Lieferung 77

Karl May

14. Januar 1888

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


// 1825 //

»Weil sie nicht diejenige ist, aus deren Hand ein Dirndl den Buben so erlangen kann, wie er sein muß.«

»Ach so! Und wie soll er denn sein?«

»Gut und brav. Er darf nicht zuvor mit einer Anderen schamerirt haben, besonders nicht mit einer verheiratheten Frauen.«

»Wie meinst denn das? Redest da etwan von dera Bäuerin?«

»Natürlich! Von einer Anderen doch nicht.«

»Könnt man vielleicht aus ihrer Hand keinen braven Buben erhalten?«

»Nein, denn sie hätt ihn vorher verdorben.«

»Schau, wast da sagst! Davon hab ich noch gar nix wußt. Kennst denn die Bäuerin gar so genau?«

»O, die kenn ich schon!«

»Woher?«

»Vom Walde her.«

»Hast sie im Wald sehen?«

»Oft.«

»Ich noch nicht. Was thut sie da?«

Sie warf ihm einen lächelnden Blick zu und antwortete:

»Solltst sie wirklich noch nicht dort sehen haben? Das thät mich gar sehr wundern.«

»Warum?«

»Nun, weilst doch dera Förster bist, der stets im Wald sein muß. Da kannst sie doch viel eher treffen als ich.«

»Ich hab sie aberst noch nicht troffen.«

»So hast sie wohl sehen, sie aberst wohl nur nicht erkannt.«

»Die Kronenbäuerin werd ich doch wohl kennen!«

»Des Nachts sind alle Kühe schwarz. Da ists möglich, daß man selbst seinen allerbesten Freund oder die beste Freundin für eine andere Person hält.«

»Des Nachts? Meinst etwan, daß die Bäurin des Nachts in den Wald geht?«

»Ja.«

»Da wird sie sich hüten.«

»O nein. Sie ists gewest. Ich hab sie ganz genau erkannt.«

»Wirst Dich irren. Hast ja selberst jetzunder sagt, daß man da selbst den allerbesten Freund verkennen kann.«

»Ja, ich hab sie aber reden hört und ganz genau ihre Stimme erkannt.«

»Reden hört? So ist Jemand bei ihr gewest?«

»Ja.«

»Wer mag das gewesen sein?«

»Das - das konnt ich freilich nicht genau wegbekommen. Es war gar zu dunkel.«

»Wars auch ein Frauenzimmer?«

»Nein, sondern eine Mannspersonen.«


// 1826 //

»Sapperment! So laufts also mit Mannsbildern des Nachts im Wald herum! Hast den Kerlen denn nicht auch an dera Stimmen erkannt?«

»Nein. Er hat nicht so laut sprochen wie sie. Ich hab denkt, daß ich seine Stimm kennen muß. Ich hab sehr darüber nachsonnen, konnts aberst doch nicht finden.«

»Hm!«

»Sag mal, Oheim, ob das nicht ganz sehr sonderbar ist!«

»Freilich! Aberst es ist noch was Anderes dabei, was ebenso sonderbar ist.«

»Was denn?«

»Daß Du sie sehen hast. Du mußt also auch mit im Wald gewest sein.«

»Daran ist doch nix Sonderbares! Ich wohn ja im Wald. Das Forsthaus steht mitten darinnen.«

»Aber dennoch wüßt ich nicht, wast für eine Veranlassungen hättest, das Forsthaus in dera Finsternissen zu verlassen und im Wald herum zu laufen.«

»Dazu hab ich freilich keinen Grund, und ich hab es auch gar nicht than.«

»Und hast doch die Bäuerin sehen?«

»Ja. Aberst nicht im Wald, sondern in unserm Garten.«

»In - unserm - Garten?«

Er sagte das langsam und indem er die einzelnen Worte weit aus einander zog. Er machte große Augen, betrachtete ihr ihm still und überlegen entgegen lächelndes Gesicht und fuhr dann fort:

»Dort, in unserm Garten wäre sie gewest, die Kronenbäuerin?«

»Ja.«

»Des Nachts? Das ist doch ganz und gar unmöglich!«

»Es ist wahr. Ich kann mich gar nicht irren.«

»Was will sie dort?«

»Sie hat einen - - einen Liebhaber bei sich habt.«

»Bist etwan verhext?«

»Nein. Es ist die Wahrheit.«

»Wer ist denn derjenige Liebhaber gewest?«

»Ich hab Dir doch bereits sagt, daß ich ihn nicht derkannt hab.«

Er aber sah es ihrem Lächeln an, daß sie den Betreffenden gar wohl erkannt habe. Und dieser Betreffende war jedenfalls er selber, der Förster gewesen.

»Wie ist denn das kommen?« fragte er.

»Das ist sehr einfach gewest. Ich hab halt nicht schlafen konnt und bin noch ein Wengerl in den Garten gangen und hab mich in die Lauben setzt. Nachhero, als ich gehen wollt und bereits aus dera Lauben treten bin, hab ich Schritte kommen hört. Ich hab mich wundert, wer da noch herumilaufen mag, und weil ich mich nicht gern sehen lassen wollt, hab ich mich neben die Lauben an den Zaun drückt.«

»Ah! Warum bist nicht wiederum in die Lauben zurück?«


// 1827 //

»Weil ich mir denkt hab, daß Derjenige, der da kommt, wohl auch hineingehen werde. Und sehen hat er mich doch nicht sollen.«

»Ach so! Nun, weiter!«

»Als die Person an mir vorüber ging, hab ich sehen, daß es ein Weibsbild war.«

»Donnerwetter! Es wird die Magd gewest sein.«

»Nein. Die war schlafen gangen.«

»Sie kann wieder aufistanden sein, grad so wie Du.«

»Nein. Die alte Magd ist lang und hager und geht krumm und gebeugt. Dasjenige Frauenzimmern aberst ist nicht lang gewest. Sie blieb einige Augenblicke vor dera Lauben stehen, hat hineinschaut und leise fragt: >Bist schon da?< Aberst es hat ihr Niemand antwortet, eben weil gar Niemand da gewest ist.«

»So, so! Weiter!«

»Sie hat sich hinein setzt. Und bald darauf ist Der kommen, dens sucht hat.«

»Also ein Mann?«

»Ja.«

»Hast ihn Dir anschaut?«

»Nein. Er ist gar zu schnell an mir vorübergangen und in der Lauben verschwunden. Nachhero habens mit nander sprochen und ich hab sie an dera Stimmen erkannt.«

»Und ich denk halt, daßt Dich ganz sicher irrt hast.«

»Das ist gar nicht möglich, denn er hat sie mehrere Male beim Namen nannt.«

»Wie denn?«

»Kathrin hat er sagt. Nachhero, als er zärtlich war, nannt er sie >liebes Kätherl<. Und sodann, als sie sich zankten und er zornig gewest ist, hat er sie nicht mehr Kätherl, sondern Kronenbäuerin nannt.«

»Donnerwetter! Das hast Alles hört?«

»Ja.«

»Auch was sprochen worden ist?«

»Alles.«

»Nun, was habens denn sprochen?«

»Daß er sie heirathen will, wann dera Kronenbauer storben ist. Auch vom Samiel habens sprochen und von noch anderen Dingen.«

»Sags, von was.«

»Werd mich hüten!«

»Warum?«

»Man kann, wann man ein junges Mäderl ist, nicht Alles wiedersagen, was solche Liebesleut mit nander reden und thun.«

»Verdammt! Also hast ihn nicht derkannt?«

»Nein.«

»Ists einer der beiden Jägerburschen west?«


// 1828 //

»Nein. Das weiß ich ganz genau.«

»So möcht ich nur wissen, wer dera Kerl hat sein konnt!«

»Denk mal drüber nach!«

»Das kann nix helfen.«

»Vielleichten doch.«

»War er alt?«

»Sie hats ihm sagt, daß er kein Junger mehr ist. Darauf hat er sein Alter nannt.«

»Nun, wie alt war er?«

»Grad so alt wie Du.«

»Kreuzmillionen! Da möcht ich wohl wissen, wers gewest ist!«

»Ich auch!«

»Wer kann das für möglich halten, daß fremde Leutln sich des Nachts in unsern Garten schleichen, um dort ihre Liebesgeschichten abzumachen!«

»Ja, ich möcht wohl wissen, wie sie hineinkommen konnten. Die Gartenthür ist doch stets verschlossen.«

»Werden am End gar über den Zaun stiegen sein.«

»Eine Frau? Ueber den Zaun? Wohl nicht.«

»Oder war die Thür offen, weil Du drin gewest bist.«

»Nein. Ich bin durch das Haus hinaus, durch die Giebelthür, welche gleich in den Garten geht. Nachhero hab ich mich heimlich fortschlichen und nach dera Außenthür schaut. Sie war offen. Es konnt sie nur Einer geöffnet haben, der den Schlüssel dazu hat.«

»Sapperment! Das ist wirklich gar sehr besonderbar!«

»Ja. Es giebt doch nur zwei Schlüssel zum Garten. Einen hab ich, und den andern hast Du.«

»Eben darum kann ich es nicht begreifen, daß die Thür offen standen hat!«

»Ich hab sie nicht offen lassen.«

»Ich auch nicht.«

»Wirsts doch vielleicht selberst gewest sein, Oheim!«

»Gewiß nicht.«

»Und doch! Denn ich geh nie zu dera Thür herein oder heraus. Ich benutze stets die Giebelthür.«

»Ich werd diese Sach mal untersuchen. Wie ists denn nachhero worden?«

»Ich hab an dera Thür wartet, bis sie gangen sind. Ich hatt mich hinter den Rosenstrauch niedersetzt, der neben dera Thüren ist. Da konntens mich nicht sehen.«

»Aberst Du hast sie sehen konnt?«

»Ja.«

»Nun, so mußt doch wegbekommen haben, wer dera Mann gewest ist.«

Sie antwortete nicht und blickte vor sich nieder.

»Martha!« sagte er in strengem Tone, »wirsts sagen oder nicht?«

»Kanns Dir denn lieb sein, wann ich es sagen thu?«

»Darnach hast nix zu fragen. Ich will es wissen!«


// 1829 //

»Nun, so brauche ichs dennoch nicht zu sagen, denn Du weißt es bereits.«

»Ich?! Unsinn!«

»Besser als ich weißt Du es! Wirst doch Dich selberst kennen!«

»Mich - selberst - kennen? Wie meinst Du denn das?«

»Nun, Du selbst bists gewest.«

»Ich? Bist nicht gescheidt im Kopf?«

»Ich hab mich nie rühmt, daß ich sonderlich gescheidt sei; aberst meine Augen und Ohren hab ich doch, und ich werd doch den Oheim kennen, bei dem ich wohnen thu.«

»Donnerwetter! Dirndl, mach mich nicht zornig! Ich soll dera Liebhaber von dera Kronenbäuerin sein!«

»Willst behaupten, daß Du es nicht bist?«

»Ja, das thu ich behaupten.«

»So weiß ich freilich nicht, wo ich meine Augen und Ohren habt habe.«

»Wirst die ganze Geschichten wohl nur träumt haben!«

»O nein! Wach bin ich gewest, sehr wach. Du kannst Dir denken, daß ich auch nachhero nicht habe schlafen konnt.«

»Konntst ruhig schlafen. Ich werd diese Sach gleich mal untersuchen. Die Bäuerin steht ja noch da im Busch. Ich werd sie gleich zur Verantwortung ziehen.«

Er machte Miene, in das Gesträuch einzudringen.

»Soll ich mit dabei sein?« fragte Martha.

»Nein. Ich thu es allein.«

»Aberst ich bin dabei doch wohl ganz nöthig, als Zeugin!«

»Ich brauch keine Zeugin. Ich denk mir, daßt Dich ganz und gar irrt hast, und da will ich Dich vor dera Kronenbäuerin nicht blamiren.«

»Daraus thät ich mir gar nix machen. Ich bin im Gegentheil ganz überzeugt, daß sie vor mir blamirt sein thät. Denn sie ist es ganz gewiß gewest.«

»Und auch ich wohl?«

»Ja.«

»Dirndl, ich sag Dir, daß ich es nicht war. Du hast Dich da gewaltig geirrt. Ich werd die Sach heraus bekommen, und dann, wann ichs Dir sag, wer und wie es gewest ist, dann wirst einsehen, daßt Dich auf einer ganz falschen Spur befunden hast.«

»Da bin ich freilich neugierig, wast für eine Verklärungen bringen wirst.«

»Eine richtige. Jetzund aberst gehst zu Haus.«

Sie gehorchte ihm und ging fort, langsam aber und zögernd. Er blickte ihr nach, bis sie hinter der Capelle verschwunden war; dann murmelte er zornig:

»Verflucht! Sie hat uns Beide erkannt. Sie weiß Alles. Sie hat jedes Wort gehört, was von uns geredet wurde, und - - da schlag doch gleich der Teuxel drein! So ist es, wann man so ein erbarmungsvolles,


// 1830 //

mildthätiges Herz hat und ein Waisendirndl zu sich nimmt. Das ist dera Dank dafür! Und die Bäuerin hats auf den Knecht absehen! Das weiß ich nun genau. Aberst ich werd ihr das verbieten! Wart nur, Kätherl!«

Er trat nahe an den Busch heran und horchte. Er hörte die Bäuerin soeben sagen:

»Suche Dir eine Andere! Es giebt eine viel, viel Hübschere da!«

Dann antwortete Fritz das, was er über die zweite Magd zu sagen hatte. Der Förster ahnte, was die Bäuerin beabsichtigte. Sie wollte den Knecht mit List dazu bringen, ihr eine Liebeserklärung zu machen. Dazu durfte es nicht kommen. Darum drang er jetzt in die Büsche ein und stand im nächsten Augenblick vor den Beiden.

Seine Augen funkelten zornig. Er ließ den Blick von der einen Person auf die Andere schweifen, und wollte sodann losbrechen. Aber die Bäurin, welche von seinem plötzlichen Erscheinen keineswegs erschreckt worden war, warf ihm einen so drohenden Blick zu, daß er sich besann und nur sagte:

»Grüß Gott, Ihr Leutln da!«

»Grüß Gott, Förster!« antwortete der Knecht ruhig.

»Dank schön!« sagte die Bäuerin.

»Was willst da, Förster?«

»Nix.«

»So kannst wieder gehen.«

»O nein. Wirst mirs wohl derlauben, ein Wengerl dazubleiben.«

»Wir brauchen Dich nicht.«

»Das glaub ich schon. Aberst es gefallt mir hier.«

»Mir nicht. Darum will ich gehen,« sagte der Fritz und drehte sich um.

»Bleib!« gebot ihm die Bäuerin.

»Wirst mich wohl gehen lassen. Es giebt halt Leutln, deren Gesicht Einem zuwider ist. Da ists besser, man geht.«

Er ging. Sie aber rief ihm noch zu:

»Wart an dera Capellen. Ich komm gleich nach. Wir gehen mitsammen!«

Nun standen die Beiden, sie und der Förster, abermals bei einander.

»Hast wohl gar horcht?« fragte sie ihn.

»Nein, aber Du.«

»Ich? Wo denn?«

»Hier.«

»So! Und wann denn?«

»Vorhin, als meine Nichte mit dem Knecht sprochen hat.«

»Ja, da hab ich horcht. Ich kam ganz zufällig dazu, als sie bei nander waren.«

»Und was hast da hört?«

»Daß sie Liebesleut sind!«

»Das ist nicht wahr.«

»Meinst? Ich weiß es besser.«


// 1831 //

»So! Ich glaub nicht, daß die Martha mich belogen hat. Sie hat mir sagt, daß sie nicht sein Dirndl ist.«

»So hast sie Dich eben belogen. Ich weiß, was ich weiß.«

»Nun, so ists auch kein Unglück.«

»Ach? Hättst wohl nix dagegen?«

»Gar nix.«

»Dera Fritz wär Dir wohl eben recht?«

»Gar sehr,« nickte er höhnisch.

»Das glaub ich wohl!«

»Bist etwan eifersüchtig?«

»Ich? Auf wen sollt ich es sein?«

»Auf meine Martha.«

»Auf die? Weshalb?«

»Weil sie Den bekommen soll, den Du selberst haben willst.«

»Was fallt Dir ein! Ich, den Knecht! Das ist halt ein Gedank, wie er gar nicht dümmer und alberner sein kann.«

»Ich halt ihn für einen sehr klugen.«

»So? Ich weiß gar nicht, obst dera Mann bist, der mal einen klugen Gedanken haben kann.«

»Das ist ja eine große Ehr für mich. Warum aberst machst Bestellung mit dem Knecht?«

»Bestellung? Davon weiß ich gar nix, kein einzig Wörtle.«

»Ists keine Bestellung, wannst ihm sagst, daß er heraufkommen soll zur Capellen, damit er Dich abholen soll?«

»Nein, das ist keine Bestellung, sondern ein Befehl, den ich ihm geben hab.«

»Das ist ganz dasselbige. Schämst Dich nicht, Dich vom Knecht abholen zu lassen!«

»Schweig!« fuhr sie ihn an. »Wer hat da vom Abholen zu sprechen! Ich will hinaus aufs Feld gehen, um nachzuschauen, was es für die jetzige Woch für Arbeit geben wird. Da muß er dabei sein.«

»So! Warum willst grad heut aufs Feld?«

»Hast etwa Du was darnach zu fragen?«

»Nein.«

»So halt auch das Maul!«

»Bekümmerst Dich ja sonst nicht um die Felder, sondern lässest dem Fritz das Alles über. Warum also heut?«

»Weil es mir so gefallt.«

»Ja, und warum es Dir grad heut so gefallt, das weiß ich auch.«

»So bist ein gar Gescheidter!«

»Man braucht nicht sehr klug zu sein, um das zu derrathen. Bist nicht mehr mit mir zufrieden, und nun soll er an meine Stelle treten.«

»Und wanns so wär, hättst vielleichten was dagegen?«

»Gar viel!«


// 1832 //

»Das kann mir gleichgiltig sein. Mit uns Beiden ists aus, und nun kann ein Jedes thun, was ihm beliebt.«

»Schau, wie schnell das Alles geht. Meinst denn wirklich, daß ich Dich so schnell freigeben thu?«

»Wirst nix dagegen machen können!«

»So ist Dir dera Fritz wohl lieber als ich?«

»Das brauchst gar nicht zu fragen. Schau ihn an und Dich. Da kann man doch gar nicht im Zweifel sein, welcher dera Bessere ist.«

»Dera Fritz natürlich!«

»Alleweil stets!«

»Dera Lumpenhund! Laß Dich nur mal von ihm angreifen! Ich schieß ihn sofort über den Haufen!«

»Gut, daß ich das weiß; da kann ich dann gleich sagen, wer dera Mörder ist.«

Sie sagte das Alles in aller Ruhe, lächelnd und ohne Erregung. Er hingegen befand sich in einem hohen Zorne.

»Kathrin, mach mich nicht noch wilder, als ich so bereits bin,« sagte er. »Wir gehören zusammen und können nicht wiederum ausnander, nie wieder!«

»Das machst Dir nur selber weiß. Wer sollt uns zwingen, beisammen zu bleiben, wann wir nicht wollen?«

»Wollen wir denn nicht?«

»Ja.«

»Aber ich will! Ich geh Dich nicht frei; ich geb Dich nicht wieder her. Ich hab von dera Speis bereits zu viel gekostet und geschmeckt, als daß ich nun für immer auf sie verzichten sollt.«

»Ach so!« lachte sie. »Es hat wohl immer sehr gut schmeckt?«

»Ausgezeichnet!«

Bei dem Lächeln, mit welchem sie ihn jetzt so übermüthig und doch dabei verheißungsvoll anblickte, schwand sein Zorn dahin wie der Schnee vor dem Sonnenstrahle.

»So gönne doch den Anderen auch mal so was Gutes!« sagte sie.

»Das thu ich auch!«

»Nein, sondern Du willst Alles nur für Dich selberst haben.«

»Daran denk ich nicht; das fallt mir gar nicht ein. Ich kann nicht Alles haben; das weiß ich nur gar zu wohl. Ich will nur, daß sich ein Jeder suchen soll, was zu ihm paßt und was noch nicht versprochen ist. Es giebt Millionen Weibern und Dirndln in dera Welt; ein Jeder kann Eine bekommen, sogar Mehrere. Man soll mir nicht grad diejenige holen wollen, welche zu mir gehört.«

»Das sagst Du, daß ich zu Dir gehöre, und daßt mich nicht wieder loslassen willst. Doch sag das mal Anderen! Du würdest wohl sehr auslacht werden.«

»Warum?«


// 1833 //

»Weil Niemand es glauben würd, daß ich Deine - Kebsfrauen bin.«

»O, man würde es schon glauben!«

»Niemand hält es für möglich!«

»Das denkst zwar, aberst Du irrst Dich gar sehr. Meinst etwan, daß es noch gar Niemand weiß?«

»Pah! Wer sollt es wissen?«

»Viele!«

»Keiner, kein Einziger!«

Er ließ ein kurzes, höhnisches Lachen hören und antwortete:

»Soll ich Dir etwan Einen sagen, der es weiß?«

»Ja, nenne ihn!«

»Dera Fritz weiß es.«

Sie fuhr auf, als ob Jemand sie mit einer Nadel gestochen hätte.

»Dera Fritz? Bist wohl toll!«

»Ich bin halt bei ganz gutem Verstand.«

»Wie sollt der es wissen können? Wie sollt der es derfahren haben?«

»Von dera Martha.«

»Von der! Weiß die es denn?«

»Ja.«

»So hasts ihr wohl verrathen?«

»Fallt mir nicht ein! Sie hat uns belauscht, als wir in meinem Garten in dera Lauben sessen haben.«

Jetzt war es der Bäuerin anzusehen, daß sie erschreckte. Die Röthe wich aus ihren Wangen.

»Willst mich wohl nur beängstigen?« fragte sie.

»Nein. Was hätt ich davon!«

»So hat sie uns wirklich sehen?«

»Sehen und auch hört. Sie hat neben dera Lauben steckt. Da bist erst Du kommen und nachhero auch ich. Da weiß sie also Alles.«

»Donnerwetter! Daran bist Du schuld!«

»Ich? Wie so?«

»Warum bestellst mich dahin, wo wir nicht sicher sind?«

»Kann ich es wissen, daß das Wettermaderl grad an demjenigen Abende nicht schlafen kann und darum im Garten herumläuft?«

»So hättst dafür sorgen sollen, daß ich es derfuhr, daß sie darinnen war.«

»Ich habs doch selberst gar nicht wußt!«

»Das geht mich nix an. Du hättest wachen sollen, bevor ich kam; da hätts Dir nicht entgehen konnt, daß eine Lauscherin vorhanden war. Und warum verzählst es mir erst jetzt?«

»Weil ichs nicht eher derfahren hab. Sie hat es mir erst jetzt derzählt.«

»Der Teufel soll dieses Weibsbild holen!«

Sie befand sich jetzt freilich in einer ganz anderen Stimmung als vorher. Ausdrücke wie >Donnerwetter< und >der Teufel soll dieses Weibsbild holen< klingen aus dem Munde einer schönen, jungen Frau keineswegs angenehm.


// 1834 //

Daß sie sich solcher Ausdrücke bediente, war ein Beweis, daß sie sich in Erregung befand. Sonst pflegte sie sehr auf sich zu achten.

»Was hast denn zu ihr sagt?« fragte sie.

»Ich habs leugnet.«

»So! Glaubt sie es?«

»Nein. Sie sagt, daß sie es ganz genau weiß, was sie sehen und hört hat.«

»So weiß sie auch unser Gespräch?«

»Ja.«

»Und - - und - -?«

»Alles, Alles weiß sie.«

Die Bäuerin stampfte mit dem Fuße, ballte die Hände und sagte:

»Ich derwürge sie, wann ich sie da zwischen meine Fingern bekomme! Was hat sie uns zu belauschen!«

»Sie hats ohne Absicht than.«

»Das ist mir ganz egal. Es darf kein Mensch wissen, daß ich es gewest bin. Du hast also Alles leugnet?«

»Natürlich!«

»Das war falsch, ganz falsch.«

»So? Warum denn?«

»Weil sie es doch nicht glaubt. Du hättst wenigstens mich in Schutz nehmen konnt. Du konntst sagen, daß es eine Andre gewest sei.«

»So! Wer denn? Wen hätt ich nennen sollt?«

»Irgend Eine.«

»Ich weiß Keine.«

»Es giebt ihrer ja genug. Oder konntst Eine nennen, die es gar nicht giebt. Das wär noch viel besser gewest.«

»Das glaub ich wohl. Ich hätts auch than, aberst es ging nicht an, weil sie Dich sehen hat, und weil sie Alles hört hat, was wir sprochen haben. Sie hat also ganz genau gewußt, daß Du es sein mußt.«

»Hm! Das ist richtig. Wir haben von meinem Mann sprochen und von vielem Anderen, wovon nur ich allein reden kann. Die Martha kann nicht irre macht werden. Das ist wahr. Ich könnt mich fast schämen, mich vor ihr sehen zu lassen.«

»Das hast nicht nöthig!«

»Oho! Wann Du Dich nicht schämst, so ist das was Anderes. Ich aberst bin halt eine Frau. Und dera Fritz, dem sie es sagt hat! Was soll der denken!«

»Daßt eine junge, schöne Frauen bist und einen alten, blinden Mann hast. Damit ist Alles derklärt. Da giebts gar nix zum Verwundern.«

»Weißt denn genau, daß sie es ihm sagt hat?«

»Sie hat es mir nicht mitgetheilt; aberst es läßt sich doch denken, daß sie es ihm nicht verschweigt.«

»Vielleicht hat sie dennoch schwiegen.«


// 1835 //

»Gegen ihn? Wann er wirklich ihr Geliebter ist, so hat sie es ihm sagt.«

»Hm! Das ist so eine ganz verdammte Geschichten!«

»Vielleichten ist er selberst auch dabei gewest!«

»Was denkst denn eigentlich!« rief sie erschrocken.

»Nun, wann er ihr Bub ist, besucht er sie des Abends. Da ists doch ganz leicht möglich, daß er grad an jenem Abende mit ihr im Garten steckt hat, und da hat er natürlich auch Alles bemerkt.«

»Wann das wär! Ich ärgerte mich zu Tode!«

»Es wird schon so sein. ja, wann er nicht so ganz sicher ihr Bub wär, so könnt man sich denken, daß er noch nix weiß. Du aberst hast sagt, daß sie wirklich Liebesleut sind. Da ists natürlich sicher, daß - - - hm!«

Er hatte es darauf abgesehen, sie zu ärgern. Er weidete sich im Stillen an der Verlegenheit, in welcher sie sich befand.

»Nein, das hab ich nicht so gemeint,« sagte sie. »Ich hab nicht grad zu behauptet, daß sie sein Dirndl ist.«

»Aberst Du hasts doch sagt!«

»Dacht hab ichs mir!«

»Ach so!«

»Ich traf sie hier beisammen. Natürlich mußt ich da gleich denken, daß sie sich bestellt haben.«

»Davon ist keine Red. Ich hab dera Martha gar nix wissen lassen, daß sie mit zu dera Capellen gehen soll. Sie hats erst ganz kurz vorher derfahren.«

»So ists auch mit dem Fritz. Er hat vorher nicht wissen kennt, daßt er hier heraufi gehen muß.«

»So habens sich also zufällig troffen.«

»Da wird mir das Herz wiederum leicht. Es ist anzunehmen, daß er nicht ihr Bub ist, und daß er also noch nix weiß. Nun aberst mußt dafür sorgen, daß er auch nix derfahren kann.«

»So! Warum hast denn so große Angst vor ihm? Warum soll grad er nix wissen?«

»Keiner soll was wissen!«

»Aberst er am Allerwenigsten! Das kommt daher, weilst ihm gut bist und es auf ihn absehen hast.«

»Sei nicht albern! Es soll kein Mensch wissen, daß wir Beid, ich und Du, uns so nahe kennen. Es ist nicht nur auf den Knecht absehen. Nun hast Deine Pflicht zu thun, daß die Martha nicht plaudern kann.«

»Sie sagt nix.«

»Das möcht ich nicht beschwören.«

»Ich kenn sie als ein sehr verschwiegenes Dirndl.«

»Mag sein! Aberst es ist Keiner ganz zu trauen, keiner Einzigen. Darum mußt die richtige Maßregel dergreifen.«

»Welche wäre das?«


// 1836 //

»Wann sie nicht mehr da ist, kann sie auch nicht reden und plaudern.«

»So meinst also, daß ichs fortschicken soll?«

»Ja.«

»Das kann ich nicht.«

»Du mußt! Es giebt nix Anderes.«

»Ich brauch sie ja!«

»Da bekommst gar leicht eine Andre.«

»Ja, eine Fremde, die ich bezahlen muß und die kaum halb so arbeitet wie die Martha.«

»Mußt Dir nur eine Sorgfältige herauswählen.«

»Ist denen Weibsbildern denn die Sorgfälten auf die Nasenspitzen schrieben? Ich bin dera Vormund, der Vaterstell vertreten muß. Ich darf sie nicht fortschicken.«

»Ich aber verlange es!«

Er freute sich im Stillen. Er hatte einen Vortheil über sie errungen. Er hätte sich dafür bei Martha bedanken mögen.

»Du verlangst es?« sagte er. »Das sprichst grad so aus, als obst die Herrin seist und ich dera Knecht!«

»Das bin ich nicht. Bei dem Verhältniß aber, in welchem wir Beid zu nander stehen, erfordert es Dein eigenes Interesse, mir diesen Willen zu thun.«

»Nein, sondern mein Interesse erfordert, daß ich das Maderl behalt. Ich bekomm kein solches wieder. Ich werd ihr sagen, daß sie nix verrathen soll, und darnach wird sie ganz gewiß schweigen.«

»Jetzt einstweilen, später aber nicht.«

»Warum?«

»Das weiß ich nicht. Man kann ja nicht wissen, was später passirt. Vielleicht kommt mal die Zeit, in welcher sie es verrathen thut, um sich zu rächen.«

»Das glaub ich nicht. Die Martha ist keine Rachsüchtige. Und für was sollte sie sich rächen? Hast vielleicht was vor gegen sie? Weißt vielleicht jetzt einen Grund bereits wegen dessen sie Deine Feindin sein wird?«

»Welcher Grund könnt das sein?«

»Vielleicht derjenige, daßt ihr den Fritz wegschnappen willst.«

»Das redest eben auch nur allein aus Eifersucht. Ich will mich gar nicht länger mit Dir streiten. Mach, wast willst und denkst. Aberst das sag ich Dir: Ich werd niemals zugeben, daß ich mit Dir im Garten gewest bin. Wir gehen aus nander und haben nix mehr mit nander zu thun. Was geschehen ist, das ist vorüber, und für uns muß es sein, als ob es gar nicht geschehen wär. Leb wohl also!«

Sie reichte ihm die Hand. Es schien, als ob sie in allem Ernste beabsichtige, sich von ihm zu verabschieden, aber sie konnte doch einen kleinen Zug der Spannung nicht verbergen. Sie spielte jetzt einen Trumpf aus. Würde er einen größeren bringen und ihre Karte stechen?


// 1837 //

Er ergriff ihre Hand und gab sie nicht wieder frei.

»Mach keinen dummen Witz!« sagte er. »Wer zwingt uns denn, ausnander zu gehen?«

»Du selbst.«

»Ja, das ist wiederum Deine alte Red mit dera Aufrichtigkeiten.«

»Nun, habe ich da nicht Recht?«

»Darüber läßt sich streiten.«

»Ich aber habe keine Lust, mich zu streiten. Also ists am Besten, wir reden gar nicht mehr von diesem Gegenstande.«

»Aberst von was Anderem?«

»Nein, sondern von gar nix mehr.«

»Das soll heißen, wir reden überhaupt nicht mehr mit nander?«

»Ja.«

»Kathrin, treibs nicht zum Aeußersten! Du weißt, wie lieb ich Dich hab!«

»Und Du weißt, daß ich Dir auch gut bin. Aberst wann Zwei sich lieb haben, so darf nix zwischen sie treten und auch ebenso nix zwischen ihnen fehlen.«

»Wast für einen starren Sinn hast!«

»Ich hab keinen Starrsinn, sondern was ich hab, das ist nur dera Charakter. Auch eine Frau muß ihre Grundsätzen haben, gegen die sie niemals handelt, selbst wann ihr Herz ihr sagt, daß sie vielleicht zu streng auftritt.«

Er hatte noch immer ihre Hand gefaßt. Er fühlte einen warmen Druck derselben. Das elektrisirte ihn. Sofort war er bedeutend weicher gestimmt.

»Kätherl, sagt Dein Herz Dir dasselbige?« fragte er.

»Vielleicht, ja.«

»So folge ihm doch und nicht diesem albernen Charakter!«

»Das geht halt nicht. Wannst nicht aufrichtig sein kannst, so ists besser, wir überwinden und vergraben unsere Lieb und gehen ausnander.«

»Das fallt mir nicht ein! Vielleichten ists wirklich dumm von mir, daß ich mir Bedenken mach, die keinen Grund haben.«

»Da hast recht, denn Du hast wirklich keinen. Mußt doch anschauen, wie wir mit nander stehen. Wann man Einen lieb hat, so macht man sich Sorg um ihn. Das kannst doch glauben und einsehen.«

Ihre Stimme war herzlicher geworden, und ihre Augen ruhten mit einem innigen Ausdrucke auf ihm.

»Sorg machst Dir um mir?« fragte er entzückt.

»Ja, das kann ich Dir wohl sagen.«

»Aberst warum denn?«

»Wegen dem Samiel. Wannst immer wachen mußt und im Wald stehen, um ihn zu fangen, so kann Dir leicht was geschehen. Ich sitz und lieg daheim und hab die Angst. Ich leg mich von einer Seit auf die andere und kann nicht schlafen.«

»Ists wahr? Ists wahr? So lieb hast mich?«

Er schlang den Arm um sie, und sie duldete das.


// 1838 //

»Kann es denn anderst sein?« fragte sie.

Er zog sie enger an sich, gab ihr einen Kuß und sagte:

»So hab ich es mir freilich nicht denkt. Ich hab immer angenommen, daß es Dir ganz gleichgiltig ist, was mit mir geschieht.«

»Ja, so seid Ihr Männer. Ihr thut nur was Ihr wollt, weil Ihr die Frauen nicht versteht.«

»So werd ich Dich von jetzt an richtig verstehen. Ich werd mir Mühe geben.«

»Das erbitt ich mir von Dir. Schau, wann ich weiß, wast machst und was geschieht, so kann ich ruhig sein und brauch keine solche Angst zu haben. Aber wann man in dera Ungewißheiten steckt, so ist man ganz wie auf die Folter gespannt. Darum und aus keinem andern Grunde verlange ich, daßt aufrichtig bist mit mir.«

»Und ich hab denkt, es sei blos nur so eine Neugierden!«

»Da bist auf dem falschen Weg gewest. Du hast sagt, daßt den Samiel nun fangen wirst; aberst Du verschweigst mir, wie das geschehen soll. Muß ich da nicht eine große Angst ausstehen?«

»Hm, ja! Jetzunder sehe ich das ein.«

»Und wann ichs wüßt, wannsts mir sagen thätst, so wär ich nicht nur ruhig, sondern ich thät auch mit nachdenken über die Sach und könnt Dir vielleichten gar beistehen oder wenigstens einen guten Rath ertheilen. Ihr sagt doch immer, daß wir Frauen die Schlauen sind. Hasts noch nicht hört, daß Weiberlist über Alles ist?«

»Gar wohl.«

»Und meinst etwan, daß grad nur ich allein keine List hab?«

»O, grad Dir trau ich sie zu.«

»Nun, warum willst sie da denn nicht benutzen?«

»Weil ich sie in dieser Sach nicht nöthig hab. Es ist Alles bereits besprochen und so vereinbart, daß wir keines Rathes mehr dabei bedürfen.«

»Gehts denn gar so leicht und einfach her?«

»Ganz leicht.«

»So. Da muß die Lockspeisen, von welcher Du sprochen hast, eine gar angenehme sein für den Samiel.«

»Das ist sie freilich,« lachte er vergnügt. »Dieser Vogel wird ganz sicherlich auf den Leim gehen.«

»Und woraus bestehts?«

»Das kannst doch leicht derrathen. Was ist für so einen Dieb und Räuber denn die beste Lockspeisen?«

»Meinst wohl Geld.«

»Ja.«

»Und viel aberst müßts sein.«

»Das ists auch.«

»Und grad in den Weg müßts ihm legt werden.«

»Es liegt so, daß er es ganz leicht finden und wegnehmen kann.«


// 1839 //

»So! Aberst dann müßt Ihr es so eingerichtet haben, daß die Falle zuschnappt, sobald er nach dem Geldl greift.«

»Das haben wir; das haben wir auch. Das kannst Dir doch denken!«

»So! Darf ichs derfahren?«

»Es ist mir verboten, ein Wort zu sagen. Aberst weilsts mir derklärt hast, daß Du Dich um mich sorgst und ängstigst, so will ich mein Versprechen brechen. Schau mal her, was ich Dir zeig!«

Er zog zwei Zettels aus der Tasche und reichte ihr den einen hin. Sie nahm ihn mit heimlicher Spannung entgegen und las ihn. Er lautete:

          »Dreißigtausend Mark
sind gegen vier Procent sofort zu verborgen und liegen zur sofortigen Auszahlung bereit beim Förster Wildach in Kapellendorf.«

Sie war scharfsinnig genug, sich gleich denken zu können, welcher Absicht diese Annonce dienen sollte. Sie ließ sich das aber nicht merken und fragte:

»Das soll die Lockspeisen sein?«

»Ja.«

»Aberst ich sehe nicht ein, wo sich da eine Falle befinden soll.«

»Und da hast von Weiberlist sprochen?«

»Soll dera Samiel sich etwa das Geldl bei Dir borgen?«

»Nein.«

»Ah, jetzt fallts mir ein! Er soll es sich nicht borgen, sondern stehlen?«

»Ja, da hasts derrathen.«

»Darum hast die Annonce so abfaßt, daß man daraus ersieht, daß dieses Geldl bei Dir liegt, bei Dir im Kasten.«

»So ists, so!«

»Aberst da hast eine ganz andere Ansicht von dem Samiel als ich.«

»Was für eine ist denn die Deinige?«

»Er wird auf diesen Leim nicht gehen.«

»Warum denn nicht, Kätherl?«

»Eben weil es nur Leim ist, aberst kein baares Geld.«

»Oho! Es ist baar!«

»Das glaubt Dir kein Schangdarm!«

»Denkst wohl, daß dera Samiel mir nicht zutraut, so viel Geld zu besitzen?«

»Ja, das denk ich.«

»So hältst mich für einen armen Teuxel?«

»Nein. Ich weiß, daßt ein Sparer bist, und daßt auch ganz genau weißt, wie ein Förster es anzufangen hat, sich hinter dem Rücken des Forstbesitzers ein Geldl zu machen. In dieser Beziehung bist ein gar Gescheidter und Schlauer.«

»Wannsts derrathen hast!« lachte er. »Ich hab mir schon was zusammenspart!«

»Aberst dreißigtausend Markerln! Das glaubt dera Samiel nicht.«

»Er wirds schon glauben.«


// 1840 //

»Nein. Besonders derowegen nicht, weilst so thust, als obst sie baar da liegen hast. Wann man sein Geldl weiter verborgen will, wenn man dem früheren Schuldner kündigt hat, so trägt man es nicht heim. Das wird ganz anderst macht.«

»Ja, so redest eben, weilst noch nicht Alles weißt. Du hast denkt, daß dera Kronenbauer ein sehr Reicher ist. Oho! Ich weiß nicht, ob ich mit ihm tauschen thät, wann er mit mir tauschen wollt.«

»Hast wohl einen Schatz hoben?«

»Nein. Das giebts nicht.«

»Oder fabricirst vielleicht falsches Geld?«

»Kommt mir nicht im Traume bei,« lachte er vergnügt.

»Oder hast in dera Lotterie gewonnen?«

»Das ists, das! Jetzunder hasts derrathen!«

»Wanns so ist, da will ich gratuliren!«

»Danke sehr. Hast noch nicht die neueste Zeitung lesen?«

»Nein.«

»Im kleinen Stadtblatt, welches schon früh erscheint, stehts halt noch nicht; aberst in dera großen Zeitungen, welche am Sonntag erst Nachmittags hierher kommt, da ists zu lesen. Dera Herr Officier hat es in die Redaction sandt. Da ists gedruckt grad so, wie es hier auf diesem Zettel geschrieben stehet. Hier hast ihn!«

Dieser zweite Zettel hatte folgenden Inhalt:

»Der Hauptgewinn der Arnsberger Kirchen- und Schulbaulotterie im Betrage zu 30,000 Mark ist gestern gezogen worden und auf die Loosnummer 12,739 gefallen. Der glückliche Gewinner ist der Förster Herr Wildach in Kapellendorf, welcher, wie wir zufällig erfahren, die Summe heut bereits erhoben hat. Eine alte Erfahrung lautet: Wo Geld liegt, da kommt Geld hin. Dieses Sprichwort bewahrheitet sich in diesem Falle wieder.«

Die Bäuerin gab ihm den Zettel zurück, lächelte ironisch und fragte:

»Das soll dera Samiel glauben?«

»Natürlich!«

»Daran ist nicht zu denken.«

»Aberst es ist ja wahr!«

»Wie? Du hättest diesen Gewinn in Wirklichkeit gemacht?«

»Ja, natürlich!«

Da veränderte sich nun freilich ihr Gesicht. Es zeigte den Ausdruck größten Erstaunens. Darum lachte der Förster:

»Ja, nun machst freilich ein gar schönes Gesichten. Glaubsts wohl noch immer nicht?«

»Nein. Das wäre ja ein riesiges Glück!«

»Ich habs, ich habs, dieses Glück!«

»Mensch! Wäre es möglich! Dreißigtausend Gulden!«

»Ja, volle dreißigtausend! Bisher hast immer denkt, daß mir mal eine


// 1841 //

große Wurst in den Magen fällt, wann ich Dich heirathen thu und Kronenbauer werd. Nun aberst sind wir uns wohl ziemlich gleich!«

Sie schüttelte stolz den Kopf.

»Mit dreißig Tausend kaufst uns noch lange nicht aus!«

»Ich hab noch viel mehr. Das hab ich doch nur erst jetzt gewonnen. Was ich bereits vorher besessen hab, das kommt noch dazu.«

»Und dennoch reichst noch lange nicht an den Kronenbauer. Der hat an die Hunderttausend!«

»Ist Euer Geldsack gar so groß?«

»Ja, und er wird alle Jahren größer.«

»Desto besser! Aberst nun wirsts wohl glauben, daß dera Samiel in diese Fallen geht?«

»Hm! Vielleicht!«

»Nein, sondern ganz gewiß. Es kommt hier in dera Gegend nur äußerst selten vor, daß Einer so eine Summe baar liegen hat. Vielleicht ists gar noch niemals da gewesen. Eine solche Gelegenheit wird dera Samiel natürlich benützen.«

»Fast sollte man es meinen,« nickte sie.

In ihren Augen glänzte ein Etwas, was für den aufmerksamen Beobachter ein Beweis dafür gewesen wäre, daß der Samiel diese Gelegenheit wirklich benützen werde.

»Und zwar wird er sich sputen!«

»Ja. Er wird sich natürlich sagen, daß in Folge dieser Annonce viele Leute zu Dir kommen werden, um sich Geld zu borgen. Da kann es bald fort sein.«

»Ja, darum denk ich eben, daß er gleich kommen wird.«

»Hasts denn auch wirklich da liegen?«

»Ja,« nickte er vergnügt. »Es steckt in meinem Gewehrschrank, aberst blos heut noch, denn bereits morgen trag ich es fort, um ganz sicher zu sein. Wann dera Samiel kommt, darf er es nicht finden.«

»Aberst wann es Dir bereits heut Jemand nimmt!«

»Heut? So schnell kommt er nicht. Wer weiß, ob er die Annonce bereits heut schon lesen thut.«

»Es kann ja auch ein Anderer sein als er! Eine solche Summe ist verführerisch, selbst für einen sonst ganz ehrlichen Menschen. Wie leicht kann einer von Deinen beiden Jägerburschen auf den Gedanken kommen, sich das Geld zu nehmen!«

»Diesen Gedanken wollt ich ihm schon austreiben!«

»Wann er mit dem Geldl fort ist, was wolltst mit ihm machen!«

»Er kann ja nicht hinein in den Schrank!«

»So?«

»Ja. Und sodann weiß es kein Mensch, daß ich das Geldl bei denen Gewehren hab. Wer es stehlen will, der wirds wo ganz anderst suchen.«

»Da hast freilich Recht.«


// 1842 //

»Die Thür zu meiner Stuben ist fest verschlossen, wann ich nicht daheim bin. Den Schlüssel hab ich hier in meiner Taschen. Die Hausthür ist des Nachts auch zu und im Haus wachen die drei Hunde. Kein Fremder kann hinein, sie thäten ihn zerreißen. Und zum Ueberfluß ist dera Gewehrschrank auch verschlossen. Den kleinen Schlüssel dazu trag ich stets hier an meiner Uhrketten. Mit denen Gewehren kann man nicht vorsichtig genug sein. Sie sind bei mir stets wohl verwahrt.«

Er zeigte ihr den Schlüssel. Er war klein und hing vermittelst eines Carabiners an der Kette. Diese sogenannten Carabiner bestehen aus einer Vorrichtung, mit deren Hilfe die Uhr oder jeder andere Gegenstand vollständig fest an der Kette hängt, aber doch mit einem nur ganz leichten Fingerdrucke abgemacht werden kann.

Die Kronenbäuerin ergriff die Kette, betrachtete sich den Schlüssel wie aus reiner, einfacher Neugierde und sagte:

»Das kleine Dingerl also ists, an dessen Besitz dreißigtausend Markerln kleben. Man siehts ihm gar nicht an.«

»Ja. Der kommt nicht von meiner Kette herunter. Wer will also das Geld holen?«

»Du scheinst ganz sicher zu sein!«

»Ja, denn ich bin auch vorsichtig. Heut Abend, wann ich in den Wald gehe, werd ich noch dazu den Hund in meine Stuben thun. Das ist dera kleine Dachsel. So einer ist noch viel besser als ein großer. So einer kann von dem Dieb nicht ergriffen werden, weil er einen großen Lärm vollführt und in die Winkeln kriecht dabei. Nun will ich schauen, wer das Geld holen kann.«

»Ja, wann es so ist, so brauchst freilich keine Sorg zu haben. Uebrigens sind doch auch die beiden Burschen daheim.«

»Nein, die nicht. Aberst das weiß doch Niemand. Sie müssen natürlich auch mit Posten stehen. Ich hab sie zu inspiciren. Aberst von morgen an bleiben wir daheim, um den Samiel zu erwarten. Das ganze Haus wird voller Soldaten sein. Er wird herein gelassen, aber nicht wieder hinaus.«

»Das wird einen gefährlichen Kampf geben, denn er wird sich natürlich wehren.«

»O, wir sind ihm ja weit, weit überlegen. Wir werden so schnell und so zahlreich über ihn herfallen, daß er gar keine Zeit findet, zur Waffe zu greifen.«

»Oft kommt es ganz anderst, als man denkt. Weißt, ich bitt Dich gar schön, daßt nicht gar zu viel wagen thust.«

»Ist Dir so sehr daran gelegen?«

»Das kannst Dir denken. Wann Dir ein Unglück widerfährt, was soll da aus mir werden! Ich weinte mir die Augen aus.«

Sie führte jetzt bereits die Schürze an ihre Augen. Das machte ihn glücklich. Er zog sie an sich und fragte im zärtlichsten Tone, der ihm möglich war:


// 1843 //

»So sehr lieb hast mich, Kätherl?«

»Ja. Ich kanns gar nicht sagen.«

»Das gefreut mich unendlich. Aberst mach Dir keine trüben Gedanken. Ich werd mich schon in Acht nehmen.«

»Wann es zum Kampf kommt, brauchst doch nicht grad dera Vorderste zu sein!«

»Nein. Dazu sind die Soldaten da. Die werd ich vorschieben. Wann so Einer derschossen wird, ists nicht sehr schad drum. Den Gefallen will ich Dir wohl thun, obgleich ich sonst ein gar Tapferer bin.«

»Das weiß ich wohl, und eben darum hab ich solche Angst.«

»Die brauchst nicht zu haben, ich nehme mich in Acht. Also nun sind wir wohl wieder einig worden, Kätherl?«

»Ja.«

»Du bist mir nicht mehr bös?«

»Nein, nicht mehr.«

»Und heut Abend kommst nach dem Stelldichein?«

»Ja, ich komme. Sobald daheim Alles schläft, geh ich fort. Mußt mir aber entgegenkommen.«

»Natürlich, denn es könnt sonst sein, daß ein Posten Dich anhalten thät. Der thät Dich natürlich fragen, wast da im Walde willst. Bin aberst ich dabei, so führe ich Dich so, daß Dich Keiner sieht. Nun sind wir fertig. Die Martha ist vorangangen und wartet auf mich. Ich muß fort.«

»Ich auch.«

»Ja, weil dera Fritz auf Dich wartet!«

Er machte dabei eine ziemlich unzufriedene Miene.

»Bist noch eifersüchtig?« fragte sie.

»Beinahe.«

»Auf einen Knecht! Laß Dich doch nicht auslachen. Ein Förster, der dreißigtausend Mark gewonnen hat, wird mir doch lieber sein als ein Knecht, der gar nix im Sacke hat. Kannst das nicht begreifen?«

»Begreifen kann ichs schon, denn eigentlich ists ganz selbstverständlich. Ob es aberst bei Dir wirklich dera Fall ist, das fragt sich noch.«

»Geh! Vorhin sagst, daß wir wiederum versöhnt sind, und nun fangst bereits schon wieder an! Willst mich wohl wiederum zornig machen?«

Sie zeigte bei diesen Worten ein so ernstes Gesicht, daß er sich beeilte, zu antworten:

»Nein, nein, Kätherl, das will ich nicht, sonst könnt es Dir gar einfallen, heut Abend nicht zu kommen!«

»Ganz natürlich käm ich nicht.«

»So sei nicht bös! Ich hab ja doch nicht zanken wollt! Bist mir gut?«

Er schlang den Arm um ihren Nacken und legte die andere Hand unter ihr Kinn, um ihr Gesicht kußgerecht emporzuheben.

»Frag nicht erst,« sagte sie. »Wer viel fragt, dera geht viel irre.«


// 1844 //

»Hast Recht, hast Recht! Darum will ich nicht fragen, sondern mir gleich das nehmen, was ich haben will.«

Er küßte sie wiederholt. Sie duldete es eine ganze Weile. Dann schob sie ihn von sich ab und sagte:

»Nun ists genug. Wann wir so fortmachen, bleibt für heut Abend nix übrig und wir werden am End noch gar derwischt. Mach nun, daßt fortkommst!«

»Wannst so commandirst, muß ich schon gleich gehorchen.«

»Gut, so leb also wohl!«

»Leb wohl, Kätherl, und vergiß ja nicht, zu kommen!«

Er ging.

Als er auf den freien Platz trat, sah er Fritz, welcher mit verschränkten Armen an der Mauer der Capelle lehnte und geduldig auf seine Herrin wartete.

Er wollte nicht an ihm vorübergehen, ohne ihn zu ärgern. Darum blieb er vor ihm stehen und fragte:

"Die Zeit ist Dir wohl recht lang worden, he?"

»Die Zeit ist Dir wohl lang worden?«

»Vielleichten kürzer als Dir.«

»Das glaub ich nicht. Ich hab mich ganz famos amüsirt.«

»Ich auch.«

»So allein? Das machst mir nicht weiß.«

»Ich war in meiner eigenen Gesellschaft, und das ist eine brave.«

»So meinst, daß diejenige, in welcher ich mich befunden hab, keine brave sei?«

»Nimm es, wie es Dir beliebt!«

»Das werd ich dera Bäuerin sagen!«

»Hab nix dagegen!«

»Sie wird Dich fortjagen!«

»Nicht eher als Dich!«

»Donnerwetter! Was bildest Dir ein! Es wird die Zeit schon noch kommen, in der Du ganz anderst mit mir reden wirst.«

»Wohl wannst Kronenbauer bist?«

»Hast etwan horcht?«

»Nein. Aberst diese Frag sagt mir, daß ich recht gerathen hab. Wannst wirklich gedenkst, diesen guten Bissen zu verschlucken, so hab ich nix dagegen und wünsch Dir eine gesegnete Mahlzeiten. Erstick nur nicht daran, Förster!«

Der Förster ärgerte sich, daß sein Angriff an dem kalten Wesen des Knechtes zurückprallte. Darum ließ er sich zu der Unvorsichtigkeit hinreißen, zu fragen:

»Selberst hättst ihn wohl gern verschlucken wollt?«

»O nein! Danke sehr!«

»Das mußt jetzt so sagen. Dir gehts wohl auch wie dem Fuchs in dera Fabel: Weil ihm die Trauben zu hoch hängen, so daß er sie nicht derlangen kann, so sagt er halt, sie seien ihm zu sauer.«


// 1845 //

»Diese Traube ist auch sauer; darauf kannst Dich verlassen. Jetzunder nippst nur erst daran und davon wirst schon genugsames Bauchgrimmen haben. Wie groß wird das Leibschneiden erst dann sein, wannst sie ganz und wirklich hast. Es kann gar eine Cholera daraus werden. Und weil ich so eine Krankheiten nicht haben mag, kannst diese Traube immerhin aufessen. Sie ist Dir gern gegönnt.«

»Dera Aerger spricht aus Dir. Hast vorhin mit meiner Nichte sprochen. Was hast mit der zu thun?«

»Nix.«

»Schweig! Wann man mit einem Dirndl im Busche steckt, so hat man auch seine Absichten dabei.«

»Und wann man mit einer Ehefrau fast eine geschlagene Stund zwischen denen Sträuchern steht, so giebts wohl keine Absichten? Fragst Du den Kronenbauer nicht, so darfst auch nicht denken, daß ich Dich um die Erlaubnissen frag, mich von dem reinen Zufall mal mit dera Martha zusammenführen zu lassen.«

»Willst uns wohl verrathen?«

»Ich bin keiner Frau zum Hüter setzt worden. Was Andre treiben, das geht mich nix an, wanns mich dabei in Ruhe lassen.«

»Das hast schön sagt, sehr schön und auch deutlich. Also werd ich Dich in Ruhe lassen. Leb wohl und bleib nicht hier an dera Mauer kleben.«

Er ging. Fritz warf ihm keinen Blick nach. Er hatte bereits gesehen, daß die Bäuerin mitten auf dem abwärts führenden Pfade stand, und that so, als ob er sie gar nicht bemerke.

Sie war nicht mit dem Förster aus dem Gebüsch getreten, sondern sie hatte sich durch dasselbe nach dem Wege hingearbeitet, damit es den Anschein haben möge, als ob sie nicht bis zu diesem Augenblicke mit dem Förster zusammen gewesen sei.

Als er nun gar nicht nach ihr hinblickte, trat sie näher.

»Fritz,« rief sie. »Träumst wohl?«

Jetzt kehrte er ihr das Gesicht zu, that, als ob er sie nun erst bemerke, und kam langsam herbei.

»Ich wart schon eine halbe Stund auf Dich,« sagte sie. »Hab Dich nicht sehen.«

»Ich bin ein ganzes Stück den Weg hinab, weil ich denkt hab, Du bist voran gangen.«

»So bist nun wiederum zurück und heraufi wegen meiner? Das ist mir ja eine sehr große Ehren!«

»Ich wollte eben mit Dir gehen und hab nicht denkt, daßt Dich hier an die Mauer stellen thust. Was eine Freundschaftlichkeiten ist, das brauchst nicht als eine Ehren zu betrachten. Komm mit!«

Sie wendete sich abwärts und er folgte ihr. Es ärgerte sie, daß der Pfad so schmal war, daß sie nicht neben einander gehen konnten. Sie hätte dann viel mehr Gelegenheit zu Traulichkeiten gehabt.


// 1846 //

»Dera Förster hat noch mit Dir sprochen?« fragte sie.

»Das hast sehen?«

»Ja. Was hatte er mit Dir?«

»Nix Wichtiges.«

»Hat er was von mir sagt?«

»Er hat von dera Martha begonnen und darüber zankt, daß ich mit derselbigen sprochen hab.«

»Ja, er denkt, daß sie Dein Dirndl ist.«

»Ich hab nix dagegen, wann er es denkt. Mit der kann man mich immerhin zusammen nennen. Sie ist ein braves und ehrliches Dirndl.«

»So magst sie wohl haben?«

»Wozu brauch ich ein Weib!«

»Da hast Recht und so mußt immer denken. So ein Bursch, wie Du bist, kann wählen unter Vielen. Wannst Deine Zeit abwartest, so wirst schon Eine bekommen, die eine volle Truhen hat und mit dert auch Staat machen kannst.«

»So bin ich neugierig, wo die jetzunder stecken mag.«

»Wie ich Dir schon sagt hab: In Deiner nächsten Nähe.«

»Also doch die zweite Magd meinst?«

»Geh! Red nicht solches Zeug! Ich hab Dir bereits derklärt, was ich unter dera nächsten Nähe verstehe.«

»Den Kronenhof.«

»Ja.«

»Aberst da hab ich bereits Alle gerathen, und Du sagst, es sei falsch.«

»Alle? Nein, nicht Alle.«

»Es ist doch weiter Keine da, die noch zu haben wär!«

»In jetziger Zeit. Aberst was man jetzund nicht haben kann, das kann man später wohl bekommen.«

»Ach so! Jetzunder verstehe ich Dich. Und nun weiß ich freilich auch, daßt nur einen guten Witz macht hast.«

»Witz? In wiefern?«

»Auf dem Kronenhof ist nur noch die Tagelohnersfrau. Der ihr Mann ist ein Trunkenbold und wird sich noch zu Tode schnapsen. Du meinst, ich soll warten, bis ihn dera Branntwein umbracht hat und mir sodann die seinige Frau nehmen.«

Da schlug sie halb belustigt, halb zornig die Hände zusammen und rief:

»Nein, wast für Einer bist! Das hab ich doch nicht denkt! Daß man sich an Einem gar so irren kann.«

»An mir?«

»Ja. Du bist doch sonst nicht so schwer mit denen Begriffen.«

»Meinst?«

»Ja. Schon als Schulbub bist immer dera Erster voran gewest; sodann im Dienst ganz ebenso. Aberst ich weiß es schon: Das viele Lesen hat Dich ganz verdreht macht.«


// 1847 //

»Meinst, daß ich darum les, um ein verdrehter Bub zu werden?«

»Warum Du liesest, das weiß ich schon. Du willst was lernen. Da kaufst Dir für Deinen sauer verdienten Lohn lauter Büchern und Schriften und setzest Dich damit Nächte lang in die Kammer. Ein Bier trinkst nicht, eine Cigarren oder Pfeifen rauchst nicht, ein Dirndl magst nicht, von Liebe willst nix und auf den Tanz gehst auch nicht. Nicht mal ein Kegelschieben machst mit. Ists da ein Wundern, daßt da ein hölzerner Bub bleibst, der sich nicht bewegen kann? Mit denen Büchern pfropfst Dir den Kopf so voll, daß für was Anderes und Besseres gar kein Raum übrig bleibt, und so kommt es, daßt ganz einfache Sachen nicht begreifen kannst, wie zum Beispiel das, wovon wir vorhin sprachen.«

»Das ist ja eine richtige Litaneien, die Du mir da vorbetest!«

»Ja, doch sie ist gut gemeint.«

»So muß ich mich gar schön bedanken dafür.«

»Laß Deinen Dank darinnen bestehen, daßt in Zukunft besser begreifst!«

»Ich will mir Mühe geben. Aberst ich hab freilich mal lesen, daß es Dinge giebt, die selbst Einer, der den besten Kopf hat, niemals begreifen kann.«

»Ja, das sind gelehrte Sachen. Das ist die Philisiphi und die Asternomerie, und solche Dingen, mit denen man sich nicht abgeben darf, wann Einem der Kopf nicht zerplatzen soll. Ich hab auch schon davon hört und es hat Leutln geben, die sich daran ins Irrenhaus studirt haben. Davor kannst Dich nur in Acht nehmen. Aberst wir haben doch vom Heirathen sprochen und von dera Liebe. Das ist nix Schwieriges.«

»Und doch hab ich hört, daß es Leutln geben hat, die grad wegen dera Liebe oder wegen einer bösen Ehefrau auch in das Irrenhaus kommen sind.«

»Ja, wegen einer unglücklichen Liebe, wann die Liebe keine Erwiderungen findet. Das ist aberst doch bei Dir nicht dera Fall. Wie Du bist, so kanns für Dich keine geben, die Dir so leicht einen Korb ertheilt.«

»Das klingt sehr schön!«

»Ja. Du siehst, daß ich ganz offen mit Dir sprechen thu. Und Diejenige, die eigentlich gemeint ist, wird Dich am Allerwenigsten zurückweisen.«

»So! Ist sie schön?«

»Die Schönste rundum!«

»Jung?«

»Für Dich jung genug.«

»Reich?«

»Die Reichste in dera ganzen Umgebung.«

»Auch gut und brav?«

»Nicht weniger als jede Andere auch.«

»Sappermenten! So hat sie ja alle möglichen guten Eigenschaften, wie sie sonst niemals beisammen zu finden sind.«

»Ja. Brauchst nur die Augen aufzumachen. Schau Dich nur in Deiner nächsten Nähe um, wie ich Dir sagt hab.«

»Das hab ich than, aberst Du sagst immer, daß ich falsch gerathen hab.«


// 1848 //

»Weilst nicht nahe genug schaust.«

»Näher als im Kronenhof giebts ja gar Keine.«

»So sind wir jetzunder nicht im Kronenhofe. Schau Dich jetzund mal um, in Deiner nächsten Nähe, in Deiner allernächsten. Siehst da Keine?«

Sie war stehen geblieben und hatte sich rückwärts zu ihm gewendet, so daß er nun auch gezwungen war, stehen zu bleiben. Ihre Augen waren groß, voll und mit glückverheißender Zärtlichkeit auf ihn gerichtet. Er sah das wohl, aber er that, als ob er es gar nicht bemerke.

»Wo denn?« fragte er, sich ganz ernsthaft einmal um sich selbst drehend und dabei die allernächste Umgebung scharf betrachtend.

»Ich sehe Keine.«

»So! Ist denn Keine da?«

»Nein.«

»Wirklich Keine, keine Einzige? Siehst denn gar kein Weibsbild, welches hier bei Dir ist?«

»Ach so! Ja, Eine ist da; die aberst bist doch Du.«

»Nun, endlich schaut er mich! Man sollte meinen, daßt ganz und gar blind bist. Bin ich nicht reich?«

»Ja,« nickte er unbefangen. »Das bist.«

»Und hübsch genug?«

»Die Leutln sagen sogar, daßt die Allerschönste seist rundum.«

»Bin ich alt?«

»Wohl nicht.«

»Und hältst Du mich für gut und brav oder nicht?«

»Ich bin doch Dein Knecht, und das Gesind ist stets verpflichtet, die Herrschaft für gut und brav zu halten.«

Sie fühlte wohl, daß er sich scheute, eine directe Antwort zu geben. Sie war aber nicht penibel genug, auf eine solche zu dringen. Sie begnügte sich also mit dem, was er gesagt hatte; es klang doch auch so leidlich wie ein ja, und fuhr dann fort:

»Hasts wirklich nicht merkt, daß ich nur von mir sprochen hab?«

»Nein. Ich hab keine Ahnung habt.«

»So bist eben blind. Und nun sag mir mal, wast davon denkst, Fritz?«

Sie ergriff seine Hand, wollte den Arm um ihn legen und sich innig an ihn schmiegen. Er aber trat rasch zurück, entzog ihr die Hand und antwortete:

»Jetzunder denk ich halt gar nix. Das ist eine Sach, über welche man gar nicht denken kann.«

»Da hast Recht. Bei dera Liebe soll man nicht denken, sondern nur fühlen. Also was fühlst jetzund?«

»Daß es mir innerlich ein Wengerl zu sehr warm wird.«

»Schau,« lachte sie, »so ists ganz recht. Warm muß und soll es Dir werden. Das ist ja eben die Liebe. Die ist stets warm, ja sogar heiß, wenn es die richtige ist. Also sag, willst mich haben, Fritz?«

Sie stand vor ihm und fixirte ihn mit einem Blicke, welchem gar nicht auszuweichen war.


Ende der siebenundsiebzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk