Lieferung 6

Karl May

4. September 1886

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Werd's schon noch finden. Jetzt aber vor der Hand will ich erst mal Dich selber festhalten. Schau, wie wunderbar! Wir haben geglaubt, Du bist abgestürzt und liegst zerschmettert im Grund, und da trittst Du mir leibhaftig entgegen. Dich laß ich nun nicht wieder aus. Du wirst mit mir gehn.«

»Meinst?«

»Ja. Ich verarretire Dich.«

»Wie willst das anfangen?«

»Siehst hier mein Gewehr? Ich hab es in die Hand genommen. Wann Du die Miene machst, mir zu verwischen, so schieß ich Dir eine Kugel in den Leib, daß Du genug hast.«

»Hab keine Sorg, Jager ich reiß nicht aus.«

»So gieb Deine Hände her, damit ich sie Dir ein Wenig zusammenbind. Es ist besser, ich hab Dich fest.«

»Bist wohl nicht bei Trost? Willst mich verarretirn? Warum denn?«

»Nur von wegen der Deinigen Wilddieberei.«

»Das gilt nix mehr.«

»Nix? Wer hat das gesagt?«

»Ich sags.«

»Ach so! Und Du meinst, weil Du es sagst, so kann es mir verimponiren? Da irrst Dich!«

»Der König hats auch gesagt.«

»Das verimponirt mir erst recht nicht. Das ist eine Lügen, die gar nicht größer gemacht werden kann. Ich werd Dich ins Amt schaffen, wo sie Dich nach dem Zuchthaus verdefendiren. Dann, wann Du dort bist und Wollen zupfest, werd ich mit der Leni Jodler singen, daß die Thäler zittern.«

»Bist wohl gut mit ihr dran?«

Der Jäger hatte einen Riemen hervorgezogen, um Anton die Hände zu binden; er ließ dies aber aus der Acht, vor Eifer, den Wilderer zu ärgern.

»Fein bin ich mit ihr dran, sehr fein.«

»So ist sie wohl gar Dein Dirndl?«

»Ja. Auf vierzehn Tag hin ist die Verlobung.«

»Schau, das gefreut mich außerordentlich. Wer hätt aber auch das gedacht!«

»Wer? Alle Welt hats gedacht. Alle Leut haben gewußt, daß ich des Abends zu ihr auf die Alm geh.«

»Und Dir Busserln von ihr holst?«

»Ja, tausend Küsse.«

»Oder sinds vielleicht keine Küss', sondern Waatschen?«

»Wo denkst hin!«

»Ich werd wohl sehr richtig denken. Du bist doch erst gestern oben gewesen und hast Dir von ihr eine Antworten geholt, die ich nicht haben möcht.«

»Wer hat Dich da angelogen?«

»Es ist wahr gewesen, denn sie selber hat es mir gesagt.«

»Teufel und Hölle! Du warst bei ihr?«


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»Ja. Sie ist mein Dirndl, und heut in der Nacht ist es fest geworden, daß sie auch mein Weiberl wird. Kannsts gut glauben, Jager!«

Da fuhr der Naz zornig auf:

»Was, Du warst bei ihr? Beherbergt hat sie Dich? Verheimlicht vor uns, vor dem Gesetz? Einen Aufenthalt hat sie Dir geben, dem Wilderer? Das wirst auch vor Gericht sagen müssen!«

»Ich werde es nicht leugnen.«

»Gut, so kommt Ihr Alle Beid ins Zuchthaus, der Stehler und der Hehler. Das soll mir eine Freuden sein, eine große Freuden! Jetzt gieb die Händ' her, damit ich sie zusammenbind. Solch einem saubern Vogel darf man die Schwingen nicht frei lassen.«

»Ganz wie Du denkst! Vorher aber sag mir doch mal: Kannst auch wohl lesen, Jager?«

»Wohl besser als Du.«

»Das gefreut mich sehr! Ich will schaun, obs auch wahr ist. Da, lies doch mal diesen Zettel.«

Er zog die Bescheinigung hervor, welche er von dem Gerichtsamtmann empfangen hatte, und gab sie ihm hin. Der Jäger ergriff das Document, faltete es aus einander und las es. Sein Gesicht wurde länger und immer länger.

»Schau, was hast für eine Visagen!« lachte Anton. »Sie scheint von Elasticum zu sein. Bald wird Dein Kinn bis zum Gürtel herabhangen und Dein Maul steht so weit auf, daß ein Aliphant seine Herbergen darinnen finden kann.«

Das Gesicht des Jägers hatte wirklich den Ausdruck einer gradezu lächerlichen Enttäuschung.

»Wie kommst zu diesem Papier?« fragte er.

»Das kannst Dir denken!«

»Da ist dem Herrn Amtmann sein Facsimulus. Hat er den selbst geschrieben?«

»Meinst etwan, er muß ihn von einem Anderen machen lassen, weil er nicht schreiben kann?«

»Das ist doch des Teufels!«

»Sag das dem Herrn Amtmann selber!«

»Du bist frei!«

»Natürlich freust Dich darüber?«

»Wart! Vielleicht ist diese Unterschrift falsch!«

»So ein Gescheidter wie Du muß das sehr bald herausfinden. Weißt, wie man das macht?«

»Wie?«

»Mußt Dich bücken und die Bein' breit machen. Da schaust zwischen durch und hältst Dir die Schrift dabei vor die Nasen. Da siehsts gleich in der Perspectiven, daß die Schrift richtig ist und Du bist ein Esel.«

»Höre, beleidige mich nicht!«


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»Dazu bist mir viel zu vornehm. So was kann mir gar nicht in den Sinn kommen. Nun aber sag, ob Du mir noch die Flügel binden willst.«

»Wie das zugangen ist, kann ich nicht verzifferiren, aber Glück hast gehabt, großes Glück. Hier hast das Papier wieder. Es ist ein richtig Dokermentum und hat seine Giltigkeit. Nun kannst wieder von vorn beginnen mit der Wilddieberei!«

»Das werd ich bleiben lassen. Ueberhaupt bist zu albern, um mir was beweisen zu können. Du lebst halt nur immer im Traume.«

»Du, hüte Dich, mich zu beleidigen! Ich dulde das nicht. Ich will mit Ehrerbietung behandelt sein. Du bist ein Wilddieb, das behaupte ich, und was ich sag, das ist stets die Wahrheit.«

»Etwan auch das von der Leni?«

»Ja, auch das.«

»So bist des Abends bei ihr gewesen?«

»Oft.«

»Und hast sie geküßt?«

»Ja.«

»Das ist eine so große Lügen, daß man ihr End gar nicht abschauen kann!«

»Es ist die Wahrheit. Wann die Leni freundlich mit Dir than hat, so wars nur aus Angst und Furcht, weil Du wilddiebt hast; ich aber bin ihr richtiger Schatz. Das kann ich Dir unterschreiben.«

»Schön! Und wann Du es unterschreibst, so will ich Dir mein Siegel dazu geben. Da hast es!«

Er holte aus und gab dem Jäger eine Ohrfeige von solcher Wucht, daß der Getroffene in den nächsten Busch stürzte und das ganze Gezweig zusammendrückte. Schnell aber raffte er sich auf und drang auf Anton ein.

»Kerl! Hund!« brüllte er. »An mir vergreifst Dich, an mir, dem Jager! Ich mordsakrire Dich!«

Er erhielt aber eine zweite Ohrfeige, welche ihn ebenso wieder niederwarf. Sein Gewehr war ihm entfallen. Er griff darnach, sprang wieder auf, legte an und brüllte:

»Jetzt ists aus mit Dir! Jetzt hast Deinen Lohn!«

Der Schuß krachte. Der Lauf war grad auf Antons Brust gerichtet gewesen. Dieser hatte den Blick scharf auf dem Finger des Jägers gehabt und war im richtigen Moment zur Seite gesprungen, so daß die Kugel nicht traf. Im nächsten Augenblicke aber hatte er dem Jäger das Gewehr entrissen.

»Morden willst mich!« rief er. »Wart, Bursche, da schau, was ich thu!«

Er hatte das Gewehr beim Lauf ergriffen, holte aus und schlug den Kolben gegen den Boden, daß derselbe abbrach; dann schleuderte er das Andere weit von sich, in die Büsche hinein.

»So! An Dir will ich mich nicht wieder vergreifen; Du bist mir zu schwach dazu. Jetzt hol Dir Deine Flinten wieder zusammen!«

»Ich zeig Dich an, ich zeig Dich an!« antwortete der Andere. »Du hast mir das Dienstgewehr zerbrochen, Du


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hast mich geschlagen, mich, einen Mann im Amte.«

»Das hab ich gethan. Die Ohrfeigen hast erhalten, weil Du ein braves Dirndl verschumpfen hast, und die Büchsen hab ich zerbrochen, weil Du auf mich geschossen hast. Jetzt nun mach die Anzeig, wir wollen sehen, wer Recht behält und wer seine Straf bekommt.«

»Du, Du bekommst die Strafe! Ich arretire Dich! Du gehst mit mir! Augenblicklich!«

Er ergriff Anton beim Arme. Dieser blickte ihn an, wie ein Mann einen Knaben mitleidig ansieht, schüttelte ihn von sich ab und sagte lachend:

»Was meinst? Mich willst verarretiren? An mir willst Dich vergreifen? Wer bist denn eigentlich? Ich bin der Krikelanton und freß zehn solche Kerls, wie Du einer bist! Rühr mich nicht wieder an, sonst werf ich Dich in die Höhe, daß Du in der Luft hangen bleibst!«

»Probirs doch, ob ich hangen bleib!«

Der Jäger faßte in seiner Wuth wieder nach ihm. Da aber ergriff Anton ihn am Gürtel, hob ihn empor und schleuderte ihn weit in die Büsche hinein. Dann setzte er seinen Weg fort, ohne sich nur ein einziges Mal umzusehen. Er wußte, daß der Besiegte ihm nun nicht nachkommen werde, und es war ihm ganz gleichgiltig, ob derselbe Schaden genommen habe oder nicht.

Als er aus dem Gebüsch heraustrat, lag drüben die Alp im Sonnenstrahle vor ihm. Sein scharfes Auge erkannte Leni, welche bei ihren Kühen zu schaffen gehabt hatte und soeben in das Innere ihrer Hütte trat. Er legte die Hände an den Mund, um ihr einen frohen Jodler zuzusenden, ließ sie aber wieder sinken. Es dünkte ihm viel schöner, ganz unerwartet zu ihr heran zu treten und sie zu überraschen. Darum sprang er schnell, um ja nicht von ihr gesehen zu werden, über die Blöße hinüber und eilte dann den Weg in das Dorf hinab.

Er richtete es so ein, daß er quer durch einige Gärten kam und von Niemandem gesehen wurde. Jetzt hatte er das Dorf hinter sich und stieg nun den Bergpfad empor, welcher ihn zur Alm führte.

Kein Mensch begegnete ihm. Er erreichte die Höhe und bemerkte, daß Leni sich noch immer im Innern der Sennhütte befand. Aber oberhalb dieser Letzteren saß noch ein zweites Mädchen. Es war Diejenige, welche der Bauer als Nachfolgerin Leni's bestimmt hatte.

Anton schlich sich zum Häuschen heran, duckte sich nieder, um nicht durch das Fenster gesehen zu werden, und lauschte. Drinnen ließ sich die Stimme der Sennerin liebkosend vernehmen:

»Matz, mein lieber Matz, jetzt siehst mich halt wohl zum letzten Male. Das ist so traurig, nicht wahr? Wir sind so gute Kameraden gewest und haben uns was vorgesungen und vorgepfiffen, wann uns das Herz mal traurig war. Ich thät dich so gern mitnehmen, aber das geht doch halt nicht an. So wirst noch hier bleiben müssen; aber ich habs der Bertha auf die Seel' gebunden, daß sie dich nicht darben läßt, du liebes Vögerl du!«


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Es wurde dem Lauscher so eigenthümlich zu Muthe, fast ängstlich. Was war denn das? Sie nahm Abschied von ihrem Finken?

Anton trat ein. Leni stand inmitten der Hütte und hatte den Vogelbauer in der Hand. Ringsum lagen ihre Sachen, ganz so, als ob sie mit dem Einpacken derselben beschäftigt sei. Sie erblickte ihn und erschrak so, daß sie fast den Vogelkäfig fallen ließ.

»Jesses, der Anton!« rief sie aus.

»Du erschrickst vor mir?« fragte er befremdet. »Bin ich seit in der Nacht so viel anders geworden, fürchterlicher, Leni?«

»O nein! Aber ich hab nicht geahnt, daß Du jetzt zu mir kommen werdest.«

Er blickte in dem kleinen Raume umher.

»Was hast?« fragte er. »Was geht vor? Ich vernahm von draußen Deine Red'. Das klang ganz grad so, als ob Du von dem Vogel Abschied nahmst.«

»Das that ich freilich.«

»Wie? Du bleibst nicht hier oben?«

»Nein.«

»Hast eine Nachfolgerin? Ziehst hinab zum Bauer?«

»Nein, weiter.«

»Weiter? Etwan gar aus dem Ort hinaus?«

»Ja, es geht weiter fort.«

Ihr Gesicht hatte jetzt keine Farbe mehr. Sie befand sich sichtlich in einer Beklemmung, welcher sie nicht Herrin zu werden vermochte. Er sah sie groß an und seine Brauen zogen sich zusammen.

»Ich begreif Dich nicht! Kennst mich wohl gar nicht mehr, Leni?«

»Warum sollt ich Dich nicht mehr kennen?«

»Weilst mich nicht willkommen heißest und mir nicht mal die Hand zum Gruß bietest.«

»Das ist, weil Du mich so überrascht hast, da hab ichs halt vergessen. Grüß Gott, Anton!«

Sie streckte ihm die Rechte entgegen; er aber that, als ob er es gar nicht bemerke.

»Weißt noch, was wir heut in der Nacht besprochen haben, Leni?« fragte er.

»Ich weiß noch Alles.«

»Daß wir uns lieb haben?«

»Ja.«

»Und daß Du meine Frau werden willst, wann meine Gefangenschaft zu End gegangen ist?«

»Ja, Anton.«

»Und daß Du auch nach meinen Eltern schauen wolltest? Ach so, jetzt weiß ich, was Du thust. Du nimmst Deine Sachen zusammen, um hinüber zu den Eltern zu gehen. Nicht wahr?«


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Sein Auge war wie dasjenige eines strengen Examinators auf sie gerichtet. Sie raffte sich aus ihrer Verlegenheit, trat einen Schritt näher und sagte:

»Anton, mußt nicht so sprechen. Du glaubst nicht, wie wehe so ein Wort thut und so ein Blick!«

»Meinst etwan, es thut nicht wehe, wann ein Mädchen fortzieht, ohne ihrem Buben erst ein Wort davon wissen zu lassen?«

»Es ist so schnell gekommen.«

»Schnell? Wo willst denn hin?«

»Hinein ins München.«

»Ins München? Herrgott! Das ist nicht wahr! Leni, das kannst nicht vorhaben!«

»Ich muß, Anton. Es geht nun nicht anders.«

»Ins München hinein! In die Stadt, zu die lockern Buben, wo die Soldaten herumlaufen und die Dirndln verführen! Dahin willst? Dort willst wohl Mamsell werden oder Kellnerin?«

»Nein, das würd ich in meinem ganzen Leben nicht thun, Anton, das nicht.«

»Was denn? Was willst drin thun?«

»Ich soll eine Künstlerin werden.«

»Eine Künstlerin? O Jesses und Maria! Willst etwan auf dem Seil tanzen oder in einer Vogelschießbuden die Ausschreierin machen?«

»Wie kannst von mir so was denken, Anton!«

»Nun, was sonst?«

»Eine große Sängrin soll ich werden.«

»Eine Sängrin? Wirklich?«

»Ja.«

Er schien zu wanken; er setzte sich auf den Schemel nieder und legte das Gesicht in seine beiden Hände. Als er einige Zeit so gesessen hatte, ohne ihr ein Wort zu sagen, legte sie ihm die Hand auf die Achsel und sagte in bittendem, beruhigendem Tone:

»Was erschrickst so, Anton! Es ist ja nix Böses, was ich vorhab, gar nix Böses! Da hob er langsam den Kopf empor. Sein Gesicht war leichenblaß und ein blauer, tiefer Rand lag um seine Augen. Nur leise fragte er:

»Sängrin willst werden? Wohl beim Theater?«

»Ja.«

Da sank er wieder in sich zusammen. Sie wartete eine Weile. Er bewegte sich nicht.

»Anton, sei gut, sei verständig!« bat sie voller Angst. »Es ist nicht so, wie Du denkst.«

Da stand er vom Schemel auf, ergriff ihre beiden Hände, blickte ihr tief, tief in die Augen und fragte:

»Leni, nicht wahr, es ist ein Gespaß? Du willst mich nur ein klein Wenig derschrecken?«


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Sie wendete das Gesicht halb ab und antwortete:

»Ich wollt schon, daß es so wär, aber es ist kein Gespaß, sondern es ist Ernst.«

»Das kann ich halt unmöglich glauben! Die Leni eine Sängrin, eine Theaterpuppen! Das kann nicht sein, das kanns gar nicht geben in der Welt! Ich bitt Dich um Gotteswillen, erlös mich von der Pein und sag mir, daß ich falsch gehört hab!«

»Das kann ich nicht sagen, Anton.«

»Also doch, doch, doch! Herr, mein Gott, was fang ich an! Wer ist daran schuld? Wie ist das so schnell kommen? Leni, sag mir das, sag es!«

»Der König wills haben.«

»Der König? Wie kann der auf den Gedanken kommen, Dich ins Theater zu thun?«

»Er hat meine Stimm gehört, und ich hab ihm versprechen müssen, eine Sängrin zu werden.«

»Der König, der König!«

Er setzte sich wieder auf den Schemel nieder und blickte starr vor sich hin. Sein Auge war weit geöffnet, als ob es erschrocken in eine weite Ferne blicke. Kein Zug seines Gesichtes bewegte sich, bis er dann leise klagend wiederholte:

»Der König, der König! Ist er nicht reich genug, nicht glücklich genug? Giebt es nicht Sängerinnen und Theaterspieler und Gaukler genug in der Welt? Muß er hier herkommen und Dich holen? Hat er nicht Silber und Gold und Edelstein', so viel er will? Kann er nicht Freud und Vergnügen haben zum Ueberdruß, essen und trinken alle Herrlichkeiten aus weiten Ländern? Hat er nicht drin im München vornehme und schöne Frauen, an denen er seine Freud und Wonn' haben kann? Warum muß er hierher kommen, um dem armen Wildheuer sein einzig Gut zu rauben, seine Freud und seinen Trost im Leben und Sterben, warum, warum, warum?«

Sein Auge blickte noch starr und trocken vor sich hin, aber mitten aus dieser heißen Oede des Auges brach eine einzelne, große, schwere Thräne hervor und rollte über die Wange herab.

Leni wurde angst und bange.

»Anton, Anton!« sagte sie. »Sprich nicht so, nur nicht so! Ich hab Dich ja lieb, ich laß nicht von Dir, ich bleib Dir treu, so lang ich leb!«

»Du hast mich lieb und gehst von mir? Du bist mir treu und willst auf das Theater?«

»Es ist ja das Alles nicht so, wie Du es denkst!«

»Nicht? Weißt Du das so genau? O, jetzt erkenn ich, was die Mondsüchtige gestern gemeint hat. Ich hab mir wohl gemerkt, was sie zu Dir sagte:

»Ein König nimmt Dich an die Hand,
   Führt Dich in goldne Pforten ein,
O traue nicht dem eitlen Tand,
   Und trau der Liebe nur allein!«


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Der König ist da und er hat Dir die Hand gereicht. Geld, Gold und Flimmer bietet er Dir, Leni, und das hat Dich verführt, das hat Dich halt irr gemacht!«

»Nein, Anton, nicht Gold und Flimmer!«

»O doch, doch! Aber denk daran, wie die anderen Worte lauten! Es ist nur eitler Tand, auf den Du Dich nicht verlassen sollst. Nur der Liebe allein sollst Du trauen, nur ihr allein. Und diese Lieb, diese Lieb giebts hier bei mir, da, da!«

Er legte die Hand auf sein Herz.

»Nein, das darfst nicht denken!« bat sie. »Ich tracht' nicht nach Geld, gewiß nicht. Der König hat mich gebeten, und ich hab ihm widerstanden, ich hab nein zu ihm gesagt, Anton.«

»Aber jetzt willst dennoch!«

»Weils jetzt anders ist als vorher. Ich hab geglaubt wie die Andern, Du seist todt, erschossen von dem Oberförster. Da haben sie Dich gesucht, aber nicht gefunden. Der König wollt mich mit sich nehmen; ich aber habs ihm erzählt, was ich Dir versprochen hab, und er wars zufrieden, daß ich nicht eine Sängrin werden sollt. Ich wollt mir vom Wurzelsepp mein Geld geben lassen und hinüber zu Deinen Eltern ziehen und bei ihnen bleiben bis zu ihrem und bis zu meinem Tod.«

»Nun, warum hast das nicht gethan?«

»Weil ich nachher vernommen hab, daß Du nicht todt bist, sondern im Gericht steckst als Gefangener. Da bin ich zum König gesprungen und hab Dich frei gebeten. Und damit er Dich frei lassen soll, hab ich ihm mein Wort gegeben, Sängrin zu werden. So ist es, Anton.«

»So, also so! Frei hast mich gebeten, und um meinetwillen willst Sängrin werden? O mein Herr und mein Heiland! Das ist ja grad das Allerschlimmst', was Du hast thun können.«

»Siehsts denn nicht ein, daß ichs gut gemeint hab?«

»Nein, das sch ich nicht ein, nun und nimmer nicht. Hättst mich in der Gefangenschaft gelassen! Das war besser, viel besser. Du wärst kommen, mich zu besuchen. Du wärst zu meinen Eltern gangen, und ich wär stolz auf meine Leni und hätt mit keinem Kaiser nicht getauscht. Nun aber bin ich frei. Und was hab ich von meiner Freiheit? Das Glück hab ich dafür hingeben müssen, das ganze, ganze Lebensglück!«

»Nein, Anton, nein!«

»Gewiß, gewiß, Leni!«

»Aber nein und nein! Ich bin ja doch Dein!«

»Meinst wirklich?«

»Ja. Ich mag doch keinen Andern!«

»Das sagst jetzt, aber das wird dann hernach anders, viel, viel anders!«

»Anton, hier hast meine Hand! Ich weiß, daß der liebe Heiland verboten hat, zu schwören, und ich habs auch nie gethan. Jetzt aber in dieser schweren Sorg und Noth will ich die Sünd auf mich nehmen und Dir den Schwur geben, daß -«


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»Halt!« unterbrach er sie. »Schwöre nicht, Leni! Du weißt ja gar nicht, was Du sagst und thust!«

»Ich weiß es; ich weiß es ganz genau!«

»Nein, Du weißt es nicht, und Du ahnst es nicht. Kannst Dich noch erinnern, als wir heut in der Nacht sagten, daß Mann und Frau nur sich ganz allein gehören dürfen?«

»Ja.«

»Daß sie keinen Andern und keine Andere küssen dürfen, auch nicht im Scherz beim Pfänderspiel?«

»Das haben wir gesagt.«

»Nun, ich war einmal drin in Salzburg im Theater, ganz oben, wo es am billigsten ist. Da wurd' ein Stück gegeben, ein Stück, worüber Alle klatschten und Bravo geschrieen haben. Ich aber bin ganz still gewesen, weil es mir nicht gefallen hat.«

»Warum nicht?«

»Fast kann ich es Dir nicht sagen.«

»Sage es doch! Wir reden von einer ernsten und wichtigen Sach, da kannst wohl sprechen.«

»Wann Du so meinst, dann will ichs sprechen. Schau, die Damen auf der Bühn' haben Kleider angehabt, ganz ohne Aermel, so daß die Arme nackt gewesen sind bis an die Achsel. Und ein Leibchen ist auch nicht am Kleid gewesen. Man hat Alles, Alles sehen können bis fast auf den Gürtel herab. Ist das nicht eine Sünd und eine Schand? Sogar der halbe Rücken ist nackt gewesen. Pfui!«

»Das würd' ich niemals thun!«

»Du mußt!«

»Nein, nein!«

»Und ich sag, Du mußt! Und wannst auch nicht willst, und wanns Dir auch widerstrebt. Wannst einmal dabei bist, so geht bald nach und nach der Abscheu verloren, grad wie beim Branntweintrinken, und endlich stehst auch da, grad wie die Andern, und lässest Dich anschaun, fast unbekleidet, für das Geld, welches die Leut bezahlen.«

»Und ich sag, daß ich es nimmer thun werd!«

»Ja, ja, ich weiß schon! Und sodann war Eine dabei, eine Junge, Hübsche. Die hat einen Vater gehabt, der aber nur im Theaterspiel ihr Vater gewesen ist; der hat sie immer und immer >mein Kind< genannt und sie dabei geküßt. Und sodann hat sie einen Schatz gehabt, der aber auch nur im Spiel ihr Schatz gewesen ist. Der hat sie auch viel geküßt und sie immer umärmelt und sie sogar auf seine Knie genommen und die Arm' um sie gelegt und sie an sich drückt.«

»Das würd' ich gar niemals dulden!«

»Kannst etwan anders, wann Du spielst?«

»So spiel ich eben kein solches Stück.«

»Da wirst halt gar nicht gefragt.«


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»O, ich werd mich schon wohl fragen lassen. Ich werd sagen, daß Du mein Schatz bist und daß ich es nicht will und daß Du es nicht duldest.«

»Sie werden darüber lachen, weiter nix.«

»O wohl! Ich werd mit dem König darüber sprechen, und er wird ihnen befehlen, ein anderes Stück zu spielen, wo ich nicht geküßt werd.«

»Ich weiß gar wohl, daß Du das jetzund im Ernst sagst, Leni; aber dann später wird es doch weit anders. Wer in den Schmutz fällt, der wird schmutzig, und selbst wann er sich wieder abbürstet, bleibt doch ein Fleck zurück. Und es ist Schmutz, worin Du Dich begeben willst. Ich weiß das sehr genau.«

»Hast nicht einmal das Gleichniß gelesen, daß die Krähen den Schwan schmutzig machten, er aber tauchte im Wasser unter und war nachher weiß wie zuvor?«

»Ich habs im Schulbuch gelesen. Aber das stimmt doch nicht. Es ist auch für den Schwan besser, wann er gar nicht dorthin geht, wo Krähen sind. Dann braucht er sich gar nicht abzuspülen. Leni, sag mir mal recht aufrichtig, Obst mich lieb hast, wirklich von Herzen lieb?«

Er stand vor ihr und ergriff ihre Hand.

»Von ganzem Herzen, Anton!« antwortete sie.

»Und meinst, daß ich ein guter Mann sein kann, und daß wir glücklich sein werden?«

»Ja, das denk ich gewiß.«

»So bitt ich Dich Eins, nur Eins im ganzen Leben: Thu mir den Gefalln und geh nicht zum Theater!«

»Ich muß ja doch! Ich habs dem König versprochen.«

»Er wird Dir Dein Wort zuruckgeben!«

»Ich darf ihn nicht bitten.«

»Warum nicht?«

»Weil es Undank wäre. Er hat Dich ja um deswegen frei gegeben.«

»Ists nur das?«

»Nur das!«

»Gut, so gehe ich jetzt gleich wieder ins Amt und melde mich. Ich will gefangen sein.«

»Das geht nicht.«

»Meinst, sie nehmen mich nicht wieder an?«

»Sie können Dich nicht annehmen. Was der König befohlen hat, das gilt, das muß bleiben.«

»Ja, wann ich mirs überleg, so kann ich mirs denken, daß sie mich fortweisen werden. Aber wann Du dem König Alles sagst, so wird er ein Einsehen haben und Dich zurucklassen.«

Sie blickte nachdenklich vor sich hin; ihr Busen hob und senkte sich; Anton hörte ihren Athem schwer gehen. Sie kämpfte einen schweren Kampf. Wer würde siegen, die Liebe oder die Rücksicht für den König, die Rücksicht auf ihr gegebenes Wort - die Dankbarkeit? Endlich sagte sie:


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»Jetzt will auch ich Dich fragen, Anton: Hast mich lieb, gewiß und wahrhaftig lieb?«

»Lieber, viel lieber als mein Leben!«

»Denkst vielleicht, daß ich ein schlecht und lüderlich Dirndl bin?«

»Nein, das bist nicht, nun und nimmer nicht.«

»Hast also Vertrauen zu mir?«

»Ja.«

»Ists wahr?«

»Gewiß.«

»Nun, so mußt doch auch zeigen, daßt wirklich Vertrauen hast. Wannst Vertrauen hast, so wirst auch glauben, daß ich immer so bleib wie ich jetzt bin, so gut und brav.«

»Das glaub ich ja!«

»Nun, wann ich also beim Theater brav bin, warum willst Dus mir verbieten?«

»Weil Du dort nicht brav bleiben wirst.«

»So hast also kein Vertrauen!«

»Leni, thu mir nicht weh! Was Du da sagst, das ist eine Spitzfindigkeiten.«

»Nein, es ist nicht spitzfindig. Ich hab noch niemals mein Wort gebrochen; soll ich es grad jetzt nun brechen, da ich es einem König geben hab?«

»So gilt er Dir mehr als ich?«

»Nein, Du bist mir lieber; aber er ist unser Herr und Wohlthäter.«

»Unser Peiniger ist er!« brauste er auf.

Da antwortete sie in ernstem Tone:

»Das ist nicht wahr; das dulde ich nicht, auch von Dir nicht, Anton! Er ist auch Dein Wohlthäter. Er hat Dich frei gemacht und Dir gestern Abend dreihundert Mark geschenkt!«

»Dreihun - - -«

Das Wort blieb ihm im Munde stecken. Er starrte sie ganz verständnißlos an.

»Nun ja,« nickte sie.

»So war Der - Der - Der der König?«

»Ja.«

»Und Du hasts mir nicht gesagt!«

»Ich habs selber nicht gewußt. Ich erfuhr er erst nachher, als Du fort warst.«

»Der, Der, Der! Drum hat er mich begnadigt, weil ich den Bären erschossen hab! Aber das macht die Sachen doch nicht anders! Grad weil er mir sein Leben zu verdanken hat, soll er mir das Mädchen lassen, ohne welchs ich nicht leben mag!«

»Geh! Du sollst ja gar nicht ohne mich leben!«

»Sprich nicht so, Leni! Wann Du eine Sängrin wirst, so ists aus mit uns Beiden.«


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Er sagte das in bestimmtem Tone und blickte ihr dabei finster in das Gesicht. -

»Ich denk, das wirst Dir noch überlegen!«

»Es ist überlegt!«

»So meinst, ich soll mein Wort brechen und dem guten König undankbar sein?«

»Ja, Du mußt!«

»Ich muß? Wer will mich dazu zwingen?«

»Ich!« antwortete er zornig.

Sie wollte ihm in demselben Tone antworten, besann sich aber doch und sagte eindringlich:

»Ich bitt Dich dennoch, es zu überlegen. Schau, es war drunten beim Pfarrer, daß ich mit dem König gesprochen hab. Der geistliche Herr hat mir auch zugesprochen, daß ich dem König den Wunsch erfüllen soll. Er hat mir gesagt, daß ich sehr viel Gutes stiften kann als Sängrin, daß ich singen könne den Menschen zur Freude und dem lieben Gott zur Ehre!«

»Ja, den Menschen zum Aerger und dem lieben Gott zur Schande! So ists!«

»Anton!«

Sie hatte seine Hand losgelassen und war zurückgetreten. Jetzt blitzte auch ihr Auge zornig auf.

»Was willst?« stieß er kurz und barsch hervor.

»Ich möcht nicht, daß Du zu weit gehst. Tausend Maderln wär es ein Glück und eine Ehr, wann der König sie zu einer Künstlerin machen thät, und nun, da mir diese Ehr widerfährt, sprichst Du zu mir wie zu einem unguten Dirndl!«

»Das bist auch, wann Du mir nicht gehorchst!«

»Gehorchst? Meinst etwan, daß ich Dir bereits jetzt unterthanig sein soll? Da irrst. Noch bin ich meine eigne Herrin und kann machen, was mir beliebt. Weißt das etwan nicht?«

Da schlug er mit der Faust auf den Heerdrand und rief aus:

»Jetzt, ja, jetzt zeigst das richtige Gesicht! Jetzt kommt die Krall von der Katz!«

Das war nun freilich mehr, als sie vertragen konnte, ohne zornig zu werden. -

»Wie nennst mich? Eine Katz? Kralln hab ich? War ich etwa gestern eine Katz, als ich Dich verbergen wollt, als ich Dir den ersten Kuß meines Lebens gab, Dir, dem von der Polizei Verfolgten? Hatt ich etwan heut auch Krallen, als ich Dich beim König von der Gefangenschaft losgebeten hab? Hasts vergessen, was ich that und was Du mir schuldest?«

Da fuhr er von ihr zurück, so weit es ging.

»Wer hat mir gestern versprochen, nix wieder von der Vergangenheit zu sagen? Du! Jetzt fangst bereits schon wieder an, zu beginnen! Jetzt kommen


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die Vorwurf! Wie soll das später werden! Ja, eine Katz bist, und Krallen hast! Ich fühl sie bereits in meiner Seele.«

»So geh fort, daßt sie nicht mehr fühlst!«

»Das kann ich halt thun! Behüt Gott!«

»Behüt Gott!«

Er öffnete die Thür. Bereits war er draußen. Da erklang es hinter ihm:

»Anton!«

Er blieb stehen, doch ohne sich zurückzuwenden.

»Anton!«

»Was ist?«

»Solls wirklich so enden?«

»Ja.«

»Es könnt ja ganz anders sein!«

»Freilich.«

»Komm her!«

»Kannst auch zu mir kommen!«

Er war vor der Thür stehen geblieben, den Rücken ihr noch immer zugekehrt. Sie kam herbei, legte ihm von hinten den Arm um den Hals und sagte:

»Komm herein, und sei gut!«

»Willst gehorchen?«

»Laß mich mit fort! Wann ich dann merk, daß man Solches, wie Du gesagt hast, von mir verlangt, so kehre ich ganz von selber zuruck.«

»Nein. Du bleibst gleich heut!«

»Anton, sei doch vernünftig!«

»Sei Du es doch!«

»Es ist ja gar nicht nöthig, daß ich zum Theater geh! Es giebt auch Sängerinnen, die nur in Concerten singen. Ich hab das gehört.«

»Du sollst nicht im Theater und nicht im Concert singen. Ich duld es nicht. Sagst ja oder nicht?«

»Denk doch an den König!«

»Was geht der mich an! Ich bin quitt mit ihm. Ich hab ihm das Leben gerettet, und er hat mir die Freiheit gegeben. Dich aber soll er in Ruhe lassen. Dein König bin ich! Wirst gehorchen?«

Da nahm sie ihre Arme von ihm zurück.

»Gehorchen? Nein!«

Sie sagte das in einem so entschiedenen Tone, daß er sich schnell zu ihr herumdrehte.

»Nicht?«

»Nein. Noch bin ich Dir nicht Gehorsam schuldig!«

»Gut, so sind wir geschiedene Leut!«

»Wann Du nicht anders willst, so muß ich es auch zufrieden sein.«


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Ihre Stimme bebte aber dennoch, als sie das in möglichst gleichgiltigem Tone sagte. Er deutete nach rechts hinüber, nach dem Felsengrate.

»Schau, dort bin ich in der Nacht hinüber. Da hatt ich Flügel; das Glück hatt sie mir geliehen. Aber ich wollt, ich wär da abigestürzt und läg dort unten im Abgrund, wo mich kein Mensch nicht mehr finden könnt!«

»Und Deine Eltern!«

»Die wüßten es nicht anders, und Du wärst ja bei ihnen. Du hasts ja gesagt. Nun aber ists viel, viel schlimmer, als wann ich todt wär. Jetzt ist meine Lieb gestorben, meine Seel gestorben, mein Glück gestorben, Alles, Alles ist todt, nur ich leb noch allein!

»Deine Lieb ist auch gestorben? So kann sie nicht groß und stark gewesen sein. Aber ich kenne Dich schon. Der Zorn spricht aus Dir. Wann eine Zeit vergangen ist, so wirst schon ganz anders denken. Darum sag ich Dir auch jetzt noch: Ueberleg es Dir!«

»Es ist überlegt.«

»Dennoch werd ich Dir von München aus einen Brief schreiben. Wirst mir antworten?«

»Nein.«

»Anton, Du wirst antworten; ich weiß es. Du hast mich lieb. Dein Herz wird schon noch den Sieg gewinnen über den starren Kopf. Und wann ich Dir schreib und schick Dir tausend Grüße, so wirst nicht hart bleiben können, sondern mir eine Antwort senden und auch einen Gruß. Nicht?«

Sie legte ihm nochmals die Hand auf den Arm und blickte ihm warm in das Auge. Da zog es ihn herum zu ihr.

»Leni!« rief er aus. »Ich kann Dich nicht fortlassen. Thu mir das nicht an! Bleib hier!«

»Ich muß mein Wort halten; ich habs Deinetwegen gegeben; aber wann ich merk, daß ich dort nicht brav bleiben kann, so komm ich zu Dir zuruck, Anton!«

»Das ist nix! Entweder ganz hier bleiben oder ganz fort von mir, immer, immer! Entscheide!«

»Ich gehe!«

»So ists gut! Du bist doch die falsche Katz, wann Du es auch nicht zugiebst. Ich geh, und Du wirst mich nicht wiedersehn. Behüt Dich Gott auf ewig!«

"Behüt' dich Gott!"

Er stieß sie von sich und stürmte fort.

Sie schlug die Hände vor das bleiche Gesicht. Es war ihr todesweh um das Herz. Sie lauschte mit verdecktem Angesicht, bis seine Schritte verklungen waren. Dann ließ sie die Hände herab.

»Heilige Mutter Gottes, was soll ich thun?« hauchte sie. »Da geht er fort, mein Glück, meine Lieb und mein Leben!«

Und als ob ihre Liebe jetzt mit verzehnfachter Gewalt im Herzen lebendig werde, eilte sie vor an den Rand des Abhanges, wo man den Bergpfad überblicken konnte.


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Da unten ging Anton, gerade an der Stelle, an welcher gestern der König dem Sepp die Wurzeln mit zusammengesucht hatte. Leni hielt die Hand an den Mund und stieß einen Jodler aus. Anton ging weiter, ohne zu antworten. Da überfiel sie eine unendliche Bangigkeit, eine Sehnsucht, welcher sie nicht zu widerstehen vermochte.

»Anton, Anton!« rief sie hinab. Jetzt wendete er sich um.

»Was willst!«

»Komm wieder herauf!«

»Fallt mir nicht ein!«

»Ich will bleiben!«

»Jetzt brauchsts nun auch nicht mehr!«

Er ging und verschwand um die Ecke. Da eilte sie vom Rande zurück, an der Hütte vorüber und den Pfad hinab. Sie wollte ihm folgen, ihm gute Worte geben, ihn festhalten und zurückführen. So schnell sie konnte, folgte sie ihm. Sie erreichte die Stelle, an welcher er verschwunden war. Eben wollte auch sie um die Ecke, da fuhr sie noch rechtzeitig wieder zurück. Sie hatte Jemand reden gehört. Sie blieb stehen und horchte. Da sagte eine Stimme, in welcher sie diejenige ihres Pathen, des alten Wurzelsepp, erkannte:

»Bist verrückt, Anton! Was fallt Dir ein?«

»Nein, ich kanns nicht dulden!«

»Aber Du stößst Dein Glück von Dir!«

»Ein Theaterglück!«

»Red keine Dummheiten! Du wärst der Kerl, über Kunst und Glück parleriren zu können! Da bist viel zu dumm dazu. Verstanden? Von mir kannst so ein Wort annehmen. Ich bin alt und meins ehrlich mit Dir!«

»Ich mag keine Theaterpuppen haben!«

»Das wird die Leni nicht!«

»O doch, und schon sehr bald!«

»Da kennst sie schlecht und mich auch!«

»Ich kenn sie sehr wohl. Sie ist eine falsche Katzen. Und Du, Du wirsts halt auch nicht anders machen können, wanns mit ihr bergunter geht.«

»Oho! Thu nicht so klug! So gescheidt wie Du bin ich allemal auch. Nicht bergunter sondern bergauf wirds mit ihr gehen.«

»Ja, bergauf, bis da hinauf, wo die wohnen, welche ein Jeder haben kann für Geld.«

»Himmelsakra! Was meinst?«

»Ich mein, was ich sag. Ich mag nix mehr von ihr wissen. Sie will ihre Schand, und so mag sie sie auch haben. Eine Hur' brauch ich nicht. Adieu!«

Er stürmte weiter. Der Wurzelsepp schleuderte ihm noch einige zornige Worte nach und setzte dann seinen Weg fort. Er hatte zu Leni gewollt und war ihm begegnet. Als er um die Ecke trat, sah er das Mädchen schluchzend an dem Felsen lehnen. Er ergriff sie bei der Hand.


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»Komm zuruck, Leni! Der Kerl soll für das Wort, was er jetzt gesagt hat, Dir noch zu Füßn knien und Dich um Verzeihung bitten. Komm, Lenerl, komm!« - - -

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Drittes Capitel.

Der Wasserfex.

Der Herbst, in welchem die letzt erzählten Ereignisse sich begeben hatten, war in das Land gegangen, der Winter ihm gefolgt. Nach diesem hatte der Frühling seinen Weg über die hohe Mauer der Alpen herüber gefunden; laue Lüfte begannen zu wehen; die Knospen an Baum und Strauch brachen auf, und an vielen Fruchtbäumen waren auch bereits die Blüthen zu sehen.

Nur der Tannenwald, welcher den Berg bedeckte, schien den Gruß des Frühlings noch nicht empfangen zu haben. Ernst und finster zog er sich hüben empor, um drüben sehr steil wieder hinabzusteigen, und nur wenige junge, grüne Spitzen zeigten, daß der Mai seinen Einzug gehalten hatte.

Durch diesen Wald und über die Höhe hinweg zog sich ein ziemlich breiter Pfad, reich mit abgefallenen Tannennadeln bedeckt und also weich, wo nicht die Wurzeln der Bäume die Oberfläche berührten. Er war wohl nur für Fußgänger angelegt, doch zeigten auch einige veraltete Radspuren, daß hier auch Wagen gegangen waren, Holzfuhren wohl, wie sie im Walde ja hier und da nothwendig sind.

Diesen Weg stieg eine Dame hinan. Sie war ziemlich corpulent, mochte gegen dreißig Jahre zählen und blieb von Zeit zu Zeit verschnaufend stehen, ein sicheres Zeichen, daß ihre Wohlbeleibtheit eigentlich nicht für eine solche Bergtour prädestinirte.

Ihre eigentliche Kleidung war nicht zu sehen, da ein grauer Staubmantel bis zu den derben Bergschuhen herniederhing; dennoch gab es an ihr Einiges, was auffällig zu nennen war.

Sie trug einen großen, breitkrämpigen Amazonenhut mit einer riesigen Feder, welche hinten bis auf die Schulter herabhing. Hinter ihrem Ohre steckte eine Gänsefeder, deren schwarze, nasse Spitze verrieth, daß vor kaum Minuten noch mit ihr geschrieben worden war, und an dem Regenschirm, welchen die Dame trug, war anstatt des Griffes oder Knaufes ein silbernes Tintenfaß angebracht, dessen Deckel geöffnet war und also errathen ließ, daß die Tinte sich in Gebrauch befunden hatte. Unter dem Arme trug die Dame ein Buch und auf dem Rücken an einem Riemen einen Plaid. Dieser war zusammengerollt, doch guckten an der einen Seite der Rolle das Eckchen einer Semmelzeile und das Ende einer Wurst neugierig heraus.

Langsam, sehr langsam ging es bergauf. Die Dame suchte mit den Augen nach rechts und nach links, nicht nach Pflanzen etwa, sondern es war ihren Blicken anzusehen, daß sie auf irgend einen Menschen zu treffen hoffte.


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Dieser Wunsch sollte in Erfüllung gehen. Aus einem schmalen Seitenwege trat ein Mann oder vielmehr ein Männchen von sehr kleiner, sehr schmaler und dünner Statur, aber außerordentlicher Beweglichkeit. Er trug schwarze Hosen, schwarzen Frack, schwarze Weste, einen schwarzen, sehr breitkrämpigen Künstlerhut, schwarze Glacéhandschuhe, einen schwarzseidenen Regenschirm und einen schwarzen, ebenholzenen Spazierstock. Auf der langen, schmalen Nase saß ein Klemmer, in schwarzes Horn gefaßt. Die Stiefel waren von Lackleder gefertigt, und auf der Schleife seiner Halsbinde glänzte ein ziemlich großer, werthvoller Diamant.

Als die Dame ihn erblickte, blieb sie stehen.

»Guten Morgen, mein Herr!« grüßte sie.

»Guten Morken, buona mattina, Signora,« antwortete er.

»Es geht sich sehr langsam hier herauf.«

»Sehr! Largo, largo assai, largo di molto!«

»Sind Sie hier bekannt?«

»Begannt? O, ich sein begannt! Ich gennen jeder Weg und jeder Baum.«

»Hat man noch weit in die Thalmühle?«

»In die Thalmühlen? Gar nix weit, gar nix. Nok ein halber Stund.«

»Und immer diesen Weg?«

»Immer, sempre. Ich wohnen dort.«

»Ah, das ist schön! Wie wohnt es sich dort?«

»Ausgeseichnet, sehr vortrefflik, eccellente, egregio, perfetto - ßehr, ßehr!«

»Ich wohne auch dort.«

»Auk? Hab nix gehabt die Ehr, ßu ßehen Signora.«

»Ich ziehe erst jetzt ein. Mein Name ist Franza von Stauffen. Mein Vater ist mit der Schwester Elisa bereits nach der Mühle. Ich aber habe, als wir die Bahn verließen, diesen romantischen Waldweg eingeschlagen. Ich bin nämlich Dichterin.«

»Dickterin? Eine Poeta? Eine Verseggiatora? Ssehr schön, ßehr schön! Vortrefflick. Ich erlaube mir, mich vorßustellen. Ich bin Signor Rialti, Concertmeister.«

Dabei nahm er den Regenschirm wie eine Violine an das Kinn und strich mit dem Spazierstocke wie mit dem Violinbogen darüber hinweg.

»Sehr angenehm, Signor! Wir sind also geistesverwandt. Gehen Sie nach der Mühle?«

»Ja, ßehr, ßehr grade!«

»So darf ich mich Ihnen wohl anschließen?«

»Gern, ßehr gern, molto gern, Signora. Ich sein ganz froh, ßuh haben Ihrer Gesellschaft!«

Er fuhr dabei mit dem Stocke über den Regenschirm, als ob er einen lustigen Läufer geige und schloß daran einen Triller, bei welchem alle Finger der linken Hand zappelten.

Die Beiden gingen eine Strecke neben einander her, ohne zu sprechen.


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Sie beobachteten und taxirten einander mit verstohlenen Seitenblicken, bis sie auf der Höhe ankamen, wo der Weg sich wieder abwärts senkte.

Da, an dieser Stelle war ein Leichenbrett an einen Baum befestigt.

In vielen, besonders katholischen Gegenden ist es nämlich Sitte, an Gräbern und an Stellen, wo Jemand verunglückt ist, ein langes, schmales Brett anzubringen, auf welchem die nöthigen, oft aber auch unnöthigen Bemerkungen angebracht sind, meist Verse von sehr zweifelhaftem Werthe. Da der Tischler, welcher das Brett hobelt und bemalt, meist auch der Dichter der Reime ist, so darf man an diese Letzteren keine künstlerischen Ansprüche erheben. Oft kommt es da vor, daß ein solches Gedenkbrett einen ganz entgegengesetzten Eindruck als den beabsichtigten ernsten macht.

So war es auch hier. Auf dem Brette war nämlich ein Baum abgemalt, welcher auf einem Menschen lag, und darunter stand:

»Beglückt und ohne Sorgen
Ging ich am frühen Morgen
   Auf meine Arbeit aus.
Da traf mich eine Eiche,
Und ach, als eine Leiche
   Kam Abends ich betrübt nach Haus.«

Die beiden Wanderer blieben stehen und lasen die eigenthümlichen Reime.

»Wie gefällt Ihnen das Gedicht?« fragte die Dame.

»Es ist kut, ßehr kut, ßehr!«

»Ja. Der Dichter hat seine Sache gut gemacht. Es kommen darin vor Glück und Sorgen, eine Eiche, eine Leiche, der Morgen und auch der Abend. Das ist genug für diese wenigen Zeilen. Der Dichter hat einen beneidenswerthen Gedankenreichthum besessen. Er ist im Wald zu Hause; das hört man gleich. Der Wald begeistert zur Poesie. Hören Sie zum Beispiel, was ich auf uns Beide jetzt dichte!«

Sie schlug ihr Buch auf, zog die Feder hinter dem Ohre hervor, tauchte sie in den Regenschirmknopf, schrieb einige Zeilen und las dann vor:

»Im Wald gehn wir spazieren
Und thun uns amüsiren,
Ein Herrchen thut mich führen;
Zu Zweit - gehn wir auf Vieren.«

Sie blickte ihn erwartungsvoll an, was er dazu sagen werde. Er machte ein Gesicht, als ob er mit der rechten Hälfte lachen und mit der linken weinen wolle.

»Nun, wie gefällt es Ihnen?« fragte sie.

»Köstlich, ßehr köstlich! Dispentioso, prezioso

»Nicht wahr! Nun sollten Sie erst meine Reime hören, wenn ich im Kostüm dichte. Dann kommt der Geist über mich, und ich dichte unvergleichlich. Was aber diese Gedenktafel betrifft, so muß hier höchstwahrscheinlich ein Unglück passirt sein.«

»Ja, ein Unfall, una sventura, una sciagura


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»Ich wäre begierig, es zu erfahren.«

Da erscholl eine Stimme hinter einem Busch hervor:

»Das könnet Ihr halt schon bald erfahren.«

Die Beiden erschraken und drehten sich nach der Seite um, in welcher gesprochen worden war. Ein alter, graubärtiger Mann trat hinter dem Busche hervor und nahm höflich den Hut ab, durch dessen viele Löcher zahlreiche Zweige gesteckt waren.

»Grüß Gott die Herrschaften!« sagte er. »Ihr braucht Euch nicht zu fürchten. Ich thu Euch nix.«

»Wer sind Sie?« fragte die Dame.

»Wer soll ich sein? Der Wurzelsepp bin ich.«

»Diesen Namen habe ich schon gehört, wohl vorigen Herbst, wenn ich mich nicht irre.«

»Das ist halt richtig. Ich kenne Dich.«

»Wirklich?«

»Ja. Du bist die Schwester der Mondsüchtigen, die Dichterin. Du hast da drüben gegen die Grenz hingewohnt und dem Krikelanton damals aus der Patschen geholfen.«

»Mein Gott! Das weißt Du?«

»Alle Welt hats erfahren. Aber Du brauchst Dich halt nicht darüber zu schämen. Es war ganz sehr brav von Dir. Also, was dies Brett zu bedeuten hat, willst wissen?«

»Ja; weißt Du es?«

»Das wohl. Hier ist nämlich ein armer Holzknecht von einer großen Eichen erschlagen worden, die er hat fällen wolln. Da habn sie ihm das Gedenklein her gehangen.«

»Der Arme! Hat er Familie hinterlassen?«

»Einen Buben, den Wasserfex unten in der Thalmühl. Wann Du hinuntergehst, wirst ihn sogleich sehn. Er sitzt am Wasser und fährt die Leut über. Gehst wohl hinab?«

»Ja.«

»Ich auch. Wir können halt mitsammen gehn.«

Er fragte also gar nicht, ob es der Dame und dem Herrn angenehm sie, daß er mit ihnen ging. Er holte ganz einfach seinen Rucksack hinter dem Busche hervor, warf ihn über den Rücken und schritt neben den Beiden her.

Der Concertmeister machte ein saures Gesicht; die Dichterin aber betrachtete den Sepp mit freundlichen Augen.

»Freut mich, daß ich Dich kennen lerne,« sagte sie. »Ich habe die Naturkinder gern.«

»Ja, die unnatürlichen hat man niemals gern,« antwortete er sehr ernsthaft.

»Bist Du auf der Mühle bekannt?«

»Sehr.«

»Es wohnt sich gut da?«

»Ja und nein. Wer als Badegast hier wohnt, dem gehts halt nicht


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sehr übel; wer aber als Gesind beim Müller ist, der mag sich schon in Acht nehmen.«

»Ist er schlimm?«

»Ja, er und seine Peitsch.«

»Wie! Gebraucht er die Peitsche?«

»Sehr. Er leidt nämlich an der Gicht und kann also nicht von der Stell, sondern sitzt Tag und Nacht in seinem Lehnstuhl. Damit er nun trotzdem das Gesind erreichen kann, hat er sich eine lange Peitschen angeschafft, welche über die ganze Stub weggeht. Wann er nun was anbefiehlt und es geschieht nicht sogleich, so greift er zur Peitschen und giebt dem Befehl solch eine Kraft, daß sofort Alles rennt. Darum heißt er auch der Peitschenmüller. Am Schlechtsten hats der Fex bei ihm.«

»Der Sohn des verunglückten Holzknechts?«

»Ja. Damals hat Niemand das arme Kind annehmen wollen, welchs bereits vorher ein Waisenkind gewest ist. Es ist nämlich mal eine Zigeunerband hier gewest, die den kleinen Bubn hier zuruckgelassen hat. Der Holzknecht hat sich seiner angenommen, und als er von der Eich' erschlagen worden ist, da fand sich Keiner, der den Buben haben wollt. Da ist er dann von Gemeindewegn zum Müller gethan worden. Der hat ihn erzogen, aber wie. Mit der Peitschen, mit Hunger, Durst, Frost und nix weiter sonst.«

»Das ist doch unmenschlich!«

»Was fragt der Müller darnach. Der Bub hat alle Schul versäumen müssen und nix lernen können, weil er für vier Personen arbeiten mußt. Jetzt nun hat er die Fähre über bei Tag und Nacht. Er bekommt halt keinen rothen Pfennig dafür, denn Alles, was er einnimmt, muß er dem Müllern geben. Wann Ihr seine Kleider anschaut, so wirds Euch warm ums Herz werden. Und mit der Nahrung ists ebenso.«

»Wie alt ist er?«

»Das weiß Niemand genau. Ich schätz ihn halt so achtzehn Jahr. Er ist ein ganz besonderbarer Mensch, gar nicht wie andere Bubn. Er spricht ganz selten ein Wörtle. Wer ihn nicht kennt, der muß ihm die Antwort abkaufen. Aber er hat auch Ursach dazu, denn Alles, Alles hackt auf ihn eini, und wann ein Unrecht geschehen ist, so soll er es gewesen sein.«

»Ist er denn so wild?«

»Wild ist er halt schon, stark und gewandt wie ein Luchs. Sie haben ihn zum Thier gemacht, und nun kann ihn auch Keiner nicht zähmen als nur die Paula allein.«

»Wer ist das?«

»Dem Müllern seine Tochter, sein einziges Kind. Er ist der reichste Mann im ganzen Kreis, und sie ist seine einzige Erbin, ein Dirndl wie Schneeglanz und helle Morgenröth. Ich hab fast noch niemals kein so schöns und lieblichs Maderl geschaut. Wer sie anblickt, der muß ihr gut sein, und wann im Fruhjahr die Badeherrschaften kommen und droben in der Stadt wohnen, so hat der Müllern hier herunten in seiner Mühl ein Resterauterazionen ein-


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gericht, was eigentlich ein Schankwirthschaften ist, und nachher kommen die Herrschafterle allzutag herab, um hier zu essen und zu trinken, eigentlich aber nur um die Paula anzuschaun.«

»So ist sie wirklich so hübsch?«

»So hübsch, daß kein Malerkünstler ihr Bild so fertig bringen könnt, wie sie wirklich ist. Allhier herum wird sie oft auch die Eichkatzerlpaula genannt, weil - - na, horcht! Da ist sie ja!«

Aus dem Wald heraus, dessen Tannen sich jetzt mit Buchen und Eichen mischten, erklang eine milde, liebliche Frauenstimme:

»Die Eichkatzerln schaun mir
   So freundlich ins G'sicht,
Und die Eichkatzerln lieb ich,
   Doch die Bubn lieb ich nicht.«

»Das ist die Paula?« fragte die Dichterin.

»Ja. Und wann Du sie sehn willst mit ihren Katzerln, so komm mit; aber thu sacht und stat, daß Du die Thierlern nicht verscheuchst!«

Er drang in den Wald ein, und die Beiden folgten ihm leise und vorsichtig. Sie waren nur wenige Schritte gegangen, links abseits vom Wege, so hörten sie dieselbe klare, reine, sympathische Stimme:

»Die Eichkatzerln klettern
   Zum Baume hinan,
Das Männerl mit dem Weiberl
   Und das Weiberl mit dem Mann.«

Ein leises, süßes Zirpen ließ sich hören, wie wenn man ein Lieblingsthier mit zärtlichen Lippen lockt, und dann ertönte von derselben Stimme und in derselben Melodie:

»Wär ich so ein Kätzerl
   Herinnen im Wald,
Ich sucht mir ein Männerl
   Und fänds wohl auch bald.«

Dann hörte man wieder den lockenden Ton, und als die Drei weiter schlichen, hörten sie die Stimme sprechen:

»Hanserl, willst gleich schaun, daß Du zuruck gehst! Das Buchheckerl ist für die Gretl, aber nicht für Dich. Und Du, Liesbetherl, komm halt auch her! Hier hast ein Zuckerküchle. Du warst doch krank in letzter Woch. Hast im Winter hungern müssen, arms Schöpferl! Jetzt nun aber wirst bald wieder gesund und lustig werden, wann ich Dir Arzneien bring und ein hübsch Liedel dazu.«

Jetzt hatten die Drei den Saum einer kleinen Lichtung erreicht, und es bot sich ihnen ein Anblick, wie man ihn wohl nur in einem lieblichen Kindermärchen beschrieben finden kann.

Es gab da mehrere nahe bei einander liegende und von weichem Moose überzogene Felsenblöcke. Auf einem derselben, der hart am Stamme einer Buche lag, saß ein vielleicht sechszehnjähriges Mädchen, in die Landestracht


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gekleidet, aber von einer Schönheit, wie man sie fast nur auf Gemälden finden kann.

Die Wunderliebliche hatte ein Bein über das andere gelegt, so daß das kurze Röckchen sich noch höher als gewöhnlich emporgezogen hatte. Ueber den kleinen, kinderzarten Füßchen, welche in niedrigen Schuhen steckten, legten sich weißglänzende Strümpfe um die kräftigen, über das Alter entwickelten Waden, welche bis an die rothledernen Strumpfgürtel zu sehen waren. Oben umschloß eine Taille, welche man mit den Fingern umspannen konnte, obgleich sie aus vollen, runden Hüften herauswuchs, ein rothsammetnes, tief ausgeschnittenes Mieder, von der weißen Krause des Hemdes umsäumt und von breiten, silbernen Schlössern zusammengehalten. Diese Schlösser bildeten den einzigen Metallschmuck, welchen das reizende Mädchen trug. Die glänzenden Schultern waren entblößt, da Paula das Jäckchen ab- und neben sich gelegt hatte, die schön geformten Arme ebenso. Das rosige Gesicht war von einer unbeschreiblichen Lieblichkeit, und die zwei starken Zöpfe, in die das reiche Haar geflochten war, hatte Paula nach vorn genommen, so daß sie weit über die Brust herabhingen.

Dieses Bild jugendlicher Anmuth und Schönheit wurde belebt durch eine wunderhübsche und seltene Staffage. Nämlich rund auf den Steinen hockten in den possirlichsten Stellungen eine ganze Zahl rother und schwarzer Eichhörnchen. Eins saß in dem kleinen Gebirgshütchen, welches am Boden lag, wie ein Hühnchen im Ei und knupperte an einer Nuß. Ein Anderes, das >kranke Liesbetherl< war in das Jäckchen warm und fürsorglich eingewickelt und streckte das Köpfchen mit den klugen Aeuglein und den beiden Ohrfahnen heraus. Ein Drittes war dem Mädchen auf den Schooß gesprungen, hatte den Verschluß des Hemdes aufgerissen und sich nun in den warmen, keuschen Busen gehuschelt, aus welchem beneidenswerthen Plätzchen es vergnügt hervorlugte. Ein Viertes saß auf der einen Achsel Paulas und beugte das Köpfchen weit vor, um ihr ein Zuckerstück von den Lippen zu nehmen. Es mochten wohl acht oder zehn dieser Thierchen sein, welche so zahm waren, daß ein Jedes auf seinen Namen hörte und an der Herrin emporsprang, wenn derselbe genannt wurde.

»Nun, hab ich halt Recht?« flüsterte der Sepp.

»Ein wunder-, wunderliebliches Bild!« antwortete die entzückte Dichterin.

»Ja, lieblick, ßehr lieblick! Giocondo ed dilettevole, forte dolce ed soave!« stimmte der italienische Concertmeister bei, indem er den Regenschirm wie ein Cello ansetzte und leise mit dem Stocke darüber strich, als ob er im Begriff stehe, einige gefühlvolle Tacte vorzutragen.

Aber dieses lebende Bild wurde leider unerwartet gestört. Es gab noch einen Lauscher, welcher ungesehen hinter einer Tanne gestanden hatte, ein großer, starker Bursche, welcher jetzt hervortrat.

"Schau die Paula!"

»Schau, die Paula!« rief er mit rücksichtsloser Stimme. »Da futterts und hätschelts wieder die Viehzeuger; Unsereinen aber läßts hungern und


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dursten. Wann ich nur auch mal da drin stecken könnt, im Mieder, da wo das Eichthier steckt! Da wollt ich mich schon auch so wohl befinden.«

Das Mädchen sprang erschrocken auf. Ihr Gesichtchen glühte vor Scham, so halb entblößt überrascht zu werden. Während sie schnell nach der Jacke griff, um sie anzuziehen, entflohen die Eichhörnchen blitzschnell an den Bäumen empor.

»Wie roh!« flüsterte die Dichterin. »Man sollte diesem Flegel einige Hiebe geben!«

Der Wurzelsepp war mit den Augen unwillkürlich den kleinen Flüchtlingen gefolgt und hatte hoch oben in einer Baumkrone Etwas entdeckt, was ihn zu der leisen Antwort veranlaßte:

»Hab keine Sorg'! Er bekommt schon seinen Zahlaus. Schau, dort oben sitzt der Wasserfex in den Zweigen. Das wird ein Theadrum mundi geben, denn der Fingerlfranz, der da kommen ist, hats auf die Paula abgesehn; kein Mensch kann ihn leiden, und der Wasserfex hat erst recht ein großes Gift und Gallen auf ihn. Er ist ein starker und gewaltthätiger Patron und malträtirt den Fex, wo er ihn nur finden kann. Der Fex duldet es; aber er fürchtet sich nicht vor ihm. Jetzt nun, wo es um die Paula gilt, wirds wohl ein Schauspiel geben, bei dem auch ich den Stock gebrauchen kann. Schau, wie dem Fex seine Augen förmlich herunterglühen!«

Die beiden Andern blickten empor nach dem Baume, auf welchem der Genannte saß. Die Blätter, welche sich aus den kaum aufgebrochenen Knospen entwickelt hatten, waren noch zu klein, als daß sie ein wirkliches Laubwerk hätten bilden können; sie konnten keiner menschlichen Person als verbergender Schleier dienen; darum hatte sich der Fex eng an den Stamm geschmiegt, um hinter diesem versteckt zu sein. Von da aus, wo Paula gesessen hatte, war er nicht zu sehen, auch von da aus nicht, wo der unberufene Störenfried gestanden hatte. Von der Stelle aus aber, an welcher der Wurzelsepp mit der Dichterin und dem Concertmeister sich befand, war er zu sehen, wenn auch nicht so deutlich, daß man alle Einzelnheiten seiner Gestalt hätte zu unterscheiden vermocht. Man sah ein kleines, im Nacken sitzendes Gebirgshütchen, einen dichten, wirren Busch blonder Haare und ein bleiches, helles Gesicht, aus welchem zwei Augen wie die Lichter eines zornigen Raubthieres herniederfunkelten. Die übrige Gestalt hatte sich so eng an den Stamm und die starken Aeste geschmiegt, daß sie von denselben kaum zu unterscheiden war.

Die drei Lauscher standen so versteckt, daß sie weder von Paula noch von dem Fex oder dem Franz gesehen werden konnten. Fingerlfranz war ein Beiname, welchen der Betreffende jedenfalls von einer Geschicklichkeit erhalten hatte, die droben in den Bergen sehr in Uebung und Pflege ist. Zwei Burschen, welche ihre Kräfte messen wollen, haken ihre Zeige- oder sonst einen beliebigen Finger gegenseitig in einander, und Jeder giebt sich nun alle Mühe, den Andern von seinem Platze weg und an sich zu ziehen. Es kommt dabei sehr oft vor, daß die starken Söhne des Gebirges dabei Bänke, Tische, Stühle und Alles umreißen, was ihnen im Wege steht. Der Franz war als der beste Fingerheld im weiten Umkreise bekannt; Keiner vermochte, ihn zu besiegen,


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und als Anerkennung für diese Stärke und Gewandtheit hatte man ihm den Namen Fingerlfranz gegeben.

Als er jetzt vor dem erschrockenen Mädchen stand, war er das echte, treffende Bild der rohen, ungefügen, rücksichtslosen Körperkraft. Seine großen Füße, welche in derben Nagelschuhen steckten, die starken Waden, von hartwollenen Strümpfen umschlossen, die nackten, massigen, vom Wetter gegerbten Kniee, die stämmigen Oberschenkel, die massiven Hüften, aus denen ein robuster Körper mit außerordentlich breiter Brust hervortrat, der starke Hals mit einem wahren Stiernacken, die wie aus knüppeligem Holze gearbeiteten Arme, deren Muskulatur man deutlich sehen konnte, weil er die Jacke ausgezogen über der linken Schulter trug und die Hemdeärmel emporgestreift hatte, das breite Gesicht mit der niedrigen Stirn, der breiten Stulpnase, den wulstigen Lippen, den hervortretenden Backenknochen und den kleinen, tief liegenden, grauen Augen, das kurz geschorene, struppige Haar, welches an der einen Kopfseite zu sehen war, weil er den Hut auf die andere geschoben hatte, die Spielhahnfeder und der Gemsbart, welche an dem Hute steckten und ihn als Bergsteiger, Schütze und Raufbold kennzeichneten, das Alles waren sichere Zeichen, daß der vielleicht sechs- oder siebenundzwanzigjährige Bursche nicht etwa allzu zart beanlagt sei.

Jetzt stemmte er die mächtigen Fäuste in die Hüften, lachte schallend vor sich hin und sagte:

»Was machst für ein Gesicht, Madel! Bist ja ganz so verschüchtert wie die Eichkatzerln. Möchtst wohl auch gleich vor Angst am Baum emporlaufen?«

Sie hatte sich gefaßt. Erschrocken war sie wohl über sein unerwartetes Erscheinen, aber ihn fürchten, nein, das that sie dennoch nicht. Darum antwortete sie:

»Erschreckt hast mich; aber am Baum emporlaufen, das thu ich nicht, Deinetwegen noch lange nicht!«

»Was? Hast so einen Uebermuth, Du kleins Katzerl Du? Das gefreut mich sehr, denn wann Du Dich nicht vor mir fürchtst, so bist mir am End gar wohl ein Wengerl gut!«

»Ich Dir? Gut? Da irrst Dich! Wann Du Jemand suchst, der Dir gut ist, so mußt anders wohin gehn.«

»So! Schau doch an! Auch aufrichtig bist, mehr aufrichtig, als man wohl verlangen kann. Wie aber kommts dann wohl, daßt mir nicht gut bist?«

»Weil Du so ein Ungestümer bist, der kein Herz hat und kein Gefühl.«

»Meinst? Da bist aber freilich auf falschem Weg, Dirndl. Ein Herz hab ich gar wohl und auch ein Gefühl drin, ein größer und mächtger Gefühl als hundert Andre, die allerwärts seufzen und die Augen verdrehn.«

»Das machst mir nicht weiß!«

»Wird schon die Zeit kommen, wann Du mirs glauben mußt. Grad jetzund, wann ich Dich anschau, merk ich gar am Besten, daß ich ein Herz hab und ein Gefühl. Und da in diesem Herzen drin wohnst Du, Paula. Freust Dich da nicht ein Wengerl drüber?«


Ende der sechsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk