Lieferung 43

Karl May

21. Mai 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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er werde parallel mit derselben gehen, und folgte ihm. Leider hatte ich mich geirrt. Als ich dies bemerkte, verließ ich ihn und kam dann immer weiter von meiner ursprünglichen Richtung ab. Ich wurde immer ängstlicher, und meine Besorgniß erreichte den höchsten Grad, als ich mich hier oben befand und das Gewitter losbrach. Sie sind mein Retter gewesen. Ohne Sie lebte ich nicht mehr.«

Sie blickte ihm dabei mit warmer Dankbarkeit in die Augen. Es war, als ob eine innere, drängende Stimme ihm zurufe:

»Umarme sie! Sie duldet es.«

Aber er that es doch nicht. Er wendete sich halb ab und blickte eine Weile lang in das Thal hinunter. Sie fand da Zeit, sein Gesicht zu betrachten. Er hatte in der Höhle den Hut abgenommen und hielt denselben in der Hand. Sein Kopf war ein wirklicher Antinouskopf mit kaum zu bändigendem Lockenhaar. Das Gesicht von einem so edlen, reinen Schnitte, daß man hätte schwören mögen, dieser Jüngling sei keines ordinären Gedankens, keiner gewöhnlichen Handlung fähig. Jetzt drehte er sich wieder zu ihr um.

»Fräulein, ich habe doch einen Fehler begangen, ob ich es für gerathen hielt, uns unsere Namen zu verschweigen. Wollen Sie mir den Ihrigen nennen?«

Da kam ein launiges Widerstreben über sie.

»Nein. Nun ist es hell geworden. Was wir uns da drin im Dunkel der Höhle nicht sagen durften, darüber müssen wir nun erst recht schweigen.«

»Und wenn ich nun nur Ihren Vornamen wissen möchte.«

»Warum wünschen Sie das?«

»Ich weiß, daß ich sehr, sehr oft an Sie denken werde. Und da muß man den Namen wissen, welchen man mit einer so liebenswürdigen Erinnerung in Verbindung zu bringen hat.«

»Ich verstehe das nicht; aber ich will mich nicht sträuben, vorausgesetzt, daß ich auch Ihren Vornamen erfahre.«

»Ich heiße Rudolf.«

»Danke!«

Sie machte ihm eine naive Verbeugung.

»Nicht wahr, ein häßlicher Name?«

»Nicht ganz so häßlich, wie der Träger desselben.«

»O weh! Habe ich solche Ungnade vor Ihren Augen gefunden?«

»Ungnade nicht. Sie wählen da grad den allerschlimmsten Ausdruck.«

»Und nun bitte, Ihr Name?«

»Milda.«

»Milda,« wiederholte er, indem sein Auge mit leuchtendem Blicke an ihrer Gestalt herniederglitt.

»Nicht wahr, ein häßlicher Name?« fragte sie mit denselben Worten, welche er vorher in Anwendung gebracht hatte.

»O nein, sondern ein sehr lieber und guter, aber noch lange nicht so lieb und gut wie die Trägerin desselben.«


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»Ich verbitte mir alle Complimente!«

»Ich beabsichtige nicht, eine Schmeichelei auszusprechen. Oder sehe ich vielleicht aus wie ein Mensch, welcher anders spricht, als er denkt?«

»Nein. Das will ich ihnen gern in aller Aufrichtigkeit gestehen.«

»Dann müssen Sie mir auch glauben, wenn ich Ihnen sage, daß Ihr Name derjenige ist, welcher am Allerbesten für Sie paßt, weil er Ihr Wesen auf das Treffendste bezeichnet.«

»So meinen Sie, daß ich einen sehr milden Character, ein sehr weiches Gemüth besitze?«

»Das ist meine Ueberzeugung.«

»O wie irren Sie sich!«

»Irren? Auf keinen Fall.«

»Auf jeden Fall! Oder bin ich etwa gar so weich und mild gegen Sie gewesen?«

»Ja.«

»Wie? Habe ich nicht in einem sehr befehlshaberischen Tone zu Ihnen gesprochen, als Sie hier im Regen stehen bleiben wollten?«

»Das ist ja eben auch nur ein Beweis Ihres guten Gemüthes!«

»Sie verstehen freilich, die Thatsachen in ganz wahrheitswidriger Weise zu beleuchten.«

»Ich vertheidige im Gegentheile die Wahrheit. Oder war es nicht eine ganz ungewöhnliche Milde und Nachgiebigkeit, als Sie mir erlaubten, meinen Arm um Sie zu legen?«

Sie erröthete.

»Ich gehorchte nur den zwingenden Umständen.«

»So! Unter anderen Umständen würde dies mir also nicht erlaubt gewesen sein?«

»Nein.«

Da trat er ihr um einen Schritt näher und fragte in leisem, vibrirendem Tone:

»Und wenn ich nun jetzt noch einmal meinen Arm um Sie legen möchte? Wenn ich nun jetzt den innigen Wunsch hätte, Ihr Köpfchen noch einmal so an meiner Schulter zu fühlen wie vorhin?«

Sie hob ihren Blick fragend zu seinem Auge empor. Aber es lag nicht die mindeste Spur von Befremdung, oder gar Zorn in demselben. Und ihre Stimme klang auch ganz lieb und freundlich, als sie fragte:

»Warum könnten Sie dies wünschen?«

Er schüttete langsam den Kopf.

»Ihre Frage beweist mir, daß mein Wunsch ein recht unmotivirter war. Ich stehe also von demselben ab.«

Es flog dabei trübe wie eine Wolke über sein schönes, gebräuntes Gesicht.

»Vielleicht ist nicht Ihr Wunsch, sondern meine Frage unbegreiflich,« antwortete sie.

»Ja, bei Gott, das ist sie!«


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»Oder sind Sie gewöhnt, mit Damen in diesem Tone zu verkehren?«

»O nein, nein, gewiß nicht! Ich kann Ihnen mit dem besten Gewissen mein Wort geben, daß mein Arm noch niemals ein Mädchen anders berührt hat, als es die kälteste Höflichkeit mit sich bringt. Hier aber ist es anders. Hier - - -«

Rudoph ergriff ihre Hand

Er sprach nicht weiter. Als sie auch schweigend vor sich niederblickte, ergriff er ihre Hand und fuhr fort:

»Ich möchte Ihnen ja gern erklären, warum ich diesen Wunsch ausgesprochen habe. Aber für solche seelische Vorgänge giebt es ja gar keine bezeichnenden Worte. Als wir vorhin beisammen saßen, da war es mir, als ob der Himmel mir eine recht große Gnade erwiesen habe. Und doch konnte ich ihm nicht dafür dankbar sein, weil ja Alles eben nur eine Folge der zwingenden Umstände war, welche Sie auch erwähnen. Jetzt nun schweigt der Donner, und die Blitze ruhen. Das Wetter hat ausgetobt, und Sie bedürfen des Schutzes nicht mehr. Wenn Sie trotzdem noch einen Augenblick, nur einen einzigen Augenblick lang in meinem Arme ruhen wollten, so würde mich das unendlich glücklich machen. Das Vertrauen, welches Sie mir damit erwiesen, würde dann kein erzwungenes, sondern ein freiwilliges sein.«

Sie blickte hell, freundlich und verständnißvoll zu ihm auf.

»Ist Ihnen so viel an meinem Vertrauen gelegen, Herr - Herr Rudolf?«

»Ja.«

»Aber Sie kennen mich ja nicht!«

»Das Gräschen, welches mit seiner winzigen Spitze die dunkle Scholle durchbricht, kennt die Sonne auch nicht und hat sie noch nie gesehen; dennoch ist ihm an ihrem Strahle, ohne welchen es nicht leben kann, so unendlich viel gelegen. Wollen Sie mir vertrauen, Fräulein Milda?«

Ihr Blick senkte sich zur Erde und »Ja,« hauchte sie mit bebenden Lippen.

Da legte er den Arm um sie, wie derselbe vorhin um ihr gelegen hatte. Und bewußt oder unbewußt, sie wußte es selbst nicht, neigte sich ihr Kopf an seine Schulter.

Es durchzuckte ihn eine nie geahnte Seligkeit.

»Milda!«

Er bog sein Gesicht zu ihr nieder. Sie erhob das ihrige. Ihre Augen flammten für einen Augenblick in einander. Sie wußte es selbst nicht, wie es kam, aber es entfuhr sein Name ihren Lippen:

»Rudolf!«

Kaum aber war es geschehen, so flog die tiefste Röthe der Scham über ihr Gesicht. In ihrer großen Verlegenheit wollte sie sich ihm entziehen. Er hielt sie fester, als er wohl selbst beabsichtigte. Sie nahm die andere Hand zur Hilfe, um sich seinem Arme zu entwinden, und glitt von ihm ab. Die Folge war, daß nun ihr Arm um seinen Leib zu liegen kam. Dies ver-


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doppelte ihre Verlegenheit. Es war ihr, als flögen große Feuerballen vor ihr hin und her, so sehr trieb ihr die Scham das Blut nach dem Kopfe.

»Milda, Milda, meine Sonne, meine Fee!«

So hörte sie ihn sprechen. Sehen konnte sie ihn nicht, denn sie hielt die Augen geschlossen. Es war ihr, als ob sie in den Erdboden sinken werde, wenn ihr Blick den seinigen treffe.

»Warum schweigen Sie?« fragte er. »Sind Sie mir so gar sehr zornig?«

»Nein,« erklang es kaum hörbar.

»Danke, danke! Du süßes, Du herrliches, Du entzückendes Wesen!«

Sie fühlte seine Lippen auf ihrem Munde. Da ließ sie wie im höchsten Schrecke die Arme sinken. Ihr Blut wallte mit Macht aus dem Kopfe nach dem Herzen zurück. Sie war leichenblaß geworden. Er sah es und nahm den Arm von ihr fort. Einen Schritt zurücktretend, blickte er ihr in das farblose Angesicht.

»Milda, was ist Ihnen?«

Anstatt der Antwort schlug sie die Hände vor das Gesicht.

»Was ist Ihnen?« fragte er dringend.

Sie antwortete nicht.

»Bitte, bitte! Entfernen Sie die Hände von Ihrem Angesichte! Es wird mir so bang, wenn Sie nicht sprechen!«

Da ließ sie die Hände langsam fallen.

»Was haben Sie gethan!« hauchte sie, ohne ihn anzublicken.

»Zürnen Sie?«

»Ja - - nein - - - o ja doch!«

»So verzeihen Sie! Ich wollte Sie nicht beleidigen. Ich weiß selbst nicht, wie das so gekommen ist.«

Es war ein ganz eigenthümlicher, tiefer Blick, welcher ihn jetzt aus ihrem Auge traf. Dann sagte sie:

»Sie haben mir mein Leben erhalten, und jetzt nun haben Sie - - mein Gott! Ich sollte eigentlich sagen: Wir sind quitt - - -«

»O, das sind wir ja längst! Ich habe nichts, gar nichts von Ihnen zu fordern. Was ich für Sie that, war ja eine Folge des einfachsten Zufalles. Ein jeder Andere hätte es auch gethan. Es hat mich weder eine Anstrengung noch ein Opfer gekostet. Ich muß Ihnen im Gegentheile meinen herzlichsten Dank sagen, daß Sie meine Hilfe angenommen haben, und ich wollte, ich könnte noch viel, viel mehr für Sie thun!«

»Das ist freilich unmöglich.«

»Warum?«

»Wir werden einander nicht wiedersehen.«

»Meinen Sie? Sollte das Schicksal mir wirklich das Glück versagen, Ihnen wieder zu begegnen, Fräulein Milda?«

»Vielleicht nicht; aber wir würden uns wohl kaum erkennen.«


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»O, glauben Sie das nicht! Ich würde Sie unter Millionen heraus suchen.«

»Sie würden vielleicht mich erkennen aber mich doch unter diesen Millionen stehen lassen.«

»Ganz gewiß nicht.«

»Ganz gewiß!« behauptete sie ernst.

»Warum? Giebt es einen triftigen Grund?«

»Wohl mehrere.«

»Ich kenne keinen einzigen.«

»So kenne ich sie.«

»Darf ich dieselben erfahren?«

»Nein. Sie haben mich Ihre Fee genannt. Nun wohl, bleiben Sie bei dem Glauben, daß ich eines jener geheimnißvollen, überirdischen Wesen sei, nach deren Ursprung der Mensch vergeblich fragt.«

»So soll auch ich nicht nach dem Ihrigen fragen?«

»Nein.«

»Und wenn ich in diesem mich weigere!«

Sie blickte lächelnd zu ihm auf.

»Sie werden sich nicht weigern.«

»Diese Meinung dürfte Sie täuschen.«

»Gewiß nicht. Sie werden mir einen so dringenden Wunsch nicht versagen.«

»Selbst wenn es mich eine so große Selbstüberwindung kostet?«

»Selbst dann, denn dadurch beweisen Sie mir, daß Sie meiner Achtung werth sind.«

Sie sah, daß er mit sich kämpfte. Es wollte ihrem Herzen ja selbst auch wehe thun; aber sie glaubte, nicht anders handeln zu können.

»Also Sie verbieten mir, mich nach Ihnen zu erkundigen?« fragte er langsam und im gedrückten Tone.

»Ja.«

»Und wenn ich Sie zufälliger Weise wiedersehe, soll ich Sie nicht kennen?«

»Das ist es, was ich mir von Ihnen erbitte.«

»Melusine, also Melusine!«

»Ja, es ist ganz so, wie in der Sage von der schönen Melusine. Es war verboten, nach ihrem Ursprunge zu fragen, und als Raimund von Lusignan dennoch seine Wißbegierde nicht mehr zu zügeln vermochte, da entschwand sie ihm.«

»Aber Sie entschwinden mir doch bereits jetzt!«

»Desto besser für Sie, für uns Beide. Also, wollen Sie mir das Versprechen geben, meine Bitte zu erfüllen?«

Sie hielt ihm ihr kleines, weißes Händchen hin. Es schwebte dabei zwar ein Lächeln um ihre Lippen, aber es war eben auch nur ein erzwungenes, entsagendes Lächeln. Er blickte auf ihre Hand und dann in ihr Gesicht und antwortete:


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»Sie wissen nicht, was Sie von mir verlangen.«

»Vielleicht weiß ich es ebenso gut wie Sie!«

»Nein, nein; Sie wissen es nicht, sonst würden Sie es nicht verlangen. Ich habe vorhin von dem Grase und der Sonne gesprochen. Verlangen Sie, der Halm solle auf die Sonne verzichten, so verlangen Sie, daß er sterben soll.«

»Nein! Er würde, wenn er nicht verzichtete, vielleicht um so eher sterben, denn er müßte in ihrer Gluth verwelken.«

»Aber dieser Tod wäre beneidenswerth.«

»Keine Todesart ist beneidenswerth! Wollen wir uns mit Sophismen bekämpfen? Bitte, bitte, sagen Sie mir, daß Sie thun werden, was ich von Ihnen erwarte!«

Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als ob er das Bedürfniß habe, sich den Schweiß von derselben zu wischen.

»Je mehr und länger ich Sie anblicke, Fräulein Milda, desto mehr erkenne ich, wie schwer, ja vielleicht unmöglich es sein wird, Ihnen zu gehorchen.«

»Soll ich Sie für einen Ehrenmann halten oder nicht?«

Sie sagte das in einem Tone, welcher um so strenger war, als er aus so weichen, freundlichen Lippen erklang. Rudolf machte eine Bewegung der Ueberraschung. Sein Blick leuchtete befremdet auf, und seine Brauen zogen sich leicht zusammen. »Hoffentlich bin ich kein Lump!« antwortete er.

»Das bin ich überzeugt. Nur aus diesem Grunde konnte ich meine Bitte aussprechen.«

»Nun wohl, dann sei sie Ihnen gewährt.«

Er machte dabei eine kühle Verbeugung und setzte den Hut, welchen er bisher in der Hand behalten hatte, auf den Kopf. Sie bemerkte das mit mißbilligendem Kopfschütteln und sagte:

»Nicht so! Wir wollen nicht im Zorne von einander scheiden.«

»Ich zürne Ihnen nicht.«

»Aber Ihr Gefühl ist in diesem Augenblicke ein bitteres. Wir treffen uns, ohne uns zu kennen, und scheiden nun, ohne uns zu kennen. Was ist da weiter Ungewöhnliches daran? Ist das nicht so der Welt Lauf?«

»Ja; aber das Scheiden ist weniger angenehm als das Finden und Begegnen.«

»Nun, eine Begegnung zwischen uns Beiden ist ja doch nicht ausgeschlossen.«

»Aber kennen dürfen wir uns nicht.«

»Wenigstens Sie mich nicht. Ich muß Sie kennen; ich muß mich Ihrer erinnern; ich darf Sie nicht vergessen, denn Sie haben mir das Leben gerettet, und ich schulde Ihnen einen immerwährenden Dank.«

»Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß von einem Dank keine Rede sein kann.«

»Ich muß dennoch darauf bestehen, daß ich Verpflichtungen gegen Sie


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habe, davon mich kein Mensch, selbst Sie nicht, entbinden kann. Aus diesem Grunde ist es mir freilich nothwendig, Ihren Namen zu erfahren.«

Er zuckte anstatt der Antwort mit der Achsel.

»Wollen Sie mir ihn verweigern?«

»Ja.«

»Selbst wenn ich Sie recht herzlich bitte?«

»Selbst dann.«

»Aber merken Sie nicht, daß dies sehr unhöflich von Ihnen ist?«

»Unter Umständen ist sogar eine Unhöflichkeit zu entschuldigen.«

»Niemals, zumal wenn sie gegen eine Dame gerichtet ist. Ich will Ihnen dankbar sein, und ich muß Ihnen dankbar sein, und darum ist es unbedingt nöthig, daß ich weiß, wer Sie sind!«

Sie stampfte dabei mit dem kleinen Füßchen auf den Boden. Sie war beinahe in Rage gerathen. Er bemerkte dies mit einem heiteren Lächeln und antwortete:

»Bemerken Sie nicht, daß die Waffen, mit denen wir kämpfen, höchst ungleich sind? Weil Sie eine Dame sind, soll und muß ich Ihnen gehorchen, während ich nicht erfahren darf, wer Sie sind.«

»Ich habe Sie erst gebeten, und dann, nachdem dies ohne Erfolg blieb, sah ich mich gezwungen, an Ihre Höflichkeit zu appelliren. Ich befehle Ihnen jetzt wirklich allen Ernstes, mir Ihren Namen zu nennen!«

Sie that freilich, als ob dieser Befehl halb ein scherzhafter sei; aber es war ihr doch anzusehen, daß sie es mit demselben ganz ernst meine.

»Wenn Sie in diesem Commandotone mit mir verkehren, so muß ich gehorchen,« sagte er.

»Schön! Also Ihr Name?«

»Lohengrin.«

Sie blickte fragend zu ihm auf.

»Lohengrin? So heißen Sie wirklich?«

»So ist mein Name.«

»Hm! Verzeihen Sie! Ich vergaß, daß man zuweilen heut noch dem Kinde einen Namen giebt, welcher der früheren Geschichte oder Sage angehört. Freilich habe ich noch keinen Herrn gekannt, welcher diesen Namen getragen hat. Es ist Ihr Familienname?«

»Nein.«

»Aber doch auch nicht Ihr Vorname, denn Sie nannten sich vorhin ja Rudolf.«

»Es ist mein Pseudonym.«

»Ach so! Aber ich will doch nicht Ihr Pseudonym, sondern Ihren wirklichen Namen wissen!«

»Ganz so, wie ich gern den Ihrigen erfahren möchte. Ich nenne mich Lohengrin, ganz so, wie Sie sich Melusine nannten.«

»Ah! Sie sind also rachsüchtig!«

»Ja. Und paßt Lohengrin nicht ebenso gut auf mich wie Melusine auf


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Sie? Lohengrin hatte auch verboten, nach seiner Herkunft zu forschen, und als Elsa von Brabant dies dennoch that, rief er seinen Schwan und zog mit demselben von dannen.«

»Das ist häßlich, sehr häßlich von Ihnen!«

»Aber dennoch gerecht, sehr gerecht. Sie haben selbst gesagt, daß wir uns fanden, ohne uns zu kennen, und daß wir also auch scheiden werden, ohne uns kennen gelernt zu haben.«

»Und so erfüllen Sie mir meinen Wunsch nicht?«

»Nein, außer ich erfahre auch Ihren Namen.«

»Nein!«

»So bleibt auch der meinige unerwähnt.«

Jetzt machte sie ein ernstlich zorniges Gesicht.

»Ich werde ihn doch erfahren!« sagte sie.

»Das dürfte Ihnen schwer werden. Wir scheiden ja von einander.«

»So gehe ich Ihnen nach!«

»So führe ich Sie irre!« lachte er, innerlich erfreut über ihren Eifer.

»Und dennoch folge ich Ihnen!«

Sie schlug zur Bekräftigung das eine Händchen in das andere.

»Das ist für Sie unmöglich. Sie könnten ja gar nicht so weit gehen.«

»Wohnen Sie weit von hier?«

»Ja.«

»Also nicht in dieser Gegend?«

»O nein, sondern viele, viele Tagereisen von hier. Verstehen Sie italienisch?«

»Nein.«

»So bitte, sehen Sie einmal her!«

Er zog ein großes, gesiegeltes und gestempeltes Papier aus der Tasche, öffnete es und hielt es ihr hin, seinen in großer Schrift darauf stehenden Namen sorgfältig mit den Fingern bedeckend. Sie warf einen forschenden Blick darauf.

»So sind Sie ein Italiener?«

»Ja.«

»Und sprechen das Deutsche so ausgezeichnet!«

»Ich verkehrte in Rom sehr viel mit Deutschen. Sie sehen also, liebes Fräulein, daß Sie mir Ihren Namen ohne Gefahr nennen können. Ich kehre nach Italien zurück.«

»Desto mehr muß ich ihn verschweigen. Zeigen Sie einmal den Paß her!«

»O nein! Verschweigen Sie Ihren Namen, so sollen Sie den meinigen nicht lesen.«

Jetzt ballte sie ihr kleines Händchen zur Faust. Die sanfte Milda befand sich in einer Aufregung, wie sie ihr ganz und gar unbekannt war.

»Also nicht?« stieß sie hervor.

»Nein.«


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»Gut! Dann gehe ich! Leben Sie wohl, Sie Herr - Herr - Herr Lohengrin!«

Sie wendete sich scharf um und eilte von dannen. Er rief ihr grüßend nach:

»Adieu, Fräulein - Fräulein Melusine!«

Sie verschwand um die Ecke des Felsens. Er that einen Schritt vorwärts, als ob er ihr folgen wolle, hielt aber den Fuß sogleich wieder an.

»Nein,« sagte er. »Wenn ich sie richtig beurtheile, so kommt sie wieder zurück. Es ist ja nur ihr gutes Herz, welches ihr diesen Streich spielt. Welch ein schönes, liebes Mädchen!«

Er wartete, und bald zeigte es sich, daß er sich nicht getäuscht hatte. Er war nach ganz vorn getreten, dahin, wo der Felsen steil zur Tiefe fiel, und that ganz so, als ob er in das Anschauen der unten in dem Thale sich ausbreitenden Landschaft ganz vertieft sei.

Da hörte er leichte Schritte, doch verrieth er durch keine Bewegung, daß er dieselben gehört habe.

»Herr - Rudolf!« erklang es leise hinter ihm.

Er antwortete nicht.

»Herr Rudolf!«

Jetzt drehte er sich um. Sie stand vor ihm, in ihrer Verlegenheit im ganzen Gesichte glühend.

»Ah, Sie, Fräulein! Ich glaubte, Sie seien fort.«

»Ich beabsichtigte es auch; aber ich kann doch unmöglich allein gehen.«

»Warum nicht?«

»Weil ich den Weg nicht weiß. Ich habe mich ja verirrt.«

»Ach so! Daran habe ich nicht gedacht.«

»Werden aber Sie mir den Weg beschreiben können? Sie als Italiener sind ja hier ebenso fremd wie ich.«

»Ebenso? Also sind auch Sie nicht von hier?«

»Nein.«

»Hm! Nun, so bitte ich, mir zu sagen, wohin Sie wollen.«

»Ich muß nach - -«

»Steinegg,« hatte sie sagen wollen. Aber bevor sie den Namen aussprach, fiel ihr ein, daß sie dadurch ihren Wohnort verrathen würde. Sie dachte daran, daß sie ja »Hohenwald« sagen könne. Von dort aus führte die Straße nach Steinegg, und wenn sie dieselbe nicht verließ, so konnte sie sich nicht wieder verirren. Darum fuhr sie fort:

»Ich will hinab nach Hohenwald.«

»Haben Sie dort Verwandte?«

»Ja.«

Das war ja keine Unwahrheit, denn sie hatte den Bruder dort. Rudolf blickte ihr forschend in das Gesicht, drohte ihr mit dem Zeigefinger und sagte:

»Fräulein, Fräulein! Ich fühle beinahe Lust, Ihnen nicht zu glauben.«


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»Warum? Ich sage ja die Wahrheit. Ich will wirklich nach Hohenwald.«

»Und vorhin sagten Sie, Sie seien in Hohenwald gewesen, mit einer lieben, mütterlichen Freundin und hätten sich dann auf dem Rückwege verirrt.«

»Hätte ich das Wort Rückweg wirklich gebraucht? Das glaube ich nicht.«

»Aehnlich aber klang es.«

»So legen nur Sie meinen Worten diese falsche Bedeutung bei.«

»Mag sein. Wenn Sie hier hinabblicken, so sehen Sie Hohenwald da unten liegen. Sie haben also da rechts den Berg hinabzusteigen, immer unter Bäumen weg, und kommen dann auf die Straße, welche nach dem Orte führt. Wenn Sie links in dieselbe einbiegen, können Sie gar nicht fehlen. Nach rechts hin aber würden Sie nach Steinegg kommen.«

»Ich danke Ihnen! Aber ob ich die Straße auch wirklich finden werde?«

»Ganz gewiß, wenn Sie immer gradeaus gehen, den Berg hinab.«

Sie blickte so ziemlich rathlos vor sich hin.

»Ich habe dennoch Sorge. Wissen Sie, ich bin noch niemals allein im Walde gewesen. Ich kann die gerade Richtung nicht einhalten. Die vielen Bäume machen mich irr. Ich laufe ganz gewiß im Kreise herum, so daß ich früher oder später, wohl gar erst bei Nacht, wieder hier ankomme. Ich habe so Angst.«

Er nickte bedächtig vor sich hin.

»Ja, da werde ich Sie bitten müssen, einige Zeit hier zu verziehen.«

»Ich soll warten? Warum?«

»Weil ich jetzt gehen werde, um Ihnen einen Führer zu senden. Bis dieser kommt, werden Sie also hier warten müssen.«

»So ganz allein!«

»Leider ist Niemand da.«

»Hier mitten im Walde!«

»O, das darf Sie nicht beängstigen. Sie befinden sich hier ja nicht in den Abruzzen oder im Bakonyerwald, wo es selbst heut noch Raubgesindel geben soll. Sie können inzwischen die Schönheit der Gegend genießen.«

Sie blickte verlegen in das Thal hinab und dann ihm in das Gesicht. Dasselbe war so ruhig und unbewegt, als ob er bei dieser Angelegenheit gar nicht mehr betheiligt sei.

»Aber bitte,« begann sie wieder, »Sie wollten doch wohl auch durch den Wald.«

»Ja, da hinüber!«

Er zeigte hinter sich.

»Und wo wollen Sie den Führer holen?«

»Natürlich unten in Hohenwald. Ich schicke Ihnen denselben herauf. Er kann Sie gar nicht verfehlen, denn dieser Felsen hier bietet einen ganz sichern Anhaltepunkt.«

Wieder schwieg sie eine Weile, blickte ihn verstohlen an und sagte endlich:


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»Aber wenn Sie nach Hohenwald hinab wollen, um dort den Führer zu holen, so könnte ich doch lieber gleich mit Ihnen gehen.«

Er that, als ob er über diese Worte sehr überrascht sei.

»Mit mir? Sie scherzen!«

»O nein! Es ist mein Ernst.«

»Aber Sie sind ja soeben in einem solchen Zorne von mir gegangen, daß es ganz unmöglich ist, daß ich Sie begleite.«

Da lachte sie hell und melodisch auf.

»In einem solchen Zorne! O, das hat bei mir nichts zu bedeuten. Das war ja gar kein eigentlicher Zorn. Das war nur so ein Bischen Eigensinn. Und nun werden Sie wohl erkennen, daß ich keine solche weiche, gutherzige Milda bin, wie Sie vorher geglaubt haben.«

»Ja,« lächelte er, »man muß sich freilich sehr hüten, Sie in Harnisch zu bringen. Mir scheint doch, daß mit Ihnen nicht gut Kirschen essen sei!«

Das war ihr wieder nicht recht. Eine so falsche Ansicht sollte er denn doch nicht von ihr haben. Darum fiel sie schnell und eifrig ein:

»So schlimm, wie Sie es machen, ist es nun freilich nicht. Sie könnten es immerhin versuchen, eine Maaß Kirschen mit mir zu verspeisen. Wenigstens dürfen Sie mir zutrauen, daß Ihr Leben nicht in Gefahr kommt, falls Sie die Güte haben wollen, mich aus dieser Baumwildniß in geordnete Zustände zu bringen.«

»Wenn Sie das versichern, so will ich es einmal wagen.«

»Thun Sie das! Zu Ihrer Beruhigung will ich Ihnen mittheilen, daß Sie gar nicht ganz mit bis nach Hohenwald zu gehen brauchen. Es ist vollständig genügend, wenn Sie mich nach der Fahrstraße bringen. Dann finde ich mich schon selbst zurecht.«

»Wieder in die Wildniß hinein!«

»Nein, denn ich werde die Straße nicht abermals verlassen.«

»So werde ich mich Ihnen sehr gern zur Verfügung stellen.«

Er holte sein Ränzchen, welches noch in der Höhle lag, aus derselben und schnallte es sich auf den Rücken, ergriff den Stock und forderte sie durch eine Verbeugung auf, ihm zu folgen.

Als sie nun hinter ihm herschritt und Gelegenheit hatte, seine Bewegungen zu beobachten, konnte sie nicht umhin, zu bemerken, wie gewandt und elegant dieselben waren.

Erst führte der Weg noch eben dahin, bald aber senkte er sich steil hinab.

»Hier gilt es, vorsichtig zu sein,« warnte Rudolf. »Der Boden ist vom Regen naß und schlüpfrig. Wollen Sie mir nicht lieber Ihren Arm geben, Fräulein?«

»Ich danke,« wehrte sie ab.

Sie hatte das aber sehr bald zu bereuen, denn sie glitt aus, und wenn es ihr nicht gelungen wäre, noch rechtzeitig einen Baumstamm zu erfassen, so wäre sie gewiß gestürzt.

Rudolf fragte jetzt gar nicht. Er ergriff ihre Hand, zog ihren Arm in


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den seinen und führte sie nun sicher weiter. Er hätte den Fußweg benutzen können, auf welchem er vorhin herauf gekommen war, doch unterließ er dies absichtlich. Je unbequemer das Gehen war, desto mehr mußte das schöne Mädchen sich auf ihn verlassen, und es war ihm eine Seligkeit, zu fühlen, wie fest und nachhaltig sie sich auf seinen Arm stützte.

Aber das ging endlich doch zu Ende. Sie erreichten die Straße, und Rudolf erklärte abermals:

»Rechts nach Steinegg und links nach Hohenwald. Diese letztere Richtung müssen Sie also einschlagen.«

»Ich danke Ihnen. Und wie gehen nun Sie?«

»Ich kehre zur Höhe zurück, von welcher wir gekommen sind, und verfolge meine Richtung dann weiter.«

»Darf ich nicht wenigstens erfahren, welches Ihr nächstes Ziel ist?«

»Nein. Elsa von Brabant darf nicht erfahren, wohin ihr Lohengrin sich wendet.«

Sie standen vor einander, auf einsamer Waldstraße. Beide glaubten, daß dieses Scheiden wohl ein Abschied für das Leben sei. Milda blickte still zu Boden, und er ergriff mit seinem Blicke die liebliche Gesammtheit ihrer Gesichtszüge.

»Wenn Freunde aus einander gehn
So sagen sie: Auf Wiedersehn!

Das ist ein Dichterwort, welches auf uns wohl keine Anwendung findet, Fräulein Milda. Darum bitte ich Sie herzlich, mich noch einmal freundlich anzublicken. Ich möchte mir Ihre Züge gern für mein Leben lang einprägen und dieses freundliche Bild mit hinaus nehmen in die Zukunft, welche sich mir jedenfalls ernster gestaltet als Ihnen.«

Sie erhob ihr Auge zu ihm. Es strahlte ihm warm, aber nicht hell entgegen. Es glänzte feucht, wie unter einer tiefen, wehmüthigen Rührung.

»Auch ich werde Sie nicht vergessen,« sagte sie. »Es war ein unerwartetes Treffen und schnelles Scheiden; aber es giebt Bilder, welche sich der Seele unaussprechlich einprägen, obgleich man sie nur einen Augenblick lang sah.«

»So ist das Ihrige!«

»Nehmen Sie meinen innigsten Dank für den großen Dienst, welchen Sie mir leisteten. Ich kann Ihnen denselben leider nicht vergelten, da Sie sich weigern, mir Ihren Namen zu sagen.«

»Daran sind nur allein Sie schuld. Der Dank aber gehört Ihnen. Ich nehme eine Erinnerung von hier mit fort, welche nur mit mir selbst aufhören und sterben wird. Leben Sie wohl!«

Sie hatte ihm ihre Hand entgegengestreckt. Er ergriff dieselbe. Sein Auge leuchtete so innig traurig auf sie nieder; seine Lippen bebten; sie bemerkte das.

»Gott behüte Sie!« flüsterte sie, zog ihre Hand aus der seinen und wendete sich ab.


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Sie war bereits mehrere Schritte gegangen, langsam und zögernd.

»Melusine!« erklang es hinter ihr.

Sie blieb stehen und drehte sich um. Er kam auf sie zu. Sie abermals bei der Hand, bei allen beiden Händen fassend, sagte er:

»Wenn die Fee scheidet, so soll sie als Fee scheiden, beglückend, damit der Augenblick des Abschiedes seinen Glanz hinein in das spätere lichtlose Leben werfe. Darf ich?«

Er hatte sie an sich gezogen und bog den Kopf zu ihr hernieder.

»Was?« flüsterte sie erglühend.

»Den letzten Kuß in meinem Leben!«

Er schlang die Arme um sie und küßte sie, ohne daß sie sich dagegen sträubte. Sie befand sich wie in einem seligen Traume, aber der Traum weckte selbst sie auf.

»Genug, genug!« bat sie. »Und nun ade!«

»Ade, meine Fee, meine Sonne, ade!«

Sie ging fort, jetzt rascher als vorher, nach Hohenwald zu. Er blieb stehen und blickte ihr nach, bis sie verschwunden war.

»Soll ich ihr nach?« fragte er sich. »Soll ich forschen, wer sie ist? Nein! Sie will es nicht, und das ist Ehrensache für mich. Will Gott, daß ich sie wiedersehe, so wird er es schicken. Sein Wille mag geschehen.«

Er suchte den bereits erwähnten Fußpfad auf und stieg langsam, langsam wieder den Berg hinan. Wie schnell war es vorher gegangen, als er demselben Weg gefolgt war, um dem Gewitter zu entgehen. Und nun war es ihm zu Muthe, als ob er eine schwere, schwere Last zu tragen habe. Die Füße wollten gar nicht vorwärts gehen.

Wenn geglaubt hatte, daß Milda wirklich nach Hohenwald gehen werde, so hatte er sich geirrt. Sie ging nur so weit, bis sie hinter einer Straßenkrümmung seinem Auge verschwunden war und trat dann unter die Bäume. Sie wollte sehen, ob er ihr folgen werde. Sie schlich sich im Schutze der Bäume zurück und bemerkte, daß er es ehrlich gemeint habe. Er entfernte sich in der von ihm angegebenen Richtung, und nun konnte sie umkehren, um nach Steinegg zu gehen.

Sie kam gar nicht weit, so wurde sie angerufen, und zwar von dem Wurzelsepp.

Dieser hatte, wie bereits erwähnt, von dem Bahnhofe zu Steinegg nach Hohenwald gewollt, doch war er unterwegs zu der Ueberzeugung gekommen, daß das Gewitter eher losbrechen werde, als er das Ziel erreichte. Darum hatte er sich nach der Waldhüterhütte gewendet und dort ein Unterkommen gefunden. Kurz vor Ausbruch des Gewitters war die Bürgermeisterin dort angekommen und hatte erzählt, daß Milda auf der Straße auf sie warte. Der Sepp war nun eiligst nach derselben gelaufen, um das Mädchen herbei zu holen, hatte aber vergeblich gesucht. Er hatte annehmen müssen, daß die junge Schloßherrin sich beeilt habe, nach Steinegg zu kommen, und kehrte also nach der Hütte zurück.


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Dort wurde das Ende des Gewitters abgewartet und dann führte der Sepp mit dem alten Waldwärter die Bürgermeisterin nach der Straße und eine ziemliche Strecke weit auf derselben fort. Als sie dann zurückkehrten, hörten sie seitwärts Stimmen im Walde.

»Na,« meinte der Wärter, »wer jetzund hier im Walde ist, der hat halt das Gewittern mit durchmachen mußt und wird ausschaun wie eine badete Maus. Wollen also doch mal schaun, wer das sein wird.«

»Du, halt! Das ist ja doch wohl eine Frauenzimmernstimmen. Nicht?«

»Ja, das klingt grad so, so fein.«

»Und - sacra! Diese Stimmen kenn ich schon! Das ist dera Milda ihre Stimmen. Sie redet mit Einem. O Jerum! Die hat also noch im Wald steckt, bei dem Gewittern. Komm daher hinter die Bäumen. Wollen schaun, mit welcher Gesellschaften sie kommt.«

Sie versteckten sich, und einige Augenblicke später trat Milda mit Rudolf auf die Straße hervor.

»Du, kennst Den?« flüsterte der Wärter.

»Ja,« antwortete der Sepp. »Es ist dera Frau Sandauen in Eichenfeld droben ihr Sohn, ein sehr braver Kerlen.«

»Aberst die Beiden sind halt gar nicht naß.«

»Eben! Wie kommt denn das? Sie haben irgendwo steckt, wo dera Regen nicht hinkommt hat, vielleichten - -«

»Pst! Halts Maul jetzunder! Ich glaub halt gar, die nehmen sich noch beim Schopfi und Kopfi!«

»Wohl nicht!«

»O geh! Die Gesichterln schaun ganz so aus! Und - da siehsts! Jetzunder hat er sie bereits bei denen Händen!«

»Ja, aberst sie geht fort! Schau!«

»Und er bleibt stehen. Wie barmherzig er ihr nachblickt. Horch! Er will halt gar eine Apfelsinen von ihr haben!«

»Dummkopf! Melusine hat er sagt. Hast von dera noch nix hört? Das ist eine schöne Frauen gewest, welche halb Fisch und halb Madame gewest ist, und nachhero - Donnerwettern!«

»Na, da hasts!«

»Jetzt habens sich geschmatzt!«

»O Jerum! Wenn das Unsereinem auch mal so passiren thät!«

»Du hättst wohl auch das richtige Geschicken daderzu! Schau, jetzt gehens von einander!«

»Ja, er den Berg hinauf und sie nach rechts.«

»Aberst sie thut nur so. Sie kommt sichern wieder retour, und da will ich mich sehen lassen. Mach Dich also fort in Deine Hütten. Du wirst nicht mehr braucht.«

»Ja, wann dera Gaul seine Arbeiten than hat, so erhält er die Peitsch auf den Leib. Jetzt willst wohl die Baronessen heimiführen?«

»Vielleichten.«

»Und ihr auch ein Busserl geben?«


// 1023 //

»Halt den Schnabeln, sonst geb ich Dir was drauf! Uebrigens, wannsts einem einzigen Menschen sagst, daßt sie hier sehen hast mit dem Rudolf Sandauen, so hau ich Dir eine Ohrwatschen herab, daß die Fetzen fliegen sollen wie die Dachschindeln. Das muß ein sehr großes Geheimnissen bleiben. Verstehst?«

»Ja. Schweig nur Du selberst auch. Und nun leb wohl, Sepp! Wannst wiedern mal zu mir kommst, so bring mir für einen Pfennigen Stecknadeln mit.«

»Wozu willst denn diese haben?«

»Bei meinen Ledernhosen hier ist die Naht aufigangen; die muß ich zustecken.«

»Mit Stecknadeln?«

»Ja freilich.«

»Das mußt doch eigentlich zuflicken!«

»Fallt mir nicht eini! Eine Nähnadeln mit dem Zwirnen kostet drei Pfennigen. Für einen Pfennigen aber bekomm ich gar fünf Stecknadeln, mit denen kann ich die größte Naht zustecken. Und wann die Luft ein Wengerl durchgeht, so ist das nur gesund. Die Haut kann gar nicht Luft genug bekommen. Also vergiß es nicht, und leb nun wohl!«

Der alte Mann, bei welchem vor zwanzig Jahren Max Walther von seiner Mutter zurückgelassen worden war, entfernte sich, und der Sepp wartete, bis Milda kam. Er ließ sie vorüber gehen und trat dann unter den Bäumen hervor.

»Verteuxeli!« rief er. »Das ist ja die Fräulein Baronessen. Wo kommens denn jetzunder her? Von Hohenwalden?«

Sie hatte sich zu ihm umgedreht.

»Nein. Ich hatte mich verlaufen.«

»Bei dem Wetter? So habens das Gewittern wohl gar im Wald derlebt?«

»Ja.«

»Und sind doch gar nicht naß worden!«

»Ich traf einen Herrn, welcher mich unter den Schutz eines Felsens brachte, eben als der Blitz in einen Baum schlug, unter welchem ich eine Sekunde vorher gestanden hatte.«

»Verteuxeli! Wer wird sich unter einen Baumen stellen, wann dera Blitz hineinschlagen will!«

»Wo kommst Du jetzt her?«

»Vom Waldwärter, der seine Hütten da drinnen hat.«

»Jetzt eben?«

»Ja.«

»So hast Du Dich vor ungefähr fünf Minuten noch nicht hier befunden?«

Sie war in Sorge, daß er sie mit Rudolf belauscht habe.

»Vor fünf Minuten? Da war ich hinter denen Bäumen.«


// 1024 //

Er deutete nach dem tiefen Wald zurück. Seine Worte enthielten freilich keine Lüge, da er wirklich hinter den Bäumen gesteckt hatte.

»Und wo willst Du jetzt hin?«

»Allüberall! Mir ists halt ganz gleich, wohin meine Beine mich tragen. Einen Bissen Brod und ein Lager find ich überall.«

»So kannst Du mir einen großen Gefallen thun. Willst Du?«

»Gern. Für Sie lauf ich durch zehn eisernen Thüren, wanns Jemand aufischlossen hat.«

»Der Herr, welcher mich beschützt hat, wollte mir nicht sagen, wer er sei. Er ist ein Italiener und hier zur Höhe hinauf. Getraust Du Dich, ihn zu finden?«

»Wann er nicht davonflogen ist, werd ich ihn wohl gut einholen.«

»So folge ihm schleunigst nach, und bringe mir Nachricht, was Du von oder auch über ihn erfahren hast!«

»Das ist nicht so gar sehr leicht. Weiß er denn etwa, wer die Fräulein Baronessen gewest sind?«

»Nein. Wir haben uns Beide in das tiefste Geheimnissen gehüllt.«

»Und dera Sepp soll Euch nun wiedern aus dem Geheimnissen herausiwickeln?«

»Mich nicht. Er darf auf keinen Fall erfahren, wer ich bin. Also schnell, damit er keinen zu großen Vorsprung erhält.«

»Dann mach ich die größern Nachsprungen und hol ihn dennerst noch ein. Grüß Gott, Fräulein!«

Er schwenkte den Hut und bog in den Weg ein, um Rudolf zu folgen.

»Das ist nun eine feine Sachen!« kicherte er vor sich hin. »Er kennt sie nicht, und sie ihn nicht. Dera Sepp kennt aberst alle Beiden. Nun wird er von ihm nach ihr und von ihr nach ihm ausgefragt werden, und Keins soll aberst wissen, wer dera Andere ist. Sepp, Sepp, wannt nicht einen gar so guten Kopf auf dem Hals hättst, so wär er schon längst entzwei gangen. Denn was die Menschheiten Alles von dem Sepp verlangt, das ist halt gar nimmer nicht aufizusagen.«

Jetzt nun aber griff er aus. Seine Schritte waren langsam aber weit und ausgiebig, wie diejenigen eines erfahrenen Bergsteigers. Trotz seines Alters kam er schneller vorwärts, als Rudolf, welcher es erst so eilig gehabt hatte, zu seiner Mutter zu kommen, nun aber nur langsam lief, um das erlebte Abenteuer zu überdenken.

Als der Alte den Jüngling erreichte, that er natürlich so, als ob er über diese Begegnung ganz überrascht sei.

»Hollah da vorn!« rief er. »Lauf halt ein Wengerl langsam, daßt mich auch mitnehmen kannst, wannst aufi gehst!«

Rudolf wandte sich um und erkannte ihn.

»Sepp, Wurzelsepp!« antwortete er, sichtlich über diese Begegnung erfreut. »Woher, altes Haus?«

»Von da unten.«


// 1025 //

Er deutete nach rückwärts.

»Und wohin?«

»Hinaufi.«

Er deutete vorwärts.

»Etwa nach Eichenfeld?«

»Ja. Wo sollt ich sonsten hinwollen? Dieser Weg führt ja nach keinem andern Ort.«

»So gehen wir mit einander.«

»Ist mir lieb. Zu Zweien kommt man halt viel schneller vorwärts, als wenn man ganz allein gehen muß. Das Gespräch vertreibt die Zeit und macht die Beine behender.«

»Hast Recht. Bist kürzlich wohl schon einmal oben gewesen?«

»Seit langer Zeit nicht wieder.«

»So kannst Du mir wohl auch keine Nachricht über meine Mutter geben?«

»Nein. Hab halt nix über sie vernommen.«

»Ich auch seit einiger Zeit nicht. Ich war in Italien.«

»Das hab ich wohl wußt. Hast den großen Preis gewonnen und konntest dafür nach dem Italien gehen, um noch mehr zu lernen.«

»Mutter hat mir zwar wiederholt geschrieben. Aber ich befinde mich seit vier Wochen auf der Heimreise und habe ihr keinen Ort angeben können, an welchem mich ein Brief von ihr treffen könnte. Darum hat sie mir nicht schreiben können. Ich befinde mich in Sorge um sie.«

»Sorge? Die brauchst um die gute Frau Sandau nicht zu haben. Die befindet sich gewiß wohlauf.«

»Will es hoffen. Also bist Du seit langer Zeit gar nicht wieder in dieser Gegend gewesen?«

»Nein. Aberst seit einigen Tagen war ich drunten in Hohenwald.«

»Wirklich? Ah, das freut mich sehr,« sagte der junge Mann schnell.

»So, das gefreut Dich. Warum?«

»Weil Du mir da vielleicht eine Auskunft ertheilen kannst.«

»Dazu bin ich schon gern bereit, wann es mir möglich ist.«

»Du kennst doch alle Bewohner des Ortes?«

»Natürlich. Wen sollt dera Sepp nicht kennen.«

»Ist vielleicht bei irgend wem jetzt ein fremder Besuch?«

»Ja. Beim Müllerhelm.«

»Wer ist da?«

»Ein fremder Doctor und nachhero noch ein Andrer, der kommen ist, um denen Bombyx zu suchen.«

»Haben diese beiden Herren Familie?«

»Der Eine ist ledig; der Andere hat vielleicht eine Frauen und auch Kindern.«

»Hat er sie mit?«

»Nein; er ist ganz solo da.«


// 1926 //

»Solo? Höre, Du drückst Dich doch recht gelehrt aus!«

»Na, warum denn nicht? Unsereiner kann auch mal was lernen.«

»Aber die Auskunft, welche Du mir ertheilst, genügt mir nicht. Ich suche nämlich - - -«

»Na, was denn?«

»Eine - - Person.«

»Eine Personen kannst sehr bald finden. Greif nur zu! Ich bin doch auch eine.«

»Ich meine eine weibliche.«

»Damit hats erst recht keine Noth. Wann wir noch eine Viertelstund so fort laufen, werden wir wohl einer begegnen.«

»Ich spreche von einer ganz bestimmten Person, von einer Dame.

»Sapperment! Von einer Dame! Und da soll dera Sepp Rath schaffen?«

»Ja, denn Du bist der Allerweltsvetter, welcher einen Jeden kennt.«

»Aber von einer Damen weiß ich nix.«

»Vielleicht macht der Ausdruck >Dame< Dich irr. Ich meine nämlich ein junges Mädchen, welches in Hohenwald bei irgend Jemandem auf Besuch sein muß.«

»Da irrst Dich. In Hohenwald giebts jetzunder keinen solchen Besuch.«

»Besinne Dich!«

»Ich brauch mich nicht zu besinnen, denn ich weiß es auch ohne das genau. Wannst vielleicht denen Namen kennen thätst.«

»Sie heißt Milda.«

»Und weiter?«

»Den Familiennamen hat sie mir leider nicht sagen wollen.«

»Da ist dera Gaul freilich nur von vorn beschlagen, wenn die hinteren Eisen fehlen.«

»Vielleicht kannst Du die Dame doch noch ausfindig machen. Sie muß Dir doch begegnet sein. Wo kommst Du her?«

»Von Steinegg.«

»Dann freilich nicht, denn sie ist nach Hohenwald.«

»Ich komm vielleichten schon heut wiedern da hinab. Kannst mir nix von ihr derzählen? Nachhero weiß ich vielleicht, wie ich es anfangen muß, um sie zu derwischen.«

»Ja, Du sollst erfahren, was ich von ihr weiß.«

Er erzählte ihm nun im Vorwärtsschreiten sein heut erlebtes Abenteuer, natürlich nur so weit, wie er es für nöthig hielt.

»Hm!« brummte der Sepp, als Rudolf geendet hatte. »Am Besten wirds halt sein, wannt nicht weiter an sie denkst.«

»Warum meinst Du das?«

»Mir scheints, als ob sie den Teuxel im Leib haben thät. Das muß ein fixirtes Frauenzimmern sein. Sagt Dir nicht mal ihre Heimath und denen Namen, obgleich Du ihr das Leben gerettet hast. Ich möcht nix von ihr wissen.«


// 1027 //

»Du irrst Dich. Die Dame besitzt ein ganz ausgezeichnetes Herz.«

»Und wohl auch ein hübsches Gesichterl?«

»Sie ist allerdings sehr schön.«

»Da hat man es! Wann so ein Dirndl, die Nase abwärts hat und das Maul quer drunter, nachhero ist sie gleich schöni und hat auch ein gutes Herz. Zu meiner Zeit, damals, als ich noch jung war und ein sakrischer Bub, da ists doch ganz anderst gewest. Da haben wir viel mehr Ansprüchen macht. Wann da Eine hat für schöni gelten wollen, so hats Backen haben mußt wie die Fliegenpilzen, Zähnen wie die Perlen, Lippen wie die Leberwürsten, Augen wie ein Spitzbub, und tanzen hats können mußt wie eine Spindel am Rad. Jetzunder aberst ist das Alles ganz anderst worden. Jetzt ist halt eine Jede sogleich ein Bild von Schönheit, wanns nur nicht bucklig ist und nicht lahm oder taub. Geh nur weg! Ihr könnt mir gestohlen werden mit sammt Euren Dirndln. Warum hab ich nicht heirathet? Warum bin ich ledig blieben, he?«

»Nun, weshalb?«

»Weils selbst dazumalen Keine geben hat, die hübsch genug gewest ist für denen Wurzelsepp. Und jetzunder ists nun gar gefehlt.«

»Ja,« lachte Rudolf, »jetzt möchtest Du nun wohl heirathen, bekommst aber Keine.«

»Ich? Keine bekommen? Mehr als Du! Laß Dir erst den Schnurrbarten wachsen, bevor Du so was sagst! Bist noch kaum aus dem Ei und willst so gesetzte Leutln, wie ich eins bin, zum Narren machen. Das sieht Eine und ist auch sofort verliebt in sie. Scham Dich doch für einige Groschen! Wie alt ists denn wohl gewest, dieses Dirndl?«

»Achtzehn.«

»Nun, das ist noch nicht zu alt. Da kanns halt wohl warten, bis Du's wieder funden hast.«

»Das soll wohl nicht sehr lange währen. Ich verlasse mich da ganz auf Dich.«

»So! Ja, was die gelehrten Herren nicht selberst fertig bringen können, das soll dera Sepp machen. Was aber hat er davon?«

»Du sollst Dich nicht umsonst bemühen.«

»Schau, das klingt nicht übel. Was giebst mir wohl, wann ich das Dirndl find?«

»Wie viel verlangst Du?«

»Giebst zwanzig Mark?«

Da blieb Rudolf stehen, schüttelte den Kopf und antwortete:

»Sepp, Du weißt, daß ich nicht so viel übrig habe.«

»So giebst zehn.«

»Die könnte ich vielleicht zusammenbringen. Aber wie ich Dich kenne, machst es mir auch einstweilen umsonst. Später kann ich Dir dankbar sein. Du hast mir bereits größere Gefallen gethan, als der ist, um welchen ich Dich jetzt bitte.«


// 1028 //

»Meinst? Na, das soll eine Reden sein. Ja, ich kenn Dich bereits, seit Du mit dera Muttern von dem Amerika herüberkommen bist. Du warst stets ein braves Buberl und wirst auch ein braver Mann werden. Aber laß Dich warnen, Rudolferl, laß Dich warnen!«

»Wovor?«

»Vor denen Teufeln, die aus den Augen eines hübschen Dirndls schauen. Wann man zu denen hineinblickt, dann ist die Teufelei sofort fertig. Ein verliebter Bursch ist nur ein halber Bursch. Und grad Du mußt nüchtern sein, denn Du brauchst den ganzen Kopf, um zu werden, wast werden willst.«

»Verliebt? Das bin ich nun freilich nicht.«

»So? Was sonst?«

»Ich interessire mich für die Dame.«

»Ach? Und bist nicht verliebt? Höre mal, wann man sich einmal verinteressirt, nachhero ists mit dera Liebe auch gleich da. Ich hab mich auch mal für Eine verinteressirt, und da zahlt mein altes Herz noch heutigen Tags die Interessen, obgleich es das Kapital doch gar nicht bekommen hat. Ich will Dir den Gefallen erweisen und nach dem Dirndl forschen; aber wann ichs nicht find, so mußt halt thun, als obsts gar nie gesehen hättst. Das sind so kleine Abenteuern, die ein Jeder mal derlebt. Deshalb aberst darf man nicht sogleich bis unters Dach hinaufi in Brand gerathen. Verzähl mir jetzunder lieber, wie es Dir drin in dem Italien ergangen ist.«

»Nach Verhältnissen gut. Ich habe tüchtig studirt und gearbeitet und auch Bekanntschaften geschlossen, welche mir später von Vortheil sein können, und - - aber, da fällt mir bei dem Worte Bekanntschaft eine Begegnung ein, welche ich heut in Steinegg hatte. Ich vermuthe, daß Du auch dort bekannt bist?«

»So wie hier.«

»Dennoch aber werde ich mich vergeblich an Dich wenden, denn der betreffende Herr schien fremd in Steinegg zu sein.«

Er erzählte sein Zusammentreffen mit dem Baron von Alberg. Der Sepp sagte zunächst gar nichts dazu. Er schritt in Gedanken neben dem jungen Manne her. Endlich erkundigte er sich:

»Er hat also Deinen Namen sagt?«

»Meinen Vor- und Zunamen.«

»Und auch nach dem Vatern fragt und von diesem Verschiedenes wußt? Hm! Hast Dir denen Mann genau anschaut?«

»Ja.«

»Giebts nix, woran man ihn vielleichten erkennen könnt?«

»O doch. Während er mich fragte, schob er den Hut zurück. Da erblickte ich eine Narbe auf seiner linken Stirn.«

»So! War er allein?«

»Zwei Herren und eine Dame waren bei ihm. Ich frug nach ihm, konnte aber keine Auskunft erhalten.«


// 1029 //

»Und sodann hat er Dich fragt, obst von Adel bist oder bürgerlich. Er muß doch einen Grund habt haben.«

»Jedenfalls. Aber adelig sind wir nicht.«

»Auch niemals gewest?«

»Nein.«

»So weiß ich nicht, was dera fremde Herr schwatzt hat. Aber wir werdens schon noch derfahren.«

»Das bezweifle ich sehr.«

»Ich nicht. Weißt, wann ich derfahr, wer das Dirndl ist, mit der Du vorhin sprochen hast, so werd ich wohl auch ausfindig machen können, wer dera Herr gewest ist. Vielleichten hab ich bereits gar eine Ahnungen davon.«

»Wirklich? Kennst Du ihn?«

»Gesehen hab ich ihn; aberst weitern kann ich gar nix sagen. Er wohnt nicht in Steinegg, doch werd ich schon die Auskunften finden, welche Du von mir verlangen thust. Und jetzt nun schau, da ist dera Wald zu End, und dort liegt Eichenfeld. Nun wirst Deine Muttern sogleich zu sehen bekommen.«

Das Städtchen war nicht groß, aber es lag recht nett und sauber auf der Höhe, überragt von einem Felsen, welcher in gewaltigen Stufen zur Höhe stieg, umgeben von Wald und fruchttragenden Feldern. Einen befremdenden Eindruck machte die Kirche. Der Thurm war in Folge eines zündenden Blitzes in Feuer aufgegangen und bis zur Hälfte niedergebrannt. Das Feuer datirte nicht aus neuster Zeit, dennoch war der Thurm aus gewissen Gründen noch nicht wieder aufgebaut worden.

Als die Beiden sich der Stadt näherten, begegneten ihnen Leute, welche den Jüngling mit respectvoller Freundlichkeit grüßten, aber doch etwas eigenartig Scheues gegen ihn zeigten.

Noch hatten sie die ersten Häuser nicht erreicht, so kam ihnen eine vierschrötige Gestalt entgegen, ein Landwirth, welcher nach seinen Aeckern sehen wollte. Als er sie erblickte, blieb er stehen und nahm die Meerschaumpfeife aus dem Munde.

Als der Bauer sie erblickte, blieb er stehen.

»Was!« sagte er. »Ists wahr? Da kommt dera Sandauer Rudolfen?«

»Ja,« antwortete Rudolf, »ich bin es. Oder kennen Sie mich nicht mehr, Nachbar?«

»O, ich kenn den Herrn Studenten schon; aberst ein Wundern ists, daßt er seinen Nachbarn noch kennen thut.«

»Warum sollte ich das nicht?« fragte der junge Mann erstaunt.

»Weils hält von dera Heimathen gar nix mehr wissen wollt haben.«

»Wer sagt das denn?«

»Keiner hats sagt, aber Alle wissens. Warum antwortens denn nicht, wenn man Ihnen so viele und dringliche Briefen schreibt?«

»Von solchen Briefen weiß ich gar nichts.«

»Ja, weils dieselbigen gar nicht angenommen haben. Sie sind halt alle mitnander wieder retur hier ankommen, und indessen liegt die arme Muttern daheim und - - -«


// 1030 //

»Meine Mutter?« unterbrach ihn Rudolf. »Was ist mit ihr?«

»Na, wissens das nicht?«

»Nein, kein Wort. Schnell, schnell! Was ist mit ihr? Was fehlt ihr?«

»Ja, wanns das wirklich noch nicht wissen, so muß ichs halt schon derzählen.«

Er zog ein Streichholz heraus, strich es an der Hose an und steckte sich die ausgegangene Pfeife wieder in Brand. Dann begann er:

»Also das war - - ja, meiner Seel, am Samstag sinds bereits vier Wochen gewest, und ich hat grad meine neuen Stiefeln vom Schustern bekommen. Also am Samstag vor vier Wochen so um die Mittagsstund war ich im Hof und hat grad die Sauen füttert - - -«

»Bitte, bitte, machen Sie etwas schneller, Herr Nachbar!« drängte Rudolf.

»Nur Zeit, nur Zeit, junger Mann! Wann man die Sauen füttert, darf man sich nicht übereilen, denn sonst würgens das Futter schnell hinunter und legen keinen Speck und Fetten an. Gut Ding will Weile haben. Also am Samstagen vor vier Wochen - ich weiß noch ganz genau, daß ich am Morgen den alten Kirschbaum im Garten umsägt hatt, weil er nicht mehr tragen wollt, und dera Schreiner hat mir elf Mark für den Stamm zahlt, elf Mark, gleich so, wie er im Garten lag, nämlich nicht der Schreiner, sondern der Stamm. Nachhero war es so um die Mittagszeit, und meine Frauen hat grad die Suppen angerichtet gehabt, da ist dera Briefträgern kommen und hat mir einen Brief bracht von meinem Schwagern Vinzens droben in Reinsbergen, und da - - -«

»Um Gotteswillen,« fiel Rudolf ein. »Spannen Sie mich doch nicht auf die Folter! Was ist denn eigentlich geschehen?«

»Was? Ich werd Sie auf die Folter spannen? Fallt mir gar nicht eini! Und was geschehen ist, das werdens sogleich derfahren, denn bevor ich noch meinen Brief aufmacht hab, hat dera Briefträgern mir sagt, daß er dera Frau Sandauen auch einen bracht hat, und die hat ihn aufschnitten und sich beim Lesen so still auf den Stuhl setzt, als obs todt gewest wäre, und -«

»Herrgott! Nachbar, schnell, schnell! Ist meine Mutter krank?«

»Krank? So wartens nur ruhig ab, bis ich es richtig verzählt haben werd. Also sie hat sich so still auf denen Stuhl - - -«

»Halt! Nicht weiter!« rief Rudolf, indem er den Mann beim Arme faßte. »Jetzt sagen Sie mir vor allen Dingen, ob meine Mutter krank ist!«

»Krank? Na, natürlich ist sie krank!«

»Was fehlt ihr?«

»Das sollens sogleich hören, denn als sie sich so auf denen Stuhl niedersetzt hat, so - - -«

»Was ihr fehlt, will ich wissen!« schrie ihn Rudolf an.

»Herriesses! Nehmens sich nur eine Zeit! Dera Schlag hat sie troffen.«

»Mein Gott, mein Gott! Lebt sie denn noch?«


// 1031 //

»Na, storben ists noch nicht, und - - -«

»Gott sei Dank! Ich muß fort. Sepp, komm nach. Ich habe keine Zeit.«

Er sprang von dannen.

»Na,« brummte der Mann, indem er sich den Tabak fest stopfte, »nun hat er auf einmal keine Zeit, und vorher hat er sich gar nicht um sie kümmert!«

»Er hat ja gar nix davon wußt!« entschuldigte der Sepp seinen jungen Freund.

»Es ist ihm aberst doch schrieben worden!«

»Er hat die Briefe gar nicht erhalten.«

»So? Warum denn nicht?«

»Weil er auf dera Reisen unterwegs gewest ist.«

»So hätt er sollen daheim bleiben!«

»Ists denn schlimm?«

»Schlimm ists. Nämlich sie hat sich auf den Stuhl setzt und gar nix sagt. Dera Briefträgern ist gangen und hat mir meinen Briefen bracht. Kaum aber ist er hinaus gewest, so ist der Knecht hereini kommen und hat sagt, daß der Schlag die Frau Sandau troffen hat. Sie hat nicht reden konnt und auch nicht sich bewegen.«

»Du, mein guter Gott! Warum denn?«

»Vor Schreck.«

»Diese gute, brave, liebe Frauen! Worüber ist sie denn so verschrocken?«

»Weil sie kein Geld mehr empfängt. Dera Bankier, von dem sie alle Vierteljahren ihr Geld erhalten hat, der hat einen großen Bankerotten macht, und nun erhält sie all ihr Lebtag keinen einzigen Heller mehr.«

»Also darüber, darüber ist sie so verschrocken. Und nicht sprechen hats konnt und auch nicht sich bewegen?«

»In dera ersten Zeit. Nachhero aber ists besser worden. Jetzunder kanns bereits wieder langsam reden und auch die beiden Arme bewegen. Kein Mensch ist bei ihr gewest, und so sind halt die Nachbarn zusammentreten und haben sie gewartet und pflegt, wie sichs gehört. Vielleichten wirds wiedern so gesund wie vorher; aberst mit dem Studium ists nun aus bei ihrem Buben.«

»Weil das Geld nun fehlt?«

»Jawohl. Sie hat jetzund auf ein Vierteljahren für ihn zahlen sollt, aberst doch nix empfangen. Sie hat für sich keinen Pfennig mehr, für ihn nun aberst gar nix. Sie hat von ihren Sachen was verkaufen wollt, aberst das haben wir Nachbarn nicht zugeben. Jetzt nun ist dera Student angekommen, und nun mag er halt für sie sorgen. Wer weiß, ob die Frau im Leben wieder einen Pfennig verdienen kann. Sie hat denen Mäderls das Stricken und Nähen lehrt. Davon und von dera kleinen Pension hats lebt. Beides ist nun vorbei, und so mag nun der Bub sehen, was er anfangt, um nun durch die Welt zu kommen. Wir Nachbarn werden zwar unsera Händen auch nicht abziehen von dera Frauen, welche unsern Kindern Gutes lehrt hat; aberst ihn studiren lassen, bis er fertig ist, das können wir doch nicht.«


// 1032 //

»So wird sich ein Anderer finden, ders thut,« sagte der Sepp.

»Ein Andrer? Den möcht ich sehen!«

»Wirst ihn schon bald sehen. Paß nur aufi!«

Er eilte fort, in die erste Straße des saubern Städtchens hinein und dann nach einer Seitengasse, wo das Häuschen lag, in welchem Frau Sandau zur Miethe wohnte.

Sie war vor langen Jahren hierher gekommen, aus Amerika, wie die Leute wußten. Von dort bezog sie als Pension die Zinsen eines kleinen Kapitales, welches dort für sie angelegt worden war, und beschäftigte sich zu ihrem weiteren Fortkommen damit, daß sie den jungen Schulmädchen Unterricht in den weiblichen Handarbeiten ertheilte. Mit dem Ertrage dieses Unterrichtes und jener Pension hatte sie es fertig gebracht, ihren Sohn die polytechnische Schule zu München besuchen zu lassen. Er war ein hochbegabter und fleißiger Schüler, hatte bedeutende Fortschritte gemacht und sich sogar durch eine Preisarbeit die Mittel errungen, in Italien seine Studien fortsetzen zu können.

Frau Sandau war ein stilles, sehr anspruchsloses Wesen. Man merkte ihr wohl an, daß sie in früheren Zeiten ganz andere Ansprüche an das Leben gemacht hatte, doch zeigte sie in ihrer gegenwärtigen Lage ein immer heiteres Zufriedensein. Welche Opfer, Anstrengungen und Entbehrungen sie sich auferlegte, um ihrem Sohne eine Zukunft zu bieten, das wußte freilich nur sie allein.

Sie wohnte eine Treppe hoch, in einem Stübchen, an welches die Schlafstube stieß. In der Letzteren lag sie jetzt. Sepp war sehr oft bei ihr gewesen. Er verkehrte ja vorzugsweise gern mit Leuten, welche mit den Sorgen und Nöthen des Lebens zu kämpfen hatten. Zu ihnen kam er stets als tröstender Berather und war bei ihnen wohlgelitten und willkommen. Diese Frau Sandau hatte er ganz besonders in sein Herz geschlossen, und darum hatte ihn jetzt die Kunde von dem Unglücke, welches ihr zugestoßen war, doppelt tief getroffen.

Er stieg leise und langsam die Treppe hinan und öffnete die Thür. Das Stübchen glänzte trotz seiner alten, einfachen Möbels vor Reinlichkeit. Es befand sich Niemand in demselben. Aber aus dem Nebenzimmer, dessen Thür geöffnet war, ertönten Stimmen. Sepp trat hinzu.

Frau Sandau lag im Bett, bleich und abgezehrt, aber leuchtenden Angesichtes, da sie nun den heiß ersehnten Sohn endlich wieder bei sich hatte. Sie erblickte den alten Freund zuerst.

»Der Wurzelsepp, da ist er,« sagte sie mit langsamer, ein Wenig lallender aber deutlich verständlicher Stimme.

»Ja, da bin ich,« antwortete er, an das Bett tretend, an welchem Rudolf kniete, die eine Hand der Mutter in der seinigen haltend. »Wann ich wußt hätt, daß Sie krank sind, so wär ich allbereits schon längst mal kommen. Ich habs aberst soeben erst derfahren.«

»Rudolf sagte es mir. Setzen Sie sich, lieber Freund. Es freut mich, daß Sie kommen. Ich stehe im Begriffe, meinem Sohne eine Mittheilung zu


Ende der dreiundvierzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk