Lieferung 39

Karl May

23. April 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Und zum dritten Male Vivavit!«

»Und zum dritten Male Vivavit!

Die Gläser klangen zusammen. Der König gab dem Arzte einen Wink und trat wieder aus dem Hausflur hinaus. Sie gingen still um die Mühle herum nach dem Garten.

Für Andere hätte diese Scene wohl mehr Drolliges als Ernsthaftes gehabt; diese Beiden aber waren Kenner des Volkscharacters, und zumal kannte der König den treuen Wurzelsepp. Es schimmerte in seinem Auge feucht. Er wandte sich, als sie nicht mehr gesehen werden konnten, an den Medizinalrath:

»Das sind Herzen, auf welche man sich verlassen kann. Da begreift man, wie glücklich jener Fürst war, welcher sagen konnte, er dürfe sein Haupt in den Schooß eines jeden seiner Unterthanen ohne Bedenken zur Ruhe legen! - Herrschersorgen und Herrscherglück. Der Sorgen sind so viele, so gar viele und schwere, aber ein Augenblick solchen Glückes wiegt Alles, Alles auf.«

Als sie den Garten erreichten, saßen noch der Lehrer und dessen Mutter in der Laube. Beide traten heraus, weil sie glaubten, der König wolle sich in den Schatten derselben niederlassen.

»Ich will Sie nicht stören,« sagte er. »Aber wenn Sie nicht hier gefesselt sind, so ersuche ich Sie, mit nach der Stube zu kommen. Dort herrscht ein reges Leben, wie es scheint. Und ich möchte gern auch einen Beitrag zu der allgemeinen Freude steuern.«

Sie kamen durch die Hinterthür in das Haus. Die Barbara bemerkte sie durch die Küche zuerst, und da war ihre Stimme zu vernehmen:

»Seid still, Ihr Hallodrivolk! Die Herrschafteln kommen! Was sollens von uns denken, wenn so ein Lärmen hierinnen herrscht!«

»Jerum, geh!« ertönte da der Baß des alten Peters. »Ich bin gar nicht mit geladen und sitz doch auch mit da! Wo versteck ich mich nur da sogleich! Ich krieg unter denen Ofen!«

Als die Vier nun eintraten, standen die Andern in halber Verlegenheit um den Tisch.

»Sitzenbleiben,« sagte der König. Und seitwärts blickend, fügte er, vergnügt lächelnd, hinzu: »Und auch liegen bleiben!«

Der große, mächtige Kachelofen stand nämlich auf vier hohen Beinen. Vorn war eine hölzerne Bank angebracht. Da drunten gab es Raum für einen Menschen. Der Peter war wirklich hinuntergekrochen. Weil er aber von ungewöhnlich langer Gestalt war, so ragten seine Beine so weit hervor, daß man die mehlweißen Stiefelpantoffeln, die herab gerutschten Strümpfe und dann die nackten, hagern Waden erblickte. Er gab sich zwar die größte Mühe, diese Extremitäten an sich zu ziehen, doch rutschten sie ihm immer wieder vor.

»Jetzund wirds uns schlecht ergehen,« sagte der Müller. »Herr Ludewig, wir haben fast denen ganzen Wein ausitrunken. Machens eine gnädige Strafen!«

»Ja,« stimmte der Heiner bei, »wenn man all sein Lebtage keinen solchen Tropfen trunken hat und man bekommt dann mal ein Glas, so macht man


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nachhero allerlei Dummheiten. Wir haben auf unsern herzlieben König einen Toasten gerufen.«

»So!« lächelte der König. »Und das nennt Ihr eine Dummheit?«

»Himmelsakra, nein! Das war nicht so gemeint, Herr Ludewigen. Ich mein' halt nur das Trinken, aber nicht den Toasten auf denen König.«

»Habt Ihr denn Ursache zu einem solchen Toast?«

»Ursache?« fragte der Heinen ganz erstaunt. »Natürlich! Giebts etwan einen besseren König?«

»Nun, ich kann Euch wenigstens versichern, daß er es gut mit Euch meint. Alles Leid kann er freilich nicht heben. Er ist ja nicht allwissend und auch nicht allmächtig. Und wo er nicht da ist, da sollen Andere an seiner Stelle handeln. Daran habe ich gedacht, als ich versprach, für den Hanns einen Arzt rufen zu lassen. Hier, der Herr Doctor ist jetzt mit mir bei ihm gewesen und hat ihn untersucht.«

»Jetzt? Bei mir gewest?« fragte der Heiner bestürzt. »Und ich war nicht dabei?

»Das war ja nicht nöthig.«

»Und untersucht ist er worden? Herr Doctorn, wie habens ihn funden? Sagens rasch! Kann er gesund werden?«

»Ja,« antwortete der Arzt. »Aber er darf nicht hier bleiben.«

»Habs mir denkt!« meinte der Heiner traurig. »Er muß fort!«

»Wollen Sie nicht einwilligen?«

»O! Gar gern! Aberst das kostet ein gar schweres Geldl, und wo nehme ich dasselbige her?«

»Ich weiß es, hier Herr Ludwig will Alles bezahlen.«

»O Gott! Ists wahr? Ists wahr?«

»Ja, Ihr Sohn soll nach dem Süden, und er soll so lange dort bleiben, bis er gesund ist, selbst wenn es mehrere Jahre dauert. Und nicht nur das will der Herr bezahlen, sondern er will ihn auch unterrichten lassen, daß der Hanns ein Maler werden kann, ein Künstler in seinem Fach.«

Der Heiner stand ganz sprachlos. Das Liesbetherl stieß einen Freudenschrei aus und machte eine Bewegung, als ob sie auf den König zueilen wolle, wankte aber dann und schlang den Arm um Barbara, um sich an derselben festzuhalten.

»O, Ihr Heilgen all im Himmel droben!« stieß der Heiner endlich hervor. »Das ist doch gleich gar zu viel! Wer kann das aushalten!«

»Und weiter!« fuhr der König fort. »Der Hanns kann doch nicht allein in die Fremde gehen - - -«

»Nein, da muß halt ich wohl mit,« fiel der Heiner ein.

»Sie nicht,« antwortete der König. »Sie müssen hier bleiben, um anwesend zu sein, wenn Ihr Liesbetherl Hochzeit macht. Der Hanns braucht zunächst eine weibliche Hilfe. Da schlage ich vor, es begleitet ihn die Frau, welche wir vorhin bei ihm getroffen haben.«

»Herrgottle, seine Mutt - - -!« rief der Heiner ganz entzückt.


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»Und,« fuhr der König fort, »da er doch auch einer stärkeren, gewandteren, erfahreneren Unterstützung nicht entbehren kann, so werde ich ihm eine männliche Begleitung auch noch mitgeben. Wie steht es, Herr Lehrer, hätten vielleicht Sie Lust?«

Max Walther war so überrascht, daß er nicht sofort eine Antwort fand. Darum erklärte der König weiter:

»Während Hanns in Constantinopel, Jerusalem, Damaskus, Kairo und so weiter Heilung sucht, könnten Sie als sein Begleiter und Beschützer den Orient studiren und dabei Anschauungen und Erfahrungen sammeln, welche Ihnen, der Sie ein Dichter sind, von großem Werthe sein müssen. Dies ist meine Antwort, welche ich Ihnen bis jetzt auf Ihre Improvisation schuldig geblieben bin.«

Jetzt kam Leben und Bewegung in den Lehrer. Er that einen Schritt, wie um dem König zu Füßen zu stürzen, und rief dabei unvorsichtig:

»Maje - - -!«

»Halt!« unterbrach der König ihn schnell. »Keine allzu große Eilfertigkeit! Sagen Sie mir einfach, ob Sie bereit sind, mein Anerbieten anzunehmen!«

»Mit tausend, tausend Freuden!« antwortete er, der sich vor Entzücken kaum beherrschen konnte.

Seine Mutter schlang die Arme um ihn und weinte vor Freude.

»Ists denn auch wahr, wirklich wahr?« fragte der noch immer zweifelnde Heiner.

»Gewiß, ganz gewiß!« antwortete der Arzt.

»Liesbeth!«

Er streckte den einen Arm nach seiner Tochter aus. Diese flog herbei und an sein Herz. Die Barbara machte sich bereits mit ihrer Schürze zu schaffen. Sie fühlte, daß sie die Thränen nicht lange mehr werde zurückhalten können. -

Da, plötzlich fing es unter dem Kachelofen an zu kratzen, zu rascheln und zu rumoren, und zugleich ließ sich ein tiefer, dumpfer Ton vernehmen - es war kein Niesen, es war kein Singen, es klang im tiefsten Basse wie »Huhu hhh - huhu hhh - huhu hhh - huhuhuhuuuuuuu!«

Zu gleicher Zeit wurden die Stiefelpantoffeln immer weiter hervorgestreckt; zwei lange Beine kamen zum Vorschein, dann ein Leib, der Hals, der Kopf - der Mann richtete sich auf. Es war der alte Peter, der Knappe, welcher laut weinend sich mit beiden Händen die Augen rieb und dabei im allertiefsten Basse schluchzte:

»Nein, nein, das ist halt gar zu schön und rührend. Das konnt ich nimmer aushalten da unten. Wann so ein Glücken vom Himmeln kommt, so lauft mir das Wassern in die Augen und es stoßt mich dera Bock, daß ich weinen und flennen muß wie ein Kind. Ja, das ist doch gar zu rührend, gar zu schön. Ich mußt heraus unterm Ofen, sonst hätts mich schon bald umibracht vor lauter Interess' und Sympathie. Man ist doch auch ein Menschenkind und hat ein Herz wie ein Schnee und ein Gemüth wie ein Wachs. Herr


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Ludwigen, Sie sind halt ein sakrisch braver Kerlen! Das sagt halt dera Peter, und was der sagt, das ist gewiß und wahr - - huhu - - hhh - - huhu - - hhh - - huhuhuuuuuuu!«

Er weinte so laut und nachdrücklich weiter, als ob er es nach dem Kilometer oder nach der Klafter bezahlt bekomme. Seine Rührung hatte etwas Gewaltsames; sie war dem Ausbruche eines Vulkans ähnlich; aber grad dadurch wirkte sie nicht lächerlich sondern ansteckend. Die Anwesenden stimmten Alle mit ein.

Der Finkenheiner hielt mit seinem einzigen Arme seine Tochter umschlungen und schluchzte:

»Und wie er Alles so schön einirichtet hat! Nun geht die Muttern mit dem Hanns fort, so daß die Leut hier nix zu reden haben. Und dera Hanns wird ein berühmter Malern, auf den wir stolz sein können.«

Die Frau Bürgermeisterin lag am Herzen ihres Sohnes. »Max,« flüsterte sie weinend. »Welch eine Gnade! Für mich noch mehr als für Dich. Danke ihm dafür, indem Du sie fruchtbar an Dir wirken lässest. Zwar muß ich Dich für längere Zeit nun wieder meiden, nachdem ich Dich kaum erst gefunden habe; aber ich will gern auf das Glück verzichten, gleich von jetzt an Deiner Seite sein zu können, denn diese Trennung wird ja Dir zum Segen und zum Heile gereichen.«

Und der Sepp schlich sich hin zur Barbara und sagte, seine Rührung mit Anstrengung verbergend:

»Jetzt, Barbara, mußt dem Herrn Ludewigen auch ein gutes Wörtle geben.«

»Ich? Was für eine Bitten sollt denn ich an ihn haben?«

»Daßt auch mit nach dem Süden darfst.«

»Bist närrisch! Wo sollt denn dieser Süden liegen?«

»Nun, in dem Afrika, wo die schönen Mohren sind. Da kannst so einen Schwarzen heirathen, und dann bist sogleich unter dera Hauben. Das ist doch Dein größter Wunschen, dent auf dera Erden hast. Und wannt nachhers mit Deinem Mann herkommst nach Hohenwald, so kannst ihn für Geld sehen lassen und eine gewaltig reiche Frauen werden.«

»Halts Maulen, alter Hallodri! So ein schwarzer Negern wär mir doch tausendmal liebern noch als Du. Hier hast was für den guten Rath!«

Sie holte aus und gab ihm einen Hieb auf das Ohr, welcher noch kräftiger war als der wenig geistreiche Witz, den er gemacht hatte.

Dieses kleine Intermezzo war von den Andern gar nicht beobachtet worden; es war also auch gar nicht im Stande, die Stimmung zu stören, welche sich der Anwesenden bemächtigt hatte. Der König erinnerte den Heiner:

»Gehen Sie jetzt nach Hause, um Ihrem Sohne die freudige Nachricht mitzutheilen. Ich hoffe, daß sie auf seinen Zustand von vortheilhafter Wirkung sein werde. Es ist jetzt nur das Allgemeine erwähnt worden. Die besonderen Arrangements werden wir treffen, wenn wir uns die Angelegenheit reiflicher


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überlegt haben. Bitte, Herr Doctor, begleiten Sie mich auf mein Zimmer!«

Die beiden Herren entfernten sich, und es läßt sich denken, daß die Zurückbleibenden sich in Lobeserhebungen ergingen und allerlei Pläne für die Zukunft schmiedeten.

Das dauerte, bis der Nachmittag vorüber war und der Abend herein zu dunkeln begann. Da brach die Bürgermeisterin auf. Am Morgen noch von Zagen und Bangigkeit erfüllt, befand sie sich jetzt in einer so glücklichen Stimmung, wie sie sie im Leben fast noch niemals empfunden hatte. Sie konnte an der Seite ihres so lange Zeit und so sehnlichst gesuchten Sohnes gehen. Sie hatten sich tausend Zärtlichkeiten zu sagen, und daß der alte, brave Sepp mit ihnen ging, das konnte diese Ergüsse nicht stören, denn er war es ja, dem sie diese Wonne zu verdanken hatten, und er war ja auch so sehr discret: er schritt nämlich sehr weit hinter ihnen her und that ganz so, als ob er kein Wort von ihrer Unterhaltung hören könne.

Er begleitete sie bis nach ihrer Wohnung in Steinegg. Als er dort eintreten sollte, lehnte er es ab:

»Dank schön jetzunder, Frau Bürgermeisterin! Ich hab erst noch einen kleinen Gang zu thun. Nachhero komme ich wiedern. Nur denen Rucksack will ich eini thun.«

Er warf ihn hinter die Hausthür, es dem Dienstmädchen überlassend, sich seiner anzunehmen, und ging weiter, nämlich wieder zurück auf der Straße, welche sie gekommen waren, und schritt den Schloßberg empor. Von da oben leuchteten die hellen Fenster in den dunklen Abend hinein, denn die Herrschaften saßen bei Tafel, an welcher es ziemlich lebhaft herging.

Der Baron war angekommen, ohne seine Ankunft vorher angemeldet zu haben. Er hatte die Tochter, deren Freundin und ebenso den Professor und den Sänger überraschen wollen. Ein kleines Geschäft hatte ihn nach München getrieben, und von da war er dann nach Steinegg gefahren, erst per Bahn und sodann per Wagen. Seine unerwartete Ankunft hatte auch die beabsichtigte Ueberraschung hervorgebracht, und nun saßen sie beisammen und besprachen, in welcher Weise die nächsten Tage verbracht werden sollten; denn der Baron hatte die Absicht, wenigstens eine ganze Woche hier zu verweilen, bevor er nach Wien zurückkehrte.

Da trat der Hausmeister herein und sprach leise einige Worte mit dem servirenden Diener. Dieser zuckte die Achsel, schüttelte den Kopf, und warfen Beide ihre Blicke verlegen auf den Baron. Dieser bemerkte es und fragte:

»Was giebt es denn?«

»Gnädiger Herr,« antwortete der Hausmeister, »es ist ein Mensch im Vorzimmer, welcher vorgiebt, ganz unbedingt mit Ihnen sprechen zu müssen.«

»Ein Mensch? Du willst doch sagen, ein Herr?«

»O nein. Er ist gekleidet wie ein echter Strolch.«

»So will er mich wohl anbetteln. Weise ihn ab!«

»Er läßt sich nicht abweisen, trotzdem ich es sehr energisch versucht habe,


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ihn fortzujagen. Er hat sogar die Frechheit gehabt, es sich auf dem Sopha höchst bequem zu machen.«

»Donnerwetter! So werft ihn hinaus!«

»Das wollte ich doch nicht riskiren!«

»Fürchtest Du Dich etwa?«

»Nein, obgleich er trotz seines Alters sehr kräftig aussieht. Er behauptet nämlich, zur Dienerschaft des gnädigen Herrn zu gehören.«

»Was! Das ist eine Lüge. Einer meine Wiener Domestiken kann es nicht sein, denn diese Leute haben nicht das Aussehen von Strolchen. Ueberhaupt begreife ich gar nicht, wie irgend ein Mensch wissen kann, daß ich hier bin. Ich bin ja ganz geheim nach hier gekommen.«

»Nun, so lächerlich es klingt, er behauptet, der neue Parkaufseher zu sein. Er will jetzt seine Stellung antreten.«

Der Baron erhob sich von seinem Stuhle. Er machte ein ziemlich verlegenes Gesicht.

»Parkaufseher! Ah, jetzt begreife ich. Der Mann ist freilich engagirt; aber daß er es sich da auf dem Sopha bequem macht, das werde ich mir doch sehr energisch verbitten müssen.«

Und sich in erklärendem Tone an die Andern wendend, fuhr er fort:

»Ich traf nämlich unterwegs einen Hilfsbedürftigen, welcher mich zufälligerweise als einen Mann kennt, der gerne Gutes thut. Seine Lage rührte mich, und so ließ ich mich von meinem guten Herzen hinreißen, ihn als Parkwächter zu engagiren. Er ist arm und brav und - was mich am meisten veranlaßte, ihn hier anzustellen, ein seltenes Original. Das erkennen Sie ja aus dem Umstande, daß er sich sofort auf dem Sopha häuslich niedergelassen hat.«

»Ein Original?« fragte Asta. »O, ich liebe alles Originelle!« Dabei warf sie einen liebebedürftigen Blick auf Anton. »Lassen Sie also den Mann eintreten, bester Baron! Ich muß ihn sehen.«

Damit war der Schloßherr freilich nicht einverstanden. Er machte eine abwehrende Handbewegung und sagte:

»O bitte! Sie hören, daß er einem Landstreicher ziemlich ähnlich aussieht. In diesem Zustande darf ich ihn den Herrschaften nicht vorstellen. Er mag sich erst äußerlich so weit verändern, daß er die schönen Augen des gnädigen Fräuleins von Zelba nicht beleidigt. Jetzt soll er nach meinem Zimmer gebracht werden und dort warten, bis ich gespeist habe. Nachher werde ich kommen!«

Der Hausmeister entfernte sich mit einer tiefen Verneigung. Draußen saß der Sepp.

»Nun?« fragte er. »Wie stehts? Hat dera Herr Baronen Zeit und Lust?«

»Jetzt keins von Beiden. Du wirst eine Weile warten müssen. Folge mir!«

Er führte ihn in das betreffende Zimmer, brannte dort ein Licht an und sagte in befehlendem Tone:


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»Hier bleibst Du, bis der Herr Baron kommt. Setz Dich auf diesen Stuhl, und greif nichts an, was sich leicht einstecken läßt!«

Dabei musterte er mit einem vielsagenden, höhnischen Blick das Aeußere des Alten. Dieser that, als bemerke er das nicht und nickte ihm freundlich zu:

»Also hier ganz an dera Thüren soll ich sitzen bleiben?«

»Ja, und nichts anrühren!«

»Das ist sehr hübsch von Dir, daßt so auf das Eigenthum Deines Herrn siehst.«

»Höre, geduzt wird hier nicht!«

»Nicht? Ich denk grad, daß hier geduzt wird. Wie hast denn mich genannt?«

»Das ist etwas Anderes. Ich bin Hausmeister und nenne einen Jeden Du, welcher zur Dienerschaft gehört. Das ist mein Grundsatz.«

»Schau, das kann mich gefreun! Ich hab die Leutln so gern, die ihre festen Grundsätzen haben. Ich hab auch einen. Mein Grundsatz ist nämlich der, daß ich für jedes Du, was man ohne meine Erlaubnissen sagt, eine Ohrwatschen geb. Wannst also recht viele Kopfnüssen haben willst, so weißts nun ganz genau, wiests anzufangen hast.«

»Sapperment! Ich soll Dich nicht Du nennen!«

»O ja! Ich hab gar nix dagegen, aberst ich geb für jedes Du eine Ohrfeigen. Jetzt hasts gleich zweimal sagt, und da hast nun auch gleich die zwei!«

Er holte mit beiden Händen aus und gab dem Hausmeister, ehe dieser sich nur zu wehren vermochte, rechts und links je eine so kräftige Ohrfeige, daß der Getroffene mit dem Kopfe an die Thür flog. Er fuhr sich mit den Händen in das Gesicht und rief:

»Kerl, das wagst Du! Warte, ich werde - - -«

Er kam nicht weiter, denn er empfing sofort eine dritte Ohrfeige, zu welcher der Sepp die energische Erklärung gab:

»Noch ein Du! Dazu gehört auch noch eine Maulschellen. Wann wir so fortfahren, so wird Dir die Bruderschaften sehr bald gefallen.«

Da sprang der Hausmeister nach dem Kamin, riß die Feuerzange vom Nagel, holte aus und rief:

»Hallunke! Das sollst Du büßen!«

Der Sepp hatte weder seinen Hut noch seinen Bergstock abgelegt. Er hob den Letzteren empor, um den Hieb des Gegners zu pariren. Zange und Bergstock prallten zusammen, und die Erstere flog aus der Hand des Hausmeisters fort und in einen kostbaren Spiegel, welcher sich an der gegenüberliegenden Wand vom Boden bis hinauf an die Decke erhob.

Der Beamte stand steif vor Schreck. Er starrte das zertrümmerte Möbel an und brachte kein einziges Wort hervor. Der Sepp aber lachte.

»Schau, jetzt kannst hineinsehen in den Spiegulum. Grad so wie er sieht auch Dein Gesichten aus. Wollen wir noch ein Bißle weiter fechten? Vielleichten können wir noch was Andres auch zertöppern. Dort die schönen


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Vasen oder ein paar Fensternscheiben. Wann man Bruderschaften macht, kanns gar nicht lustig genug hergehen.«

»O Jerum!« stöhnte der Hausmeister. »Der herrliche Spiegel!«

Ja, herrlich schaut er nun aus!«

»Gestern erst ist er aus Prag gekommen!«

»So schick ihn nun gleich wiederum hin!«

»Vierhundert Gulden ist der Preis!«

»Vierhundert Gulden für dreimal Du? Macht für das Mal hundertdreiunddreißig Gulden und dreiunddreißig Kreuzern. Das kann man schon zahlen, wann man so ein vornehmer Herr Hausmeistern ist, der alle Welt duzen kann!«

»Ich? Ich soll es bezahlen?«

»Ja, natürlich!«

»Oho! Wer hat den Spiegel zerbrochen? Wer?«

»Die Feuerzangen. Und wer hat sie gehabt?«

»Wer hat sie mir aus der Hand geschlagen?«

»Wer hat mich mit ihr angegriffen, he? Mach hier nur keine Faxen! Bei mir kommst da an den Unrechten! Und wannst mir etwan noch Geschichten vorverzählen willst, so faß ich Dich an und werf Dich auch noch da hinein in den Spiegeln! So ein albernen Hottentottenonkel, wie Du bist, kann von mir grad noch was lernen, wann er noch nix lernt hat! Warum sagst mir, daß ich nix angreifen soll, he? Weiß ich denn etwan, daß Du vorher auch nix angriffen hast? Wann nachhero was fehlt und Du hasts gemaust, so kommt die Schuld wohl gar auf mich? Das kann mir grad gefallen!«

Der Hausmeister hatte vor Schreck und Angst gar keine Ohren für Sepps Worte. Er stand vor dem Spiegel, schüttelte den Kopf und stöhnte zum Erbarmen:

»Vierhundert Gulden - vierhundert! Ein ganzes Jahrgehalt! Ich zahl keinen Kreuzer!«

»Wanns Dir schenkt wird, so hab ich nix dagegen. Mußts aberst zahlen, so wirst spätern wohl ein Bisle höflicher sein als bisher.«

»Kerl, bringe mich nicht auf, sonst werf ich Dich hinaus!«

»Du, willst abermals noch eine Maulschellen! Wannst mich hinausiwirfst, so kanns mir grad sehr lieb sein; da hasts mit dem Herrn alleini abzumachen. Aberst, wannst vom Hinausiwerfen sprichst, so kann ich das auch. Ich soll hier warten, und Du hast hier nix zu suchen. Wannst nicht bald verschwindest, so fliegst hinausi, ohne daß ich Dir vorher die Thüren aufimach! Verstanden. Schau also, daßt fortkommst, sonst kriegt die Thüren noch ein größeres Loch als dera Spiegel!«

Der Hausmeister ballte beide Fäuste, getraute sich aber nicht an den Sepp, welcher eine Stellung eingenommen hatte wie ein großer Leonberger Hund, welcher einen kleinen Kläffer mit einem einzigen Biß zur Ruhe bringen will.


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Darum zog er es vor, einstweilen mit der Miene eines gewissen Sieges vom Schauplatz abzutreten.

»Gut, ich gehe! Aber nicht etwa, weil ich mich fürchte, sondern um den gnädigen Herrn Baron zu benachrichtigen, wer dieses Unglück hier verschuldet hat.«

»Ja, das magst halt thun, denn dann brauch ich nix davon zu sagen. Also troll Dich fort, Schlangangerl! Laufen kannst ja gut, weilst nun um vierhundert Gulden leichter bist!«

»Spotte nur! Der hinkende Bote wird ganz gewiß nachkommen.«

Er ging, und der Sepp setzte sich auf ein Sammetfauteuil, welches am Tische stand. Auf demselben stand ein Etui mit Cigaretten. Er nahm sich eine derselben und steckte sie in Brand. So, in aller Gemüthlichkeit den Rauch von sich blasend, wartete er auf den Baron.

Dieser hatte sich mit dem Essen beeilt. Als der Nachtisch servirt wurde, erbat er sich einen kurzen Urlaub und entfernte sich, um dem Sepp die erbetene Audienz zu ertheilen. Er hatte nicht gedacht, daß sich der Alte so schnell einstellen werde. Das Kommen des Wurzelhändlers war ihm heut Abend im höchsten Grade unangenehm. Er wußte nicht, wie er sich bereits heut mit demselben arrangiren solle. Wo sollte er ihn unterbringen? Es war fatal.

Befand er sich schon aus diesem Grunde nicht in der allerbesten Laune, so wurde diese negative Stimmung noch erhöht, als er draußen hörte, daß der neue Parkaufseher den kostbaren Spiegel zertrümmert habe. Er eilte daher in wirklichem Sturmschritte nach seinem Zimmer. Als er die Thür desselben öffnete, blieb er erstaunt in derselben stehen. Da saß der Sepp, hatte den Hut auf dem Kopfe, den Bergstock in der Hand, rauchte bereits seine dritte Cigarette und hatte die Asche ganz gemüthlich herunter auf den kostbaren Teppich fallen lassen.

»Mensch, bist Du toll!« rief der Baron, die Thür hinter sich zuziehend.

Der Alte nickte ihm vergnügt entgegen, that einen kräftigen Zug und sagte, ohne sich von seinem Sitze zu erheben:

»Guten Abend, mein lieber Herr Baronen! Schön, daßt endlich kommst! Hab lang warten mußt und mir daher einstweilen so ein Rauchpusterl anbrannt.«

»Und lässest die Asche auf den Teppich fallen!«

»Schadet nix! Odern hast kein Dienstbotendirndl, die's wieder wegkratzen thut? Setz Dich nur mit herbei, und brenn Dir auch eins an! Nachhero können wir vergnügt mit nander plauschen. Es ist bei Dir auch gar zu hübsch und vornehm!«

»Das seh ich! Sogar der Spiegel ist vornehm.«

»So vornehm, daßt er vor Stolz zerbrochen ist. Aberst das schadet auch nix. Dera Hausmeistern wirds zahlen.«

»Der? Ich meine vielmehr, daß Du den Schaden wirst tragen müssen!«

»Ich? Da hast mal einen sehr schiefen Gedanken. Er hat ihn zerbrochen; ich bins nicht gewest.«


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»Das wird sich finden! Jetzt vor der Hand aber wirst Du aufstehen und Dich höflich bis an die Thür zurückziehen!«

»Warum? Hier auf dem Sammetschemel ists halt gar nicht übeln. Und wann man Parkaufsehern worden ist, so hat man schon was zu bedeuten und kann sichs in dem Herrn seiner guten Stuben mit bequem und lieblich machen.«

Der Baron trat hart an ihn heran und sagte in drohendem Tone:

»Jetzt ists genug! Steh auf!«

Der Sepp blickte lachend zu ihm auf und antwortete:

»Geh! Mach nur keine Wespen! Es steht Dir gar nicht gut! Setz Dich her, und laß einen Wein kommen! Zwei Leutln, wie wir sind, die müssen sich gut vertragen, denn was der Eine nicht weiß, das weiß halt dera Andre. Wir passen gar so sehr gut zu nander.«

»Das - das bietest Du mir! Steh auf, sag ich Dir, Mensch, oder ich laß Dir durch den Diener zeigen, daß Du hin an die Thür gehörst!«

»So! Ich glaub gar, jetzt beginnst gar einen Ernst zu machen!«

»Ja, es ist mein völliger Ernst. Hier bin ich Herr!«

»Das geb ich ja ganz gern zu, daßt ein Herr bist. Du bist dera Herrn Baron, und ich bin dera Herrn Wurzelsepp. Wannst mir mit dem Diener drohst, so kann er dieselben Maulschellen bekommen wie dera Hausmeistern sie erhalten hat. Und wann ich hin an die Thüren soll, so geh ich nachhero liebern gleich ganz hinausi. Dann kannst aber warten, bis erfährst, wast derfahren willst, und ich werd lieber Deinem Sohn sagen, wo sein Vatern zu finden ist.«

Der Baron war ganz in der Laune gewesen, mit eigener Hand den Alten vom Sammetsessel empor zu ziehen. Die letzten Worte aber brachten ihn von diesem Gedanken ab. Er erinnerte sich, daß er sich gewissermaßen in den Händen des Sepp befinde. Er knirrschte zwar innerlich darüber, schlug aber doch einen gelinderen Ton an.

»Aber Du mußt doch einsehen, daß Du nicht auf diesen Sessel gehörst!«

»Nicht? Wohin denn?«

»Du hast vor mir zu stehen!«

»So? Dann bist aber wirklich gar kein höflichem und elegantern Kavallerirer! Ich, wann ein Jemand zu mir kommt, lad ihn gleich zum Sitzen ein. Und weißt, je höflicher Du bist, desto freundlichem bin ich dann gegen Dich. Also mach, wast willst. Ich hab Dir keinen Befehl zu geben.«

Er stand jetzt auf und zog sich langsam nach der Thür zurück. Der Baron blickte sich in dem Zimmer um, betrachtete den Spiegel und sagte:

»Zunächst wollen wir von diesem Möbel hier sprechen. Kannst Du den Schaden ersetzen?«

»Das hast mal sehr falsch fragt!«

»So? Wie hätt ich denn nach Deiner hohen Meinung fragen sollen?«

»Hättst fragen sollen, wer den Schaden zu ersetzen hat.«

»Doch Du!«


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»Oho! So darfst mir nicht kommen. Dera Hausmeistern hat Dir gewiß was vorgelogen. Die Sach ist ganz anderst gewest.«

Und nun erzählte er den Hergang der Wahrheit gemäß. Aber das besänftigte den Baron keineswegs, sondern er wurde im Gegentheile noch zorniger, als er vorher gewesen war:

»Also zugeschlagen hast Du sofort. Was denkst Du denn, wo Du Dich befindest!«

»Erst hab ich denkt, daß ich bei dem Herrn Baronen von Alberg bin. Nachhero aber, als dera Mann gleich wie ein Spitzbub sprechen hat, hab ich meint, daß ich mich in einer Diebsspelunken befind, und an so einem Ort duld ich keine Beleidigung. So ists halt gewest. Hätt er mich nicht beleidigt und nachhero nicht die Feuerzangen derwischt, so wär jetzund dera Spiegeln noch ganz. Nun magst sagen, wer ihn zu zahlen hat.«

»Ihr Beide jedenfalls. Jeder die Hälfte!«

»Schön! Ich bins zufrieden. Und damit Du siehst, was für ein nobler Kerlen ich bin, so mag er die seinige zahlen und die meinige schenk ich Dir. Ich hab auch meine Bildungen und Condewitten lernt und laß mich niemals lumpen!«

»Mensch!« fuhr der Baron auf. »Ich weiß wirklich kaum, was ich von Dir denken soll! So dummfrech ist mir noch Niemand begegnet.«

»Nun, so kannst mich halt gleich los werden. Ich hab die Ehr, mein gnädiger Herr Baronen! Wünsch sehr angenehm zu speisen und zu schlafen!«

Er wandte sich um und griff nach der Thür.

»Halt!« erklang es hinter ihm.

»Na, was hast noch?«

»Du bleibst! Wir sind noch nicht fertig!«

»So! Und wann ich nun dennoch geh!«

»So weiß ich, was ich zu thun habe. Ich habe Dich engagirt; Du bist gekommen, Deinen Dienst anzutreten, und nun bist Du mir Gehorsam schuldig!«

»Ach so! Nun, ich bin noch nicht kommen, den Dienst zu beginnen. Ich hab Dir ja sagt, daß das erst morgen oder übermorgen geschehen soll. Und nun bitt ich Dich, das ja nicht zu vergessen, daßt mich wirklich engagirt hast. Wir kommen daraufi auch noch weiter zu sprechen. Also, warum soll ich jetzund noch länger hier bleiben?

»Ich erwarte die Mittheilungen, welche Du mir versprochen hast.«

»Du, so weit sind wir noch gar nicht.«

»So! Was könnte es denn vorher noch geben?«

»Den Spiegel hier. Du hast ja selbst sagt, daß wir erst von ihm reden müssen.«

»Es bleibt bei meinem Ausspruche. Ihr bezahlt ihn mit einander.«

»Nun ja! Und meine Hälfte hab ich Dir bereits schenkt. Odern willsts nicht annehmen?«

»Höre, glaube ja nicht, daß ich der Mann bin, der sich von Dir foppen


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läßt! Ich verlange, daß Du den Ernst und die Höflichkeit zeigest, welche Du mir schuldig bist!«

»Die kannst haben! Auch mir ists sehr recht, wann wir ernst reden. Darum will ich auch meinen Huten abnehmen und von jetzunder an Sie zu Dir sagen.«

Er nahm den Hut ab und machte einen Kratzfuß, freilich mit einer Miene, welche den Baron noch mehr als eine offene Unhöflichkeit ärgern mußte. Dieser Letztere aber hielt es für besser, so zu thun, als ob er den Sarkasmus gar nicht bemerkt habe.

»Schön! Wenn Du Verstand annimmst, werden wir bald einig werden.«

»Das hoff ich gern. Daher sag ich Ihnen auch gleich, daß ich für den Spiegeln hier keinen Pfennig zahlen werd.«

»Wirst aber doch zahlen müssen. Ich habe Dich ja auch ganz in der Hand.«

»So?«

»Ja. Ich ziehe Dir den Betrag an den fünfhundert Mark ab, welche ich Dir versprochen habe.«

»So ziehe ich auch ab.«

»Was denn?«

»Ich selber. Ich ziehe ab! Adieu!«

Er wendete sich wieder nach der Thür. Der Baron schritt ihm schnell nach und hielt ihn fest.

»Ich habe gesagt, daß Du bleibst! Du hast mir Rede und Antwort zu stehen.«

Der Alte kratzte sich in possierlicher Verlegenheit hinter dem Ohre.

»Herrgottsakra! Sind aberst Sie ein gestrengern Herrn! Da werd ich wohl nicht lang der Parkaufseher bleiben. Das bin ich nicht gewohnt. Davon thun mir ja die Augen weh!«

»Es wird Dir vielleicht noch mehr wehe thun, wenn Du Dich ungehorsam zeigst. Also, ich wünsche zu erfahren, wo sich die einstige Bertha Hiller jetzt mit ihrem Sohne befindet! Heraus damit!«

Der Sepp nahm jetzt den Bergstock und den Hut zwischen die Kniee, sie dort festhaltend, und kratzte sich mit allen beiden Händen im Haare.

»Verdimmi, verdammi, wie dera Nachtwächtern immer sagen that! Jetzt bin ich schön anilaufen!«

»Wieso angelaufen?«

»Weilst mich nach dera Sachen fragst - - sappernloten, jetzund sag ich auch schon wiedern Du zu meinem gnädigen Herrn! Ich mein nämlich, daßt ich mich in einer schauderhaftigen Verlegenheit befind, weil ich was sagen soll, was ich halt gar nicht weiß.«

»Wie? Du willst jetzt die Adresse der beiden Personen nicht wissen?«

»Ich weiß sie nicht.«

»Und heut am Tage hast Du sie gewußt?«

»Ja, sehr genau.«


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»So mußt Du sie doch auch jetzt noch wissen!«

»Eigentlich, ja. Aberst ich habs vergessen.«

»Mensch, mach keinen Schwindel!«

»Das ist kein Schwindel! Herr Baronen, Sie wissen halt gar nicht, was ich für ein so gar zart und empfindlich Gedächtnissen hab. Wann das nur ein ganz klein Bisle über was derschrickt, so ists gleich ganz ausi mit ihm. Das ist mir schon sehr oft so gangen. Ich hab mal sogar ein ganzes Jahr lang meinen eignen Namen nicht mehr wußt, weil mein Gedächtnissen über eine Fliegen verschrocken ist, die mich bissen hat. Ich hab mich nicht und nicht und nicht auf den Wurzelsepp besinnen konnt, bis ich mich endlich nachhero mal im Spiegel anschaut hab. Nachhero hab ichs wiedern wußt, wer ich bin. Und so ists auch heut. Mein Gedächtnissen ist verschrocken, und nun kann ich mich auf die beiden Leutln absolutemang nicht mehr besinnen.«

Er sagte das so demüthig, so treuherzig. Der Baron aber ballte die Fäuste.

»Mensch, ich sollte Dich prügeln!« knirrschte er.

»Na, mir ists auch recht. Versuchens halt mal, obs die Adreß herausitrommeln können!«

Der Baron stampfte mit dem Fuße, wendete sich ab, schritt einige Male hin und her und blieb dann wieder vor ihm stehen. Er zwang sich zur Ruhe.

»Worüber ist denn dieses so ungemein zarte und empfindliche Gedächtniß erschrocken?«

»Ueber das Geldl, was ich da hier für denen Spiegeln zahlen soll.«

»Ach so! Konnte es mir denken! Hm! Wenn ich es mir recht überlege, so muß ich vielleicht doch dem Hausmeister die Schuld zum größern Theile zumessen.«

»Nur zum größern Theile?«

Dabei blinzelte ihn der Alte listig an.

»Na, sagen wir also ganz!«

»Schön! Das laß ich mir gefallen.«

»Du hast also nichts zu bezahlen.«

»Jetzt kann ich nun wiedern meines Lebens froh werden. Jetzund bin ich wiedern gesund.«

»Ist auch Dein Gedächtniß wieder gesund?«

»Ja, grad jetzt eben kehrts wiedern zurück.«

»Das freut mich. Also, wie ist die Adresse?«

Der Alte kratzte sich abermals mit beiden Händen, indem er Hut und Stock zwischen die Kniee einklemmte.

»Ich hoffe doch nicht,« fügte der Baron rasch zu seiner Frage hinzu, »daß Dir das Gedächtniß schon wieder abhanden kommt!«

»O nein, nein, nein! Grad jetzund ists ganz richtig da. Es ist noch niemals so gesund und so stark gewest, wie grad in diesem Augenblick. Das merk ich sehr, weils grad die Hauptsach festhalten hat.«

»Diese Hauptsache ist doch die Adresse, welche Du mir versprochen hast!«


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»O nein. Die Hauptsach sind die fünfhundert Markln, die Sie mir versprochen haben!«

»Ach so! Höre, alter Spitzbube, Du hast eigentlich die besten Anlagen für den Galgen!«

»Ach? Das hab ich gar nicht wußt! Zum Galgen? Nun, weil wir so gut zusammenpassen, könntens nachhero an mir aufihangen werden!«

Der Baron fuhr einen Schritt auf ihn zu; aber er sah ein, daß ihm das Aufbrausen nichts nützen könne. Er hatte nur dieselbe Grobheit zurückerhalten, welche er vorher ausgegeben hatte.

»Bleibens halt nur ruhig!« warnte der Sepp. »Wann ich mich noch mehr aufireg, so kann mir mein Gedächtnisserl schnell wiedern abhanden kommen, und sodann verdien ich mir das schöne Geldl nicht.«

»Ganz recht! Also sag mir lieber schnell die Adresse, welche ich wissen will; dann hole ich Dir das Geld!«

»Ich bitt Ihnen recht sehr schön, mir lieberst das Geldl recht schnell zu holen. Nachhero sollens gleich das Richtige derfahren!«

Der Baron schlug mit der geballten Faust auf den Tisch und stieß einen Fluch aus. Der Sepp hielt sich die Ohren zu, indem er den Erschrockenen spielte, und klagte:

»O weh! Wanns noch mal so geht, so ist mein Gedächtnisserl zum Teuxel! Am Besten ists, wann ich davon geh. Ich seh nun doch eini, daß hier keine Geschäften zu machen sind!«

»Halt, Du bleibst!« gebot der Baron. »Ich gehe, um das Geld zu holen.«

Er ging wirklich, um seine Tochter aufzusuchen, in deren Besitz er eine bedeutende Summe niedergelegt hatte, damit sie die zur Einrichtung des Schlosses nothwendigen laufenden Ausgaben bestreiten könne. Der Sepp blieb in ehrerbietiger Haltung an der Thür stehen, obgleich er sich jetzt allein befand. Aber er drehte sich die Schnurrbartspitzen aus und brummte dabei höchst vergnügt:

»Jetzund, Sepp, mach die Taschen auf! Es kommt ein Geldl geflogen! Und nachhero mußt klug sein und gescheidt!«

Als der Baron in den Speisesaal kam, hatte sich der Professor der Musik bereits wieder in sein Zimmer zurückgezogen. Anton lehnte mit Asta am geöffneten Instrumente, und Milda saß am Tische, in einer Modenzeitung nach Mustern suchend.

Die beiden jungen Leute dort am Pianino machten sich gar kein Gewissen daraus, die Dame des Hauses so allein zu lassen. Diese Isolirung seiner Tochter war dem Baron sehr gelegen. Er lud sie ein, ihn einmal nach ihrem Zimmer zu begleiten, da er mit ihr zu sprechen habe.

Dort angekommen, theilte er ihr mit, daß er sofort fünfhundert Mark baar brauche, und sie zählte ihm, ohne zu fragen, die Summe in Goldstücken vor und fragte sodann, ob sie heut Abend noch auf seine Gesellschaft zu rechnen habe.

»Schwerlich,« antwortete er. »Ich habe soeben eine Meldung erhalten,


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welche mich veranlaßt, mich zurückzuziehen, um der Angelegenheit, welche große Wichtigkeit für mich besitzt, einiges Nachdenken zu widmen.«

»So bin ich leider ganz allein.«

»Wieso? Hast Du nicht Asta und den Sänger?«

»Nein, sondern diese Beiden haben nur sich.«

»Willst Du etwa sagen, daß sie Wohlgefallen an einander finden?«

»Es hat allen Anschein.«

»Ah, das wäre mir lieb!«

»Asta giebt sich höchst auffällig Mühe, ihn zu gewinnen.«

»Sie thut ganz recht daran und arbeitet mir grad in die Hände.«

»Wieso? Mir ist ihre Annäherung unangenehm.«

»Weil Du meine Ab- und Ansichten nicht kennst. Dieser Anton Warschauer wird sehr protegirt. Es hat mich keine kleine Anstrengung gekostet, es so weit zu bringen, daß er Gast in Steinegg wurde. Er bildet von jetzt an, so zu sagen, ein Glied unserer Familie. Das ist von Vortheil für uns, denn diejenigen Personen, welche sich für ihn interessiren, werden uns dadurch zur Dankbarkeit verpflichtet.«

Sie blickte ihn befremdet an.

»Ich kenne Deine gesellschaftliche Stellung nicht genau, Vater, da Du es für gerathen gehalten hast, mich in Isolirung aufwachsen zu lassen. Aber bedarfst Du denn der - Protection eines Sängers?«

Er fühlte gar wohl den Vorwurf, welcher in ihren Worten lag.

»Die seinige nicht, sondern diejenige der hochgestellten Personen, welche ihm eine Zukunft bieten. Und wenn Asta seine Liebe gewinnt, so kann mir das nur erwünscht sein. Sie fesselt ihn an uns, da sie Deine Freundin ist.«

Milda zuckte leise die feine Schulter.

»Freundin?« fragte sie gedehnt. »Ich gestehe Dir offen, daß ich keine übergroße Zuneigung für sie empfinde.«

»Was? Du macht mir eine Mittheilung, welche mich außerordentlich überrascht. Ihr habt ja stets als Freundinnen mit einander verkehrt.«

»Aber nur aus dem einfachen Grunde, weil sie die einzige junge Dame ist, mit welcher Du mir zu verkehren erlaubtest.«

»Was ist an ihr unsimpathisch?«

»Sie hat kein Herz, kein Gemüth, ist berechnend und - was ich erst jetzt in Erfahrung gebracht habe - eine Kokette, welche mir offen erklärt, daß es der schönste Zweck des Lebens sei, das Leben zu genießen.«

»Da hat sie sehr Recht!«

Milda blickte ihn fast erschrocken an.

»Wenn Du das sagst, Vater, so ist Deine Weltanschauung keine sehr ernste!«

»Pah! Lerne das Leben kennen, so wirst Du eben so denken wie ich!«

»Und Asta spricht nicht etwa im Allgemeinen vom Genusse des Lebens, sondern sie meint damit ganz specielle Freuden.«

»Hm! Raffinirt sie etwa?«


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»Ja. Sie will - geliebt sein.«

»Verdenkst Du ihr das?«

»Sehr! Sie trachtet nämlich nicht nach der Liebe eines Einzigen.«

»Verteufelt! Dann entwickelt sie sich zu einer Salondame, welche eine Zukunft hat.«

»Um Gotteswillen, Vater!«

»Du thust ja ganz entsetzt! Eine Dame muß ihre Schönheit zu benützen, mit ihren Reizen zu wuchern wissen. Gerade in diplomatischen Kreisen, zu denen ich doch auch gehöre, werden durch Damen die größten Trümpfe ausgespielt.«

Sie wendete sich halb ab, und wie in zweifelndem Tone wiederholte sie seine Worte:

»Zu denen auch Du gehörst! Bitte, Vater, wie kommt es, daß ich niemals Deinen Namen nennen hörte?«

Er nagte einige Secunden lang die Unterlippe mit den Zähnen und antwortete dann:

»Weil gerade die besten und brauchbarsten Kräfte zur Lösung jener schwierigen Aufgaben verwendet werden, an denen nur ganz in der Stille, ganz im Geheimnisse gearbeitet werden kann. Auch Dir ist eine dieser Aufgaben bestimmt.«

»Mir? Ich bitte Dich! Ich werde niemals eine Diplomatin sein!«

»Das sollst Du auch nicht. Die Damen, welche wir brauchen, sollen nicht selbst Diplomatinnen sein, sondern uns Diplomaten als Werkzeuge dienen.«

Sie streckte wie im Abscheu die Hände vor.

»Als Werkzeug? Die Damen sollen sich Euch also zur Verfügung stellen?«

»Ja, und zwar mit allen ihren körperlichen und geistigen Eigenschaften, mit ihrer Schönheit, ihren Reizen, ihren seelischen Vorzügen! Grad aus diesem Grunde bist Du in tiefster Einsamkeit erzogen worden. Du bist schön, interessant, was noch viel besser ist als schön, ein unverdorbenes Gemüth. Wenn ich Dich in die betreffenden Kreise einführe, werden sich Vieler Augen auf Dich richten, und ich werde Dir diejenigen Herren bezeichnen, von denen ich wünsche, daß sie sich an Dich fesseln lassen.«

»Mein Gott! Das verlangst Du von mir!«

»Ich muß es verlangen!«

»Daß ich mit den heiligsten Gefühlen des Herzens spiele, mit meinen eigenen und mit fremden Gefühlen?«

»Pah! Du bist noch Kind. Sprechen wir über dieses Thema, wenn die Zeit dazu gekommen ist. Asta ist Dir in dieser Beziehung weit überlegen, und darum wünsche ich, daß Du Dich aufs Innigste ihr anschließest. Wenn sie jetzt den Sänger zu fesseln sucht, so lasse ich ihr Zeit und Gelegenheit dazu. Störe sie nicht dabei, sondern ziehe Dich lieber zurück. So wäre es zum Beispiel jetzt gerathen, nicht wieder zu ihnen zurückzukehren. Kannst Du Dich nicht allein beschäftigen?«

»Ganz gut. Wenn Du es wünschest, so will ich mich hier fügen, denn


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Du magst Deine wohl erwogenen Absichten dabei haben, die ich aber weder mit dem Verstande noch mit dem Herzen begreifen kann. Ich könnte ja, um sie nicht zu stören, einen kleinen Spaziergang machen.«

»Bei Abend?«

»O nur herunter in die Stadt, zu einer Bekannten.«

»Ah, so hast Du hier Bekanntschaft geschlossen, hier in dem Städtchen? Wer ist denn die Dame, mit welcher die Schloßherrin von Steinegg verkehrt?«

»Eine Frau Holberg. Sie ist Bürgermeisterswittwe und eine Frau von wahrer Herzensbildung.«

»Hat sie Familie?«

»Nein, weder Kinder noch Verwandte.«

»Nun, so kann sie ungefähr die Stellung einer Gesellschafterin zu Dir einnehmen, und ich will nichts dagegen haben, wenn Du sie zuweilen besuchst oder bei Dir siehst.«

»Ihr Rath ist mir grad jetzt sehr oft von größtem Vortheil gewesen. Schade, daß grad Asta sie nicht gut leiden mag. Sie hat sie heut am Morgen gradezu beleidigt.«

»So! Und das willst Du jetzt wieder gut machen?«

»Das ist meine Absicht.«

»So hoffe ich, daß dies in einer Weise geschieht, durch welche Asta nicht etwa blosgestellt wird.«

»Gewiß. Das Quiproquo wird gar nicht erwähnt. Wenn ich mit der Dame spreche, so fühlt sie sich reichlich entschädigt. Sie ist trotz ihrer reichen Kenntnisse und ihrer hohen Bildung so sehr anspruchslos.«

»Dann besuche sie; aber laß Dich durch einen Diener dann abholen.«

»Das ist nicht nöthig. Sie begleitet mich bei der Heimkehr stets bis herauf an das Schloß.«

Er ging nach seinem Zimmer, wo der Sepp noch immer still an der Thür stand. Er zählte die Goldstücke auf dem Tische auf und sagte dann:

»Hier liegt das Geld. Jetzt also die Mittheilung!«

Der Alte schüttelte den Kopf.

»Ich glaub halt nicht, daß ich da mitmach!«

»Du siehst doch das Geld liegen!«

»Ja, aberst ich fühls noch nicht in meiner Taschen. Erst wann es da drinnen steckt sicher und gewiß, nachhero werd ich reden.«

»Das ist eine Beleidigung. Glaubst Du, daß ich Dich betrügen werde!«

»Ich glaub, daß man ein großes Brot und eine kleine Wursten wohl essen kann, daß aber ein kleines Brod und eine große Wursten zusammen noch gar viel bessern schmecken.«

»So greif zu!«

Der Sepp trat an den Tisch und zog seinen alten Beutel. Er zählte die fünfundzwanzig Zwanzigmarkstücken bedächtig hinein, band ihn langsam zu und steckte ihn in die Tasche.


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»So, jetzund ist das Geldl einisperrt; nun gehörts mir. Jetzt kann mirs Niemand nehmen.«

»Nun red aber auch!«

»Sehr gern. Ich werd sogar noch vielmehr thun, als ich versprochen hab. Ich werd nicht nur die Adressen sagen, sondern ich werd Ihnen sogar Ihren Sohn zeigen, Herr Baronen.«

»Zeigen! Ist denn das möglich?«

»Dann, wanns unmöglich wär, würd ich es doch wohl nicht sagen.«

»Allerdings. Aber wann willst Du ihn mir zeigen?«

»Noch heut Abend, weil er da auf Besuch hier in Steinegg ist.«

Der Baron konnte seine Ueberraschung nicht bemeistern. Vielleicht fühlte er nicht nur Ueberraschung, sondern sogar Besorgniß, denn er fragte:

»Er ist auf Besuch hier? So wohnt er also nicht beständig hier?«

»Nein. Er wird morgen früh schon wiedern von hier fortgehen.«

»Was ist er denn?«

»Schulmeistern. Er hat in Regensburg einen Dienst gehabt.«

Der Baron beachtete dieses »gehabt« nicht, bemerkte also nicht, daß der Sepp nicht von der Gegenwart, sondern von der Vergangenheit sprach.

»In Regensburg. Da sind wohl auch seine Eltern?«

»Wahrscheinlich, denn er ist dort ja erzogen worden.«

»Und bei wem ist er hier auf Besuch?«

»Bei einer Frau Holberg, welche - - -«

»Welche Bürgermeisterswittwe ist etwa?« fiel der Baron gleich ein.

»Ja. Kennens etwan die bereits?«

»Nein. Aber was will er denn bei der?«

»Ich hab doch sagt, daß er bei ihr auf Besuch ist. Sie haben sich mal drüben in Hohenwald troffen, und weil er grad Zeit habt hat, hat er sie herübern begleitet und ist noch ein Wenig da blieben.«

»So, so! Welch ein Zufall! Ich kaufe dieses Schloß und finde da den - - diesen, na, wie heißt er denn wohl? Welchen Namen führt er?«

»Max Walthern.«

»Das stimmt.«

»Na, ich werd doch nix sagen, was nachhero nicht stimmen thät!«

»Du sprachst aber, als ich nach seinen Eltern fragte, in einem ungewissen Tone. Natürlich kennst Du die Adresse derselben?«

»Ich weiß nur, wo er ist. Von ihm wird man das Alles sogleich derfahren können. Ich werd also jetzund zu dera Frau Bürgermeistrin gehen und ihn fragen.«

Er wendete sich um, als ob er eilfertig gehen wolle; aber das lag nicht in der Absicht des Barons, welcher ihn zurück hielt.

»Bleib! Wie kannst Du denken, daß Du so Etwas unternehmen kannst!«

»Na, warum dann nicht?«

»Was würde die Bürgermeistrin denken, wenn Du am Abende zu ihr kämst, Du ein Fremder - -«


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»Na, ich weiß, wo sie wohnt!«

»So! Aber genügt denn das? Die ganze Sache wäre ja gleich verrathen!«

»Das glaub ich halt nimmer!«

»Freilich. Man würde Dich fragen, warum Du Dich erkundigst, und ich traue Dir zwar Pfiffigkeit zu, aber nicht die Festigkeit, welche dazu gehört, sich nicht aushorchen zu lassen.«

»Ja, wie wollen wirs aberst derfahren? Er reist morgen bereits wiedern ab.«

»Ich gehe selbst.«

»Himmelsakra! Das kann nimmer sein!«

»Viel eher, als daß Du hingehst.«

»Aberst was soll die Bürgermeistrin denken, wann Sie kommen und nach ihm fragen? Das muß ihr ja auffallen!«

»Das laß nur meine Sorge sein. Meine Tochter ist oft bei ihr. Sie geht auch jetzt wieder hin, und ich werde sie begleiten. Auf diese Weise sehe und spreche ich diesen Lehrer und erfahre Alles, Alles von ihm, was ich nur wissen will, ohne daß er eine Ahnung hat, wer ich eigentlich bin.«

»Ja, wanns so ist, so mag es wohl gehen.«

»Wo ist die Wohnung?«

»Vom Schloß hinab und in die Straße hinein das letzte Haus rechts eh' man an den Marktplatz kommt. Habens nachhero noch was zu fragen?«

»Nein. Ich werde jetzt Befehl geben, Dir eine Stube - - - hm, ich bin gar nicht vorbereitet gewesen, daß Du heut schon kommst.«

»Na, darüber brauchens sich denen Kopf nicht zu zerbrechen. Ich gehe hinabi in den Gasthof oder zu einem Bekannten, wo ich in dieser Nacht schlafen darf.«

»Das ist mir angenehm. Aber ich hoffe, daß Du verschwiegen bist!«

»Ich red grad so viel wie ein Karpfenfischen im Wassern drin.«

»Aber wenn man Dich fragt, aus welchem Grunde Du die Anstellung bei mir erhalten hast? Was wirst Du da antworten?«

»Da giebts gar Vielerlei, was ich sagen kann. Am Besten wirds halt sein, wann ich sag, ich hab den Dienst erhalten, weil wir verwandt mit nander sind. Ich bin dem Baron sein Vettern von Seiten seines Oheims her.«

»Bist Du toll! Ich glaube gar, Du würdest so Etwas sagen!«

»Warum nicht? Ists etwan eine Schand für mich, wann ich Ihnen Ihr lieber Cousin sein thät?«

»Für Dich keine Schande, für mich aber keine Ehre. Nein, Du mußt einen anderen Grund angeben. Sag, Du seiest mir von der Behörde Deines Heimathsortes empfohlen worden.«

»Ja, das ist auch eine gute Ausreden. An dieselbe hab ich halt gar nicht denkt. Also morgen soll ich meinen Dienst beginnen? Wann aberst dann? Um welche Zeiten?«

»Komm, wann Du denkst. Ich bin am ganzen Vormittag zu Hause.«


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»Das ist sehr schön. Aberst nun hab ich noch eine Frage, auf die ich mich sehr freu, Herr Baronen.«

Es spielte dabei ein recht eigenthümliches Lächeln um seinen starken, weißen Schnurrbart.

»Nun, welche ist es?«

»Wann ich Parkinspector werd, so - - -«

»Parkinspector?« fiel der Baron ein. »Der Titel, welchen Du Dir giebst, wird ja immer vornehmer!«

»Ja, ich avancire mich halt selberst!«

»Parkaufseher!«

»So! Auch gut! Aberst wann ich der werd, so muß ich doch auch eine Uniformen tragen?«

»Natürlich.«

»Wie wird die ausschauen?«

»Das werd ich mir überlegen.«

»Wann sichs erst überlegen wollen, so ists also noch unbestimmt, und so können Sie's mir ja wohl nach Gefallen machen.«

»Ach so! Du hast Wünsche?«

»Eine goldne Dressen möcht ich haben und auch goldne Knöpfen mit einer schönen Kronen darauf, die ich mit Kreiden und Thonen putzen thu!«

»Mensch, bist Du eitel?«

»Nein, aberst ich will einen Staat machen, daß dera Herrn Baronen seine Freud und Ehren an mir hat. Darum will ich auch einen Buonapartenhuten mit einem rothen Federbuschen daraufi haben.«

»Willst Du nicht auch Schellen und Klingeln daran?«

»Nein, sondern aber noch einen Schleppsäbeln, der richtig rasseln thut und eine Doppelflinten mit einer blauen Patronentaschen und Sporen an denen Schuhen.«

»Sporen an den Schuhen! Also nicht einmal an den Stiefeln!«

»Nein. Meine Schuhen hier behalt ich. Die trag ich nun bereits an die vierzehn Jahren und sind also auch über zwanzig Flecken drauf geflickt. Die passen mir gar schön. Sie sind derb und dauerhaft, und weils so gar hübsch auf und nieder schlappen, kann ichs auch gleich als Pantofferln tragen. Das ist nicht bei eden Schuhen so bequem.«

»Ich muß sagen, daß Dein Geschmack ein sehr eigenthümlicher ist. Hoffentlich wirst Du den Anzug tragen, den ich für Dich fertigen lasse.«

»Ja, wann er nobeln ist und auch aloganten, dann zieh ich ihn schon an. Ich bin ein sakrischer Kerlen in dieser Beziehungen und hab immer viel auf mein äußeres Exteriören geben. Wann dera Mensch hübsch fein geht, so macht er gleich einen schönen Eindrucken auf die Leutln!«

»Das sieht man ja bereits schon jetzt ganz deutlich an Dir. Zunächst aber hat es mit der Livreé für Dich keine große Eile. Vielleicht wirst Du in meinem Auftrag eine Reise machen, für welche ich Dir zunächst einen Civilanzug besorge.«


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»Wohin?«

»Nach Regensburg, um Dich nach den Verhältnissen und den Verwandten dieses Max Walther genau zu erkundigen. Ich muß Dir einmal mein Vertrauen schenken, und so will ich keinen Andern damit beauftragen.«

»Wollens ihn etwan als Sohn anerkennen?«

»Das kann mir im ganzen Leben nicht einfallen.«

»So! Ich, wann ich einen Sohn hätt, ich wär auch ganz gewiß sein Vatern; aberst mich geht diese Geschichten nix weitern an. Jetzund nun werd ich mich dem Herrn Baronen empfehlen und will nur wünschen, daß dera gnädigen Herrn mit mir zufrieden sein mag. Sag gute Nacht und gute Besserungen!«

Bei diesen Worten war er zur Thür hinaus.

Sein letztes Wort war eigentlich für den Baron eine Beleidigung; dieser nahm es aber nicht so. Er glaubte, der Alte habe es aus alter Gewohnheit oder ohne alle Ueberlegung gesagt. Er begab sich nach dem Zimmer seiner Tochter, um dieser mitzutheilen, daß er sie begleiten werde. Dort erfuhr er, daß sie bereits fort sei. Nun war es unmöglich, ihr sofort zu folgen. Es schien gerathener zu sein, später zu gehen. Es konnte dann die Ausrede gemacht werden, daß er sie habe abholen wollen, da sie allein sei. Aus diesem Grunde wartete er fast noch eine Stunde.

Die Bürgermeisterin hatte ihren Sohn sofort in ihre Stube geführt und dem Mädchen den Auftrag ertheilt, für das Abendbrot zu sorgen.

Wie glücklich fühlte sie sich, den so lang Ersehnten nun endlich, endlich bei sich zu sehen! Und mit welch zärtlicher Sorgfalt bediente sie ihn und sah darauf, daß er es recht bequem habe. Er sollte die Liebe, welche er vermißt hatte, nun in reichlichstem Maße finden, zumal er ja bald gezwungen war, für längere Zeit die Heimath zu verlassen.

Dann saßen sie Hand in Hand neben einander auf dem Sopha.

»Wie wird sich mein Mädchen wundern,« sagte sie, »wenn sie erfährt, daß Du mein Sohn bist! Es hält mich hier ja jedermann für kinderlos.«

»Mutter,« bat er, »halte mit dieser Mittheilung noch zurück! Ich bin ja ebenso glücklich, wenn auch die Leute nicht wissen, wer ich Dir bin!«

»Wie, verleugnen soll ich Dich? Das kann mir nicht einfallen! Das wäre ja eine neue und noch größere Versündigung an Dir als vorher!«

»Aber bedenke Deinen Ruf!«

»Mein Ruf wird wohl kaum darunter leiden. Und ich glaube auch nicht, daß ich nun, da ich Dich besitze, für immer hier wohnen werde. Nein, nein, ich verleugne Dich nicht. Ich wollte, ich könnte Dir noch viele und größere Opfer bringen.«

Bald wurde das Mahl aufgetragen, und dabei warf das Mädchen allerdings ganz verwunderte Blicke auf die Beiden, welche sich Du nannten und so liebevoll mit einander waren.

»Der Sepp ist noch nicht da,« meinte die Mutter. »Ich denke wir warten mit dem Essen auf ihn?«


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»Sehr gern. Ueberhaupt läßt mich das Glück gar nicht an das Essen denken.«

»Sag es aufrichtig, ob es Dir recht ist, daß sich der Alte mit zu uns setzt. Ich thue so gern nach Deinem Willen.«

»So soll er allerdings bei uns sein.«

»Recht so! Wir haben ja grad ihm zu verdanken, daß wir uns wiedergefunden haben.«

»Und überdies darfst Du nicht denken, daß ich den Wurzelsepp mißachte. Er ist ein ungewöhnlicher Mensch, und ich habe die Beobachtung gemacht, daß er sogar heimlich mit dem Könige verkehrt. Ich will keineswegs behaupten, daß er das nicht sei, was er zu sein scheint; aber er hat Bekanntschaften und Verbindungen, welche ihm Derjenige, der ihn nur nach der Kleidung beurtheilt, sicherlich nicht zutrauen wird. Uebrigens rechne ich ihn nicht nur zu meinen Bekannten, sondern er ist sogar ein Verbündeter von mir.«

»So verfolgst Du Zwecke, wobei er Dir behilflich ist?«

»Ja. Ich bin einem Verbrechen auf der Spur, und er steht mir bei, den Thäter zu entlarven. Er ist ein schlauer aber auch ebenso treuer und zuverlässiger Patron.«

Sie warteten noch einige Zeit, aber der Sepp wollte sich nicht einstellen. An seiner Stelle kam zur freudigen Ueberraschung Milda von Alberg.

Da die Bürgermeisterin eine einfache bürgerliche Wirthschaft führte, so war von einer Anmeldung durch Dienerschaft keine Rede. Milda klopfte also nur an die Thür und trat dann ein.

Mutter und Sohn erhoben sich vom Sopha, auf welchem sie noch immer gesessen hatten.

Es war ein ganz eigenthümlicher Augenblick. Die Bürgermeisterin fühlte sich im ersten Moment einigermaßen verlegen, nun da sie Max in Wirklichkeit als ihren Sohn vorstellen sollte. Dann, als sie sprechen wollte, fiel ihr mit einem Male die außerordentliche Aehnlichkeit dieser Beiden auf. Wer Max und Milda erblickte, ohne sie zu kennen, mußte sie unbedingt für Geschwister halten.

Und die Beiden standen auch einander mit ganz eigenartigen Empfindungen gegenüber. Sie hatten einander noch nie gesehen, und doch war es Beiden, als müßten sie sich fragen, wo sie einander bereits schon begegnet seien. Max verbeugte sich höflich, und das schöne, junge Mädchen beantwortete seinen stummen Gruß mit einer ähnlichen Verneigung. Die Wangen Beider waren roth geworden. Da endlich hatte sich die Bürgermeisterin gefaßt. Sie begann beherzt:

»Ich konnte gnädiges Fräulein heut nicht mehr erwarten, bin aber nur um so mehr erfreut und erlaube mir, Ihnen meinen Sohn vorzustellen - Max Walther, welcher einen anderen als meinen jetzigen Namen trägt. Milda, Baronesse von Alberg, die neue Herrin des hiesigen Schlosses.«

Die Verbeugungen wurden wiederholt, und Milda bemerkte dabei in ihrer Aufrichtigkeit:


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»Ich danke Ihnen recht herzlich. Ich hatte bisher keine Ahnung, daß Sie so glücklich seien, einen Sohn zu besitzen.«

»O, die Wahrheit zu sagen, ich wußte ja selbst noch nicht, ob ich ihn noch besaß.«

»Wie? Ist das möglich!«

Max sah, daß seine Mutter antworten wollte. Er wünschte um ihretwillen, daß sie nicht allzu aufrichtig sein möge, und fiel also schnell ein:

»Ich bin nämlich ein verlorener Sohn gewesen, da ich der Mama als kleiner Knabe während einer Reise abhanden kam. Es wurde voller Angst nach mir geforscht, leider vergebens. Erst heut sind wir so glücklich, uns endlich wiedergefunden zu haben.«

»Mein Himmel! Das ist ja ein wirklicher Roman! Ich denke, so Etwas kann in unserer nüchternen Welt gar nicht mehr vorkommen! Was müssen Sie gelitten haben, Sie ärmste Freundin! Ich kann mir das denken und freue mich um so mehr, Ihren Kummer gestillt zu sehen. Aber warum haben Sie mir denselben nicht mitgetheilt?«

Sie hatte voll innigsten Mitgefühles die Bürgermeisterin umarmt.

»Mama wollte nicht von ihrem Kummer sprechen,« antwortete Walther, »weil dadurch die Wunde, welche ja niemals heil geworden war, immer schmerzlicher geworden wäre.«

»Aber ein still getragener Schmerz ist ja viel schrecklicher als ein Leid, welches durch Theilnahme gemildert wird. Ich möchte Ihnen wirklich zürnen, daß Sie gegen mich so verschwiegen gewesen sind. Nicht einmal erfahren habe ich, daß der selige Bürgermeister Ihr zweiter Mann gewesen ist.«

»Er war ja der erste!« entfuhr es der Frau.

»Mutter!« warnte Max.

»Der erste?« fragte Milda verwundert. »Und Herr Walther heißt nicht Holberg?«

»Weil man, als ich von fremden Menschen gefunden wurde, meinen Namen ja nicht kannte,« erklärte der vorsichtige Lehrer. Seine Mutter aber schüttelte den Kopf, reichte ihm die Hand hin und sagte:

»Ich danke Dir, Max! Du willst mir Hilfe bringen, welche aber keine Hilfe ist. Du sagst die reine Wahrheit, welche aber dennoch eine Unwahrheit ist. Warum soll ich nicht den Muth haben, das Richtige zu sagen, da mich kein Vorwurf treffen kann? Gnädiges Fräulein, ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich nicht weiß, wer der Vater meines Sohnes ist.«

Zunächst war das der jungen Dame gar nicht faßbar. Dann breitete sich eine glühende Röthe über ihr Gesicht. Sie fühlte das und erröthete darüber noch tiefer, in der Besorgniß, die Frau, welcher sie eine so aufrichtige Hochachtung zollte, beleidigen zu können. Darum ergriff sie schnell die beiden Hände derselben und sagte:

»Ich besitze keine Erfahrung, Frau Bürgermeisterin, aber ich ahne doch,


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daß Sie viel, sehr viel gelitten haben müssen. Der liebe Gott mag sie von nun an desto glücklicher sein lassen.«

In ihrer tiefen Theilnahme küßte sie die viel geprüfte Frau auf die Stirn. Dadurch wurde die Letztere so gerührt, daß sie es nicht über das Herz bringen konnte, das gute, liebe Mädchen in Ungewißheit zu lassen. Sie begann, zu erzählen.

Sie entschuldigte sich nicht. Sie klagte sich selbst an, so daß Max öfters ein Wort der Vertheidigung für sie einwerfen mußte. Aber dennoch fiel alle, alle Schuld auf den herz- und gewissenlosen Betrüger, welcher sich nicht gescheut hatte, ein solches Verbrechen an einem reinen und vertrauensvollen Mädchenherzen zu begehen.

Milda war ganz sprachlos vor Entsetzen. Es war ihr unmöglich, daß es solche Menschen geben könne. Sie wollte es nicht glauben, bis die Bürgermeisterin jenen Brief herbeibrachte, welchen sie als letztes Lebenszeichen von dem Betrüger empfangen hatte.

Weder Max noch die Baronesse waren im Stande, die von Thränen so vielfach verwischten Schriftzüge zu lesen. Als aber die Bürgermeisterin die Zeilen, aus denen ein so grausamer, ordinärer und giftiger Hohn sprach, vorgelesen, faltete Milda die Hände und rief unter strömenden Thränen:

»Mein Himmel! So eine Sprache! Und Sie sind nicht vor Herzeleid gestorben!«

»Ich war gelähmt, nicht am Körper, sondern am Geiste, an der Seele, am Herzen. Mein damaliger Zustand läßt sich nicht beschreiben. Er ist nur zu vergleichen mit einem fürchterlichen Traume, in welchem man moralisch niemals zur Verantwortung gezogen werden kann. Max, was hast Du?«

Sie hatte gehört, daß seine Zähne laut zusammenknirschten. Sein Gesicht war leichenblaß, und seine Augen glühten.

»Herr Walther, was ist Ihnen?« fragte auch Milda voller Angst.

»Nichts, nichts,« antwortete er tonlos und mit Anstrengung. »Und Du hast ihm vergeben?«

»Ja, mein Sohn.«

»So bist Du ein Engel, ich aber bin ein schwacher Mensch und vermag es nicht, mich zu einer so himmlischen Milde empor zu schwingen. Ich habe Dich heut gebeten ihn zu vergessen und nicht nach ihm zu forschen. Jetzt aber, nachdem ich seinen Brief gehört habe, dieses Machwerk eines satanischen Menschenherzens, jetzt werde ich alle Minen springen lassen, um zu erfahren, ob und wo er noch lebt. Und wehe ihm, wenn ich ihn finde!«

Man hörte die Gelenke seiner Finger knacken, so ballte er die Hände zusammen.

»Um Gottes willen, was würdest Du thun?«

»Das weiß ich noch nicht. Ich bin vor Grimm und Abscheu völlig fassungslos.«

»Und ich,« sagte Milda, »ich weiß, was ich thun würde, wenn ich ein Mann wäre!«


Ende der neununddreißigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk