Lieferung 67

Karl May

5. November 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Wanns nur schmeckt!«

»Mußts auch kosten. Da!«

»Dank schön! Unsereinem ist ein Tabak lieber.«

»Und hast keinen?«

»Von nix stirbt man nicht, ist also auch gut. Aberst, was legst denn die Düten weg? Sollsts ja essen.«

»Nein, Buberl, das eß ich nicht.«

»Wer sonst?«

»Zwei Stuckerln bekommt die Muttern und zwei die Bas daneben. Die ist krank und kann fast gar nix mehr genießen. Vielleicht schmeckt ihr diese Conditoreien.«

»Bist doch eine Gute!«

»O nein! Ich bin oft auch eine richtige Zuwiderwurzen, und die Mutter hat manche liebe Noth mit mir.«

»Weiß schon, woher das kommt.«

»Nun, woher?«

»Von dera Lieb, wanns warten muß. Man wird gar so leicht ungeduldig. Und noch Eins bring ich mit, was grad schön für uns paßt. In dera Stadt hab ich ein Bier trunken. Da lag ein Buch aus dem Tisch und ich las darinnen. Da stand das, was ich für Dich abschrieben hab. Soll ichs lesen?«

»Bitt schön, mein guter Stephan!«

Er faltete einen mit Bleistift beschriebenen Zettel auseinander uns las:

»Trost.
 
Hoch, klopfte es nicht an die Pforte?
Wer naht, von Himmelsduft umrauscht?
Woher des Trostes süße Worte,
Auf die mein Herz voll Andacht lauscht?
Wer neigt, als alle Sterne sanken,
Mit mildem Licht und stiller Huld
Sich zu dem Staub- und Erdenkranken?
Es ist der Engel der Geduld.

O, laß den Gram nicht mächtig werden,
Du tiefbetrübtes Menschenkind!
Wiß, daß die Leiden dieser Erden
Des Himmels beste Gaben sind,
Und daß, wenn Sorgen Dich umwogen
Und Dich umhüllt des Zweifels Macht,
Dort an dem glanzumfloss'nen Bogen
Ein treues Vaterauge wacht.

O laß Dir nicht zu Herzen steigen
Die lang verhaltne Thränenfluth.
Wiß, daß grad in den schmerzensreichen
Geschicken tiefe Weisheit ruht,
Und daß, wenn sonst Dir nichts verbliebe,
Die Hoffnung doch Dir immer lacht,
Da über Dich in ewger Liebe
Ein treues Vaterauge wacht.


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O, wolle nie Dich einsam fühlen!
Obgleich kein Aug sie wandeln sah,
Die sorgenheiße Stirn zu kühlen,
Sind Himmelsboten immer nah.
Wer gern dem eignen Herzen glaubte,
Der kennt des Pulses heilge Macht.
Drum wiß, daß über Deinem Haupte
Ein treues Vaterauge wacht.

Drum füge Dich in Gottes Walten,
Und trag Dein Leid getrost und still.
Es muß das Herz ihm stille halten,
Wie ers zum Lichte führen will.«

Als er geendet hatte, sagte sie nichts. Sie lag an ihn gelehnt, den Kopf an seiner Schulter. Sie nahm das Papier aus seiner Hand, drückte es an ihr Herz und weinte leise vor sich hin.

Das war ein Scene so still, so ergreifend. Das waren zwei gute, herzliebe Menschen. Dem Könige stand das Wasser in den Augen. Nach längerer Zeit seufzte der Bursche:

»Ich möcht' doch mal nur für eine Stund wissen, wie es ist, wann man reich ist. Nur für eine Stund. Das möcht gar schön sein. Ich thät mir Eins wünschen, nur Eins und weiter nix.«

»Und was würdest Du Dir wünschen?«

»Dich!«

Sie umschlangen einander eng und warm. Sie küßten sich, aber in einer Weise, welche deutlich verrieth, daß an dieser reinen Liebe kein anderer als nur der Wurm der Armuth nage.

»Weißt,« tröstete sie, »die Reichen sind auch nicht alle glücklich.«

»Das ist freilich wahr. Zum Exempel, ich möcht nicht König sein.«

»Warum?«

»Er hat Alles, was sein Herz begehrt. Aber hat er eine Tabakspfeifen, wann er Appetit verspürt? Darf er ein Bier trinken und einen Schafkopfen spielen? Hat er so ein Dirndl wie ich, was er lieb haben will und lieb haben kann? Nein, ich thät doch nicht mit ihm tauschen. Er ist der Sclaven von seinem Amt. Und grad dera unserige ist so ein lieber und guter! Das ist eine Seel und ein Gemüth von einem Menschen. Da droben hat er eine Sennerin zur Sängrin macht und drunten in Scheibenbad einen armen Fährmann zum Virtuosen. Hasts auch hört?«

»Ja. Die Bas hats verzählt, und Alle haben sich drüber gefreut.«

»Du, wann der mal heraufi käm!«

»Geh! Da thätst vor Angst zittern!«

»Ich! Was denkst von mir!«

»Vor einem König? Und nun gar vor so einem! Ich thät gleich in die Knieen zusammenbrechen. Schon wann man einen noblen Herrn schaut, er braucht gar kein König zu sein, da hat man gleich eine Angsten und Bangigkeiten. Weißt, so einen, wie den Herrn Ludwigen in Hohenwald.«


// 1587 //

»Kennst den?«

»Nein. Mein Brudern, dera Ludwig, hat ihn mir beschrieben und dabei sagt, daß er ein gar feiner, guter und vornehmer Herr sei. Den habens gar dermorden wollen.«

»Sollt mans denken!«

»Ja, zwei Slowaken sinds west; aber mein Brudern hat ihn warnt.«

»So hat er ihm wohl das Leben gerettet?«

»Fast möcht ichs denken.«

»Der Glückliche! So wird er wohl auch eine Belohnungen erhalten.«

»Nein. Er hat sagt, daß er diesen Herrn Ludwigen so von Herzen lieb hat, daß er nix, gar nix von ihm annehmen mag.«

»Ist er nicht da dumm? Dieser Herr kann es ja vielleicht geben. Für ihn ists gar nix, und für Unsereinen ists wie eine Million.«

»Geh! Bist auch ein Sauberer! Willst Dir eine Gutthat gleich bezahlen lassen!«

»Hanna, was denkst von mir! Kennst mich denn nicht besser? Ich habs ja gar nicht so meint, wie Du es nommen hast. Hab ich nicht sagt, daß ich mit dem König nicht tauschen thät? Aber, denk mal, wann ich dem guten König Ludwig einen Dienst erweisen könnt, der ihm was werth wäre und er könnt mich und Dich mit einem Worte glücklich machen, so könnt ichs wegen meiner wohl abschlagen, aber nicht wegen Deiner und seiner. Für ihn wärs ja eine große Beleidigungen, und außerdem thäts ihn drücken und nagen sein Lebelang, daß er einem armen Teufel was schuldig ist und hats nicht abtragen können. Kannsts mir glauben, ein gutes Wörtle von einem armen Arbeiter kann einen braven König so glücklich machen wie Unsereinen hunderttausend Thalern.«

»Ja. Das kann ich mir schon denken. Aber es soll auch gar grausam sein, was so ein großer Herr immer zu geben hat. Das soll man nicht thun. Schau, mein Vatern ist auf dera Jagd, wo er Treiber wesen ist, von einem hohen Hofherrn so ins Bein schossen worden, daß es ihm hat abschnitten werden mußt. Er ist ein Krüppel worden und hat fast gar nix mehr verdienen können. Viele haben ihm sagt, er soll doch an den König schreiben. Der Herr Pfarrer hat ihm ein gutes, ein schönes Attestum geben wollt; aber er hat stets antwortet, daß er das nicht thun mag, weil dera gute König für so viele Andre auch zu sorgen hat. Er hat lieber hungert mit uns und ist auch bald vor Armuth storben. Der Herrgott schenk ihm die Seligkeit, dem treuen Vatern. So solltens Andre auch machen. Schau, mein Brudern hat von dem Herrn Ludwigen nichts nommen; dera Dank dafür ist ihm sogleich vom Himmel schickt worden. Er war vorhin hier und ist ganz glücklich gewest, denn dera steinreiche Kerybauer drunten in Slowitz will ihm die Gisela, sein einziges Kind geben. Wir haben vor Freud und Seligkeit so weinen mußt, und das war die frohe Botschaft, die ich Dir bringen wollt; darum hab ich Dir das Zeichen geben, daßt aufikommen sollst.«

»Wast sagst! Dem Kerybauer seine Gisela?«


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»Ja.«

»Das allerschönst Dirndl und so reich!«

»Sie hat ihn so lieb und er sie auch. Und ich glaub, er muß dem Kery auch einen schönen Dienst erwiesen haben, denn der hat ihn gleich mit an den Herrentisch nommen und auch sogar im Gasthofen mit ihm Karten spielt.«

»Sappermenten! Das heißt Etwas! Das kann mich gefreuen. Das ist grad so, als obs mir selbsten widerfahren sei. Dera Ludwig ist ein Braver, den ich sehr lieb hab und alles Gute gönnen thu.«

»Sollst nur meine Mutter hören! Die schwebt jetzund in allen Himmeln.«

»Und Du auch mit!«

»Ja, denn weißt, wann nachhero dera Ludwig Bauer ist, dann wird er schon auch drauf schauen, daß wir Beid zusammenkommen. Denkst nicht auch?«

»Ja, das thut er ganz gewiß.«

»Und freust Dich drauf?«

»Das kannst Dir denken! Freilich darfst nicht zu viel von ihm verlangen. Wann er auch die Tochtern nimmt, so ist er doch dera Bauer nicht. Er bleibt so arm wie vorher und kann nicht von seinem Schwiegervatern verlangen, daß der um unsertwillen ein großes Opfer bringt.«

»O Jegerl! Daran hab ich gar nicht dacht. Ich hab glaubt, die Hilf sei nun nahe.«

»Nein. Das darfst dem Bruder gar nicht anthun, daßt ihn um was bittest. Du machst ihm da nur Schmerz und Verlegenheiten. Wollen lieber geduldig noch ein paar Jährle warten. Dera Herrgott wird dann schon ein Einsehen haben. Wann wir uns nur lieb behalten. Vielleicht derscheint uns nachhero mal eine Fee und giebt uns einen Wunsch auf, der in Erfüllung geht.«

»Wanns nur auch welche gäbe!«

»Leider! Ja, es sollt welche geben. Das wär eine Herrlichkeiten, wann zum Beispiel jetzt, in diesem Augenblicke eine Stimme vom Himmel herab käme und zu mir sagte - - -«

Er wollte weiter sprechen; er wollte sagen, welche Worte er von dieser Himmelsstimme hören möchte; aber er verstummte, denn in demselben Augenblicke erscholl es über ihnen, grad wie aus den Wolken heraus:

»Höhlbauers Stephan, sag mit lauter Stimme einen Herzenswunsch! Er soll Dir heut noch in Erfüllung gehen!«

»O Du liebs Herrgottle,« rief Hanna, auf das Tiefste erschrocken.

Sie sank von dem Felsensitze herab auf ihre Kniee, faltete die Hände und wagte nicht, empor zu blicken.

Ihr Bursche aber stand zwar auch vor Ueberraschung starr und steif, aber in seinen Augen glänzte das Licht entschlossenen, freudigen Vertrauens. Er lauschte. Zum zweiten Male ließ sich die Stimme vernehmen:

»Höhlbauers Stephan, sag mit lauter Stimme einen Herzenswunsch! Er soll Dir heut noch in Erfüllung gehen!«

Da nahm er sich zusammen und antwortete laut und deutlich:

»So bitt ich von ganzem Herzen, gieb mir da meine Hanna zur Frau!«


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Ein Augenblick verging, dann fragte die räthselhafte Stimme:

»Hanna Held, bist Du mit diesem Wunsche einverstanden?«

»Antworte rasch!« bat Stephan.

»Ja,« hauchte sie.

»Lauter!«

»Ja.«

»Immer lauter! Um Gotteswillen, red laut! Sonst gehts vorüber!«

Da nahm sie sich zusammen, preßte beide Hände an die Brust und rief:

»Ja, von ganzem Herzen!«

Und nun folgte sofort die Bestätigung:

»Der Wunsch ist erfüllt. Seid fromm und gut, seid glücklich!«

Hanna blieb auf ihren Knieen liegen, und Stephan stand noch eine ganze, lange Weile, bevor er es wagte, den Blick zu erheben.

Das war die gewöhnliche Umgebung, ganz dieselben Steine, Bäume und Büsche; aber dennoch waren sie so ganz anders. Der Grund lag nicht in der äußeren Natur, sondern im Innern der beiden jungen Menschenkinder.

»Ists vorbei?« fragte das Mädchen.

»Ja, kannst aufistehen.«

»Aber, wanns noch da ist!«

»Ich steh ja auch.«

Sie erhob sich, sah ihm mit einem großen, weiten Blicke in die Augen und sagte:

»Hältsts für möglich?«

»Ja.«

»Wir hatten davon sprochen. Wer mags gewesen sein? Eine Fee?«

»Nein. Eine Fee ist eine Frau; diese Stimme aber war männlich.«

»So wars ein Engel.«

»Wer weiß es! Weißt, Mancher thät vielleicht sagen, daß Jemand hier gewest sei, der unser Gespräch gehört und nachhero den Engel macht hat. Ich glaub, daß es ein gutes Wesen war, und werd schauen, was nun folgen thut.«

»Das ist das Allerbest. Ich glaub auch daran.«

»Oder soll ich mal suchen, ob Jemand da oben steckt?«

»Nein, thu es nicht. Ich bitte Dich!«

»Gut. Aber Hanna, wanns eintreffen thät! Bereits heut!«

»Welch ein Glück!«

»Dann aber müßten wir auch sein Gebot erfüllen. Wir müßten immer fromm und gut sein. Dann wären wir auch glücklich.«

Sie blickte ihn so fromm und innig an, ohne zu antworten. Er zog sie an sich und fragte:

»Wirsts Deiner Muttern sagen?«

»Darf man das?«

»Ja. Ich sag es dem meinigen Vatern gleich auch.«

»Wann er darüber lacht!«


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»So mag er lachen. Es wird sich doch schon heut zeigen wer Recht hat. Bleiben wir noch hier, meine Hanna?«

»Nein, wollen gehen. Es ist mir allzu heilig hier. Ich kann kaum Athem holen. Sehn wir uns heut noch mal wieder?«

»Vielleicht. Bei wem Etwas passirt, der kommt eilends zum Anderen gelaufen. Hier hast die Hand, mein gutes Dirndl! Ich möcht gleich niederfallen und beten, daß es doch ein Engel gewest sein möge! Diesen Tag und diese Stund aber werd ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen.«

Sie nahmen zärtlich Abschied und gingen dann auseinander. Der König hatte die Worte von oben herab gerufen. Dann war er schnell hinter die Büsche geschlüpft und hatte versucht, auf einem Umwege den abwärts führenden Pfad zu erreichen. Die beiden jungen Leute waren ihm bekannt, wenn auch nicht persönlich. Als er am Montage den Großknecht Ludwig nach seinen Familienverhältnissen ausgefragt hatte, war ihm von diesem eine ziemlich ausführliche Mittheilung gemacht worden. Auch seines verkrüppelten Vaters hatte er erwähnt. Der Monarch war gleich auf den Gedanken gekommen, den von Ludwig zurückgewiesenen Dank auf dessen Familie überzuleiten. Er hatte das Nöthige schleunigst verfügt, und vorhin hatte der Courir das Document gebracht, welches der König nun in der Tasche trug.

Er schritt eilig und in sehr animirter, ja sogar gehobener Stimmung den Berg hinab. In der Nähe des Dorfes fragte er einen ihm begegnenden kleinen Jungen nach der Wittfrau Held und wurde nach einem kleinen Häuschen gewiesen, dessen Firste er beinahe mit der ausgestreckten Hand hätte erreichen können.

Er machte einen weiten, weiten Umweg, um von einer ganz andern Seite zu kommen. Er stieg sogar in eine Schlucht hinab, um den Anschein zu erwecken, daß er ja nicht mit der Fee da oben auf dem Berge in Beziehung stehe.

So kam er also von Süden heraufgestiegen, als Hanna von dem nach Norden liegenden Berge kommend, langsam über die Haide schritt.

Grad bei ihrem Häuschen begegneten sie sich. Sie wollte zur niedern Thür hinein und glaubte, er werde vorübergehen. Er aber lüftete den Hut und sagte:

»Verzeihung, liebes Kind! Wohnen Sie in diesem Häuschen?«

»Ja,« antwortete sie, leicht verlegen.

»Ich bin durstig. Haben Sie nicht vielleicht einen Schluck Milch für einen armen Wandersmann?«

Sie warf einen lächelnden Blick auf sein Aeußeres und sagte:

»Ja, ein gar arg Armer scheinens zu sein; aberst die Milch bekommens halt immer gern. Wollens eine gestandene welche mehr kühlt, oder eine gleich von dera Kuh weg, welche man trinkt, wann man verhitzt ist?«

»Eine kühle.«

»Sogleich.«

Sie trat nur einen kurzen Augenblick in die Hütte und brachte ein ein-


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faches Tischchen und einen Stuhl heraus, beide glänzend vor Sauberkeit, trotzdem sie keine Zeit gehabt hatte, abzustäuben.

»Bitt schön, wanns sich setzen wollen! Dahier giebts einen guten Blick hinauf in die Berge und hinab ins Land. Die Luft ist so rein und mild, und wann nachhero auch die Milchen noch mundet, so soll es mich gefreun.«

Das war so anheimelnd, so traulich, so wahr. Er setzte sich. Als sie dann die Milch brachte, glänzte das Glas tadellos. Dazu brachte sie einen Teller mit einem Stücke groben Schwarzbrodes und sagte:

»Und da ist auch ein Brod zur Milchen, wanns Ihnen gefallt. Butter oder Käs kann ich nicht geben. Die werden verkauft, weil wir halt ein armes Volkl sind und doch auch ein Geldl brauchen.«

Sie blieb bei ihm stehen, um etwaige Fragen zu beantworten. Er trank von der Milch, ja, er aß sogar einige Bissen des groben Brodes, und zwar mit Appetit. Das freute sie, drum sagte sie:

»Das ist halt lieb von Ihnen, daß Sie unser Brod nicht verschmähen. Wir habens leider nicht besser.«

Er musterte die Hütte mit einem sympathischen Blicke, ließ denselben auch auf Tisch und Glas und Teller schweifen und antwortete:

»Aus einer so sauberen Hand muß Alles munden.«

Sie erröthete lebhaft vor Freude, wies aber das Compliment zurück:

»Hier in dera Luft und wo es ein so gar vieles und schönes Wasser giebt, da kann man leicht sauber sein. In denen großen Städten aber da wird es schon schwerer macht.«

»Sind Sie die Besitzerin dieses netten Häuschens oder die Tochter?«

Trotz der Einfachheit ihrer Erziehung wußte sie die erstere Bezeichnung sofort richtig zu verstehen. Sie antwortete abermals erröthend:

»Ich bin die Tochtern. Die Muttern ist wohl mal fortgangen, um was zu holen. Wanns zurückkommt, wirds sich gar sehr freuen, daß unser Hüttle einen Gast funden hat.«

Sie hatte kaum von der Mutter gesprochen, so kam dieselbe herbei, ärmlich aber ebenso sauber wie ihre Tochter gekleidet.

»Schau, Hanna, was hast da für einen feinen Besuchen!« sagte sie schon von Weitem. »Da möcht man sich fast gar nicht traun, herbeizukommen!«

»Kannst immer herbei. Dera Herr ist ein gar braver. Denk nur, er hat gar von unserm Brod gessen.«

Die Frau schlug die Hände zusammen und rief:

»Von dem unserigen? Das ist gar schön und gefreut mich auch über die Ehr, die's uns anthun, aber machens nur, daß Sie kein Leibgrimmen bekommen, wanns das hiesige nicht gewöhnt sind. Nun grüß Gott, und willkommen auch!«

Sie hatte eine sehr reinliche Schürze um. An dieser wischte sie sich die Hände ab und streckte ihm Beide entgegen. Er schlug kräftig ein. Ein warmer Zug lag auf seinem Gesicht. Das war so die richtige biedere bayrische


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Weise, höflich, wahr und kräftig zu gleicher Zeit, einer der wackersten, redlichsten Stämme des deutschen Vaterlandes.

»Wollen Sie sich nicht mit her setzen, liebe Frau, wenn Sie Zeit haben?« fragte er sie.

»Ich mich mit zu Ihnen setzen? Zu Ihnen? Zu so einem so sauber feinen Herrn? Das darf ich doch gar nicht wagen!«

»Das ist kein Wagniß, sondern Sie machen mir eine große Freude damit.«

»Ja, wanns halt so ist, daß ich Ihnen eine Freuden machen kann, so muß ich wohl gehorchen. Aber da mußt mir einen Stuhl bringen, Hanna.«

Die aufmerksame Tochter aber war bereits in das Innere der Hütte getreten, da sie den Wunsch der Mutter vorher errathen hatte. Ludwig verließ seinen Stuhl und näherte sich der Thür.

»Dürfte man vielleicht einmal eintreten?« fragte er.

»Warum nicht,« antwortete die Frau bereitwillig. »Wollens sich vielleichten etwas aus dera Stuben holen?«

»Nein, sondern ich möcht gern einmal nachschauen, wie es in einer solchen Gebirgswohnung aussieht.«

»O Jegerl! Da werdens aber nicht viel Feines zu schauen bekommen. Ich weiß aberst schon, die Stadtleutln sehen sich gern so was an. Darum kommens nur auch herein!«

Das Häuschen war aus starken Baumstämmen zusammengefügt und mit Schindeln gedeckt. Die Zwischenräume der Stämme, alle Ritzen und Löcher, hatte man mit Moos verstopft.

Das Innere bestand aus zwei Theilen, einem größeren, welcher als Wohn- und zugleich Schlafstube diente, und einem kleineren, dem Kuhstalle. Die Wohnstube erhielt ihr Licht durch drei kleine, quadratische Fenster, an denen Blumen blühten. Der Tisch, die Stühle und alles Geschirr glänzten vor Sauberkeit, sogar der alte, riesige Kachelofen sah aus, als ob er erst heut gesetzt worden sei.

An der einen Seite standen zwei roh gearbeitete Bettstellen, mit langem, getrockneten, elastischen Wassermoos gefüllt. Der Bettlaken und die Decke waren schneeweiß.

Ueber dem Tische hingen zwei eingerahmte Tafeln. Auf der einen stand:

»Deinen Eingang segne Gott,
   Deinen Ausgang gleichermaßen.
Segne unser täglich Brod,
   Segne unser Thun und Lassen,
Segne uns mit selgem Sterben
   Und mach uns zu Himmelserben.«

Und auf der andern war zu lesen:

»Im Glück nicht jubeln, im Sturm nicht zagen.
Das Unvermeidliche mit Würde tragen,
Und stets an Gott und bessre Zukunft glauben,
Heißt leben, heißt dem Tod sein Bittres rauben.«


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Und gegenüber hing ein kleiner, alter aber blitzblank geputzter Spiegel, zu beiden Seiten desselben zwei Bilder. Das eine stellte den König vor und das andere die einstige Geliebte und Braut desselben, die Prinzessin Sophie, Tochter des Herzogs Max von Bayern.

Er stand vor diesem letzteren Bilde und blickte es lange an. Um seine Lippen zuckte es eigenthümlich; dann wendete er sich rasch ab.

Die Bilder waren keine Meisterstücke, sondern ganz billige Oelfarbendrucke. Der König war schlecht getroffen, und da er auf dem Bilde in großer Galauniform dargestellt war, so erschien es als kein Wunder, daß die beiden Frauen ihn nicht erkannten.

Er trat wieder hinaus und nahm auf seinem Stuhle Platz. Die Mutter setzte sich neben ihm, aber respectvoll nur auf die Hälfte des Stuhlsitzes. Hanna stand neben der Thür. Sie hatte einen Strickstrumpf zur Hand genommen und arbeitete, daß die Nadeln klirrten.

»Nun?« fragte die Frau, »wie gefallts Ihnen in unsera Hütten?«

»Ganz gut!« antwortete er.

»Ih gehens! Das sagens doch blos nur, um uns nicht zu betrüben.«

»Nein, ich sage es, weil ich es wirklich so meine.«

»Aber wann es eine solche Armetheien giebt, so kann ein so vornehmer Herr doch kein Wohlgefallen finden.«

Er war durch den Anblick des Bildes der Prinzessin elegisch gestimmt worden. Auf die Frage der Frau schüttelte er fast traurig den Kopf und antwortete:

»Sie sprechen von Armethei? Sie wissen gar nicht, wie reich Sie sind.«

Da schlug sie die Hände zusammen und sagte:

»Reich? Wir reich? Ja, was machens denn da für ein Gespaß?«

»Es ist kein Scherz, sondern mein Ernst.«

»So, dann solltens mal einige Tagen oder Wochen bei uns sein, da würdens wohl bald merken, wo dera Reichthum steckt. Oder meinens halt etwan, daß wir wo die alten Strümpfen verborgen haben, welche voller Thalers sind?«

»Nein,« lächelte er, »zu solchen gefüllten Strümpfen werden Sie wohl nicht kommen.«

»Da habens gar Recht. Wissens, wovon wir leben?«

»Nun?«

»Von dera einzigen Kuh und von dem kleinen Acker da neben dem Häusle. Der ist dreißig Schritten breit und vierzig lang. Hier heroben in denen Bergen ist das Land nicht so gut wie da drunten in dera Ebene, und so könnens sich wohl denken, wie wir das liebe Gut zusammennehmen müssen. Wanns nur unsern Küchenzettel wüßten!«

»Darf ich ihn nicht erfahren?«

»Ganz wohl. Des Morgens in dera Früh, wann wir aufstanden sind, giebts eine Haferschleimsuppen. Die ist gut und gesund und hält die Brust


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und die Lungen sauber und macht keine Löchern in den Magen. Nachhero am Vormittag, da giebts ein Stückerl Brod, so wie Sie es da gessen haben.«

»Und was darauf?«

»Ein Salzen.«

»Weiter nichts?«

»Ja, was weiter soll man daraufi thun?«

»Butter und Käse.«

»O weh! Die Butter und denen Käs machen wir zwar, aberst zu essen bekommen wirs halt nicht. Nein, es bleibt beim Salzen, und das ist genug. Wissens, die Buttern schmeckt wohl gut, aber sie macht einen kurzen Athem und soll auch für die Milz und Lebern nicht viel taugen. Da laßt mans lieber sein.«

»Hm! Sie scheinen also sehr besorgt für Ihre Gesundheit zu sein!«

»Das muß man auch, wann man am Leben bleiben will. Und mit dem Käs ists halt auch nix. Ich hab hört, daß man von dem vielen Käs gar fast den Blasenstein bekommt. Den mag ich nicht; das könnens mir wohl glauben.«

»Ganz gern! Und was giebt es Mittags?«

»Da giebts halt Kartoffeln, zur Abwechslung heut in dera Schaalen, morgen in dera Montur und übermorgen in dera Livrée.«

»Und was dazu?«

»Wieder was dazu? Ein Salzen wieder, ganz natürlich.«

»Das ist aber doch zu frugal!«

»Frugal? Was das heißt, das weiß ich nicht.«

»Ich meine, zu einfach, zu arm!«

»Da habens aber Unrecht. Denkens denn, wir können uns keine Delicatessen machen? Da kommens gar schön an. Zum Mittagsmahl mögen wir das Salzen nicht so, wie es ist, da sind wir zu fein. Sondern es wird in den Tiegel than, und übers Feuer setzt. Da wirds hübsch braun und bekommt einen noblen Geschmacken. Wann man nachhero die Kartoffeln hineinithut, so ists was gar sehr Feines. Habens das denn noch gar nicht versucht?«

»Nein,« lächelte er.

»Was! Noch kein braun gemachtes Salzen habens gessen? Da wissens doch noch gar nicht, was gut schmeckt. Da könnens mich fast dauern.«

»Ich werde es nächstens versuchen.«

»Das könnens ja thun. Kann denn Ihre Frau gut kochen?«

»Ich bin mit meiner Küche zufrieden.«

»Sagens aber nur, daß das Salzen nur hellbraun werden darf. Sobald es dunkler wird, nachhero verbrennt es und schmeckt nimmer gut. Es ist dann jammerschad um das schöne Geld, denn das Pfund Speisesalzen kostet jetzunder neun Pfennige. Vergessens das ja nicht!«

»Nein, ich werde es daheim streng andeuten. Und wie lautet Ihr Speisezettel weiter?«

»Am Nachmittagen giebts halt wiederum ein Stückerl Brod mit Salzen;


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das hält die Zähne weiß und frisch, und des Abends nachhero giebts einen Kaffee, einen feinen und guten!«

»Wie viele Bohnen für die Person?«

»Bohnen? Ja wann wir Bohnen trinken dürften! Nein, habens schon mal die Nüssen sehen, die auf dera Eichen wachsen?«

»Sie meinen Eicheln?«

»Ja, Eichnüssen. Die werden sammelt und in dem Tiegel überm Feuer brannt. Das ist dera Kaffee.«

»O weh!«

»Sagens nicht! Der ist sehr gesund und macht die Augen hell. Wann wir uns aberst mal eine Extra-Güten thun wollen und ein Geldl dazu übrig haben, so bringen wir uns aus dera Stadt ein Päckchen homöopathischen Gesundheitskaffee mit. Das Päckchen kostet acht Pfennigen, und wir können grad vier Wochen lang alle Abende davon trinken.«

»Der steigt wohl nicht in's Blut?«

»Nein, dazu ist er zu dünn. Aberst zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten, und wann wir unsera Namenstagen haben, dann wird ein feiner Bohnenkaffee kocht. O Jegerl, ist das nachhero ein Fest! Wann man da ein Stück Schwarzbrod in solchen Kaffee brockt, so ists grad, als ob man beim König essen thät!«

»Hm! Und wann giebt es Fleisch?«

»Fleisch? Das giebts auch zuweilen, besonders im Jahr einmal, nämlich zu Weihnachten, wo man doch mal ein Geldl springen lassen muß. Nun wissens unsern Küchenzettel. Was meinens dazu?«

»Ich möcht nicht mitthun.«

»Das glaub ich schon. Aberst wanns hier wohnen thäten, so wirds Ihnen wohl schon schmecken. In dera Luft hat man einen Appetiten und einen Hungern, daß man nur immer kauen möcht! Das könnens glauben. Wann man nur auch immer was haben thät.«

»Nun, zu hungern brauchen Sie aber doch wohl nicht?«

Sie blickte vor sich nieder, strich sich bedenklich die Schürze glatt, warf einen Blick auf die Tochter und antwortete:

»Nun, vor Hungers storben sind wir freilich noch nicht. Aberst es ist doch schon oft vorkommen, daß wir gern was gessen hätten und haben nichts mehr habt.«

»Sie Aermste!«

Bei dem bedauernden Tone, in welchem er das sagte, blickte sie rasch zu ihm auf. Ihr Auge war hell und munter, als sie antwortete:

»Na, gar so schlimm dürfens sich das nicht denken. Habens auch schon mal hungert?«

»Gott sei Dank, nie!«

»So wissens halt auch nicht, welch einen Werth dera Hunger hat!«

»Ich spreche ihm nicht viel Werth zu.«

»Da thuns ihm Unrecht. Sehens, wann man immer und immer Brod


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und Kartoffeln mit Salzen hat, so wills halt mal nicht mehr munden. Dann kommt die Noth und dera Hunger; man hat einige Tagen nix zu beißen. Herrgottle, wann man nachhero wiederum ein Stuckerl Brod und eine Kartoffeln hat, dann solltens mal schauen, wie man da zugreifen thut. Ja, kommens nur heraufi zu uns. Wir wissen gar gut zu leben!«

»Haben Sie denn niemals gewünscht, es besser zu haben?«

»Besser - besser - besser - -!«

Sie glättete sich abermals die Schürze und blickte nachdenklich vor sich hin.

»Was ist besser? Was meinens damit? Wann ichs jetzunder besser hab, nachhero bin ich noch nicht zufrieden und wills noch immer besser haben.«

»Da haben Sie freilich Recht. Zufrieden sein, das ist das höchste Gut.«

»Und Gesundheiten dazu! Schauns, ich denk, daß wir gar glücklich sind. Wir haben unsern Herrgott; wir haben einen gar braven König und ein gut Regiment, und wir sind gesund und zufrieden. Was will man mehr! Und dazu sind wir jetzt gar reich worden. Wir haben ein gar großes Glück macht.«

»So? Welches?«

»Ich hab einen Sohn, einen gar tüchtigen Buben. Er ist beim Militairen west und hats eiserne Kreuzl erlangt. Er heißt Ludwig, grad wie dera König, und wird ein gar reiches Dirndl heirathen.«

»Ich gratulire!«

»Dank Ihnen schön! Wann nur erst die Hochzeiten vorüber ist, nachhero gehts bei uns heroben auch hoch her. Dann sind wir wohl so gestellt, daß wir unsera Buttern, Quark und Käsen selberst essen können. Das wird nachhero ein Leben wie im Schlaraffenlandl, und wanns da wiederkommen, nachhero haben wir wohl gar ein paar Hühnern und können Ihnen einen Eierkuchen vorsetzen.«

»Das sollte mich freuen. Also der Ludwig heirathet. Wie steht es denn mit der Hanna?«

Die Tochter erröthete und trat in die Stube zurück. Die Mutter wartete, bis sie sich entfernt hatte, und antwortete nachher:

»Mit dera Hanna? Ja, mit der ists halt gefehlt.«

»Hat sie denn keinen Schatz?«

»Sie hat wohl einen; aberst sie kann ihn nicht nehmen.«

»Warum nicht?«

»Weils halt nicht zureichen will.«

»Ist er denn so arm?«

»O, fast noch ärmer als wir.«

»Aber wohl brav?«

»Dera bravst Bursch im Dorf. So wie ihn giebts halt keinen im ganzen Umkreis. Er arbeitet vom frühen Tag bis zum späten Abend und gönnt sich keine Ruh und kein Vergnügen.«

»Was ist er denn? Ein Handwerker?«

»O nein. Er ist ein Bauerssohn.«

»Ein Bauerssohn? Und dabei so blutarm, daß er nicht heirathen kann?«


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»Ja. Wissens, das sind ganz besondere Verhältnissen. Einen Bauer hieroben dürfens halt nicht vergleichen mit einem Bauern da unten an dera Donauen, wo dera Roggen und Weizen mannshoch wachsen thut. Sein Großvatern ist wohlhabend gewest. Das war dera alte Höhlenbauer. Wissens, er hieß so, weil sein Grundstück an einer tiefen Höhlung lag, die zwischen dem Berg einisunken war. Er war ein gar wüster Mensch, ein Trinker und Spieler. Seine Frau starb vor Gram, und als er nachhero mal beim Wildern eine Kugel bekam, hat er nix als Schulden hinterlassen. Sein Sohn, was der jetzige Alte ist, war dagegen ein sehr braver. Er hat sich fast die Haut von denen Händen abarbeitet und nach und nach die Schulden seines Vaters zahlt. Das hat aberst gar viele Jahren dauert. Und als er nachhero damit fertig war, da ist im Frühjahr dera Fels vom Berg abistürzt und hat ihm sein ganzes Feld verschüttet. Davon hat auch das Wasser eine ganz andera Richtung erhalten und lauft ihm nun übers Land und schwemmt ihm Alles davon. So ist er ärmer als vorher. Sie sind ein Stadtherr und wissen gar nicht, was das zu bedeuten hat.«

»Hatte er denn nicht versichert?«

»Nein. Hier oben wir trauen denen Versicherungen nicht. Nun fangt dera Höhlbauer wiederum von vorn an, und sein Sohn, dera Stephan, kann nicht daran denken, eine Frau zu nehmen.«

»Ists denn gar so schlimm?«

»Ja. Wanns sich heirathen thäten, was solltens da thun? Zu mir ziehen? Mein Hüttele thät das Paar nicht dernähren. Oder in das Höhlgut ziehen? Da reichts auch nicht aus.«

»So legen Sie doch Beides zusammen!«

»Das geht ja nicht. Und wanns auch für sie ausreichen thät, so denkens doch, wann nachhero Kinder kämen! Das wäre ja eine Traurigkeiten!«

»Aber Sie müssen doch auch an den Herrgott denken!«

»Das thun wir auch; aberst man soll sich nicht auf Gottes Hilf verlassen und dabei in den dicken Tag hineinleben. Man muß halt in die Zukunft denken, und was man nicht haben und nicht durchführen kann, das soll man sich nicht wünschen und soll es nicht beginnen. Ja, es wär ein Glück für den Stephan und die Hanna, wanns sich so haben könnten. Das wär halt ein Paar, wie es die Tauben nicht besser und lieber zusammentragen könnten. Vielleicht hat dera Herrgott ein Einsehen und sendet mal einen Engel herab, der die Hilfe bringt.«

»Nun, wenn Ihr Sohn eine so reiche Heirath macht, so kann er doch Ihrer Tochter helfen.«

»Das möcht man denken. Aberst die Hanna mag nicht betteln.«

»Das ist keine Bettelei.«

»Mag sein. Denkens denn vielleicht, daß ein Schwiegersohn sogleich mit dem Geld des Schwiegervaters um sich werfen kann? Nein. Die Beiden mögen warten. Wann nur noch so drei Jahren vorüber sind oder vier, so dann - - na, ich sag halt nix, aberst nachhero kanns wohl besser werden.«


// 1598 //

Sie hatte das Letztere mit leiser Stimme gesagt und sich dabei vorsichtig nach der Hütte, in welcher Hanna war, umgeschaut.

»Sie haben wohl gar ein Geheimniß?« fragte der König.

»Freilich.«

»Darf man es erfahren?«

»Hm! Ich habs noch keinen Menschen sagt.«

»Aber mir können Sie es doch sagen!«

»Meinens? Ja, Sie haben ein so gutes Gesicht und so ehrliche Augen. Ihnen kann ichs am End mittheilen.«

»Ich sage nichts wieder.«

»Das dürfens auch nicht. Wanns mich verrathen thäten, dann wäre mir halt meine ganze Freud verdorben.«

»Sie können sich darauf verlassen, daß ich schweigen werde.«

»Schön! So will ichs sagen. Ich hab - ich hab - ich hab ein - - -«

Sie beugte sich weit zu ihm herüber, hielt die Hände an beide Seiten des Mundes und raunte ihm zu:

»Ein - ein Sparkassenbuchen.«

Er fuhr in komischem Erstaunen weit zurück und machte ein Gesicht, als ob er etwas ganz Unglaubliches gehört habe. Ihre Augen leuchteten glücklich auf.

»Habens auch richtig hört?« fragte sie.

»Ja, ganz richtig.«

»Und da sinds halt so verstaunt?«

»Außerordentlich!«

»Ja, das hättens mir wohl nicht zutraut?«

»Ganz und gar nicht!«

»Ich glaubs schon! Aberst ich bin halt die Richtige! Ich weiß schon, wie man so was anfangen muß!«

»Aber wie haben Sie das fertig gebracht?«

»Das wollens wissen? Ja, das ist eine ganz gehörige List und Klugheiten von mir. Dera Käs, dera Käs ist schuld daran!«

»Der Käse ist schuld am Sparkassenbuch?«

»Ja, blos dera Käs. Könnens sich das denn nicht derklären?«

»Nein. So weit reicht mein Scharfsinn nicht.«

»Und es ist ganz einfach. Nämlich ich hab doch stets die Butter und den Käs verkauft. Was die Butter einbracht hat, das ist in dera Wirthschaft verbraucht worden, für Steuern, Abgaben, für den Schuster und Anderes. Aberst von dem Käs, da hab ich mir ein Sparkassenbücherl anschafft.«

»Ach so! Hm! Wie gescheidt!«

»Nicht wahr? Ja, hinter denen Ohren muß man es haben!«

»Ists denn viel?«

»Ja,« antwortete sie, indem sie ein Gesicht machte, als ob es sich um eine Million handle.


// 1599 //

»Wie hoch ist die Summe?«

»Rechnen Sichs mal aus: Alle Wochen zwanzig Pfennige, fünf Jahren lang.«

»Das macht in Summa zweiundfünfzig Mark.«

»Jawohl, und noch die Zinsen dazu.«

»Das ist ja großartig!«

»Fein ists, sehr fein! Und wenn ich nun noch zwei oder drei Jahren so weiter spar, nachhero - - pst, da kommt die Hanna wieder herausi. Ich bitt um aller Welt, lassens sich ja nix merken!«

»Kein Wort!«

»Reden wir gleich von etwas Anderem!«

»Schön! Aber wovon?«

»Vom Wetter. Das ist halt das Allerbest, wann man nix Andres weiß.«

Die Heimlichthuerei der guten Frau gab ihm großen Spaß. Sie begann wirklich, vom Wetter zu reden. Er ging darauf ein, und mit triumphirender Miene nickte sie ihm ihre Genugthuung darüber zu, daß die Tochter nichts gemerkt habe.

Nach einiger Zeit erhob er sich, um zu gehen. Er fragte nach dem Preis der Milch, die er getrunken hatte; aber da kam er schön an. Die Frau wäre beinahe grob geworden, und die Tochter blickte ihn so bittend an, daß er davon absah, ihnen eine Bezahlung aufzuzwingen.

»Kommens nur bald wieder!« meinte die brave Alte. »Das soll uns eine Freud sein, und dann ists grad so, als obs uns ein Geldl geben hätten.«

»Gern käm ich wieder; aber ich weiß nicht, ob meine Geschäfte es mir erlauben.«

»So? Was habens denn eigentlich für ein Geschäften?«

»Es ist weniger ein Geschäft als vielmehr ein Amt.«

»Ah, ein Amt! Das hab ich mir dacht, denn ich habs Ihnen gleich beinahe anschaut. So was sieht Unsereine so einem Herrn gleich an dera Nasenspitzen an.«

»Und ehe ich gehe, möchte ich Sie gern um ein Andenken bitten.«

»Ein Andenken? O Jegerl, was könnt ich Ihnen denn da gleich geben. Ich hab ja nix!«

Sie blickte verlegen an ihrem ärmlichen Anzug nieder.

»Nun,« meinte er, »ich werde mit schon Etwas erbitten.«

»Ja, was denn? Sagens es nur!«

»Zunächst von Hanna die Nelke, welche sie an der Brust stecken hat.«

Das hübsche Mädchen wurde glühend roth.

»Oder wollen Sie mir die Blume nicht gern geben, Fräulein?« fragte er.

»Gar zu gern, wanns von so einem armen Dirndl die Nelken annehmen wollen.«

Sie hielt sie ihm hin.

»Nicht so! Ich habe kein rechtes Geschick dazu. Haben Sie die Güte, mir die Blume ins Knopfloch zu befestigen!«


// 1600 //

Die Röthe ihres Gesichtes wurde noch intensiver. Doch trat sie an ihn heran und steckte ihm die Nelke mit Hilfe einer Nadel an die Joppe, welche er trug.

»Ich danke Ihnen sehr, Hanna! Und nun Sie,« wendete er sich an ihre Mutter.

»Jetzt ich!« meinte sie. »Da bin ich doch neugierig, was ich Ihnen geben soll.«

»Es ist ein Stück Ihres Hausrathes.«

»Ein Hausrath? Das ist besonderlich! Wollens vielleichten einen Stuhl mitnehmen oder gar den Tisch zum Andenken?«

»Nein. Es ist etwas Anderes, was Sie leichter entbehren können.«

»Wann ichs nicht brauch, so sollens es gar gern bekommen.«

»Sie haben drin zwei Bilder. Ich glaube, das eine stellt den König vor?«

»Ja, es ist das Conterfei von unserem guten Ludwigen.«

»Das möchte ich gern haben.«

»Das?« fragte sie erschrocken. »Warum denn grad dasselbige?«

»Weil ich mich für ihn interessire.«

»O weh! Da ists gefehlt.«

»Warum?«

»Weil ichs nicht hergeben kann.«

»Haben Sie einen Grund dazu?«

»Ja. Meinen König soll ich aus dem Haus geben? Nein, das kann ich nicht!«

»Ich will ja das Bild nicht geschenkt haben. Ich kaufe es Ihnen ab; ich bezahle es Ihnen.«

»Da mache ich schon gar nicht mit. Lieber thät ichs Ihnen schenken. Meinen guten König kann ich nicht verkaufen. Für Geld geh ich ihn schon gar nicht her! Oder meinst Du doch, Hanna?«

Man sah es der Tochter deutlich an, daß sie nicht gern unbereitwillig gegen den Gast war, aber sie antwortete doch:

»Nein, Mutter, den können wir gar nimmer verkaufen.«

»Aber warum denn nicht?«

»Weil wir ihn lieb haben.«

»Das ist wohl gut. Aber wann ich Ihnen das Bild abkaufe, können Sie sich doch für das Geld ein anderes anschaffen.«

»Da habens wohl Recht,« entgegnete die Mutter, »aber ganz ebenso können doch auch Sie sich ein anderes kaufen.«

»Ich habe es grad auf dieses abgesehen.«

»Warum auf dieses?«

»Weils grad zum andern Bilde paßt, worauf seine Braut ist.«

»Mein Seliger hat damals, als unser König so gar unglücklich war, daß er seine Braut verlieren mußt, sein letztes Geldl hergeben, um sich auf dem Jahrmarkt die beiden Bildern anzuschaffen. Sie gehören zusammen und sollen auch zusammen bleiben.«


// 1601 //

»So kaufe ich beide. Da bleiben sie also beisammen.«

»Nein, ich verkauf sie nicht. Wanns ein Andenken haben wollen, so seins halt so gut und suchens sich was Anderes aus!«

»Ich mag nichts Anderes. Wie viel hat denn damals Ihr Mann bezahlt?«

»Für beide Bildern einen halben Thalern.«

»Ich gebe Ihnen einen ganzen, nur für das eine Bild.«

»O nein! Ich verkaufs halt nicht.«

»Fünf Mark.«

»Nein, Herr.«

»Ich gebe Ihnen zehn Mark.«

»Heilige Maria! Zehn Mark! Das ist gar viel, gar viel! So viel könnens doch für solche Bildern nicht geben!«

»Ich zahle es Ihnen dennoch!«

»Führens uns nicht in Versuchung! Zehn Mark ist ein schönes Geld, aberst ich geb das Bild nimmer her!«

Da trat er einen Schritt näher an sie heran und sagte in dringlichem Tone:

»Liebe Frau, seien Sie doch verständig. Ich meine es gut mit Ihnen. Sie sind arm und können das Geld gebrauchen, und mir machen Sie eine Freude, wenn Sie mir das Bild ablassen. Ich will sogar noch ein höheres Gebot thun. Ich gebe Ihnen - hören Sie wohl! - ich gebe Ihnen zwanzig Mark.«

Sie hob den erstaunten Blick zu ihm empor.

»Zwan-zig - Mark!«

»Ja, zwanzig.«

»Wollens mich foppen?«

»Nein. Also, sagen Sie ja!«

»Zwan-zig - Mark! Hanna, wie viel Thalern sind das?«

»Sechs Thalern und zwanzig Silbergroschen,« antwortete die Tochter.

»Und wie viel ists nach dem früheren Geld?«

»Wohl über elf Gulden.«

»Mein lieber Gott! So ein Geld! So ein gar großes Geld!«

»Ja, es ist ein guter Preis,« stimmte der König bei. »Also schlagen Sie ein!«

Er hielt ihr die Hand hin. Sie achtete aber nicht darauf.

»So viel bietet Ihnen Niemand wieder.«

»Zwan-zig - Mark! Ueber elf Gulden! Was man sich dafür kaufen könnt!«

»Also wäre es sehr unklug von ihnen, wenn sie auf diesen Handel nicht eingehen wollten.«

»Zwan-zig - Mark für den guten König Ludwig! Nein, ich kann nicht, ich kann doch nicht. Das Bild ist mir ans Herz wachsen und ich hab meinen König lieb. Ich verkauf ihn nicht, auch um zwanzig Mark nicht.«


// 1602 //

»Aber, liebe Frau, ich begreife Sie nicht! Ich will Ihnen sogar noch etwas mehr bieten. Ich gebe Ihnen dreiß-«

»Halt!« rief sie.

Das klang so gebieterisch, daß er mitten in seinem >Dreißig< inne hielt. Ihr Gesicht war blaß geworden und ihr Auge glänzte feucht.

»Führens mich nicht in Versuchung!« fuhr sie fort. »Das Geldl, was Sie uns bieten, das ist fast ein Vermögen für uns arme Leutln; aberst Sie dürfen nicht denken, daß wir dafür was hergeben, was uns immer heilig gewest ist. Thäten denn Sie das Bild verkaufen?«

»Ja.«

»Dann habens halt unsern guten König nicht lieb. Ich hab mich da sehr irrt in Ihnen. Da solltens sich schämen! Wer so einen gar braven König nicht gern hat, dem ists auch zuzutrauen, daß er solche arme Leutln in Versuchung führt. Gehens weg! Ich mag halt nix mehr von Ihnen wissen!«

Er war tief gerührt von dem heiligen Zorne, in welchem sich der Patriotismus dieser blutarmen Frau Luft machte.

»Aber, gute Frau, ich habe es ja ganz gut mit Ihnen gemeint,« entschuldigte er sich.

»Gut? Davon hab ich halt nix merkt.«

»Ich wollte Ihnen auf diese Weise Etwas geben, weil Sie für die Milch nichts genommen haben.«

»Gehens! Ich mag ja gar nichts haben! Sie wollen von dem König nix wissen.«

»Ich will ja grad im Gegentheile sein Bild haben!«

»Aberst uns wollens es nehmen. Sagens doch mal, wo habens denn Ihr Amt? Wohl drüben im Oesterreichischen?«

»Nein.«

»Oder im Norddeutschen?«

»Auch nicht, sondern hier in Bayern.«

»So! In Bayern sinds also! Und was für ein Amt ist denn das Ihrige?«

»Ich bin - bei der Regierung angestellt.«

»So, bei dera Regierung! Da solltens sich aber doch freuen, wann wir unsern König lieb haben, und sollten sich nicht Mühe geben, uns sein Bildniß wegzureden!«

»Ich gebe Ihnen Recht. Sie sollen es also behalten. Wollen Sie mir verzeihen?«

»Na, wanns halt nun so ein Einsehen haben und selberst Einer von dera Regierungen sind, so will ichs Ihnen nimmer anrechnen. Suchens sich also nur ein anderes Andenken aus.«

»Ich danke Ihnen. Ich will lieber darauf verzichten, denn ich könnte abermals in Gefahr gerathen, Ihnen wehe zu thun. Ich will mich also mit dieser Nelke begnügen. Leben Sie wohl und vielen Dank!«

Er gab ihr die Hand, die sie treuherzig schüttelte.


// 1603 //

»Behüt Gott!« sagte sie. »Und wanns halt bei dera Regierungen sind, so sehens wohl auch manchmal den König?«

»Ja.«

»Kommens vielleicht gar mit ihm zu reden?«

»Oft.«

»So seins so gut und grüßens ihn und sagens ihm, daß er gar nicht weiß, wie gut wir ihm sind und was für gar große Stücke wir auf ihn halten.«

»Ich werde es ausrichten.«

»Aber vergessens ja nicht!«

»O nein. Er wird es eher erfahren, als Sie es denken und ahnen. Leben auch Sie wohl, Hanna!«

Er reichte ihr die Hand und that, als ob er gehen wollte. Aber nach einigen Schritten blieb er stehen, drehte sich wieder um und sagte:

»Da fällt mir ein: Ich kann mich doch gleich bei Ihnen erkundigen.«

»Nach was? Wo wollens hin?«

»Ich will zu einer Wittfrau, welche Held heißt.«

»Wittfrau? Held? Hier in Oberdorf?«

»Ja.«

»Da giebts doch nur eine einzige Familie, die Held heißt. Diejenige Wittfrauen muß ich also sein.«

»Ah, Sie?«

»Ich denk mirs halt.«

Er zog das Schreiben aus der Tasche, blickte auf die Adresse und erkundigte sich:

»Heißen Sie denn Rosalie Held, geborene Rottmann?«

»Herrjesses, so heiße ich. Das bin ich selberst.«

»Wer hätte das gedacht! Ich komme nur Ihretwegen nach Oberdorf und sitze eine volle Stunde und noch länger bei Ihnen, ohne zu ahnen, daß Sie Diejenige sind, welche ich suche.«

»Was ists denn? Was giebts denn? Warum kommen Sie zu mir?«

»Ich habe Ihnen diesen Brief zu übergeben.«

»Diesen Briefen! Herrgott! Sie haben ein Amt! Kommt er etwan aus dem Amt?«

»Ja.«

»Ich bin doch nicht etwa verklagt worden?« fragte sie erschrocken.

»Nein. Es handelt sich nicht um eine gerichtsamtliche oder gar polizeiliche Angelegenheit.«

»Um was denn? Ists was Böses?«

»Nein, sondern vielmehr etwas Gutes.«

»Etwas Gutes! Das giebt schon einen Trosten. Aberst ich kann mir nicht denken, wie ich zu einem solchen Briefen komm!«

»Der Inhalt wird Ihnen wohl Aufklärung bringen. Nehmen Sie!«

Er reichte ihr den Brief hin.


// 1604 //

»Wartens, Herr! Ich muß mir doch erst vorher die Fingern abwischen!«

Obgleich sie vollständig reinliche Hände hatte, wischte sie sich dieselben doch recht umständlich an der Schürze ab. Dann griff sie nach dem Briefe, hielt ihn aber nur an der Ecke fest und betrachtete ihn.

»Da ist doch gar keine Postmarken darauf!«

»Weil ich ihn bringe und nicht der Briefträger.«

»Ach so! Und was für ein großes Siegellacken mit Petschaften. Da könnt Einem beinahe angst und bange werden. Wie lautet denn die Adreß? Lies mal vor, Hanna!«

Sie gab der Tochter das Schreiben und diese las:

»An die Wittfrau Rosalie Held, geborene Rottmann in Oberdorf.«

»Ja, das ist ganz richtig,« nickte die Alte. »Diejenige bin ich. Aberst nun das Inwendige! Ich kanns kaum derwarten.«

»So öffnen Sie doch!« lächelte Ludwig.

»Ja. Aber womit macht man denn so einen Amtsbriefen aufi? Mit dera Scheeren oder mit dem Messer?«

»Das ist gleich.«

»So lauf, Hanna, und schneid ihn aufi!«

Die Tochter ging ins Haus und kehrte bald mit dem aufgeschnittenen Couvert zurück.

»Soll ich den Brief herausnehmen?« fragte sie.

»Freilich mußt ihn herausnehmen, wannst ihn vorlesen sollst. Mach rasch!«

Hanna zog den Bogen heraus und faltete ihn auseinander. Sie begann zu lesen:

»Der Wittfrau Ro-«

»Halt!« wurde sie von ihrer Mutter unterbrochen. »Wart noch einen Augenblick. Ich muß mich setzen. Man weiß doch nicht, was darinnen steht. Und wann ich sitzen thu, bin ich besser auf Alles gefaßt. So! Jetzund kannst nun beginnen!«

Hanna war nicht weniger als ihre Mutter begierig, den Inhalt des Schreibens kennen zu lernen. Sie begann von Neuem:

»Der Wittfrau Rosalie Held, geborene Rottmann
in Oberdorf.

     Nachdem es leider zu spät zu Unserer Kenntniß gekommen ist, daß der Arbeitsmann Peter Held von einem Unserer Hausbeamten derart verletzt worden ist, daß er fast gänzlich arbeitsunfähig wurde, so sprechen Wir in Anbetracht angegebenen Umstandes seiner Wittwe Rosalie, geborenen Rottmann, hiermit eine Pension von jährlich 600 Mark, sage sechshundert Mark, welche jährlich pränumerando zu zahlen ist, zu.
   »Zugleich verfügen Wir, daß diese Pension als von dem Todestage


// 1605 //

des erwähnten Peter Held an laufend zu berechnen und seiner Wittwe nebst fünf Procent Verzugszinsen nachzuzahlen ist.
   »Die hierzu nöthigen Gelder sind Meiner Privatschatulle zu entnehmen.
          Genehmigt und gezeichnet
                                                         Ludwig,
                                                König von Bayern.«

Hanna hatte längst das letzte Wort gelesen und stand noch immer mit offenem Munde da, den Brief in beiden Händen. Ihre Mutter hatte sich langsam, langsam erhoben und starrte ihre Tochter wie abwesend an.

»Hanna, Hanna!« rief sie dann. »Das steht drinnen?«

»Ja, Mutter.«

»Das steht drinnen? Wirklich?«

»Ja,« antwortete Hanna, und zwar in einem Tone, als ob sie es selbst nicht glaube.

»Und wie lautet die Unterschriften?«

»Ludwig, König von Bayern.«

»Und Peter Held, dera Namen Deines Vatern steht auch dabei?«

»Hier ist er.«

Die Frau schlug die Hände zusammen.

Da schlug die Frau die Hände zusammen und rief:

»Herr mein Gott! Einen Brief von dem König! Einen Brief von meinem lieben, guten König! Ich, die arme, alte Wittwe, erhalt ein Schreiben von ihm! Ich - ich - ich!«

Und nun sprang sie auf die Tochter zu.

»Zeig her, zeig her! Wo steht der Namen? Wo steht dera Ludwig?«

»Hier!«

Hanna deutete mit dem Finger auf die betreffende Stelle.

»Zeig her den Brief!«

Sie nahm ihn der Tochter aus der Hand, hielt ihn breit vor sich hin und betrachtete die Unterschrift mit wonnefunkelnden Augen.

»Das hat er schrieben, unser König? Nicht wahr, Hanna? Er?«

»Ja. Das Andre hat ein Andrer schrieben; aberst den Namen, den hat er selbst daruntersetzt.«

»Er selberst, er selberst! Mein König hat dieses Papieren in seiner Hand habt und seinen Namen herschrieben! Welch ein Glück und eine Freuden. O mein Gott, mein Gott!«

Sie drückte den Bogen an ihre Brust. Sie legte die Lippen auf die Unterschrift und fuhr doch sofort erschrocken zusammen, als ob sie eine Sünde, eine Entheiligung begangen hätte. Sie blickte die Stelle besorgt an, ob sie vielleicht unter dem Kusse gelitten habe, und sagte dann:

»Hanna, hast denn einen Begriff davon, was das heißt, daß dera König, die Majestäten, einen Brief an mich sendet?«

»Mutter, ich weiß, welch ein Heil und welche Gnade uns dadurch widerfährt!«


// 1606 //

Ihre Augen standen voller Wasser. Es waren Freudenthränen.

»Ja, hast Recht! Ein Heil und eine Gnade ists! Diesen Briefen werd ich mir einrahmen lassen in einen schönen, goldenen Rahmen, und sollt michs so viel Geldl kosten, daß ich mein ganzes Sparkassenbuchen - o Jegerl, was hab ich da schwatzt! Ich bin halt ganz närrisch worden vor Freud und vor Entzücken. Da weiß man gar nimmer, was man sagt!«

»Aber,« fragte der König, welcher alle Kraft aufbieten mußte, seine Rührung zu beherrschen, »wissen Sie denn auch, was drin steht? Haben Sie da aufgepaßt?«

»Was drinnen steht? O ja, da hab ich freilich gar sehr aufipaßt.«

»Nun, was steht drin?«

»Mein Mann steht drin, mein Seliger.«

»Weiter!«

»Ich steh auch darinnen.«

»Immer weiter!«

»Und dera König steht drin. Dera König, mein Mann und ich. Sollt man so was denken? Sollt man so was für möglich halten? Man sollt es überhaupten gar nicht glauben, wann man es nicht sehen thut.«

»Hier steht es aber,« sagte Hanna.

»Freilich stehts da, mit Tinten auf Papieren schrieben. Schwarz auf Weiß. Mit einem Siegellacken drunter und dem König seiner eigenen Handschriften! Da muß mans glauben, selbst wann man es nicht glauben möcht!«

»Und weiter steht nichts drin?« fragte der König.

»Weiter? Was dann weiter? Daß mein Seliger schossen worden ist, das ist auch mit hinein schrieben.«

»Und dann?«

»Und dann? Ja, was war es denn noch? Hanna, schau gleich noch mal hinein!«

Die gute Frau war so beseligt von dem Gedanken, daß der König an sie geschrieben habe, daß sie die Hauptsache gar nicht beachtet hatte.

»Das hast wohl gar nicht mit anhört, von dera Pension?« fragte ihre Tochter.

»Von dera Pension? Da steht was drin?«

»Ja.«

»Dera Vatern hat um eine bitten sollen, hats aber nicht than.«

»Darum bekommst Du sie jetzt.«

»Ich? Bist wohl närrisch?«

»Nein. Ich habs doch lesen!«

»Das kann doch nicht drin stehen, denn wir haben nicht darum beten!«

»So hör doch mal! Hier heißts ja:

»so sprechen Wir in Anbetracht angegebenen Zustandes seiner Wittwe Rosalie, geborene Rottmann, hiermit eine Pension von jährlich 600 Mark, sage sechshundert Mark, welche jährlich pränumerando zu zahlen ist, zu.

Da hörsts ja, daß von einer Pensionen die Red ist.«


// 1607 //

»Ja, jetzund hör ichs wohl. Eine Pensionen soll ich erhalten, eine Pensionen! Wer hätte das gedacht!«

Sie faltete die Hände und blickte freudestrahlend auf ihre Tochter.

»Ja,« sagte diese, »eine Pensionen von sechshundert Mark.«

»Herrgott, sechshundert! Dieses Geldl soll ich erhalten?«

»Ja, meine liebe Muttern.«

»Und alle Jahren, alle Jahren?«

»Freilich, und zwar pränumerando.«

»Was heißt das, prämerando?«

»Vorher heißts. Du bekommst das Geldl nicht am letzten December, sondern wanns beginnt, am ersten Januaren.«

»Auch noch! Mein grundgütiger Himmel, was soll ich da anfangen mit dem vielen Geldl! Hanna, Hanna, ich kanns gar nicht glauben!«

»Fast möcht auch ichs nicht glauben, aberst es steht ja da und die Unterschrift des Königs dazu.«

»Sogar mit seinem Siegellacken und großem Petschaften!«

Das große Siegel schien, da sie es so oft erwähnte, ihr ganz besonders imponirt zu haben.

»Ja, da müssen wir es freilich glauben,« fuhr sie fort. »Sechshundert Mark! Es ist zu viel, zu viel! Eine Pensionen von fünfzig Markln im Jahr, das schon könnt uns emporhelfen; aberst sechshundert Markln, das ist doch fast gar nicht auszuhalten, da wird Einem ganz angst dabei. Wo soll ich dieses viele Geldl hinthun? Was soll ich mit demselbigen anfangen!«

»Ich bin auch ganz außer mir vor Entzücken! O Mutter, Mutter, jetzund hat alle, alle Noth und Sorg ein End!«

Sie schlang die Arme um sie und weinte heiße Freudenthränen. Ihre Mutter fiel laut schluchzend ein. Dann wendete die Letztere sich an den König.

»Seins uns nicht bös, wann wir ganz so thun, als ob wir alleini hier wären! Eine solche Ueberraschungsfreuden läßt sich nicht stumm hinunterschlucken. Das muß heraus aus dem Herzen. Und nun sagens uns nur, obs wirklich wahr ist, daß wir so ein Heidengeld erhalten sollen!«

»Ich bestätige es.«

»Und noch dazu prämando auszahlt!«

»Ja. An jedem ersten Januar wird Ihnen diese Summe zugehen.«

»O mein guter Heiland! Eine solche Summe aller Jahren! Da werden wir ja die reichsten Leutln in dera ganzen Umgegend! Was wollen wir da denen Armen geben und schenken, und wie werden wir uns freuen, daß wir auch mal ein Gutes thun dürfen! Aberst sagens doch, wie ists denn kommen, daß wir eine Pensionen erhalten, ohne daß wir darum beten haben?«

»Der König hat von Ihnen erfahren.«

»So. Wer hats ihm denn sagt?«

»Ich glaube, Herr Ludwig, welcher in Hohenwald wohnt, ists gewesen.«

»Der! Dera Herr Ludwigen, den unser Ludwig rettet hat! Ja, dera Ludwig hats sagt, daß der ein gar vornehmer Herr sein soll. Hanna, da


// 1608 //

müssen wir uns gleich morgen in dera Fruh aufimachen und zu ihm gehen, um uns zu bedanken. Wir müssen ihm auch ein Geschenken mitbringen. Weißt, was wir ihm mitnehmen?«

»Nun, was?«

»Ich hab in meiner Truhen noch sechs Ellen Leinwand liegen, die wir selbst derbaut und auch selber sponnen haben. Das reicht grad zu einem Hemd. Wann wir ihm das geben, so wirds ihn außerordentlich gefreun.«

»Mutter, wo denkst hin! Einem so feinen Herrn eine Leinwand schenken!«

»Warum nicht?«

»Noch dazu eine so grobe!«

»Was fallt Dir eini! Das weiß ich besser. Solche Leutln kaufen Alles in dera Stadt, wo Alles theuer ist und nicht echt. Da giebts in dera sogenannten Leinwanden eine ganze Menge Baumwollen mit. Das ist Alles nur Schund und Betrug. Wir aberst bringen ihm eine echte, reine Leinwanden, da ist kein Trug und keine Falschheiten dran. So eine Leinwanden hat er gar nicht. Das wird seine Haut kühl halten, und er wird sich ganz gewiß sehr darüber gefreuen.«

»O, er wird es gar nicht annehmen!«

»Nicht annehmen?« rief sie eifrig. »Dummes Ding! Was thust heut klug und gescheidt! Meine Leinwanden nicht annehmen! Wo denkst nur hin! Ich wickle sie gar schöni ein in ein sauber Papieren. Wir haben zwar keines. Aberst ich werd zum Herrn Pfarrer gehen, der liest die Zeitung und wird mir wohl ein Blatt schenken, das er nicht mehr braucht. Dann putzen wir uns brav heraus und gehen nach Hohenwald. Herrgott, wird das ein Feiertag sein. Aber lieber Herr, sagens doch, warum unser guter König gleich so viel schicken will!«

»Für ihn ist das nicht zu viel. Er hat Euch gründlich helfen wollen.«

»Nun, das kann uns nur gefreun. Und hat er sich das auch seiberst ausdacht, nämlich das mit dem Prämando?«

»Natürlich.«

»Nein, nein, was für einen gar lieben König wir haben! Das ist schon gar nicht zu sagen. Sogar an das Prämo hat er gedacht!«

Je größer ihr Entzücken wurde, desto kürzer wurde das Pränumerando. Prämerando, Prämando und Prämo. Doch trotz ihrer Herzensfreude war sie Wirthin genug, um sich zu erkundigen:

»Also bekommen wir die sechshundert Markln wohl am nächsten Januaren?«

»Nein,« antwortete die Tochter. »Hasts denn nicht hört, daß wir mehr, viel mehr bekommen?«

»Wie denn? Wo steht das schrieben?«

»Hier. Da lautet es:

»>Zugleich verfügen wir, daß diese Pension als vom Todestage des erwähnten Peter Held an laufend zu berechnen und seiner Wittwe nebst fünf Procent Verzugszinsen nachzuzahlen ist.<«


Ende der siebenundsechzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk