind ja auch Riegel an den Thüren.«

»Feuer machen. Leuchten!«

Sternau griff in seine Tasche und zog Zündhölzer hervor. Als eines derselben aufflackerte, konnte man einen dunstigen Streifen sehen, welcher von Außen durch das Schlüsselloch hereindrang. Zu gleicher Zeit war ein überaus starker Geruch zu bemerken, welcher ganz im Stande war, den Athem zu benehmen.

»Mein Gott, man will uns vergiften oder ersticken!« rief Sternau. »Man bläßt etwas Tödtendes durch das Schlüsselloch!«

»Sprengt die Thür!« schrie Donnerpfeil.

Wie auf Kommando stemmten sich die vier Männer mit aller ihrer Kraft gegen die Thür. Es half ihnen nichts.

Draußen aber stand der Pater und lauschte. Er hielt in der Linken die Laterne und in der Rechten eine leere, dünne Hülse, welche den chemischen Stoff enthalten hatte, den er durch das Schlüsselloch geblasen hatte. Auf seinem Gesichte lag teuflische Schadenfreude.

»Gesiegt!« jauchzte er. »Sie sind gefangen! Horch, wie sie sich gegen die Thür stemmen. Jetzt schlagen sie mit den Gewehrkolben dagegen. O, das Eisen hält. Die Riegel geben nicht nach. In zwei Minuten werden sie still sein.«

Er hatte recht. Das Stoßen und Klopfen wurde schwächer und hörte bald ganz auf. Es herrschte die Ruhe des Grabes jetzt.

»Soll ich jetzt aufmachen?« fragte sich der Alte. »Es ist eine sehr böse Sache. Komme ich zu früh, so wachen sie noch und ich bin verloren, komme ich zu spät, so sind sie todt. Sie sollen ja nur ohne Besinnung sein. Ich werde es wagen.«

Er schob die Riegel zurück und öffnete vorsichtig. Der scharfe, penetrante Geruch kam ihm entgegen. Er riß die Thür schnell ganz auf und sprang weit zurück.


// 2032 //

»Manfredo, mach auf!« rief er dabei.

Auf diesen Befehl öffnete der Neffe nun auch die jenseitige Thür und das tödtliche Gas konnte abziehen. Es dauerte nicht lange, so war es ganz ungefährlich, zu den vier Ueberlisteten zu gelangen. Sie lagen bewegungslos am Boden. Der Pater kniete nieder, öffnete ihnen die Brustbekleidung und untersuchte sie.

»Sie sind vielleicht gar todt?« fragte der Neffe.

»Nein,« antwortete der Alte nach einiger Zeit. »Sie leben noch. Es ist Alles so gegangen, wie ich gewünscht habe. Nimm ihnen Alles ab, was sie bei sich führen, es soll Deine Beute sein. Dann werden sie gefesselt, und Du hältst Wache, bis ich zurückgekehrt bin.«

»Wo willst Du hin?«

»Cortejo holen.«

»Warum?«

»Sie sollen sich über diese Leute freuen, wie ich mich nachher über mich selbst freuen werde. Beeile Dich, fertig zu werden. Ich komme bald wieder.«

Er entfernte sich. Der Neffe aber plünderte die Bewußtlosen vollständig aus und schaffte seinen Raub nach dem Keller, durch welchen sie vorhin gekommen waren. Den Beraubten aber band er Arme und Beine so zusammen, daß es ihnen unmöglich blieb, sich zu befreien.

Der Pater hatte einige dunkle Gänge zurückgelegt und kam an eine Thür, an welche er klopfte.

»Wer ist draußen?« fragte es.

»Ich. Darf ich eintreten?«

»Ah, Pater Hilarius. Tretet ein.«

Er machte die Thür auf und kam nun in einen ziemlich wohnlich eingerichteten Felsenraum, in welchem eine Lampe brannte. Cortejo und seine Tochter saßen darin auf einer Matte am Boden.

»Gut, daß Ihr kommt!« sagte die Letztere. »Ich leide noch immer große Schmerzen. Wollt Ihr mich noch einmal verbinden?«

»Nein, Sennorita. Es wäre überflüssig. Eure Verletzung ist falsch behandelt worden. Jetzt ist es zu spät. Ihr werdet daran zu Grunde gehen.«

Sie richtete ihre Eulenaugen erschrocken auf ihn.

»Ihr scherzt, Pater,« sagte sie.

»Ich spreche sehr im Ernste.«

»O, Ihr wollt mir blos Angst machen.«

»Ich wünschte, Ihr hättet die richtige Angst, Sennorita.«

Sein Auge ruhte dabei kalt und gefühllos auf ihren vor Schreck todtbleichen Zügen. Sie beachtete es nicht und sagte, wie um sich selbst zu ermuthigen:

»Ich bin überzeugt, daß ich bald wieder genese!«

»Hofft meinetwegen, so lange Ihr könnt und wollt!«

»Ja, hoffe, Josefa!« sagte Cortejo. »Der Pater hat schlechte Laune, und diese läßt er uns entgelten. Wie steht es an der Oberwelt, Sennor? Darf man sich bald sehen lassen?«

»Wohl noch nicht!«

»Warum nicht? Sind die Franzosen noch da?«


// 2033 //

»Sie werden sich nicht sogleich entfernen.«

»Der Teufel hole sie. Auf diese Weise kann man sich ja nur des Nachts in das Freie wagen, um frische Luft zu haben. Könnt Ihr uns denn nicht wenigstens eine andere Wohnung anweisen?«

»Ja, Sennor.«

»Wann?«

»Nachher.«

»Und wo?«

»Das werde ich mir erst überlegen müssen. Es paßt nicht jede für Euch.«

»Hat sich noch kein Verfolger sehen lassen?«

»O doch. Es waren Einige da.«

»Ah, also doch! Wie Viele waren es?«

»Vier. Es schienen keine gewöhnlichen Kerls zu sein. Der Eine war ein Riese, ein wahrer Goliath.«

»Sternau jedenfalls.«

»Zwei waren Indianer.«

»Büffelstirn und Bärenherz!«

»Der Vierte war ein Weißer.«

»Jedenfalls dieser Helmers oder Donnerpfeil, welcher mich gefangen nahm und fesselte,« sagte Josefa. »Was habt Ihr mit ihnen gemacht?«

»Ich? Nichts, gar nichts, Sennorita.«

»Nichts? Gar nichts?«

»Nein. Ich war froh, daß sie nichts mit mir machten.«

»Sie waren also gar nicht bei Euch?«

»O doch!«

»In Eurer Stube?«

»Ja.«

»Aber es war doch bestimmt, daß sie festgenommen werden sollten!«

»Wie hätte ich es machen sollen, Sennorita?«

»Das fragt Ihr noch? Sennor, Ihr seid ein Feigling!«

»Meint Ihr das wirklich? Das ist wohl der Dank für die Opferwilligkeit, mit welcher ich Euch bei mir aufgenommen habe? Soll ich Euch etwa den Franzosen ausliefern?«

»Unsinn!« rief Cortejo. »Meine Tochter meint es ja gar nicht so, wie Ihr es nehmt. Ich habe allerdings auch geglaubt, daß Ihr diese Kerls gefangen nehmen würdet. Es war ja auch so ausgemacht. Nun sind sie entkommen, und ich bin gezwungen, sie auf andere Weise unschädlich zu machen.«

»Wie das zu geschehen hat, werden wir uns ja noch überlegen.«

»Was sagten sie denn? Wie benahmen sie sich? Erzählt es doch!«

»Nachher, Sennor. Jetzt denke ich daran, daß Ihr eine andere Wohnung wünschtet. Wenn Ihr mir folgen wollt, werde ich Euch eine solche zeigen.«

Cortejo verließ mit seiner Tochter seinen gegenwärtigen Aufenthalt und ließ sich von dem Pater durch die Gänge führen. Endlich schimmerte ihnen ein Licht entgegen und als sie näher kamen, erkannte Cortejo Manfredo, welcher bei vier Männern saß, die gebunden am Boden lagen.


// 2034 //

»Was ist das? Wer sind diese Leute?« fragte er.

»Seht sie Euch an,« antwortete der Pater.

Cortejo trat hinzu und stieß einen Ruf des Erstaunens aus.

»Alle Teufel! Das ist ja Sternau!«

»Sternau?« fragte Josefa schnell. »Wo? Wo ist er?«

»Hier liegt er, an Armen und Beinen gefesselt.«

Josefa eilte herbei und ließ sich bei Sternau nieder. Dieser war wieder zu sich gekommen und betrachtete mit kalten, ruhigen Blicken die vier Personen, in deren Hände er gerathen war.

»Ja, es ist Sternau!« frohlockte das Mädchen. »Und hier liegen Büffelstirn, Bärenherz und Donnerpfeil. Ich denke, sie sind entkommen?«

Diese letzten Worte waren an den Pater gerichtet.

»Ich scherzte nur,« antwortete dieser. »Mir pflegt keiner zu entkommen, dem ich eine Wohnung bei mir anweisen will.«

Auch die drei Andern hatten ihre Besinnung wieder erlangt. Sie hielten zwar die Augen offen, aber keiner von ihnen sprach ein Wort.

»Aber wie ist es Euch geglückt, sie festzunehmen?« fragte Cortejo.

»Das werdet Ihr später erfahren. Jetzt fragt es sich vor Allem, was wir mit diesen Leuten thun werden.«

»Einsperren, natürlich!« antwortete Josefa.

»Aber wo?«

»In Euern aller-, allerschlechtesten Löchern, Sennor!«

»Wollen wir es wirklich so ganz schlimm machen? Sie sind doch auch Menschen.«

»O, es kann nicht schlimm genug für sie werden!« antwortete sie eifrig. »Sie werden täglich Prügel bekommen, aber allwöchentlich nur ein einziges Mal essen.«

»Ich möchte Euch aber doch bitten, ein wenig nachsichtiger zu sein, Sennorita. Ihr wißt ja auch nicht, ob Ihr nicht einmal in diese Lage kommen könnt, in welcher Ihr Nachsicht gebrauchen könntet.«

Sie bemerkte den stechenden Blick nicht, den er bei diesen Worten auf sie warf und antwortete rasch und eifrig:

»Keine Nachsicht, keine Spur von Nachsicht sollen sie haben! Nicht, Vater?«

Cortejo senkte zustimmend den Kopf und sagte:

»Milde ist hier am unrechten Platze. Ich habe ein Auge verloren. Man hat mir die Hazienda genommen und meine Leute ermordet. Man wollte meine Tochter von den Krokodilen zerreißen lassen. Es ist keine Strafe zu grausam für diese Menschen. Wo sind die Löcher, in welche sie gesteckt werden sollen?«

»Eine Treppe tiefer, Sennor.«

»So wollen wir sie dorthin bringen. Später dann werdet Ihr uns erzählen, wie sie in Eure Hände gekommen sind.«

»So wollen wir ihnen die Beinfesseln weiter machen, damit sie gehen können.«

»Wenn sie aber nicht gehen wollen?« fragte Josefa.

»So haben wir Messer und Licht. Wenn wir sie stechen und brennen, werden sie schon laufen lernen,« meinte Cortejo.


// 2035 //

Es fiel Keinem von den Vieren ein, sich zu wiedersetzen und dadurch noch extrae Qualen zuzuziehen. Sie folgten willig dem Pater, welcher sie bis an eine Treppe brachte, die in ein tieferes unterirdisches Stockwerk führte. Dort gelangten sie in einen langen, schmalen Gang, in welchem rechts und links kleine Felsenzellen angebracht waren, kaum groß genug für einen Menschen. Diese Zellen waren durch Thüren verschlossen, in denen sich ein rundes Loch befand.

»Sind das die Gefängnisse?« fragte Josefa.

»Ja.«

»Zeigt einmal eins.«

Der Pater öffnete eine Thür und leuchtete hinein.

»Ah, zwei Eisenringe!« meinte Cortejo. »Wozu sind sie?«

»Zum Festhalten der Person.«

»Wie wird dies gemacht?«

»Das ist eigentlich ein Kunststück, Sennor,« sagte der Pater. »Ihr seid ungefesselt, nehmt einmal da Platz.«

»Ich soll mich in das Loch setzen?«

»Ja. Ich kann Euch da am Besten überzeugen, daß keiner dieser vier Gefangenen entkommen wird.«

»Gut! Ich werde es einmal versuchen. Es soll mir eine Freude sein genau zu wissen, wie fest wir diese Menschen haben.«

»Ja, Vater, auch ich muß das wissen!« meinte Josefa. »Wollt Ihr es auch mir zeigen, Sennor?«

»Gern,« antwortete der Pater. »Ich habe da rechts ein Doppelloch, welches zu einem solchen Versuche wie gemacht ist. Ich werde öffnen.«

Er schob zwei Riegel zurück, und öffnete eine Thür. Es wurde ein Loch sichtbar, zwei Ellen breit, ebenso tief und gerad so hoch, daß ein Mensch darin sitzen konnte. Der Boden bestand aus Stein. Es war kein Stroh, keine Matte, kein Krug oder Trinkgefäß zu sehen. Aber am hinteren Theile sah man ungefähr in der Höhe des Halses und der Taille zwei mal zwei eiserne Ringe, welche gegenwärtig geöffnet waren.

»An die Ringe werden die Gefangenen angeschlossen?« fragte Josefa.

»Ja, Sennorita,« antwortete der Pater.

»Aber sie sind ja offen und ich sehe keine Hängschlösser.«

»Sie gehören nicht dazu. Es ist an den Ringen eine geheime Mechanik angebracht, mit deren Hilfe sie verschlossen werden. Also, wollen die Herrschaften einmal versuchen, wie man sich in einem solchen Loche befindet?«

»Ja, ich versuche es,« sagte sie. »Habe ich das gethan, so fühle ich die Süßigkeit der Rache um so stärker.«

»Ich auch,« meinte Cortejo.

»So kommt! Setzt Euch neben einander herein.«

Sie gehorchten diesem Gebote, zu diesem unsinnigen Verhalten durch die Größe und Stärke ihrer Rachsucht veranlaßt. Nach je zwei Griffen von Seiten des Paters schlossen sich die eisernen Ringe um ihre Leiber.

»Herrlich!« meinte Josefa. »Man kann sich gar nicht bewegen. Wie aber bekommt man das Essen herein?«


// 2036 //

»Durch das Loch in der Thür. Das Brod durch eine eiserne Gabel und das Wasser durch einen Schwamm, der Einem an den Mund gehalten wird.«

»So ist es recht! Und die Reinigung der Zelle?«

»Sie macht sehr viel Mühe, daher wird sie nur selten vorgenommen. Es ist Sache des Gefangenen, sich ein Plätzchen zu suchen, um das zu thun, wovon man nicht zu sprechen pflegt.«

»Aber er hat keine Wahl! Er kann sich ja nicht bewegen!«

»Desto besser. Sein steinerner Sitz wird dadurch etwas weicher.«

Der Pater hatte dies mit einer Art teuflischer Genugthuung gesprochen.

»Dann bin ich mit diesen Löchern zufrieden,« meinte Josefa.

»Ihr auch, Sennor?« fragte der Pater ihren Vater.

»Ja; steckt die Kerls nur in keine besseren,« antwortete dieser.

»Sie werden vis-à-vis einquartirt.«

Er öffnete da drüben vier Thüren und leuchtete hinein. Diese vier Zellen waren größer und nicht mit Eisenringen, sondern mit Ketten versehen, welche eine Bewegung gestatteten. Auch stand ein Kübel und ein Wassergefäß darin.

»Was! Da hinein sollen sie?« fragte Josefa.

»Allerdings, Sennorita!«

»Aber dann haben sie es ja besser wie hier!«

»Das ist auch meine Absicht,« antwortete er. »Ich will sie zwar festhalten, aber nicht geradezu tödten.«

»Das ist ja gegen die Verabredung!«

»Ich entsinne mich keiner bezüglichen Verabredung. Uebrigens bin ich in diesen Räumen Herr und kann thun, was ich will. Es ist für die Gefangenen besser, sie treten freiwillig in ihre Zellen, als daß wir sie zwingen müssen.«

Die drei Andern blickten Sternau an.

»Gehorchen wir!« sagte er ruhig und kalt.

Dies waren die ersten Worte, welche von ihm gehört wurden. Und zugleich that er auch, was er gesagt hatte: Er trat in die Zelle und ließ sich die Kette anlegen, worauf ihm die bisherigen Fesseln abgenommen wurden.

»Ich dächte, Ihr könntet uns vorher wieder losmachen, Sennor!« meinte jetzt Cortejo zu dem Pater.

»Geduld!« antwortete dieser. »Wir sind jetzt zu sehr beschäftigt.«

Er und sein Neffe brachten nun auch die beiden Häuptlinge und Helmers in ihre Zellen, legten sie an die Ketten, nahmen ihnen die andern Fesseln ab und schlossen dann die Thüren von Außen zu.

»Jetzt hole Brod und Wasser für sie,« gebot der Pater seinem Neffen.

Dieser entfernte sich.

»Na, jetzt endlich, Sennor!« sagte Cortejo ungeduldig.

»Was?« fragte der Alte kaltblütig.

»Uns losmachen natürlich!«

»Uns? Ah! Wen meint Ihr damit?«

»Mich und Josefa, wie sich doch von selbst versteht!«

Da setzte der Pater seine Laterne zur Erde, lehnte sich an die Mauer des Ganges, schlug die Hände behaglich über der Brust zusammen und sagte:


// 2037 //

»Aber, Sennor, Ihr seid recht inkonsequent!«

»Wieso?«

»Ihr sagtet ja vorhin, daß Ihr mit Eurem Loche ganz zufrieden wäret und Eure Tochter meinte ganz dasselbe!«

»Ja, zufrieden damit, daß die Gefangenen solche Löcher erhalten sollten.«

»Nun, das ist ja auch der Fall!«

»Sie haben ja bessere!«

»Nicht alle. Ihr zum Beispiel habt das Loch, welches Euch so sehr gefallen hat. Und nun Ihr es habt, seid Ihr nicht mehr zufrieden. Ei, was soll ich da von Euch Beiden denken!«

Vater und Tochter hatten noch immer keine Ahnung von dem, was der Pater eigentlich bezweckte. Der Erstere sagte, höchst ungeduldig:

»So macht uns wenigstens endlich los! Oder meint Ihr etwa, daß wir uns hereingesetzt haben, um hier sitzen zu bleiben?«

»Ja, das meine ich allerdings!«

Jetzt entstand eine kleine Pause, hervorgebracht durch den Schreck, welcher Josefa und ihrem Vater die Sprache raubte. Erst jetzt kam ihnen die Ahnung der fürchterlichen Falle, in welche sie sich selbst begeben hatten.

»Seid Ihr verrückt!« rief endlich Cortejo.

»Ich? O nein! Aber Ihr seid gradezu verrückt gewesen, Euch, und noch dazu auf eine so ganz und gar dumme Weise, in die Hände Eures ärgsten Feindes zu begeben. Ich sage Euch, daß Ihr dieses Loch niemals verlassen werdet.«

Da hielt es Cortejo für angezeigt, im bittenden Tone zu sagen:

»Treibt den Scherz nicht gar zu weit, Sennor! Wir wissen nun, was wir wissen wollten, nämlich, wie es einem Menschen zu Muthe ist, welcher verurtheilt ist, in diesem Loche zu verschmachten.«

»Nein, Ihr wißt dies noch lange nicht. Das Verschmachten muß Euch ernstlich an die Seele treten, dann erst könnt Ihr es wissen.«

»Meinetwegen! Aber es ist genug für jetzt!«

»Es hat ja erst begonnen! Wartet noch eine Weile, nämlich einige Tage oder einige Wochen; dann wollen wir mit einander abermals über dieses Thema sprechen.«

Da stieß Josefa einen unarticulirten Schrei aus. Es war ihr die volle Erkenntniß dessen gekommen, was ihr bevorstand.

»Sennor, Ihr seid ein Ungeheuer!« rief sie.

»Nicht schlimmer als Ihr!« antwortete er.

»Ihr dürft uns nicht verschmachten lassen!«

»Wer will es mir verwehren?«

»Ich kann es nicht aushalten!«

»Ganz richtig!« lachte er. »Das Verschmachten hält Niemand aus!«

»Ich bin ja bereits krank!«

»Es ist Euch zu gönnen!«

»Habt doch Erbarmen mit uns!« bat Cortejo.

»Erbarmen? Habt Ihr Erbarmen mit mir gehabt? Habt Ihr Erbarmen gehabt mit einem einzigen Eurer vielen Opfer? Ich habe geschmachtet nach der


// 2038 //

Stunde der Rache. Sie ist gekommen, spät, sehr spät; aber es soll kein Gott und kein Teufel mir wehren, sie zu genießen. Zum Sündigen habt Ihr den Muth, die Strafe zu tragen fehlt Euch die Courage. Schämt Euch! Nehmt Euch ein Beispiel an den Vieren hier, welche zu stolz sind, um einen Laut von sich zu geben!«

»Wenn Ihr mich los laßt, erhaltet Ihr alle meine Reichthümer,« rief Cortejo in gräßlicher Angst.

»Zu diesem Handel ist es noch zu zeitig. Uebrigens habe ich jetzt keine Zeit mehr, mit Euch zu verkehren. Euer Gefängnißwärter kommt. Klagt ihm die Ohren voll!«

Er schritt von dannen und traf auf seinen Neffen, welcher Brod und Wasser brachte. Er blieb bei ihm stehen und sagte:

»Cortejo erhält heut nichts und seine Tochter auch nicht.«

»Aber die Andern?«

»Ja. Sie bekommen das Brod und Wasser hinein in ihre Zellen, so daß sie Beides mit den Händen erreichen können.«

»Darf ich mit den Gefangenen sprechen?«

»Kein Wort. Du kommst mir sogleich nach.«

Er stieg nach seiner Wohnung empor, wo der Neffe sich sehr bald einstellte.

»Was sagten sie noch?« fragte er ihn.

»Die Vier waren still. Die Beiden Andern aber heulten und jammerten, daß mich meine Ohren schmerzten. Sollen sie wirklich unten bleiben?«

»Natürlich!«

»Um da zu sterben?«

»Das wird sich finden. Aber sagtest Du nicht, daß die Vier ihre Pferde in das Gebüsch geschafft hätten?«

»Allerdings.«

»Die Thiere könnten zum Verräther werden.«

»Sie müssen fortgeschafft werden. Aber wohin?«

»Gehe erst hin, um ihnen Alles abzunehmen, dann schaffst Du sie hinaus auf das weite Feld und lässest sie laufen.«

»Es ist wohl schade um sie. Man könnte sie ja verkaufen.«

»Du könntest dadurch leicht unglücklich werden. Jetzt ist es Nacht. Du hast Zeit, meinen Befehl auszuführen. Begnüge Dich mit der Beute, welche Dir bereits geworden ist. Morgen magst Du dann sehen, ob eine Spur der Sennorita Emilia zu finden ist.«

Der Neffe blickte ihn erstaunt an.

»Der Sennorita? Was hast Du mit dieser zu schaffen?« fragte er.

»Geht das Dich etwas an?«

»Ja, sobald ich nämlich nach ihrer Spur suchen soll.«

»Nun gut, so will ich Dir sagen, daß ich sehr viel Grund habe, mich zu erkundigen, welches Unglück ihr widerfahren ist.«

»Warum?«

»Weil - weil sie Deine Tante werden wird.«


// 2039 //

Der Neffe öffnete den Mund wie Einer, dem vor Erstaunen der Verstand still steht. Dann als er sich wieder gefaßt hatte, fragte er:

»Meine Tante, sagst Du?«

»Ja.«

»Das wäre ja Deine Frau?«

»Allerdings!«

»Das soll wohl heißen, daß Du sie heirathen willst?«

Der Alte schlug sich an die Brust und antwortete:

»Natürlich! Sie liebt mich ja!«

»Alle Teufel, hat sie Dir das gesagt?«

»Ja.«

»Selbst gesagt? Mit ihrem eigenen Munde gesagt?«

»Freilich! Und ich habe es mit meinem eigenen Gehör vernommen.«

»So ist an Deinem Gehör irgend etwas aus dem Leim gegangen.«

»Ah! Glaubst Du etwa, daß ich nicht heirathen könnte?«

»O, das glaube ich ganz gern.«

»Und zwar Sennorita Emilia heirathen?«

»Ja, wenn sie nämlich mitmachte.«

»Du denkst, sie gäbe mir einen Korb?«

»Ich bin davon überzeugt.«

»So bist Du der größte Esel, den es giebt. Du wirst in einigen Tagen eine Tante haben, um welche Dich ein Jeder beneiden wird.«

»Warum nicht gleich? Warum erst in einigen Tagen?«

»Weil sie sich diese Bedenkzeit ausgebeten hat.«

»Bedenkzeit? O weh!«

»Sie hat es nur der Form wegen gethan. Eine schöne Dame darf sich einem Manne doch nicht sofort überantworten und ergeben.«

»Wenn sie ihn lieb hat, wird sie das ganz gern. Oheim, es wird gar nicht nöthig sein, nach dieser Sennorita Emilia zu suchen.«

»Warum nicht?«

»Weil wir sie nicht finden werden. Sie ist Dir echappirt; sie ist Dir durchgebrannt, weil sie nicht meine Tante werden will.«

Jetzt war es der Alte, der den Mund aufsperrte.

»Wo denkst Du hin!« sagte er endlich. »Sie hat ja noch ihre Sachen da!«

»Alle?«

»Nein, aber einige Kleinigkeiten.«

»Und das Andere ist fort?«

»Leider.«

»Nun, so ist sie Dir wirklich ausgekniffen. Sie hat sich heimlich entfernt und nur das Nöthige mitgenommen, das Unnöthige aber zurückgelassen.«

»Alle Teufel! Wenn Du recht hättest!«

»Ich werde nachforschen und Dir dann das Resultat mittheilen.« - - -

Einige Tage später hielten drei Reiter auf die Hazienda del Erina zu. Es waren Mariano, Helmers der Steuermann und der kleine André. Sie hatten sich von dem Heereszuge Juarez' getrennt, um rascher nach der Hazienda zu kommen.


// 2040 //

Als dieselbe vor ihnen auftauchte, bemerkten sie an Verschiedenem, daß sie der Mittelpunkt eines großen Feldlagers sei.

Dieses wurde natürlich von den Miztecas gebildet.

Keiner der Indianer kannte einen der drei Reiter; darum wurden sie vor dem Thore angehalten.

»Wer seid Ihr?« fragte die Wache.

»Boten von Juarez,« antwortete Mariano.

»Könnt Ihr dies beweisen?«

»Holt Sennor Sternau herbei,« bemerkte derselbe.

»Er ist nicht da.«

»Oder Büffelstirn.«

»Auch er ist nicht da.«

»Oder Bärenherz oder Donnerpfeil.«

»Auch sie sind nicht da.«

»Ah, wo sind sie denn?«

»Ich weiß es nicht, Sennor.«

»Wer ist hier auf der Hazienda Kommandant?«

Die Wache nannte den Namen des zweiten Häuptlings.

»Ich kenne ihn nicht. Führt mich zu ihm.«

Die drei Reiter stiegen ab und wurden zu dem Häuptling geführt, welcher sie mit ernster Haltung und forschendem Auge empfing.

»Wir kommen von Juarez,« meldete Mariano.

»Sagt Eure Namen.«

Mariano nannte sie.

»Sie sind mir nicht bekannt,« meinte der Miztecas. »Was wollt Ihr hier?«

»Wir sollen Sennor Sternau sagen, daß Juarez morgen hier eintreffen wird.«

»So seid Ihr Freunde von Sennor Sternau?«

»Ja.«

»So seid Ihr Freunde von meinem Bruder Büffelstirn und also auch meine Freunde. Ihr seid mir willkommen!«

»Wo ist Sternau?«

»Niemand weiß es genau, denn er ist den Flüchtlingen nachgeritten.«

»Welchen Flüchtlingen?«

»Cortejo und dessen Tochter.«

»Ah! Sie waren hier und sind entflohen?«

»Die Tochter war unsere Gefangene. Büffelstirn und Donnerpfeil entführten sie nach dem Teiche der Krokodile, um sie zu martern, da aber kam ihr Vater, rettete sie und tödtete unsere Leute. Er entkam mit ihr, aber Sternau jagte ihr nach und bei ihm befinden sich Donnerpfeil, Büffelstirn und Bärenherz, auch mehrere von unsern Kriegern waren dabei; aber zwei von ihnen wurden nach der Hazienda zurückgeschickt und die Andern mußten eine Sennorita nach Mexiko begleiten.«

»An welchem Orte geschah die Trennung?«

»Ich kenne ihn nicht.«


Ende der fünfundachtzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk