Lieferung 26

Karl May

22. Januar 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Werden Sie diesen Schritt nicht bedauern?«

»Ich bereue niemals einen Schritt, den ich mit vollster Ueberlegung gethan habe.«

»Nun, was haben Sie sich denn bei dem jetzigen überlegt, mein bester Herr?«

»Ob ich mir auf so einer Stelle eine Frau nehmen könne.«

Es lag in seiner Haltung, seinem Tone und in den Worten, welche er wählte, etwas Giftiges, Grimmiges. Sie merkte das sehr wohl. Sie fühlte es bei jedem Worte, welches er sprach, sehr leicht heraus; aber sie ließ sich nichts davon merken.

»Denken Sie schon daran, Familienvater zu werden?« lachte sie.

»Natürlich! Seid fruchtbar und mehret Euch und füllet die Erde!«

»Meinen Sie, daß Sie die Erde nun plötzlich ganz allein füllen sollen?«

»Allein? Das ist eine Unmöglichkeit, ein grenzenlos unnatürliches Verlangen.«

»So warten Sie noch. Aber, wollen Sie mit diesem Korb in das Dorf?«

»Vielleicht.«

»Ich kenne Sie und schätze Sie. Ein Mann von Ihren Talenten darf einige Schrullen haben. Aber die hiesigen Leute haben keine Ahnung von diesen Talenten und werden Sie einfach auslachen.«

»Das wird mich sehr glücklich machen.«

»Unsinn! Geben Sie der Alten ihren Korb, sobald der Wald zu Ende ist. Wenn Sie sich mit demselben vor den Leuten sehen lassen, werde ich kein Wort mit Ihnen sprechen.«

»Das würde mir mein Herz zerbrechen.«

»Also sorgen Sie, daß Ihr Herz ganz bleibt! Wo werden Sie wohnen?«

»In Hohenwald.«

Sie stampfte abermals mit dem Fuße.

»Himmeldonnerwetter! Kommen Sie mir nicht mit solchen Albernheiten! Sie können verständig sein, wenn Sie wollen. Hoffentlich wohnen Sie bei uns?«

»Das dürfte für mich zu gefährlich sein.«

»Halten Sie uns für Menschenfresser?«

»Nein, aber Sie für eine Herzensfresserin.«

»Das ist ein sehr zartes, sinniges Bild!« lachte sie. »Wir Dichter sind stets zart.«

»Und tragen Lesholz auf dem Rücken - ah, da kommt glücklicher Weise eine Erlösung!«

Ein Mann, der sehr ärmlich gekleidet war, kam des Weges daher.

»Setzen Sie ab!« gebot das Mädchen.

Dabei griff sie in den hinteren Korbhenkel und half dem Lehrer die Bänder loszumachen und den Korb auf die Erde zu setzen.


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»Hofmann,« gebot sie dem Manne, als dieser vorübergehen wollte, »trag diesen Korb da vor, wo die Feuerbalzern steht. Er gehört ihr.«

»Nein,« sagte der Lehrer, »tragen Sie ihr ihn bis in ihre Wohnung. Sie ist zu schwach für eine solche Last. Hier haben Sie ein Geld für Bier.«

Er gab ihm einen Fünfzigpfenniger, für diesen Arbeitsmann eine außerordentlich gute Bezahlung. Derselbe bedankte sich höflich und verschwand mit dem Korbe.

»So!« sagte sie jetzt. »Nun sieht man Sie doch wenigstens in voller Gestalt. Aber das alte Weib hätte sich das Holz auch selbst nach Hause tragen können.«

»Ich halte sie für brav!«

»Wenn es auf Sie ankommt, sind alle Menschen brav.«

»Sogar Sie?«

»Der Teufel mag Sie holen! Sie sind heut so viel anders als früher.«

»Ja, die Zeit bildet ihre Leute.«

»Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß unser heutiges Wiedersehen mich nicht so entzückt, wie ich es mir in Gedanken ausgemalt hatte.«

»So meinen Sie, daß ich heut nicht entzückend bin?«

»Welch ungeheure Einbildung, nur zu denken, daß Sie es überhaupt einmal sein könnten!«

Sie lehnte sich gemächlich an einen Baum, welcher am Wege stand, kreuzte die Arme über die Brust und musterte ihn vom Kopf bis zu den Füßen herab. Ein Weib, welches die Gewohnheit hat, die Arme über die Brust zu kreuzen, hat sicherlich einen selbstständigen Character und eine gute Portion Eigenwillen.

Er lehnte sich an den gegenüber stehenden Baum und hielt ihren Blick mit ruhigem Lächeln aus. Keine Miene verrieth, daß seine Gefühle keineswegs so ruhige seien.

»Eigentlich,« begann sie, »ist es ein glücklicher Zufall, daß wir uns treffen, ehe Sie das Dorf betreten. Wir können uns klar über unsere Stellung werden.«

»Bin es bereits,« sagte er kurz.

»Das kann ich von mir nicht sagen.«

»Bei mir versteht es sich ganz von selbst.«

»Wieso?«

»Nun, was meine Stellung betrifft, so bin ich Lehrer in Hohenwald. Das ist sehr einfach.«

»Sakkerment!« fluchte sie, mit dem Fuße stampfend. »Sie wissen recht gut, daß ich nicht das meine, sondern die Stellung, welche wir Zwei gegenseitig einzunehmen haben. Da müssen wir uns klar werden.«

»Natürlich!« nickte er. »Also bitte ich, mir Ihre Wünsche mitzutheilen.«

»Die sollen Sie hören.«


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Wieder schweifte ihr Blick an seiner Gestalt hernieder. Ihr Auge wurde warm und um ihre Lippen spielte ein befriedigtes Lächeln.

»Wissen Sie, daß Sie ein hübscher Kerl sind?«

»Wenn Sie es sagen, muß es wahr sein,« antwortete er kalt.

»Sie werden ein schöner Mann werden!«

»Auf solche Vorzüge bilde ich mir gar nichts ein.«

»Aber jedes Weib hat gern einen schönen Mann.«

»Und umgekehrt jeder Mann eine schöne Frau.«

»Was halten Sie in dieser Beziehung von mir?«

»Davon nachher. Sprechen Sie weiter.«

»Gut! Sie wissen, daß ich reich bin?«

»So leidlich.«

»Ich kann wählen, und zwar nach meinem Willen. Mein Vater wird mich nie zu einer Heirath zwingen.«

»Sehr verständig von dem Manne,« nickte er.

Sie warf ihm einen forschenden Blick zu. Der halb ironische Ton, in welchem er Alles sagte, behagte ihr ganz und gar nicht. Sie fuhr fort:

»Ich hatte mein Ideal. Nicht ob schwarz oder blond, alt oder jung, groß oder klein war bei mir die Frage, sondern mein Ideal war ein Dichter. Hübsch sollte er auch äußerlich sein. Damit war das Maß meiner Ansprüche voll.«

»Sehr bescheiden!«

»Ich kam nach Regensburg und hörte von Ihnen. Sie waren der Dirigent eines Gesangvereines, in welchem mein Onkel Mitglied war und -«

»Und ich hatte ein Bändchen Gedichte verbrochen!« fiel er ein.

»Ja. Das Bändchen wurde sofort angeschafft, und ich verliebte mich in den Dichter, ehe ich ihn noch gesehen hatte -«

»Per Courierzug also!«

»Bringen Sie keine so trivialen Bilder und Randglossen! Ich mag sie nicht leiden!«

»Gut! Ich hülle mich in lyrisches Schweigen.«

»Dann sah ich Sie während des Maskenfestes, und - ich war Ihnen sofort gut. Beim Scheiden machten wir ein Rendezvous aus und sahen uns noch einmal. Als wir uns trennten, theilte ich Ihnen mit, daß Sie mich finden würden, wenn Sie für länger als nur einen Tag nach Hohenwald kommen wollten. Jetzt sind Sie da -«

»Halleluja!«

»Donnerwetter! Wollen Sie schweigen!«

»Wenn Sie wünschen, ja.«

»Ich wünsche es sehr. Also weiter! Jetzt bin ich gewiß, daß Sie eine entscheidende Frage an mich richten werden, und ich will Ihnen die Antwort ertheilen, noch ehe Sie die Frage ausgesprochen haben. Sie gefallen mir. Ein Dichter ist mein Ideal. Aber einen Schulmeister heirathe ich nun und nimmermehr. So tief steige ich nicht herunter. Also dichten Sie! Sobald


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Sie einen Namen haben, legen Sie Ihre Stelle nieder und ich werde Ihre Frau. Deutlicher und bündiger kann ich doch nicht sein!«

»Nein. Wir können uns schon morgen heirathen.«

»Ah! Wieso?« frug sie befremdet.

»Ihre Bedingungen sind erfüllt. Ich trete die hiesige Stelle gar nicht an und ich dichte nur.«

»Sehr schön.«

»Und ich heiße Max Walther.«

Jetzt gab sie keine Antwort. Sie wußte nicht, was sie aus ihm machen solle. Er sprach so unbefangen, so überzeugt, daß sie sofort ja sagen werde.

»Hoffentlich verstehen Sie mich?« fragte er.

»Das Letztere doch nicht.«

»Eine Ihrer Bedingungen war, daß ich einen Namen haben solle. Ich habe Ihnen denselben genannt.«

So ruhig er bei diesen Worten war, sie wurde das directe Gegentheil. Sie ließ die Arme von der Brust herniederfallen, ballte die Fäuste, stampfte mit dem Fuße und rief zornig:

»Wollen Sie mich verhöhnen?«

»Verhöhnen?« fragte er erstaunt. »Wie kommen Sie zu dieser Frage?«

»In Folge Ihrer albernen Erklärung.«

»Albern? Ich muß da doch sehr bitten!«

»Ja, albern genug war sie. Ich meine, Sie sollen einen Namen als Dichter haben; das versteht sich ja ganz von selbst. Berühmt sollen Sie sein. Eher heirathe ich Sie nicht.«

»Ach so! Und Sie behaupten, mich zu lieben?«

»Ja.«

»Das ist höchst poetisch.«

»Aber auch klug. Ich bin Keine, die sich verschleudert.«

»Das merke ich.«

»Ich habe dies auch nicht nöthig, denn ich bin jung, schön, reich, gebildet, kurz Alles, was ein Mann nur wünschen kann. Und nun, was sagen Sie dazu?«

»Eigentlich habe ich nun gar nichts hinzuzufügen.«

»Ah!«

»Ja. Sie haben bereits Alles gesagt. Nur eine Kleinigkeit haben Sie vergessen.«

»Welche?«

»Ob ich Sie überhaupt auch mag.«

Das hatte sie freilich nicht erwartet. Sie stand ganz perplex vor ihm.

»Nicht - mag -« wiederholte sie.

»Freilich. Sie scheinen von der Voraussetzung auszugehen, daß ich ohne Sie in den ersten Teich springen werde und ohne Sie überhaupt nicht zu existiren vermag. Das ist nicht der Fall. Es fällt mir gar nicht ein, Sie


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zur Frau zu begehren. Sie meinen, sich mit einem Schulmeister wegzuwerfen. O nein, Fräulein, Sie sind gar keinen Schulmeister werth.«

Auch das sagte er in einer ruhigen, anheimelnden Freundlichkeit, als ob er ihr die größten Schmeicheleien sage. Dies machte sie irre. Darum sagte sie:

»Sie treiben Ihre Scherze zu colossal!«

»Scherz? Pah! Ich sehe ein, daß ich mich Ihnen erklären muß.«

»Ja, ich bitte sehr darum!« sagte sie spitzig.

»So erlauben Sie, daß ich mich in derselben Reihenfolge halte wie Sie. Also zunächst, ich habe niemals ein Ideal gehabt, weder als Junge, noch als Säugling, wo doch ein fetter Zulp das größte Ideal ist, nach welchem man mit allen Fingern strebt. Ich habe auch nie gedacht, daß ich heirathen müsse, werde oder wolle. Ich habe das sehr einfach dem lieben Herrgott anheim gestellt. Da sah ich Sie -«

»Ah, jetzt!« meinte sie, sich fest an den Baum lehnend.

»Ja, ich sah Sie, und ich gestehe, daß Sie als Türkin wunderschön waren, entzückend sogar. Die Kleidung, welche mehr zeigte, als sie verhüllte, war mit raffinirtem Geschmack gefertigt. Ihre vollen Formen, das blendende Weiß Ihres Teints, die prächtigen Augen, die berauschenden Lippen, das - das Alles nahm meine Sinne gefangen. Ich kam mit Ihnen zu sprechen. Nun, für ein Dorfmädchen haben Sie mehr als genug gelernt. Was Sie wußten, das befriedigte mich, und wie Sie es vorbrachten, das war so naiv-offen, so traulich, so - so - eben auch so verdammt raffinirt, daß ich an der Leimruthe hängen blieb. Ich liebte Sie wirklich und von ganzem Herzen. Nach dem Scheiden schwärmte ich für Sie und dichtete auf Sie Lieder, wie ich sie so schön vielleicht in meinem Leben nicht wieder dichten werde. Es zog mich zu Ihnen. Ich hörte, daß der hiesige Lehrer abgehe, und meldete mich. Meine Vorgesetzten hielten mich für geistesgestört. Ich habe mehr gelernt als ein gewöhnlicher Volksschullehrer, und eine Carrière lag vor mir. Da bat ich um die Strafstelle. Von allen Seiten rieth man mir ab - vergeblich! Ich liebte Sie und ging.«

»Ah!« holte sie tief Athem.

»Jetzt nun treffe ich Sie und bin -«

Er hielt inne.

»Was denn? Was sind Sie?« fragte sie dringend.

»Enttäuscht, vollständig enttäuscht.«

»Ah!«

»Ja, ich habe das Gefühl, wie Einer, der im Dampfbade sitzt und ganz unerwartet und plötzlich mit eiskaltem Wasser übergossen wird. Er schreit ganz gewiß »Au au« und nimmt Reißaus.«

»Sie wählen wieder die trivialsten Bilder!«

»Von Ihnen angeregt. Ich habe bemerkt, daß man sich bei Ihnen keine Mühe, zart zu sein, zu geben braucht. Zunächst erscheinen Sie mir in einer Kleidung, welche nur eine Coquette anlegen wird -«

»Donnerwetter!«


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»Dieser Prassel mit Ihren Silbermünzen ist einfach ungezogen und beleidigend. Wenn Sie reich sind, so seien Sie es meintwegen, aber hängen Sie das liebe Geld nicht an Ihrer werthen Person so auffällig auf die Bleiche! Sodann war Ihr erstes Wort eine Grobheit. Sie fluchen wie ein Landsknecht. Sie zeigten gegen die arme Frau, deren Korb ich trug, kein Herz - kurz, ich bin überzeugt, daß Sie ein gefühlloses, rohes, raffinirtes, eingebildetes, stolzes und - liebeslüsternes Frauenzimmer sind. Ich bin geheilt. Holen Sie sich einen anderen Dichter! Ich werde Schulmeister von Hohenwald sein, aber als Frau möchte ich Sie nicht, selbst dann nicht, wenn Sie mir mit aller Gewalt auf den Buckel sprängen.«

Er hatte zuletzt seine Stimme erhoben. Sie stand ihm gegenüber und vermochte seine Worte gar nicht zu fassen. Nur mit Anstrengung stieß sie hervor:

»Ist das etwa Comödie?«

»Nein.«

»So sind Sie verrückt, verrückt im höchsten Grade!«

»Meinen Sie?«

»Ja. Nur ein Verrückter vermag es, einer Dame solche maßlose Grobheiten zu sagen.«

»Sie sind keine Dame, sondern eine Bauerndirne, und Ihre grenzenlose Gefühllosigkeit kann nicht anders als mit ebensolchen Grobheiten ärztlich behandelt werden. Adieu!«

Er wendete sich zum Gehen. Da that sie einen Sprung auf ihn zu, faßte ihn beim Arme und rief:

»Fort wollen Sie?«

»Ja.«

»Und was Sie sagten, war ernst gemeint, wirklich ernst?«

»Im höchsten Grade ernst.«

»Ah! Das haben Sie wirklich gewagt, wirklich? Sie haben gar keine Ahnung, wer, was und wie ich bin. Sie wissen nicht, was ich vermag! Ich will noch nachsichtig sein. Ich will Ihnen die Wahl stellen.«

»So? Welche Wahl?«

»Zwischen meiner Liebe und meiner Rache.«

»Pah!«

»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich Sie liebe. Noch größer aber würde meine Rache sein.«

»Die Wahl kann mir nicht schwer fallen. Nur Ihre Liebe fürchte ich; sie könnte mich unglücklich machen. Ihre Rache aber kann mir gar nichts anhaben. Darum wähle ich sie; ich fürchte sie nicht.«

Sie ließ seinen Arm los und trat einen Schritt zurück. Die Lippen fest zusammengepreßt, betrachtete sie ihn mit glühendem Blicke.

»Rache, Rache wollen Sie?« stieß sie hervor.

»Ja. Adieu!«


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Er drehte sich um. Da eilte sie ihm nach, schlang die Arme um ihn und bat:

»Max, Max, nimm die Liebe, sonst verderbe ich Dich! Nimm sie, nimm die Liebe!«

»Fort! Ein Weib, welches von Rache nur sprechen kann, ist keiner Liebe werth.«

Er schob sie von sich.

Sie stand da, die Hände niedergesunken, und sah ihn davongehen und um eine Biegung des Weges verschwinden. So stand sie eine ganze, ganze Weile noch. Dann ballte sie die Hand und drohte ihm nach:

»Also Rache will er, Rache! Er soll sie haben, voll und ganz! Ich verderbe ihn! Ich -«

Als hätte sie plötzlich einen Stich in das Herz bekommen, so fuhr sie schnell mit beiden Händen nach der Brust. Sie fest an den hoch wallenden Busen drückend, fuhr sie fort:

»Und doch liebe ich ihn, unendlich, heiß und innig. Das fühle ich erst jetzt. Ich hab es gar nicht gewußt. Erst jetzt kommt es mit Allgewalt, da er sagt, daß er mich verachtet, und ich ihn deshalb verderben will und verderben muß!«

Sie schrak zusammen. Eine Hand hatte sich auf ihre Achsel gelegt. Sie drehte sich um. Die Feuerbalzerin stand vor ihr.

»Was willst Du hier!« rief sie sie an.

»Ihn schützen!« antwortete die Gefragte.

»Wen?«

»Den Schulmeistern, dent verderben willst.«

Martha nahm ihre ganze Selbstbeherrschung zusammen, um ruhig zu erscheinen.

»Verderben? Was faselst da?« fragte sie, nun auch in den bäuerlichen Dialect fallend.

»Willsts etwan leugnen?«

Die Augen der Alten waren mit scharfen, haßerfüllten Blicken auf das Mädchen gerichtet.

»Leugnen? Fallt mir gar nimmer ein. Ich hab nix zu leugnen und nix einzugestehen. Ich weiß von gar nix gar nix.«

»Oho! Meinst, daß ich dumm bin?«

»Aberst ich weiß halt gar nicht, wast willst!

»Ich hab Dirs gesagt: Ihn schützen will ich. Er hat mit mir sprochen, mit der Verachteten, mir die Hand geben, mir Geld schenkt, ist mit mir gelaufen und hat mir sogar den Korb tragen. Ja, er hätt ihn ganz durchs Dorf tragen, wannt ihm nicht in den Weg treten wärst. Das Alles, Alles hat er than, und nun werd ich ihn schützen.«

»Vor wem denn?«

»Vor Dir.«

»Was fallt Dir ein?«


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»Du bist die Teufelin, vor der er sich in Acht nehmen soll. Aberst wannt sein Teufel sein willst, so werd ich sein Engel sein. Wannt um ihn schleichst, so werd ich wachen am Tag und in dera Nacht, um ihn zu beschützen.«

»Bist verruckt!«

»Gar nicht. Heut, als mirs zu viel worden ist, was Dein Vatern für Jammer über uns bracht hat, da hab ich mein Leben all machen und in den Teich gehen wollen. Der Lehrer aber hat mir meinen Muth zurückbracht, und mit diesem Muth werd ich Dir entgegentreten und mit Dir kämpfen. Ihn sollt Ihr mir nicht vergiften, wie Ihr das ganze Dorf vergiftet habt!«

»Alte, Du bist wirklich wahnsinnig! Ich habe ja gar keine Ahnung, weshalb ich diesem fremden Menschen Böses thun soll!«

»Fremd? Und hast doch in Regensburg mit ihm sprochen!«

»Alle Teufel!« fuhr sie auf.

»Und ihn hierher bestellt!«

»Woher weißt das?«

»Und willst ihn heirathen, wann er ein berühmter Dichtern worden ist!«

»Bist etwan allwissend?«

»Er aber mag Dich nicht. Er will lieber Deine Rache als Deine Liebe. O, jetzund giebts endlich mal Einen, der den Muth hat und die richtige Schneid, es mit dem Silberbauernvolk aufzunehmen. Er hat die Silbermartha nicht wollt! Oh, oh! Wann das die Leutln derfahrn, wann sie's derfahrn!«

Martha stand ganz bewegungslos vor der Alten.

»Hast etwan gehorcht?« brachte sie hervor.

»Sollt ich nicht?« höhnte die Alte.

»Wer hat Dirs geheißen?

»Ihr alle Beid nicht. Aberst mein Herz hat mir sagt, daß er sich in Gefahr befindet. Als ich sehen hab, daßt ihn kennst; nachhero ists mir auch gleich sofort angst um ihn worden, denn wer mit Euch zusammenkommt, dem sagt das Unglück guten Tag. Alst mich dann fortjagt hast, hab ich than, als ob ich geh; aberst ich hab mich heimlich zurückschlichen und hinter die Bäumen steckt. Ihr habt nicht dacht, daß Jemand da sein könnt, und immer nur laut sprochen. So hab ich Alles hört. Und sodann, als er fort war, hast auch Du noch laut sagt, daß alleweil grad jetzt erst die richtige Lieb über Dich kommen sei. Ah, oh, hats Dich endlich auch mal packt? Dir ists schon recht. Jetzt weißt auch, wies Einer zu Muth ist, die Einen gern haben möcht und er mag sie nicht!«

»Willst schweigen!«

"Schweigen? Nein!"

»Schweigen? Nein! Reden werd ich, reden! Verzählen werd ich es, damit alle Welt es derfährt, daß ein armer Dorfschulmeistern die reiche Silbermartha nicht mocht hat, und sie hat ihm doch gute Worten geben!«

»Wannst ein einzig Wort sagst, nachhero wirst sehen, was ich thu!« drohte das Mädchen.

»Wast thust? Nix, gar nix! Mehr kannst nun gar nimmer thun, als was Ihr allbereits schon than habt an uns. Und nachhero, wann mir ja


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was geschehen ist, so werden alle Leut gleich wissen, daß Du es gewest bist, denn ich werds Allen verzählen, daßt mir droht hast. Ich fürcht mich nicht vor Dir. Ich hab mich gefürchtet vor Euch bis auf den heutigen Tag. Aberst er ist mein guter Engel gewest und hat mich nicht verachtet. Um seinetwegen thät ich mit Bären kämpfen und mit Tigern und Löwen, warum nicht auch mit Euch! Wann Ihr ihm was Leids anthut, so komm ich und zerreiß Euch Alle mit denen beiden Händen, diet hier schaust!«

Sie krümmte die Hände wie Krallen und hielt sie vor das Gesicht. Die brave Alte hatte in diesem Augenblicke ganz das abschreckende Aussehen einer Harpye, welche bereit ist, sich auf ihr Opfer zu stürzen und demselben das Blut auszusaugen. Selbst die gefühllose Tochter des Silberbauern, die sich noch nie vor einem Menschen gefürchtet hatte, fühlte ein tiefes Grauen, eine plötzliche Angst vor ihr.

»Ich thu ihm ja nix!« versicherte sie. »Das machst mir nicht weiß! Dir glaub ich nix, kein einzig Wörtle nicht.«

»Ich kanns beschwören!«

»Auch das gilt nix. Ihr in Eurer Familie schwört das Blaue vom Himmeln und das Feuer aus dera Höllen, ohne daßt Ihr Euch ein Gewissen daraus macht. Ich weiß, was ich weiß, und nun kannst mich nicht mehr irre leiten.«

»So schweig doch! Es war nicht so gemeint.«

»Ich schweig nicht, sicherlich nicht!«

»Aber, Balzerbäuerin, was sollen die Leut von mir denken, wanns hören, daß ich ihm gute Wort geben hab, und er hat mich dennerst nicht wollt!«

»Daß er ein gescheidter Kerlen ist, werdns denken, und daßt mal an den Richtigen kommen bist und Dich nun vor aller Welt schämen mußt. Warum nennst mich jetzt aufmal die Balzerbäuerin, he? Warum sagst nicht Feuerbalzern wie sonsten? Jetzt hast Angst vor mir und kannst nun höflich sein!«

»So schrei doch wenigstens nicht gar so sehr.«

»Schreien? Ich wollt, ich hätt eine Stimmen wie eine Kanonen, so wollt ichs hinauspuffern in alle Welt, was ich hört und sehen hab. Im schönsten und größten Gut haben wir wohnt, und bezahlt wars und schuldenfrei. Jetzt herbergern wir in dera Flachsrösterei wie die Ratten in dera Gossen. Geh hin zu uns, und schau Dir meinen Sohn an und sein Weib! Der Hungern ist unser Koch, die Krankheit unser Vergnügen und der Wahnsinn unser Pläsir. Wer hat das verschuldet? Das Feuern und Dein Vatern, diese beid haben uns aufgefressen.«

»Ists gar so arg mit Euch?«

Sie versuchte, ihrer Stimme einen theilnehmenden, mitleidigen Ton zu geben.

»Meinst etwan, daß das geselchte Rauchfleischen bei uns zur Thüren


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hereinispaziert kommt? Heut hab ich nix gessen am ganzen Tag als Schwammpilzen draußen im Wald, ganz so, wie sie auf der Erden stehn, ohne Schmalz und Peterumsilium. Grad so fressens auch die Wurmern an. Zu Haus liegen die beiden Andern und warten auf mich, daß ich ihnen die paar Schwammerln bring, welche ich hier in der Schürzen hab. Das ist unser Frühstücken, unser Mittag- und unser Abendessen. Nachhero können wir uns den Magen zubinden, damit der Hungern nicht herauskann und die Trübsalen nicht hinein. Der neue Lehrern aberst hat mir zwei blanke Thalern geben, um der kranken Schwiegertochtern eine Suppen zu machen. Das werd ich ihm danken all mein Leben lang. Was wird der arme Schulmeistern für ein Geld übrig haben! Gar keins! Er brauchts für sich selbsten, und dennerst hat er mirs mit Freuden schenkt und sogar noch richtig aufizwungen, als ich es trotz meines Hungern nicht hab nehmen wollen. Das hat der liebe Herrgott sehen, und der wirds ihm vergelten hier und dann auch in dera Ewigkeiten!«

»Nun, was der kann, das können wir auch. Willst was haben etwan?«

Sie griff in die Tasche.

»Von Dir?« fragte die Alte, mehrere Schritte zurücktretend.

»Ja, ich gebs Dir.«

»Keinen Pfennig mag ich, keinen einzigen!«

»So nimms aber doch!«

Sie nahm eine Mark heraus und hielt sie ihr hin. Die Alte streckte beide Hände abwehrend dagegen aus und rief im Tone des Abscheus:

»Der Herrgott mag mich behüten, daß ich von Euch ein Geld annehm! Lieberst verhunger ich mit Freuden, als daß ich so was anrühren thät.«

»Oder ists nicht genug, eine Mark?«

»Tausend sind nicht genug gegen das, was Dein Vatern uns abgenommen hat!«

»So geb ich Dir mehr als eine. Hier, hast drei!«

»Nein, nein, und wanns mein Leben kosten thät!«

»Ich wills Dir ja gar nicht schenken, wannst zu stolz bist, ein Almosen zu nehmen.«

»Was sonst?«

»Du sollst mir einen Gefallen thun; dafür geb ich Dir sogleich fünf Mark.«

»Welchen Gefallen?«

»Du sollst Niemand sagen, wast hier hört hast.«

»Aller Welt werd ichs sagen!«

»So geb ich Dir zehn Mark.«

»Nein, nein!«

»Oder zwanzig? Sag, wie viel Du willst!«

»Ich verkaufs um keinen Preis.«

»Schau, ich will hier die Thalern von meinem Hut herabmachen und Dir geben, wannst still bist!«

»Behalt Dein Geld!«


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Sie wendete sich zum Gehen. Martha bekam Angst. Sie wollte um keinen Preis einem Menschen wissen lassen, was zwischen ihr und dem Lehrer vorgegangen war. Darum ging sie der Alten nach, hielt sie am Arm zurück und sagte:

»Schau Dir hier diese Halsketten an. Sie ist werth an die hundert Thalern. Ich geb sie Dir augenblicklich und werd sie morgen einlösen, wannst mir diesen Gefallen thust.«

Die Bäuerin schüttelte den Kopf und versuchte, sich von der Hand des Mädchens zu befreien.

»Denk - hundert Thalern!«

»Nein!«

»In Eurer Armuth ists ein Vermögen!«

»Ich mags aberst nicht!«

»Ihr könnt nun essen und trinken und Euch auch Kleider kaufen!«

»Lieber nackt verhungern als Geld nehmen von Dir!«

Es war viel, sehr viel von der Frau, daß sie trotz ihrer Noth diese Summe von sich wies.

»Thu es doch! Thu es!« drängte Martha. »Nein! Fallt mir nicht ein!«

»Schau, ich bitt Dich darum!«

Sie faltete beide Hände zusammen und stand mit gesenktem Kopfe vor der Alten. Was kein Geld vermocht hatte, selbst die Summe von hundert Thalern nicht, das vermochte dieses Wort.

»Was?« fragte die Bäuerin. »Du bittst mich?«

»Ja.«

»Du, die Silbermartha, die Feuerbalzern?«

»Ja, Du siehsts ja! Ich weiß nicht, was ich machen thät, wann ich die Schand derleben müßt, daß die Leut derfahren, er hat mich nicht haben mögen.«

Die Alte kämpfte mit sich selbst. Der Haß, die Rachsucht stritten wider ihr gutes Gemüth.

»Laß Dich doch derbitten, Balzerbäuerin!« flehte das Mädchen.

Das gute Herz siegte über den Haß. Die Alte sagte:

»Nun gut, ich kann mal keiner Bitt nix abschlagen. Ein guts Wort findet eine gute Statt. Aberst für immer und ewig gelob ich kein Schweigen. Ich werd dem Lehrern sagen, daß ich Alles derlauscht hab, und ich werd ihn nachher auch fragen, ob ich still sein soll oder davon reden darf. Nach dem seinigen Willen werd ich dann handeln.«

»Mein Gott! Was wird er sagen!«

»Ich weiß es allbereits.«

»Was?«

»Daß ich schweigen soll.«

»Meinst wirklich?«


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»Ja. Er hat ein gutes Herz, grad so wie ich, und er ist auch viel zu stolz, als daß er sich meines Mundes bedienen sollt, Dich zu blamiren.«

»Aberst er war hier gegen mich hartherzig!«

»Hartherzig? Was fallt Dir ein! Hat er nicht von einer Arzneien sprochen? Seine graden Worten sollten eine Arzneien gegen den Deinigen Hochmuthen sein. Er hat glaubt, Dich damit treffen und bessern zu können, sonst wärs ihm gar nimmer einifallen, in dieser Art und Weisen mit Dir zu reden. Also mein Versprechen hast.«

»Und wirst mir sagen, was er Dir befohlen hat?«

»Ja, wann ich Dich treff.«

»So seh ich, daßt nicht so schlecht bist, wie ich dacht hab.«

»Schlecht? Ich? Mein lieber Himmeln, ich und schlecht! Grad das Gegentheil ist der Fall.«

»So wirst nun aberst auch ein Geld von mir annehmen, wann ichs Dir jetzt abermals anbieten thu!«

»Nein. Da hilft Dir keine Bitt etwas. Aberst ich will Dir was geben, was mehr ist als alles Geld. Du bist nicht schuld an Deinem Vatern und Deinem Brudern. Du bist wohl noch die Best von Euch dreien. Wannt besser erzogen wärst, so könntst ein ganz ander Dirndl sein. Der Schulmeistern wird wohl ganz das selbige auch dacht haben. Er hats gut gemeint mit seiner Grobheiten. Er hat Dich sehr lieb gehabt, und vielleicht hat er Dich auch heut noch lieb. Nimm Dir seine Worten zu Herzen! Du kannst noch so glücklich werden, wie das Geld gar nimmer machen kann; aberst den Hochmuth mußt lassen, und fluchen und wettern darfst nicht, sondern recht fein sanft mußt sein und gut. Das kommt Dich jetzund schlimm an, und Dir wirst denken, daßt das gar nimmer fertig bringst. Aberst wannst nur einmal Dich überwunden hast und einem einzigen Menschenkind eine rechte Lieb erwiesen, so wirst gleich empfinden, wie glücklich das im Herzen macht. Wer einen Sonnenschein hervorbracht hat im Gesicht eines Andern, der hat auch sogleich Sonnenschein in seinem Herzen und mag nachhero ohne diesen Sonnenschein gar nimmer leben. Ich bin im Unglück alt worden und habs derfahren. Schau, Du bist meine Feindin; aberst ich hab Dir jetzund eine Bitt erfüllt, und nun fühl ich keinen Hungern mehr, und es ist mir, als hätt der heilge Christ mir eine große Freuden gebracht. Versuchs auch so, nachhero wird eine große Freuden auch sein über Dich im Himmel und auf Erden. Es ist nicht gut, wann ein Kind keine Muttern hat; drum kann ich Dir viel verzeihen. Behüt Dich Gott, Martha; sei brav, sei brav!«

War es wahr - war es wirklich geschehen? Die Alte hatte die Hand des Mädchens ergriffen und dieselbe mit Wärme gedrückt!

Martha blickte ihr nach, bis sie verschwunden war. Dann preßte sie die Hände auf die Brust.

»Martha, sei brav, sei brav!« wiederholte sie, diese Worte vor sich hinflüsternd.

Sie betrachtete ihre Hand, welche soeben in derjenigen ihrer ärgsten


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Feindin gelegen hatte. An der Hand war nichts zu sehen, nicht die mindeste Spur dieser Berührung, aber von den Spitzen der Finger und durch den Arm und bis ins Herz hinab ging es wie ein warmer, wohlthuender Strom, der sich auch über den ganzen übrigen Körper verbreitete.

»Er hat Dich sehr lieb gehabt, und vielleicht hat er Dich auch heut noch lieb!«

So hatte sie gesagt. War das möglich? Konnte ein Bursche das Mädchen noch lieben, zu welchem er so harte, so schlimme Worte gesprochen hatte? Es fluthete heiß in ihr empor. Woher sie kamen, das schöne Mädchen wußte es nicht, aber im Augenblicke standen ihre Augen voller Thränen, welche über die Wangen herabliefen, um noch andern, vielen andern Platz zu machen.

Es war ihr, als ob sie niederknieen und Gott bitten müsse, so wie jetzt auch ferner in ihr fort zu walten. Sie that es aber nicht, sondern sie kehrte zurück zu dem Baume, an welchem der Geliebte gelehnt hatte, und schlang die Arme um ihn. Als sie den wogenden Busen an den Stamm schmiegte, war es ihr, als ob sie ihn, ihn, ihn umarme. Die Thränen rannen fort, aber eine selige Ruhe fand sich im Herzen ein.

»Max, o Max!« flüsterte sie. »Behalt mich lieb! Ich will anders werden, viel, viel besser, und nicht an Haß und Rache denken. Vergieb mir auch, denn ich hab - - - ja keine Mutter mehr!« - - -

Der, an welchen sie so innig dachte, war von ihr weg nach dem Dorf gegangen. Bald sah er das Wirthshaus vor sich liegen; weiter oben lag die Kirche und also wohl auch das Pfarrhaus. Um nach dem Letzteren zu gelangen, mußte er an dem Ersteren vorüber. Er hörte bereits von Weitem, daß man Kegeln schob.

Der offene Kegelschub zog sich dicht am Wege hin. Walther schritt langsam auf denselben zu. Im Vorbeischreiten warf er einen Blick hin auf die Bänke. Dort saßen und standen vielleicht zehn Männer, mit dem Kegelspiel beschäftigt - der Silberfritz unter ihnen. Dieser Letztere hatte kaum den Lehrer erblickt, so sprang er auf und rief mit lauter Stimme:

»Das ist er, Vatern, das ist der Kerlen!«

»Wo?« fragte eine tiefe Stimme.

»Der da vorbeigeht.«

»Der Dich anfallen hat im Wald?«

»Freilich.«

»So wollen wir gleich schnell die Polizeien machen. Kommt Alle, kommt! Den halten wir fest!«

Im nächsten Augenblicke sah Walther sich von den Leuten umringt. Der Silberbauer war sofort an dem überreichen, prahlenden Silberschmuck seines Anzuges zu erkennen. Seine grobe, vierschrötige Gestalt, sein hartes Gesicht mit den kleinen, hinterlistigen Augen machten keinen guten Eindruck. Er erfaßte den Lehrer beim Arme.

»Halt, Bursch!« schnauzte er ihn an. »Hier wird nicht vorübergelaufen!«


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»Warum nicht?« fragte Walther ruhig.

»Weilt verarretirt bist.«

»Von wem?«

»Von mir!«

»Ach so! Wer sind Sie denn?«

»Der Silberbauer und die oberste Polizei hier in diesem Ort. Wo willst hin?«

»Zunächst muß ich fragen, weshalb Sie mich arretiren wollen!«

»Das fragst auch noch, Kerl!«

»Natürlich habe ich das Recht zu dieser Frage. Uebrigens bitte ich um die nöthige Höflichkeit. Ich nenne jeden der anwesenden Herren Sie und muß dasselbe auch für mich verlangen!«

»Wie wir Dich nennen werden, ob kurz oder lang, ob buckelig oder lahm, das wirst bald sehen. Zunächst wirst eingesteckt, damit wir erst das Kegelspiel beenden. Nachhero werd ich Dich vernehmen. Da kommt auch der Wächtern gleich gelaufen, als ob er gerufen wär!«

Der Betreffende war ein langer, dürrer Kerl, gewöhnlich gekleidet. Nur eine alte Soldatenmütze ließ errathen, welch ein wichtiges Amt er in der Gemeinde begleitete. Er kam im Trab gelaufen, sprang über die Kegelbahn herüber, verschnaufte einen Augenblick, begrüßte den Silberbauer, indem Hand an die Mütze lehnte und meldete:

»Er ist da!«

»Wer?«

»Der neue Lehrern.«

»Wo denn? Kommt er schon auf dera Straßen?«

»Nein, da nicht. Er steckt halt im Wald.«

»Im Wald? Da hindurch geht ja gar nicht der Weg von dera Stadt herüber. Bist denn Du etwan draußen im Wald gewest?«

»Nein, ich nicht, aberst das Liesbetherl.«

»Meinst dem Finkenheiner die seinige?«

»Ja. Die hat den neuen Lehrern troffen und auch mit ihm sprochen.«

»Alle Donnerwettern! Da stell ich Dich auf die Straßen zum Aufipassen, und da lauft dera Huckibuschi grad durch den Wald. So ist er am End grad alleweil schon vorübergangen und sitzt nun bereits beim Pfarrer und macht bei ihm Kuschi. Das kann mir auch gefallen! Mußt also gleich mal hingehen und anfragen, ob er dort ist. Wannt ihn findst, so bringst ihn gleich mit hierher.«

»Gleich mitbringen? Wird sich das machen lassen?«

»Warum etwan nicht?«

»Wann er nicht will.«

»Nicht wollen? Dera Schulmeistern? Bist gescheidt oder nicht! Ich bin dera Schultheiß, und er ist mein Untergebener. Er hat mir zu gehorchen. Mit einem Schulmeistern wird gar kein großer Summs gemacht. Du sagst ihm, daß ich ihm befehl, mit zu kommen.«


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»Aberst wann er dennerst nicht mitgeht?«

»So verarretirst ihn sofort.«

Der Wächter machte ein sehr verlegenes Gesicht.

»Nun; was machst da für eine Visagen, als hätts Dir die Kindtaufen verregnet?«

»Weil ich an was denken thu.«

»An was denn?«

»Daß er sich nicht verarretiren lassen wird.«

»Was fallt Dir ein! Bist etwan nicht die Polizei?«

»Das wohl. Aberst ob er gehorchen wird!«

»Er muß. Weißt, das wär ja Widerstand gegen die Staatsgewalt, und ich thät ihn sogleich einisperren lassen.«

»Und wann er auch da nicht mit macht? Wann er sich nicht ins Loch sperren laßt?«

»Willst etwan gleich eine Maulschellen haben, Du Dummkopf Du?«

»Ja, wann ich mich an ihm vergreifen thu und er verappellerirt mich ans Gericht, so wirds schlimm. Am End komm ich da gar gleich vom Dienst.«

»Oho! Ich bin der Schultheißen, und ich thu, was mir beliebt. Das Gericht geht mich halt gar nix an. Aus dem Gericht mach ich mir keinen Pfifferling. Ich führ das ganze Gericht mit sammt dem Amtmann an dera Nasen herum. Dazu bin ich der Mann, denn ich bin der Silberbauern. Verstanden! Also Du sagst dem Lehrern, daß ich ihm befehl, herbei zu kommen. Wir schieben Kegel, und er muß mitthun. Wann er nicht will, so bringst ihn als Verarrestirten mit Gewalt herbei. Und jetzund zunächst nimmst diesen Kerlen hier gleich mit und steckst ihn eini. Er ist anklagt wegen Raubüberfall und Verletzung des Körpers. Wann ich morgen oder übermorgen Zeit hab, werd ich ihn ins Verhör nehmen und dann dem Gericht überliefern. Er hat meinen Sohn vermorden wollen, der Hallunkenschuft. Da steht er.«

Der Lehrer hatte bis jetzt so hinter einigen der Bauern gestanden, daß der Wächter ihn nicht hatte sehen können. Jetzt traten die Betreffenden zur Seite. Der Blick des Wächters fiel auf Walthern. Er betrachtete ihn und sagte dann:

»Heiliges Pech! Der soll ein Mordanstifter sein!«

»Ja, mich hat er dermorden wollen,« antwortete der Silberfritz.

»Ists möglich!«

»Wann ich es sag, wirsts halt glauben müssen!«

»Und doch glaub ichs nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil er der neue Lehrern ist. Nun brauch ich ihn auch nicht vom Pfarrern herbei zu holen.«

Sie erstaunten Alle. Nur der Silberbauer sagte:

»Wie kannst den neuen Lehrern kennen! Du hast ihn ja noch niemals bereits sehen konnt.«


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»Das ist freilich wahr; aberst das Liesbetherl hat ihn gesehen und ihn mir ganz genau beschrieben. Einen Anzug wie in dera Stadt, ein Hüterl auf dem Kopf, ein Tascherl an dera Seiten, ein Spazierstöckerl und dunkle Haaren. Sagt mal selberst, ob das nicht ganz genau stimmen thut!«

Ja, stimmen thäts schon,« meinte Claus, »und im Wald ist er auch gewest. Wollen schauen.«

Er wendete sich an den Lehrer.

»Wie heißt denn eigentlich?«

»Max Walther,« antwortete der Gefragte gelassen.

»Wo bist her?«

»Ich komme aus Regensburg.«

»Das ist freilich das Richtige. Das stimmt mit denen Nachrichten, welche ich erhalten hab. So bist also wirklich dera neue Lehrern?«

»Ja.«

Da lachte der Silberbauer laut auf und rief:

»Na, da werden sich halt die Schulbuben gefreuen! Seit der Vorige fort ist, hats keine Schulen geben, und nun werden gar schon wiederum neue Ferien beginnen!«

»Das möchte ich bezweifeln,« bemerkte Walther. »Von einer längeren Dauer der Vacanz ist keine Rede. Ich beabsichtige vielmehr, bereits morgen früh den Unterricht zu beginnen, und ersuche Sie, dies durch den Gemeindediener noch heut den betreffenden Eltern zu wissen zu geben.«

»So!« höhnte der Bauer. »Schule halten willst?«

»Natürlich!«

»Das wirst wohl bleiben lassen!«

»Warum?«

»Meinst, daß wir einen Mördern zum Schulmeistern haben wollen? So dumm sind wir halt nimmer!«

»Einen Mörder? Was fällt Ihnen ein?«

»Nein, sondern was fallt Dir ein! Du hast meinen Sohn derschlagen wollen und bist mein Gefangener. Aberst ein Gefangener ist noch niemals dazu kommen, Schulen zu halten.«

Da trat Walther einen Schritt näher an ihn heran und sagte in ernstem Tone:

»Herr Claus, ich - - -«

»Schweig!« donnerte ihn der Bauer an. »Herr Silberbauern hast zu sagen, aber nicht Herr Claus! Verstanden!«

»Ich nenne Sie zunächst Claus, denn das ist Ihr Name. Sie nennen mich Du, trotzdem ich Ihnen dies bereits untersagt habe. Wenn Sie, als Vorstand dieser Gemeinde die nöthige Höflichkeit unterlassen, so müssen Sie gewärtig sein, daß man Ihnen mit ganz demselben Maße mißt. Sie dürfen nicht denken, daß ich mich von Ihnen dominiren lasse. Zwar bin ich jünger als Sie, sonst aber glaube ich ganz der Mann zu sein, der gar keine Veranlassung hat, sich vor Ihnen zu fürchten oder es zu dulden, daß Sie ihn


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wie einen dummen Jungen anschnautzen. Dazu sind Sie mir denn doch nicht gescheidt genug. Verstanden?«

Das war dem Bauer noch nicht passirt. So hatte noch nie ein Mensch mit ihm gesprochen.

»Wie - - was - -!« stieß er hervor.

Die Umstehenden waren ganz erschrocken. Sie selbst hätten nie gewagt, dem reichsten Manne des Dorfes solche Worte zu sagen, und da kam dieser fremde, junge Mensch und antwortete ihm in solcher Weise.

»Ja, so hab ichs gemeint,« antwortete Walther. »Ich habe schweigend zugehört, als Sie sich in selbstsüchtigen Reden ergingen; jetzt aber ist die Reihe, zu sprechen, an mich gekommen. Und ich werde sprechen!«

»Schweig, Lausbub!«

Diese beiden Worte stieß er donnernd hervor und hob dabei die Hand wie zum Schlage.

Walther wich trotz dieser drohenden Haltung seines Gegners keinen Schritt zurück. Er sagte:

»Diesen Schimpf werde ich nicht auf mir sitzen lassen!«

»So! Was willst thun?«

»Ich werde Sie anzeigen.«

»Was! Mich, den Vorsteher!«

»Ja. Denken Sie ja nicht, daß Sie mein Vorgesetzter sind. Sie haben mir gar nichts zu befehlen.«

»Was! Das sagst mir? Du, der Arrestant!«

»Ich bin nicht arretirt. Von einem Manne, wie Sie sind, lasse ich mich keineswegs arretiren. Ich habe keinen Mordversuch begangen. Ich kam im Walde dazu, als Ihr Sohn die Liesbeth anfiel und vergewaltigen wollte, und habe sie in meinen Schutz genommen. Dabei hat er freilich gewaltige Prügel erhalten, und ich sage in aller Offenheit, daß er deren noch viel mehr bekommen kann, wenn er sich wieder bei einer solchen That von mir erwischen läßt. Er ists, welcher bestraft werden muß; und wenn es mir in den Sinn kommt, so mache ich zu den Prügeln, die er gekostet hat, auch noch Anzeige beim Gericht. Und wenn sein Vater mich weiter beleidigt, so werde ich mich zu schützen wissen. Zeugen sind genug vorhanden, welche aussagen müssen, daß ich diesen Streit nicht provozirt habe.«

»Zeugen? Sie sollen nur das Maul aufthun!«

»Ich glaube nicht, daß Einer von den Anwesenden dem Clausbauern zu Liebe sich wegen Meineids auf das Zuchthaus schaffen lassen werde.«

»Oho! Zunächst kommst Du selber ins Zuchthaus. Du bist verarretirt. Wächtern, schaff ihn fort!«

Der brave Ortspolizist befand sich in einer nicht geringen Verlegenheit. Er kratzte sich hinter dem rechten Ohr, dann hinter dem Linken und fragte:

»Wohin?«

»Ins Loch.«


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»Ja, in welches? Es ist ja gar kein Ortsgefängnissen vorhanden hier in Hohenwald.«

»Schaffst ihn in mein Gut und schließest ihn in den Kartoffelkellern ein, den Schlüsseln bringst mir hierher.«

»Ja, schön! Also komm!«

Er winkte dem Lehrer. Dieser zuckte die Achsel, setzte sich an einen der Tische, welche im Freien standen und fragte den dicken Mann, welcher unter der Hausthür stand und den Streit mit höchstem Interesse angehört hatte:

»Sind Sie der Wirth?«

»Ja.«

»Bringen Sie mir ein Bier!«

»Sogleich!«

Der Wirth verschwand im Innern des Hauses. Einige der Anwesenden lachten leise vor sich hin. Der Silberbauer bemerkte es und rief zornig:

»Was habts da zu feixen und zu lachen! Ich werd Euch gleich zeigen, wer der Herr ist. Wächtern, schaff ihn fort, aberst sogleich!«

Der Polizist trat näher zu dem Lehrer heran und sagte

»So komm doch! Es hilft Dir ja doch nix, wannt Dich sperrst. Mit mußt auf alle Fällen.«

Der junge Mann maß den Sprecher vom Kopfe bis zu den Füßen herab und antwortete:

»Wenn Sie mich noch ein einziges Mal Du nennen, so pfeife ich Ihnen eine Ohrfeige ins Gesicht, daß Sie denken sollen, der Himmel fällt ein! Wenn der Ortsschulze grob ist, braucht doch der Polizist nicht unverschämt zu sein!«

Der Wächter kratzte sich auf beiden Seiten hinter den Ohren und sagte zum Silberbauern:

»Verdorium! Ist das ein Ausgesuchter! Bei den möcht ich halt mal in die Schulen gehn! Du, Herr Silberbauern, ich denk halt, es wird am Allerbesten sein, wannt ihn selber verarretirst.«

»Das ist Deine Sache. Oder fürchtest Du Dich etwann?«

»Das schon nicht.«

»Sonst hätt ich Dich auch gleich abgesetzt. Ein Polizist muß Couragen haben.«

»O, die Couragen ist schon bereits da; aber wann er zuhaut, so hab ich die Ohrwascheln drin, Du aberst nicht!«

»Er soll es wagen. Jetzt schaffst ihn fort und nennst ihn Du! Ich will doch sehen, obt Couragen hast!«

»Na, wanns blos daran liegt, so sollst gleich sehen, wie schnell ich mit ihm fertig bin!«

Er nahm seinen ganzen Muth zusammen, trat zu dem Lehrer heran, faßte ihn beim Arme und sagte:

»Hasts gehört? Ich laß mich nicht auslachen wegen Deiner. Jetzt kommst allsogleich mit oder - - -«

 Er sprach nicht weiter, denn er erhielt in diesem Augenblicke eine solche


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Ohrfeige, daß er an zwei Bauern flog und dann sich in den Kasten setzte, in welchem sich die Kegelkugeln befanden. Auch die beiden Bauern, welche auf eine solche Carambolage gar nicht gefaßt gewesen waren, setzten sich zu Boden. Der Wächter wußte gar nicht, wie ihm geschah. Zwischen den Kugeln sitzen bleibend, reckte er die langen, dürren Beine empor und sagte zum Silberbauer:

»Da hasts! Nun sitz ich hier in dena Kugeln und hab die Ohrfeigen drin! Was hilft da die Couragen, und wann sie noch so groß ist!«

Wieder lachten Einige. Das erhöhte den Zorn des Ortsschulzen. Da grad jetzt der Wirth das Bier brachte und dem Lehrer hinsetzte, adressirte er seinen Zorn an diesen:

»Was bringst ihm Bier, he!«

»Er hats ja bestellt!«

Er ist doch verarretirt!«

»Davon seh ich noch nix.«

»Das werd ich sofort beweisen. Wißt Ihr bereits, daß ein jeder Bürger der Polizeien Hilf erweisen muß, wenn sie dieselbige braucht und verlangt? Jetzt nun fordere ich sie von Euch. Ihr habt uns zu helfen den Lehrern fest zu nehmen!«

Die Leute blickten einander verlegen an. Im Stillen gönnten sie dem Bauer die moralische Niederlage. Sie freuten sich über den Muth, welchen der neue Lehrer zeigte, und gönnten ihm den Sieg von ganzem Herzen; aber sie wollten es auch nicht mit dem Gebieter des Dorfes verderben.

»Also vorwärts!« gebot dieser, auf Walther zeigend. »Geh nur auch selbst voran!« sagte Einer.

»Ich? Ich bin der Befehlshaber; ich kommandire nur blos, und Ihr habt zu gehorchen.«

»So schick wenigstens den Wächtern voran!«

»Ja, der muß!«

»Fallt mir nicht ein,« rief derselbe, noch immer zwischen den Kegelkugeln sitzend und jetzt zu den emporstehenden Beinen nun auch noch beide Arme abwehrend emporstreckend. »Ich kann nimmer aufi. Fallt nur mal Ihr so zwischen denen Kugeln hereini; nachhero werdet Ihrs merken, wie's Einem hinten und vorn zu Muthen ist. Ich glaub, ich lern all mein Lebtage gar nimmer wieder richtig laufen.«

»Dummheit! Steh aufi!«

»Ich wills halt versuchen; aberst alleini bring ichs halt nicht fertig; das fühl ich schon bereits. Es mögen mich zwei von Euch emporziehen.«

Er wurde bei beiden Händen gefaßt und aus dem Kasten gezogen. In gebückter Haltung blieb er stehen, befühlte sorgfältig denjenigen Körpertheil, mit welchem er sich in den Kasten gesetzt hatte, und klagte:

»Ja, so hab ich mirs halt gleich denkt! Das ganze Fleisch ist von denen Knochen los, und nun kann ich nur heim gehn und mich von meinem Weib mit Opodeldoc und Baldriandincturen einreiben lassen. Jetzt bin ich Invalid und kann mein Amt nicht verwalten heut. Meinswegen mag ihn verarretiren,


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wer da will. Ich geh heim, leg mich ins Nest und laß mir kalte und heiße Umschlägen machen, mal kalt und mal heiß, die Kälte für die Knochen und die Wärme halt für das Fleisch. Adjeh also, und seht wie Ihr mit ihm zu Ende kommt!«

Er hob seine Mütze auf, welche ihm bei der Ohrfeige abhanden gekommen war, stülpte sie auf und hinkte krummen Leibes von dannen.

»Wächtern!« rief der Silberbauer. »Du Himmelsakra! Willst gleich bleiben!«

Der Fahnenflüchtige schüttelte den Kopf.

»Kommst her, oder - - -«

»Nein! Mich bringst nimmer wieder hin. Wann ich noch so eine Ohrwatschen erhielt, so wär ich auf dera Stellen eine Leich. Und mein Leben setz ich halt nimmerst auf das Spiel für den Gehalt von drei Mark fünfzig in der Wochen. Nein, ich bedank mich gar schön!«

Er humpelte so eilig wie möglich davon.

»Also den Gehorsam sagt man mir auf!« rief der Bauer. »So will ich sehen, ob ich hier noch welchen finden werd. Jetzt kommt Ihr, mir zu helfen. Vorwärts!«

Er trat auf den Lehrer zu. Dieser setzte sein Bierseidel an die Lippen, trank in aller Ruhe, stellte das Seidel höchst phlegmatisch wieder auf den Tisch und sagte:

»Wer mich haben will, der mag herkommen!«

»Ja, da sind wir bereits,« antwortete Claus. »Jetzt kommst sofort mit mir!«

»Ich sage jetzt zum dritten Male, daß ich mir dieses Du streng verbitten muß. Eine Beleidigung dulde ich nun keinenfalls mehr.«

»Pah! Soll ich etwan so einen Lumpazi auch noch mit Durchlaucht oder Excellenzi antituliren - au, verdammt!«

Er flog nämlich über die ganze Breite des Kegelschubes hinüber und stürzte dort zu Boden, einen solchen Hieb ins Gesicht hatte er von dem Lehrer erhalten.

»Hund!« brüllte sein Sohn auf, als er den Vater stürzen sah. »Jetzt sollst Du es büßen!«

Er wollte auf den Lehrer eindringen. Dieser war von seinem Stuhle aufgestanden, trat einen Schritt zurück, holte mit dem Stocke aus und schlug ihm denselben so über das Gesicht herüber, daß der Silberfritz heulend zusammenbrach.

Der Vater desselben sah es und sprang, vor Grimm laut aufbrüllend, auf den muthigen, jungen Mann ein, flog aber trotz seiner Stärke wieder zu Boden, denn er erhielt einen Faustschlag, der ihn wie einen Klotz zur Erde fällte. Dennoch raffte er sich wieder auf, nahm einen Bierkrug vom Tische und drang mit demselben auf Walthern ein. Dieser schlug ihn mit dem Stocke auf den Arm, daß er denselben sinken und den Krug fallen ließ.

Walther war so vorsichtig, keinen seiner Gegner so weit an sich heran-


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kommen zu lassen, daß er gepackt werden konnte. Es schien, als ob der Silberbauer den getroffenen Arm nicht gleich wieder erheben könne. Doch sprang er wieder auf den Lehrer zu, um denselben mit dem andern Arme zu ergreifen. Aber da erhielt der Lehrer eine Hilfe, an welche Niemand hatte denken können.

Nämlich die Feuerbalzerin hatte ihre Unterredung mit Martha beendet und war jetzt aus dem Walde gekommen. Beim Wirthshause angelangt, sah sie, daß der Lehrer von dem Silberbauer angegriffen wurde, und sofort sprang sie ohne Besinnen herbei, stellte dem Schultheißen, der sie nicht sah, ein Bein, so daß er niederstürzte, warf sich auf ihn und bearbeitete ihn nun derart mit den Händen, daß er gar nicht zur Besinnung kam.

»Was!« schrie sie. »Den Herrn Lehrern willst hauen? Du, Du? Das ist mein Freund, und dem helf ich gleich!«

Dabei schlug und kratzte sie mit der Schnelligkeit einer Meerkatze auf den am Boden Liegenden ein. Er wollte sich zwar wehren, aber sie war so behend, daß es ihm gar nicht gelang, eine ihrer Hände zu erfassen.

Die dabeistehenden Bauern hüteten sich gar wohl, in diesem eigenthümlichen Kampfe Partei zu nehmen. Sein Sohn konnte ihm nicht zu Hilfe kommen, denn sein Gesicht blutete von dem Stockstreiche, welchen er erhalten hatte. Er hielt es mit beiden Händen, fluchte und schimpfte in allen Tonarten und machte sich von dannen, um nach Hause zu gehen.

Der Lehrer war der Einzige, welcher dem Silberbauer zu Hilfe kam.

»Balzerbäuerin, lassen Sie ihn los!« bat er.

»Nicht eher, als bis er derschlagen ist!« antwortete sie, immer auf den Bauer einschlagend und kratzend.

»Sie wollen ihn doch nicht ermorden!«

»Nicht? Ach, also nein! Aberst die Visagen werd ich ihm vorrichten, daß sie aussehen soll wie eine Landkarten, wann sie ins Tintenfaß fallen ist!«

»Nein, nein! Bitte, lassen Sie ihn!«

Er ergriff sie und zog sie empor.

»Na, wanns nicht anderst wollen! Ihnen bin ich schon gehorsam!« sagte sie, ganz außer Athem. »Aberst er solls nimmer wagen, sich wieder an meinem guten Freund zu vergreifen, sonst komm ich ihm noch viel besser als bishero!«

Der Silberbauer stand von der Erde auf. Er sah freilich schrecklich aus.

»Wer ists denn eigentlich?« brüllte er. Er konnte kaum aus den Augen sehen. »Ach Du! Die Feuerbalzerin! Na wart, alte Hex, Dir werd ichs vergelten! Auf das Gericht werd ich gehen und - - -«

»Und dort sagen,« fiel der Lehrer schnell ein, »daß Sie das ganze Gericht mit sammt dem Amtmann an der Nase herumführen. Wenn Sie das sagen, dann werden Sie Hilfe erhalten.«

»Das, das hätt ich gesagt?«

»Ja.«


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»Das ist eine niederträchtige Lügen!«

»Alle die Anwesenden haben es gehört!«

»So! Haben sie es gehört? Nun, ich will doch sehen, ob sie wirklich Etwas gehört haben, was ich gar nicht gesagt hab. Jetzt geh ich hinein, um das Gesicht abzuwaschen. Nachhero komme ich wieder, und es werden Alle verarretirt und einisteckt, welche mir ungehorsam gewest sind und sich an mir vergriffen haben.«

Er ging in das Haus. Der Lehrer setzte sich ganz ruhig nieder auf seinen Stuhl. Die Bäuerin setzte sich zu ihm, als ob sie es für nothwendig hielt, ihn noch länger in ihrem Schutze zu behalten.

Die anwesenden Bauern, deren Kegelspiel ein so unerwartetes Ende gefunden hatte, wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Bei diesen Leuten wird meist auf physische Vorzüge gesehen, und daß der Lehrer einen solchen Kampf aufgenommen und auch als Sieger aus demselben hervorgegangen war, das sicherte ihm ihren Respect. Aber der Silberbauer war nun einmal Derjenige, zu dem sie alle mehr oder weniger in Abhängigkeit standen; auch scheuten sie sich vor dem Gericht, und so erschien es ihnen für das Allerbeste, jetzt zunächst für Keinen Partei zu nehmen. Sie setzten sich also zusammen an einen andern Tisch und flüsterten mit einander. Doch sagten dem Lehrer die bewundernden Blicke, welche sie zu ihm herüberwarfen, daß sie ihm keineswegs feindselig gesinnt seien.

»Aber, Balzerbäuerin, wo kommen denn Sie noch her?« fragte er. »Ich hab fest geglaubt, daß Sie bereits längst zu Hause seien.«

Sie zwinkerte ihn schlau an und antwortete:

»Nach Hause gehen? Das ist mir halt nicht einifallen. Ich hab für Sie zu sorgen habt.«

»Für mich?«

»Freilich.«

»So weiß ich nicht, in wiefern.«

»Soll ichs sagen?«

»Ja, bitte!«

»Aberst Sie werden nachhero bös auf mich sein!«

»Das glaube ich nicht.«

»Na, wanns mir versprechen, daß Sie mirs verzeihen wollen, dann werd ichs Ihnen verzählen.«

»Nun, ich bin vollständig überzeugt, daß Sie nichts Böses gegen mich unternommen haben.«

»Da soll mich der Herrgott behüten!«

»So erzählen Sie!«

»Jetzt schauns! Sie wissen halt, daß ich nicht gut auf die Clausens zu sprechen bin. Ich trau ihnen nicht. Als ich nun fortgehen mußt halt von Ihnen, da hab ich mir denkt, daß die Martha doch eine Clausen ist und daß sie am End gar etwas Schlimmes vorhat mit Ihnen. Da hab ich Sie schützen wollen.«


// 623 //

»Ah! Ich vermuthe!«

»Ja, ich hab halt gelauscht.«

»Das hätten Sie freilich nicht thun sollen.«

»Sie haben schon Recht. Aberst ich bin Ihnen gleich so gut gewest wegen dera Freundlichkeiten, dies mit mir gehabt haben, und da - da - da - - -«

»Na, beruhigen Sie sich! Ich zürne Ihnen nicht.«

»So! Nicht? Nun, das kann ich mich halt gefreuen. Nun bin ich wieder ruhig.«

»Haben Sie gehört, was wir gesprochen haben?«

»Freilich.«

»Hm! So hoffe ich, daß Sie keinem Menschen davon ein Wort sagen werden.«

»Das ists ja eben, warum ich mit Ihnen darüber reden will. Ich hab so eine große Freuden gehabt, als ich hörte, daß die Martha Sie haben will und Sie mögen aberst nix von ihr wissen. Das hab ich aller Welt sagen gewollt, daß alle Leuten es derfahren sollen.«

»Nein, das verbitte ich mir!«

»Und nachhero, als Sie fort gewest sind, da bin ich halt stehen blieben und hab sehen, was die Martha macht hat. Wissen Sie's«

»Nein; ich bin ja sogleich fort.«

»Sie hat laut mit sich selber sprochen, daß sie sich rächen will.«

»Dem sehe ich in aller Ruhe entgegen.«

»O, Herr Lehrern, wann sich ein Dirndl rächen will, weils Einer nicht heirathen mag, dann darf man nie dabei ruhig sein. Das ist allemal gefährlich.«

»Warten wir es ab!«

»Ja, Sie fürchten sich halt vor gar keinen Menschen. Muth zu haben, das ist halt gar schön; aberst vorsichtig sein, das ist auch gut! Also rächen hat sie sich wollen. Dabei aberst hats doch auch ganz laut sagt, daß sie Sie lieb hat, nun erst recht, und daß sie das nun jetzt erst richtig gewahr worden ist.«

Sein Auge leuchtete auf.

»Das haben Sie gehört?«

»Ganz deutlich. Aberst weils von Rach gesprochen hat, so bin ich hingangen zu ihr und - - -«

»Ach, so weiß sie, daß Sie gelauscht haben?«

»Alles weiß sie.«

»O wehe!«

»Ich hab ihr sagt, daß ich denen Leuteln Alles verzählen werd, und da hats gute Worten geben und mir auch Geld anboten, hundert Thalern zuletzt sogar; aberst ich hab nimmer mitgemacht.«

»Balzerin, Sie sind eine Rachsüchtige und Hartherzige!«

»Wanns das durchmacht hätten, was ich derlebt hab, so dächtens halt auch an Rach und Vergeltung. Aberst hartherzig bin ich dennerst nicht, denn


// 

als die Martha nachhero gute Worten geben hat, da hab ich freilich nicht widerstehen konnt.«

»So haben Sie ihr versprochen, daß Sie schweigen werden?«

»Na, so schnell ists doch nicht gleich gangen. Ich hab sagt, daß ich erst mal mit Ihnen reden will, und wann Sie es befehlen, so werd ich nachhero schweigen.«

»Nun gut, ich wünsche es.«

»Daß ich nix sag?«

»Ja. Wenn ich erfahre, daß Sie nur ein Wort davon ausplaudern, so werde ich keine Sylbe mehr mit Ihnen sprechen und Sie auch niemals wieder ansehen.«

»Herrgottle! Das ist freilich schlimm!«

»Ja, das werde ich thun!«

»So werde ich freilich schweigen müssen. Aberst schau, da kommt die Wirthin. Was mags wollen?«

»Was ist sie für eine Frau?«

»Ein schlechtes Weib ists halt nicht; aberst sie kann auch nimmer so, wies gern wollen thät.«

Die Wirthin war mindestens ebenso dick wie ihr Mann. Mit freundlich glänzendem, hochrothem Gesicht kam sie herbei, wischte sich die Hand sorgfältig an der Schürze ab, hielt sie Walthern entgegen und sagte:

»Das ist also dera neue Herrn Lehrern - - -«

»Ja, und ein fein braver dazu!« fiel die Feuerbalzerin ein. »Ich habs derfahren.«

»Hast auch für ihn gekämpft!«

»Hasts wohl sehen?«

»Freilich wohl! Ich stand am Fenstern und hab mir Alles von drinnen heraus angeschaut. Wir sind hier dergleichen Sachen gar wohl gewöhnt, denn ohne eine Raufereien geht hier ein Vergnügen selten ab, und wann nicht ein Wengerl gerauft wird, nachhero ists kein Vergnügen und die Leutln gehn unzufrieden nach Haus. Aberst so einen wackern Kampf hab ich halt doch noch nimmerst geschaut. Dera Herr Lehrern ist ein sehr Tapferer, und eine Körperkraften und Gewandtheiten hat er auch. Es ist eine Freuden gewest, zuzuschauen, wie er zugehaut hat. Ich muß ihm nur gleich nochmals meine Patschen geben.«

Sie hielt ihm abermals die Hand entgegen und schüttelte die seinige recht herzlich.

»Aber die beiden Silberbauern haben die Schläge bekommen!« sagte Walther.

»Das hab ich freilich sehen.«

»Und sich doch darüber gefreut? So sind Sie nicht eine Freundin von diesen Beiden?«

Sie hatte sich mit hingesetzt. Jetzt wischte sie sich mit der Schürze den Mund ab, neigte sich weiter zu ihm hin und antwortete mit leiser Stimme:


Ende der sechsundzwanzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk