Lieferung 100

Karl May

23. Juni 1888

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Ein Maler wie Ihr Vater.«

»Wie schön das ist! Und Ihr Freund?«

»Der ist gar ein Dichter. Sie sehen also, daß Sie sich bei passablen Leuten befinden. Es darf Ihnen um Ihre Zukunft gar nicht bange sein.«

»O, wenn ich nur nicht zu dem Juden oder zum Oheim zurück muß, so bin ich zufrieden. Und wenn ich gar mit Ihnen nach Deutschland darf, so ist mein Glück gar vollständig.«

»Vielleicht suche ich Ihren Oheim auf.«

»O nein! Thun Sie das nicht!«

»Warum nicht?«

»Er würde mich zurückverlangen.«

»Wir würden ihn auslachen. Er hat alle Ihre Papiere, deren Sie später bedürfen. Er muß sie herausgeben. Aber ich will Sie nicht beängstigen. Der Hauptmann soll bestimmen, was wir thun werden.«

Jetzt kam der Kellner, um zu decken. Anita verhielt sich schweigsam dabei. Sie war bemüht, keinen Fehler zu machen.

Da Hanns sich allein mit ihr befand, so fragte er in richtigem Taktgefühle:

»Wie lange ist des Nachts Ihr Thor geöffnet? Mein Onkel, der Hauptmann, wird wohl spät zurückkehren.«

»Wir haben die ganze Nacht hindurch offen, da immerfort Züge kommen.«

Jetzt mußte der Kellner denken, daß die Beiden nahe verwandt seien. Ihrem Beisammensein war also jede üble Deutung genommen.

Dann saßen sie einander gegenüber, um zu essen. Anita beobachtete jede Bewegung ihres Freundes, um es ihm gleich zu thun und ja keinen Verstoß zu begehen.

Und nach Tische, als abgeräumt worden war, gab es so sehr viel zu erzählen, daß ihnen die Zeit wie im Fluge entschwand.

Dabei war keineswegs die Rede von Liebe oder Aehnlichem. Diese zwei jungen Seelen waren so rein und unbefangen, daß sie gar nicht an die Ausdrücke ihrer Empfindungen dachten.

Daß sie sich lieb hatten, das wußten sie, das sahen sie. Die leuchtenden Augen verriethen es. Es zu sagen, das war unnöthig.

So verging die Zeit, ohne daß es ihnen einfiel, sich nach der Rückkehr des Sepp zu sehnen.

Dieser hatte mit Max die Richtung nach der Gegend eingeschlagen, in welcher der Jude wohnte.

»Wem hast denn eigentlich depeschirt?« fragte Max, um die Stille zu unterbrechen.

»Einer guten Freundin von Dir.«

»Wohl in dera Heimath?«

»Ja, in Hohenwald.«

»Wer könnt das sein?«

»Erräthst es nicht?«

»Nein.«


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»So will ichs Dir sagen. Die Depesche geht zur alten Barbara beim Müllerhelm.«

»Was hast denn der zu telegraphiren?«

»Kannst Dich noch an den alten Esel erinnern, der in dera Mühlen war?«

»Ja; er hieß Peter.«

»Richtig! Da hab ich der Barbara telegraphirt, sie soll den Peter fragen, wie seine erste Frau geheißen hat.«

»Sepp, Dich frag ich nicht wieder!«

»Daran thust halt sehr klug. Man soll sich nicht um Dinge bekümmern, welche Einem nix angehen.«

»Ich hab denkt, es betrifft den Juden.«

»Da hast nicht schlecht gerathen. Erfahren wirsts morgen auch zeitig genug!«

»Und wo führst Du mich jetzt hin?«

»Auch zum Juden.«

»Was willst denn dort?«

»Das werd ich Dir schon sagen. Hast Dir den Kerl anschaut, zu dem sich dera Jud in der Weinstub setzen that?«

»Ja.«

»Wie gefällt er Dir?«

»Er sah aus wie ein Strolch.«

»Das ist er auch. Er ist dera Verbündete von Baruch Abraham.«

»Hab mir so was denkt!«

»Er kommt jetzt um zwei Uhr mit seinem Bruder, um die Dirndln abzuholen und nach dera Höhlen zu bringen, von welcher Anita zu Hanns geredet hat.«

Er erzählte nun das Gespräch, welches er belauscht hatte. Als er damit fertig war, erkundigte sich Max:

»Und da willst die Brüder Petruccio hier ablauern?«

»Ja.«

»Warum denn?«

»Weil ich wissen muß, wo die Höhlen liegt.«

»Das geht Dich doch gar nix an.«

»Oho!«

»Dich? Was hast denn für eine Interessen bei dieser Angelegenheit?«

»Eine sehr große. Auch wenn alle die Dirndln, welche nach Amerika verkauft werden sollen, mir fremd wären, so würde es doch meine Pflicht sein, sie zu retten und den Juden und seine Helfershelfer bestrafen zu lassen. Meinst nicht?«

»Ja. Zumal der Capitän ein Franzose ist. Dem muß man einen Strich durch die Rechnung machen.«

»Einen sehr dicken Strich sogar!«

»Aber wie es scheint hast auch noch einen besonderen Grund, Dich um die Sach zu kümmern?«


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»Ja. Es ist natürlich ein Dirndl dabei, welches ich kennen thu.«

»Eine Deutsche?«

»Eine Bayerin sogar.«

»Wirklich? Kenn ich sie etwa auch?«

»Sehr gut, sehr gut.«

»Herrgottle! Wer ists denn?«

»Eine Verschollene aus Scheibenbad.«

»Etwa dem Fex seine Geliebte?«

»Ja.«

»Die Paula, die Paula!«

»Ganz diejenige ists!«

»Welch ein Zufall! Weißts denn gewiß?«

»Ich habs schon in Wien wußt, daß sie verkauft worden ist, aber wohin, das konnt ich nicht derfahren. Hier nun hört ich den Juden mit Petruccio von ihr reden.«

»So ist sie wohl mit auf dera Insel?«

»Freilich.«

»Mein Himmel! Und morgen sollen alle diese Mädchens auf das Schiff! So weit dürfen wir es nicht kommen lassen!«

»Nein. Darum muß ich unbedingt derfahren, wo sich die Insel befindet.«

»Jetzt verstehe ich Dich. Die beiden Italiener kommen jetzt zum Juden, um Anita und die Anderen abzuholen. Sie sollen dieselben nach dera Insel bringen. Wir schleichen ihnen nach.«

»Aber bis zur Insel können wir nicht mit!«

»So sehen wir wenigstens, wo sie in das Boot steigen und können uns denken, daß sie in dera Nähe liegt. Dann rudern wir am Morgen hin und untersuchen sie.«

»Richtig, richtig! Wenn dera Fex wüßt, in welcher Gefahr sich seine Paula befindet.«

»Er ahnt nix; aber er soll uns doch helfen, sie zu retten.«

»Er ist doch nicht da!«

»Aber er kommt.«

»Du hast doch sagt, er sei in Wien, und wir würden ihn dort treffen!«

»Hast meine Depesch vergessen?«

»Ah - die war an ihn?«

»Ja. Er wird sie grad noch zur richtigen Zeit erhalten, um mit dem Eilzuge abfahren zu können.«

»Der kommt um zehn Uhr hier an. Das ist herrlich! Ich hol ihn am Bahnhofe ab.«

»Das magst thun, wannst Zeit dazu hast.«

»Sollt ich keine haben?«

»Vielleicht hast wegen dera Insel mehr zu thun. Aber wannst ihn abholen kannst, so verschweig ihm nur, daß es sich um die Paula handelt. Er soll überrascht werden.«


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»Schön! Ich werds also verschweigen.«

Er ahnte nicht, daß es auch ihm gegenüber in Beziehung auf die Depesche ein Geheimniß gab, daß diese ihm die verlorene Geliebte herbeiführen solle.

Jetzt waren sie in das enge Gäßchen gelangt, an welches die Hofmauer des Juden stieß.

»Wo aber uns verstecken?« fragte Max.

»Zunächst müssen wir schauen, ob bereits Jemand da ist.«

»Es ist noch nicht zwei Uhr.«

»Wenn auch. Sodann wissen wir nicht, von welcher Seit die Italiener kommen und nach welcher sie gehen. Und doch müssen wir das genau derfahren. Das ist schwer.«

»Da giebts halt nur Eins, was wir thun können.«

»Was denn?«

»Wir steigen auf die Mauer gegenüber.«

»Das wär schon sehr gut; aberst sie ist zu hoch.«

»O, da giebts ein Mittel. Weißt, als wir die Anita in den Garten brachten, da hab ich mich in demselbigen umgeschaut und bemerkt, daß eine Leiter an dem Baum lehnte. Die holen wir. Es ist ja gleich daneben.«

»Schön! Geh Du nach dem Garten, und ich werd schauen, ob die Luft rein ist.«

Sie trennten sich; aber schon bald kam Sepp und meldete, daß der Weg noch frei sei.

Das Gäßchen war sehr eng. Der Hofmauer des Juden, durch welche die Pforte mündete, lag eine zweite Mauer gegenüber, welche noch höher als die erstere war. Da hinauf wollten Sepp und Max steigen.

Sie schafften die Leiter herbei, lehnten sie an und stiegen hinauf. Dann zogen sie diese empor und ließen sie jenseits so nieder, daß sie selbige erlangen konnten. In dem Gäßchen durfte die Leiter natürlich nicht angelehnt bleiben, weil sie sonst bemerkt worden wäre.

Jetzt also befanden sie sich da oben. Sie saßen mit den Gesichtern einander zugekehrt.

»Du,« meinte der Sepp, »dieser Platz ist ausgezeichnet. Wann es nicht so finster wär, so könnt man den Hof des Juden ganz überschauen.«

»Vielleicht wird nachher eine Latern angebrannt.«

»Das wär gut. Da könnten wir Alles genau beobachten.«

»Aberst auch wir können gesehen werden.«

»Wann Jemand da unten an der Pforte des Juden steht und gegen den Himmel schaut, so muß er uns trotz dera Dunkelheit bemerken.«

»Da hast Recht. Daran hab ich gar nicht denkt. Wir dürfen nicht sitzen, sondern wir müssen uns legen.«

»Lang ausgestreckt und mit den Köpfen gegen einander, damit wir reden können.«

»Ja, mach also!«

Sie streckten sich lang auf der Mauer aus und warteten nun still ab,


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was da kommen werde. Max ließ seine Uhr repetiren. Sie gab drei Viertel an.

Nach einer Weile stieß der Sepp seinen Kameraden an und flüsterte:

»Schau! Da kommt eine Latern!«

Die Thür, hinter welcher heut Anita gestanden hatte, als der Jude sie schlug, wurde geöffnet, und es erschien eine Gestalt im Hofe, welche eine Laterne trug.

»Kannsts sehen, wer es ist?« fragte Sepp.

»Nein. Aber ein Weibsbild ists. Das sieht man am Rock, dens anhat.«

»So ists die alte Sarah.«

Die beiden Lauscher sahen, daß die Jüdin die Söllertreppe emporstieg, auf dem Söller hinging und dann in dem Eingange verschwand, in welchen die beiden Kammern mündeten, deren eine Anita bewohnt hatte.

»Jetzt wirds die Dirndl holen wollen, da bemerkts nun, daß die Anita fort ist.«

Er hatte ganz richtig vermuthet, denn keine Minute später erschien die Jüdin wieder außen auf dem Söller, beugte sich über die Brüstung desselben herab und rief:

»Baruch! Baruch! Komm, komm schnell!«

Eine dumpfe Antwort erklang aus dem Innern des Hauses. Der Jude befand sich wohl in seinem Verkaufsgewölbe.

»Baruch, Baruch! Mach doch!«

»Gleich, gleich!« ertönte es.

Dann kam er unten aus der Thür.

»Was hast Du denn zu rufen, und zu lärmen, und aufwecken die Leute des Nachts?« fragte er.

»Soll ich nicht rufen und schreien, wenn Anita ist fort, fort über alle Berge!«

»Die war doch eingeschlossen und angebunden.«

»Die Stricke sind zerschnitten.«

»Gott der Gerechte! Ists wahr?«

»Komm herauf, Dich zu überzeugen!«

»Gleich, gleich. Ich werd mir erst anbrennen ein Licht, eine Laterne, ein Windlicht, eine ganze Fackel!«

Er fuhr in das Haus zurück und kam sehr bald mit einer zweiten Laterne zum Vorschein.

»Mach schnell!« rief Sarah von oben.

»Ich komme schon, ich komme!«

Er stürzte völlig die Treppe hinauf und über den Söller hin, um in Anita's Kammer zu verschwinden. Nach Kurzem kam er wieder heraus und eilte nach unten.

»Wo willst Du denn hin, Baruch? Bleib doch da!« rief seine Frau.

»Ich will sehen nach der Pforte.«


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»Warum denn?«

»Ob sie ist offen, ob man hat sie aufgebrochen. Das Mädchen ist worden entführt.«

»Von wem denn?«

»Von ihrem Oheim und Geliebten.«

»Wie kannst Du sagen so Etwas?«

»Ich habs von dem Hauptmann gehört.«

Er eilte zur Pforte, um dieselbe zu untersuchen. Als er fand, daß sie unversehrt war, sagte er, erleichtert aufathmend:

»Dem Gott Abrahams sei Dank! Es ist noch verschlossen. Hier ist sie nicht hinaus.«

»Ist denn die Hausthür offen?« fragte seine Frau von oben herab.

»Nein, sie ist verschlossen und extra noch verriegelt. Da hinaus hat sie nicht gekonnt.«

»Und doch ist sie fort!«

»Sie wird stecken noch im Hause.«

»Wie aber hat sie gekonnt heraus aus ihrer Kammer, da sie war angebunden und die Thür verriegelt?«

»Weiß ichs? Haben ihr aufgemacht vielleicht die andern Mädels?«

»Nein, die hatte ich schon eher eingeschlossen als die Anita.«

»Und sind sie eingeschlossen noch jetzt?«

»Ja.«

»So ist gewesen ein fremder Mensch in meinem Hause und hat herausgelassen das Mädchen.«

»Wer soll das aber sein?«

»Der Onkel.«

»Und wie soll er gekommen sein herein?«

»Auf einer Leiter über die Mauer. Anders ist es nicht möglich.«

»Vielleicht sind sie noch da!«

»Dann wäre da auch noch die Leiter. Aber vielleicht hat er gehabt einen Nachschlüssel, einen Dietrich und hält sich noch versteckt mit ihr im Hause. Laß schnell heraus die andern Mädels! Sie mögen mit suchen, und ich will einstweilen anbrennen Lampen für sie!«

Er ging in das Innere zurück.

Dieser Wortwechsel war in höchster Eile und Erregung geschehen, nicht überlaut, so daß er im Innern der Nachbarhäuser zu hören gewesen wäre, aber doch so deutlich, daß Sepp und Max jedes Wort verstanden.

Diese beiden Letzteren sahen wenige Augenblicke später die betreffenden Mädchen zum Vorscheine kommen. Der Jude kehrte mit Lichtern zurück. Ausrufe des Staunens, der Verwunderung wurden laut. Man durchsuchte Alles, auch den Hof.

Die Lauscher sahen an den nach einander hell werdenden und sich wieder verdunkelnden Fenstern, daß alle Räume durchsucht wurden, selbst der Dachboden.

Da schlug es zwei Uhr, und die beiden Italiener kamen. Sie blieben


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an dem Hofpförtchen stehen und lauschten. Da sie hörten, daß Jemand, nämlich der Jude selbst war es, im Hofe sei, klopften sie. Baruch Abraham öffnete.

»Da kommt Ihr,« sagte er. »Es ist geschehen ein großes Unglück, welches mir bringen kann viel Herzeleid.«

»Was denn für ein Unglück?«

»Die Anita ist fort.«

»Entflohen?«

»Ja, entflohen, verschwunden, ohne mir zu lassen zurück eine Spur als ihre Stricke.«

»Wie ist das möglich?«

»Wer ist klug genug, um dies sagen zu können? Ich nicht, ich nicht.«

»Habt Ihr denn nicht nachgeforscht?«

»Wir haben durchsucht Alles, Alles, Alles!«

»Und nichts gefunden?«

»Nichts, gar nichts! Keine Ratte, keine Maus und keine Anita. Sie ist fort!«

»Hattet Ihr sie denn nicht gut verwahrt?«

»Und wie gut, wie gut!«

»Donnerwetter! Da kann sie doch nicht fort sein; da ists doch unmöglich!«

»Sie ist herausgeholt worden, mit einer Leiter. Nur so kann man es erklären.«

»Haben Sie denn Grund zu dieser Annahme?«

»Sehr guten Grund. Ich bin worden gewarnt. Ihr Oheim und ihr Schatz sind da. Sie haben gesagt, daß sie sie entführen wollen.«

»Wann haben Sie das erfahren?«

»Vor Mitternacht.«

»Da war sie noch da?«

»Ja, denn ich bin gegangen hinauf zu ihr und hab sie liegen sehen in der Kammer.«

»Haben Sie wieder zugeriegelt?«

»Natürlich!«

»So sind Sie selbst schuld. Wenn Sie gewarnt worden waren, so mußten Sie bessere Maßregeln treffen.«

»Ich hab es nicht geglaubt.«

»Dummheit! Auch wenn man so Etwas nicht glaubt, muß es Einen vorsichtig machen.«

»Ja, ich bin gewesen zu nachlässig. Ich hätte sperren sollen das Mädchen in den Keller.«

»Und nun befinden Sie sich in großer Gefahr, und wir mit Ihnen. Wie nun, wenn das Mädchen Anzeige macht!«

»Gott meiner Väter! Sie wird doch nicht!«

»Sie wird! Das läßt sich denken.«

»Was ist da zu thun?«

»Alle Spuren verwischen, die Stricke und Ringe entfernen, den Strohsack


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fortschaffen und die ganze Kammer umändern.«

»Das werde ich thun, gleich, sofort!«

Er wollte fort; aber der eine Italiener sagte:

»Vorher aber müssen auch die andern Mädchens weg. Die Polizei kann jeden Augenblick kommen und uns erwischen. Schaff sie her!«

»Gut, gut! Sie haben sich nur noch zu waschen und anzuziehen.«

»Sind sie gutwillig?«

»Ja, sie werden mitgehen gern und freiwillig.«

»So hole sie!«

»Ihr müßt mit kommen herein, denn ich muß haben Eure Unterschrift, daß ich sie Euch habe übergeben.«

»So mach schnell! Wir müssen mit ihnen durch Barcola, und da stehen die Leute sehr zeitig auf, um Milch und Gebäck zur Stadt zu bringen.«

Sie traten in den Hof. Der Jude schloß die Thür zu und führte sie in das Haus.

»Hast Alles hört?« fragte der Sepp.

»Ja, nun werden sie bald kommen.«

»Weißt, die werden rasch laufen, und es ist finster. Bevor wir dann die Leiter wieder nach der Gassen zu angelegt haben und hinunterstiegen sind, werden sie verschwunden sein.«

»Das ist wahr. Wollen wir nicht lieber schon jetzt hinab?«

»Ich möcht gar wohl; aber wir wissen ja nicht die Richtung, welche sie einschlagen.«

»Ich weiß es. Ich war gestern mit Hanns in Barcola. Es liegt eine Viertelstunde vor der Stadt nach Miramare zu. Sie werden sich also von hier aus nach rechts wenden.«

»Wannst das so genau weißt, so wollen wir halt abisteigen. Komm!«

Sie zogen die Leiter an der innern Seite der Mauer wieder empor, legten sie von außen an und stiegen hinab. Dann trugen sie dieselbe in den Garten zurück, wo sie sich hinter dem Zaune niederduckten, denn die Italiener mußten hier vorüber.

Es dauerte ungefähr zehn Minuten, so kamen sie mit den Mädchen, welche leise mit einander kicherten. Diese Geschöpfe machten sich nichts aus der Schande, welcher sie entgegengingen.

Als sie vorüber waren, krochen Sepp und Max zwischen den Zaunlatten, welche zerbrochen waren, hervor und folgten ihnen vorsichtig.

Trotzdem jetzt die Straßen menschenleer waren, schlugen die Italiener mit ihrer lebendigen Waare eine Richtung ein, in welcher sie gar keine Begegnung zu erwarten hatten.

Sie gingen hinter der Stadt weg nach der Straße, welche nach Gretta und Terstice führt, schnitten dann den Weg nach Prosecco ein, kletterten über den Eisenbahndamm und gelangten so auf die Straße, welche längs des Meeres über Barcola nach Miramare führt.

Barcola ist eigentlich ein kleiner, unbedeutender Vorort von Triest, meist


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von Schiffern, Fischern und Händlern bewohnt. Er lag jetzt noch still und finster da.

Die Italiener schritten durch den Ort und dann in derselben Richtung weiter fort.

Das berühmte Schloß Miramare, welches jetzt dem Kaiser von Oesterreich gehört, früher aber Eigenthum des unglücklichen Kaisers Max von Mexiko war, liegt ungefähr fünf Kilometer von Triest entfernt.

Auf der halben Strecke des Weges blieben die Italiener stehen. Auch Sepp und Max hielten an. Sie befanden sich ungefähr fünfzig Schritte von den Andern.

»Was werden sie thun?« fragte Max.

»Vielleicht habens hier das Boot am Ufer, mit dems nach der Insel fahren.«

»Das ist wahrscheinlich.«

»Sie reden mit nander. Wollen uns mal näher heranschleichen. Vielleichten bekommen wir was zu hören.«

Sie legten sich auf den Boden nieder und krochen so weit wie thunlich hinzu. Da sahen sie allerdings ein an das Ufer befestigtes Fahrzeug, in welchem bereits der eine Italiener stand, während der Andere sich anschickte, den Mädchen das Einsteigen zu erleichtern.

»Wie lang fahren wir denn?« fragte eins der Mädchen.

»Mit dem Segel heut nur zehn Minuten. Der Wind steht gut.«

»Und wie heißt die Insel? Baruch Abraham wollte es uns nicht sagen.«

»Daran hat er sehr wohl gethan. Nun Ihr aber bereits hier seid, könnt Ihr es in Gottes Namen erfahren. Das kleine Inselchen heißt Isola piccola. Das ist italienisch und heißt zu deutsch die kleine Insel.«

»Und dort ist die Höhle?«

»Ja.«

»Ist sie schaurig?«

»O nein. Uebrigens kommt Ihr ja bereits heut Abend auf das Schiff. Ahoi, stoß ab!«

Die Mädchens hatten sich gesetzt; das Boot stieß vom Lande, und das Segel wurde emporgenommen. In kurzer Zeit war das Fahrzeug im Dunkel der Nacht verschwunden.

»Das war gut,« sagte Sepp. »Jetzt wissen wir den Namen und auch die Lage. Wenn sie mit diesem Winde in zehn Minuten dort sein können, so muß diese Isola piccola in der Nähe von Miramare liegen.«

»Das vermuthe ich auch. Was thun wir jetzt?«

»Jetzt kehren wir heim.«

»Und was hast für Absichten mit der Insel?«

»Wir suchen sie am Vormittage auf.«

»Da gehe ich mit.«

»Natürlich! Wenn ich nur wüßt, ob dera Jud seine Sach mit dem Seekapitain bereits fertig macht hat.«


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»Warum möchtest das wissen?«

»Weil ich Baruch Abraham verarretiren lassen möcht. Thu ich aber das, und dera Kapitän kommt zu ihm und findet das Haus leer, so kann er leicht Argwohn hegen.«

»So setz Jemand hinein in das Haus.«

»Du, da hast Recht! So werd ichs auch machen. Und mit dera Anita weiß ich auch, was ich thu.«

»Was denn?«

»Du wirst ihren Oheim aufsuchen und ihm sagen, daß Du sie funden hast. Du bringst ihn zu mir, und da werd ich ein Wörtle mit ihm reden.«

»Wann soll das geschehen?«

»Das ist früh gleich das Erste. Komm!«

Da zunächst nichts mehr zu besprechen war, gingen sie schweigsam mit einander der Stadt zu.

Im Hotel angekommen, fanden sie Hanns und Anita noch in einem sehr lebhaften Gespräch begriffen. Da sie noch nicht Abend gegessen hatten, bestellte Sepp, trotzdem es mitten in der Nacht war, für sich und Max ein kaltes Essen.

Nach demselben instruirte er die beiden Freunde, und dann schieden diese, um sich nach ihrer Locanda grande zu begeben, um wenigstens einige Stunden zu schlafen.

Um acht Uhr waren sie bereits wieder munter. Sie tranken Kaffee und begaben sich dann nach der armseligen Kneipe, in welcher der berühmte Maler Ventevaglio mit seinem Lieblingsschüler logirte. Sie fanden die Beiden eben zum Ausgehen bereit, um ihre Nachforschungen fortzusetzen.

»Ach, Signori, Ihr!« sagte der Maler. »Kommt Ihr zufällig hierher?«

»Nein,« antwortete Max. »Wir suchen Sie.«

»Wollen Sie ein Glas Wein mit mir trinken? Das wäre mir sehr angenehm.«

»Danke! Wir bringen Ihnen eine wichtige Botschaft.«

»Ach! Vielleicht wegen Anita?«

»Ja.«

»Haben Sie sie etwa entdeckt?«

»Ich weiß es nicht genau. Aber wir haben ein Mädchen gesehen, welches ganz zu Ihrer Beschreibung paßt.«

»Wo?«

»Im Hotel Europa.«

»Da ist sie nicht. Das ist zu nobel.«

»O bitte! Sie ist nicht allein dort, sondern mit einem Herrn.«

»Sakkerment! Als seine Geliebte?«

»Das weiß ich auch nicht, glaube es aber nicht. Er ist schon bei Jahren.«

»Und zu ihm soll ich gehen?«

»Das ist Ihre Sache.«


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»Ja, wenn ich wüßte, ob sie es ist!«

»Nun, sie heißt Anita Ventevaglio und hat erzählt, daß sie ihren Verwandten davongelaufen sei, weil sie einen gewissen Petro nicht hat heirathen wollen!«

»Das stimmt.«

»Ihr Vater ist Maler gewesen, jetzt aber längst todt.«

»Auch das stimmt. Sie ist es!«

»Das habe ich auch gedacht.«

»Ich werde hingehen. Gehst Du mit, Petro?«

Der Lieblingsschüler nickte als Antwort. Er hatte auch gestern kein Wort gesprochen.

»Da müssen Sie aber bald aufbrechen,« meinte Max. »Der Mann will abreisen.«

»So gehen wir sofort, sofort!«

»Aber nehmen Sie alle Ihre Papiere mit, damit Sie sich legitimiren können!«

»Natürlich, natürlich! Meine Herren, wir sind Ihnen außerordentlich verbunden!«

»O bitte, bitte!«

»Wenn Ihnen einmal eine Nichte und Braut ausreißt, und wir können sie Ihnen verschaffen, so werden wir es gern thun!«

»Das bin ich überzeugt und empfehle mich Ihnen!«

Max und Hanns beeilten sich, nach dem Hotel zu kommen. Dort mußten sie sich zu Anita in deren Zimmer begeben, während Sepp allein in dem seinigen zurückblieb. Max hatte dem langen Maler natürlich den Namen des Alten genannt.

Bald meldete ein Kellner, daß zwei Herren den Herrn Hauptmann sprechen wollten.

»Wer sind sie?« fragte Sepp.

»Sie wollten ihre Namen nicht nennen.«

»Und was sind sie?«

»Es scheinen Künstler zu sein.«

»Hm! Lassen Sie sie herein.«

Der Kellner ging und bald traten die beiden Maler ein.

Der Sepp erhob sich vom Stuhle. Wie er jetzt so hoch aufgerichtet da stand, war er eine strenge, ehrfurchtgebietende Erscheinung.

»Wer sind Sie?« fuhr er sie an.

Der Maler machte eine tiefe Verbeugung und antwortete ziemlich höflich:

»Mein Name ist Ventevaglio. Jedenfalls haben Sie denselben bereits gehört!«

»Nein.«

»Ich bin einer der berühmtesten Maler Italiens, und dieser Herr da ist Petro, mein Lieblingsschüler.«

»So! Was malen Sie denn?«


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»Alles!«

»Jedenfalls auch Kaffee?«

Der Maler machte ein sehr stupides Gesicht. Sein Lieblingsschüler hatte zwar den Hut abgenommen, aber nicht gegrüßt. Den Hut unter dem Arme und die beiden Daumen im Knopfloche, stand er da, mit den anderen acht Fingern trommelnd. Der Sepp trat auf ihn zu und sagte:

»Sie heißen also Petro?«

Der Mensch nickte.

»Sind Sie der Lieblingsschüler Ihres Meisters?«

Abermaliges Nicken.

»Können Sie nicht reden?«

»O ja!«

Dabei aber machte er ein Gesicht, als ob er ein ganzes Faß saurer Gurken im Munde habe.

»Und können Sie grüßen?«

Ein abermaliges Nicken.

»Zum Donnerwetter! Reden Sie doch!«

»Ja,« brachte er hervor.

»Und grüßen Sie! Sofort, sonst schmeiße ich Sie hinaus!«

Der Lieblingsschüler machte eine Verneigung.

»Und nehmen Sie die Daumen aus dem Knopfloche heraus! Was ist das für eine Manier, Sie Dummkopf! Können Sie nicht eine höfliche Haltung annehmen!«

Das war so abgedonnert, daß der Mensch den Hut fallen und die Hände sinken ließ.

»So! Und wenn Sie wieder mit ihren ewigen und unzähligen Fingern anfangen Klavier zu spielen, so schlage ich den Tact dazu. Merken Sie sich das!«

Der berühmte Maler Italiens wagte es nicht, ein Wort zur Vertheidigung seines Jüngers zu sagen. Zu ihm wendete sich Sepp jetzt zurück:

»So, nun weiß ich, wer Sie sind. Aber was wollen Sie denn bei mir?«

»Ich suche meine Nichte.«

»Ihre Nichte? Bei mir?«

»Ja.«

»Wie kommen Sie auf diese Idee?«

»Ich habe erfahren, daß sie da ist.«

»Ach so! Wer hat es Ihnen denn gesagt?«

»Zwei gute Freunde.«

»Wie soll denn Ihre Nichte zu mir gekommen sein?«

»Das wollte ich eben von Ihnen erfahren.«

»Ach so! Wenn ich nun sage, daß sie sich gar nicht bei mir befindet?«

»Das glauben wir nicht!«


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»Haben Sie sich denn so genau erkundigt?«

»Der Kellner sagte zwar, die Dame, die sich bei Ihnen befindet, sei Ihre Enkelin, aber das müßten Sie uns erst beweisen.«

»Mensch, was fällt Ihnen ein! Ihnen habe ich gar nichts zu beweisen! Sie wären mir der Kerl dazu.«

Jetzt glaubte der Maler, auch ein Wort sagen zu müssen. Er nahm eine drohende Haltung an:

»Signor, bitte, vergessen Sie nicht, wen Sie vor sich haben! Ich bin einer der hervorragendsten Künstler der Halbinsel!«

»Das machen Sie mir nicht weiß! Was für ein Kerl Sie sind, das sieht man da an Ihrem Lieblingsschüler. Das ist ja der reine einmarinirte Storchschnabel! Und Sie haben eine Gestalt und ein Gesicht, als hätte Ihre Frau Mutter Ihnen in den ersten Lebensjahren Quark in die Windeln gelegt. Und Sie nennen sich einen berühmten Maler und hervorragenden Künstler!«

»Der bin ich allerdings!«

»Halten Sie sich dafür! Meinetwegen! Aber ich bin überzeugt, daß Sie keinen Floh mit grüner Oelfarbe anlakiren können! Und Ihre Nichte suchen Sie bei mir? Was wollen Sie denn machen, wenn ich sie wirklich da habe?«

»Sie muß mit.«

»Ach so! Warum ist sie denn fort?«

»Aus Liebe.«

»Aus Liebe? Wie meinen Sie das?«

»Sie wollte nicht lieben.«

»Sie wollte nicht lieben! Und das nennen Sie aus Liebe! Nun, ich will mich mit Ihnen nicht lange herumstreiten, denn es wird mir ganz schlimm zu Muthe, wenn ich in ihr Künstlergesicht blicke. Ich habe allerdings eine Dame bei mir, welche ich mit mir nehmen will. Wollen Sie sich dieselbe ansehen?«

»Ja.«

»So will ich sie Ihnen zeigen.«

Er machte die Thüre zum Nebenzimmer auf. Auf seinen Wunsch kam Anita herein.

»Das ist sie!« rief der Maler.

»Ja -!« rief auch der Lieblingsschüler.

Es war dies das erste freiwillige Wort, welches er hören ließ.

Sepp hatte sich alle Mühe gegeben, Anita über diesen Besuch zu beruhigen; aber sie hatte dennoch Angst. Die Grausamkeiten, die sie hatte erdulden müssen, standen noch hell in ihrem Andenken.

Ihr Oheim trat auf sie zu und sagte in strengem Tone:

»Du bist uns entflohen, Du wirst sofort wieder mit uns gehen.«

Er streckte die Hand nach ihr aus. Sepp aber schob ihn kräftig zurück und sagte:

»Nur langsam! Diese Dame nennt sich allerdings Anita Ventevaglio.


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Sie geben sich denselben Familiennamen, aber ich weiß nicht, ob Sie das Recht dazu haben.«

»Warum sollte ich nicht?«

»Sie können ja den Namen nur angenommen haben. Es ist nicht der Ihrige!«

»Es ist der meinige!«

»Beweisen Sie es!«

»Anita kann es mir bezeugen!«

»Die will ich nicht dazu auffordern.«

»So habe ich meinen Paß.«

»Heraus damit!«

Der Maler brachte eine dick mit Papieren gefüllte Brieftasche hervor und zog seinen Paß aus derselben.

Sepp las ihn und sagte achselzuckend:

»Da steht allerdings Ihr Name, Ihr Wohnort und Ihr Signalement. Das genügt aber nicht.«

»Es muß genügen!«

»Wenn ich Ihnen sage, daß es mir nicht genügt, so haben Sie zu schweigen! Verstanden? Sie mögen derjenige sein, für den Sie sich ausgeben, ob Sie aber der Onkel der Dame sind, das steht nicht in dem Passe.«

»Anita wird es bestätigen!«

»Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich sie nicht fragen werde. Wenn Sie keinen andern Beweis bringen können, so sieht es mit Ihrer Angelegenheit sehr luftig aus.«

»Nun, am Ende könnte ich es beweisen.«

»Womit?«

»Ich habe Anita's sämmtliche Papiere mit.«

»Welche?«

»Den Geburtsschein, das Taufzeugniß, den Firmbrief und auch noch andere.«

»Zeigen Sie!«

Er brachte die genannten Papiere hervor. Sepp las sie, behielt sie in der Hand und sagte:

»Diese Papiere reichen zwar aus zur Personalbeurkundung dieser Dame; eine Legitimation für Sie sind sie aber nicht.«

»So habe ich noch das Testament meines verstorbenen Bruders, der der Vater Anita's war.«

»Geben Sie her!«

Sepp erhielt auch dieses und las es durch. Seine Brauen zogen sich finster zusammen. Als er fertig war, fragte er:

»Und dieses Testament zeigen Sie vor, um zu beweisen, daß Sie der Vormund von Anita sind und die väterliche Gewalt über sie besitzen?«

»Ja.«


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»Das ist sehr dumm von Ihnen.«

»Wieso?«

Er machte ein sehr betroffenes Gesicht. Grad die Präsentation des Testamentes hatte er für den entscheidendsten Schachzug gehalten.

»Weil Sie damit nur einen Beweis gegen sich selbst führen.«

»Da irren Sie sich!«

»Sagen Sie mir nicht noch einmal eine solche Grobheit, sonst lasse ich Sie hinauswerfen! Ich irre mich nie, und in Ihnen am Allerwenigsten!«

»Aber im Testamente steht es doch deutlich, daß ich der Vormund bin.«

»Allerdings.«

»Daß ich väterliche Gewalt besitze!«

»Auch das.«

»Und daß sie mir zu gehorchen hat!«

»So lange Sie die väterliche Gewalt nicht mißbrauchen, ja.«

»Habe ich sie etwa mißbraucht?«

»Allerdings.«

»Wieso denn?«

»Sie haben sie geschlagen.«

»Das Recht der Züchtigung habe ich.«

»Sie haben sie eingesperrt und hungern lassen.«

»Das ist auch Züchtigung.«

»Sie haben sie zwingen wollen, dort diese Krautscheuche zu heirathen.«

»Das kann ich.«

»Nein, das können Sie nicht! Verstanden?«

»Ein Vater und Vormund kann es!«

»Nein. Das werde ich Ihnen gerichtlich durch die Obervormundschaft beweisen lassen! Und wie steht es denn mit den anderen Sachen. Hier ist Alles aufgezählt, was Anita geerbt hat, zunächst achtzehn Gemälde.«

»Die sind nicht mehr da.«

»Wo sind sie denn?«

»Verkauft.«

»Wer hat Ihnen die Erlaubniß dazu gegeben?«

»Die habe ich als Vormund.«

»Hier steht nichts davon. Sie mußten die Obervormundschaft fragen. Ich werde derselben die betreffende Meldung machen lassen. Ferner hat Anita das Haus- und Gartengrundstück ihres Vaters geerbt.«

»Das ist da.«

»Wer bewohnt es?«

»Ich.«

»Wer hat seit jener Zeit die Nutznießung des Feldes und Gartens gehabt?«

»Ich natürlich.«

»Was haben Sie dafür bezahlt?«

»Ich werde doch nicht auch dafür zahlen!«


// 2392 //

»Sie haben zu zahlen und Rechnung abzulegen. Ferner hat Anita ein baares Vermögen von acht Tausend Lire geerbt. Wer hat diese aufbewahrt?«

»Ich.«

»Wie viel Zinsen hat dieses Capital gebracht?«

»Zinsen?«

Er war ganz consternirt. So wie Sepp die Sache betrachtete, hatte er sie nicht betrachtet.

»Natürlich! Sie haben das Vermögen Ihrer Mündel nutzbringend anzulegen, also auf Zinsen.«

»Davon weiß ich kein Wort.«

»Also haben Sie es nur so aufgehoben?«

»Ja.«

»Und es ist noch vollständig da?«

»Nein.«

»Nicht? Donnerwetter! Wie viel ist denn eigentlich noch vorhanden?«

»Dreizehnhundert.«

»Können Sie das beweisen?«

»Ja.«

»Das ist ein Glück für Sie. Aber wie wollen Sie denn den Beweis führen?«

»Ich habe das Geld bei mir.«

»Ach so! Zählen Sie mal auf!«

Der Maler machte ein Gesicht, welches ganz unbeschreiblich war.

»Aufzählen?« fragte er.

»Ja.«

»Fällt mir nicht ein!«

»Ich verlange es.«

»Mit welchem Rechte?«

»Mit diesem hier. Kennen Sie das?«

Er zeigte seine Polizeimünze hervor, die er bereit gehalten hatte.

»Teufel!« rief der Maler. »Sie sind ein Polizist? Ich dachte Hauptmann!«

»Nehmen Sie an, ich sei Polizeihauptmann!«

»Wer hätte das gedacht!«

»Wenn Sie meiner Aufforderung nicht Folge leisten, lasse ich Sie auf der Stelle arretiren! Also aufgezählt!«

»Bekomme ich es denn wieder?«

»Aufzählen!«

Der Mann trat an den Tisch und zählte die genannte Summe in Münzen und Papier auf. Es war sein einziges Geld, was er hatte. Aber der schlaue Sepp zeigte sich noch nicht zufrieden. Er durchschaute seine Leute und fragte:

»Hat Ihr Lieblingsschüler auch Reisegeld?«

»Ja.«


// 2393 //

»Von wem?«

»Von mir!«

»Sie nahmen es auch von der Erbsumme?«

»Ja.«

»Er mag es vorzählen!«

Durch Androhung der Arretur brachte er es so weit, daß der Schüler auch noch gegen zweihundert Lire auf den Tisch legte.

»So,« sagte er. »Jetzt wissen wir, woran wir sind. Gehen Sie mal da vom Tische fort, und treten Sie an die Thür.«

Die Beiden gehorchten, und Sepp fuhr dann fort, indem er dem Maler seinen Paß gab:

»Hier haben Sie Ihre Legitimationen. Die anderen Papiere behalte ich.«

»Das geht nicht. Sie gehören mir!«

»Sie gehören Anita, deren Eigenthum Ihnen zwar anvertraut, keineswegs aber geschenkt worden ist. Da Sie sich als ein unehrlicher Verwalter erwiesen haben, wird man Sie absetzen und zur Verantwortung ziehen. Ich werde diese Angelegenheit dem Gerichte übergeben und Sie zur Anzeige bringen. Ich verklage Sie zur Zahlung von Zins und Zinseszins vom Kapitale und vom Grundstücke. Ich zeige Sie ferner an der Veruntreuung und Unterschlagung. Und ferner lasse ich Sie bestrafen wegen gewaltthätiger Behandlung Ihrer Mündel. Es wird Ihnen das Alles nicht sehr gut bekommen. Seien Sie froh, daß Sie sich auf österreichischem und nicht auf italienischem Gebiete befinden. Ich würde Sie sofort arretiren lassen und Sie kämen in Jahren nicht wieder frei. Machen Sie, daß Sie fortkommen! Wenn Sie sich heut Mittag noch hier befinden, lasse ich Sie dennoch durch den Consul in das Gefängniß stecken!«

Der Maler stand da, als hätte ihn der Schlag gerührt. Er starrte den Alten wie geistesabwesend an. Sein Gesicht zeigte den Ausdruck der allerdümmsten Verblüffung.

»Aber - aber -« stotterte er, »das - das dürfen Sie ja gar nicht, das können Sie gar nicht!«

»So? Warum?«

»Was geht Sie denn die Anita an?«

»Jetzt mehr als Sie. Anita hat sich unter meinen Schutz begeben; ich habe ihr denselben versprochen und werde mein Wort halten.«

»Sie ist Ihnen aber fremd.«

»Jetzt nicht mehr. Und obgleich sie nicht meine Verwandte ist, werde ich doch besser für sie sorgen, als Sie es gethan haben.«

»Ich - ich protestire aber gegen das Alles.«

»Versuchen Sie es!«

»Ich verlange meine Nichte, mein Mündel! Die Papiere und das Geld!«

»Beides gehört Ihnen nicht.«

»Ihnen aber auch nicht.«


// 2394 //

»Nein. Es gehört Anita, und da sie mich dazu beauftragt hat, werde ich es für sie in Verwahrung nehmen.«

»Ich protestire dagegen!«

»Bringen Sie mir nicht abermals diese alberne Rede! Sie können Ihren Protest nur beim Gerichte einlegen, und grad dieses haben Sie zu scheuen.«

Da warf sich der Maler in die Brust und antwortete:

»Was fällt Ihnen ein! Ich brauche mich vor dem Gericht nicht zu fürchten. Ich bin unschuldig.«

»Ach so! Nun gut! Wir werden gleich einmal sehen, ob Sie sich nicht fürchten. Ich werde dem Kellner klingeln und nach der Polizei schicken lassen!«

Er that als ob er nach dem Klingelzuge gehen wolle. Da aber trat ihm der Maler schnell in den Weg.

»Was hat die Polizei mit dieser Sache zu thun? Wir sprechen nur vom Gerichte.«

»Allerdings. Ich will Sie aber durch die Polizei dem Gerichte übergeben lassen.«

»Nein, nein, ich gehe selbst hin.«

»Das machen Sie mir nicht weiß.«

»O doch! Geben Sie mir nur die Sachen heraus! Ich werde sie auf das Gericht tragen und dort deponiren. Es mag dann darüber entscheiden.«

»Das werde ich selbst viel besser besorgen als Sie. Glauben Sie denn, daß ich so dumm bin, Ihnen zu glauben? Das kann mir ja gar nicht einfallen!«

»Sie können mir vertrauen.«

Er legte die Hand aufs Herz und gab sich alle Mühe, ein möglichst aufrichtiges Gesicht zu machen.

»Schweigen Sie!« schnauzte der Sepp ihn an. »Jedes Wort von Ihnen ist eine Beleidigung. Ich habe gar keine Lust, meine Zeit noch länger mit Ihnen zu verlieren. Packen Sie sich fort!«

Der Lieblingsschüler zupfte seinen Meister von hinten am Aermel, daß er gehen solle. Es wurde ihm angst. Der Maler aber hatte keinen Pfennig Geld einstecken. Wie sollte er nach seiner Heimath zurück? Er hatte Hoffnung, daß er vielleicht doch noch durchkommen könne, wenn er recht barsch auftrete. Darum rief er jetzt mit erhobener Stimme:

»So dürfen Sie mir nicht kommen! Sie selbst sind es, der sich vor der Polizei zu fürchten hat. Sie wollen mich bestehlen!«

Da aber kam er an den Unrechten. Kaum hatte er das letzte Wort gesagt, so klatschte eine gewaltige Ohrfeige, die ihm der Sepp applicirte auf seiner Wange.

»Mensch, da hast Du die Antwort!« rief der Alte. »Willst Du mehr? Du kannst sie bekommen!«

Der Maler hielt sich das Gesicht mit der Hand. Es flimmerte ihm vor den Augen.


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»Wa - wa - was!« stotterte er. »Da - da - das war ja ei - ei - eine Ohrfeige!«

»Ja, das war eine, nämlich die erste. Ich habe mehr solches Zeug im Vorrathe, wenn Du mir in dieser Weise kommst, Du Hallunke!«

»Wa - wa - was! Auch Du nennen Sie mich!«

»Soll ich etwa Einen, dem ich Ohrfeigen gebe, Seine Excellenz nennen? Mach Dich fort, Urian! Sonst klingle ich wirklich!«

Jetzt sah der große Künstler ein, daß er auf die letzte Weise keinen Erfolg haben werde. Der Muth entsank ihm. Er sagte in weinerlichem Tone:

»Ich kann doch nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich kein Geld habe.«

»Arbeite! Dann verdienst Du welches!«

»Ich muß doch heim!«

»So lauf schnell!«

»Aber ohne Geld?«

»Bettle Dich durch, Urian.«

»Ich? Einer der größten Maler Italiens?«

»Mensch, höre auf. Wenn Du ein Maler bist, so ist das Kameel der größte Tanzmeister. So ein Kerl wie Du bist, nimmt, wenn er betteln geht, seiner Ehre gar nichts weg.«

»Dio mio! Soll ich hungern!«

»Du hast Anita auch hungern lassen.«

»In dieser Gegend bekommen die Bettler nichts. Man jagt sie fort. Man prügelt sie!«

»Sehr gut. Du hast Anita auch geschlagen.«

»Da hatte sie es verdient.«

»Lüge, schändliche Lüge! Du aber hast es verdient, daß man Dich überall hinaushaut. Und grad weil Du selbst jetzt noch behauptest, daß sie es verdient habe, weil Du selbst jetzt Deine Schändlichkeit nicht bereust, bist Du doppelte Strafe werth. Ich wiederhole es: Wenn Du am Nachmittage Dich noch hier befindest, so lasse ich Dich arretiren.«

Der Schüler zupfte den Lehrer abermals heimlich.

»Laß mich!« sagte ihm dieser. »Wie wollen wir ohne Geld nach Hause kommen!«

Das erbarmte Anita. Sie trat zu Sepp, legte ihm die Hand auf den Arm und bat:

»Gieb ihm Etwas!«

»So?« antwortete der Alte zornig. »Also Du bittest auch noch für Deinen Peiniger?«

»Er thut mir leid.«

»Das ist Unsinn.«

»Er ist doch mein Oheim. Bedenke das!«

»Hm, ja. Dein Oheim ist er freilich. Die Bande des Blutes sind


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heilig, wenn sie auch von dem Kerl entweiht worden sind. Und daß Du für den Hallunken bittest, das ist ein Beweis, daß Du ein herzensbraves Mädchen bist. Das werde ich Dir nie vergessen.«

Und sich zu dem Maler wendend, fragte er:

»Hast Du gehört? Du hast sie turbirt auf alle mögliche Art und Weise. Sie aber hat Mitleid mit Dir. Thut Dir das nicht in der Seele weh?«

Der Gefragte antwortete nicht.

»Wie viel brauchst Du denn?«

Jetzt war er sehr schnell mit der Antwort da:

»Tausend Lire.«

»Du bist tausend Mal toll! Willst Du etwa wie ein Fürst oder Graf reisen?«

»Wir sind ja zu Zweien!«

»Der Andere geht uns nichts an.«

»Er ist ihr Bräutigam!«

»Halte das Maul! Der Kerl hätte das Geschick ein Bräutigam zu sein! Er macht ja ein Gesicht wie ein Frosch, der Schweizerpillen gefressen hat. Der hätte das Geschick dazu. Für diesen Menschen soll Anita, die Du schon bestohlen hast, auch noch mit bezahlen? Das kann uns nicht einfallen. Ich werde einmal nachschauen.«

Er nahm das Eisenbahnkursbuch zur Hand und begann zu rechnen. Dann sagte er:

»Ich will Dir das Herzeleid nicht anthun, Dich von Deinem Lieblingsaffen zu trennen; also soll auch für ihn mit bezahlt werden. Ihr Beide könnt ganz gut mit fünfzig Lire nach Hause kommen. Ich will aber nobel sein und Euch Hundert geben.«

»Hundert!« rief der Maler.

»Ja. Ist's zu viel? Nicht wahr?«

»Viel, viel zu wenig. Ihr habt uns ja beinahe fünfzehnhundert genommen.«

»Von nehmen ist keine Rede. Das Geld gehört Euch nicht. Entscheide Dich schnell! Ich frage nur dieses eine Mal, dann aber nicht wieder. Willst Du die Hundert? Wenn Du nicht sofort Ja sagst, erhaltet Ihr gar nichts.«

»Ja,« antwortete der Maler schnell.

Da er aber dabei bereits die Hand ausstreckte und auf den Tisch zutrat, schlug ihn der Sepp auf dieselbe und sagte:

»So schnell geht das freilich nicht. Ganz umsonst kannst Du das Geld nicht erhalten.«

»Was soll ich denn dafür geben?«

»Deine Unterschrift.«

»Wozu?«

»Daß Du auf die Vormundschaft verzichtest und überhaupt nichts dagegen hast, daß Anita mit mir nach Deutschland geht.«

»Das thue ich nicht.«


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»Nun gut, so hebe Dich von dannen.«

»Nein, nein, das kann ich nicht unterschreiben!«

»Das hast Du bereits gesagt und wir sind also fertig. Packe Dich, sonst klingle ich.«

Er griff nach dem Klingelzug. Da rief der Maler:

»Halt! Ich unterschreibe.«

»Gut. Kannst Du deutsch schreiben?«

»Ja. Wir wohnen doch an der Grenze.«

»Gut, so setze Dich. Ich werde Dir dictiren.«

Er gab ihm einen Bogen Papier nebst Tinte und Feder hin und dictirte:

»Ich bescheinige hiermit, daß ich meiner bisherigen Mündel Anita erlaube, mit ihrem gegenwärtigen Beschützer nach Deutschland zu reisen, und trete ihm alle meine vormundschaftlichen Rechte ab.«

Nachdem er sich unterzeichnet hatte, las der Sepp die Zeilen durch und sagte dann lachend:

»So ists gut. Hier hast Du das Geld.«

Er schob ihm hundert Lire hin.

Der Maler steckte sie ein, verbeugte sich mit Grandezza und meinte in stolzem Tone:

»Ich habe aus reiner Coulanz verzichtet und bin froh, daß ich mit dem Mädchen nichts mehr zu thun habe. Adio!«

»Adio! Lauf schnell, daß Du fortkommst, sonst helfe ich nach!«

Und weil der Lieblingsschüler wartete, um seinen Meister vorangehen zu lassen, erhielt er von Sepp einen Tritt, daß Beide mit unendlichem Schwung hinaus auf den Corridor flogen.

»So,« lachte der Alte, indem er die Thür zumachte. »Damit sind wir fertig. Hast noch Angst vor denen Beiden?«

»O nein,« antwortete Anita. »Ich dachte, es werde ganz anders kommen.«

»Wie sollte es kommen? Der Kerl wird wirklich noch angezeigt. Er ist ein Dieb.«

»Wollen wir das nicht lieber lassen?«

»Nein. Du hast achttausend Lire zu bekommen. Es fehlen sechs und ein halbes Tausend.«

»Ich schenke es ihm.«

»Kind, Du weißt nicht, was das Geld zu bedeuten hat. Du kannst nichts verschenken.«

»O, ich bin froh, daß ich frei bin!«

»Hm! Bist halt ein gutes, braves Ding! Nun, jetzund ist auch von einer Anzeig noch gar keine Red, und wer weiß, wie es später wird. Vor allen Dingen haben wir, was wir brauchen, nämlich Deine Papieren und auch noch ein hübsches Geldl dazu! Das ist vor der Hand genug. An das Spätere wollen wir noch nicht denken.«

Max und Hanns hatten im Nebenzimmer Alles gehört. Beide kamen


// 2398 //

jetzt herein und gaben Anita Recht, daß sie trotz der Schlechtigkeit ihres Oheims ihn doch nicht ohne Geld hatte fortgehen lassen.

»Sie ist viel zu gut für ihn gewest,« erklärte der Sepp. »Nun aberst möcht ich halt wissen, wie sie zu dem Juden kommen ist.«

»Durch einen Dienstvermittler,« antwortete sie.

»Bei dem hast eine Stelle haben wollen?«

»Ja. Ich ging, als ich hier ankam, sofort zu diesem Manne, und er brachte mich zu Baruch Abraham, der mich als Dienstmädchen miethete.«

»So! Also stehst bei ihm in Dienst?«

»So dachte ich. Aber ich durfte gar nicht antreten. Ich kam gegen Abend zu ihm und war hungrig und müde. Er gab mir zu essen und befahl mir dann, schlafen zu gehen. Als ich am andern Morgen erwachte, hatte er mir alle meine Kleider weggenommen und mir nur den einen Rock gelassen, damit ich nicht fort konnte.«

»Der Schuft!«

»Er that mich dann zu den andern Mädchens, welche mir sagten, daß ich es sehr gut haben und reich werden könne, wenn ich dem Juden folge.«

»Und worinnen sollt denn dieser Gehorsam eigentlich bestehen?«

»Ich sollt - sollt - -«

Sie stockte. Ihr Gesichtchen war wie mit Blut übergossen.

»Weiß nun schon!« nickte Sepp. »Brauchst es mir gar nicht zu sagen. Thätest Dich vielleicht fürchten, wannst jetzt mit Baruch Abraham reden müßtest?«

»Ohne Dich allerdings.«

»So zieh Dich an! Wir gehen aus.«

»Wohin?«

»Zur Polizei.«

»Mein Gott! Ists wahr?«

»Ja. Ich will den Juden anzeigen.«

»Thue es lieber nicht!«

»Ich muß es thun. Es handelt sich nicht nur um Dich, sondern auch noch um andere Personen und Dinge.«

»Gehen Max und Hanns auch mit?«

»Freilich, sie haben Dich gerettet und sind Zeugen, daß Baruch Abraham Dich geschlagen hat.«

»Es wäre viel besser, wenn ich nicht mitgehen müßte.«

»Sei klug, Anita! Vor dera Polizeien brauchst Dich gar nicht zu fürchten. Die meint es nur gut mit Dir.«

Sie weigerte sich noch ein kleines Weilchen; aber sie mußte sich doch in den Willen des Alten fügen. Nach kurzer Zeit brachen die Vier auf.

Was auf der Polizei verhandelt wurde, nahm eine ziemliche Zeit in Anspruch. Dabei verwunderten sich Max und Hanns, mit welchem Respect der Sepp behandelt wurde. Die Herren thaten ganz so, als ob sie einen Vorgesetzten vor sich hätten.

Sie traten zu einer Berathung in ein Nebenzimmer. Nur der Alte


// 2399 //

durfte sie begleiten. Als sie dann zurückkehrten, wurde den Dreien bedeutet, daß Sepp jetzt gehen werde, ihnen aber müsse man jetzt einige Instructionen ertheilen.

Nach kurzer Zeit kam ein sehr vornehm aussehender Herr herein, welcher den Alten bat, mit ihm zu kommen. Die Beiden entfernten sich.

Sie begaben sich zum Juden, welcher sie mit großer Höflichkeit empfing.

»Ich habe bereits gewartet,« sagte er. »Fast habe ich nicht geglaubt, daß wiederkommen werde der Herr Hauptmann.«

»Ich halte stets Wort,« erklärte der Alte.

»Und ist der andere Herr Derjenige - - -?«

Er ließ eine Fragepause eintreten.

»Ja, er ist Derjenige!«

»Welcher kaufen will Schmucksachen?«

»Ja,« erklärte der verkleidete Polizist. »Ich habe gehört, daß Sie sehr viele und sehr schöne Pretiosen besitzen.«

»O nein! Es sind nicht viele und auch nicht schöne!« meinte der Hehler in seiner vorsichtigen Weise.

»Dieser Herr hat es mir doch gesagt!«

»So hat der Herr Hauptmann gemacht einen kleinen Scherz. Ich bin ein armer Jud und kann nur kaufen, was kostet ein weniges Geld.«

»Machen Sie keine alberne Labberei!« sagte der Sepp. »Wir haben keine Zeit, uns erst eine lange Einleitung vormachen zu lassen.«

»Aber muß nicht sein eine Einleitung bei jedem Buch und bei jeder Sache?«

»Meinetwegen! Aber unsere Einleitung ist bereits gestern gemacht. Sie ist vorüber.«

»O nein! Da hat der Herr Hauptmann einen Begriff von Baruch Abraham, welcher ist sehr falsch. Wer da handelt mit alten Sachen, der muß sein sehr vorsichtig.«

»Andere Leute sind es ebenso. Sie wollen mir doch nicht etwa gar mißtrauen?«

»Wie könnt ich mißtrauen dem Herrn Hauptmann? Hat er mir doch bewiesen, daß er ist der Vertraute meiner Freunde, und hat mir auch gezeigt seinen Paß.«

»Nun also! Mach also keine Dummheiten!«

»Soll ich nicht vorher lernen kennen auch den andern Herrn?«

Er fixirte den Polizisten scharf. Es war klar, daß er diesem nicht traute.

»Dieser Herr ist der Herr Bankier Wendelmann aus Wien,« erklärte der Sepp. »Er besitzt zu gleicher Zeit ein Juwelengeschäft.«

Baruch Abraham ließ kein Auge von dem Polizisten. Er nahm eine alte Dose aus seiner Tasche, schnupfte langsam und bedächtig und sagte dann:

»Ist es mir doch, als ob ich hätte gesehen diesen Herrn schon hier in Triest!«

»Sehr möglich, denn ich bin nicht selten hier,« erklärte der Beamte.


// 2400 //

»Aber es ist mir, als hätte der Herr da getragen ganz andere Kleider.«

»Schwerlich!«

»Eine Uniform.«

»Ich bin nicht Offizier.«

»Es war keine Militair- sondern eine Polizeiuniform mit großen Epauletten.«

»Sie irren sich!«

Der Jude spreizte die Arme aus, legte den Kopf auf die Seite und sagte:

»Ob ich mich irre oder ob ich mich nicht irre, das ist mir sehr gleichgiltig. Ich mach gern ein Geschäft mit Jedem, auch mit einem Herrn von der Polizei.«

Es war klar, daß er den Beamten erkannte. Dieser versuchte dennoch, ihn irre zu führen.

»Was reden Sie nur von der Polizei! Ich kann es Ihnen beweisen, daß ich Der bin, für den mich der Herr Hauptmann ausgegeben hat.«

»Wie wollen Sie führen den Beweis?«

»Durch meinen Paß.«

»Dieser ists ja, was ich hab sehen wollen.«

»So schauen Sie her!«

Er zog eine Brieftasche hervor, aus welcher er den Paß nahm, den er dem Juden in die Hand gab. Dieser betrachtete ihn genau, roch sogar daran und sagte dann:

»Dieser Paß ist ausgestellt worden bereits vor zwei Wochen?«

»Ja. Das Datum lehrt es ja.«

»Wie kommt es da, daß er gar so sehr riecht noch nach frischem Siegellack?«

»Das habe ich nicht bemerkt.«

»Weil Ihre Nase nicht ist so fein wie die Nase von Baruch Abraham. Er riecht es einem jeden Siegel an, ob es ist nur einen Tag alt oder nicht.«

»Dieses Mal hat sich Ihre Nase aber ganz gehörig getäuscht.«

»Sie kann vielleicht sich täuschen, nicht aber mich selbst. Dieses Siegel ist geworden gemacht vor noch nicht einer Stunde.«

»Aber, Mann, so sehen Sie doch auf die Unterschrift und auf das Datum!«

Der Jude machte ein unendlich pfiffiges Gesicht.

»Ich sehe das Datum,« lächelte er. »Ich weiß auch, wie ausschaut und riecht die Tinte, wenn sie ist frisch oder wenn sie ist alt. Dieser Paß ist geworden geschrieben auch vor höchstens einer Stunde.«

»Mann, ich begreife Sie nicht.«

»Aber Baruch Abraham begreift desto besser Sie. Wenn ein Polizist will fangen einen Menschen, so macht er sich einen falschen Paß.«

»Aber dieser Paß ist echt!«

»Weil die Polizei in Triest hat den Stempel und auch das Petschaft in der Stadt Wien. Wenn ich das Beides hätt und thät machen einen


Ende der einhundertsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk