Lieferung 76

Karl May

7. Januar 1888

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


// 1801 //

wohl, das weiß ich, denn Du bist ein gar Sparsamer. Aber das Brod und das Andre kannst doch nicht daheim entwenden?«

»Ein Dieb bin ich nicht, nein; aberst ich weiß es schon auch ehrlich zu bekommen. Nur die Hauptsach weiß ich nicht.«

»Was denn?«

»Wie es die arme Frauen von mir erhalten soll.«

»Ja, da ists gefehlt. Du kannst doch nicht zu ihr.«

»Einen Rath wüßt ich wohl; aberst ich hab gar nicht das Herz, davon zu reden.«

»Kannst immer sprechen.«

»Nein. Ich muß doch schweigen.«

»Warum denn?«

»Weilsts mir übel nehmen könntst.«

»Dir? Nein, Fritz, auf Dich kann ich nicht bös werden, gewiß nicht.«

»So, dann sag mir mal, wannst wiederum hinunter in den Erlengrund gehest.«

»Ich wollt heut hinab.«

»Wieder so spät?«

»Ja; ich kann nicht eher, als bis dera Oheim schlafen gangen ist.«

»Wann ich Dir da meine Sachen bringen könnt, daßt sie dera Frau mitnehmen magst?«

Sie bemerkte gar nicht, daß er nur bezweckte, ihr eine freundliche Schlinge zu legen. Sie antwortete vielmehr, schnell bereit:

»Warum solltest das nicht können?«

»Weil ich Dich doch damit nicht belästigen darf. Oder doch?«

»Jawohl, darfst mich belästigen. Ists denn überhaupt eine Last, wann man einer Kranken Hilf bringen kann? Nein, ein Vergnügen ists, das größest Vergnügen, was es nur geben kann.«

»Also willigst ein?«

»Ja, sehr gern.«

»Wann soll ich es da bringen und wohin?«

»Das müssen wir berathen.«

»Zum Forsthaus?«

»Nein, dorthin nicht. Wanns dera Oheim merkt, so könnt er gar denken, daß wir - -«

Sie hielt inne. Es wäre ihr beinahe ein Wörtchen entschlüpft, über welches sie später hätte erröthen müssen. Der Knecht begriff das gar wohl; er ging schnell darüber hinweg, indem er zustimmte:

»Ganz richtig! Dera Förster darf nix davon ahnen. Darum ists besser, ich bring Dir die Sachen, wannst bereits unterwegs bist.«

»Ist das nicht zu spät für Dich?«

»Warum sollts zu spät sein?«

»Weilst schlafen mußt, denn früh beginnt Deine Arbeit mit dem Tag.«


// 1802 //

»Die Deinige auch, und dennoch bist um Mitternacht noch wach zum guten Werke.«

»So weiß ich, was wir thun. Da, wo Du mich sehen hast, wo ich rechts aus dem Walde muß und links wiederum hinein, da wartest auf mich. Um zwölf Uhr werd ich kommen. Da giebst mir, wast mitbracht hast, und ich nehms der armen Frauen mit.«

»Ja,« sagte er, innerlich ganz glücklich, seinen Zweck erreicht zu haben, »so wirds gemacht; so ists am Allerbesten. Aber weißt, das darf Niemand derfahren.«

»Kein Mensch!«

»Es muß unser Geheimnissen bleiben. Willst mir die Hand daraufi geben?«

»Ja, gern. Hier hast sie.«

»So, topp! Es muß so hübsch sein, ein Geheimnissen mit Dir zu haben. Ich stell mir das gar prächtig vor. Also, ich komm ganz sicher heut Abend; aberst Du darfst auch Wort halten!«

»Hab keine Sorg! Ich brech mein Versprechen nicht. Aberst hier müssen wir nun scheiden, Fritz. Die Kirchleut werden gleich kommen. Die brauchen uns nicht beisammen zu sehen.«

»Das ist wahr; ob wir aberst derowegen schon aus nander gehen müssen, das glaub ich nicht. Gehst wohl abi ins Dorf?«

»Nein; ich muß wiederum aufi zur Capellen. Ich hol den Oheim ab und muß mit ihm nach Haus.«

»Der ist beim Gottesdienst?«

»Ja.«

»Warum Du nicht auch? Warum bist hier außen im Freien?«

»O, ich war erst drin in dera Capellen. Da kam aber Deine Bäuerin und hat sich neben mich setzt. Das hab ich nicht aushalten können und bin gangen.«

»Kannst sie nicht leiden?«

»Nein, gar nicht.«

»Warum nicht?«

»Weils so stolz thut. Ich thät mir nix aus ihr machen und in dera Kirchen erst recht nicht; da muß man an den Herrgott denken und nicht an die Menschenleut. Aberst sie hat sich so neben mich setzt, daß sie mir den Rücken zukehrt hat, und nachhero hat sie ruckt und ruckt, daß ich keinen Platz mehr habt habe und fortgehen mußt. Es war ihr zu gering, daß ich neben ihr saß.«

»Ja, es ist eine Aufgeblasene; das ist gar richtig.«

»Nun will ich warten, bis dera Oheim kommt, und mit ihm nach Haus. Was aber thust Du hier oben?«

»Das wirst wohl nicht derrathen können.«

»Ich glaub es wohl.«

»Ich soll die Bäuerin abholen.«

»Du? Die abholen?« fragte sie fast erschrocken. »Weshalb?«


// 1803 //

»Weiß ich es?«

»Hat sie es Dir nicht sagt?«

»Sie hat sagt, daß ich sie heim begleiten soll, und sie will mir dabei sagen, was dera geistliche Herr predigt hat.«

Es glänzte fast wie Angst aus dem Auge des hübschen Mädchens.

»Komm,« sagte sie. »Man soll uns doch nicht hier sehen. Wir gehen seitab und steigen dann zwischen denen Büschen empor.«

Sie zog ihn mit sich fort. Erst nach einer Weile, als sie vom Pfade aus nicht gesehen werden konnten, blieb sie stehen. Sie blickte ihm besorgt in das Gesicht und fragte:

»Ists wirklich wahr, daßt die Kronenbäurin abholen sollst, oder hast nur einen Scherz machen wollen?«

»Es ist wahr.«

»Hat sie es Dir heimlich sagt?«

»Ja.«

»Herrgott! Fritz, Fritz!«

Sie faltete die Hände vor Schreck. Da erschrak er auch, und zwar über sie.

»Was hast, was ists mit Dir, Martha?« fragte er sie.

»Das hätt ich nicht denkt, daßt dera Bub bist von ihr!«

»Ihr Bub? Wie meinst das?«

»Ihr - ihr Liebster.«

»Martha, was fallt Dir ein!«

»Nun, wannst schon so öffentlich mit ihr gehen mußt, ohne daß dera Bauer Etwas davon derfahren darf!«

»Kind, Dirndl, sei klug! Wanns so wär, so thät ers doch derfahren. Die Leutln sehen uns ja und würden schon dafür sorgen, daß er es bald weiß. Das ist ja denen ihre allergrößte Freud. Aberst ich hab nur einen Scherz macht. Ich hab sehen wollt, wast dazu sagst. Dera Bauer weiß es, daß ich da bin, um sie abzuholen.«

»Wirklich, wirklich? Sagst die Wahrheit?«

»Ganz gewiß! Ich habs nicht gern than; aber er selberst hat mich dann heraufischickt, nachdem sie mir vorher in seiner Gegenwart geboten hat, sie abzuholen.«

»So ists, so also? Ich kann jedoch gar nicht begreifen, was sie dabei beabsichtigt.«

»Ich auch nicht.«

»Vielleichten ist sie Dir gut.«

»Das mag sie nur bleiben lassen. Hältst sie denn überhaupten für so Eine, die ihre Pflicht vergessen könnt?«

»Ja.«

»Warum? Hast was hört?«

»Hört und sehen.«

»Sapperment! Was denn? Sag es mir!«


// 1804 //

»Nein, später vielleicht. Jetzund haben wir keine Zeit.«

»Mußts mir aberst versprechen, daßt mirs wirklich sagen willst!« bat er in dringlichem Tone.

»Hast das so nothwendig?«

»Kannsts Dir doch denken, daß mich das sehr verinteressiren muß.«

»Wohl weilst eifersüchtig bist auf sie?«

»Auf die? Das könnt mir grad passiren! Wann ich eifersüchtig sein wollt, so wärs nicht auf die, sondern auf - - auf eine ganz Andere.«

»Auf wen?«

»Auf - Dich, Martha.«

»Geh fort! Willst über mich lachen?«

»Nein, Martha, ich kann Dir sagen - aber horch! Ich höre da Leut gehen. Dera Gottesdienst ist aus. Wir müssen schnell machen, daß wir hinaufi kommen, ich zur Bäuerin und Du zu Deinem Oheim.«

Er nahm sie bei der Hand, um sie beim schnellen Steigen zu unterstützen, und sie folgte ihm, so schnell sie es vermochte. Kurz vor der Capelle hörte das Gebüsch auf. Rings um das Gotteshäuschen gab es einen freien Rasenplatz, welchen man mit einigen Blumen und blühenden Strauchgruppen verschönert hatte. Fritz hielt an und sagte:

»Hier ist dera Busch alle. Man darf uns nicht sehen. Tritt Du da hier heraus, und ich gehe noch ein Wengerl nach rechts. Und nun leb wohl, meine liebe Martha!«

»Behüt Dich Gott, Fritz!«

»Denkst heut mal an mich?«

»Ja, gern.«

»Und auch oft?«

»Will schauen, ob ich Zeit dazu hab. Du verlangst gleich gar zu viel. Wann man -«

Sie wurde unterbrochen. Es rauschte vor ihnen. Die Zweige wurden auseinander geschoben und - die Kronenbäuerin stand vor ihnen in aller Pracht ihrer Frauenschönheit, aber mit zorngerötheten Wangen und haßblitzenden Augen, deren Blick wie ein vernichtender Strahl an dem erschrockenen Mädchen herniederfuhr.

So standen sie sich einige Sekunden lang gegenüber, das Kätherl als das Bild voller, üppiger, anspruchsvoller Schönheit, Martha aber als ein treues Abbild zarter, stiller, reizender Jungfräulichkeit.

Endlich zischte die Bäuerin dem Mädchen zu:

»Was willst hier, Dirn?«

Martha vergaß vor Verlegenheit, ihr zu antworten.

»Willst Dir wohl den Fritz erschnappen? Von dem laß nur ab! Den bekommst nicht!«

Der verachtungsvolle Ton, in welchem diese Worte gesprochen worden waren, gab Martha ihr ganzes Selbstgefühl wieder zurück.

»Von Dir möcht ich ihn auch nicht!« antwortete sie. »Die Kronen-


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bäuerin wär die Allerletzte, von der ich mir einen Bub geben ließ. Weißt wohl, warum!«

Sie wendete sich ab und verschwand zwischen den Büschen. Die Bäurin wendete sich nun langsam zu dem Knecht.

Dieser hatte kein Wort gesagt; aber nicht etwa vor Schreck oder aus Angst vor der Bäuerin. Nein. Er hatte aus einem ganz anderen Grunde vergessen, zu sprechen.

Als die Beiden einander gegenüberstanden, war es ihm mit aller Deutlichkeit in die Augen gefallen, wie schön eigentlich Martha war. Das war eine fromme, keusche, unberührte Mädchenblüthe, tausendmal mehr werth und tausendmal schöner noch als die üppige, pflichtvergessene Kronenbäuerin.

Diese Erkenntniß hatte ihn wie mit einem electrischen Schlage durchzuckt. Er hatte der lieblichen Nichte des grimmigen Försters stets eine große Sympathie gewidmet, ohne es ihr bemerken zu lassen. Auch heut, vorhin, als er sich so rasch entschloß, der armen Holzknechtfamilie auch Etwas zu schenken, hatte er nur die Absicht gehabt, einen traulichen Gang mit dem hübschen Mädchen durch den mondscheinüberflutheten Wald zu machen. Das sollte eine, so zu sagen, poetische Unterbrechung des alltäglichen Einerlei sein. Er hatte gar nicht etwa wirkliche Liebesgedanken und zärtliche Absichten dabei. Und als sie ihm so schnell zugesagt hatte, war ihm zwar eine Art Glücksgefühl überkommen, aber jenes selige Entzücken, welches die Liebe empfindet, wenn sie Erhörung findet, war es nicht gewesen.

Jetzt nun aber, als sich die beiden Frauen gegenüberstanden, die Kronenbäuerin trotz ihrer Schönheit doch abstoßend wirkend, und Martha hell und mild, wie der freundliche, silberne Mondesstrahl im Vergleich zu dem glühenden, ermüdenden, ja, verzehrenden Brande der Sonne, da war es auf einmal, in einem einzigen Augenblicke, licht in ihm geworden, und er fühlte, daß es nicht ein gewöhnliches, freundschaftliches Interesse sei, welches ihn so viel an Martha hatte denken lassen und zu ihr gezogen hatte. Nein, die Liebe war es gewesen, die schlummernde, sich selbst nicht kennende Liebe, die nun aber rasch erwacht war zu einem so hellen und mächtigen Bewußtsein, daß er, in dem hellen, blitzenden Lichte dieses Bewußtseins wie geblendet dastehend, gar keine Zeit fand, auf die Worte zu hören, welche zwischen der Kronenbäuerin und Martha gewechselt wurden. Erst als die Letztere sich entfernt hatte, und die Erstere nun zu ihm trat, sah er ein, daß er doch auch ein Wort hätte sagen sollen.

»So also,« sprach sie in höhnischem Tone. »Das war Deine Geliebte!«

Er blickte ihr ruhig in das Gesicht und antwortete:

»Hättst vielleichten was dagegen, wann sie es wirklich wär?«

»Ja, sehr viel.«

»Und was denn?«

»Daß Du ohne unsere Einwilligung Dir kein Dirndl anschaffen darfst.«

»Was hast denn für ein Recht, das zu verlangen?«

»Das Recht dera Mutter.«

»Ach so! So bist also meine Muttern?«


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»Ja.«

»Davon hab ich noch nix wußt und noch viel weniger merkt.«

»Das zu sagen, ist der größeste und schwärzeste Undank von Dir!«

»Das glaub ich nicht. Was hab ich Dir zu danken?«

»Alles. Wir haben Dich als Waisenkind zu uns genommen -«

»Damit ich tüchtig arbeiten sollt!«

»Dich gekleidet -«

»Daß ich barfuß und halb nackt hab laufen müssen!«

»Und ernährt -«

»Daß michs vom Morgen bis zum Abend hungert hat und vom Abend bis Morgen wieder, daß ich nicht hab schlafen konnt!«

»Und Dich erzogen!«

»Mit dem Stock, so daß ich die Schwielen davon wochenlang gefühlt habe.«

»Das darfst Du nicht sagen.«

»Ists verboten, die Wahrheit zu sagen?«

»Es ist ja nicht die Wahrheit!«

»O doch! Ich bin manches Mal als Bub hinaus gangen aufs Feld oder im Winter krochen in den Keller, um mir ein Runkelrüben zu holen, die ich fraß wie ein Rind, weilst mir nix zu essen geben hattest.«

»Das waren ja Ausnahmefälle. Es geschah, um Dich zu strafen, wenn Du einen Bubenstreich begangen hattest.«

»Ach so, darum! Ja, darum hatt ich so viel zu hungern, weil ich so viele Streich begangen hab, denn Du haßtest mich, und darum konnt ich Dir nix richtig machen.«

»Ich habe Dich nicht gehaßt. Ich habe mich im Gegentheil ganz wenig um Dich bekümmert.«

»Das war dann nachhero, als dera Bauer Dir mal selbst mit dem Stock bedeutet hat, daß ich auch ein Mensch bin und nicht ein Hund, den man nur so mit den Füßen von sich schleudert.«

Ihre Augen blitzten zornig auf.

»Erinnere mich nicht daran, sonst -!«

Sie erhob drohend die Hand.

»Sonst? Was ist sonst?«

»Sonst - -! Ah, nichts ist!«

Er hatte sich hoch und stolz vor ihr aufgerichtet. Seine Augen blitzten und seine gesunden Wangen rötheten sich noch tiefer. Das gab einen Anblick männlicher Kraft und männlichen Selbstbewußtseins, bei welchem sie sich erinnerte, daß sie ihn sich doch nicht zum Feinde machen dürfe, weil sie ihn ja liebe.

»Nichts? Das hab ich mir denkt,« sagte er. »Und wannst sagst, daßt Dich nicht um mich kümmert hättest, so brauchst auch nicht zu meinen, daßt meine Muttern seist. Eine Muttern bekümmert sich um ihr Kind. Eher könnt ich behaupten, daß dera Bauer mein Vatern sei, denn er ist stets freundlich und gerecht gegen mich gewest.«


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»Kannst Dich jetzt über mich beklagen?«

»Nein, jetzt nicht mehr. Du bist - sehr freundlich gegen mich.«

Fast hätte er gesagt - zu freundlich, anstatt sehr freundlich.

»Nun, wann Du das erkennst, warum machst Du mir da Vorwürfe wegen Vorkommnissen, welche längst vorüber sind?«

»Ich mache keine Vorwürfen, sondern ich hab nur beantwortet, wast gegen die Wahrheit behauptet hast. Hättest nicht sagt, daß ich kein Recht hab, mir nach meinem eigenen Geschmack und Willen ein Dirndl anzuschaffen, so wär dera ganze Streit unterblieben.«

»Geschmack? Geschmack hast Du keinen!«

»So? Das ist freilich schlimm für mich.«

»Ja. Wer sich in die Martha verliebt, der hat keinen Geschmack.«

»Ist sie denn gar so häßlich?«

»Nein. Sie hat eben eine Larv wie jede Andere auch. Kannst Schönere haben und Reichere dazu.«

»Wo denn?«

»Brauchst nur die Augen aufzumachen.«

»Nenn mir doch Eine!«

»Das ist gar nicht nothwendig. Schau Dich nur in Deiner nächsten Nähe um.«

»O Jerum! Wen giebts in meiner Nähe? Dem Wendlers Michel die Seinige? Das ist die nächste Nachbarin. Die hat Sommerflecken im Gesicht, so groß, daß man gleich einen Reitsattel hat, wann man so einen Sommerfleck aufs Pferd legt. Und faul und schmutzig ist sie halt auch.«

»Die mein' ich nicht.«

»Die Nächste ist die Körners Walburgi. Soll ich mich in die verlieben? Die hat ein schiefes Bein und dazu das böse Wesen.«

»Wer redet denn von der!« sagte sie ungeduldig.

»Nun, darnach kommt dem Rankenmüller seine Franzi. Die kann mir gar stohlen werden. Einen Schnurrbarten hats unter dera Nasen wie ein Artilleriefeldwebel; dabei stets die Schwindsucht und hustet so lieblich, daß man denkt, eine Lokomotive kommt aus dem Geleise.«

»Fritz, ärgere mich nicht! Ich meine doch keine von diesen. Ich habe sagt, daßt Dich in Deiner nächsten Nähe umschauen sollst.«

»Das wars doch auch. Ich hab doch nur von denen nächsten drei Nachbarn sprochen.«

»Wohnt dera Nachbar in dera nächsten Nähe oder nicht?«

»Nein, sondern nur nebenan.«

»Die nächste Nähe ist nicht so weit.«

»Ach so, dann meinst gar unsern eigenen Hof, den Kronenhof?«

»Ja. Giebts denn da keine Hübsche, der Du gut sein könntest?«

»Nein.«

»Besinne Dich!«

Sie legte ihm vertraulich die Hand auf die Achsel und schaute ihm mit


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warmem, verführerischem Blicke in die Augen. Er that, als ob er dies gar nicht bemerke und antwortete lachend:

»Ja, Eine weiß ich gar wohl.«

»Nun, wer ist sie? Ist sie hübsch?«

Sie dachte, er würde jetzt sich den Muth nehmen, ihren eigenen Namen zu nennen. Er aber sagte:

»Hübsch ist sie wohl, sehr hübsch. Wann sie barfuß läuft, so sehen die Füßen so schwarz, daß man meint, sie hat die langen Wasserstiefeln an. Ein Schnupftuchen brauchts nicht, weils Alles gleich mit denen Fingern besorgt. Elf Zähne hats und daneben einundzwanzig Zahnlücken, und mit dem rechten Aug schauts zum linken Ohr hinüber. Das ist die Großmagd, die Vinzenza.«

»Mein Himmel! Sei doch nicht so albern! Wie kann ich denn an diese denken. Ich werd sie überhaupt wegen ihrer Unreinlichkeit fortjagen. Suche Dir eine Andere! Es giebt eine viel, viel Hübschere da!«

»So? Hm! Das ist auch eine Geschmackssache. Da ist nachhero die zweite Magd. Die reicht mir grad bis an die Westentaschen und hat eine Taille wie eine Allgäuer Kuh. Die Nasen blickt zum Himmel und die Ohrenlappen kann man gut benutzen, um einen Zentner Kartoffeln darinnen fort zu schaffen. Wenn - -«

Vor den beiden stand Wildach.

Er kam nicht weiter, denn es raschelte abermals in den Büschen. Sie wurden mit Gewalt auseinander geschoben, und vor den Beiden stand der Oheim Martha's, der Förster Wildach.

Er war von hoher, stattlicher Figur und war ganz gewiß ein hübscher, ansehnlicher Bursche gewesen. Jetzt aber hatte er wohl die Fünfzig erreicht. Tiefe Falten durchfurchten ihm Stirn und Wangen, ein sicheres Zeichen, daß seine Vergangenheit eine sehr unruhige und von stürmischen Leidenschaften bewegte gewesen sei. Seine Nase war scharf und spitz, wie man sie bei ausgesprochenen Geizhälsen so oft findet, und sein Blick so unangenehm stechend, wie seine Stimme klanglos und schneidend war. Man ging ihm am Liebsten aus dem Wege, und es war allgemein bekannt, daß er selbst jetzt noch, in diesem Alter, zweien Leidenschaften rücksichtslos fröhnte, der Liebe und dem Gelde. Für Geld konnte er Vieles thun, wenn nicht Alles, und wenn ein Mädchen ein hübsches Gesicht und eine passable Gestalt hatte, so mußte sie sich sehr hüten, ihm aus dem Wege zu gehen. Sein Geiz war geradezu schmutzig, und in der Liebe kannte er keine Rücksicht und kein Bedenken.

Er war, wie bereits von Martha erwähnt worden war, mit seiner Nichte gekommen, scheinbar um dem Gottesdienste beizuwohnen, eigentlich aber aus einem anderen Grunde - er wollte mit der Kronenbäuerin zusammentreffen.

Als er jenseits mit seiner Nichte den Berg heraufgestiegen war - er kam nämlich von der dem Dorfe entgegengesetzten Seite - blieb er stehen und that, als ob das Bergsteigen ihn so angegriffen habe, daß ihm der Athem ausgegangen sei.


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»Geh hinein!« sagte er. »Es wird sogleich beginnen. Ich aberst muß mich vorher noch ein Wenig verschnaufen.«

Sie gehorchte ohne Widerrede. Der Oheim duldete überhaupt keinen Widerspruch. Er war es gewöhnt, daß jeder seiner Befehle sofort und unbedenklich vollzogen werde.

Kaum war sie in der Capelle verschwunden, so eilte er mit schnellen Schritten über den Grasplatz hinüber und blickte nach dem Dorfe hinab. Er sah die Kronenbäuerin unten am Berge gehen.

Sie Beide, nämlich er und die Bäuerin, hatten ihre ganz bestimmte Minute verabredet. Kam Eins von Beiden früher oder später zur Kirche, so war dies ein stilles aber sicheres Zeichen, daß eine heimliche Unterredung heute nicht stattfinden solle.

Heute war die Bäuerin gerade so wie er zur richtigen Zeit unterwegs und er wußte nun, daß sie nicht abgeneigt sei, mit ihm zu reden. Er stieg also ein Stück den Berg hinab, ihr entgegen, und trat sodann seitwärts zwischen die Büsche, um von den anderen Kirchengängern nicht gesehen zu werden.

Den Ort, an welchem er stand, kannte die Kronenbäuerin. Sie trafen sich stets nur an demselben. Darum überraschte es ihn auch nicht, als sie nach kurzer Zeit vor ihm stand.

»Da bist ja,« sagte er, ihre reizende Gestalt mit gierigem Blicke überfliegend. »Grüß Dich Gott, Kätherl!«

»Grüß Gott, Förster,« antwortete sie, ihre Hand in die seinige legend, welche er ihr entgegengestreckt hatte.

»Hast Dich heut sehr fein macht, feiner, als ich Dich jemals sehen hab.«

Er wollte sie an sich ziehen. Sie aber entzog ihm schnell ihre Hand und trat um einen Schritt zurück.

»Was hast?« fragte er.

»Es muß nicht immer gleich geherzt und geküßt sein!«

»Einen einzigen nur zum Beginn!«

Er strich sich in Erwartung des gewünschten Genusses den struppigen Schnurrbart empor.

»Da kannst warten!« antwortete sie ziemlich schnippisch.

»So! Bist heut wohl bei schlechter Laune?«

»Auch nicht anderst als immer.«

»O doch! Hast Dich doch sonst nicht weigert, wann ich Dir zum Gruß ein Busserl hab geben wollt. Warum also heut?«

»Weil ich bereits satt davon bin.«

»Was? Bist küßt worden?«

»Gar sehr.«

»Donnerwetter! Von wem?«

»Vom Bauer.«

»Von Deinem Manne? Das machst mir schon gar nicht weiß. Bevor Du Dich von dem küssen lässest, da fallt eher noch dera Himmel ein.«


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»Das scheinst sehr genau zu wissen.«

»Ganz so genau wie Du.«

»Woher?«

»Hasts mir doch selber sagt.«

»Das war Scherz. Eine Frauen kann doch dem Manne die Liebe nicht verweigern. Er hat das Recht, sie zu verlangen.«

»Darnach fragst Du längst nicht mehr. Nein, von dem bist nicht küßt worden. Viel eher von einem Anderen. Und wer das ist, das kann ich mir denken.«

»So? Wen meinst denn?«

»Den Officieren, der bei Dir wohnt.«

Ueber ihr Gesicht ging ein verächtliches Zucken, als sie antwortete:

»Ja, der ist ein ganz besonders Feiner und Sauberer!«

»Von Adel und so steinreich, daß er Dir für ein jedes Busserl zehn Mark zahlen kann.«

»Ich gebs ihm umsonst.«

»Kreuzmillionen! Willst mich ärgern?«

»Fallt mir nicht ein! Aber meinst etwan, weil ich meinen Bauer nicht mehr ausstehen kann, so bists nur Du allein, von dem ich mich küssen lassen darf?«

»Ja, grad das meine ich.«

»Da bist weit vom Ziele. Du hast kein größeres Recht, als ein jeder Andere, nämlich gar keins.«

»Hast mirs doch versprochen!«

»Papperlapapp! Was verspricht man nicht in einem Augenblicke, wo man grad mal ausnahmsweise liebevoll ist!«

Er zog die Stirn in zornige Falten, biß sich auf den Schnauzbart und sagte:

»Kätherl, bedenk, daßt keinen Schulbuben vor Dir hast! Bist sonst allemalen freundlich zu mir gewest. Warum heut nicht? Heut hast noch keine freundliche Miene macht. Was hast gegen mich?«

»Gar viel!«

»So sag es!«

»Das hab ich halt nicht nöthig.«

»Oho! Wir sind einig worden, daß wir uns heirathen, sobald Dein Mann stirbt; also sind wir grad wie verlobte Brautleuten. Da muß man offen gegen nander sein.«

»Zur Verlobung gehört mehr, alst aufzeigen kannst!«

Sie hatte ihm wirklich noch keinen einzigen freundlichen Blick gegönnt. Ihr Gesicht war kalt und starr, wie das einer Bildsäule. Es war klar, daß sie seine Leidenschaft zu stacheln beabsichtigte.

»Meinst wirklich?« lachte er auf. »Ich denk im Gegentheil, daß wir uns so innig verlobt haben, daß wir gar nie wieder aus nander können.«


// 1811 //

»Niemand hält mich und Niemand Dich. Wir haben unseren freien Willen. Erst mit dera Heirath ist man bunden.«

Jetzt trat er hart an sie heran, ergriff ihren Arm und fragte streng:

»Sprichst etwan das Alles im Ernst?«

»Schau ich grad wie eine Gespaßige aus?«

»Nein. Du bist im Gegentheil heut grad wie Eine, die mich fressen will.«

»Da brauchst keine Angst zu haben. Fressen thu ich Dich nicht. Wann ich mir das vornehmen sollt, so müßtest wohl weit appetitlicher sein als jetzt.«

Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, welche ihn noch mehr erbitterte.

»Kätherl, bring mich nicht auf!« drohte er.

»Schrei nicht so!« antwortete sie ruhig. »Man kann Dich doch bereits unten im Dorf hören! Oder kommen wir hier etwan zusammen, um zu prüfen, wer am lautesten rufen und reden kann?«

»Alle Teufel, hast Du heut eine Laune! Die ist dick wie ein Gewitterregen. Wer in solcher Zeit Dein Mann ist, der muß sich in Acht nehmen, daß es nicht bei ihm einschlägt!«

»Das könntest mal empfinden!«

»Davor fürcht ich mich nicht. Ich bin kein Windbeutel, den die Frau anblasen kann, wie es ihr gefällt. Jeder hat dasselbige Recht, und wann meine Frauen donnert, so blitze ich.«

»So! Das ist gar schön, daßt mir das sagst. Wann ich mal Wittwe sein werde, so hab ich also nix Eiligeres zu thun, als Deine Frauen zu werden.«

»Geh! Du weißts schon, wie ichs meine. Ich bin ein Rauher und Kräftiger; aberst eine Frauen versteh ich schon noch glücklich zu machen.«

»Deine erste wars wohl auch?«

»Allerwegen.«

»Und doch sagen die Leutln, daßt sie prügelt hast und sie zu Tod geärgert!«

»Die Leute, welche das sagen, mögen nur zu mir kommen. Ich werde sie mit der Hundepeitsche eines Besseren belehren. Nach solchen Hallunken brauchst Du Dich nicht zu richten.«

»Das thu ich auch nicht. Ich hör auf Niemand. Ich bin alt genug, um selberst zu wissen, was ich zu thun hab.«

»Nun, so sag, was thust, sobald dera Kronenbauer begraben ist!«

»Ich - leg Trauer an.«

»Das meine ich nicht. Antwort mir doch gescheidter! Mußt doch wissen, wast mir als ganz gewiß versprochen hast!«

»Deine Frau zu werden? Ja, wannst es darnach treibst, kannst nachhero mein Mann sein.«

»Na, das wollt ich nur hören! Leider aberst schauts ganz so aus, als ob ich auf den Nimmermehrstag warten sollt.«

»Hast keine Geduld?«


// 1812 //

»Dera Teuxel hole die Geduld, wann sie anfangt, langweilig zu werden. Dein Bauer ist wie dera ewige Jude: Er kann nicht sterben.«

»Sei still! Er hustet bereits.«

»Er wird noch in fünfzig Jahren husten. Er kann so alt werden wie Methusalem.«

»So was passirt jetzund nicht mehr.«

»Wanns auch nicht gar so groß mehr ist, das Alter, so ists dennoch eine verteufelte Geschichten, daß man auf den Tod eines Menschen warten soll, der ein Leben hat, wie eine Katz.«

»Mir währt es selbst auch schon zu lange.«

»Bist selberst schuld.«

»Meinst? Was kann ich Anderes thun, als warten und nur warten?«

»So? Weißt nix, gar nix, wast da thun könntest?«

»Gar nix.«

»So bist freilich bei Weitem nicht so klug, wie ich denkt hab.«

»Vielleichten gehts mir ebenso mit Dir.«

»Oho! Wann ich einen Zweck verfolg, so weiß ich auch, was für Mittel zu demselben führen.«

»Hier giebts kein Mittel.«

»Viele, sogar sehr viele.«

»Kein einziges, als eben nur dera Tod.«

»Nein, denn der Tod ist eben dera Zweck, aberst nicht das Mittel. Wann ich einen Rehbock haben will, so ist der Rehbock dera Zweck und die Büchs ist das Mittel.«

»Das klingt gut. Meinst etwan, daß ich meinen Mann derschießen soll?«

»Derschießen! Das macht zu viel Lärm. Da giebts ruhigere Wege.«

»Weißt welche?«

»Ja. Willst einen wissen?«

»Sag einen!«

»Chloroform.«

»Was ist das?«

»Das ist das Zeug, welches man einathmen muß, wann Einem die Aerzte die Besinnung nehmen wollen, damit man operirt werden kann.«

»Da wacht man doch wieder aufi!«

»Nein, wann man genug bekommt. Und wer daran storben ist, dem schauts Keiner an. Die Aerzten denken dann, der Schlag hat ihn troffen.«

»Das Zeug kann man aberst wohl nicht zu kaufen bekommen?«

»Nur schwer; aberst ich wollt Dirs schon verschaffen.«

»Ich mag es nicht. Wann man mit Etwas hanthiren will, muß man auch verstehen, mit demselbigen umzugehen.«

»So giebts noch Anderes, zum Beispiel den Arsenic.«

»Den kenn ich auch nicht.«

»Das ist Rattengift.«

»Das ist mir schon bekannt. Meinst, daß ich den Bauern vergiften soll?«


// 1813 //

»Fürchtest Dich davor?«

»Nein; ich fürcht mich überhaupt nicht, doch hab ich oft hört, daß so eine Vergiftung sofort entdeckt wird.«

»Nicht immer.«

»Nicht immer! Ist das etwan ein Trost?«

»Ich hab ja nicht sagt, daßt ihm gleich ein ganzes Pfund Arsenic ins Essen thun sollst. Das muß subtil macht werden. Alle Tagen ein ganz, ganz klein Bisserl. Das wirkt, ohne daß es Jemand merkt. Dera Kranke geht dabei langsam ein. Man hat es dabei sogar ganz in dera Macht, ihn sterben zu lassen zu einer beliebigen Zeit und Stund.«

»Danke! Eine Giftmischerin mag ich doch nicht sein. Ich mag nicht morden.«

»Bist so furchtsam?«

»Ja, ich fürchte Gott.«

»Mach keinen Scherz! Dir fällt es gar nicht ein, Dich um die zehn Geboten zu bekümmern. Du bist die Richtige dazu! Ja, aberst wannst nix thun willst, so mußt eben warten!«

»Das will ich auch.«

»Donnerwetter, aberst mir paßt das nicht!«

»So heirath schnell eine Andere!«

»Das sagst auch nur, um mich zornwuthig zu machen. Du weißt ganz genau, daß ich keine Andere mag als nur Dich. Um Deinetwillen wär ich im Stand, das zu thun, wofür Du Dich fürchtest.«

»Was?«

»Frag nicht auch noch! Bei solchen Dingen ists besser, man thut sie still, aber man spricht sie nicht aus. Wann ich wüßt, wann ich nur genau wüßt, ob -«

Er blickte sie scharf forschend an.

»Was willst wissen?« fragte sie.

»Obst mich wirklich magst.«

»Was wäre da, wann ich Dich möcht?«

»Hochzeit wäre da, und zwar bald!«

»Das glaub ich nicht.«

»Kannsts glauben! Kätherl, wannst mir jetzund fest zuschwörst, daß ich nach dem Tode des Bauers Dein Mann werd, so - so - so sollst auf seinen Tod gar nicht mehr lang zu warten haben.«

Sie zeigte keinerlei Abscheu gegen das, was er ihr sagte; aber sie gab ihm auch nicht die gewünschte Auskunft.

»Es ist besser, wir warten doch,« sagte sie.

»Das ist nicht nach meinem Geschmack!«

»Nach dem meinigen auch nicht, und doch kann es mir nicht einfallen, mich durch ein solches Versprechen, wie Du es von mir forderst, für immer an Dich zu binden. Das wäre die größte Unvorsichtigkeit.«

»So! Hast vielleichten auch noch andere Aussichten?«


// 1814 //

»Du weißt gar wohl, daß ich sie haben könnt, wann ich sie wollt; aberst ich denk nicht daran.«

»Warum sprichst da von einer so großen Unvorsichtigkeiten?«

»Weil man sich kennen muß, ganz, ganz genau kennen, wann man sich heirathen will.«

»Und kennst mich etwan nicht?«

»Nein.«

»So! Da schlag doch dera Teuxel drein! Jetzunder will sie mich nicht kennen, und wir sind doch schon seit Jahren bekannt und hundertmal wie Mann und Frau bei nander sessen.«

»Das ist wahr, aber ich kenne Dich trotzdem nicht. Und daran bist Du selbst schuld.«

»Ich? In wiefern?«

»Weil Du nicht aufrichtig mit mir bist. Du spielst Versteckens mit mir. Ich kann Dir weder Glauben noch Vertrauen schenken.«

Er blickte sie ganz erstaunt an.

»Was sagst da? Keinen Glauben und kein Vertrauen kannst mir schenken? Da möcht ich doch gleich wissen, warum.«

»Weilst mich belügst.«

»Ich? Dich? Millionenhagelwetter! Bring mich nicht in Harnisch, Kronenbäuerin! Wannst behauptest, daß ich Dich belogen hätt, so hast grad Du eine Lügen macht.«

»O nein. Ich kanns Dir beweisen.«

»Beweis es doch mal!«

»Das soll mir nicht schwer fallen. Willst mir mal ehrlich Antwort geben?«

»Ja.«

»Was hast gestern Abend macht, als ich von Dir fort war?«

»Ich ging -«

Er hielt inne. Es war ihm deutlich anzusehen, daß er das, was er hatte sagen wollen, zu ihr nicht sagen dürfe. Darum verbesserte er sich schleunigst:

»Ich ging zu Bett.«

»Gleich dort im Wald?«

»Natürlich nicht. Ich bin heim gangen und hab mich niederlegt.«

»Ists wahr?«

»Ja. Ich habs Dir ja bereits gestern sagt, daß ich nix Anderes thun werd, als zu Bett gehen und ausschlafen.«

»Schau, wie prächtig Du lügen kannst!«

Sie machte jetzt ein zorniges Gesicht.

»Ich lüge nicht,« behauptete er.

»Da hast aberst nicht schlafen!«

»Was denn?«

»Du bist im Wald standen während dera ganzen Nacht.«


// 1815 //

»Sappermenten! Was soll ich im Walde stehen die ganze Nacht hindurch?«

»Um den Samiel zu fangen. Es ist von denen Soldaten, Polizisten, Schandarmen und Forstleuten jeder Weg besetzt gewest.«

Er erschrak und erstaunte zu gleicher Zeit.

»Das weißt Du? Das?« fragte er.

»Ja, das weiß ich.«

»Aberst es war ja ein tiefes Geheimniß!«

»Du siehst, daß ich es dennoch derfahren hab.«

»Von wem?«

»Das ist nun mein Geheimniß. Wann Du welche vor mir hast, so darf ich auch eins vor Dir haben.«

»Das war ein Dienstgeheimniß. Verstanden? Davon darf man gegen Niemand was ausplaudern.«

»So denkst halt Du, weilst ein Dummkopf bist und mich nicht lieb hast!«

»Oho! Einen Dummkopfen hab ich mich noch nicht von jemand nennen lassen. Das darfst nur Du allein wagen!«

»Und doch bist einer. Es giebt viel gescheidtere Leut als Du. Mir hast kein Vertrauen schenkt und machst nun die alberne Ausred vom Dienstgeheimniß. Warum find ich denn bei Anderen Vertrauen, bei denen es grad so Dienstgeheimniß ist wie bei Dir? Dienstgeheimniß ist eben nur eine Vertrauenssache. Vertrauen erweckt Liebe. Das kannst Dir merken. Wo das nicht vorhanden ist, da soll man auch nicht von dera Liebe oder gar von dera Hochzeiten reden, so wie Du vorhin.«

»Himmelsakra, das ist eine Predigt, die ich da anhören muß!«

»Hast sie verdient!«

»Weil ich meine Pflicht than hab? Da hab ich nur Lob verdient.«

»Ich lob Keinen, der mich anlügt!«

Sie waren Beide zornig auf einander. Sie hatten sich von einander abgewendet. Er bohrte mit seinem Stocke, den er in der Hand hielt, eifrig in das Erdreich ein, und sie -? Sie lächelte, da er es nicht merkte, still und siegreich vor sich hin. Sie wußte, daß sie die gegenwärtige Schlacht gewinnen werde.

Nach einer Weile hatte er sich besonnen, was das Beste sein werde. Er nahm sich vor, zu leugnen und beim Leugnen zu verharren. Er drehte sich ihr also langsam zu und sagte:

»Ich weiß übrigens gar nicht, warum Du Dich mit mir zankst. Ich habe Dir nicht die geringste Veranlassung dazu gegeben.«

Sie blieb so, den Rücken gegen ihn gekehrt, und antwortete nicht. Darum fügte er hinzu:

»Ich habe Dich doch gar nicht belogen!«

Da fuhr sie schnell herum zu ihm, blitzte ihn mit zornigen Augen an und sagte:

»Nicht belogen? Was?«


// 1816 //

»Nein.«

»Bist nicht mit auf Posten gewest?«

»Nein. Ich hab schlafen.«

»Aberst ich weiß doch das Gegentheil!«

»So ist Derjenige dera Lügner, von dem Du es derfahren haben willst.«

»Schön! Ganz wie Du willst. Ihm glaube ich mehr als Dir. Leb wohl!«

Sie wendete sich von ihm und ging. Aber im nächsten Augenblicke stand er ihr zur Seite und hielt sie fest.

»Kathrin'!«

Sie gab sich scheinbar Mühe, ihm ihren Arm zu entringen.

»Kätherl!« wiederholte er in bittendem und beinahe demüthigem Tone.

»Was willst?«

»Geh noch nicht fort!«

»Was soll ich hier? Mich fort und fort anlügen lassen? Das fallt mir doch nicht im Traume ein!«

»Aberst wo soll ich denn als Posten standen haben?«

»Das wirst wohl wissen.«

»Ich weiß nix. Ich hab ja schlafen.«

Da heuchelte sie möglichst großen Zorn und entgegnete:

»Nicht schlafen hast! Ich weiß, wo Du gewest bist. Ich weiß es ganz genau.«

»Nun, wo denn?«

»Im Amselbusch.«

»Donnerwetter!«

»Schau, wiet jetzund verschrickst!«

»Das ist kein Schreck, sondern nur das Verstaunen, daß ich da im Amselbusch gewest sein soll, während ich doch im Bette legen hab.«

»Welch eine Hartnäckigkeit! Bist also wirklich nicht dort gewest?«

»Nein und abermals nein!«

»Hast also auch nix dort verloren?«

»Nein.«

Er sagte das in zuversichtlichem Tone, war aber dennoch verlegen.

»Auch das nicht?«

Sie griff in die Tasche und zog einen ziemlich leeren Tabaksbeutel hervor. Er griff hastig nach demselben.

»Mein Beutel! Wie kommst zu demselben?«

»Das brauchst nicht zu wissen. Sagst mir ja auch nix. Den hast gestern im Amselbusch verloren.«

»Wo hast ihn denn funden?«

Sie hatte ihn nicht gefunden. Sie selbst hatte ihn dem Förster aus der Außentasche seine Joppe gezogen. Er hatte auf Posten gestanden oder vielmehr im Wald gelegen. Der Samiel sollte gefangen werden, und dieser, der Samiel, nämlich die Kronenbäuerin, war so verwegen gewesen, grad die umstellte


// 1817 //

Gegend zu betreten. Sie hatte den Förster bemerkt, war leise zu ihm hin gekrochen und hatte ihm den Beutel aus der Tasche genommen, um ein Beweisstück zu haben, daß sie von ihm belogen worden war.

Jetzt wußte er nicht, wie er sich gegen sie benehmen solle. Sie antwortete:

»Im Amselbusch hab ich ihn funden.«

»So hab ich ihn früher dort liegen lassen.«

»Nein. Noch gestern Abend, bevor wir ausnander gingen, hab ich Dir selbst die Pfeif aus demselbigen stopft und ihn Dir in die Taschen steckt.«

»Das ist nicht möglich. Du wirst ihn wohl gleich behalten haben.«

Da fuhr sie auf:

»Donnerwetter! Hältst du mich für ein Kind, daßt mir so was sagen kannst!«

»So sag, wannst ihn willst funden haben!«

»Heut früh.«

»Was hast da im Amselbusch zu suchen?«

»Thee hab ich holt für meinen Mann. Da lag Dein Beutel. Also bist dort gewest!«

»Das beweist noch nix!«

»Ich hab mich zum Ueberfluß weiter erkundigt, um ganz sicher zu gehen.«

»Bei wem?«

»Da fragst mich zu viel. Ich hab gern derfahren, daßt wirklich dort gewest bist.«

»Das könnt Dir nur dera Officier sagt haben!«

»Ich verrath denjenigen nicht.«

»Dem sei Gott gnädig! Wann er mit Dir so vertraulich ist, daß er Dir solche Dienstgeheimnissen ausplaudert, so mußt schon sehr gut mit ihm stehen.«

»Das kann Dir sehr egal sein. Das wird Dich auch gar nicht kränken, denn Liebe hast doch nicht zu mir, da Dir so alles Vertrauen zu mir fehlt. Wannsts wenigstens noch ehrlich eingeständst! Aberst Du machst Lüg auf Lüg, und dadurch wird Alles schlimmer. Ich mag von Dir gar nix mehr wissen.«

Sie wendete sich wieder von ihm ab. Er hielt sie abermals zurück. Er nahm sich jetzt vor, von seinem Leugnen abzusehen.

»Bleib, Kätherl,« bat er. »Ich wills Dir sagen.«

»Brauchsts gar nicht einzugestehen! Ich weiß es doch!«

»Wirsts mir verzeihen?«

»Nein.«

»So sag doch nur, warumst grad darauf so brennst, zu derfahren, wo die Posten stehen!«

»Das hätt ich derfahren wollt? Ist mir gar nicht einfallen. Ich hab mich nur ärgert, daßt mich belogen hast. Mir ists ganz egal, ob Posten draußen sind oder nicht. Aberst wannst sagst, daßt nach Haus gehst, und ich


// 1818 //

hör hernachens, daß es nicht wahr gewest ist, so kanns mich kränken. Wannst mich wirklich lieb hättst, so thätst so etwas nicht. Das ist die Sach! Verstanden?«

»Nun gut, wanns weiter keinen Zweck hast, so kannst nun zufrieden sein. Ich gesteh mein Unrecht ein und bitt Dirs ab. Willsts mir verzeihen?«

»Wannst mir Besserung versprichst!«

»Ja. Ich sag nichts Unwahres mehr.«

»Auch wanns ein Dienstgeheimnissen gilt?«

»Auch dann.«

»Aberst ich werd Dich auf die Proben stellen!«

»Das kannst ja thun. Ich weiß, daß ich sie bestehen werd. Giebst mir nun zur Versöhnung Deine Hand?«

»Hier ist sie.«

Ihr Gesicht war wieder freundlich. Die Wolke war verschwunden. Sie gab ihm die Hand.

»Und einen Kuß?«

»Zwei und auch drei, weilst gute Besserung gelobt hast. Da, komm.«

Sie hielt ihm den Mund entgegen und er machte von der erhaltenen Erlaubniß einen sehr ausgiebigen Gebrauch.

Ein moralisch nur halbwegs veranlagter Beobachter hätte sich von dem Anblicke, welchen diese beiden Personen boten, abgewendet, denn es war ein gradezu widerlicher. Abgesehen auch von dem Unterschiede in dem Aeußeren der Zwei war die Zärtlichkeit des Försters eine so ungemein sinnliche, daß sie unbedingt abstoßen mußte. Und die Bäuerin nahm die Liebkosungen desselben so kalt und passiv entgegen, daß es ihr anzusehen war, sie gewähre ihm die Berührung ihrer Person nur allein aus einer allem inneren Gefühles baren Berechnung.

Endlich aber wurde es ihr denn doch zu viel. Sie stieß ihn von sich ab und sagte:

»Nun ists gut. Du derdrückst mich ja und machst mir mein ganzes Habit zu schanden. Wer mich so anschaut, was muß der denken! Du siehst, daß ich Deine Bewerbung annommen habe; nun mußt auch Wort halten und kein Geheimnissen mehr vor mir haben.«

»Nein. Nun hab ich keine mehr. Kannst auf mich rechnen!«

»Ja. Aberst darfst auch nicht mehr so zuwider und zurückhaltend sein wie in dera letzten Zeit. Wann man eine Frauen lieb hat, soll sie Einen auch als ihren Mann betrachten und sich darnach verhalten. Ich hab Dich in dera Zeit bisher oft bestellt, und Du bist nicht kommen. Gestern warst zwar da, aberst ich hab Dich gar nicht anrühren durft. Das kann mir nicht gefallen. Es ist ganz so gewest, als obst einen Anderen hättst. Wann werden wir wiederum ein Stelldichein haben?«

»Wannst willst.«

»Schön! Kannst heut kommen?«

»Wohin?«


// 1819 //

»Ja, das ist nun eine böse Geschichten. Wir werden wiederum die Wege der ganzen Umgegend so besetzen, daß dera Samiel uns nicht entgehen kann, falls er in dieser Nacht nicht zu Haus bleibt, sondern abermals wildern oder stehlen geht.«

»Ihr gebt Euch doch gar gewaltige Mühe, ihn zu fangen!«

»Einmal wird er uns doch in die Hand laufen, wann wir nur lang genug aushalten und uns so heimlich verhalten, daß er es gar nicht merkt, wie schlau wir auf ihn warten.«

»Ja, schlau fangt Ihrs jetzunder an!« sagte sie in ironischem Tone. »Jedermann weiß, daß allüberall das Militär einquartirt worden ist, und nur dera Samiel allein soll es nicht wissen!«

»Mag er es wissen! Er weiß doch nicht, warum. Das Militär ist da, um Felddienstübungen abzuhalten. Daß aberst der eigentliche Zweck darinnen liegt, den Samiel zu fangen, das ist ein Geheimniß, welches er nicht eher derfahren wird, als bis man ihn dergriffen hat. Eine Anstrengungen ists freilich für Unsereinen. Man hat seinen gewöhnlichen Forstdienst zu thun und außerdem während dera ganzen Nacht auf Posten zu stehen. Woher nimmt man da die Zeit zum Schlaf! Lange darf das nicht währen, sonst rackert man sich ab und geht zu Grund. Bei diesem Leben ists eben nur die Liebe allein, die es erträglich machen kann. Und darum freut es mich, daßt wiederum gut sein willst. Heut Abend ist mein Platz unten im Amselbusch. Das ist nicht weit. Kannst dahin kommen?«

»Wann?«

»Ich tret um zehn Uhr an.«

»Da kann ich noch nicht fort. Ich muß warten, bis bei mir Alles im Schlafe liegt.«

»So komm später! Ich hab diesen Posten von dem Officier nur aus Rücksicht anwiesen bekommen, weils nicht gar weit von meiner Förstereien ist.«

»Und wo treff ich Dich da? Dera Amselbusch ist lang.«

»Kennst ihn vielleichten?«

»Ja. Ich bin einige Male dort spazieren gewest.«

»Hast da vielleichten auch die beiden Eichen sehen, welche eng neben einander stehen? Es ist eine Steinbank davor baut und weiches Moos darüber.«

»Die hab ich nicht nur sehen, sondern auch darauf sessen.«

»So wirst sie finden?«

»Ja. Es ist ja Mondschein heut, wann das Wetter sich nicht ändern thut.«

»Heut bleibts schön. Es ist sehr gut, daßt nicht Eine bist, die sich fürchten thut. Eine Andere würd nicht des Nachts durch den Wald gehen.«

»Das schreibt sich noch von meiner Jugend her; da war ich gar viel im Walde.«

»Habs hört.«

»So? Was hat man denn sagt?«


// 1820 //

»Daß Dein Vatern ein Wilderer west ist und Du hättst ihm holfen. Er ist niemals derwischt worden.«

Sie lachte auf.

»Er konnt nicht derwischt werden, weil es nicht wahr ist, daß er wildert hat.«

»Nicht? Es giebt doch so sehr viele Stückerln, die man sich von ihm derzählt.«

»Das ist Alles nur erdacht, was sich die Leut verzählen.«

»Du sagst doch selbst, daßt viel im Wald gewest seist!«

»Aber nicht um zu wildern. Wir waren arm und sind hinaus gangen um Beeren und Schwammerln zu suchen. Auch Holz haben wir eintragen für den Winter. Da lernt man den Wald kennen. Da bricht oft dabei dera Abend und die Nacht herein, und so kommt es, daß man sich selbst in dera Dunkelheit nicht im Walde fürchtet. Vielleichten ist dera Samiel auch ein armer Bub gewest, der sich im Wald hat abmühen müssen; nun kennt er ihn und fürchtet sich nicht.«

»Wir werden ihm schon bald das Handwerk legen. Er wirds nicht mehr lange treiben, vielleichten nur noch eine ganz kurze Zeit.«

»Das glaub ich nicht. Nach Allem, was man von ihm hört, ist er ein schlauer Patron, der jetzund wohl so klug sein wird, zu Haus zu bleiben.«

»Wollen ihn schon heraus locken!«

»Womit?«

»Mit einem Köder, an welchen er ganz sicher beißen wird.«

»Wirst Dich verrechnen.«

»Ich möcht wetten, daß es uns gelingt.«

»Für einen Solchen giebts wohl keinen Köder.«

»Meinst? Es giebt im Gegentheil einen gar sehr guten, der sich bewähren wird.«

»Da möcht ich doch fast wissen, worinnen diese Lockspeis bestehen soll.«

»Das ist Dienstgeheimniß.«

»Schon wiederum eins?«

»Ja. Und ich hab die große Ehr, mir das ausdenkt zu haben. Ich hab den Plan dem Officier vorlegt. Er hat ihn für gut und schlau befunden und die Bestimmung troffen, daß er ausführt werden soll.«

»So bist ja ein Kerl, vor welchem man vor lauter Hochachtungen gleich den Hut abnehmen muß.«

»Ja, alleweile bin ich das. Und ich werd stolz sein, wann das gelingt. Nachhero komm ich wohl zur Belohnung endlich in königlichen Dienst. Das Privatforstwesen hab ich satt.«

»Königlicher Förster? Ich denk, Du willst Kronenbauer werden!«

»Ja, wann diese Zeit da sein wird, so leg ich den Dienst nieder, er mag heißen, wie er will.«

»Also, worinnen besteht denn die Lockspeisen, von der Du sprochen hast?«

Er zuckte verlegen die Achsel und sagte:


// 1821 //

»Ja, liebes Kätherl, das darf ich Dir nicht sagen.«

»So!« fuhr sie auf. »Hast mir nicht so eben versprochen, kein Geheimnissen vor mir mehr haben zu wollen?«

»Von heut an!«

»Und nun hast doch gleich heut wieder eins!«

»Das ist kein heutiges. Das wurde bereits gestern besprochen, und was gestern war, das geht dem heutigen Tag nix an.«

»Wer hat denn sagt, daß es sich nur um die Geheimnisse von heut an handelt?«

»Das versteht sich doch von selberst.«

»Nein. Alle sind gemeint. Du sollst offen und ehrlich sein in Allem gegen mich, auch in Beziehung auf vergangene Dinge.«

»Meinswegen! Aber dieses Eine, davon darf ich nicht reden. Da hab ich mein ganz besonderes Ehrenwort drauf geben.«

»So muß es gar sehr wichtig sein.«

»Ja, außerordentlich. Nur zwei Personen wissen davon, nämlich ich und dera Officier, der Lieutenant. Keinem Förster und keinem Polizeier darf jetzt was davon sagt werden, nicht mal dem Feldwebel und denen Unterofficieren, welche in dera Umgegend stehen. Daraus magst ersehen, wie schlau und heimlich wir handeln. Darum eben bin ich überzeugt, daß dera Samiel auf den Leim gehen wird.«

»Mag der drauf gehen, ich aber nicht. Ade, Förster!«

Sie drehte sich um, zum dritten Male nun; aber ebenso schnell wie die beiden andern Male hatte er sie am Arme.

»Was läufst wiederum davon?« fragte er.

»Weil eben auf Dich kein Verlaß ist. Du hältst nicht Wort. Jetzund hast abermals ein Geheimnissen!«

»Sappermenten! Das selbige kann Dir doch ganz gleichgiltig sein!«

»Das ists mir auch. Was geht mich dera Samiel an und Alles, was Ihr thut, um ihn zu fangen! Aber es muß mich wurmen, daß Du nicht Wort halten kannst. Behalt also Dein Geheimnissen für Dich!«

Sie sagte das in zornigem, grobem Tone.

»Dazu bin ich doch verpflichtet!«

»So bin aber ich nicht verpflichtet, mich länger mit Dir abzugeben. So ein Mensch, welcher nur von Liebe spricht und vom Heirathen und daß ich zu ihm so sein soll wie eine Frauen zu ihrem Manne und der doch dabei nix weiter hat als Geheimnissen und immer wieder Geheimnissen, der kann mir stohlen werden. Ich brauch mich nicht wegzuwerfen; ich mag keinen Heimlichthuer. Ich brauch nur die Arme auszustrecken, so hängt gleich an jedem Finger ein Anderer, mit dem Du Dich nicht messen kannst. So einen Quackelhanns, wie Du bist, bekomme ich zu jeder Zeit.«

»Oho! Brauchst nicht so grob zu werden! Ich red auch vernünftig mit Dir!«

»Ja, diese Vernunft kenne ich. Ich dank dafür! Leb wohl!«


// 1822 //

Er hielt sie noch am Arme fest; sie aber riß sich los und eilte davon. Er wollte ihr nach; da aber hörte er nahende Stimmen, welche Leuten angehörten, die wohl auch noch zur Capelle wollten; darum blieb er stehen. Er wollte sich doch nicht sehen lassen und den Leuten Veranlassung zu dem Schauspiele geben, daß er der Kronenbäuerin nachlaufe.

»Verdammt!« brummte er. »Da rennt sie mir also doch noch davon! Nun kommt sie heut gewiß auch nicht nach dem Amselbusch. Wie schön sie ist! Ein Bissen für einen König oder Kaiser! Und der Kronenhof dazu! Wann ich den bekäme! Da käme ein Geld und Vermögen zusammen! Aber ich darf doch nix ausplaudern im Dienst. Das geht nicht. Was thu ich nur!«

Er stieg zwischen den Büschen langsam zur Capelle hinauf. Es war vor derselben Niemand zu sehen. Drinnen erscholl die Melodie eines Kirchenliedes.

Er trat ein, so heimlich wie möglich, damit man nicht allgemein bemerken solle, daß er so spät komme. Sein Erscheinen und dasjenige der Kronenbäuerin kurz vorher hätte zu Redereien oder wenigstens Vermuthungen Veranlassung geben können. Er hatte sich so gestellt, daß er sie sehen konnte. Sie saß neben seiner Nichte und hatte derselben in so auffälliger Weise den Rücken zugekehrt, daß man überzeugt sein mußte, sie beabsichtige, das Mädchen zu beleidigen. Nach einiger Zeit erhob sich in Folge dessen Martha und ging hinaus. Es war für sie kein übriger Platz vorhanden.

Der Förster drehte grimmig an den Spitzen seines Schnurrbartes. Er wußte, daß diese Beleidigung seiner Nichte eigentlich an ihn adressirt sei.

Aber wenn er den Blick auf die Bäuerin heftete, so wollte sein Grimm nicht Stich halten. Sie saß so schön, so entzückend da, die Augen fromm zum Buche niedergeschlagen. Und dann, als der Pfarrer zu sprechen begann, hob sie den Blick zu ihm empor. Sie sah so fromm, so mild und lieb aus wie ein Engel, dessen Seele und Gestalt nie ein Hauch getrübt hat und auch nicht trüben kann. Sie schien so ganz in der Andacht für die Predigt aufzugehen.

Dem Förster wurde es ganz wunderbar zu Muthe. Dieser Engel, diese Heilige hatte an seinem Herzen gelegen. Er hatte die prächtigen Lippen küssen dürfen, welche jetzt halb offen, so daß die Perlenzähne dazwischen hervorschimmerten, den Inhalt der frommen Rede einzuathmen schienen. Dieses herrliche Wesen wollte auch fernerhin die Seinige sein, ihm für das ganze Leben angehören, nur solle er offen und rückhaltslos aufrichtig mit ihr sein. Hatte sie denn nicht ein Recht, dies von ihm zu fordern? Ganz gewiß, denn er verlangte ja auch von ihr die Wahrheit.

Er war von Haus aus nicht zur strengsten Gewissenhaftigkeit angelegt; er nahm sich vor, ihr den Willen zu thun. Was konnte es schaden, wenn er ihr sagte, welcher Plan gegen den Samiel ausgeführt werden solle. Sie würde es gewiß nicht ausplaudern. Was hätte sie davon gehabt?

So erwartete er mit Ungeduld das Ende des Gottesdienstes. Er wollte es so einrichten, daß er noch einmal mit der Kronenbäuerin zu sprechen kam. Darum war er der Erste, welcher am Schlusse die Capelle verließ. Draußen


// 1823 //

stellte er sich an die Stelle, wo der Weg von dem Vorplatze des Gotteshäuschens nach dem Dorfe abwärts führte. Auf diese Weise mußte sie an ihm vorüber.

Er war in der ganzen Umgebung nicht beliebt. Darum wurde er nur wenig gegrüßt. Niemand blieb bei ihm stehen, um etwa ein Gespräch zu beginnen, während dessen die Bäuerin vielleicht Gelegenheit gesucht und gefunden hätte, an ihm vorüber zu kommen, ohne von ihm angehalten worden zu sein. So war er also sicher, daß sie ihm nicht entgehen konnte.

Die Bäuerin ihrerseits hatte mit guter Ueberlegung gehandelt. Sie wußte, daß er sie ablauern werde. Sie hegte auch keineswegs die Absicht, sich ihm vollständig zu entziehen. Sie wollte, ja sie mußte mit ihm sprechen, aber es sollte nicht den Anschein haben, als ob sie dies wünsche. Sie wollte ihn besonders dadurch ärgern, daß sie sich in der Begleitung des Knechtes befand, welchen sie ja bestellt hatte. Sie wollte mit diesem recht freundlich thun, um die Eifersucht des Försters aufzustacheln. Darum schloß sie sich nicht dem Zuge der sogleich abwärts Steigenden an, sondern sie blieb an der Capelle stehen, um nach Fritz auszuschauen.

Sie umschritt die Kapelle

Sie sah ihn nicht. Er konnte sich hinter der Capelle befinden. Darum umschritt sie dieselbe - vergebens. Fritz war nicht zu sehen; dort aber am Wege stand der Förster, sichtlich sie erwartend. Sie ließ sich absichtlich von ihm sehen und wendete sich dann zurück, um nochmals hinter dem Gotteshäuschen zu verschwinden. Am Rande des Buschwerkes hingehend, vernahm sie Stimmen. Sie blieb stehen und lauschte. Ja, das war Fritzens Stimme. Sie hörte deutlich, was er sagte, und daß ihm eine weibliche Stimme antwortete. Er war es, dem ihre eigentliche und zwar glühende Liebe gehörte. Eine ebenso plötzliche wie mächtige Eifersucht bemächtigte sich ihrer. Sie fuhr wie eine Furie zwischen die Sträucher hinein, grad als der Förster, welcher seinen Posten verlassen hatte und ihr gefolgt war, hinter der Capelle hervortrat. Er sah sie verschwinden.

Er fragte sich, ob er ihr folgen solle. Er glaubte natürlich, daß sie, weil er am Wege gestanden habe, den ungebahnten Berg hinabsteigen wolle, nur um ihm zu entgehen. Ja, er wollte ihr nach. Wenn er sie jetzt entkommen ließ, so machte sie wohl jedenfalls alle Gelegenheit für ihn, sie allein zu treffen, zu nichte.

Eben wollte er auch in die Sträucher eindringen, als er zu seinem Erstaunen seine Nichte daraus hervortreten sah.

»Was machst da drin?« fragte er sie. »Ich bin spazieren west.«

»Weilst aus dera Capellen fort mußt hast. Daran war die Kronenbäuerin schuld. Hast sie nicht soeben hier sehen?«

»Ja. Da drinnen steht sie.«

Sie deutete zurück.

»Sie steht? Sie läuft nicht abwärts?«

»Nein.«

Jetzt hörte er Fritzens Stimme.


// 1824 //

»Donnerwetter!« sagte er. »Sie ist nicht allein. Wer ist bei ihr?«

»Dera Fritz, ihr Knecht.«

»Der! Wie kommt der hier herauf?«

»Sie hat ihn bestellt, damit er sie nach Haus begleiten soll.«

»Ists wahr?«

»Jawohl.«

Seine Augen begannen zu funkeln.

»Woher weißt das?« fragte er sie.

»Er selberst hat es mir sagt. Wir sind ganz zufällig mit nander zusammentroffen und haben mit nander sprochen, als jetzund die Bäurin dazu kam.«

Er glaubte, die Situation zu durchschauen. Er lächelte grimmig vor sich hin und fragte:

»Hast ihn wirklich nur ganz zufällig troffen?«

»Wie sonst?«

»Ihr habt Euch nicht bestellt?«

»Nein. Wann wir uns bestellt hätten, hätt ich mich doch nicht in die Capellen setzt. Und Du wirst wohl selberst wissen, daß mich nur die Kronenbäuerin daraus vertrieben hat.«

»Ja, das hab ich sehen. Also, sag aufrichtig: Er ist nicht etwan Dein heimlicher Geliebter?«

»Was denkst von ihm! Alle Welt weiß, daß er kein Dirndl hat.«

Aber mit jener weiblichen, angeborenen Schlauheit, welche selbst das unverdorbenste Mädchen besitzt, fügte sie hinzu, indem sie lustig auflachte:

»Das, wast jetzund sagt hast, das hat auch die Kronenbäuerin denkt. Sie hat glaubt, daß ich sein Dirndl bin.«

»So! Ist sie mißtrauisch gewest? Da hat sie sich wohl sehr darüber freut, daß sie Dich bei ihm sehen hat?«

Er hielt das Auge so scharf auf sie gerichtet, als ob er von ihrem Gesichte die Antwort ablesen wolle, noch ehe dieselbige ausgesprochen worden war.

»Darüber freut? Das hab ich halt nicht bemerkt. Sie hat sehr zornig than.«

»Ach so! Sie hat ihm doch gar nix zu befehlen und zu gebieten.«

»Das mein ich wohl auch, aberst dennerst ists grad wie eine Furie gewest, so daß ich gleich fort gangen bin; aberst vorher hab ich ihr sagt, was ich von ihr denk.«

»Was denn? Was hast sagt?«

»Sie hat wohl meint, daß er kein Dirndl nehmen darf, ohne daß er sie zuerst um die Verlaubnissen darum bittet. Da hab ich ihr aberst gleich sagt, daß ich von ihr keinen Buben nehmen möcht, grad aus der ihrigen Hand erst recht nicht.«

Sie legte auf diese letzten Worte einen ganz besonderen Nachdruck. Das fiel ihm auf. Er zog die Brauen erwartungsvoll empor und fragte:

»Warum denn das nicht?«


Ende der sechsundsiebzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk