Lieferung 44

Karl May

28. Mai 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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machen, von welcher ich haben möchte, daß Sie dieselbige auch hören. Sie sind ein zwar einfacher aber sehr erfahrener Mann und können ihm rathend zur Seite stehen, wenn ich ihm nicht mehr zu rathen vermag.«

»Mutter!« bat Rudolf mit schmerzlichem Tone.

»Wanns ihm nimmer rathen können?« meinte auch der Sepp. »Na, wills Gott, so lebens halt noch lange Jahren. Hat sich die Sprach wiederfunden, so werdens auch bald wiederum laufen und hantieren lernen. Nur frohen Muth müssens haben. Das ist die Hauptsachen.«

»Ich hoffe zwar auch, daß sich meine Krankheit zum Bessern wenden werde, aber der Schlag pflegt sich gern zu wiederholen; das kommt ganz plötzlich und unerwartet, und darum möchte ich mein Haus bestellen.«

»Wollens etwan gar ein Testamenten machen?« versuchte der Sepp, zu scherzen.

»Nein, ein Testament im gewöhnlichen Sinne nicht. Ich besitze kein Vermögen. Ich bin leider jetzt ärmer noch als vorher. Ich kann meinem Sohne nichts hinterlassen als meinen Segen, die wenigen armen Gegenstände, welche ich besitze, und einen Namen, welchen er - - von einem Flecken zu reinigen hat.«

»Ich? Unsern Namen?« fragte Rudolf erschrocken.

»Ja. Ich habe bisher geschwiegen. Ich wollte keinen bittern Tropfen in den so schon leeren Kelch Deiner Jugendfreuden fallen lassen. Jetzt aber, wo mich möglicher Weise der Tod an jedem Augenblick ereilen kann, muß ich endlich sprechen.«

»Nein, Mutter, schweige! Hast Du eine Erinnerung, welche Dich aufregt, so schweige jetzt noch darüber, bis Du Dich mehr erholt hast. Jetzt aber ist es Dir gefährlich.«

»Ich habe diese Gefahr mit meiner Pflicht ganz genau abgewogen und dabei gefunden, daß es besser sei, wenn ich Dir meine Mittheilungen mache. Du brauchst überdies nicht zu befürchten, daß ich mich übermäßig aufrege. Der Gegenstand, über welchen ich mit Dir zu sprechen habe, ist mir niemals aus dem Sinne gekommen, und ich bin also genugsam mit ihm vertraut. Auch werde ich Dir keine ausführlichen Mittheilungen machen, sondern Dir nur so viel sagen, wie nöthig ist, damit Du im Falle meines Todes die Documente und Aufzeichnungen, welche Du dann finden wirst, zu gebrauchen verstehst. Setze Dir einen Stuhl zu mir, und höre mich an!«

»Aber, meine beste Mutter! Warum das denn grad so im ersten Augenblicke meiner Ankunft!«

»Ich habe diese Ankunft so heiß ersehnt und erwartet, daß ich nun, da sie erfolgt ist, keinen Augenblick länger warten möchte. Rede mir also nicht darein, sondern thue mir meinen Willen!«

Er zog sich einen Stuhl in ihre unmittelbare Nähe und wartete, daß sie beginnen werde. Sein Auge war mit angstvoller Besorgniß auf sie gerichtet, nicht wegen der Mittheilungen, die er erwartete, sondern aus Angst, daß dieselben ihr schaden möchten. Er liebte seine Mutter aus vollster Seele. Sie


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war ihm sein Alles gewesen, und es hatte kein anderes Wesen gegeben, welchem er irgend einen Dank schuldete.

Sie blickte sinnend vor sich hin. Endlich, wie nach einer gewissen Ueberwindung, begann sie:

»Ich habe Dich um Deine Verzeihung zu bitten, mein lieber Rudolf, daß ich Dir eine nicht ganz unwichtige Mittheilung bisher vorenthalten habe. Du wirst aber später meine Gründe begreifen und zu würdigen wissen. Du heißest nämlich nicht Sandau, sondern Rudolf >von< Sandau. Du bist adelig.«

Er fuhr vom Stuhle empor.

»Mutter, ists wahr?«

»Ja.«

»Ah! Der Herr heut auf dem Bahnhofe!«

»Was meinest Du?«

»Ich wurde gefragt, ob ich adelig sei.«

»Das wäre ja wunderbar! Von wem?«

»Von einem fremden Herrn, welcher keine Zeit fand oder überhaupt nicht die Absicht hatte, mir seinen Namen zu nennen.«

»Hast Du nicht nach ihm gefragt?«

»Es konnte mir Niemand Auskunft ertheilen.«

»Bitte, erzähle es mir.«

Er berichtete ihr das Vorkommniß, so wie er es bereits dem Sepp erzählt hatte, und beschrieb auch die Person des Barons möglichst genau. Der Wurzelhändler verhielt sich schweigsam dazu.

Seine Mutter hörte ihm aufmerksam zu und versank, als er geendet hatte, in tiefes Nachsinnen. Dann sagte sie:

»Ich weiß nicht, wer dieser Mann gewesen sein mag. Ich habe keine Ahnung. Aber ein Bekannter Deines Vaters muß er gewesen sein. Du siehst dem Letzteren außerordentlich ähnlich, und dieser Fremde ist, als er Dich erblickte, so lebhaft an ihn erinnert worden, daß er seinen Namen ausgerufen hatte, welcher übrigens auch der Deinige ist, denn Dein Vater hieß ebenso wie Du Rudolf!«

»Ich werde nach diesem Manne forschen.«

»Thue das, mein Sohn. Freilich glaube ich nicht, daß Du ihn finden wirst.«

»Der Sepp will mir helfen.«

»So? Dann wäre es vielleicht möglich.«

In diesen Worten sprach sich so einfach und doch so deutlich das Vertrauen aus, welches der Alte besaß. Man war es eben von ihm gewohnt, daß er Rath und Hilfe wußte, wenn kein Anderer zu rathen und zu helfen vermochte.

»Ja,« nickte er. »Ich werd denen Kerlen schon finden. Aberst jetzunder sprechen wir nicht von ihm. Lassens sich nicht stören.«

»Sie haben Recht. Ich habe Wichtigeres zu sagen. Ich muß nämlich


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hinzufügen, lieber Rudolf, daß auch ich von Adel war, als Dein Vater mich kennen lernte. Mein Mädchenname war Emilie >von< Sendingen.«

»Aber warum hast Du mir das niemals gesagt, Mutter?«

»Du solltest einestheils Dich auf Deine eigene Kraft verlassen und nicht auf das kleine Wörtchen, welches, wenn es vor einem Namen steht, den Menschen träge und doch anspruchsvoll zu machen pflegt. Und sodann hätte ich Dir sagen müssen, warum ich dieses Wörtchen abgelegt habe, und das wollte ich mir und Dir ersparen.«

Sie schwieg für einige Augenblicke, um ihrem angegriffenen Denkvermögen Ruhe zu gönnen, und fuhr dann fort:

»Also nicht einen ausführlichen Bericht will ich Dir geben, sondern ich beabsichtige nur eine kurze Mittheilung, damit Du später begreifst, was Du erfahren wirst. Ich war eltern- und vermögenslos und wurde mit einer nahen Verwandten, welche auch eine Sendingen war, von einer reichen Tante erzogen. Ich lernte Deinen Vater kennen und lieben. Die Tante billigte diese Liebe, bis ganz plötzlich eine Aenderung in dieser Gesinnung eintrat. Sie verbot mir den Verkehr mit Deinem Vater und bedrohte mich im Falle des Ungehorsames mit Enterbung. Was hättest Du an meiner Stelle gethan?«

»Auf das Erbe verzichtet.«

»Ich that es. Ich verließ die Tante und wurde die Gattin, die glückliche Gattin Deines Vaters. Leider aber währte dieses Glück nur kurze Zeit. Eines Tages - Gott, welch ein schrecklicher Tag - kehrte Dein Vater nicht vom Spaziergange zurück, und an seiner Stelle kam die Nachricht, daß er - arretirt worden sei, arretirt eines gemeinen, schimpflichen Verbrechens wegen.«

»Himmeldonnerwettern!« rief der Sepp.

»Ists möglich!« fuhr Rudolf auf. »Mein Vater ein gemeiner Verbrecher!«

»Sei ruhig, mein Sohn! Auch ich erzähle in Ruhe. Ich darf mich nicht aufregen. Ich darf jene qualvollen, entsetzlichen Tage nicht schildern. Ich war dem Wahnsinne nahe und von aller Welt verlassen. Der Schein war gegen Deinen Vater. Man brachte sogar Beweise, obgleich er betheuerte, nicht das Geringste zu wissen - er wurde verurtheilt. Er hat mir später gesagt, daß er den Tod vorgezogen hätte, aber aus Rücksicht auf mich sein Leben geschont habe.«

»Glaubtest Du an seine Unschuld, Mutter?«

»So fest wie an meine eigene. Und noch heut schwöre ich tausend Eide, daß er das Opfer einer schandbaren Intrigue geworden ist.«

»Ach, wenn wir dieselbe aufdecken könnten!«

»Das ist mein letzter, großer Wunsch auf Erden. Dein armer, unschuldiger Vater überstand eine lange, schwere Gefängnißstrafe. Nach seiner Entlassung wollte kein Mensch etwas von ihm wissen. Leute, welche sich früher seine besten Freunde genannt hatten, spuckten nun vor ihm aus; selbst aus seiner Familie wurde er gestoßen.«

»Schrecklich!«


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»Unsere damalige Lage ist gar nicht zu beschreiben. Du warst während der Gefangenschaft des Vaters geboren worden, und da wir von Jedermann verstoßen wurden, so war es uns fast unmöglich, nur das trockene Brod zu erwerben. Wie oft habe ich damals an den Tod gedacht, wie oft! Da, in der größten Noth, wurden uns baare tausend Thaler zugesandt, mit dem Rathe, nach Amerika zu gehen. Die Sendung war mit den Worten >ein verborgener Freund< unterschrieben, aber Dein Vater kannte ebensowenig wie ich die Handschrift. Wir folgten dem Rathe. Er erschien uns als der Beste, welcher uns gegeben werden konnte.«

»Drüben wurde der Vater Kaufmann?«

»Nein. Ich habe Dir dies bisher so gesagt, um nicht gezwungen zu sein, Dir weitere Mittheilungen zu machen. Er trat in ein Privatdedectivechorps, ein Beruf, für welchen er nach Talent und Ausbildung ganz ausgezeichnet paßte. Aber bereits nach einem Jahre wurde er ein Opfer dieses Berufes. Im Begriff, einen höchst gefährlichen Verbrecher zu ergreifen, wurde er von demselben niedergeschossen.«

»Arme, arme Mutter!«

»Wohl war ich eine arme, arme Frau. Von den tausend Thalern war nichts mehr vorhanden, und nun war ich auf meiner Hände Arbeit angewiesen. Wohl war ich noch jung, und in Amerika ist es besonders für eine Deutsche nicht schwer, sich zu verehelichen; aber ich konnte nur einmal lieben, und mein Leben sollte von nun an nur Dir, meinem Kinde gewidmet sein. Ich wies alle Anträge, welche mir gemacht wurden, zurück und ernährte mich schlecht und recht durch Aufträge, welche ich von der Besitzerin eines Stickereigeschäftes erhielt. Dort, in dem Laden, lernte ich ganz zufälliger Weise eine Dame kennen, die Frau eines reichen Kaufmannes, in dessen Geschäft jener Einbruch verübt worden war, dessen Urheber Deinen Vater erschossen hatte. Diese Dame empfand Sympathie für mich und stellte mich ihrem Manne vor, welcher mir darauf ein kleines Kapitälchen aussetzte, dessen Zinsen ich bis an meinen Tod genießen sollte.«

»Wie viel war das, liebe Mutter? Sage es mir heut aufrichtig!«

»Warum das?«

»Weil ich heut nun klar sehen möchte. Du bist mir diese Offenheit schuldig.« .

»Nun wohl; es waren tausend Dollars zu vier Prozent.«

»Mein Gott! Das sind jährlich zweihundert Mark, welche Du erhieltest. Und davon hast Du die Ausgaben bestritten, welche ich verursachte!«

»Ich verdiente ja nebenbei noch Manches!«

»Aber wieviel! Wie hast Du es angefangen, um ausreichen zu können!«

Es war ein entsagungsvolles und doch frohbefriedigtes Lächeln, welches um ihr bleiches Gesicht spielte und es verklärte.

»Nun ja,« sagte sie, »es ist sehr oft recht schmal zugegangen, und ich hätte zuweilen noch ein Wenig mehr gegessen, wenn ich mehr gehabt hätte. Aber das fühlt und merkt man gar nicht, wenn es wegen eines guten Kindes geschieht.«


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»Also gehungert, heimlich gehungert sogar!« rief er erschrocken aus. »Und ich habe das nicht gewußt, habe Ausgaben gemacht, welche nicht unbedingt nöthig waren, habe sogar zuweilen Bier getrunken und eine Cigarre geraucht! Mutter, Mutter, warum hast Du das gethan! Warum bist Du nicht eher aufrichtig gewesen! Ich hätte ein Handwerk gelernt und wäre bereits seit einigen Jahren im Stande gewesen, Dich von meinem Gesellenlohn zu unterstützen!«

Ihr Auge ruhte mit leuchtendem Blicke auf ihm.

»Du, ein Handwerker! Ein Sandau ein Schuhmacher oder Schneider! Lieber wäre ich gestorben!«

»Sag lieber verhungert!«

»O, so schlimm ist es nie gewesen. Es hat immer gute Leute gegeben, welche mir Etwas zufließen ließen, worauf ich nicht gerechnet hatte. Laß mich lieber fortfahren. Da ich die Erlaubniß hatte, die Pension auch im Auslande zu verzehren, zog ich es vor, nach der Heimath zurückzukehren. Ich fühlte die Pflicht, Alles, Alles zu versuchen, um die Unschuld meines verstorbenen Mannes zu beweisen - ich habe vergebens gehofft, es thun zu können. Ich wurde überall abgewiesen, von seinen Verwandten und von den meinigen. Jene Cousine, mit welcher ich bei der Tante erzogen worden war, hatte sich inzwischen verheirathet und war gestorben, wie ich erfuhr. Man antwortete mir nicht einmal auf die Erkundigungen, welche ich einziehen wollte. Ich zog hierher, nach dem kleinen Gebirgsstädtchen. Hier konnte ich hoffen, trotz meiner armseligen Mittel leben zu können. Ich wollte Dich zu einem tüchtigen Manne erziehen, und dann solltest Du es in die Hand nehmen, das Andenken Deines Vaters von jenem Makel zu befreien.«

»Das werde ich, das werde ich sicher!«

»Gott gebe es! Die Anstrengungen und Entbehrungen überstiegen nach und nach doch meine Kräfte. Ich fühlte mich schwach und matt werden. Da kam der Brief aus Hamburg, welcher mir statt des erwarteten Geldes die Nachricht brachte, daß ich nichts mehr bekommen werde. Es war bereits ein jeder Pfennig angerechnet gewesen. Ich erschrak so, daß ich in Ohnmacht fiel. Als ich erwachte, konnte ich nicht sprechen und hatte auch die Fähigkeit der Bewegung verloren.«

»Und ich war nicht da!« schluchzte Rudolf.

»Du fehltest mir, aber die Nachbarn haben mich nicht verlassen. Ich ließ einige Briefe an Dich richten. Sie kamen mit dem Bemerken zurück, daß der Adressat nicht mehr aufzufinden sei. Ich errieth, daß Du zu mir unterwegs seist.«

»Ich Thor schrieb Dir nichts von meiner Absicht, denn ich wollte Dich überraschen. Und nun bin ich da, aber - - -«

Er hielt inne und zog unwillkürlich das Portemonnaie aus der Tasche. Seine Mutter blickte mit trübem Lächeln zu ihm herüber und sagte:

»Beunruhige Dich jetzt nicht so sehr! Gott wird helfen.«

»Ja, Gott hilft gewiß; aber wir Menschen dürfen nicht von ihm Hilfe


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erwarten, indem wir die Hände in den Schooß legen. Mit dem Fortbesuche der Bauakademie ist es nun aus - - -«

»Mein Himmel! Daß dies so kommen muß!« seufzte sie auf. »Beruhige Dich, Mutter! Ich verzichte nicht für immer. Geld hast Du natürlich nicht mehr?«

»Leider nein.«

»Und mein ganzes Vermögen besteht noch aus nur wenigen Mark. Mein Aufenthalt in Italien hat Alles aufgezehrt, und ich thörichter Mann glaubte, bei Dir neue Mittel zu finden. Aber das soll mich nicht bedrücken. Giebt es hier vielleicht einen Bau?«

»An der Obergasse wird ein neues Haus gebaut.«

»Das trifft sich gut. Ich werde gleich nachher hingehen und um Arbeit bitten. Ich erhalte ganz gewiß welche, und wenn ich den Handlanger machen sollte!«

»Rudolf!« rief sie erschrocken.

»Andre Arbeit bekomme ich hier nicht, liebe Mutter. Von einer Verwendung meiner Kenntnisse und geistigen Fähigkeiten kann hier keine Rede sein. Aber es ist doch für den Anfang ein Verdienst, und wenn Du so lange Jahre im Stillen für mich gehungert hast, so werde ich nun wohl auch einmal für Dich arbeiten können. Eine Schande ist das nicht.«

»Und ich gebe es nicht zu!«

»Was willst Du dagegen thun?« lächelte er.

»Es muß doch andere Beschäftigung für Dich geben, Rudolf!«

»Augenblicklich nicht. Und wir brauchen doch sofort Brot. Nein, liebe Mutter, glaube nicht, daß Du mich in meinem Entschlusse wankend machen kannst. Ich trage Ziegeln und Kalk für die Maurer!«

»Himmelsakra! Da hat dera Sepp doch wohl auch ein Wort mit drein zu reden!« ließ sich jetzt der Alte vernehmen.

»Du?« fragte Rudolf. »Mein guter Sepp, gieb Dir keine Mühe! Sie würde vergeblich sein.«

»Oho! Wann sich dera Wurzelsepp mal eine Mühen giebt, nachhero ist sie halt nicht vergeblich. Aberst hier braucht er sich gar keine zu geben. Die Sach ist so einfach und leicht wie das Wasserntrinken.«

»Da irrst Du Dich.«

»Meinst? Nun, da gefreut es mich gar sehr, daß ich Dir beweisen kann, daß ich Recht hab. Du wirst wissen, daß ich allüberall herum komm und auch an allen Orten Bekannte hab, alte und junge, gute und böse, arme und reiche. Da giebts wohl gar Manchen, der dem alten Sepp einen Auftrag ertheilt, den er einem Andern nicht anvertrauen will, und der Alte ists, ders auch nach Kräften und Gewissen fertig macht. Nun schau, so einen Auftrag hab ich auch an Euch.«

»So? Was wäre das für einer?«

»Da giebts halt einen reichen Mann, der hat mal einen Fehlern begangen, so ganz im Stillen, und darum will er ihn auch im Stillen wiedern


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gut machen. Er hat mir eine kleine Summen geben und den Auftrag dazu, mich nach Jemand umzusehen, der das Geldl brauchen kann und auch werth ist, es zu bekommen. Ich habe mich lange Zeit vergebens nach einem Solchen umgeschaut; jetzt aberst ist er gefunden. Du bists, Rudolf.«

Der junge Mann stand langsam von seinem Stuhle auf und trat erstaunt näher.

»Sepp, das klingt ja sonderbar!«

»Aberst es ist ganz wahr.«

»Du sollst das Geld verschenken?«

»Ja.«

»Also ein Almosen!«

»Halts Maulen! Dera Mann, von dem ichs hab, giebt keinem Bettlern und Lumpazi einen Pfennig. Er hat mir sagt, daß es eine - eine - eine - - verteuxeli, wie heißt doch nur gleich das Worten!«

»Unterstützung?«

»Nein.«

»Ists ein Fremdwort?«

»Ja, und ein langes zwar. Vorn klingts wie Stiefel und hinten wie dumm.«

»Ah, ein Stipendium wohl?«

»Ja, so ists, ein Stipendilum. Also so ein Stipendilum solls sein für einen braven Burschen, der es würdig ist. Nun, bists etwan nicht?«

»Das vermag ich nicht zu entscheiden.«

»So entscheide ich es. Du bekommsts.«

»Aber von einem Unbekannten kann ich doch kein Geld annehmen.«

»Sapperloten! Bin ich ein Unbekannter?«

»Es ist ja nicht von Dir.«

»Was gehts Dich an!«

»Hm! Wenn es ein Darlehn wäre, ja, dann könnte man sich eher beruhigen.«

»Na, so beruhige Dich, und halts Maulen! Wanntsts als Darlehn annehmen willst, so ists mir auch recht. Kannst mirs ja spätern, wannsts übrig hast, wiedergeben. Ich komm indessen aller drei Tagen und hol mir die Zinsen und Prozerenten.«

»Das würde auf den Termin nicht viel ergeben. Vermuthlich ists nur ein geringer Betrag.«

»Ja, eine Millionen ists freilich nicht.«

»Wie viel also?«

»Fünfhundert Markeln um den Sohn zu schaffen und fünfundvierzig Markeln für denen alten Parkaufsehern.«

»Was meinst Du da? Ich verstehe Dich nicht.«

»Das ist auch nicht nothwendig. Wann ich türkisch sprech, so red ichs für mich, aberst nicht für Dich. Also willsts odern nicht?«

Mutter und Sohn blickten sich fragend an.


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»Sepp, Sie treiben keinen Scherz?« fragte sie.

»Soll mich dera Herrgott behüten!«

»Und das Geld ist wirklich von einem unbekannten Wohlthäter?«

»Von einem Mann, ders gut geben kann und der Euch noch dankbar ist, wann Ihrs von ihm nehmt. Ich thäts Euch gar nicht anbieten, wann ichs nicht mit meinem Gewissen ausmachen könnt.«

Die Mutterliebe, die Sorge für den Sohn siegte.

»Rudolf, Hilfe in der Noth. Das reicht ja lange, lange hin, und inzwischen kannst Du bessere Beschäftigung finden, vielleicht sogar Deine Studien fortsetzen.«

»Das Letztere nicht, liebe Mutter. Dazu ist es doch zu wenig. Aber dieses Geld würde mir eine willkommene Brücke über die jetzige Kalamität bieten. Du meinst also, daß ich es annehmen soll?«

»Verträgt es sich mit Deiner Ehre?«

»Ja, denn ich nehme es nur als Darlehn an.«

»Gott sei Dank!« seufzte sie wie von einem schweren Alp befreit. »Nimm es! Und Sie, mein lieber Sepp, sind wirklich stets und immer ein Helfer in der Noth. Sie haben schon viel, viel mehr Sorgen gelindert als mancher Millionär. Wir danken Ihnen von ganzem Herzen!«

»Bitt schön, bitt gar schöni! An mir ist gar nix weitern als ein alter Wurzelkramer. Was ich thu, das thu ich halt im Auftrag von andera Leut, und da verdien ich keine Ehr und auch keinen Ruhm. Also soll ich das Geldl nun hierher auf die Bettzudecken zählen?«

»Ja, bitte,« antwortete Rudolf. »Ich werde Dir dann den Schuldschein in giltiger Form ausstellen. Ich zahle fünf Prozent.«

»Du, machs halt nicht gar zu dick! Dera Herr, von welchem das Geldl ist, nimmt blos nur drei Prozenten. Und wannt etwan nicht zufrieden bist damit, so steck ichs wiedern ein und lauf Dir davon. Willst, drei?«

»Ja.«

»Schön! Nun werd ich das feuernfeste Geldschrank aufimachen. Schau her, mein Bub!«

Er zog seinen alten Lederbeutel heraus, machte ihn auf und nahm mehrere kleine Papierpacketchen heraus, welche er eins nach dem andern öffnete, um die Goldstücke auf das Bett zu legen. Er hatte die Zwanzigmarkstücke, welche ihm der Baron von Alberg hatte geben müssen, in kleine Stücke Zeitungspapier eingeschlagen. Er zählte sie in jener bedächtig sichern Weise vor, welche Leuten eigen ist, welche nicht oft mit größeren Beträgen zu thun haben, und meinte dann, als die glänzenden Füchse in Reih und Glied neben einander lagen:

»So! Hast auch nachzählt? Fünfhundertfünfundvierzig Markln. Stimmts?«

»Ja.«

»So stecks eini, und giebs nicht gleich wiedern ausi!«

»Hab keine Sorge, Sepp. Mit diesem Gelde wird sehr sparsam umgegangen werden. Hier aber vor allen Dingen nimm meine Hand. Ich weiß nicht, in welcher Weise ich Dir danken soll.«


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»Soll ich Dirs sagen?«

»Ja, bitte!«

»Behalt da Deine brave Muttern lieb und sorg dafür, daß sie nicht mehr zu hungern braucht und daß sie ihre Freuden an Dir derlebt!«

»Das soll ein Wort sein! Nichts verspreche ich Dir so gern als das, Sepp. Hier hast Du meine Hand darauf.«

Sie schüttelten sich herzlich die Hände und die kranke Frau weinte vor Freude laut.

»Nun werde ich den Schuldschein aufsetzen,« sagte Rudolf. »Papier habe ich in meinem Ränzchen mitgebracht.«

»Weißt, das brauchst nicht gleich heut zu machen. Ich komm schon mal wiedern; da kann ich mir das Papiererl mitnehmen.«

»Nein. In solchen Sachen muß die peinlichste Ordnung sein. Hier das Geld und da die Quittung.«

»Na, wannst mal so willst, so verquitterirs meintwegen. Ich kann warten.«

Der junge Mann ging in die Stube, um das Document zu schreiben, und der Sepp blieb indessen bei der Kranken, welche in ihren mageren Händen die Goldstücke funkeln ließ. Man sah es ihr an, wie glücklich sie sich fühlte und daß der Besuch des Sohnes und des Alten, sowie der Besitz des Geldes die beste Medicin für ihr Leiden sei.

Sepp suchte die Zeitungspapiere zusammen, in denen das Geld eingeschlagen gewesen war. Er hatte das in Steinegg bei der Bürgermeisterin verpackt, bevor er zu Bett gegangen war. Sein Blick fiel auf einige fett gedruckte Zeilen. Das Papier war dem Steinegger Localblatte entnommen. Sepp hatte sich nicht darum gekümmert, was darauf stand. Jetzt aber traf sein Blick die in die Augen fallenden Buchstaben. Er pflegte sich gewöhnlich so zu stellen, als ob er nicht lesen könne, aber er verstand das Lesen doch sehr gut. Sein Blick leuchtete auf und um seinen dichten, grauen Schnurrbart zuckte ein sehr vergnügtes Lächeln.

Eben trat Rudolf herein und zeigte ihm das fertig gestellte Document vor.

»Lies mal selberst,« sagte der Alte. »Oder weißt Du halt nicht, daß ich nicht lesen kann?«

Rudolf las es vor und fragte dann, ob Sepp damit zufrieden sei.

»Jawohl,« antwortete der Gefragte. »Freilich ists richtig. Mein Name steht da als derjenige, von dem Du das Geldl hast; das stimmt. Aberst das Documenterl werd ich Dem geben, von dem das Geldl herstammt.«

»Dürfen wir denn nicht seinen Namen erfahren?«

»Ja, wannst ihn wissen willst, so kann ich ihn Dir schon sagen.«

»Ach schön! Also wer ist es?«

»Der Herr Corumbus, ders Amerika derfunden hat. Er hat die Markstuckerln drüben liegen sehen und mit herüber bracht. So, nun weißts ganz genau.«

»Schlingel!«


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»Ja, so muß man halt antworten, wenn man so fragt wird. Aber wann ich Dir eine so sehr schöne Auskunften ertheil, so kannst mir nun auch einen Gefallen erweisen.«

»Wenn ich kann, so soll es sehr gern geschehen.«

»Das wirst schon können, denn Du bist ja ein studirter Mann von der Akamedia. Hast doch das Lesen gelernt?«

»Freilich.«

»Nun, da auf dem Zettel, worinnen das Geldl steckt hat, steht ein Name, den ich nicht herausi bringen kann. Heißt das nicht Steinegg?«

»Ja,« antwortete Rudolf, nachdem er einen Blick auf den Zettel geworfen hatte.

»So! Was ist denn da von dem Steinegg zu lesen? Sei doch so gut und lies es mir mal vor.«

Nun erst nahm Rudolf den Zettel in die Hand und betrachtete sich die Annonce genauer. Sein Gesicht belebte sich.

»Woher hast Du dieses Stück Papier?« fragte er.

»Aus dem Steinegger Anzeiger hab ichs gerissen.«

»War es der neue?«

»Dera gestrige.«

»Ah, das hat großes Interesse für mich!«

»So lies es also doch endlich vor!«

»Ja, gleich! Hört!

          »>Als Rathgeber und Dirigent
bei der vollständigen Neueinrichtung der Räume des hiesigen Schlosses wird ein Herr gesucht, welcher umfassende Kenntnisse der einschlagenden Producte des Kunstgewerbes besitzt. Sollte der Betreffende Architect sein, so könnten ihm auch einige projectirte Bauarbeiten übertragen werden.
    >Reflectanten wollen sich baldigst bei der gegenwärtigen Besitzerin des Schlosses melden.<«

»Himmelsakra!« rief der Sepp. »Jetzunder möcht ich auf dera polytechnerischen Schulen gewest sein. Da thät ich mich gleich melden!«

»Um abgewiesen zu werden!« meinte Rudolf.

»Ich? Im ganzen Leben nicht. Ich hab grad auf dem Schloß gar große Connexionen.«

»Wen denn?«

»Die Herrin selberst.«

»Wirklich? Wie bist Du denn mit dieser Dame bekannt geworden?«

»Dadurch, daß ich ihr einen Gefallen derwiesen hab, wies einen größeren gar nicht geben kann. Wann ich Einen wüßt, der sich da melden wollt, und er wär ein Bekannter von mir, so thät ich ihn empfehlen und sofort würd er angenommen, er und kein Anderer, das ist gewiß.«

Er sagte dies im Tone so fester Ueberzeugung, daß Rudolf sofort begeistert rief:

»Nun, hier steht ja Einer! Herrgott, wenn ich da engagirt werden


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könnte! Das wäre ja nicht nur Hilfe in der Noth, sondern sogar ein Glück, wie ich es kaum zu hoffen wagen kann. Ich bin zwar noch jung, aber die Schloßherrin sollte gewiß mit mir zufrieden sein.«

Der Sepp that, als ob er ganz erstaunt sei, schlug dann die Hände schallend zusammen und lachte fröhlich:

»Du, ah, Du! Da red ich von einem Dingsda und dera Dingsda steht schon im Dingsda vor dem Dingsda! An Dich hab ich doch gar nicht dacht! Ja, Du bist der Richtige! Dich thät ich sogleich empfehlen und Dich thät die Baronessen ganz gewiß sogleich verengageriren. Willst, Rudolf, sag, willst?«

Da wurde das Gesicht des jungen Mannes ernster.

»Ich bin zu sanguinisch gewesen,« sagte er. »Ich muß mich prüfen und kenne auch die Verhältnisse in Steinegg nicht. Ueberdies werden sich bereits genug Reflectanten gemeldet haben. Wer ist denn eigentlich diese Schloßherrin?«

Der alte, kluge, ehrliche Sepp zog ein undefinirbares, verschlagenes Gesicht und antwortete:

»Hast vielleicht schon mal den Namen Alberg hört?«

»Nein, nie.«

»Und Deine Muttern wohl auch nicht?«

Die Kranke antwortete ebenso verneinend wie ihr Sohn. Sie hatte keine Ahnung davon, daß dieser Name mit ihrem traurigen Schicksale in so naher Beziehung stand. Der Sepp aber wußte nun, daß er die erbetene Auskunft ertheilen könne, und so gab er sie:

»Die Schloßherrin ist halt eine Baronessen von Alberg, weißt, so eine lange, hagere, alte Jungfern, die keinen Mann bekommen hat und auch keinen bekommen wird. Nun, da sie keine Familie besitzt, hat sie nix zu thun und giebt sich aus langer Weilen mit Dingen ab, die eigentlich nur der Baumeistern und Künstlern machen soll.«

»So! Also eine alte Jungfer. Hat sie denn auch die Eigenthümlichkeiten, durch welche solche ältere, ledig gebliebene Damen sich auszeichnen?«

»Nun, eine Grillige und Zanksüchtige ist sie freilich nicht. Es läßt sich halt ganz gut mit ihr verkommen, und wannst zu ihr gehst, so wirst bald schaun, daß sie besser ist, als sie aussieht.«

»So ist sie wohl recht häßlich?«

»Freilich. Sie hat ein lahmes Bein und auch ein hübsches Kröpferl am Hals, eine Warzen auf dera Nasen und ein Wenig schielen thut sie auch. Sonst aberst ist sie ganz hübsch im Gesicht. Und was das Gemüth betrifft, so kann ich Dir sagen, daß sie ein sehr gutes besitzt.«

»Hm! Du meinst also, daß ich es einmal versuchen soll?«

»Ja, das mein' ich gern. Weißt, ich werd Dich bei ihr anmelden.«

Rudolf ließ seinen Blick langsam über den Alten gleiten, lächelte ein Wenig und fragte:

»Denkst Du, daß mir dies von Nutzen sein werde?«

»Ich denke es. Du schaust mich freilich an, wie Einen, dessen Em-


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pfehlung nur schaden kann; aberst da hast Dich gewaltig geirrt. Wann ich auch keinen Frack anhabe und keine Glaçeehandschuhen, aberst es giebt doch Leuten, bei denen mein Wort was gilt. Also entscheide Dich! Willst Dich mit melden?«

Rudolf blickte seine Mutter fragend an. Sie nickte ihm zu und sagte in aufmunterndem Tone:

»Schaden kann es Dir auf keinen Fall. Ist bereits Jemand engagirt oder traut sie Dir nicht die nöthigen Kenntnisse zu, nun, so ist das bei Deiner Jugend ja keine Schande für Dich. Du kannst Dir dann wenigstens sagen, daß Du nicht versäumt hast, Deine Pflicht zu thun.«

»Du hast Recht, liebe Mutter. Ich werde also nach Steinegg gehen, und zwar morgen schon. Weißt Du, Sepp, zu welcher Zeit die Dame zu sprechen ist?«

»Für mich zu jeder Zeit. Und wann ich ihr sag, daßt kommen willst, so wirst auch Du nicht sehr lange bei ihr antischamberiren müssen.«

»Antischamberiren? Höre, Sepp, Du ergehst Dich da doch in recht vornehmen Ausdrücken!«

»Wunderst Dich wohl drüber? Ja, dera Sepp hat auch seine Meriten. Er kommt mit vornehmen Leutln auch zusammen und weiß dererlei Sache den richtigen Namen zu ertheilen. Also, ich will Dir sagen, daß ich noch nicht genau weiß, wann ich mit ihr reden werd, ob heut noch oder erst morgen am Vormittag. Aberst wann ich morgen bis zum Mittag nicht wiedern bei Dir west bin, so ist das ein Zeichen von mir, daßt kommen sollst. Dann machst Dich also auf die Beinen und gehst hinab nach Steinegg. Brauchst nur dem Diener zu sagen, daßt zu ihr willst, nachhero wird er Dich in ihre Stuben führen. Jetzund aberst muß ich schaun, daß ich weiter komme.«

»Hast Du heut noch so nothwendig?«

»Wills meinen! Es giebt halt gar keinen Tag, an welchem dera Sepp nicht nothwendig hätt. Wo dera Sepp fehlt, da geht Alles schief, und wann er kommt, so ist er immer Derjenige, auf welchen man wartet hat.«

Er erhob sich vom Stuhle und griff nach seinen sieben Sachen.

»Also die Schuldverschreibung hast Du,« meinte Rudolf. »Heb sie gut auf und verlier sie nicht.«

»Werd sie schon sicher verwahren. Ich muß sie ja doch dem Herrn geben, von welchem das Geldl kommen ist. Also lebt jetzunder wohl und behüt Euch Gott!«

Er gab Beiden die Hand und ging.

»Ein eigenthümlicher, wunderbarer Mann,« sagte die Mutter. »Es ist wirklich so, wie er sagt. Wohin er kommt, da bringt er Sonnenschein. Es ist wirklich, als ob es seine Lebensaufgabe sei, seinen Nebenmenschen die ihnen auferlegte Last zu erleichtern. Wer mag wohl der reiche Herr sein, welcher ihm dieses Geld anvertraut hat?«

»Errathen läßt sich das nicht. Jedenfalls kommt die Zeit, in welcher wir es erfahren.«


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Der Sepp aber sagte, als er das Städtchen hinter sich hatte, lachend zu sich selbst:

»Jetzund werdens neugierig sein, von wem ich das Geldl bekommen hab. Ein reicher Mann ists freilich, und ein Baronen dazu. Aberst dera Zweck, zu dem ichs erhalten hab, ist freilich ein ganz anderer. Was der Rudolfen für ein ehrliches und sorgfältiges Gemüth besitzt! Einen Schein mußt ich nehmen! Was soll der mir nützen? Hab ich etwan das Geldl verborgt? Nein, sondern ich habs ihm schenkt, und so werd ich gleich Alles verquittiren.«

Er zog das Papier aus der Tasche, zerriß es in viele kleine Stücke und streute dieselben in alle Windrichtungen aus. Dann setzte er seinen Weg wieder fort.

Es war derselbe, den er gekommen war. Als er unten auf der Straße anlangte, welche rechts nach Steinegg und links nach Hohenwald führte, blieb er sinnend stehen.

»Was thu ich? Wo geh ich hin? Nach Steinegg zu dera Baronessen, um den Rudolfen anzumelden, oder nach Hohenwald zum Herrn Lehrern? Das Letztere wird nothwendiger sein, denn dera Lehrern wird bald unter das Wehr gehen wollen, um das Versteck wieder zu besuchen. Und da muß dera Sepp mit dabei sein. Also schwenk ich nach links. Morgen in der Fruh ists auch noch Zeit, mit dera Milda zu reden.«

Und indem er langsam nach dem Dorfe schlenderte, lachte er vergnügt vor sich hin:

»Die Milda eine alte Jungfern! Wann er wüßt, daß er die Baronessen allbereits küßt hat! Na, die werden sich anschauen, wann er morgen zu ihr kommt! Ich möcht da das Mäusle sein, welches heimlich Alles mit anhören kann.«

Als er an das Gut des Eschenbauers kam, in welchem der Lehrer wohnte, begegnete er diesem Letzteren an der Treppe. Walther war im Begriff, fort zu gehen.

»Sepp, Du?« sagte er. »Hast Du vielleicht etwas Wichtiges?«

»Nein. Ich wollt nur fragen, wann wir wieder unters Wehr kriechen werden.«

»Vielleicht bereits heut Abend. Aergerlich ists, daß wir den Schlüssel zum Schrank nicht haben. Wir sind also gezwungen, den Letzteren aufzusprengen.«

»Hm! Vielleicht ist dera Schlüssel zu erhalten. Dera Silberbauern hat ihn doch wohl in dera Taschen habt, als er in das Rad fallen ist. Vielleicht steckt er noch jetzund drin. Soll ich mal nachschauen?«

»Wie willst Du das anfangen?«

»Die Sach ist nimmer so schwer, wie sie ausschaut. Ich geh halt in die Stuben, in der dera Silberbauern liegt. Da wird wohl auch das Kleidstück hangen, was er anhabt hat, und da schau ich in die Taschen.«

»Das sieht man doch!«

»O nein, denn ich thus nur dann, wann Niemand zugegen ist.«


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»Nun, so versuch es einmal. Ich muß jetzt zu der Balzerbäuerin. Der Arzt, welcher beim König ist, hat nach mir geschickt. Ich soll zugegen sein, wenn der Feuerbalzer operirt wird.«

»Sapperment! Wann wird das sein?«

»Jetzt. Der Doctor aus der Stadt ist dabei und auch ein Herr vom Gericht.«

»Wann ich doch auch mit dabei sein könnt!«

»Ich glaube, daß es Dich interessirt. Wir wollen es versuchen. Du kannst ja auch später zum Silberbauer gehen. Hoffentlich haben die Herren nichts dagegen, daß Du mit anwesend bist.«

So schloß der Sepp sich also dem Lehrer an. Als sie an die frühere Flachsdörre kamen, waren die genannten drei Herren eben auch erst eingetroffen.

Die alte Balzerbäuerin, welche natürlich vorher benachrichtigt worden war, hatte dafür gesorgt, daß ihr Sohn sich zu Hause befand. Ebenso war sie besorgt gewesen, ihrer Stube ein einigermaßen leidliches Aussehen zu geben. Die Fenster waren gewaschen und geputzt, so daß das Tageslicht voll hereindringen konnte, und aller Schmutz hatte für heute einer mühsam hergestellten Reinlichkeit weichen müssen.

Als die Beiden eintraten, fragte der Gerichtsassessor, welcher den Wurzelsepp nicht kannte, was dieser hier wolle.

»Er heißt Joseph Brendel,« antwortete der Lehrer, »wird gewöhnlich Wurzelsepp genannt und weiß so viel von dem Feuerbalzer und dem Silberbauer, daß er gern dabei sein möchte, wenn der Erstere den Gebrauch der Sinne und der Sprache wieder erlangt. Es steht zu erwarten, daß er dann im Stande sein werde, sehr wichtige Aussagen zu machen.«

»So mag er bleiben.«

Der Feuerbalzer verhielt sich trotz der Anwesenheit so vieler Personen völlig theilnahmlos. Nur als der Assessor einige Fragen an ihn richtete, um sich von seinem geistigen Zustande zu überzeugen, blickte er ihn blöd-ängstlich an und antwortete in klagendem Tone:

»Nimms hin, nimms hin! Ich sag halt nix! Gnade, Gnade!«

Der Assessor nickte den beiden Aerzten stumm zu. Er war bereits von ihnen über Alles unterrichtet worden und gab durch dieses Nicken zu verstehen, daß er ihre Ansichten theile.

Nun sollte die wichtige Operation beginnen. Die Feuerbalzerin mußte sich entfernen. Am Liebsten hätte man auch ihre kranke Schwiegertochter aus der Stube gewiesen; das ging aber nicht an.

Der Patient wurde auf einen Stuhl gewiesen und auf demselben festgebunden, was er sich unter ängstlichem Wimmern gefallen ließ. Dann wurde er chloroformirt, was seine Schwierigkeiten hatte, da er in seiner geistigen Umnachtung ja nicht zu zählen vermochte. Die Aerzte mußten da alle Vorsicht anwenden, ihm ja nicht zu viel des betäubenden Stoffes einathmen zu lassen.

Als er sich unempfindlich zeigte, wurde diejenige Stelle seiner Hirnschaale, deren Berührung ihm Schmerzen zu verursachen pflegte, von den Haaren


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befreit und dann griff der Medicinalrath zum Messerchen, um die Kopfhaut zu entfernen. Die zum Trepaniren erforderlichen Instrumente standen bereit.

Als die Haut zurückgeschlagen war, ließ der Arzt einen Ruf der Verwunderung hören.

»Wir brauchen nicht zu trepaniren,« sagte er. »Sehen Sie her, Herr College! Hier ist die verletzte Stelle. Es ist in Wirklichkeit so, wie ich vermuthete. Die Hirnschaale ist hier durch einen schweren Hieb eingedrückt worden. Man sieht trotz der Jahre, welche indessen vergangen sind, die scharfe Umschreibung der Wunde noch sehr genau. Der Gegenstand, mit welchem der Schlag ausgeführt worden ist, scheint ein Hammer gewesen zu sein, ein Hammer mit einem ganz genau quadratischen Kopf. Ich werde einmal messen.«

Er legte ein kleines, silbernes Stäbchen, welches dem angegebenen Zwecke diente, auf die verletzte Stelle und sagte dann:

»Drei Centimeter und vier Millimeter im Quadrat hat die Wunde. Merken wir uns das sehr genau. Das eingeschlagene Knochenstück hängt an einer Seite noch mit der Schädeldecke zusammen, während es mit der entgegengesetzten Seite nach einwärts gebogen ist und also auf das Gehirn drückte. Dieser Druck ist die einzige Veranlassung der geistigen Umnachtung des Patienten. Sobald derselbe beseitigt ist, wird, wie zu erwarten steht, Balzer den Gebrauch seiner Geisteskräfte wieder voll im Besitz haben. Und glücklicher Weise ist die Sache so sehr leicht. Wir brauchen nur die eingeschlagene Knochenstelle zu heben, mit der Haut zu bedecken und dann zu verbinden. Die Heilung wird in verhältnißmäßig kurzer Zeit erfolgen.«

So, wie er gesagt hatte, geschah es auch. Der Knochen wurde aus dem Hirn emporgezogen, mit der abgelösten Kopfhaut bedeckt und dann durch eine aufgelegte Metallplatte, welche bereit gehalten worden war, geschützt. Darüber kam ein Verband. Die Operation war als eine so sehr leichte in wenigen Secunden vorüber.

Jetzt nun waren alle Anwesenden darauf gespannt, wie der Patient sich im Augenblicke des Erwachens verhalten werde. Da mußte es sich zeigen, ob es klug gewesen war, daß ein Gerichtsbeamter sich mit hatte einfinden müssen.

Die Herren nahmen Platz, so gut es ihnen möglich war, und ließen den Patienten nicht aus den Augen. Er saß noch immer angebunden auf dem Stuhle. Es wäre wohl unvorsichtig gewesen, ihn bereits jetzt schon loszubinden.

So verging eine ziemlich lange Zeit, bevor er sich zu regen begann. Endlich öffnete er die Augen, blickte einige Secunden lang gerade vor sich hin und schloß sie dann wieder. Dabei stieß er einen tiefen, tiefen Seufzer aus, als ob er nach einer schweren Bedrückung jetzt wieder Erleichterung fühle. Seine Brust bewegte sich sichtbar unter tiefen Athemzügen.

»Binden wir ihn los!« sagte der Medicinalrath. »Ich glaube, daß wir es risciren können.«

Die Bande wurden dem Kranken abgenommen. Ein leises, befriedigtes Lächeln ging über sein Gesicht.

»Sehen Sie,« flüsterte der Rath, »daß sein Geist zurückkehrt? So


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lächelt kein Irrer. In diesem Lächeln liegt ein Bewußtsein, dessen er vorher entbehrte. Ich möchte wetten, daß er ganz vernünftig zu sprechen beginnen wird.«

Es zeigte sich, daß der erfahrene Mann Recht hatte. In kurzer Zeit öffnete Balzer die Augen abermals, blickte zunächst wie träumend vor sich hin und sah sich dann im Kreise um. Er erblickte die Anwesenden, fuhr sich mit der Hand nach dem Kopfe und sagte:

»Mein Kopf! Er hat mich also doch derb mit dem Hammer troffen.«

»Wer?« fragte der Assessor.

Balzer richtete sein Auge auf den Sprecher. Er schien erst jetzt in Wirklichkeit von den Anwesenden Notiz zu nehmen.

»Ja, wer ist denn da?« fragte er. »Wer sind diese fremden Leutln, die da bei uns sitzen?«

»Wundern Sie sich nicht,« antwortete der Medicinalrath. »Ich bin der Arzt, der Sie verbunden hat. Der Hieb, den Sie auf den Kopf erhalten haben, ist ein sehr gefährlicher gewesen.«

»Weil er so tüchtig ausholt hat.«

»Wer?«

Der Gefragte öffnete bereits den Mund, um zu antworten, besann sich aber eines Anderen. Seine Frau, welche in der Ecke lag, hatte mit angstvoller Spannung das Resultat der Operation erwartet. Jetzt, als sie ihren Mann plötzlich in verständiger Weise sprechen hörte, fühlte sie sich auf das Tiefste ergriffen. Es war ihr zwar verboten worden, sich bemerkbar zu machen, aber sie vermochte es nicht, sich zu beherrschen. Sie schluchzte vernehmlich.

»Wer weint denn da?« fragte Balzer.

Die Herren hatten sich nämlich so gestellt, daß er seine Frau nicht sehen konnte.

»Es ist eine Person, die Sie nichts angeht,« antwortete der Assessor.

»Aber, wo bin ich denn eigentlich?«

Er blickte sich ganz erstaunt um.

»Kennen Sie diesen Ort?«

»Nein.«

»Sind Sie noch nie hier gewesen?

»Hm! Ich weiß es nicht genau. Es scheint fast grad so, wie die untere Stub in dera Flachsbrechereien. Aberst da wohnt doch kein Mensch. Ich bin gar nicht daheim, ich bin bei fremden Leutln.«

»Allerdings. Sie wissen also nicht, was geschehen ist?«

»Was soll geschehen sein?«

»Hm! Aber wer Sie sind, das wissen Sie?«

»Na,« lachte der Kranke, »ich werd halt doch wissen, wer ich bin!«

»Nun, wer?«

»Dera Balzerbauer in Hohenwald.«

»Richtig! Sie kennen also alle Bewohner dieses Dorfes?«

»Natürlich alle.«


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»Auch den Silberbauer?«

»Ja. Ich bin doch erst gestern mit ihm in dera Stadt gewest.«

»Was haben Sie da gemacht?«

»Im Amt waren wir. Er hat mir eine Hypothek auszahlt.«

Es war klar, daß er von dem langjährigen Zeitraume, welcher seitdem vergangen war, gar nichts wußte. Der Assessor ging auf diese Anschauung sofort ein und fragte weiter:

»Wie viel betrug die Hypothek?«

»Fünftausend Thalern.«

»In welcher Münzart haben Sie dieselben ausgehändigt bekommen?«

»In lauter Goldfuchserln. Nur ein einziges Kassenbilleterl war dabei.«

»Wie hoch im Werthe?«

»Fünfhundert Thaler.«

»Kennen Sie vielleicht die Nummer desselben?«

»Ei wohl! Bei so einem großen Papiererl schaut man sich die Nummer schon sehr genau an. Freilich; wie sie aussprochen wird, das weiß ich nicht, aber es waren erst drei Neuner; nachher kamen drei Dreier und zuletzt noch eine Nullen.«

»Also 9993330 - neun Millionen neunhundertdreiundneunzig Tausend und dreihundertdreißig?«

»Wird schon so sein.«

»Und wo haben Sie das Geld?«

»Droben in meiner guten Stuben ists. Da liegts im Kasten drin.«

»Es ist also noch da?«

»Wohin solls sein? Aberst, warum fragens mich denn so aus? Wer sinds eigentlich? Und nun will ich wissen, wo ich bin!«

»Sie befinden sich bei Leuten, welche es sehr gut mit Ihnen meinen. Wir sind hier allerdings im Parterreraume der Flachsbrecherei.«

»Aberst da seh ich doch einen Tisch und den Stuhl, den Schemel und andre Sachen. Wohnt denn Jemand hier, ohne daß ich es weiß?«

»Ja, und wer das ist, das werden Sie nachher erfahren. Jetzt bitte ich Sie, mir vor allen Dingen meine Fragen zu beantworten.«

Das Gesicht Balzers nahm jetzt einen mißtrauischen Ausdruck an. Er heftete den Blick scharf auf den Assessor, betrachtete ihn genau und sagte:

»Ich kenne Sie halt gar nicht. Was habens mich denn eigentlich zu fragen?«

»Ich möchte Verschiedenes von Ihnen wissen und will Ihnen aufrichtig sagen, daß ich eine amtliche Person bin. Ich bin am Gericht angestellt.«

»Sapperlot! Was hab ich denn mit dem Gericht zu schaffen? Was soll ich than haben?«

»Nichts sollen Sie gethan haben. Ein Anderer ist einer strafbaren That beschuldigt, und ich denke, daß Sie als Zeuge gegen ihn werden auftreten können.«

»Als Zeuge? Ich weiß von nix und Niemand was.«


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»Das wollen wir erst sehen. Sagen Sie mir zunächst, ob Sie vielleicht einen Schmerz am Kopfe fühlen!«

»Ja, den fühle ich schon.«

Er griff mit beiden Händen nach dem Kopfe und fuhr erstaunt fort:

»Ich hab ein Tuch am Kopfe? Ich bin verbunden worden? Warum hat man das than?«

»Weil Sie verwundet worden sind, lebensgefährlich verwundet. Es ist Ihnen der Schädel zerschmettert worden. Sie haben ein Loch in demselben.«

»Ach so! Jetzt begreif ich halt die ganze Sachen. Das Gericht ist da, um zu derfahren, wer mich so schlagen hat?«

»Ja. Hoffentlich werden Sie mir diese Frage beantworten können?«

Er blickte still vor sich nieder. Man sah es ihm an, daß er mit sich zu Rathe ging, ob er aufrichtig sein solle oder nicht. Der Silberbauer war sein Spielkumpan gewesen, und da er gar nichts von Dem, was geschehen und daß inzwischen Jahre verflossen waren, wußte, so hielt er es für gerathen, nichts zu gestehen.

»Ja, ich werd schon antworten,« sagte er. »Aber ich weiß halt nicht, ob ich das wissen werd, was Sie von mir derfahren wollen.«

»Ich möchte zuerst wissen, ob Sie im vollständigen Gebrauche Ihres Denkvermögens sind.«

»Warum soll ich das nimmer sein? Ich werd doch halt noch denken können.«

»Und Sie verstehen also meine Fragen sehr genau und wissen, was Sie auf dieselben antworten?«

»Ja, das weiß ich Alles ganz genau.«

»Nun gut! So sagen Sie mir, wo Sie gestern Abend gewesen sind.«

»Beim Silberbauern.«

»Waren Sie allein dort, oder befand sich außerdem noch Jemand bei ihm?«

»Dera Schulmeister und auch dera Heimannbauer.«

Der Letztgenannte war längst gestorben. Der Lehrer, der hier gemeint war, hatte indessen seine Stelle mehrmals gewechselt, und da er damals bereits ziemlich alt gewesen war, so ließ sich fast mit Gewißheit erwarten, daß auch er nicht mehr lebe.

»Was haben Sie dort gemacht?« fragte der Beamte weiter.

»Was sollen wir macht haben. Gesprochen haben wir und einen Tabaken dabei raucht.«

»Sonst haben Sie weiter nichts gemacht?«

»Nein. Wir haben sprochen von der Politiken, von Krieg und Frieden, von unsern Aeckern und von Allem, was im Dorf so vorkommt.«

»So! Haben Sie denn vielleicht ein kleines Spielchen gemacht?«

»Nein, spielt - haben - wir - - nicht.«

Diese Antwort wurde nur zögernd gegeben. Es war ihm anzumerken, daß er jetzt nicht die Wahrheit gesprochen habe.


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»Besinnen Sie sich ganz genau! Es kommt sehr viel darauf an, ob Sie gespielt haben oder nicht.«

»Es ist nicht spielt worden. Wer spielen will, der geht ins Wirthshaus. Daheim bei sich aberst spielt hier bei uns Keiner.«

»So! Und wann gingen Sie nach Hause?«

»Die Stund weiß ich nicht mehr genau.«

»Was haben Sie zu Hause gemacht? Besinnen Sie sich ganz genau!«

»Was ich macht hab? Hm! Das weiß ich freilich nicht mehr. Es muß Einer in meiner Stuben gewest sein und mich schlagen haben. Davon hab ich den Verstand verloren.«

»Sie scheinen es also nicht zu wissen, wer es gewesen ist?«

»Nein. Ich weiß es nicht.«

»Und was sich dann weiter in dieser Nacht ereignet hat, das wissen Sie auch nicht?«

»Nein, gar nix.«

»Bitte, besinnen Sie sich! Es sind Dinge vorgekommen, von denen Sie, trotzdem Sie besinnungslos waren, doch wenigstens eine Ahnung haben können. Selbst der Ohnmächtige ist befähigt, gewisse Eindrücke zu empfangen, welche sich seinem Gedächtnisse wenigstens dunkel einprägen.«

»Das ist bei mir nicht geschehen. Ich weiß ganz und gar nix. Ich weiß nur, daß ich träumt hab, bis ich jetzunder aufwacht bin.«

»Was haben Sie geträumt?«

»Allerlei. Es war ein schlechter, ein sehr böser Traum, bei welchem ich eine recht große Aengsten ausstanden hab. Jetzund bin ich froh, daß ich wieder aufiwacht bin, und daß nix wahr ist, was ich träumt hab.«

»Können Sie mir über diesen Traum Etwas sagen?«

»Ja. Es wollt mich Einer dermorden, und ich hab ihm gute Worten geben, daß ers nicht thun soll. Nachhero haben die Leuteln Alle denkt, daß ich verrückt sei; aberst ich bins nicht gewest. Ich hab nur gar nicht denken konnt. Ich hab mir alle Mühen geben, zu sinnen und zu reden wie andre Menschen auch, aberst ich habs halt nicht zu Stande bracht, denn es ist eine große Last auf meinem Kopf gelegen, die ich nicht herunterbracht hab. Auch hat mir träumt, daß ich ganz arm bin und daß ich gar großen Hunger hab immerfort. Die Muttern ist eine große Lumpin worden und die Frau ganz krank. Die Leuteln, denen ich begegnet bin, haben mich angeschaut wie einen Verrückten, und ich hab einen Feind habt, der uns Alle hat unglücklich machen wollen.«

»Wußten Sie, wer dieser Feind sei?«

»Nein. Ich hab den Kopf sehr angestrengt, es zu derfahren; aberst das ist ganz vergeblich gewest.«

»War es nicht der Silberbauer?«

»Das weiß ich nicht.«

Er sagte das so zögernd und bedenklich, daß man leicht vermuthen konnte, er habe auch jetzt wider besseres Wissen gesprochen. Der Assessor schüttelte


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den Kopf; dennoch aber begriff er als Psycholog recht wohl, warum der Balzer nicht aufrichtig antwortete. Er mußte Schritt um Schritt vorgehen, um das noch nicht erstarkte Hirn des Kranken zu schonen.

»Das Geld, welches Ihnen gestern der Silberbauer ausgezahlt hat, befindet sich also noch in Ihrem Besitze?« fragte er weiter. »Natürlich. Wer sollte es sonst haben.«

»Wo liegt es? Denken Sie genau nach!«

»Im Kasten, droben in dera guten Stuben.«

»So! Hm! Stehen Sie doch einmal auf, und blicken Sie durch das Fenster. Was liegt rechts da oben?«

Balzer schaute nach der angegebenen Richtung und antwortete:

»Das ist unsere Kirchen. Warum fragens halt so?«

»Und blicken Sie nun links da hinüber. Kennen Sie dieses Haus?«

Balzer folgte der Weisung des Beamten. Sein Blick fiel auf das Gut, welches auf der Stelle seines abgebrannten stand. Es war interessant, zu sehen, welch ein Erstaunen sich in seinen Zügen ausdrückte. Er öffnete die Augen weit und trat einen Schritt von dem Fenster retour, den Blick auf die ihm fremden Gebäude gerichtet.

»Ja, was ist denn das?« fragte er. »Hab ich denn noch jetzund den Traum?«

»Nein, Sie wachen. Kennen Sie das Gebäude denn nicht?«

»Ich habs im Traum gesehen, aber ich konnt nicht wissen, wems gehört. Himmelsacra! Das steht ja grad da, wo mein Gut stehen muß! Das ist doch eine Zaubereien!«

»Es ist die Wirklichkeit, Balzer. Sie sind doch wohl überzeugt, daß Sie sich in Hohenwald befinden?«

»Freilich! Ich kenne ja alle die Häusern, welche von hier aus zu sehen sind. Aberst das meinige ist fort. Wo ists hin?«

»Es ist abgebrannt.«

»Ab - brannt - wärs?«

Er sprach die Frage nur silbenweise aus. Seine Augen wurden stier, und sein Gesicht nahm einen starren Ausdruck an. Seine Brust athmete schnell und schnappend, als ob ihm die Luft ausgehen wolle.

»Abbrannt wärs! Das hat mir auch bereits so träumt. Es hat mir lange Zeit um die Nasen gerochen wie lauter Brand. Aberst der Traum kann doch nicht Wahrheit sein! Wann mein Gut heut in dera Nacht verbrannt ist, kann doch nicht bereits heut ein neues dastehen!«

»Beruhigen Sie sich, Balzer! Sie haben jetzt allerdings Etwas zu erfahren, was Sie sehr betrüben wird; aber es wird nur kurze Zeit vergehen, so ist das Leid in Freude umgewandelt. Treten Sie doch einmal her an den Spiegel, und schauen Sie hinein!«

Auf einem Mauervorsprunge lehnte ein Stückchen Glas von einem zerbrochenen Spiegel. Balzer nahm es in die Hand und sah hinein. Er fuhr zurück, stieß einen Ruf des Schreckens aus, blickte wieder hinein, fuhr aber-


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mals zurück, kurz, er war in diesem Augenblicke das leibhafte Bild des unglückseligsten Erstaunens.

»Jesus Maria!« rief er. »Wie schau ich da aus! Das kann doch ich nicht sein!«

Er blickte die Anwesenden rathlos an. Dann erst fiel sein Blick zum ersten Male auf seine eigene äußere Erscheinung. Das Blut wich ihm aus den Wangen. Er wollte sprechen, brachte aber kein Wort hervor. Er schluckte und schluckte, vergebens, es wollte ihm keine Silbe über die Lippen.

Der Medicinalrath trat zu ihm; ergriff seine Hand, um nach dem Pulse zu fühlen, und sagte:

»Beruhigen Sie sich, Balzer! Es ist nicht so schlimm, wie Sie denken.«

»Nicht - so - schlimm?« stieß der Bauer jetzt hervor. »Wie schau ich aus! Barfuß, mit solch einer zerrissenen Kleidung! Nicht gewaschen und auch nicht gekämmt! Und mein Gesicht ist so alt, als ob seit gestern zwanzig Jähren vergangen wären. Das kann ich nicht - - -«

Er hielt inne, griff mit der Hand an die Stirn, stieß einen schrillen Schrei aus und sank auf den alten Stuhl zurück.

Da trat der Sepp herbei, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte:

»Balzerbauer, laß Dichs halt nicht so angreifen! Der Herrgott hats geben und hats auch nommen. Wann er will, kannst Du es auch wieder erhalten.«

Der Bauer blickte zu ihm auf.

»Diese Stimm ist mir bekannt,« sagte er, »und das Gesicht auch. Du bist halt dera Wurzelseppen, aberst auch viel älter, alst sein kannst. O, ich weiß, ich weiß! Ich hab nicht träumt. Es ist Alles wahr; es ist Alles wirklich geschehen, was ich für einen Traum halten hab. Ists nicht so, Sepp? Sag mir die Wahrheit!«

»Die will ich Dir schon sagen. Du hast Recht; es ist kein Traum gewest. Dein Gut ist abbrannt, und nun wohnst hier mit Deiner Frauen und der alten Muttern.«

»Hier, im Flachshaus wohn ich? Herrgott! Bin ich denn der Armenhäusler? Bin ich denn ein Hungerleidern worden?«

»Es ist ja Alles verbrannt, und dera Eschenbauer hat das Gut für sich neu aufibaut.«

»Wann - wann ist das Feuer gewest?«

»Vor langen Jahren.«

Der Bauer vergrub sein Gesicht in die beiden Hände und blieb eine lange Weile still. Der Medicinalrath winkte den Andern, ihn nicht zu stören. Aus der Ecke, in welcher sich das Lager der Frau befand, erklang ein herzbrechendes Schluchzen. Der Bauer hob den Kopf und fragte:

»Wer weint da? Wann ich hier wohne, so muß es Eins von den Meinigen sein.«

»Wenn Sie mir versprechen wollen, möglichst ruhig zu bleiben, so sollen Sie es erfahren,« antwortete der Arzt.


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»O, ich werd ruhig sein, ganz ruhig!«

»So schauen Sie hin! Kennen Sie diese Frau?«

Die Andern traten zurück, so daß der Bauer nun das Lager sehen konnte. Ein hohläugiges Gesicht blickte ihm von dorther unter Thränen entgegen.

»Wer, wer ist das?« fragte er. »Die hab ich noch gar nie, niemals sehen.«

Das ging der Kranken wie ein glühendes Eisen durch das Herz.

»Balzer! Frieder!« schluchzte sie, ihn bei seinem Familien- und auch Vornamen nennend. »Mich willst Du nicht kennen, mich!«

Er horchte auf.

»Welch eine Stimm ist das? Das ist die Stimm von meiner Frauen! Aberst die kanns ja gar nicht sein! Kathrin', Kathrin', bists denn wirklich, odern bists nicht?«

»Ich bins, ja ich bins.«

Da that er die wenigen Schritte zu ihr hin. Er wollte sprechen, aber da öffnete sich die Thür, und die alte Balzerin, seine Mutter, trat ein.

»Ich kanns nicht länger aushalten,« sagte sie. »Ich hab ihn reden hört. Er kann sprechen; er kann denken. Wenn da fremde Menschen dabei sind, so darf seine Muttern wohl auch mit hereinikommen.«

Er hatte sich zu ihr umgedreht und sie wie eine Fremde angestarrt. Jetzt aber rief er aus:

»Was? Wer bist? Meine Muttern bist? Meine Muttern willst sein?«

»Ja, die bin ich. Kennst mich denn nimmer?«

Da breitete er die Arme aus, als ob er in der Luft nach einem festen Halt suche.

»O Gott,« stöhnte er. »Mir wird ganz schlimm. Es ist ganz dunkel vor denen Augen. Ich kann nix sehen. Ich fall um.«

Der Arzt wollte ihn halten; aber seine Mutter war noch schneller gewesen. Sie hatte den Wankenden in ihren Armen aufgefangen.

»Er stirbt, er stirbt!« schrie sie auf.

»Nein, er stirbt nicht,« tröstete der Medicinalrath. »Das, was er jetzt gesehen und gehört hat, ist zu stark gewesen für seine schwache Geisteskraft. Er ist ohnmächtig geworden und wird in einen tiefen Schlaf fallen, aus welchem er hoffentlich gestärkt erwachen wird. Wir werden uns entfernen; aber ich komme heute noch einige Male wieder, um nach ihm zu sehen. Legen Sie ihn hier nieder, neben seine Frau, und beobachten Sie gegen Jedermann einstweilen noch das tiefste Schweigen. Es soll noch Niemand wissen, was hier vorgegangen und gesprochen worden ist.«

Der Ohnmächtige wurde zu seiner Frau auf das elende Lager gebettet, und dann entfernten sich die Herren, nachdem sie der alten Bäuerin reichlich Geld zurückgelassen hatten, um die jetzt so nothwendigen Ausgaben bestreiten zu können.

Der Sepp stieg mit dem Lehrer in das obere Stockwerk zu dem Finkenheiner. Beide wollten gern im Hause bleiben, um beim Erwachen Balzers


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sofort bei der Hand zu sein. Die beiden Aerzte aber gingen mit dem Assessor nach dem Gasthofe, wo der Letztere sich eine Stube geben lassen wollte. Er hatte die Absicht, das Dorf nicht eher zu verlassen, als bis die Balzer'sche Angelegenheit in Ordnung gebracht worden sei. Der Arzt aus der Stadt blieb bei ihm; der Medicinalrath ging nach der Mühle, versprach aber, baldigst wieder zu kommen. Der Lehrer hatte versprochen, falls der Bauer erwachen werde, sofort zu schicken.

Die Zeit bis zum Anbruche des Abends verging. Da kehrte der Medicinalrath aus der Mühle zurück, und bald darauf kam auch vom Lehrer die Botschaft, daß der Kranke aus seinem Schlafe erwacht sei. Die Herren machten sich sogleich nach der Flachsbreche auf.

Als sie dort anlangten, saß der Balzer am Bette seiner Frau. Der Finkenheiner hatte seine Stühle hergeborgt, daß man sich wenigstens setzen konnte.

Das Auge des aus geistiger Nacht Erwachten war verhältnißmäßig klar und frei von innerer Trübung. Er gab den Herren in demüthiger Freundlichkeit die Hand und antwortete auf die Frage des Medicinalrathes nach seinem Befinden.

»Dera Kopf thut mir weh, da wo ich den Schlag erhalten hab. Sonst aberst fühl ich gar nix von einer Krankheiten.«

»Das ist sehr gut. Ich hoffe, daß Sie recht bald vollständig gesund sein werden. Die Hauptsache ist, zu wissen, ob Ihnen das Denken und Sprechen allzu viele Anstrengung bereitet.«

»Gar keine. Es ist mir, als ob ich aus einer Gefangenschaft frei worden bin. Es druckt und zuckt noch ein klein Wenig, grad so, als ob ich einen Rausch habt hätt, aberst klar bin ich im Kopf. Ich weiß Alles genau, was ich sag und thu.«

»Auch das, was geschehen ist?«

»Ja. Die Frau und die Muttern haben mir Alles verzählt und derklärt. Ich weiß nun, wie es steht und was damals geschehen ist.«

»So werden Sie hoffentlich meine Fragen jetzt wahrheitsgetreuer beantworten als vorher,« bemerkte der Assessor, indem er warnend den Finger hob.

»Hab ich was sagt, was nicht wahr ist?« fragte der Bauer in unsichrem Tone.

»Ja, in Beziehung auf den Silberbauer.«

»Da habens Recht! Es war mir noch dumm und trüb im Kopf, und ich hab nicht wußt, was ich dem Silberbauer Alles zu danken hab. Darum hab ich dacht; daß ich nicht Alles derzählen darf. Jetzund aberst werd ichs sagen. Dieser Mensch ist ein Teufel. Er hat mich unglücklich macht, weil er mich zum Spiel verführt hat. Er hat mich bestohlen und dermorden wollen und mir nachher sogar das Haus über dem Kopf anbrannt.«

»Davon sind Sie überzeugt?«

»Ja, obgleich ichs nicht genau beweisen kann.«

»Vielleicht finden wir den Beweis, wenn Sie uns aufrichtig erzählen. Haben Sie sich an jenem unglückseligen Abende, an welchem Sie sich bei dem


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Silberbauer befanden, wirklich nur mit einander unterhalten? Haben Sie nichts Anderes gemacht i«

»Freilich haben wir nicht nur blos sprochen und derzählt, sondern wir haben auch spielt.«

»Karten? Was für ein Spiel?«

»Ich weiß nicht, wie's nannt wird, dieses Spiel. Es werden vier Zündhölzern auf den Tisch legt und das Geldl rechts und links dazu. Nachhero legt Einer die Karten auf, für sich und die Andern. Es ist ein Spiel, bei welchem man gar viel verlieren kann.«

»Aha! Ich kenne es. Sie hatten es wohl schon sehr oft betrieben?«

»Ja. Erst hab ich gar nicht wußt, daß es unrecht war, und nachhero, als ich derfuhr, daß es verboten ist, da hat mich dera Spielteufel bereits zu fest in den Krallen habt. Ich hatt schon zu viel verloren und wollt Alles wieder gewinnen. Darum hab ich nicht aufihört. Und grad an jenem Abend hab' ich einen großen Gewinn machen wollt, denn ich hatt fünftausend Thalern, mit denen ich das Glück vielleicht derzwingen konnt.«

»So haben Sie wohl sehr hoch gespielt?«

»Ja, sehr hoch und auch heimlich. Es hats gar Niemand wußt, daß wir bei dem Silberbauern waren, denn wir sind zu ihm durch das Fenstern einistiegen. Und eben so heimlich sind wir auch wiedern fort. Meine Frau und meine Muttern haben meint, daß ich das Geldl in die gute Stuben than hab. Aber dera Kasten, den ich dort einischließen that, war leer. Das Geldl hat dera Silberbauern gleich mit zu sich nommen. Dann hab ich mich zu ihm schlichen und wir haben beisammen sessen und spielt, vier Personen. Dera Silberbauern hat die Bank gehalten und gar viel gewonnen, bis ich sehen hab, daß er falsch spielt. Da hab ich mich an seine Stell setzt und die Bank übernommen. Von diesem Augenblick an hat sich das Blatt umidreht. Ich hab gewonnen und wieder gewonnen, bis die beiden Andern keinen Pfennig mehr habt haben. Da hat nur noch dera Silberbauern weiter mit mir spielt. Er ist aller Minuten fortgangen, um abermals Geld zu holen, und es war noch lange nicht Mitternachten, da hat er gar nix zu setzen habt. Ich hatt zu meinen fünf wohl noch viertausend Thalern gewonnen. Dera Silberbauern hat mir einen Sack borgt, in welchem ich das viele Geldl nach Haus schleppt hab. Unterwegs hab ich mir vorgenommen, nun aufzuhalten und gar nie wiedern zu spielen.«

»Das ist so einer von den guten Vorsätzen, mit denen der Weg zur Hölle gepflastert ist.«

»Ja, das hab ich gar bald merkt, denn kaum waren drei Minuten vergangen, so saßen wir wieder bei nander und spielten.«

»Wer? Doch nicht der Silberbauer mit?«

»Freilich grad der. Ich hatt mich leise hinaufi schlichen und das Licht anbrannt. Da saß ich und zählt das Geldl. Dabei hört ich, daß Einer mit Sand nach dem Fenster warf, und als ich hinaus schaut hab, da ists dera Silberbauern gewest. Er hat sagt, ich soll ihn heimlich zu mir lassen, weil er


Ende der vierundvierzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk