Lieferung 59

Karl May

10. September 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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Das that ihm so wehe, daß auch seine Augen naß wurden. Trotz des innigen Mitleides, welches er mit dem schönen Mädchen empfand, war es doch noch ein zweites, ein ganz anderes Gefühl, welches in diesem Augenblicke sein Herz schwellen machte. Sie, die heimlich Geliebte, schmiegte sich an ihn, als ob er ein Recht auf eine solche Annäherung besitze. Ihre Hand hielt die seinige umschlossen, bittend, flehend, um Hilfe bei ihm zu suchen. Es war ihm so unaussprechlich wonnig, so selig zu Muthe wie noch nie in seinem ganzen Leben. Er fühlte einen beinahe unwiderstehlichen Trieb in sich, den Arm um sie zu legen und sie fest, fest an sich zu drücken. Es wurde ihm wirklich schwer, diesem Impulse nicht Folge zu leisten.

So saßen sie mehrere Minuten lang bei einander, still in ihre Gefühle versenkt.

»Ludwig!« hauchte sie dann.

»Gisela, was willst?«

»Giebt es wirklich keine Hilfe aus dieser Noth?«

»Ich denk soeben drüber nach.«

Aber wenn er hätte aufrichtig sein wollen, so hätte er sagen müssen, daß er nicht darüber nachgedacht hatte. Er hatte überhaupt nicht gedacht, sondern sich nur seinen Regungen hingegeben.

»Keine Noth ist in der Welt, gegen welche es nicht eine Hilfe giebt,« sagte sie. »Also muß es doch auch hier Rettung geben.«

»Der Herrgott mags schicken, daß mir ein guter Gedanke kommt. Es ist mir ganz so, als ob ich mich an Deiner Stelle befänd. Ich kann mir denken, was für eine Traurigkeiten jetzund in Deinem Herzen wohnt. Wann ich dieselbe auf mich nehmen könnt, so wollt ich es mit tausend Freuden thun.«

»Ich glaube es Dir. Aber abnehmen kannst Du mir das Herzeleid freilich nicht, doch es mit tragen helfen, das kannst Du. Willst Du das thun?«

»Ja, das will ich redlich thun. Darauf kannst Dich verlassen.«

»So bitte ich Dich, mit darüber nachzudenken, wie es mir möglich ist, den Vater von seinen Abwegen zurückzuführen.«

»Das wird schwer sein. Willst ihn etwan bitten?«

»Das würde nichts helfen.«

»Oder ihm drohen?«

»Dadurch würde die Sache nur noch schlimmer. Womit könnte ich ihm denn drohen?«

»Freilich nur mit der Anzeige.«

»Das geht nicht. Eine Tochter kann doch unmöglich ihren Vater anzeigen.«

»Nein, das geht nicht. Entweder würde er Dich auslachen, oder er nähm die Sach zornig und thät Etwas, was ich nicht zu verantworten vermag. Es steht also fest, daßt Dich gar nicht direct an ihn wenden kannst. Du mußt so thun, als obst gar nix weißt; und sodann hinter seinem Rücken die Sach mit Schlauheit beginnen.«


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»Das klingt freilich sehr schön. Aber sage mir doch die Schlauheit, die ich anwenden soll!«

»Nun, vielleicht ists nicht so schwer, als man jetzt denkt. Ich hab da einen Gedanken. Ich bin nämlich der Meinung, daß er aufhören wird, wann er bemerkt, daß ihm die Grenzbeamten auf die Finger schauen.«

»Willst Du ihn etwa verrathen?«

»Ihn nicht, aberst die Leutln, welche mit ihm arbeiten.«

»So wird er auch mit bestraft.«

»Wann er nicht mit ihnen derwischt wird, können sie ihm nix thun. Nur müßt ich vorher wissen, ob er selbst auch mit über die Grenz hinüber geht.«

»Nein, das thut er wohl nicht. Wenigstens weiß ich, daß er dann, wenn ich das geheimnißvolle Treiben beobachtet habe, stets zu Hause geblieben ist. Er ist während der Nacht nicht fortgekommen, sondern er hat sie allein gehen lassen, nämlich die Männer, welche hier waren. Ich stimme Dir bei, daß es vielleicht am Besten wäre, wenn er einmal eine ganz gehörige Schlappe erlitte; aber seine Person müßte dabei aus dem Spiele bleiben.«

»Dafür könnte gar wohl gesorgt werden. Ich will mir die Sach überlegen. Vielleicht hab ich bereits heut Gelegenheit, Etwas zu derfahren.«

»Wie? Soll etwa heut Etwas vorgenommen werden?«

»Vielleicht.«

»Hast Du Etwas bemerkt?«

»Ja.«

»Was hast bemerkt?«

»Es wird besser sein, wenn ichs Dir nicht sag. Wer nix weiß, der hat keine Verantwortung zu tragen.«

»Aber ich könnte mit lauschen. Und wenn wir Etwas hören oder sehen, so könnten wir mit einander berathen, was zu thun ist.«

»Nein, so wird es nicht gemacht. So eine gefährliche Angelegenheiten ist nicht für ein junges Mädchen gemacht. Da ists gerathen, daß Du die Hand davon lässest. Ich werd schon selbst wissen, was geschehen muß.«

»Aber wenn Du Alles heimlich machst, so habe ich doppelte Sorge und Angst.«

»Das hast nicht nöthig. Oder hältst mich vielleicht für einen Kerl, der unvorsichtig ist und gern Dummheiten macht?«

»Nein. Aber mein Vater ist dann nicht allein in Gefahr, sondern - sondern auch noch ein Anderer.«

»So! Wen meinst denn damit?«

»Einen, für welchen mir sehr bange sein würde, wenn er sich die Rachsucht der Pascher zuziehen müßte.«

»Wanns Einer ist, der klug genug ist, so hat er nix zu befürchten. Weißt, er kanns doch leicht so machen, daß von ihm gar keine Red nicht ist.«

»Ist das möglich?«

»Ich denke es. Aber gar schön wär es, wann ich derfahren könnt, wenst meinst, Gisela.«


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»Kannst Dir es nicht denken?«

»Nein, wirklich nicht. Sag mir's, wer es ist, so ists mir vielleichten möglich, auch über ihn mit zu wachen.«

»Das wird Dir nicht schwer werden, Ludwig, denn Du bist ja stets bei ihm.«

»So? Ists etwan einer von denen unserigen Knechten?«

»Ja.«

»Wirklich? Ich hab mir gar nicht dacht, daß so Einer auch mit bei den Paschern ist. Der muß ein gar schlauer Patronen sein, daß er es hat treiben konnt, ohne daß ich es bemerkt habe.«

Sie lachte leise auf, trotz der trüben Stimmung, in welcher sie sich befand.

»Ja,« sagte sie, »ein kluger Kerl muß er sein, da Du nicht einmal es bemerkt hast. Du bist es ja selbst.«

Er schwieg. Ihre Worte machten einen Eindruck auf ihn, von dessen Tiefe er selbst noch gar keine Ahnung hatte. Dann, nach einer Pause, sagte er:

»Jetzund willst wohl einen Scherz mit mir machen, Gisela?«

»Nein, es ist Ernst.«

»Das mag ich kaum glauben. Wanns ein Scherz wär, so thät es mir leid, denn ich mein es halt gar gut mit Dir.«

»Das weiß ich ja, Ludwig.«

»So hast also wirklich mich gemeint?«

»Ja.«

»Und willst in Sorg und Angst um mich sein?«

»Muß ich nicht, wenn Du es wagst, Dich mit so gefährlichen Leuten, wie die Schmuggler sind, zu verfeinden.«

»Da ist wohl keine große Gefahr dabei. Und, weißt, wer beim Militär gewest ist und in mehreren Schlachten und Gefechten, der fürchtet sich vor einem Pascher nicht. Dennoch dank ich Dir gar herzlich dafür, daßt auch an mich mit denkst. Ich hab immer glaubt, es sei Dir ganz gleichgiltig, welches Schicksal ein Knecht hat. Er dient und arbeitet. Dafür bekommt er seinen Lohn. Weiter ists nix, und weiter giebts nix.«

»Da hast mich freilich sehr verkannt. Ich bin nicht so selbstsüchtig wie mein Vater, und selbst dieser sagt, daß Du ein guter Knecht seist.«

»Knecht, ja. Und Knecht bleibt Knecht.«

»In meinen Augen nicht. Ein Knecht ist ein Mensch wie jeder andere. Vielleicht ist er ein besserer, als Einer, der sich wunder was einbildet. Ich will Dir aufrichtig sagen, daß ich keinen Burschen kenne, auf welchen ich so gut gesinnt bin wie auf Dich!«

»Gisela, ist das wahr?«

»Ja, hier hast Du meine Hand darauf.«

Sie drückte ihm die Hand und hielt sie dann in der ihrigen fest. Seine Stimme zitterte jetzt, als er leise sagte:

»Also giebts wirklich keinen zweiten, wirklich nicht?«


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»Nein, Ludwig.«

»Herrgott! Jetzund, wannst nicht sagt hättst, daßt ins Klostern gehen willst, sodann - dann -«

Er stockte.

»Was wäre dann?«

»Dann solltst mal sehen, was ich machen thät!«

»Nun, Du kannst es mir doch wenigstens sagen, was Du thun würdest.«

»Nein. Das sag ich nicht. Es ist doch nun zu nix nütze. Und was unnöthig ist, das soll man niemals thun.«

»Dennoch möchte ich es wissen.«

»Es ist besser, ich schweig.«

»So bist Du nicht aufrichtig mit mir, wie ich mit Dir.«

»Ich bin schon aufrichtig, mit Dir am Allermeisten. Aberst es giebt auch eine Aufrichtigkeit, welche nicht am richtigen Platze ist und bald recht übel genommen werden kann.«

»Ich nehme es Dir nicht übel. Das will ich Dir ganz fest versprechen.«

»Dennoch ists besser, ich bin still; denn was ich sagen möcht, das schickt sich nicht für Eine, die ins Klostern gehen will.«

»Hm! Ich bin ja noch nicht Nonne!«

»Willsts aber werden.«

»Vielleicht besinne ich mich doch noch anders.«

Da sagte er schnell:

»Ich denk, es ist bereits fest beschlossen?«

»O nein. Schau, ich sag, daß ich aufrichtig mit Dir bin. Das will ich auch jetzt sein, indem ich Dir im Vertrauen sage, daß ich eigentlich gar keine Lust habe, ins Kloster zu gehen.«

»Himmelsakra! Warum willst dann hinein?«

»Um den Osec los zu werden.«

»Derowegen? Weißt, ich hab mal von einem Einsiedler lesen, der hat einen zahmen Bären habt. Er hat schlafen und der Bär hat neben ihm sessen. Da hat sich eine Fliegen auf dem Einsiedler seine Nasen setzt. Der Bär hat diese Fliegen verscheuchen und tödten wollt. Er holt aus und haut mit seiner Tatzen tüchtig drein. Da hat er zwar die Fliegen derschlagen, den Einsiedler aber auch mit.«

»Davon hab ich auch schon gehört. Es ist eine Fabel.«

»Ja, aber eine jede Fabel hat einen besonderen Zweck und Sinn. Wer sich oder einem Andern helfen will, darfs halt nicht so machen wie dera Bär. Die Rettung darf den Hilfsbedürftigen nicht in noch größeren Schaden bringen. Du bist jetzund auch so ein Bär oder vielmehr eine Bärin.«

»Ich danke! Du scheinst ein Virtuos zu sein im Complimentemachen.«

»Ich meins halt gut. Du willst Dir helfen durch Etwas, was noch schlimmer ist als das, wofür Du Hilfe brauchst. Um den Osec los zu werden, willst ins Klostern gehen. Das ist ja grad so, als wann Einer, der Zahnweh


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hat, sich den Kopf abschneiden lassen wollt. Da ist das Zahnweh weg, dera Kopf aberst auch mit.«

»Ich kenne aber kein besseres Mittel.«

Sie sagte das so ernsthaft, als ob sie an ihre eigenen Worte glaube.

»O, wannst nicht gradezu drauf versessen bist, eine Nonne zu werden, so läßt sich wohl schon auch ein anderes Mittel finden.«

»Welches dann?«

»Das muß überlegt sein. Aberst so viel weiß ich genau, daßt den Osec loswerden kannst, und zwar sehr bald.«

»Ich allein bring das nicht fertig. Und von der Mutter kann ich keine Hilfe erwarten, weil sie sich zu sehr vor dem Vater fürchtet.«

»Das weiß ich wohl. Aber sag mal, thätst vielleicht die meinige annehmen?«

»Gar zu gern! Wie kannst Du da erst noch fragen!«

»Und wanns mir gelingt, Dich von ihm zu befreien, so gehst nicht in's Kloster?«

»Nein. Dann würde mir so Etwas gar nicht in den Sinn kommen.«

»Nun, so will ich Dir mein Wort geben, daß dera Kerl den Gedanken aufgeben soll, Dein Mann zu werden. Nachhero bist frei von ihm und kannst - kannst -«

»Was denn?«

»Und kannst Dich nach einem andern Burschen umschauen.«

»Das werde ich nicht thun. Ich brauche mir keinen zu suchen.«

»Nicht? Willst also ledig bleiben?«

»Auch das nicht. Es wäre doch jammerschade um unser schönes Anwesen. Wenn ich als alte Jungfer stürbe, so käme Alles an lachende Erben. Das soll man nicht machen. Giebst Du mir da nicht Recht?«

»Freilich geh ichs Dir.«

»Und sodann wäre es auch schade um mich selbst. Ich weiß, daß ich einen Mann recht glücklich machen könnte, wenn er mich lieb hätte und ich ihn. Und wenn man das kann, so soll man es auch machen. Du giebst mir doch wohl auch darin Recht?«

»Mehr noch als vorher. Ja, ich glaubs schon, daßt im Stand bist, Demjenigen das Leben zum Himmel zu machen. Darum kann ich aberst auch nicht begreifen, daßt Dich nach Keinem umischauen willst.«

»Ists denn das Sache der Mädchen, sich umzusehen?«

»Na, eigentlich ists freilich dera Bursch, der die Augen aufmachen muß. Doch hier im Ort und auch in dera Umgegend kenn ich außer dem Osec keinen, der es wagen wird, nach dera Kerybauers Gisela die Hand auszustrecken.«

»Ja, was mach ich dann? Was ist dagegen zu thun? Da muß ich also wohl oder übel ledig bleiben.«

»Hm! Es ist eine schlimme Geschichten. Wannst arm wärst, recht arm, so wären Hundert da, die sich die Finger nach Dir lecken thäten. So aber bist reich, die Reichste meilenrund, und da zieht sich halt ein Jeder zuruck.«


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»Ich habe aber gar nicht gewußt, daß die Jungburschen so feig sind.«

»Feig? Das ist keine Feigheit nicht. Wann zehn Deutsche gegen tausend Franzosen kämpfen sollen, so müssen sie untergehen. Darum ists ihre Pflicht, sich zurückzuziehen. Thätst Du das feig nennen?«

»Nein.«

»Also ists auch mit dem Freien. Ein Bursch, der sich sagt, daß er von einem Dirndl abgewiesen wird, wann er ihr seine Liebeserklärung macht, der ists halt seiner Ehr und seiner Reputation schuldig, daß er ihr lieber gar nix sagt. Er ist halt klug, doch nicht feig.«

»Vielleicht aber würde sie ihn nicht abweisen. Er kann das vorher doch nicht so sehr genau wissen.«

»Es giebt Verhältnissen, in welchen man das genau wissen kann.«

»Das glaube ich nicht. Es hat schon Manche, die sehr reich war, einen Blutarmen zum Mann genommen.«

»Das kommt vor, ist aber selten.«

»Wärst auch Du so vorsichtig, wie Du vorhin sagtest?«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Das kommt eben auf die Verhältnissen an. Weißt, Gisela, es ist keine Schand, ein braves Dirndl lieb zu haben, die man wegen ihres Reichthumes nicht bekommen kann. Es ist mir auch so gangen. Ich hab Eine lieb habt, aber wie lieb, wie lieb! Sie war steinreich, und da bin ich halt still gewest. Aberst sagen thu ichs ihr doch noch mal, wanns mir grad so aus dem Herzen herausfließt.«

»Schau, das habe ich gar nicht gewußt. Du hast Dein Herz nicht mehr frei?«

»Nein. Das ist gefangen und kann nimmer wieder los. Ich kann das Dirndl nicht bekommen, aberst dennoch thät ich Alles, Alles, um sie glücklich zu sehen. Mein Leben gäb ich hin, wanns ihr Nutzen bringen thät.«

»Ja, das hast Du ja schon vorhin gesagt. Nur schade, daß Du mir ihren Namen nicht nennen willst.«

»Jetzt sollst ihn derfahren. Du bist in Sorg und Noth. Du brauchst Einen, auf dent Dich verlassen kannst. Und damit Du weißt, daß Du mir vertrauen darfst, will ich Dir sagen, daß Du das Dirndl bist, an der meine Seel und mein ganzes Leben hängt. Aber brauchst ja nicht zu derschrecken. Meine Lieb ist so eine, weißt, wie im Ritter Toggenburg, was Schiller dichtet hat.«

Ihr Herz hüpfte vor Freude darüber, daß er endlich das ersehnte Wort gesprochen hatte, doch bezwang sie sich und fragte in neckischem Tone:

»Diesen Ritter kenne ich gar nicht. Wie ists denn mit ihm gewesen?«

»Nun, der hat auch ein Burgfräulein geliebt, und sie hat ihn nicht haben wollen. Da ist er ins heilige Land zogen und hat denen Ungläubigen die Köpf herunterschlagen. Dann, als ihm auch das zu langweilig worden ist, ist er wiederum heim kommen. Vielleicht hat er denkt, daß er das Burgfräulein nun doch noch bekommen kann.«

»Wollte sie auch jetzt nicht?«


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»Nein. Sie ist bereits im Klostern steckt und ist eine Nonne worden grad wie Du auch eine werden wolltst. Und allemalen gegen den Abend, da hat sie ihr Fenstern aufimacht und ein Wengerl herausischaut. Weil das der Ritter merkt hat, so hat er sich gegenüber eine Stuben miethet und sich da ans Fenstern setzt. Wann sie dann ausischaut hat, so hat er auch das Fenstern aufimacht. Dann habens sich eine Weile ansehen, bis es dunkel worden ist.«

»Das ist doch gar zu rührend.«

Sie mußte sich Mühe geben, ein lustiges Kichern zu unterdrücken.

»Ja, mich hats auch immer rührt, wann ich das Gedichten lesen hab. Darinnen heißts:

Und so saß er viel Tage,
   Saß viel Jahre lang;
Harrend ohne Schmerz und Klage,
   Bis das Fenster klang.

Bis die Liebliche sich zeigte,
   Bis ihr theures Bild
Sich ins Thal hernieder neigte,
   Ruhig engelsmild.«

»Du kannst es ja gar auswendig!«

»Ich habs lernt, weil ich so ein Toggenburgern bin.«

»Und was hat es dann mit ihm für ein Ende genommen?«

»Ein sehr sanftes, denn in dem Gedicht von Schillern heißts ganz zuletzt:

Und so saß er, eine Leiche,
   Eines Morgens da.
Nach dem Fenster noch das bleiche,
   Stille Antlitz sah.«

»Das ist eine treue Liebe gewesen, eine ungeheure Anhänglichkeit. Und wie ist es nachher mit der geliebten Nonne geworden?«

»Darüber hat Schiller nix sagt. Vermuthlich hat er nix wußt. Ich denk, daß sie so lang zum Fenstern herausschaut haben wird, bis sie storben ist.«

»Ja, länger jedenfalls nicht.«

Jetzt lachte sie laut auf, hielt aber sogleich inne, um ihn nicht zu beleidigen. Aber sie hatte sich geirrt; anstatt einen Vorwurf über ihre Lustigkeit hören zu lassen, lachte er mit und sagte:

»Nicht wahr, so was kann nur ein Dichtern glauben?«

»So? Ich denke, auch Du hältst es für wahr?«

»Das fallt mir nicht ein. So ein Toggenburgern wär mir ein schöner Kerl! Sich so lange Jahren ans Fenstern setzen, blos um dera Nonnen ihre Nasenspitz anzuschauen. Der müßt doch kein Hirn im Kopfe haben. Nein, man kann zwar Eine nicht bekommen, die man lieb hat, aberst das Leben macht auch noch Ansprüchen. Man darf die Händen nicht in den Schooß legen und wegen einer unerhörten Lieb den Runkelrübensyrupen weinen. Man kann


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dera Geliebten dienen und für sie arbeiten, auch wanns einen andern Mann nommen hat.«

»Das würdest Du thun?«

»Ja. Ich habe Dir meine Hilf und meinen Dienst anboten.«

»Du bist wirklich ein Braver, Ludwig. Aber nun kann ich Deine Hilfe leider nicht annehmen.«

»So! Warum?«

»Weil ein braves Mädchen nur die Dienste Desjenigen annehmen darf, den sie lieb hat.«

»Sappermenten! Jetzt ists gefehlt! So magst also nix von mir wissen?«

»Nein.«

»Das wollen wir noch nicht gleich gelten lassen. Ueberleg Dirs vorher noch mal.«

»Es ist bereits überlegt.«

»Denk doch wenigstens, daß ich Dein Freund bin. Eine Freundschaft ist doch nix Verbotenes. Und als Freund könnt ich gar Manches für Dich thun. Nicht?«

»Ich mag keinen Freund und ich brauch keinen Freund. Was ist ein Freund? Gar nichts! Der ist weder kalt noch warm.«

»Du, ich will Dir was sagen! Wannst mir warm machst, so kann ich sogar heiß werden.«

»So? Das würde nichts an meinem Entschlusse ändern. Wenn mir Einer helfen will, so muß er mehr sein als nur mein Freund.«

»Was denn wohl?«

»Mein Geliebter.«

»Himmelsakra! Das laß ich mir freilich gefallen. Wer das sein könnte! Leider aber hast gar keinen, denn vorhin hast sagt, daßt Dich noch gar nicht umischaut hast und auch nicht umischauen willst.«

Wenn es heller gewesen wäre, so hätte sie sehen können, daß sein gutes, ehrliches Gesicht vor Glück und Freude glänzte. Er wußte, woran er war; aber da er bemerkte, daß es ihr Vergnügen machte, ihn noch eine Zeit hinzuhalten, so that er, als ob er keine Ahnung habe.

»Das Umschauen ist doch ganz unnöthig,« sagte sie. »Was ich da suchen könnte, das habe ich bereits gefunden.«

»Was? Wie sagst? Hast schon Einen?«

»Ja.«

»Schau, wast für eine gar Heimliche bist! Erst willst ins Klostern, und nun hast Einen. Ihr Dirndln seid doch wie das Wettern im April. Willst etwan nachhero, wann die Hochzeit vorüber ist, noch Nonne werden?«

»Wenn er mir recht gehorsam ist, dann wohl nicht.«

»So sags ihm nur vorher, damit er sich darnach richten kann.«

»O, Dem, den ich meine, brauche ich es nicht zu sagen. Er wird mich auch ohnedem auf den Händen tragen.«

»Ja, das bin ich auch überzeugt.«


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»Sooooo!« dehnte sie. »Du thust ja, als ob Du ihn kenntest.«

»Natürlich kenne ich ihn.«

»Das ist nicht wahr. Du kannst unmöglich wissen, wen ich lieb habe.«

»Wannt das denkst, so kennst mich schlecht. Ich weiß es ganz genau. Es hat doch gar nicht anderst kommen können.«

»Nicht anders? Wie?«

»Ich mein', daß er Einer ist, den eine Jede lieb haben muß.«

»Denkst Du?«

»Ja. Er ist ein Braver. Nicht?«

»Das ist er, ja.«

»Und ein Feiner. Er ist ein bildsauberer und schmucker Kerlen, den der liebe Herrgott geschaffen hat, damit die Dirndln alle ihr Herz an ihn verlieren sollen.«

»Na, das wäre!«

»Ja, und ein Gescheidter ist er auch. Ich glaub halt nicht, daß es im ganzen Oesterreichen einen Zweiten giebt, der sich mit ihm messen könnt.«

»Höre, jetzt werde ich ganz irre an Dir.«

»Ich nicht, an mir nicht und auch an Dir nicht.«

»Das muß doch ein Ausbund von allen guten Eigenschaften und Vorzügen sein!«

»Das ist er auch. Das kannst eben gleich daran derkennen, daß selbst Du ihm nicht hast widerstehen können.«

»Du!« lachte sie. »Ich bin überzeugt, Du sprichst von ihm, ohne eine Ahnung zu haben, wer er eigentlich ist.«

»Oho! Ich kenn ihn genau.«

»Woher?«

»Welch eine Frage! Ich seh ihn doch alle Tag!«

»Wo?«

»Hier im Ort und all überall. Ich weiß, wie er heißt und kann Dir seinen Namen nennen.«

»So nenne ihn!«

»Schön! Laut oder leise?«

»Wie Du willst.«

»Ich werd ihn doch lieber leise sagen, denn solche Geheimnissen muß man heimlich halten. Komm her! Ich werds Dir gleich hinein ins Ohr flüstern.«

»Schön! Ich bin wirklich neugierig, welchen Namen Du nennen wirst.«

»Den richtigen.«

»Das ist kaum glaublich.«

»Wirsts gleich hören.«

Er zog sie an sich, legte ihr den Arm um die Taille, näherte seinen Mund ihrem Ohre und - -

»Nun, wirds bald!« sagte sie, da er zögerte.


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»Gleich! Ich habs mir überlegt, daß ich ihn nicht sagen werde, sondern lieber schreiben.«

»Worauf denn?«

»Hierher!«

Er nahm ihren Kopf in beide Hände, hielt ihn fest und gab ihr einen herzhaften Kuß.

Das hatte sie freilich nicht erwartet. Nicht vor Zorn, sondern vor Ueberraschung fuhr sie schnell mit ihrem Kopfe zurück.

»Ludwig!« rief sie.

»Schau,« lachte er. »Jetzt nennst den Namen selbst. Da brauch ich ihn Dir ja nicht zu sagen.«

»Ich bin erschrocken!«

Es war ihrem Tone wirklich anzuhören, daß sie eine Art von Schreck empfunden hatte.

»Ich nicht, Gisela.«

»Das glaube ich. Du hast auch keine Veranlassung dazu.«

»Aberst Du wohl?«

»Freilich! Wenn Einem so etwas passirt.«

»So was ganz und gar Schlimmes!«

Sie gab ihm einen zärtlichen Schlag.

»So einen Ueberfall!«

»Ja,« nickte er. »Dazu ist man Unteroffizier gewest.«

»Aber passiren darf es nicht wieder.«

»Nein, niemals! Blos nur einen Kuß, das geschieht gewiß nicht mehr. Wann man so eine herrliche Gelegenheit hat, so nimmt man sich gleich mehrere. Nicht?«

Er zog sie wieder an sich.

»Nein. Man bekommt keinen einzigen mehr,« antwortete sie, sich sträubend.

»Wann man ihn nicht freiwillig bekommt, so macht man wieder einen Ueberfall.«

»Der wird Dir nicht so gut gelingen wie der vorherige. Aber, Ludwig, reden wir jetzt im Ernst. Dieser Augenblick ist für uns Beide ein wichtiger, ein heiliger. Da wollen wir nicht scherzen. Glaubst Du wirklich, daß Du Derjenige bist, den ich lieb habe?«

»Ja, ich bins überzeugt.«

»Woher? Habe ich es mir denn merken lassen?«

»Ja.«

»Wirklich? Das ist kaum zu glauben. Ich habe mir alle Mühe gegeben, Dir nichts merken zu lassen.«

»Ja, ich hab auch gar, gar nix davon wußt, bis heut Abend, als wir uns hierher setzt haben. Da hab ichs aus Deinen Worten hört, was für ein glückseliger Mensch ich bin.«

»So bist Du wirklich glücklich?«


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»Eigentlich jetzt noch nicht.«

»So? Warum jetzt noch nicht?«

»Weilst mir noch gar nicht sagt hast, ob ich Recht hab oder nicht. Ich könnt mich doch auch täuscht haben.«

»Nein, Ludwig, getäuscht hast Du Dich nicht. Du bist Derjenige, von welchem ich redete.«

Da schlang er beide Arme um sie, drückte sie an sich und flüsterte ihr in überquellender Zärtlichkeit zu:

»Jetzund, wann wir nicht heimlich sein müßten, solltest sehen, was ich machen thät. Ich thät mein Glück hinaufirufen, daß mans auf allen Firnen und Alpenspitzen hören könnt. Du guter Herrgott droben! Daß es so ein Glück und so eine Seligkeiten bereits hier auf Erden geben könnt, das hab ich mir gar nicht dacht. Ich möcht lachen und weinen in einem Athem. Ists auch Dir so zu Muthe?«

»Ja,« antwortete sie.

»Es ist über mich kommen, so unerwartet und plötzlich, daß ich ganz aus meiner Fassung bin. Ich weiß halt gar nicht, was ich thun soll. Es wird am besten sein, ich mach vor der Hand weiter nix als - - -«

Er küßte sie, und dieses Mal wich sie nicht zurück.

»Hab ich Recht?« fragte er. »Ist das nicht das Schönste, was wir jetzt thun können?«

Sie antwortete nicht. Aber sie legte nun auch ihren Arm um ihn und schmiegte sich in voller Zärtlichkeit an seine Brust. So saßen sie eine lange Zeit, in ihre Liebe versunken und Küsse tauschend, bis er dann fragte:

»Hast denn vorher wußt, daß ich Dich so lieb habe?«

»Gedacht habe ich es mir wohl.«

»Ja, diese Lieb ist halt schon sehr alt. Gleich als ich zu Euch aufs Gut kam und Du warst noch ein kleins Dirndl, da hattests mir schon anthan. Darum bin ich auch vom Militair hinweg wiederum zu Euch kommen.«

»Da hast Du wohl gedacht, daß ich Dir auch gut sein würde?«

»Nein. Ich hab niemals eine Hoffnungen habt, daßt meine Liebe erwidern könntst. Es hat mich aber herbeitrieben, eine innere Macht, der ich nicht hab wiederstehen könnt.«

»Das war Gottes Wille!«

»Ja, das glaub ich gern. Ich hab manchmal in dera Nacht nicht schlafen konnt und an Dich denken mußt. Da ist mir einifallen, was ich thun werd, wannst einen Andern nimmst.«

»Nun, was hast Du da thun wollen?«

»Verschiedenes. Einmal hab ich mir eine Kugeln durch den Kopf jagen wollt, ein anderes Mal wollt ich in die weite Welt laufen. Zuletzt aberst hab ich an meine Muttern und Schwestern denkt, und dann hab ich wußt, daß ich den Gram ruhig tragen würde und in Deiner Nähe bleiben fürs ganze Leben.«

»Das sollst Du nun auch!«


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»Ja, und ganz anderst, als ich es mir vorher dacht hab. Und nun sag auch mir, seit wannt mich lieb gewonnen hast.«

»Auch gleich seit dem Tage, an welchen Du zu uns gekommen bist.«

»Oho! Das soll ich glauben?«

»Ja.«

»Aber da wars eine andera Lieb als die heutige?«

»Natürlicher Weise.«

»Darnach aber hab ich nicht fragt. Ich wollt vielmehr wissen, seit wannt gewußt hast, daßt mein Dirndl werden willst.«

»Das kann ich Dir kaum sagen.«

»Warum nicht?«

»Weil ich es selber nicht genau weiß. Die Liebe ist in mir gewachsen und groß geworden, ohne daß ich es deutlich gemerkt habe. Zur eigentlichen Erkenntniß bin ich erst heute gekommen.«

»Was! Erst heut hast merkt, daßt mich lieb hast? Höre, Gisela, da kann die Lieb nicht eine gar große sein.«

»Da irrst Du Dich. Kennst Du nicht das Lied:

Kein Feuer, keine Kohle
   Kann brennen so heiß
Wie heimliche Liebe
   Von der Niemand nichts weiß.«

»Ja, aberst Derjenige, der sie im Herzen trägt, muß doch von ihr wissen!«

»Gewußt hab ich es, daß ich Dir herzlich gut bin, und daß kein Bursche mir so gefällt wie Du. Aber das, was ich jetzt im Herzen fühle, daß dies gar so groß und mächtig, so gewaltig und beglückend ist, das habe ich nicht gewußt; das habe ich erst heut bemerkt, als Du mit Deiner Mutter sprachst.«

»Mit meiner Mutter? Wann ist das wohl gewest?«

»Nach dem Essen.«

»Ja, da hab ich mit ihr sprochen, in dera Stuben. Kein Mensch war dabei. Davon kannst also nix wissen.«

»Nichts? O, ich weiß vielmehr Alles!«

»Nix, gar nix weißt!«

»Hast Du ihr nicht von Deiner Liebe zu mir erzählt?«

»Ja, davon hab ich sprochen. Aber wie kannst das wissen?«

»Ich hab in der Küche gelauscht.«

»Himmelsakra! Und Alles hast hört?«

»Jedes Wort!«

»Dirndl! Das war schlecht von Dir.«

»Nein, es war nicht schlecht. Du glaubst nicht, wie glücklich ich mich gefühlt habe, als Du von Deiner Liebe sprachst. Da brach es auch in mir mit aller Gewalt hervor. Von diesem Augenblicke an wußte ich, daß ich nicht allein stehen würde, meinem Vater gegenüber. Ich erkannte, daß ich einen starken, treuen Helfer an Dir haben würde. Nun konnte ich ruhig sein, denn ich weiß, daß ich glücklich sein werde.«


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»Ja, das wirst sein, so viel an mir liegt, Gisela. Also ins Klostern willst nun nicht?«

»Lieber sterben!«

»Und den Osec nimmst auch nicht?«

»Wie kannst Du doch so fragen!«

»Im Scherz!«

»Leider wird es bald Ernst werden, sehr bald. Der Vater will - -«

Sie hielt erschrocken inne. In nächster Nähe hinter ihnen gab es ein Geräusch. Hinter dem Strauche, hinter welchem am Nachmittage Ludwig gestanden hatte, um Osec mit Gisela zu belauschen, trat die lange Gestalt des - - Kerybauern hervor.

Dieser hatte natürlich gedacht, daß seine Tochter, als sie sich aus der guten Stube entfernte, nach der Küche gehen werde. Einige Minuten später hatte er etwas außerhalb der Stube zu thun, und da begegnete er der Mutter Ludwigs, welche zur Treppe hinaufgestiegen kam, um sich nach der Kammer ihres Sohnes zu begeben.

»Kommt Sie jetzt erst aus dem Wirthshaus?« fragte er sie.

»Ja.«

»Ist Ihr Sohn noch dort?«

»Nein. Er ist mit mir heim.«

»So sitzt er nun wohl unten in der Stube?«

»Nein. Er ist im Garten.«

Der Bauer horchte auf.

»Allein?« fragte er scharf.

Jetzt erkannte sie, daß sie unvorsichtig gewesen war; darum antwortete sie:

»Ganz allein.«

»Was macht er dort?«

»Ich weiß nicht, nach was er sehen wollte. Er wird gleich nachkommen.«

»So! Sie bleibt wohl heut hier?«

»Ja, wann der Herr es erlaubt.«

»Eigentlich nicht. Nun aber ists für Sie zu spät, fortzugehen. Also legt Sie sich jetzt nieder, bei mir wird zeitig aufgestanden.«

Er kehrte in die gute Stube zurück und fand die beiden Osecs in einem leisen Gespräche, welches sie führten, obgleich die Bäuerin bei ihnen saß und durch das leise Geflüster eigentlich beleidigt werden mußte.

»Was habt Ihr denn für Heimlichkeiten?« fragte er.

»Es ist nichts Heimliches, aber eine Geschäftssache. Mein Sohn muß gleich nach Hause.«

»Unsinn! Was fällt ihm ein! Ihr wißt doch, daß - - -«

Er sprach den Satz nicht zu Ende, warf aber den Beiden einen Blick zu, welcher ihnen sagte, was er meine. Osec der Aeltere gab ihm einen ebenso bezeichnenden Blick zurück und antwortete:

»Eben grad darum muß er fort. Es ist daheim Etwas, woran wir nicht gedacht haben, in Ordnung zu bringen.«


// 1406 //

»So, so! Da kann ich freilich nichts dagegen haben, daß er jetzt schon geht.«

»Er wird nicht gehen, sondern er nimmt den Wagen. Es ist eilig.«

»Aber Du bleibst doch noch hier?«

»Ja. Er kommt dann zurück, um mich abzuholen.«

»So will ich ihm anspannen lassen.«

Der Bauer wollte allein hinab in den Hof, aber die beiden Gäste gingen mit.

Als sie unten an der Küche vorüber kamen, blickte Kery hinein. Sie war leer. Das fiel ihm auf. Er dachte daran, daß Ludwig im Garten sei. Wo war Gisela? Doch nicht etwa draußen bei ihm? Sie hatten mit einander getanzt. Es war anzunehmen, daß irgend eine Vertraulichkeit zwischen ihnen vorhanden sei. Es fiel ihm freilich gar nicht ein, an eine Liebschaft zu denken. Das wäre für ihn eine solche Ungeheuerlichkeit gewesen, daß es gar nicht möglich war. Aber wenn die Beiden sich im Garten befanden, so sprachen sie jedenfalls von den Osecs, von der aufgeschobenen Verlobung, vom Kloster und von all den Dingen, welche heut geschehen waren. Das mußte er hören. Er konnte sich da über die eigentlichen Absichten seiner Tochter unterrichten. Darum ließ er die Osec's allein nach dem Pferdestalle gehen und begab sich nach dem Garten.

Wer sich in demselben befand, der saß sicherlich auf der Bank. Darum schlich er sich nach jener Gegend hin, in welcher sie stand. Im weichen Grase waren seine Schritte völlig unhörbar. Als er nahe herangekommen war, konnte er die Beiden zwar noch nicht sehen, aber er hörte ihre leisen Stimmen.

»Aha!« dachte er. »Ein guter Gedanke, mich hierher zu schleichen.«

Er schlüpfte bis zum Strauche hin und bückte sich dort nieder. Gegen den helleren Himmel waren die Gestalten der Beiden ziemlich genau zu erkennen. Der Bauer bemerkte zu seinem Entsetzen, daß sie sich umschlungen hielten. Es durchzuckte ihn eine Empfindung, wie er sie in seinem ganzen Leben noch nicht gefühlt hatte. Es war, als ob ein Blitz in sein Inneres geschlagen habe.

Sein Blut kochte. Getreu seinem jähzornigen Temperamente wollte er sich sofort mit beiden geballten Fäusten auf sie stürzen; aber die Klugheit gewann doch die Oberhand. Er wollte zuvor wissen, was sie sprachen. Darum blieb er ruhig liegen und lauschte.

»Hab ich Recht?« fragte Ludwig soeben. »Ist das nicht das Schönste, was wir jetzund thun können?«

Dabei hielt er Gisela umschlungen und küßte sie auf den Mund.

Der Bauer sah und hörte das. Der Zorn trieb ihm das Blut nach dem Kopfe, so daß es ihm vor den Augen war, als ob er helle Feuerfunken fliegen sehe. Er zwang sich noch einige Secunden lang zur Geduld. Dann aber, als Gisela sagte:

»Leider aber wir es bald Ernst werden, sehr bald!«


// 1407 //

Da konnte er sich nicht mehr beherrschen. Er richtete sich aus seiner halb kauernden und halb liegenden Stellung empor, trat vor und rief:

»Ja, Ernst wirds! Und nicht etwa sehr bald, sondern sogleich!«

»Der Vater!« rief das erschrockene Mädchen, indem sie aufsprang.

Auch Ludwig stand auf, aber nicht eilig und erschrocken wie die Geliebte.

»Ja, Dein Vater ists, Du ungerathene Tochter! Also hier ist das Kloster, in welches Du gehen willst. Mit dem Knechte sitzest Du im Garten. Von ihm lässest Du Dich abküssen, und darum willst Du den Dir bestimmten Bräutigam nicht heirathen! Dir will ich zeigen, wer Dein Herr und Meister ist. Da hast Du!«

Er holte aus, um sie zu schlagen. Da aber ergriff Ludwig den Arm.

»Kerybauer, was fällt Dir ein!« sagte er in warnendem Tone.

»Hast etwa Du mich darnach zu fragen?«

»Ja.«

»Du - Du - Du! Mensch, soll ich Dich mit dieser meiner Faust zu Boden schlagen!«

»Das wirst Du unterbleiben lassen.«

»Nein, ich werde es thun!«

Er wollte sich von dem Griffe Ludwigs los machen; aber es gelang ihm nicht.

»Hallunke!« keuchte er.

»Ludwig, Ludwig! Thu dem Vater nichts!« flehte Gisela.

»Hab keine Sorge. Ich will ihn nur verhindern, Dich zu schlagen. Komm her, und stelle Dich hinter mich!«

Sie befolgte diesen Rath, und nun erst, da er die Geliebte in Sicherheit wußte, ließ er den Arm des Bauers los.

Dieser zitterte vor Aufregung am ganzen Körper. Er schnappte förmlich nach Athem.

»So etwas, so etwas muß ich erleben!« keuchte er. »Mir, dem Kerybauer, muß das passiren, daß - - -«

»Was ist denn dort hinten los?« rief es vom Hofe her. »Wer hat dort zu schreien?«

Es war die Stimme des alten Osec.

»Komm her, komm her!« antwortete Kery. »Du sollst sehen, was da los ist.«

Man hörte die nahenden Schritte. Vater und Sohn kamen auf das Eiligste herbei. Sie mochten meinen, daß ein Gartendieb erwischt worden sei.

»Gleich, gleich sind wir dort!« rief der Alte. »Halt ihn nur fest.«

Nun waren sie da. Sie sahen drei Gestalten, von denen ihnen nur die zunächst stehende, der Bauer, kenntlich war.

»Hast Du ihn?« fragte Osec.

»Ja, ich habe ihn!« knirschte Kery. »Aber auch sie dazu.«

»Sie? Sinds zwei?«

»Freilich. Schau sie Dir nur an!«


// 1408 //

Die beiden Osecs traten an die Beiden heran, welche jetzt neben einander standen. Gisela hatte, wie um Schutz zu suchen, Ludwigs Hand ergriffen.

»Donnerwetter!« fluchte der Alte.

»Kreuzmillion!« stimmte der Junge bei.

»Kennt Ihr sie denn?« fragte Kery in einem Tone, in welchem eine gewaltsam verhaltene Wuth klang.

»Die Gisela! Was thut sie hier im Garten?« fragte der ältere Osec.

»Erkundige Dich bei dem Kerl, der da bei ihr ist!«

»Bei dem Ludwig? Der ist hier bei ihr gewesen? Warum - -? Ah, heiliges Pech! Jetzt geht mir ein Licht auf. Das ist wohl gar ein Liebespaar?«

»Hasts errathen!«

»Da schlage der Teufel drein!«

»Der braucht nicht drein zu schlagen. Ich bin der Vater und werde das selbst besorgen. Sie bekommen Beide ihre Hiebe, er und auch sie!«

Ein Anderer hätte unter den obwaltenden Verhältnissen sich wohl schleunigst aus dem Staube gemacht. Ludwig aber war kerzengerade stehen geblieben. Ihm fiel es nicht ein, sich zu entfernen und die Geliebte im Stiche zu lassen. Jetzt antwortete er in muthigem, ernstem Tone:

»Mäßige Dich, Kerybauer! Von Prügeln kann hier keine Rede sein!«

»Hund, mucke nicht noch auf, sonst schlage ich sogleich zu! Hier stehen Zwei, die mir helfen werden!«

»Macht keine Dummheiten! Ich werfe Euch alle Drei aus dem Garten hinaus! Ihr wärt die Kerls, die es mit mir aufnehmen könnten. Und was Gisela betrifft, wenn Du Dich an ihr vergreifst, so hast Du es mit mir zu thun!«

»Du willst drohen!« schrie Kery und trat mit erhobenem Arme auf ihn zu.

Ludwig that nun auch seinerseits einen Schritt vorwärts.

»Zurück!«

Er rief nur dieses eine Wort, aber mit einer solchen Stimme und in solcher Weise, daß der Bauer schleunigst um einige Schritte retirirte.

»Hört Ihr es?« rief der Letztere seinen beiden Verbündeten zu. »Jetzt fängt sogar der Knecht an, zu commandiren!«

»Ich bin Dein Knecht nicht mehr,« erklärte Ludewig. »Ich bleibe nicht hier. Morgen früh ziehe ich ab!«

»Das will ich Dir auch gerathen haben! Ich jage Dich fort und werde Dir das in das Dienstbuch schreiben.«

»Versuchen kannst Du es; Du wirst ja erfahren, ob es Dir gelingt. Von einem Fortjagen ist keine Rede. Ich habe Dir vorher gesagt, daß ich morgen früh gehe. Du bist zu spät gekommen!«

»Deine Rede gilt nichts. Ich bin der Herr!«

»Jetzt nicht mehr. Wir haben nichts mehr mit einander zu schaffen!«

»Aber desto mehr willst Du wohl mit meiner Tochter zu schaffen haben?«


// 1409 //

»Das kannst Du Dir doch denken!«

»Das schlage Dir aus dem Sinn!«

»Leider kann ich diesen Rath nicht befolgen, denn Gisela wird meine Frau.«

Diese Worte hatten zunächst die Wirkung, daß eine augenblickliche Todtenstille eintrat. Dann aber stieß der Kerybauer ein Gelächter aus, welches gar nicht beschrieben werden kann. Es klang wie da Lachen eines Teufels oder eines Wahnsinnigen.

»Deine Frau!« schrie er.

»Ja, meine Frau.«

»Wann denn?«

»Sehr bald.«

»Schau, schau! Wer richtet denn die Hochzeit aus?«

»Du! Du bist ja der Vater. Du hast das soeben erst gesagt.«

»Ich richte die Hochzeit aus, die ohne meine Einwilligung abgehalten werden soll. Der Kerl ist reif fürs Irrenhaus.«

Die Osecs fielen in sein Hohngelächter, welches gar nicht enden wollte, mit ein.

»Wer spricht denn davon, daß wir Hochzeit ohne Deine Einwilligung halten wollen?« fragte Ludwig.

Das klang so ruhig und sicher, als ob er von etwas ganz Gewöhnlichem und Selbstverständlichem spräche.

»Wollen, wollen!« schrie Kery. »Was Ihr wollt, das geht mich nichts an. Ich, meine Einwilligung geben. Ich, erlauben, daß meine Tochter, mein einziges Kind, einen Knecht heirathet!

»Warum nicht?« meinte Ludwig ganz freundlich. »Wir haben uns ja lieb.«

»Was geht mich das an. Lieb habt Ihr Euch also. Das habt Ihr Euch wohl gesagt? Und nicht erst heut, sondern bereits seit langer Zeit?«

»Nein. Wir haben uns erst vor wenigen Augenblicken mitgetheilt, daß wir uns lieb haben, und da wird Gisela ganz natürlich meine Frau.«

Die Selbstverständlichkeit, in welcher der Knecht das Alles sagte, steigerte die Erregung des Bauers auf das Doppelte.

»Hund, rede anders von meiner Tochter. Ich rufe sonst die Knechte zusammen, und lasse Dich zum Hofe hinaus peitschen.«

Er brüllte jetzt so, daß es weithin zu hören war. Gisela ergriff voller Angst den Arm des Geliebten mit beiden Händen. Dieser antwortete ganz in seiner bisherigen Weise:

»Schimpfe mich nicht, Bauer. Du kennst mich, und weißt, daß ich das nicht leide. Wir können die Angelegenheit in aller Ruhe besprechen.«

»Hier giebts nichts zu besprechen. Hinausgehauen wirst Du.«

»Mache den Versuch, ob Dir die Knechte da gehorchen werden. Sie würden Dich doch nur auslachen. Uebrigens habe ich Dich bisher für viel klüger gehalten, als Du Dich jetzt zeigst.«


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»Ja, Du bist freilich gescheidter. Du willst den Keryhof erheirathen. Gescheidter kann doch kein zweiter Gedanke sein. Mein Knecht will meinen Hof.«

»Wenn es gar so eine Schande ist, daß Du Deine Tochter an der Seite des Knechtes auf der Bank sitzen fandest, warum hängst Du diese Schande an die große Glocke? Warum schreist Du, daß man es im ganzen Dorfe hören kann? Warum rufst Du diese beiden Osecs herbei, die doch davon gar nichts zu hören brauchten. Mit wenigen, leisen Worten wäre die Sache beigelegt gewesen.«

»Beigelegt?« antwortete der Bauer, jetzt allerdings nicht mehr brüllend, sondern in gemäßigtem Tone. »Beigelegt soll sie werden, und zwar sogleich. Gisela, da steht Dein Bräutigam. Geh her zu ihm.«

Er deutete auf den jungen Osec. Gisela blieb stehen. Sie war voller Vertrauen, daß der Schutz Ludwigs ausreichen werde, sie vor Gewaltthätigkeiten zu bewahren.

»Nun, wirds oder nicht!« fügte Kery drohend hinzu, als er sah, daß sein Befehl nicht befolgt wurde.

»Nein, es wird nicht,« antwortete Ludwig an Gisela's Stelle. »Der Osec ist noch gar nicht ihr Bräutigam; er wird es auch niemals werden; er wird sie nicht bekommen, und wenn er sich auf den Kopf stellen sollte.«

»Oho!« riefen die Beiden.

»Ja, ich habe es gesagt, der Knecht Ludwig Held, und das ist genug. Uebrigens habt Ihr Beide hier gar nichts drein zu reden. Ich und der Bauer sind es, die es mit einander zu thun haben. Und wir Beide werden schon noch einig werden.«

»Ich mit Dir? Nichtsnutz!« entgegnete der Bauer. »Im ganzen Leben nicht.«

»Vielleicht sehr bald. Machen wir der Sache ein Ende. Der Zank und Streit kann zu gar nichts führen. Gisela ist meine Geliebte, und ich gebe sie nicht her. Sie wird keinen Andern heirathen als nur mich. Das merkt Euch. Uebrigens habe ich gar nicht die Absicht, schon jetzt Ansprüche zu erheben oder um das Jawort zu bitten, denn - - -«

»Du würdest es sogleich erhalten!« lachte Kery.

»Nein,« antwortete Ludwig in aller Ruhe. »Ich weiß zur Genüge: Du würdest mich abweisen - - -«

»Natürlich! Und wie!«

»Bald aber wirst Du anderer Gesinnung sein - - -«

»Im Leben nicht!« entgegnete, ihn unterbrechend, der Bauer.

»Das meinst Du jetzt; ich aber weiß ganz sicher, daß es anders wird. Darum will ich jetzt still sein und mich entfernen. Morgen in der Frühe ziehe ich ab.«

»Und lässest Dich niemals wieder hier bei mir sehen!«

»Du wirst noch froh sein, wenn ich zu Dir komme. Also morgen früh ziehe ich ab. Wenn ich aber erfahren sollte, daß Gisela gezwungen werden soll, den Osec zu nehmen, oder wenn mir nur zu Ohren kommt, daß sie wegen


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des heutigen Tages von ihrem Vater schlecht behandelt wird, so bekommt er es mit mir zu thun.«

»So? Wie willst das anfangen?«

»Ich nehme sie weg von Dir.«

»Donnerwetter! Bist Du etwa ein Fürst oder Graf, daß Du in einem solchen Tone mit mir redest?«

»Nein, ich bin ein armer Knecht, aber ein Ehrenmann. Es kann mir kein Mensch etwas Unehrliches nachweisen. Ich aber kann beim Gerichte verlangen, daß man meine Geliebte aus einem Hause nimmt, in welchem Schmuggler und Spitzbuben verkehren.«

»Hört Ihrs? Hört Ihrs?« fragte Kery, zu den Osecs gewendet. »Ihr verkehrt doch auch hier. Also seid Ihr auch Spitzbuben!«

»Ja, das sind sie.«

»Himmeldonnerwetter!« brauste jetzt der alte Osec auf. »Muß ich mir das etwa gefallen lassen?«

»Ja, das mußt Du Dir gefallen lassen, denn ich kann es beweisen.«

»Beweise es.«

»Wünsche nicht, daß ich es thun muß. Ich würde es nicht hier beweisen, sondern auf dem Gericht.«

»Verfluchter Kerl! Was weißt Du von uns?«

»Genug, um Euch hinter Schloß und Riegel zu bringen, wo es weder Verlobung noch Hochzeit giebt. Jetzt habe ich Euch gesagt, was ich auf dem Herzen hatte, und nun gehe ich zu Bette. Ich wünsche, daß Ihr alle so gut schlafen mögt wie ich.«

Er wendete sich zum Gehen. Da er die Hand Gisela's noch fest hielt, mußte sie mit ihm gehen.

»Halt!« gebot ihr Vater. »Gisela bleibt da bei uns.«

»Nein, sondern ich führe sie hinein,« erklärte Ludwig. »Die Osecs brauchen sie nicht.«

Sein festes, selbstbewußtes, siegessichres Auftreten und dann der Umstand, daß die Andern glaubten, er wisse viel, viel mehr als er eigentlich von ihnen wußte, waren die Gründe, weshalb die Beiden ungehindert mit einander den Garten verlassen konnten.

»Habt Ihrs gehört!« knirschte Kery.

»Grad so wie Du,« antwortete Osec der Vater. »Ich begreife Dich nicht.«

»Wieso? Warum?«

»Diesen Menschen hätte ich sofort hinauswerfen lassen.«

»Du! Schneide nicht auf. Dich kenne ich. Du wärst noch stiller und nachgiebiger gewesen als ich.«

»Da irrst Du Dich gewaltig.«

»Gewißlich nicht. Willst Du Dich ins Gefängniß stecken lassen?«

»Weiß er denn gar so viel von uns?«

»Ich habe gar keine Ahnung, wie weit er über unsere Heimlichkeiten


// 1412 //

unterrichtet ist. Vielleicht weiß er gar nichts und thut nur so, als ob er Alles erfahren habe. Klüger aber ist es, ihn nicht zu reizen.«

»Nein, klüger wäre es, ihn auf- und davon zu jagen.«

»Unsinn. Morgen früh geht er fort, und dann sind wir Hahn im Korbe.«

»So paß nur auf, daß er uns nicht etwa heut noch Schaden machen kann. Uebrigens, wie steht es mit der Gisela? Das mit dem Kloster war doch nur Verstellung von ihr?«

»Wie ich jetzt einsehe, ja.«

»Und wer soll sie bekommen?«

»Dein Sohn natürlich. Oder meinst Du, daß ich sie dem Knechte gebe?«

»Hm! Darüber können wir noch reden. Jetzt spannen wir ein, damit der Junge endlich fortkommt. Er muß um Zwölf wieder hier sein.«

»Und ich will hinein und dafür sorgen, daß meine Frau erfährt, was geschehen ist. Dann schicke ich die Weibsbilder ins Bett. Wir brauchen keine Zeugen.«

Er trat, während die Osecs sich wieder in den Pferdestall begaben, in das Haus. Im Flur traf er auf Gisela.

»Wo ist der Kerl?« fragte er sie.

»Welcher Kerl?«

»Dein schöner Liebster!«

»Zu Bett.«

»Ists wahr?«

»Geh hinauf, und sieh nach!«

»Das werde ich auch wirklich thun.«

Er ging nach der Kammer des Knechtes und machte die Thür auf, welche noch nicht verschlossen war. Es brannte ein Licht. Beim Scheine desselben war Ludwigs Mutter zu sehen, welche im Bette lag. Er selbst hatte sich bis auf die Hose ausgezogen und lag auf einer Holzbank, beschäftigt, sich mit einem alten Mantel zuzudecken.

»Was giebts?« fragte er.

»Ich wollte nur sehen, ob Alles in Ordnung ist. Wenn man Leute im Hause hat, welche nicht herein gehören, kann man nicht vorsichtig genug sein.«

Das war natürlich eine ganz infame Beleidigung, dennoch antwortete Ludwig freundlich lachend:

»Hast Recht. Schau zu, daßt morgen Alles noch hast, was heut Abend Dein Eigen ist.«

Jetzt war der Bauer überzeugt, daß der Knecht wirklich schlafen gegangen und nun nicht mehr zu fürchten war. Er begab sich hinab zu seiner Frau, bei welcher er Gisela fand.

Diese Letztere war Hand in Hand und schweigend mit Ludwig aus dem Garten nach dem Wohnhause gegangen. Dort angekommen, fragte das Mädchen:

»Gehst Du wirklich morgen früh nun fort?«

»Ja. Fürchtest Du Dich ohne mich?«


// 1413 //

»Nein. Jetzt habe ich keine Angst und Sorge mehr. Ich verlasse mich auf Dich. Was Du thust, das ist gut.«

»So ists recht! Ich werde über Dich wachen. Gehorche Deinem Vater, wo Du ihm Gehorsam schuldig bist; aber dulde keine schlechte Behandlung von ihm. Geschieht irgend Etwas, was ich wissen muß, so sende das Schreiben an meine Mutter. Nicht wahr, Du schließest die Küchenthür zu, wenn Du schlafen gehst?«

»Ja.«

»Den Schlüssel nimmst Du mit?«

»Ja; ich muß ihn bei mir haben, weil ich früh wieder am ehesten munter bin.«

»Nimm ihn heut nicht mit in Deine Kammer, sondern lege ihn mir unter die unterste Treppenstufe.«

»Warum?«

»Ich kann vielleicht die Osecs belauschen, wenn sie in der Stube sitzen. Wenn es mir gelingt, leise die Küche aufzuschließen und mich drin zu verstecken, so kann ich großen Vortheil davon haben.«

»Gut, ich werde Dir den Schlüssel hinlegen.«

»Jedenfalls wird Dich Dein Vater in Gegenwart Deiner Mutter ins Gebet nehmen wollen. Wie wirst Du Dich da verhalten?«

»Ganz so, wie Du zu ihm gewesen bist, ruhig, ohne zu zanken, aber fest bei meinem Vorsatze bleibend.«

»Ja, das ist das Beste. Lebe wohl, meine liebe, liebe Gisela.«

»Lebe wohl, mein guter Ludwig.«

Sie umarmten und küßten sich. Gisela ging in die Küche und Ludwig nach seiner Kammer. Dort angekommen, sollte er seiner Mutter, welche vom Garten her die lauten Stimmen vernommen, sagen, was dort geschehen sei.

»Jetzt nicht,« antwortete er. »Wir wollen still sein. Ich habe nämlich eine Ahnung, daß der Bauer heraufkommen wird, um sich zu überzeugen, daß ich auch wirklich schlafen gegangen bin. Da muß ich rasch machen.«

Er zog sich aus und legte sich auf die Bank, da er seiner Mutter das Bett überlassen hatte. Eben hatte er den Mantel ergriffen, mit welchem er sich zudecken wollte, da erschien der Bauer und verhielt sich in der bereits beschriebenen Weise.

Kaum aber war Kery fort, so stand Ludwig wieder auf und zog sich wieder an.

»Ich muß hinab,« sagte er. »Lösch das Licht aus, wenn ich hinaus bin, und riegle von innen zu, damit Niemand nachsehen kann, ob ich fort bin. Wenn Jemand klopft, fragst Du nach dem Namen. Nur mich lässest Du herein.«

Er ging.

Draußen blieb er horchend stehen. Er hörte die laute, scheltende Stimme des Bauern und huschte an der Thür, hinter welcher dieser sich mit Frau und


// 1414 //

Tochter befand, vorüber. Es gelang ihm, ganz unbemerkt hinunter in den Hof zu gelangen.

Dort befand sich über einem offenen Holzschuppen der wohl gefüllte Heuboden, auf welchem die beiden Slowaken schlafen wollten. Jetzt waren sie noch nicht da. Um später gleich zu wissen, ob sie indessen gekommen seien, schlüpfte Ludwig in den Schuppen.

Dort war es stockdunkel, aber er kannte jeden Schrittbreit des Raumes. Hinten im Winkel führte eine Holztreppe hinauf nach dem Heuboden. Eine Thür gab es gar nicht. Es war Alles offen.

Ludwig zog einen Bindfaden aus der Tasche und legte ihn, lang ausgedehnt, so über mehrere der Treppenstufen, daß kein Mensch die Treppe passiren konnte, ohne die Schnur mit den Füßen aus ihrer jetzigen Lage zu bringen. Sodann trat er wieder in den Hof hinaus.

Er sah, daß Licht im Pferdestalle brannte. Die Thür desselben stand halb offen. Er schlich sich näher und huschte an eines der kleinen Fenster des Stalles. Er konnte nicht nur hineinblicken, sondern das Glück war ihm so günstig, daß eins der Pferde, welche den Osecs gehörten, grad an diesem Fenster postirt worden war. Der junge Osec war beschäftigt, dem Thiere das Kummet anzustecken. Sein Vater lehnte, wie es schien, neben dem Pferde an der Wand. Sie glaubten sich allein und unbeobachtet. Darum sprachen sie ziemlich laut. Da das Fenster offen stand, hörte Ludwig, was gesprochen wurde.

»Ich möchte sie nun nicht,« sagte soeben der Vater.

»Das kannst Du leicht sagen. Du bist aber noch einmal so alt wie ich.«

»Bist Du denn gar so vernarrt in sie?«

»Vernarrt? Nein. Es ist etwas Anderes als das, was man unter vernarrt versteht, aber so was Aehnliches ist es doch.«

»Hm! Eine Hübsche ist sie; das ist wahr. Wäre ich noch jung, so wüßte ich nicht, was ich machte. Ich glaube, ich verliebte mich auch in sie.«

»Da hast Du es! Und von mir verlangst Du, daß ich sie aufgeben soll.«

»Aus gutem Grunde!«

»Es giebt keinen Grund.«

»So! Daß sie Dich nicht haben mag, ist wohl keiner?«

»Ich kehre mich nicht daran.«

»Ja, wenn sie keinen Kerl hätte, da wäre doch was zu machen. Nun aber kommts heraus, daß sie sich in diesen verdammten Spion verliebt hat. Da ist nun alle Hoffnung vergeblich.«

»Der Alte wird sie schon noch herum zu kriegen wissen.«

»Das glaube ich schwerlich. Ja, wenn dieser Ludwig nicht hinter unsere Schliche gekommen wäre.«

»Fürchtest Du ihn?«

»Ganz natürlich! Wenn er uns verräth, so sind wir des Teufels. Das weiß der Kerl ganz genau, darum tritt er in dieser Weise gegen uns auf, und aus ganz demselben Grunde wird es ihm gelingen, die Gisela von Dir frei zu bringen.«


// 1415 //

»So schlage ich ihn todt!«

»Meinswegen! Gehe aber von hinten auf ihn und ja nicht von vorn! Der Kerl hat Kräfte wie ein Bär oder ein Ochse.«

»O, so was läßt sich ganz aus der Ferne machen. Und wenn der Kery sich von ihm beschwatzen läßt, so bekommt auch er es mit mir zu thun. Uebrigens bin ich zwar der Tochter gut, den Alten aber kann ich nicht gar so sehr gut leiden.«

»Es geht mir ebenso. Aber Geschäft ist Geschäft. Wir saugen ihn aus. Der gute Mann hat höchstens noch fünfzehntausend Gulden. Um diese beschummeln wir ihn heut. Dann ist er ein Bettler und muß aus dem Haus trotz des großen Maules, welches er stets hat.«

»Eigentlich kann er mir leid thun.«

»Unsinn! Ich glaube gar, Du willst Dir ein Gemüth anschaffen. Das ist das Allerdümmste, was man haben kann.«

»Er ist ehrlich mit uns.«

»Abermals Unsinn! Was Du Ehrlichkeit nennst, das ist nichts als Dummheit. Wäre die Verlobung zu stande gekommen, so hätte ich gewartet, ehe ich ihm den Strick um den Hals zuziehe. Da er sich aber von der Gisela hat verleiten lassen, ihr einen Aufschub zu geben, so ists ab. Wir zwingen ihn.«

»So kann ich allerdings mich sputen, sonst bringen unsere Kerls die echten Packete anstatt der falschen.«

»In einer halben Stunde bist Du dort. Es ist noch reichlich Zeit.«

»Aber wenn er es merkt?«

»Fällt ihm nicht ein. Er hat in letzter Zeit niemals ein Packet geöffnet.«

»Heut aber könnte er es doch thun, weil es sich um eine solche Summe handelt.«

»Laß mich nur sorgen. Ich werde ihn so beschäftigen, daß er gar nicht Zeit findet, eines aufzumachen.«

»So kann er morgen auf diesen Gedanken kommen.«

»Auch nicht. Am Tage geht das nicht, sonst würde sein Gesinde merken, was es mit dem alten Backofen für eine Bewandtnis hat. Und nach Anbruch der Dunkelheit werden die Waaren bereits abgeholt.«

»Wollen wünschen, daß es glückt. Wir machen ein famoses Geschäft dabei. Er bekommt Lumpen und altes Papier, während wir die theuren Spitzen und Seidenstoffe für uns behalten. Dafür giebt er einen Wechsel über fünfzehntausend Gulden! Hahaha!«

»Der Kaufmann drüben, jenseits der Grenze, wird sich wundern, wenn er alte Lumpen und Makulaturpapier bekommt, während ihm solche Kostbarkeiten avisirt sind. Na, Kery trägt die Kosten. Wir liefern ihm scheinbar gute Waare. Liefert er Lumpen ab, so ist der Tausch in seinem Hause vorgefallen, und er hat den Schaden zu tragen. So, jetzt bist Du fertig. Wollen anspannen.«

Ludwig hatte grad noch Zeit, unter einen Baum zu schlüpfen. Da kamen die Beiden heraus, Jeder ein Pferd führend. Die Thiere wurden vor


// 1416 //

den Wagen befestigt; der junge Osec stieg auf und fuhr davon; der Alte begab sich in das Haus zurück, um den Kerybauer aufzusuchen und bei ihm die Rückkunft seines Sohnes abzuwarten.

Als er oben in die Stube trat, war der Bauer mit seiner Tochter noch gar nicht etwa im Reinen.

»Also den Osec willst Du nicht?«

»Auf keinen Fall,« antwortete sie, trotzdem der Vater des Genannten so eben in die Stube kam und also ihre Antwort hörte.

»So enterbe ich Dich!«

»Das schadet nichts. Ich kann arbeiten.«

»Und jage Dich gleich morgen schon aus dem Hause!«

»Das ist mir lieb. So gehe ich mit dem Ludwig fort. Wir heirathen und werden schon ein Unterkommen finden.«

Der Bauer stampfte zornig mit dem Fuße.

»Mädchen, nimm Dich in Acht. Bis jetzt habe ich in lauter Liebe mit Dir gesprochen. Ich kann aber auch einen andern Ton anschlagen. Du kennst mich noch nicht!«

»Wenn das Liebe ist, was ich bis jetzt von Dir gehört habe, so möchte ich Dich einmal zornig sehen.«

»Spottest Du etwa?«

»Fällt mir nicht ein.«

Er wendete sich rathlos zu seiner Frau. Ja, er war fürchterlich zornig; aber größer noch als sein Zorn war sein Erstaunen über die Umwandlung, welche so ganz plötzlich mit seiner Tochter vorgegangen war.

»Sage mir nur, was mit dem Mädchen ist!« rief er aus.

»Weiß ichs? Ich kanns nicht sagen,« antwortete die Bäuerin. Sie hätte am Liebsten weinen mögen, aber sie wußte, daß ihr Mann keine Thränen sehen konnte. Er wurde durch dieselben nur noch zorniger gemacht.

»Sie ist ja ganz und gar umgewandelt!«

»Ich bin nicht schuld daran!«

»Etwa ich?«

»Zankt Euch nicht,« fiel Osec ein, indem er sich niedersetzte und zum Weinglase griff, welches noch gefüllt auf seinem Platze stand. »Ich weiß, wer schuld ist.«

»Nun, wer?«

»Dieser außerordentlich gute und treue Ludwig, den Du immer für ein Muster von einem Knechte gehalten hast.«

»Ja, sie hat sich in ihn vergafft.«

»Und das hätte sie nicht gethan, wenn er ihr nicht den Kopf verdreht hätte. Wer weiß, was Alles da geschehen ist.«

»Ich soll nur etwa Derartiges erfahren.«

»Erst war die Gisela wie ein kleines Kind. Sie ist Euch gehorsam und unterthänig gewesen und hat niemals einen Widerspruch gehabt. Das hat mir so gut gefallen, daß ich mich wirklich gefreut habe, sie einmal meine Schwieger-


Ende der neunundfünfzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk