Lieferung 19

Karl May

4. Dezember 1886

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Ich ßie ßehen will, ßo - ßo wie Venus.«

»Venus? Hm! Was ist das für ein Thier?«

»Thier! Oh, oh! Venus ßein Köttin der Lieben.«

»Göttin der Liebe? Schau mal an!«

»Ja, und ßie hat nicht an vielen Kleidungen.«

»Donnerwettern! Und so willst auch die Leni sehen?«

»Ja, ja!«

»Du, das ist wohl bei der Venussen Mode, aber hier bei uns nicht. Verstanden, alter Freund?«

»Ich haben verßtanden. Aber wenn ich heirathen, ßo müssen ich dock wissen, ob Frau auck ißt schön!«

»Hm! Da hast nicht ganz Unrecht. Ich thät auch keine Katz im Sack bezahlen. Ich verstehe Dich ganz gut. Freilich möcht ichs gern haben, daß die Leni eine so vornehme Damen wird. Drum hab ich gar nix dagegen, daßt sie erst richtig anschaun willst. Aber wie willst das wohl anfangen?«

»Mit dießem Fernrohren.«

»Unsinn! Was kannst da schauen! Da weiß ich etwas viel Besseres und Intressanteres.«

»Du wissen Besseres? Wirklick?«

»Ja.«

»Wie? Wo? Es schnellen ßaken!«

»Nur sachte, sachte! Ich weiß, wo Du sie Dir ganz genau anschauen könntest.«

»Wo?«

»Hm! Du kannst leider gar nicht hin.«

»Ssaken dock wo, wo, wo?«

Der lüsterne Italiener war ganz Feuer und Flamme.

»Im Theater,« meinte der Sepp.

»Ssehr schön, ßehr! Ich auck ßein im Theater.«

»So? Das nützt Dir doch nix.«

»Warum?«

»Als Zuhörer kannst sie nur sehen, wann sie singt.«

»Ich ßein nicht Zuhören, ßondern Mitspielen!«

»Ach so! Höre, das ist fein! Da läßt sichs machen.«

»Wie? Wie?«

»Wann Du durch das Garderobenfenstern schaust.«

»Karderobe! Ah! Oh! Herrlick, präcktick!«

Der Kleine klatschte vor Freude in die Hände. Der Alte aber blickte sich scheu um, als ob er einen Lauscher fürchte, und theilte ihm dann mit leiser Stimme seinen Plan mit. Der Concertmeister hörte schweigend zu, brach aber sodann in laute Lobeserhebungen aus.

»Du ßein ßehr kluk, ßehr kescheidt! Hier, ich Dir geben ein Keschenken!«

Er zog ein Silberstück hervor und gab es dem Sepp. Dieser steckte es schmunzelnd ein und fragte:


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»Machst also mit?«

»Ja, ja, allemalen!«

»Gut! Aber kannst denn auch klettern?«

»Kletter ripire, arrampicarsi? Nein. Ich ßein nock nie ßteigen auf Baum.«

»O weh! So mußt Du verzichten.«

»Warum verzickten?«

»Weil Du nicht auf den Baum kannst.«

»Es ßein vielleickten da einen Leitern, ridolo?«

»Eine Leiter? Ach ja, daran hab ich ja gar nicht dacht! Ich werd Dir eine verschaffen.«

»Woher?«

»Vom Hausmann im Theater. Weißt, der ist ein guter Bekannter von mir. Er stammt aus meiner Gegend, und ich besuch ihn auch zuweilen. Darum kenn ich eben den Garten hinter dem Theater, den Baum und auch das Fenster, vor dem er steht. Ich werde Dir eine Leitern besorgen. Auf derselbigen steigst hinauf auf den Baum und kannst da grad in die Garderobe blicken, die nur für die Künstlerinnen da ist, die als Gast spielen thun. Da wirst sie sehen, wann sie das feine Kleid anlegt.«

»Schön, ßehr schön, ßehr! Du ßein ein herrlicker Kerl, ein präckticker Kerl! Du gefallen mir!«

»O, noch viel besser wirds Dir auf dem Baum gefallen! Nun aberst mach, daßt jetzt fortkommst von hier!«

»Warum?«

»Es darf Niemand sehen, daßt die Leni beobachten willst mit dem Fernrohren. Auch ists hier an diesem Grab nicht ganz geheuer. Hast noch nix gehört davon?«

»Kehört und kesehen!«

»Was? Sogar gesehen hasts?«

»Ja, o ja!«

»Was denn?«

»Zweien Geßpenstern, am Abend. Ich gehen hierher nur bloßen am hellen Tak.«

»Ja, das machst recht. Was hast aber denn gesehen, als Du die Gespenster erblickt hast?«

»Ich ßein auskerissen, ßehr, ßehr!«

»Das ist freilich das Allernbeste, was man thun kann. Also geh jetzt. Beim Concert sehn wir uns wieder.«

»Schön! Addio!«

»Adjoh, Herrn Concertmeistern!«

Der Kleine ging, und der Alte blickte ihm sehr vergnügt nach. Es war ihm gelungen, die Angel auszuwerfen, und der Fisch hatte angebissen. Jetzt blieb er sitzen, um den Fex zu wecken, wenn Jemand zur Fähre kommen sollte.


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Aber es kam Niemand. In der Mühle wurde spät aufgestanden, weil die Bewohner wegen der nächtlichen Ruhestörung spät ausgeschlafen hatten.

Ungefähr kurz nach acht Uhr kam der Fingerlfranz vom Dorfe her. Er hatte dem Müller versprochen, zu kommen, um diesem zu melden, ob er die Sau auch wirklich erhalten habe oder ob sie nicht auch noch nachträglich in allerlei Gethier verwandelt worden sei. Eben als er in die Thür treten wollte, kam die Leni heraus. Sie hatte noch ihren Alpenanzug an.

»Das bist Du!« sagte er. »Was machst hier?«

»Besseres als Du!«

Sie wollte an ihm vorüber, er aber vertrat ihr den Weg und meinte in drohendem Tone:

»Halt! So schnell kannst nicht vorbei! Ich will wissen, wast hier machst. Und Du sollst auch die Strafen empfangen für Deine Schlechtigkeiten gegen mich!«

»Willst sie etwan wieder küssen?« erklang es von der Treppe her, wo Paula stand, ohne von ihm bemerkt worden zu sein.

»Das fallt mir freilich nicht ein,« antwortete er.

»Hasts aber doch thun wollen und gar erzwingen!«

»Wer hat das gesagt?«

»Die Leni.«

»Das hat sie gelogen.«

»So! Dann hat sie Dir wohl auch keine Ohrfeigen geben und Mehl in die Augen, daßt nix mehr sehen konntst?«

»Das sind lauter Lügen. Die, wann mir eine Ohrfeigen gäb, die sollt sehen, was ihr geschehen thät!«

»So, was sollt mir denn geschehn?« fragte die Leni.

»Ich that Dich dermurxen!«

»So versuchs! Da!«

Ehe er es sich versah, holte sie aus und schlug ihn mit ihrer kleinen aber kräftigen Faust an die Nase, daß diese sofort wieder blutete. Er fuhr mit beiden Händen nach der verletzten Stelle, und das benutzte sie, ihn zur Seite zu stoßen. Rasch an ihm vorübergleitend, eilte sie fort. Als er sich umdrehte, um sie zu fassen, war sie bereits hinter der Ecke des Vorgartens verschwunden.

Sie wollte so früh wie möglich ihr der Paula gegebenes Versprechen erfüllen. Darum ging sie jetzt nach der Villa, um von Weitem nachzusehen, ob sie es bereits wagen könne, zum Könige zu gehen. Sie sah, daß Wagner am offenen Fenster stand. Auch er erblickte sie, und da er an ihrem Gebahren merkte, daß sie irgend eine Absicht habe, so winkte er ihr. Sie eilte zu ihm hin, und er fragte:

»Suchtest Du Etwas?«

»Nein, sondern ich wollt schaun, ob ich den König nicht stören thät, wann ich ihm was sagen wollt.«

»Ists nothwendig?«


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»Ja. Ich hab eine Bitten, nicht für mich, sondern für meine Freundin, die Paula.«

»Die Müllerstochter? Die ist bereits Deine Freundin? Ja, Damen werden sehr schnell bekannt.«

»O, die Männern oft noch schneller. Wann sie mit nander ein Bier trunken haben, so ist die Freundschaft allsogleich bereits dudeldick.«

»So! Na, wir wollen einander Recht geben. Ist die Bitte groß, welche Du aussprechen willst?«

»Nein. Der König soll nur mal dem Müllern den Kopf waschen, und das tüchtig, verstehst!«

»Warum?«

»Das werd ich ihm schon selber sagen. Wann er Dir nachhero erlaubt, zuzuhören, so hab ich nix dagegen.«

Da ertönte hinter Wagnern ein kurzes, fröhliches Lachen und darauf die Stimme des Königs:

»So komm herein!«

Im Nu war sie im Eingang verschwunden.

Ungefähr fünf Minuten später kam eine andere Person auf die Villa zu - der Hochzeitsbitter. Er war ganz so gekleidet, wie bereits beschrieben, hatte aber noch mehr bunte Bänder und Schleifen angehängt. In höchst würdevoller Haltung trat er in das Haus und klopfte an. Wagner öffnete die Thür ein Wenig, um nachzusehen, wer Einlaß begehre. Als er die fremdartige Gestalt erblickte, ließ er die Thür unwillkürlich aus der Hand. Dies benutzte der Bitter, rasch vollends zu öffnen und einzutreten. Er grüßte gar nicht, ging in die Ecke, um seinen Schirm in dieselbe zu lehnen, nahm den Hut ab und das karrirte Taschentuch heraus, schwenkte Beides hin und her, machte eine tiefe, tiefe Verbeugung und sagte dann, sich an den König wendend:

»Bist Du der Wagnern oder der Ludewigen?«

Die beiden Genannten wußten nicht, was sie von dieser Erscheinung denken sollten. Ihre Stirnen legten sich in Falten.

»Ich heiße Wagner,« sagte derselbe.

Der Leichenbitter schlenkerte ihm die Hand hin und meinte in verweisendem Tone:

»Dich hab ich nicht gefragt. Aberst weilst einmal den Mund hineinhängt hast, so weiß ich nun, daß hier der Andre der Ludewigen ist. Ich hab mit Euch Beiden zu reden.«

»So machen Sie schnell!«

»Sie? Ich bin ein Du und kein Sie! Das will ich mir ausbitten. Verleidigen laß ich mir nicht, auch von keinem Künstlern nicht, denn ich bin auch einer und hab also mein Recht auf Ebenbürtigkeiten und Frühgeburt und Nachgeburten!

Jetzt erkannten sie, daß es sich nicht um eine sträfliche Mystification, sondern um einen geistig nicht satisfactionsfähigen Menschen handle. Darum fragte Wagner in milderem Tone:


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»Nun, was sollen wir denn eigentlich erfahren?«

»Wirsts gleich hören.«

Er verbeugte sich abermals, schwenkte den Hut, strich sich mit dem Tuch über die Stirn und begann:

»Damals, als der Vatern Abraham mit seiner Frauin Judith in Paris zusammentroffen ist - - -«

»Halt, halt!« rief Wagner. »Was ist das für ein Unsinn? Was haben Sie uns zu sagen?«

Da setzte der Redner den Hut auf und sagte in drohendem Tone:

»Was? Unsinn? Hör, wannst mich noch einmal Sie nennst, so geh ich augenblicklich fort, und nachhero erfährst grad gar nix von der ganzen Sachen, und ich werd Euern Kiviar fressen mit Schokoladen und auch die Flaustern mit Syrupen!«

»Nun also, was willst Du?«

»Das kannst nur ganz ruhig abwarten. Meine Reden ist nicht für Dich da, sondern Du stehst um ihretwillen da! Verstanden! Ich muß es um zehn Pfennige machen, und wann Ihr mir nicht ein gut Trinkgelden gebt, so kann ich halt gar nicht wieder zu meinen Auslagen kommen. Man hat die Menschen einzuladen zu Vielerlei, zu Hochzeiten, Kindtaufen, Begräbnissen und Schweineschlachten. Da giebts allerlei Lust und Leid, Braut und Bräutigam, Särge und Gevattern, Leichenblumen und Bratwursten, und wer da nicht einen guten Magen hat, der kann nimmer Leichenbittern werden. Darum - - -«

»Ach, Du bist der Hochzeitsbittern?« fragte die Leni, der ein Licht aufzugehen begann.

»Ja, freilich!«

»Und kommst mit einer Einladung?«

»Ja.«

»Wohl in die Mühlen zur Verlobung?«

»Woher weißt das Alles?«

»Am Sonntag Abend um acht Uhren?«

»Alle Tausend! Sogar auch das weißt!«

»Da sollen diese beiden Herren sich einstellen, um dabei zu sein, wannt Paula mit dem Fingerlfranz zusammen versprochen wird?«

Der Mann machte eine Geberde des größten Erstaunens, aber auch des Aergers, und sagte:

»Wannt Alles bereits weißt, so kannst aber doch den Schnabeln halten! Mußt denn da grad zwischen hinein piepen wie eine Sperlingin? Wozu bin ich dann da? Ich habs zu verkünden, und nicht Du! Hast mich da um meine schöne Reden gebracht, und nun wirst sehen, was ich dabei verlieren thu! Einen Thalern Trinkgeldl hätt ich ganz sicher bekommen von denen vornehmen Leutln; nun aber, da ich nicht hab so lange sprechen können, wirds kaum ein Viergroschenstücken absetzen. Und davon soll ich leben bei dera Zeiten und denen Preisen, wo ich doch bereits homöpatschen Kaffee trinken thue, das


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Pfundt für zwölf Pfennige und Möhrensaft hinan anstatt den Zuckern! Und nachhero - - -«

»Pst, pst!« unterbrach ihn Wagner. »Bemühe Dich nicht weiter. Deinen Thaler sollst Du haben, auch wenn Du die Rede nicht hast halten können. Hier hast Du ihn.«

Der Mann nahm das Geldstück in die Hand, sah es nachdenklich an und fragte dann:

»Ists etwan für Einen oder für alle Beid?«

»Ach so!« lachte der Componist. »Hier hast Du noch einen. Bist Du nun zufrieden?«

»Ja, und Du bist der Noble von Euch Beiden. Der Ludewigen kann mir gar nicht gefallen. Man muß leben und leben lassen, und wann - -«

»Schon gut! Geh jetzt fort. Wir wissen ja nun, was Du uns hast sagen wollen.«

»Wie? Was? Hinausschupsen willst mich? Nun, das ist gut, sehr gut! Ihr seid mir die Rechten, Höflichen und Gebilderten! Die Thalern will ich nehmen und meinen Regenschirmen dazu, aber wiederkommen ins Haus, das werd ich Euch nicht gleich. Adjeh, lebt wohl, und gesunde Feiertagen!«

Er holte seinen Schirm und ging fort, die gewöhnlichen Verbeugungen und Complimente unterlassend. Glücklicherweise hatte Leni bereits von Paula Einiges über den sonderbaren Mann gehört. Ihre Erklärungen befriedigten die beiden Herren, und nun konnte das unterbrochene Gespräch fortgesetzt werden. Bevor der Hochzeitsbitter eingetreten war, hatte der König im Begriff gestanden, die Leni zu tadeln, daß sie sein Incognito verrathen habe; er that es jetzt, war aber doch bereit, den Wunsch des braven Mädchens zu erfüllen, wenn auch nicht persönlich. Es war ihm natürlich unmöglich, sich den Grobheiten des Müllers auszusetzen, und so erhielt Wagner den Auftrag, sich zu demselben zu begeben. Dieser war bereit, dies sogleich zu thun und ging mit Leni fort.

Unterwegs begegnete ihnen der Fingerlfranz, welcher aus der Mühle kam. Im Vorübergehen erhob er, Leni drohend, die Faust.

»Wer war das?« fragte Wagner.

»Der Bräutigam.«

»Und er drohte Dir!«

Sie erklärte ihm aufrichtig den Grund. Inzwischen kamen sie an die Mühle, an deren Thür Paula in banger Erwartung stand.

»Und die ist die Braut,« sagte die Leni.

»So passen diese beiden Leutchen allerdings gar nicht gut zusammen. Wartet hier. Ich gehe hinein. Vielleicht wird Paula gerufen.«

Als die Thür sich hinter ihm geschlossen hatte, hörten die beiden Mädchen die Stimmen der Männer, erst ruhig, dann schärfer und lauter, zuletzt diejenige des Müllers gar zornig schreiend.

»Gott,« klagte Paula, »er wird nix ausrichten.«

»Das kann ich mir nicht denken.«


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»Ja, hörst, wie der Vatern mit der Peitschen klatscht! Da stehts schlimm. Und wann es ihm gar einfallen sollt, nach dem Herrn zu schlagen, so - -«

»Das wird er nicht wagen!«

»Ihm ists dennoch zuzutrauen. Schau, da kommt der Fex herbei. Wann er es wüßt!«

Der Fährmann hatte doch nicht schlafen können. Der Gedanke an sein musikalisches Vorhaben ließ ihm keine Ruhe, und so war er wieder aus der »Kapelle« emporgestiegen. Er brauchte einige Nägel, um einen kleinen Schaden an der Fähre zu repariren, und kam jetzt nach der Mühle, sich dieselben zu holen. Er hörte die Stimme des Müllers schon von Weitem und fragte die beiden Mädchen, was es drinnen bei demselben gebe. Paula erklärte es ihm unter Thränen. Er zuckte gleichmüthig die Achseln und sagte:

»Den bringt kein König und kein Kaiser auf den andern Gedanken!«

»So zieh ich fort, Fex!«

»Nein, Du wirst bleiben.«

»So soll ich den Franz heirathen?«

»Wo denkst hin! Lieber thät ich sterben, als dies Unglücken mit anschaun. Ich werd mit dem Müllern reden.«

»Du?« rief sie, mehr erschrocken als verwundert.

»Ja.«

»Dich wird er gleich mit der Peitschen hinaushauen!«

»Hab keine Sorg um mich. Wann ich bisher still wesen bin, so hatt ich meinen guten Grund dazu. Von jetzt an aberst werd ich nicht mehr ihm gehorchen, sondern er mir. Ich werds Dir bald beweisen.«

Da öffnete Wagner von innen die Thür.

»Paula soll hereinkommen!«

Sie ging zitternd hinein; die Thür schloß sich wieder; aber der Fex lehnte das Ohr an dieselbe, um zu lauschen. Er verstand jedes Wort.

»Hör, Paula,« sagte der Müller, »da kommt dieser Mann herein und sagt mir, daß ich ihn zur Verlobung einladen hab und daß er aberst nicht kommen könnt, weil Du den Franz nicht haben willst und er also nicht der Zeuge von so einer Zwingerei sein mag. Jetzt nun sollst ihm sagen, daß er sich geirrt hat und daßt den Franz ganz gern magst. Jetzt red und zögre nicht!«

Er warf ihr einen gebieterisch drohenden Blick zu und schwang leise die Peitsche. Sie antwortete dennoch:

»Der Herr Wagnern hat Recht. Du willst mich mit Gewalt zwingen, und ich hab Dir bereits sagt, daß ich lieber in die weite Welt geh als den Franz nehmen will.«

So einen Widerstand hatte er nicht erwartet. Er blieb einen Augenblick lang stumm, um dann desto kräftiger loszubrechen. Das benutzte Wagner zu der schnellen und eindringlichen Erklärung:

»Da hören Sie es! Ich hoffe, Sie werden darnach handeln, und mache Sie darauf aufmerksam, daß es strenge Gesetze giebt, welche ein Kind gegen die ungerechtfertigte Tyrannei des Vaters schützen. Jetzt wissen Sie, woran


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Sie sind. Ich werde erfahren, was Sie thun, und mich darnach verhalten. Ihre Tochter steht unter meinem Schutze. Adieu!«

Er ging schnell fort, um nicht den Zornesausbruch des Müllers anhören zu müssen. Der Fex hatte kaum Zeit, von der schnell sich öffnenden Thür zurück zu weichen. Dann aber, als Wagner kaum verschwunden war, ertönte ein fürchterliches Brüllen des Müllers und zugleich klatschender Peitschenschlag.

Der Fex riß die Thür auf und sprang hinein, Leni hinter ihm her. Der Vater schlug die Tochter mit der Peitsche. Leni eilte auf Paula zu und schloß sie schützend in ihre Arme; der Fex aber entriß dem Alten die Peitsche und schleuderte sie in den Winkel. So eine That, so einen Widerstand hatte der Müller vom Fex noch nie erlebt. Das war ihm schier unbegreiflich. Er hielt mit Schreien inne und starrte ihn an.

»Fex - der Fex - - er wagts!« knirrschte er.

»Ja, ich wags!« sagte der junge Mann ruhig. »Es ist nun endlich mal aus mit Deiner Tyranneien. Jetzt komm ich auch mal an die Reihe!«

»Du - - Du - -?«

»Ja, ich! Jetzt wirst mir Gehorsam leisten, sonst weißt, was gleich geschehen wird.«

»Was - was wird geschehen?« stammelte der Müller, noch immer ganz fassungslos.

»Du sagst jetzund der Paula, daß sie den Fingerlfranz nicht zu heirathen braucht!«

»Das - das soll ich sagen!«

»Ja, sogleich!«

»Bist verrückt? Hat Dich ein toller Hund bissen?«

»Nein, ich bin ganz bei Sinnen, besser als Du!«

»Und weißt doch nicht, daß ich Dich sogleich derschlagen werd!«

»Das wirst bleiben lassen!«

»Oho, mein Bursch!«

Er hatte sich von seinem maßlosen Erstaunen wieder erholt und wollte wieder losdonnern; aber der Fex ließ ihn gar nicht dazukommen. Er sagte:

»Schweig! Jetzt hab ich zu reden!«

»Du! Du! Was willst reden?«

»Von der Südana.«

»Von der - - -«

Er sprach nicht weiter, er brachte das Wort nicht heraus. Er war vor Schreck bleich geworden.

»Ja, von der Südana. Weißt, da drüben, als es geschah! Du hast geglaubt, allein zu sein, aberst ich war dabei, ich hab hinter dem Busch gelegen und Alles mit angesehen.«

»Lü - lü - Lügner!« stieß der Alte lallend hervor.

»Ja. Und nun erscheint sie Dir bei Nacht, und Du mußt ihr Alles bekennen und ihr das Bild meiner Muttern zeigen!«


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Die Augen des Müllers wollten aus den Höhlen treten; seine Lippen zitterten und er lallte unverstehbare Worte.

»Schau, warum bist nun still!«

»Weil - weil - weil -«

Er konnte nicht weiter. Der Fex fuhr fort:

»Also sag ich Dir jetzund noch im Guten: Wannt die Paula zwingst, so verzähl ich Alles und trag das Bild und die Papiere, welche bei demselbigen in der Brieftaschen liegen, auf das Gericht.«

Die Hände des Müllers fuhren unwillkürlich herab nach dem Kasten.

»Ja, such nur da unten! Du wirst nix finden. Da ist sie, die Du haben willst!«

Er zog die Brieftasche hervor und hielt sie empor. Der Müller wollte Etwas sagen, ließ aber den Kopf nach hinten sinken und schloß die Augen.

»Herrgott, der Vatern, der Vatern!« rief Paula und sprang auf ihn zu.

Er aber raffte seine verschwindende Kraft zusammen, richtete dem Oberleib nochmals gerade in die Höhe und schrie sie an:

»Fort, fort mit Dir! Sogleich!«

Der Fex nahm sie bei der Hand und sagte:

»Komm! Den mußt allein lassen. Er kann Dich jetzt nicht gebrauchen, Dich nicht und Niemand nicht!«

Er zog sie und Leni zur Thür hinaus.

Der Müller blieb eine ganze Weile regungslos liegen, dann langte er mit der Hand langsam in die Tasche und zog den Schlüssel hervor, welchen in letzter Nacht der Fingerlfranz gesucht und gefunden hatte. Er war nicht auf den Gedanken gekommen, nachzusehen, ob der Kasten geöffnet worden sei. Jetzt holte er dieses Versäumniß nach. Er machte den Kasten auf und wühlte vergeblich mit den zitternden Händen drin herum.

»Fort, fort ist sie!« stöhnte er. »Der Fex hat sie sich geholt! Er - er! Er ist nicht so dumm, wie er sich gestellt hat! Jetzt bin ich in seiner Hand. Er oder ich - Einer muß weichen. Aber ich werds nicht sein. Er muß sterben, weil er mich damals belauscht hat, und die Brieftaschen muß ich wieder haben. Nachhero hab ich Ruhe. Bis dahin aber muß ich klein zugeben. Wann ich nur wüßt, wie er herein in die Stuben kommen ist! Ich werd nimmer ruhen, bis ich das erfahr, und dann wehe ihm!« -

Sowohl die stehenden, als auch die vorübergehenden Bewohner der Badestadt befanden sich in einer ungewöhnlichen Aufregung - des für heute anberaumten Concertes wegen. Am Vormittage war die Hauptprobe abgehalten worden, mit außerordentlich günstigem Erfolge, wie man leise zu hören bekam. Dann war der Altmeister Liszt angekommen und im feinsten Hotel abgestiegen. Er hatte nur eine einzige Nummer vorzutragen und dennoch sich einen besonderen Flügel mitgebracht. Das imponirte gewaltig. Die Menge hatte von vor bis nach der Probe das Theatergebäude belagert, um die Sängerin zu sehen - vergebens. Kein Mensch hatte von dem schlichten Mädchen in Gebirgstracht, welches auch eine halbe Stunde lang wie wartend dagestanden hatte unter den


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Neugierigen und dann unbeachtet durch eine kleine Seitenpforte verschwunden war, geglaubt, daß es die Mureni sei.

Alle Plätze waren ausverkauft, kein einziger mehr zu haben. Man wußte, daß nur wenige durch Freibillets belegt worden waren. Welche Summe mußte da eingekommen sein! Diese Billets aber waren nicht etwa nur hier in der Stadt verkauft worden, nein, von weit her aus allen Richtungen waren telegraphische Bestellungen eingegangen, und nun kamen mit jedem Zuge die Vertreter und Verehrer der musikalischen Kunst, mit vor Freude und Spannung leuchtenden Angesichtern in Erwartung des bevorstehenden Hochgenusses. Alle Hotels und Gasthöfe waren gefüllt, Privatwohnungen bereits seit Tagen bestellt worden.

Selbst Diejenigen, welche kein Verständniß oder kein Geld für die heutige Aufführung besaßen, suchten heute die Straßen und Gassen auf; es war ein ungemein reges Treiben, hin und her und überall. Daß Liszt, der berühmte Abbe, sich nach jahrelanger Pause wieder hören lassen wollte, war ein musikalisches Ereigniß; auch Antonio Rialti, der Concertmeister, war in den betreffenden Kreisen berühmt, auf Beide war man hoch gespannt. Daß aber neben diesen Meistern eine Anfängerin auftreten, eine arme Sennerin zum ersten Male vor einem so anspruchsvollen Publikum singen sollte, das war noch mehr als ein bloßes Ereigniß, das war geradezu ein Wunder.

Die Stimmen waren getheilt. Die Einen behaupteten, daß man dies ein großes Wagniß nennen müsse, und die Anderen sagten, daß es für eine Anfängerin nichts Vortheilhafteres gebe, als ihr Debut vor einem Auditorium abzulegen, welches durch die Leistungen von Meistern der Kunst in Ekstase versetzt und also willig und bereit zu einem milden Urtheile sei.

Woher es entstanden sei, das wußte Niemand, aber es hatte sich das Gerücht verbreitet, daß sogar der König anwesend sei und Richard Wagner mit ihm, um sich an dem Triumphe der Sennerin zu erfreuen.

Man fragte, man erkundigte sich auf das Angelegentlichste - vergebens. Niemand konnte erfahren, wo die beiden genannten Herren ihr Absteigequartier genommen hatten.

Die Stadt hatte natürlich einen bedeutenden Vortheil von diesem Ereignisse. Die Gärtnereien, welche jetzt im Mai nicht mit sommerlichen Kindern Floras versehen waren, waren ausverkauft. Jede Dame wollte beim Concerte geschmückt erscheinen und Einige hatten während ihrer Einkäufe die leise Depesche aufgefangen, daß bereits seit gestern an riesigen Lorbeerkränzen gearbeitet worden sei.

Würde die Sennerin sich wohl auch einen solchen erringen? Viele, wohl die Meisten, zweifelten daran.

So verging der Nachmittag und der Abend brach herein. Der Haupteingang zum Theater wurde geöffnet, aber es war Polizei requirirt worden, um bei dem ungeheuren Andrang Ordnung zu halten.

Ein halblautes Summen schwebte über der Menge, welche das Gebäude


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umstand. Man gedachte, den König aussteigen zu sehen, denn natürlich kam er, der bekanntlich Prachtliebende, jedenfalls in feiner Equipage vorgefahren.

Die Meisten drängten sich zum Eingange, welchen die Künstler zu passiren pflegten. Dort mußte man doch unbedingt Liszt, Rialti und die Mureni ankommen sehen.

Die Zeit verging - nur noch zwei Minuten bis zum Beginn, und doch hatte man von den Genannten noch keine Spur bemerkt.

Das hatte seinen Grund.

Kein Mensch hatte auf den alten Gebirgler gemerkt, welcher mit seinem Mädchen sich durch den Haupteingang gedrängt hatte. Nur einer der Polizisten hatte zu ihm gesagt:

»Wurzelsepp! Du willst auch hinein? Das ist doch wohl ein Irrthum! Das Haus ist ausverkauft und heute giebts überhaupt kein Billet für fünfzig Pfennige!«

»Weiß gar wohl. Hab ein besseres.«

»Zeig her, sonst kann ich Dich nicht hineinlassen.«

»Da sinds alle zwei.«

Zum größten Erstaunen des Beamten befand sich der Alte im Besitz der zwei besten Plätze in der Orchesterloge.

»Wo hast die her?« frug er.

»Der Storch hats mir bracht!« lachte der Alte und zog seine Leni mit sich fort.

Liszt war im einfachen Ueberrock, den breiten Kragen hoch aufgeschlagen, damit man ihn nicht an seiner langen, grauen Haarmähne erkennen möge, durch die Menge geschlüpft. Ganz ebenso hatten es auch der König und Wagner gemacht, welche sich keiner Equipage, sondern der Stiefeln bedient hatten. Sie saßen in der Mittelloge des ersten Ranges, welche bei feierlichen Gelegenheiten für die höchsten Beamten reservirt zu sein pflegte. Die Vorgardine derselben war geschlossen, so daß man vom Zuschauerraume nicht in das Innere zu blicken vermochte.

Nur eine Minute vor Beginn schob sich ein kleines, hageres, unansehnliches Männchen, welches einen Violinkasten trug, durch die eng gedrängte Menschheit nach der Außenthür des Orchesters - Antonio Rialti.

»Der fünfte Violinist!« lachte Einer.

»Pah! Paganini! Man siehts ihm ja gleich an!« höhnte ein Anderer.

Der Concertmeister verschwand, und so hatte kein Mensch die Ueberzeugung, einen der so sehnsüchtig Erwarteten gesehen zu haben.

Im Zuschauerraume war das Gas halb eingedreht. Die Flammen brannten klein und trübe und die Reihen der Plätze lagen im Halbdunkel. Jetzt ertönte der silberne Klang eines Glöckchens; der Capellmeister erhob den Tactstock und der Haupthahn der Gasleitung wurde geöffnet. Sofort überfluthete ein Lichtmeer den weiten Raum und Jeder ließ seinen Blick umherschweifen, um zunächst eine Uebersicht der Anwesenden zu nehmen.

Natürlich aber richteten sich die Blicke Aller zunächst nach der beschriebenen


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Mittelloge. In demselben Augenblicke wurde die Gardine weggezogen und Alle sahen den geliebten König in voller Beleuchtung auf seinem Platze, Wagner um einen leeren Platz neben ihm zur Linken. Wie auf ein gegebenes Zeichen erhoben sich die Hunderte der Anwesenden von ihren Plätzen, der Tactstock des Capellmeisters fiel nieder und das reichbesetzte Orchester schmetterte einen jubelnden Tusch, in welchen das laute, schallende Hoch des Publikums dreimal einstimmte.

Der König erhob und verneigte sich und gab dann mit der Rechten das Zeichen, die Plätze wieder einzunehmen. Dieser Vorgang war ganz außerordentlich geeignet, das Publikum in eine begeisterte Spannung zu versetzen.

Die erste Nummer des Programms war eine Jubelouverture, welche die Kapelle mit allem Glanz executirte. Sie war aber den Meisten bereits bekannt, und so hatte man mehr Augen für die Umgebung, als Ohren für den Vortrag.

Es war wirklich ein glänzendes Auditorium versammelt, so elegant und glänzend wie hier noch niemals. Offiziere und Civilisten mit ihren Ordensdecorationen, geistreiche und bedeutende Gesichter überall, ein Damenflor, wie die Götter des Olympes ihn sich nur hätten wünschen können. Augen blitzten, Lippen lächelten, Rosen dufteten und bewegte Fächer wehten ein leise bewegtes, parfümirtes Luftmeer durch den brillant erleuchteten Raum.

Da war es wohl leicht erklärlich, daß die Blicke sehr verwundert auf das sonderbare Paar fielen, welches dort in der Orchesterloge saß, der Alte mit seinem Mädchen. Das waren arme Leute aus einem Gebirgsdorfe. Wie kamen diese in den glänzenden Tempel der Kunst?

Der Alte - nun ja, sein Gesicht schien wohl sauber gewaschen zu sein und den Bart hatte er sich auch gekämmt, wohl zum ersten Male in seinem Leben, einen weißen Halskragen hatte er umgethan, aber das Halstuch, welches unter demselben über der Brust herabhing, und die alte Lodenjoppe, aus deren kurzen Aermeln die neuen, weißen Manchetten hervorsahen, wie junge, saubere Kätzchen aus einem alten Lumpen, und die struppigen, grauen Haare, die sich dem ungewohnten Strich des Kammes nicht gefügt hatten, die großen, braunen, knochigen Hände und das wetterharte, scharf gezeichnete Gesicht - das Alles paßte doch gar nicht in den lichtflimmernden Raum und zu der hoch distinguirten Umgebung.

Und das Mädchen an seiner Seite - nun ja, es hatte ein allerliebstes Gesicht und die Blicke manches der vornehmen Herren blieben an dem vollen, plastisch aus dem Mieder hervortretenden Busen und den schneeweißen, üppigen, nackten Armen haften; aber das Gewand gehörte doch höchstens auf die Gasse eines Dorfes. Wenn eine vornehme Dame in großer Toilette ihren Busen und ihre Arme entblößt sehen läßt, das hat Berechtigung und Chic, aber so eine Bauerndirne mit nackten Armen, das ist doch gemein - pfui! Die Augen der hohen Damen kniffen sich beleidigt zusammen und wendeten sich von dieser Person weg. Die Theaterdirection hätte doch unbedingt dafür sorgen


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sollen, daß an so ordinäres Volk keine Billets abgegeben werden - noch dazu gar für die Orchesterloge!

Zwei Augen aber wollten und konnten nicht von ihr weichen - diejenigen des Krikelantons. Er saß mit dem Wiener Musikprofessor und dessen Frau auf erstem Rangplatze, der Leni gerade gegenüber. Er hatte einen Anzug des Professors angelegt und stach also gar nicht im Geringsten von seiner Umgebung ab. Das war wohl der Grund, daß Leni ihn nicht bemerkte. Freilich ließ sie ihre Augen auch gar nicht neugierig umherschweifen, sondern sie unterhielt sich mit dem Wurzelsepp und that dabei, als ob gar Niemand weiter vorhanden sei, sonst wäre, wenn sie emporgeblickt hätte, ihr Auge sicher an dem einstigen Geliebten haften geblieben, denn sein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht mit den kräftigen, männlich schönen Zügen stand doch in immerhin einem Contrast zu der städtischen Kleidung, welche er trug.

Einer aber hatte ihn doch bemerkt, nämlich der Sepp, doch hütete dieser sich, die Leni auf ihn aufmerksam zu machen; aber er wartete einen Augenblick ab, an welchem der Anton zu ihm herniederblickte, und setzte den Daumen der weit ausgespreizten Hand an die Nase, so wie es streitende Jungens machen, wenn sie sich gegenseitig eine Nase machen.

Diese unästhetische Pantomime wurde von mehreren Anwesenden bemerkt und natürlich mit genug Empörung weiter erzählt, so daß der gute Sepp zu seinem innigsten Vergnügen bemerkte, mit welcher Indignation und Verachtung die Blicke so Vieler sich auf ihn richteten.

Jetzt war die Ouverture beendet. Sie erntete den Beifall, welcher der ersten Nummer eines Concertes, wenn sie bereits bekannt ist, zu werden pflegt - einen kühlen Achtungserfolg.

Als Nummer Zwei war im Catalog oder vielmehr Programm angeführt »Variation über ein Thema von Spohr - vorgetragen von Herrn Concertmeister Antonio Rialti.«

Ein Theaterdiener brachte den Geigenkasten auf die offene Bühne und legte ihn auf einen seitwärts stehenden Tisch. Das Glockenzeichen wurde gegeben. Ein leises Rauschen ging durch den Zuschauerraum, Jeder rückte sich in eine bequeme Stellung zurecht, um den zu erwartenden Kunstgenuß recht auf sich einwirken zu lassen.

Rialti trat vor und verbeugte sich.

Er war schwarz gekleidet, wie gewöhnlich. Die Schöße seines Frackes waren für die gegenwärtig herrschende Mode ein Wenig zu breit und zu lang; das fiel auf. Vielleicht glaubte er, daß seine kleine, hagere Gestalt dadurch Etwas höher erscheine, doch brachte es gerade die entgegengesetzte Wirkung hervor. Als er die weißen Glaçeehandschuhe auszog und den Violinkasten öffnete, sah man mehrere kostbare Brillanten an seinen Händen blitzen. Auf seiner schmalen Brust glänzten einige Orden, welche er sich ergeigt hatte.

Seine Gestalt, sein Aeußeres machten keineswegs einen sympathischen Eindruck. Das peinlich glatt rasirte Gesicht hatte einen ausgesprochen faunischen, roh sinnlichen Ausdruck. Wer das hervortretende, spitze Kinn, die dagegen sehr


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zurückweichende Stirn, die scharf gebogene Nase mit den aufgeblähten Flügeln und den breiten, geradegeschnittenen, lippenlosen Mund sah, den überkam augenblicklich das Gefühl, daß dieser Mann ein großer Liebhaber jener Vergnügungen sei, über welche man gern den Schleier des Geheimnisses fallen läßt.

Er verbeugte sich mit Eleganz, wobei sein Auge einen Halbkreis von links nach rechts beschrieb. Da, plötzlich stutzte er und verbeugte sich nochmals in eine ganz bestimmte Richtung hin, kurz zwar nur, aber doch so, daß es bemerkt wurde.

Wem galt dieser Gruß? Aller Augen blickten nach der betreffenden Richtung. Dort saß auf dem Vorderplatze einer Parquetloge die dicke Frau Directorin Qualèche, höchst eng eingezwängt von den beiden Armlehnen. Sie schwitzte bereits jetzt schon dicke Tropfen und wehte sich mit dem Fächer Kühlung zu, während sie in der anderen Hand das Taschentuch hielt, um sich den rinnenden Schweiß aus dem Gesicht zu trocknen. Neben ihr saß Paula, die Müllerstochter, heute in städtischer Kleidung. Ihr lieblich-schönes, reizendes Gesichtchen blickte wunderbar erquickend unter der leichten, seidenen Hülle hervor, welche sie um das Köpfchen drapirt hatte. Welche von diesen Beiden war es, der die Verbeugung des Concertmeisters gegolten hatte? Wohl dem jungen Mädchen? Bei diesem Gedanken mußte es Einem überkommen, als ob der Fuchs einem Rebhühnchen freundlich guten Tag gesagt habe, um es dann mit allem Appetit zu verspeisen.

Er hatte die Violine aus dem Kasten genommen und ließ den Finger leise über die Saiten gleiten, um sich zu überzeugen, ob sie noch gut in der Stimmung ständen. Dann legte er sie an. Ein kräftiger Bogenstrich riß den gebrochenen G-dur Accord von der untersten Saite bis hinauf in das Flageolet-H und daran schloß sich nun das einfache, melodiöse Thema von Spohr, welches er in ausgezeichneter Weise virtuos variirte.

Man mußte gestehen, daß er ein Meister seines Instrumentes sei und die Technik desselben völlig inne hatte; aber Eins fehlte ihm - seinem Spiele fehlte die Seele. Es lag nicht das mindeste Gefühl in seinem Vortrage, und darum war der Beifall, welchen er erntete, auch kein allgemeiner. Er wurde ihm nur von Denen gespendet, welche sich durch eine ungewöhnliche Fertigkeit imponiren lassen.

Als er mit einer Verbeugung abgetreten war und nicht wieder hervorgerufen wurde, fiel die Innengardine vor der Bühne nieder und die Capelle spielte als dritte Nummer eine brillante Gavotte, welche noch Niemand kannte.

Unterdessen gab es einige interessante Scenen hinter der Bühne und am Eingange des Theaters.

Dort war nämlich der Fex erschienen, ganz in demselben Anzuge, den er gewöhnlich trug. Er hatte ja noch keinen andern. Er wollte ganz gemächlich nach dem Gange einbiegen, welcher nach dem Aufstiege zu den hinter der Bühne liegenden Räumen führte; da aber trat ihm der hier stationirte Polizist entgegen.

Der Fährmann war allgemein bekannt, und es war auch gar nicht zu


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verwundern, daß sein Erscheinen hier Befremden erregte. Sein Aeußeres war ja gar nicht den Ansprüchen entsprechend, welche man an einem solchen Orte zu machen berechtigt ist.

»Fex, Du hier?« meinte der Polizist. »Du willst Dir doch nicht etwa das Concert mit anhören?«

»Ja, das will ich freilich,« antwortete der junge Mann offen und unbefangen.

»Das wirst Du wohl bleiben lassen!«

»Nein, das werd ich wohl nimmer bleiben lassen; ich komm ja grad nur von wegen dem Concert hierher.«

»In dieser Kleidung?«

»Ja. Oder meinst etwan, daß man auf einem Concertl gar kein Gewandl anzuhaben braucht?«

»O nein, denn Schwimmstunden werden hier nicht gegeben. Ich darf Dich in diesem Aufzuge nicht passiren lassen.«

Der Fex blickte lächelnd an sich hernieder, bis auf seine nackten Füße herab.

»So gefall ich Dir nicht?« fragte er.

»Nein.«

»Nun, kommts hier so auf das Deinige Wohlgefallen an?«

»Auf den allgemeinen Anstand kommts an, verstanden!« meinte der Polizist in einem etwas strengeren Tone.

»Nun, in grad demselbigen Anzug geh ich doch auch in der Stadt und auf der Straßen herum!«

»Da mag es freilich passiren.«

»Aber dort muß doch grad der allgemeine Anstand erst recht vorhanden sein. Oder giebts vielleicht hier einen noch allgemeineren?«

»Nein, einen besonderen. Und da paßt Du nicht herein.«

»Ob ich hereinpaß oder nicht, das wird wohl am Meisten hierauf ankommen. Da, schau einmal!«

Er zog eine Karte aus der Tasche und hielt sie ihm hin. Der Polizist nahm sie und las:

»Dem Vorzeiger dieser Karte ist auf alle Fälle der Zutritt zu gestatten.
        Die Theaterdirection.«

Sogar das Siegel der Direction war darunter gesetzt, und darum erklärte der Beamte, indem er ihm die Karte zurückgab:

»Wenn das so ist, so muß ich Dich freilich passiren lassen.«

»Nicht wahr? Ja, wannt auch so eine Karten hättst, so könntst Dir das Concertl auch mit anschaun und mit anhören. Gelt?«

»Gehst wohl auf den ersten Rang?«

»Noch höher!«

»Ah! Wohin wäre das?«

»Auf die Bühn hinauf. Ich spiele selber mit.«


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»Was denn? Sechsundsechzig oder schwarzen Peter?«

»Keins von den Beiden. Wannst recht hübsch lauschst und das Ohr an eine Thüren legst, kannsts hören.«

Er ging. Leni hatte ihm den Weg ganz genau beschrieben, so daß er sich nicht irren konnte.

Zwischen ihm und ihr hatte es überhaupt eine heimliche Vereinbarung gegeben, welche von dem Wurzelsepp eingeleitet worden war.

Nämlich heut früh, nach der Scene mit dem Thalmüller, war der Sepp zur Leni gekommen und hatte sie gebeten, einmal hinüber nach der Fähre zum Fex zu gehen. Als sie zu diesem gekommen war, hatte er sie um die Erlaubniß gebeten, das Concert mit anhören zu dürfen. Nachdem ihm die Erklärung geworden war, daß sie ihm gern die Erlaubniß auswirken wolle, hinter der Scene zuzuhören, hatte er sie gefragt:

»Hast denn auch was Schönes, wast singst?«

»O freilich.«

»So! Ich hätt aberst auch was für Dich.«

»Du? Ja, der Sepp hat mir freilich anvertraut, daßt auch Musik machst. Aber singen thust doch nicht.«

»Nein, aberst compernirn.«

»Du? Ein Componist?« lachte sie.

»Freilich.«

»So hast Harmonie studirt und Generalbaß?«

»Der Sepp hat mir ein paar Büchern versorgt, schon seit langer Zeit, wo's von deren Harmonie drinnen steht und von dem Generalen seinem Baß!«

»Das wird auch ein schöner Bassen gewesen sein!«

»Der richtige ists wesen. Und als ich nun vom Sepp hört hab, daßt eine arme Sennerin wesen bist, und der König hat sich Deiner angenommen, so daßt nun so eine gar berühmten Künstlerinnen werden sollst, da hab ich eine große Freuden gehabt und Dir ein Liedl compernirt, wast heut mit singen könntst.«

»Heut mit singen?«

»Ja, weißt, weil der König selber mit dabei ist.«

»So! Weißt denn nicht, daß bei so einem Concert blos Meisterstucken sungen werden dürfen?«

»Wohl weiß ich das. Aber so ein kleines Liedl wirst wohl noch mit einschleichen lassen können.«

»Vom Fex, als Componisten!«

»Ja. Ich glaub nicht, daß man Dich deshalben aufhangen wird. Es klingt gar nimmer sehr übel.«

»So!« sagte sie in dem Tone, in welchem man mit naiven Kindern zu reden pflegt. »Ists ein Lied ohne Worte?«

»Nein; es ist ein Text auch dabei.«

»Wer ist der Dichter desselben?«

»Der Fexen.«


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»Auch Du?«

»Ja.«

»So bist nicht nur ein Componist, sondern auch gar ein berühmter Dichtern allbereits? Das hätt ich nicht gedacht.«

»Leni, ich will Dir mal was sagen. Du bist ein bravs Dirndl, und ich halt gar große Stucken auf Dich. Es kränkt mich also, wannt mich auch grad so beurtheilst wie Andre. Ich hab dran denkt, wie der König zu Dir kommen ist und wie der Krikelanton nun nix mehr von Dir wissen will derowegen. Das hat mich gerührt und im Herzen ergriffen. Und wie's da im Herzen drin steckt hat, so hab ichs herauskommen lassen und auf Papier schrieben und die Noten dazu auch. Ein Meisterstucken kanns freilich nimmer sein, aberst passen thäts wohl prächtig für die erste Proben, die Du heut ablegst, und auch grad, weil der König dabei ist. Wannts nur wenigstens mal probiren wolltst!

Um ihn nicht weiter zu kränken, sagte sie:

»Nun, das könnt ich alleweil schon mal versuchen. Aber wie willst ein Gedichten machen können, wannt nicht mal richtig hochdeutsch reden kannst, und gar schreiben! Er machte ein höchst pfiffiges Gesicht.

»Meinst?«

»Ja, das hör ich doch.«

»So! Nun, hat Dir der Sepp nimmer sagt, daß ich mich zuweilen verstellen thu, so ein kleins Bisserl?«

»Das hat er freilich sagt.«

»Schau, so ists auch mit dera Sprachen.«

»So kannst hochdeutsch?«

»Wie geleckt.«

»Nun, so laß mal das Gedichten sehen! Weißt, es will gar mancher gelehrte Doctorn und Professorn ein Gedichtl machen und bringts doch nicht fertig. Da möcht ich doch gern sehn, wie das Deinige ausschaun thut.«

»Arg genug, wirst denken! Aberst es kommt da nimmer drauf an, ob man ein Professorn ist oder ein Steinklopfer. Wann das richtige Dichten drinnen steckt, so kommts auch richtig heraus, und ich will Dir wohl gestehn, daß ich allbereits schon viele tausend von Reimen macht hab, aberst aufschrieben noch keinen.

Ich hab auch eine kleine Biblotheken, wo nicht mal der Sepp und kein Anderer auch was davon weiß. Da hab ich lesen und studirt viele Nächten lang. Ich denk, daß es nicht so ganz umsonsten gewest ist. Wannt also meinst, daß ich vielleicht so weit bin oder so weit zuruck wie ein Schulbuben, so taxirst mich falsch. Und nun, willst das Gedicht hören?«

»Ja. Zeigs her!«

»Nein, ich werds Dir selber vorlesen. Thu mir den Gefalln, lehn Dich da an denen Baum und mach die Augen zu. Dann werd ich beginnen.«

Sie that ihm den Gefallen. Er zog ein Papier aus der Tasche und las die Zeilen vor, die es enthielt.

Er las vor.


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Ja, das war eine andere Stimme, eine andere Sprache, ein ganz anderer Ausdruck! Bereits nach den ersten Worten öffnete sie die Augen. Das Papier in der Linken, begleitete er seinen Vortrag mit den Gestikulationen der Rechten. Seine Wangen rötheten sich, und seine Augen leuchteten. Auch die ihrigen begannen, sich höher zu beleben. Erst überrascht, dann erstaunt und später mit Verwunderung blickte sie ihn an. Ihr Blick las die Worte von seinen Lippen, und endlich, als er die letzten mehr vordeclamirte, als er sie vorlas und sie in denselben ihr eigenes Geschick beschrieben fand, da zog es sie vom Baume hinweg, langsam aber stetig zu ihm hin. Ihre Augen füllten sich mit Thränen, und als er geendet hatte, sagte sie unter lautem Schluchzen aber im Tone wirklichster, echtester Begeisterung:

»»Ich steh in meines Königs Schatten,
Mein König hat an mich gedacht!«

Herrlich, herrlich! Und das hast selber gedichtet, Fex?«

»Ja,« antwortete er unter einem demüthigen Niederschlag der Augen.

»Das sollte man nicht glauben!«

»Meinst, daß es nicht ganz schlecht klingt?«

»Schlecht, schlecht! Wo denkst hin! Ich will Dir sagen, Fex, daß ich viel Unterricht und viele Lehrern hab. Ich hab in kurzer Zeit viel lernen müssen und manches Gedicht kennen lernt, weil ichs ja singen mußt, von Heine, von Gehrock, von berühmten Andern, aber keins hat mir so sehr gefallen, und keins ist so ergreifend wie dieses. Wie lautet die Ueberschriften?«

»Die alte Bettlerin. Weißt, die ist verloren und verlassen gewest von der ganzen Menschheit; da hat sie mal den König troffen hier, als er einen Tag hier gewest und spazieren gangen ist. Da hat sie ihm ihr Herzeleid erzählt, und er hat ihr ein Jahrgeld geben, von dem sie ihre letzten Tag ohne Sorg und Noth hat leben konnt. Und als sie vor zwei Jahren hier storben ist, da hat sie noch vor dem Tod den lieben, guten König tausendmal segnet und ihn dem Herrgott empfohlen. Schau, daran hab ich denkt und »die alte Bettlerin« dichtet mit den Schlußworten allemal an jeder Stroph:

Ich stand in meines Königs Schatten,
Mein König hat an mich gedacht!

Und sodann, als ich hört hab, daß er auch zu Dir so gnädig wesen ist und hat Dich armes Wurm von der Alm weggenommen und für Dich zahlt, daßt eine Künstlerinnen werden magst, da hab ich an dies Gedicht noch einen Vers macht mit denselbigen Endworten und auch eine Melodieen dazu, daßt sie heut singen kannst, wann er mit im Theatern sitzt und Alles hört.

»So ists, so!« sagte sie, tief aufathmend. »Das hätt ich Dir im Leben nicht zutraut, daßt so ein gescheidtiger Kerlen bist und so ein Gedichten fertig bringst. Aber die Musiken dazu, wie stehts mit der?«

»Willst sie auch sehen?«

»Natürlich!«

»Ja, damit freilich kann ich am End nicht viel Ehren einlegen. Ich hab nur eine Geigen, aberst kein Pianoforten, um den Zusammenhang hören


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zu können. Bei einem Orchestern bin ich auch nie wesen, und so hab ich nur nach denen Regeln setzen konnt, die ich im Buch funden hab. Ich weiß nicht, ob das genügt. Aberst das kann ich sagen, daß mir auch die Melodei grad so aus dem Herzen rausgeflossen ist wie das Gedicht, und wanns darnach geht, so wirds freilich fein klingen. Hier ists!«

Er zog ein zweites Papier hervor, welches mit Noten beschrieben war. Sie nahm es und las es aufmerksam durch. Dann begann sie leise zu summen, nachher lauter und lauter, und endlich brach sie in die Frage aus:

»Fex, lieber Fex, sind die Noten wirklich von Dir?«

»Ja freilich.«

»Wirklich? Sags aufrichtig!«

»Meinst, daß ich Dich belügen werd!«

»So komm her, Du herzguter Bub!«

Sie ergriff ihn beim Kopfe und gab ihm einen kräftigen, schallenden Kuß auf den Mund.

»So, da hast! Dieses Busserl kommt auch von Herzen und ist gut und brav verdient.«

»Herrgottl!« rief er erschrocken.

»Was jammerst denn?«

»Du hast mich küßt, Du, Du!«

Er war blutroth geworden.

»Freilich, ich! Ja, da erschrickst sogar. Ich weiß aber schon: Ein Busserl von der Paula wär Dir lieber.«

»Leni!« rief er aus.

»Was? Hab ich nicht Recht?«

»Was fallt Dir ein!«

»Die Wahrheit.«

»Aberst wanns Jemand hört!«

»Nun, es ist ja Niemand da!«

»Jedoch Du hast schreit, daß mans zehn Meilen weit hören kann. Mußt doch denken: die Paula, die reiche Müllerstochter, die schöne, und ich, der arme Fex!«

»Arm? O, Du Hascherl! Reich bist, sehr reich!«

»So? Davon weiß ich freilich nix.«

»Na, wer so dichten kann und dazu eine solche Musiken setzen, der bringts sicherlich mal in deren Welt zu was!«

»So hats Dir gefallt?«

»Und wie!«

»Dann sag, obsts singen kannst!«

»Kannst? Natürlich. Solche Noten sing ich gleich ganz glatt und gleich vom Blatt herunter.«

»Obsts aberst auch singen willst!«

»Meinst heut schon, zum Concerten?«

»Ja.«


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Sie sann einen Augenblick nach und antwortete dann:

»Weißt, ich will Dir aufrichtig sagen: Dieses Lied, wann ichs singen dürft, wär das allerbeste Stücken, was heut auf dem Programmen ständ; aber eben ist das Programmen bereits fertig, und hier steht nur die Partituren; da müßten noch die Stimmen außischrieben werden, und vielleicht hätt der Capellmeistern auch noch was zu ändern; denn wannst auch componiren kannst, aber die Instrumenten richtig anzuwenden, das hast doch nicht gelernt.«

»Da hast freilich Recht. Jetzt ists nun alleweil nix mit dem Liedl, und ich hatt mich so drauf gefreut, es zu hören.«

»So! Hattst Dich wirklich? Nun weißt, ich werd noch ganz vor der Proben zum Capellmeistern gehn und ihm gleich Alles verzählen.«

»Alles?«

»Ja.«

»Du, nein!«

»Warum nicht?«

»Weil er nicht wissen soll, daß - daß -«

»Nun, was soll er nicht wissen?«

»Wies mit mir steht, und daß ich nicht dumme Fex bin, für den man mich hier immer halten hat.«

»Willst etwan dieser dumme Fexen immer bleiben?«

»Nein, wohl nicht.«

»Nun also! Wanns die Leutln einmal erfahren sollen, warum sollens nicht gleich heut und jetzund erfahren?«

»Hm! Recht hast vielleicht.«

»Also gut. Ich werd ihm Alles verzählen, und nachhero wird sichs zeigen, was geschehen thut. Freilich muß ich da das Liedl mitnehmen, wannst mir erlaubst.«

»Immer, immer nimms mit!«

»So gut! Und nun will ich auch gleich gehen. Hier hast meine Hand, lieber Fex. Wir wollen gut Freund sein und bleiben. Vielleicht wird mal ein großer und berühmter Künstlern aus Dir, und wannt nachhero mal ein großes Concerten giebst, so läßt michs wissen, daß ich auch komm und eine Nummern mitsingen kann. Das wär doch ein Gaudi, wann mir mal so mitsammen concertiren könnten, wir zwei Beid!«

Er schüttelte ihr die Hand und antwortete:

»Wannt das wünschen thust, so kann Dein Wunsch wohl bald in Erfüllung gehen.«

»Meinst?«

»Wohl ehern noch, alst denkst und ahnst.«

»Doch nicht etwan heut schon bereits?« scherzte sie.

»Na, mach keinen Spaßen; es könnt doch noch gar ein Ernsten draus werden.«

»Das sollt mich sehr gefreun!« lachte sie lustig. »Aberst es ist schon


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dafür gesorgt, daß dera Ziegen der Schwanz nicht gar zu lang wachsen thut. Ehst ein Concerten mitgeben kannst, wirst noch gar viel üben müssen!«

»Wollen sehen!« lachte er mit.

»Also behüt Gott! Gleich nach der Proben bring ich Dir den Bescheid hierher. Ich will gern wünschen, daß er gut ausfallen mag.«

»Und ich werd kaum Athem finden, um zu erwarten, wie er lauten mag. Lauf schnell, Leni!«

»Wie ein Gamsen! Da, paß mal auf! Sie lief so eilig fort, daß er über ihre Sprünge lachen mußte.

Dann ging er an das Wasser und setzte sich auf den Sitz seiner Fähre.

Wer ihn hier beobachtet hätte, wie er so in sich versunken und mit halb stupidem Gesichtsausdruck da saß, der hätte sicherlich nicht angenommen, daß er der Verfasser eines solchen Gedichtes sein könne. Noch viel weniger aber konnte man ihm ansehen, daß ihn eine außerordentliche Unruhe beherrsche. Er konnte die Rückkehr Leni's kaum erwarten.

Später kam der Sepp und setzte sich zu ihm. Beide besprachen leise ihre den heutigen Abend betreffenden Pläne. Der Fex erzählte natürlich auch, daß er der Leni das Lied mitgegeben habe.

»So bin ich begierig, was der Capellmeistern dazu sagen wird,« meinte der Sepp. »Vielleicht feierst heut sogar einen doppelten Triumpfen anstatt nur einen einfachen.«

Endlich, endlich kehrte die Sängerin aus der Stadt zurück. Sie ging nicht nach der Mühle, sondern gradewegs zur Fähre. Als sie ihren Pathen erblickte, fragte sie:

»Sepp, kannst auch rudern?«

»Na freilich!«

»Daßt die Leutln nicht ins Wassern schüttest, die Du hier überfahren mußt?«

»Würd mich sehr wohl hüten, denn da fiel ich doch auch mit hinein. Aber soll ich denn überfahren?«

»Freilich!«

»Warum?«

»Weil der Fex sogleich in die Stadt muß.«

»Was soll er da?«

»Er soll gleich zu dem Capellmeistern kommen.«

»Himmelsakra!« rief der Fex. »Soll ich zu ihm kommen? Das ist ja ein sehr gut Zeichen!«

»Ja, Dein Liedl wird mit aufs Programmen kommen, wann er mit Dir selberst vorher reden kann. Er muß einige Stimmen ändern und will Dich da erst um Deine Erlaubnissen fragen.«

»O, die soll er gar gern bekommen.«

»Und die Programmen, die bereits fertig sind, die werden weggelegt und dafür in aller Geschwindigkeiten neue gedruckt. Mußt aber gleich zu ihm.«


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»Ich lauf schon bereits. Sepp, fahr übern, wann Jemand kommen sollt. Ich lauf; ich lauf schon!«

Er rannte fort, in größter Eile, nicht etwa auf dem Weg, sondern gleich am Flußufer hin, durch dick und dünn.

»Weißt auch, wo er wohnt?« rief ihm die Leni nach.

»Ja,« schrie er zurück. »Ich lauf, ich lauf!«

Und nach einigen Augenblicken fiel ihr noch Etwas ein.

»Fex! Fex!«

Er blieb stehen.

»Was hast nun auch noch wieder?«

»Sag ihm nix davon, daßt heut Abend auch mit kommst!«

»Nein, nein!«

Er wollte eiligst weiter.

»So wart doch noch, Du Sakrifix!«

»So red und mach schnell! Ich hab keine Zeiten übrig.«

»Ich hab bereits ein Billeten für Dich, von deren Direction. Du brauchst also Niemanden wissen zu lassen, dem Capellmeistern aber erst recht gar nicht!«

»Schön! Bist nun fertig?«

»Alleweil ja!«

»Gott sei Dank! Nun endlich kann ich laufen!«

Und er lief, und wie! Erst als er die ersten Häuser der Stadt erreichte, hemmte er seine Schritte, um nicht gar zu auffällig zu erscheinen. Er befand sich in einer so glücklichen Aufregung, wie er sie noch nie gefühlt hatte.

Der Capellmeister spazierte oft nach der Thalmühle und fuhr da auch zuweilen über. Darum kannte er den Fex sehr gut. Aus diesem Grunde war es ihm als ganz und gar unglaublich erschienen, daß dieser für stumpfsinnig gehaltene Mensch der Dichter und Componist dieses herrlichen Liedes sein sollte.

Es war dem musikalischen Satze zwar anzuhören, daß der Verfasser kein geübter Musiker sei; es kamen mehrere Härten und kleine Mängel vor; aber das konnte mit einigen Federstrichen geändert werden, und dann war das Lied nicht nur salon- und concertfähig, sondern es ließ sich sogar vorausbestimmen, daß es bedeutenden Effect machen werde.

Als der Fex die ersten Fragen des Capellmeisters beantwortet hatte, sagte der Letztere erstaunt:

»Aber Fex, Du bist heut ja ein ganz anderer Kerl, als sonst! Du hast ein ganz anderes Gesicht aufgesetzt!«

»Ja,« lachte der glückliche Jüngling, »ein Componist muß auch ein ganz ander Gesicht machen als ein Fährmann.«

»Und es ist wahr, daß Du der Verfasser sowohl des Gedichtes als auch der Composition bist?«

»Da kannst Dich drauf verlassen!«

Der Musiker legte sich in seinen Stuhl zurück, sah ihm kopfschüttelnd und forschend ins Gesicht und meinte:

»Mensch, Du giebst Einem wirklich zu rathen auf!«


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»Das Rathen ist nicht schwer.«

»Nein. Die richtige Lösung ist freilich die, daß Du ein großes Talent besitzen mußt. Aber woher hast Du denn die Kenntnisse, welche dazu gehören?«

»Heimlich, Herr Capellmeistern, heimlich!« blinzelte der Fex vergnügt.

»So, so! Also ein Autodidakt und Schlauberger!«

»Beides!«

»Aber irgend ein Instrument mußt Du doch wohl spielen können, wenn auch nur schülerhaft?«

»Ich hab ein Bischen auf dera Geigen rumgekratzt.«

»So! Da will ich doch gleich mal hören, wie weit Du es gebracht hast. Hast Du denn Dein Lied schon einmal gehört?«

»Die Melodie hab ich mir auf meiner Vigolinen so mal zusammengestoppelt. Weitern nix.«

»So will ich es Dir jetzt einmal vorspielen. Geändert hab ich bereits einige kleine Versehen; nun aber kann es ein jedes Examen bestehen, sogar das strengste.«

Er setzte sich an das Piano und spielte. Der Fex stand von ferne, faltete die Hände und hörte zu. Sein Gesicht verklärte sich. Die Strahlen, welche dasselbe erleuchteten, kamen aus der tiefsten Tiefe seiner Seele heraus. Es war zum ersten Male, daß er das Lied spielen hörte. Er hätte vor Seligkeit vergehen mögen.

Als der Capellmeister fertig war und sich umdrehte und dieses Gesicht erblickte, fuhr er empor und sagte:

»Fex, welch ein Gesicht! Jetzt kenne ich Dich; jetzt glaube ich an Dich, und jetzt schwöre ich auf Dich. So ein Gesicht kann nur ein Gottbegnadeter zeigen, dem der Herrgott den geistigen Adel verliehen hat. Ich kenne das; ich habs oft erfahren. Also, Du erlaubst, daß die Leni Dein Lied heut Abend singt?«

Dem guten Buben traten dicke Thränen in die Augen.

»Ob ichs erlaub! O Du lieber Himmel! Auf den Knien möcht ich dafür danken, daß es gesungen wird!«

»Und Du sollst es hören. Ich werde Dir ein Billet für einen Platz besorgen, an welchem Du Zuschauer und Zuhörer sein kannst, ohne gesehen zu werden.«

Er warf dabei einen Blick auf die mehr oder vielmehr noch viel weniger als unscheinbare Kleidung des Fex.

»Ja,« sagte dieser, »wannst so gut sein willst, so ist es mir freilich lieb.«

»Komm vor dem Concert hierher, und laß es Dir geben. Du wirst es bekommen, selbst wenn ich nicht zu Hause bin. Und noch Eins: Willst Du das Lied nicht herausgeben?«

»Herausgeben? Was meinst damit?«

»Drucken lassen.«

»Sapristi! Machst etwan gar einen Spaßen mit mir?«

»Nein, es ist mein völliger Ernst. Das Lied muß gedruckt und verviel-


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fältigt werden, damit Dein Name bekannt wird und Du - nun ja, das wird Dir wohl auch ein Vergnügen machen - Du wirst Honorar dafür bekommen, Geld.«

»Das wird freilich eine Freuden sein! Hurrjeh!«

»So! Das ist abgemacht. Wir werden uns von jetzt an sehr oft sehen und über diese Angelegenheit verhandeln. Jetzt aber sollst Du mir auf der Violine Etwas vorspielen. Dort liegt sie. Versuchs einmal! Der Fex öffnete den Kasten und zog das Instrument hervor. Es war ein sehr gutes, von einem berühmten Geigenmacher gefertigtes. Als er es gestimmt hatte und mit dem Bogen leise über die Saiten gestrichen war, leuchtete sein Auge auf.

»Das ist auch kein Zigeunerkasten nicht,« lachte er.

»Das hörst Du bereits?«

»Dazu hat man ja die Ohren. Aber was soll ich Dir vorspielen? Sags mir lieber selberst.«

»Was kannst Du denn?«

»Ein paar Liedln.«

»Welche?«

»Wann i komm, wann i komm, wann i wiederum komm.«

»So! Was noch?«

»Wer will unter die Soldaten.«

»Und?«

»Was frag ich viel nach Geld und Gut.«

»Das sind nun freilich keine Meisterstücke. Kannst Du nicht auch Deine eigene Melodie hier spielen?«

»Ja freilich.«

»So versuche es.«

»Ja, darfst mich aberst nicht auslachen, sonst werd ich irr und schütt um und kann nimmer weitern!«

»Ich werde gar nichts sagen und mich ganz ruhig verhalten, bis Du fertig bist.«

Er legte sich mit der Miene eines Kenners, welcher die ohrzerreißende Production eines Anfängers zu hören erwartet, in den Sessel zurück, und der Fex begann.

Er spielte sein Lied erst auf das Allereinfachste, nur ganz allein die Noten nach ihrem Werthe und ihrer Höhe wiedergebend. Bei der Wiederholung aber kam Seele in diese einfache und darum um so ergreifendere Weise. Er spielte auch jetzt noch ohne alle Kunst, aber sein Zuhörer hob doch bereits den Kopf und warf einen erstaunten Blick auf den Spieler.

Als dieser zum dritten Male begann, ließ er erst eine zweite Stimme leise, ganz leise mitklingen. Sie wurde volltönender und eine dritte gesellte sich dazu. So spielte er das Lied einfach, aber in herzinnigem Vortrage und dreistimmig zu Ende. Der Capellmeister hatte den Oberkörper gerade aufgerichtet, stemmte die Hände auf die Kniee und machte ein Gesicht, als ob er seinen Ohren nicht traue.


Ende der neunzehnten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk